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Es war heute Wäsche im Haus. Ein paar Weiber hantierten in der Küche und am Brunnen.
Gertrud suchte ihren Arbeitsteil draußen, wo die Seile von Obstbaum zu Obstbaum gespannt waren. Da konnte sie, während sie die Leinwandtücher mit den Kluppen heftete, still ihren Gedanken nachhängen. Die Vögel, die ihre Lieder laut, fast aufdringlich aus den Kronen in den herbfrischen, glanzvollen Frühlingsmorgen schmetterten, störten sie nicht. Sie waren ja nur die Sänger der Freude, die sie selber im Herzen trug. Was ist es Wonniges und Seelenerquickendes um einen lachenden Frühlingsmorgen! Jedes Wesen denkt: Ich bin –ich bin! –und jeder Laut ist ein Dankgebet zur Sonne.
Drüben an der Hauswand auf dem Gerüste stand Balz in seinem Arbeitskittel und pfiff seelenvergnügt in die blaue Luft, als freue er sich noch über den gestrigen Ritt.
Was kümmerte sie Balz? Sie dachte an Röbi.
Früh um sechs Uhr war er mit dem Vater ins Runstal gegangen, wo etliche zwanzig Mann an der Hebung des Wasserbruches arbeiteten, und der Gedanke, daß sich die beiden wieder in herzlichem Frieden gefunden hatten, war ihr eine Quelle des Glücks.
Ihre Seele überflog die letzten zwei Jahre. In der schweren Zeit, da sie mit dem Vater um den Verlust der tapferen Mutter trauerte, war es wie eine Offenbarung über sie gekommen, daß Röbi seinen Vormund doch nur ihretwegen fleißiger besuchte, als Anhänglichkeit und Notwendigkeit erforderten. War die Entdeckung für sie eine Freude oder ein Schreck? –Beides zugleich, jedenfalls eine große Überraschung, die wie ein Wunder in ihr Leben trat. Ihr Herz schlug ihm stürmisch entgegen, aber ihr war, sie müsse sich vor Gott und Menschen, selbst vor den Bäumen und Blumen des Waldes ihrer Liebe schämen. Am meisten vor dem Vater! Und leicht ließ sie Röbi die Werbung nicht werden. Sie wies ihn stets wieder mit einer Anspielung auf seine Nachbarin Gritli Geißmann zurück –zwei-, dreimal so heftig, daß einem anderen die Lust vergangen wäre, wiederzukommen. Jedesmal aber weinte sie hinterher bitterlich, daß sie aus unbegreiflichem Trieb, einer Wehrhaftigkeit, die sie selber nicht begriff, herb und hart gegen ihn sein mußte! So bis in den letzten Herbst.
Als der Vater zu einer landwirtschaftlichen Ausstellung in ein Bodenseestädtchen hinuntergefahren war, kam Röbi. Am Waldrand verlobten sie sich, draußen beim Stein unter der großen Buche gaben sie sich den ersten Kuß. Sie hatten einander so viel zu sagen, daß schon Stern an Stern am Himmel stand, als sie den Heimweg einschlugen und ihnen halbwegs vom Freihof der Knecht Wälti entgegenkam, der sie suchen sollte.
»Aha, ist das alles?« knurrte der weise Junggeselle und lief ihnen voran im Eilschritt auf den Hof zurück.
Nach der Verlobung am Waldrand kam der Kampf mit dem Vater. Er war grollig und wußte eine Menge Einwendungen gegen Röbi, der doch sein ehemaliges Mündel war und ihm trotz der großen Lebhaftigkeit viel mehr Freude als Verdruß bereitet hatte. Was waren ein paar Lausbubereien in der Jugend Röbis? –Nur zweimal hatte ihn der Vater ernstlich züchtigen müssen: einmal wegen Fischfrevels im Runsbach; das zweite Mal, weil er mit anderen Buben beim heimlichen Rauchen ein schönes Stück Gemeindewald angezündet hatte. Auf diese alten Untaten griff der Vater zurück, wenn er gegen ihre Verlobung mit Röbi wetterte, im Grunde kränkte ihn aber bloß der Gedanke, daß die Tochter jetzt einem anderen Manne mehr anhange als ihm selbst.
Um Weihnachten hatte er sich mit dieser Tatsache versöhnt, Röbi als künftigen Schwiegersohn anerkannt und sich seither mit ihm –die Mensurgeschichte abgerechnet –aufs beste vertragen.
Wie schön lag vor ihr und Röbi das Leben! Nein: läge es, wenn die Erinnerung an Gritli Geißmann nicht wie eine offene Wunde schwärte. Wie klein hatte Röbi dieses Hindernis bei der Verlobung dargestellt! Nun lag es wie ein großer Stein nicht in Röbis, aber in ihrer Seele. Sie suchte das Bild der um ihr Lebensglück Betrogenen hinwegzuscheuchen.
Da fuhr sie aus ihrer emsigen Arbeit und ihrem raschen Sinnen empor.
Balz hatte aufgehört, am Haus zu klopfen. Es war schon Mittag. Sie konnte es kaum fassen, wie schnell ihr der Morgen vergangen war.
Der Vater und Röbi kamen heim.
»Grüß Gott, Trudi! –Wir haben Hunger und Durst!« rief ihr Röbi von weitem zu. Er war in strahlender Laune und schäumte vor Leben. »Entzückend schön war es in der Schlucht bei den vielen kleinen Wasserfällen und an den Felsenmulden, in denen sich der Bach sonnt. Auch das Angrünen der Lärchen und Buchen ist ein herrlich zartes Spiel. Da nimm eine Nase voll Waldluft!«
Er streckte ihr einen mächtigen Strauß goldiger Trollblumen entgegen und neigte das Gesicht selber darein. »Doch nun eine große, frohe Neuigkeit, Schatz! Am Ostermontag findet hier auf dem Freihof ein Eierlesen statt! Der Vater ist damit einverstanden und überläßt uns dazu die Wiese vor dem Haus.«
»Das heißt alles unter deiner Verantwortung, Röbi,« schränkte der Freihöfler die jubelnde Mitteilung ein, »und unter der Voraussetzung, daß du Zucht und Ordnung unter der Jungmannschaft hältst.«
»Das versteht sich ja von selbst!« sprudelte Röbi. Sogar beim Mittagessen lebte er in der Vorfreude des Spiels. »Hübsch soll die Veranstaltung werden. Ein paar Wagen voll junger Tannen, um den Platz einzufrieden, werden wir vom Gemeindeförster schon bekommen; von dir, Vater, die Seile, die wir von Tanne zu Tanne spannen. Auf die Galerien des Hauses laden wir die Mädchen des Dorfes ein. Wenn sie in ihrer Tracht erscheinen, wird es sich wie ein lebendiger Blumengarten ansehen. Ich will auch dafür sorgen, daß das Zipfelmützendoppelquartett aus Buchlisberg auf dem Platz spielt. Es gibt doch stets Stimmung, wenn ein paar Trompeten, ein paar Geigen, ein Baß und ein Hackbrett bei einem Volksfest sind. An Hanstöni haben wir einen alterprobten Werfer, Uli Kübler wird sich wohl auch wieder als Wannenhalter gewinnen lassen, und wir haben nur Dolf Guggi, den verschwundenen Abenteurer, als Reiter zu ersetzen. Da ist Arnold Röthlisberger, der Sohn des Fuhrhalters, mit seinem jungen, schönen Militärfuchsen der gegebene Mann. Ich habe auch an Albert Ruchegger, den Trainfurier, gedacht. Aber der war schon in unserer Bubenzeit ein Spielverderber. Arnold Röthlisberger soll reiten. Dem Spiel folgt der Festzug vom Freihof nach Haldenegg hinunter, im Sternen ist gemeinsames Nachtessen der Jungmannschaft mit ihren Liebsten, wobei es uns sehr freuen würde, wenn Männer wie du, Vater, überhaupt aus den Behörden, uns die Ehre der Teilnahme erweisen wollten. Nachher ist Tanz und Fröhlichkeit, bis die Hähne krähen.«
Der Freihöfler lachte: »Du hast ja schon das richtige Advokatenmundwerk! Ich gehe jetzt mit Wälti die Obstbäume ausschneiden.«
»Und ich will diesen Nachmittag ein paar Briefe schreiben und die Jungmannschaft zur Besprechung des Eierlesens auf morgen abend in den Sternen einladen.«
Als der Freihöfler gegangen war, schlang Röbi den Arm um den Nacken Gertruds. »Gott sei gepriesen, daß man endlich wieder einmal etwas Fröhliches zu denken hat! Im übrigen habe ich mit dem Vater ernst gesprochen. –Wenn er manchmal auch derb und zornig sein kann, er ist doch ein bewundernswerter Mann und hat in seinem Wesen einen großen Zug, den man bei Dörflern selten findet.«
»Und hat es gern, wenn ihm ein Junger die Ehre gibt,« fügte Gertrud schelmisch hinzu.
»Ja, das habe ich gespürt!«
»Was habt ihr denn Ernstes verhandelt?«
»Ich habe ihm eingehend von meinen Studien und Plänen erzählt, wie dir am Samstag. Das hat ihn erfreut. Und dann redeten wir darüber, ob du und ich unser Verlöbnis nicht bald öffentlich anzeigen dürften.«
»Ei tausend, da hör!« Gertrud hob den Kopf.
»Was sagte der Vater darauf?«
»Er wollte die Anregung in sich selber prüfen. Zuerst sollen wir fröhlich Ostern feiern.«
»Du, Röbi, wie kam dir der Plan?« fragte sie in nachdenklicher Neugier.
»Dem Vater sagte ich, daß ich als öffentlich Verlobter gegenüber meinen Kommilitonen einen einwandfreien Grund habe, mich von den studentischen Zerstreuungen zurückzuziehen und mich der ernsten Arbeit zu widmen. Auch könne dir und mir im Dorf wohler sein, wenn wir mit der Heimlichtuerei aufhören dürfen. Sie nütze nichts mehr, da die Spatzen von Haldenegg unsere Liebe doch von den Dächern pfeifen. Dir, Trudi, will ich den tieferen Grund gestehen. Nach dem gestrigen Vorfall würde ich Gritli, die Großmutter und alle, die mir Gritlis wegen in den Ohren liegen, gern vor eine Tatsache stellen, mit der sie sich abfinden müssen.«
Seine Augen blitzten in Entschlossenheit.
»Gelt, Röbi, das blasse Gesicht Gritlis quält dich doch auch!«
»Weil es dich quält! Ich bin auch gegen den Wunsch des Vaters, daß ich einmal meine Advokaturstube im Freihof einrichte, sondern ich möchte mit dir an irgend einem hübschen größeren Ort unseres Ländchens wohnen, wo uns Gritli nicht in den Weg tritt. So finden wir unsere Ruhe leichter, und sie die ihre.«
Gertrud erbleichte. »Vom Freihof fort! Wer hätte gedacht, daß diese Frage je entstehen könnte? Und wegen Gritli Geißmann! Das ist ein Unglück! O Röbi, mir ist manchmal so schwer ums Herz, daß ich denke: wenn wir uns nur nie kennen gelernt hätten!«
Ein feuchter Glanz trat in ihre Augen.
Da wurde er wild. »Wenn du nichts Gescheiteres zu denken weißt, so gehe ich,« warf er herrisch hin.
Sie forderte ihn nicht auf, zu bleiben. Schweigend, bis in den Grund der Seele getroffen, sann sie vor sich hin.
Er zögerte einen Herzschlag lang. Dann verließ er in jäher Wallung des Mißmutes die Stube und wandte sich gegen das Dorf hinab. Doch was wollte er im Dorf? Zur Großmutter heim? Am allerwenigsten! Seine Freunde aus der Jungmannschaft aber waren wohl in Feld und Wald bei der Arbeit. Nachdem er schon ein Stückchen Weg zurückgelegt hatte, ging er wieder auf den Freihof zurück. Es zog ihn zu Gertrud, er konnte nicht im Unfrieden mit ihr leben. Der Stolz erlaubte ihm jedoch nicht, schon wieder dort ihr zu erscheinen. Unentschlossen und schlechter Stimmung trieb er sich um den Hof herum. Was half ihm das Osterspiel, das seine Freude erregt hatte, wenn er sich nicht in lebenswichtigen Fragen mit Gertrud einig wußte?
Da erblickte er unter dem breiten Vordach der Scheune den langen Balz, der eben zugeführte Bauvorräte an die Wand speicherte.
Er trat mit einem leichten Gruß zu ihm hin und schaute eine Weile seinen Hantierungen zu, als ob er in Bauangelegenheiten Sachverständiger wäre.
Trotz seiner ärgerlichen Laune hatte er seinen Spaß daran, daß die langen Glieder des Gesellen wie ein geschicktes Hebelwerk arbeiteten, noch mehr an der Vorstellung, daß dieser wunderliche, häßliche Mensch sterblich in Gertrud verliebt sei. Plötzlich reizte es ihn, mit Balz anzubändeln.
Aus seiner schlechten Stimmung wurde eine wilde, übermütige.
Balz beobachtete ihn mißtrauisch.
»Das ist mir just recht, daß ich Euch kennen lerne,« begann Röbi das Gespräch mit ziemlichem Ernst. »Der Friedensrichter und seine Tochter haben mir viel Schönes und Achtungswertes von Euch erzählt, und obgleich ich erst seit Samstag hier bin, weiß ich, daß Ihr ein ebenso vorzüglicher Musiker wie Reiter seid.«
Da horchte Balz doch empor und fragte vorsichtig: »Ja, wer seid Ihr?«
»Robert Heidegger, Student, jetzt hier bei den Verwandten in den Ferien,« erwiderte Röbi im Tone vollkommener Wahrheit. »Nach meiner Ankunft hatte ich gerade das Vergnügen, mit meinem Bäschen Gertrud das Ständchen anzuhören, das Ihr dem Fräulein dargebracht habt. Ihr seid auf Eurer Ziehharmonika ein großer Künstler, ich glaube, niemand spielt so schön hierzulande und weiß so viel prächtige Melodien. Ihr hättet Musiker von Beruf werden sollen!«
Das Lob traf Balz an seiner schwächsten Stelle. Die Augen leuchteten ihm auf. Nein, das hatte er nicht erwartet, daß der vornehme Student so freundlich zu ihm sprechen würde.
Leichtgläubig, wie es in seinem Wesen lag, faßte er Zutrauen und fragte mit zitternder Stimme: »Haben die Lieder dem Fräulein ein wenig gefallen?«
»Wie Ihr fragen könnt!« erwiderte Röbi mit guter Verstellung, und die ausgelassene Laune riß ihn zu immer kühneren Worten hin. »Ihr müßt es doch selber wissen, daß sie an allem, was Ihr tut, einen großen Gefallen findet: an den Erzählungen aus Eurem Leben, an dem kleinen, reizenden Schnitzwerk, das sie mir von Euch gezeigt hat ...«
»Sie hat es Euch gezeigt?«
»Sie denkt ja die ganze Zeit nur an Euch und spricht nur von Euch. Ich weiß durch sie vieles aus Eurem Leben, wie es Euch bei einem Teufelseher schlecht ging und daß Ihr in Aue die Orgel wieder herrlich instand gesetzt habt. Ich sage Euch ja, sie bewundert Euch, Eure Geschicklichkeit und Eure Künstlergaben!«
Der lange Balz lachte selig wie ein Kind, das ein Märchen erzählen hört.
»Recht glauben kann ich's nicht,« versetzte er sinnend. »Mich hat es Fräulein Freihofer noch nie merken lassen, daß sie mich mag. Im Gegenteil! –Sie geht, mir aus dem Weg.«
»So tun alle verliebten Mädchen!« erwiderte Röbi mit Kennermiene. »Ich weiß das von meinem Schatz in der Stadt, –und ein wenig stolz ist ja Fräulein Freihofer; sie darf es auch sein, sie ist die Tochter des Friedensrichters und ein schönes Mädchen dazu. Das laßt Ihr doch gelten!«
»Ja,« sagte Balz andächtig und mit verzücktem Gesicht.
Röbi konnte das Lachen kaum mehr verhalten, doch beherrschte er sich. »Also könnt Ihr auch nicht erwarten, daß sie Euch die Liebe gleich zu merken gibt oder Euch gar nachläuft. Das tut sie sicher nicht.«
»Nein,« erwiderte Balz verständnisvoll und zitternd vor Aufregung. »Ich habe ja so etwas auch nie gedacht!«
»Ihr seid vielleicht nur zu bescheiden,« reizte ihn Röbi, der sich auf einen Scheitstock gesetzt hatte und vergnüglich die Beine schlenkerte. »Bei einem Mädchen kommt man mit etwas Frechheit am besten vorwärts. Überhaupt in der Liebe muß sich jeder selber helfen. –Tanzt Ihr gern?«
Balz lachte über die Frage.
»Da ist nichts zu lachen –am Ostermontag ist im Sternen Tanz. Wir haben an diesem Tag ein Fest, ein Eierlesen hier auf der Wiese des Freihofs. Kennt Ihr das Spiel? –Nicht! Nun, die Jungmannschaft stellt durch das Los zwei Parteien auf, die eines Reiters und die eines Werfers. Während dieser zweihundert Eier in ein Ziel wirft, eilt der Reiter vom Freihof hinab nach Haldenegg, von Haldenegg hinüber nach Buchen, von Buchen nach Büchlisberg, von da nach Haldenegg zurück und wieder hinauf zum Freihof. Wer seine Aufgabe zuerst gelöst hat, der hat für seine Partei den Sieg errungen und erhält von der Eierkönigin einen Kranz aufs Haupt. Und den ganzen Abend darf sie ihm keinen Tanz abschlagen! Die unterlegene Partei aber bezahlt der sieghaften das Abendbrot.«
Balz hatte spannungsvoll zugehört. »Und wer ist die Eierkönigin?«
»Das erratet Ihr doch,« lachte Röbi. »Die Jungmannschaft wählt keine andere als Fräulein Freihofer! Und gestern habe ich gesehen, daß Ihr ein vortrefflicher Reiter seid.«
»Nun, ich habe in Westfalen Reiten gelernt.«
»Das weiß ich von Fräulein Freihofer und habe einen Einfall: –Wenn Ihr in die Jungmannschaft eintreten und als Reiter an dem Spiel teilnehmen wolltet!«
Röbi blickte ihn mit verführerischem Lächeln an. Auf dem Gesicht des Gesellen stand die große Überraschung und das Verlangen. »Wenn ein Fremder aufgenommen wird,« versetzte er bescheiden.
»Warum nicht? Wir Burschen von Haldenegg mögen jeden leiden, der einen guten Ruf hat –und den habt Ihr ja durch Eure Künste und könnt ein angesehenes Glied unserer Gesellschaft werden, indem Ihr unsere Zusammenkünfte mit Eurer Musik verschönt.«
Das gefiel Balz mächtig.
»Wenn Ihr an unserem Fest die Rolle des Reiters übernehmen wolltet, hübsch angetan, Bänder auf dem hohen Hut und an den Schultern, an den Füßen Rohrstiefel und Sporen, müßtet Ihr meiner Base doch sehr gut gefallen. Und wenn Ihr als Sieger auf den Platz kämet, wenn sie Euch den Kranz auf den Kopf setzte und den ganzen Abend neben Euch oder Euch gegenüber säße, ließe sich schon ein freundliches Wort mit ihr reden, –und es ist dann Eure Sache, daß Ihr die Freundschaft des Fräuleins noch mehr für Euch gewinnt als bisher!«
Balz nickte und lachte in sich hinein, plötzlich aber fragte er: »Woher nehmen wir ein gutes Reitpferd? –Der Braune hier auf dem Freihof taugt nicht mehr viel!«
»Das laßt meine Sorge sein. Ich weiß im Dorf einen schönen, jungen Fuchsen.«
Ein Ausdruck trat in das Gesicht Balthasars, wie wenn ein Kind nach einem Spielzeug zittert.
»Nur eins bedenkt,« fuhr Röbi fort, »das Straßendreieck zwischen den Dörfern ist nicht leicht zu reiten, es geht in drei Bachschluchten hinab und wieder steil hinauf in die Felder! –Es sind die untere und die obere Runsschlucht und zwischen Buchen und Büchlisberg das Brummibachtobel.«
»Ich fürchte mich nicht,« erwiderte Balz mit einem mutigen Strahl der Augen. »Wir sind in Westfalen, wo es manchmal beim Tanz ziemlich spät geworden ist, noch in dunkler Nacht über Stock und Stein geritten. Nicht nur auf Ackergäulen, auf dem Hof standen auch zwei Husarenpferde!«
»Husarenpferde! Ausgezeichnet! Nun seht bloß dazu, daß Euch keiner in der Rolle des Reiters zuvorkommt. Es sind noch andere, welche die Gelegenheit gern benützen möchten, sich vor Fräulein Freihofer hervorzutun, so der Sohn des Fuhrhalters Röthlisberger, aber am liebsten sähe sie gewiß Euch, da sie doch im stillen schon Eure Freundin ist. Meldet Euch, und wir werden Euch dem Fräulein Freihofer zulieb wählen!«
Das Gesicht des langen Balz lachte, als er den Namen Gertruds so manchmal hörte, und er war vor Wonne ganz verwirrt.
Da kam Vree mit dem Abendbrot für ihn, Röbi sprang von dem Scheitstock, den er sich als Sitzplatz erwählt hatte, herunter. »Ich muß nun gehen. Besinnt Euch gut. Und noch eins! Niemand darf von dem Plan etwas merken, am allerwenigsten Fräulein Freihofer. Das ist Übung der jungen Leute von Haldenegg, daß vor dem Spiel alles Geheimnis bleibt! Wir zählen auf Euer Schweigen.«
»O, ich kann still sein wie ein Fisch!« rief Balz mit strahlendem Blick.
Balz aber blieb in einem so mächtigen Taumel zurück, daß er nicht mehr auf die Leiter steigen und kein Werkzeug mehr halten konnte. Was war dieser Student für ein herrlicher Mensch, so freundlich, lieb und gütig! Wie schön, daß er seinen Schatz in der Stadt und selber keine Begierde nach Fräulein Freihofer hatte!
Glückselig lachte er vor sich hin, –er lachte, als Meister Hildebrand zur Nachschau auf den Platz kam, und lachte, als der Friedensrichter gegen Abend Prüfung über den Tagesfortschritt der Arbeit hielt.
Verwundert schüttelte der Freihöfler den Kopf. Als er in die Stube trat, fragte er Gertrud: »Weißt du, was Balz in die Krone geschossen ist? Wohl der gestrige Ritt! Er hat den Verstand verloren. Wenn nur die Arbeit am Haus auf Ostern noch fertig wird!« Tiefsinnig schritt er die Stube auf und ab.
»Wo ist Röbi?« fragte er nach einer Weile.
»Ich denke, er ist ins Dorf hinabgegangen, um wegen des Eierspiels mit den anderen Burschen zu beraten.«
Der Freihöfler nickte: »Röbi gefällt mir bei seinem jetzigen Besuch recht gut. Die Mensurgeschichte hat ihn doch merkbar ernster gestimmt. Er hat jetzt manchmal eine schöne Männlichkeit, die Tüchtiges verspricht.«
»Ja, ich spür's auch, daß er über manches gründlicher denkt als früher,« stimmte Gertrud zu.
»Wir sind heute morgen vortrefflich zusammen gewandert,« erzählte der Friedensrichter. »Es freut mich an ihm, daß er nicht nachträgerisch ist. Obgleich ich ihn am Abend seiner Heimkehr scharf genug abgekanzelt habe, war er heute auf dem Weg so zutraulich, wie es ein Alter von seinem Schwiegersohn wünschen kann. Insbesondere hörte ich gern von seinen Studien, und die Wärme und Klarheit, mit der er über das Verhältnis des Rechts zum Volksleben sprach, tat mir wohl. Wir verstehen uns in vielen öffentlichen Fragen wie selten jung und alt! Und was mir auch Freude bereitet: er prahlt nicht mit seiner Bildung und seinen Wissenschaften, er hat, wenn er unter die Leute tritt, ein volkstümliches Benehmen, spricht mit den Bauern über die Landwirtschaft und mit dem Förster über den Wald. Dabei merkt man, daß er schon als Bub für alles, was um ihn war, offene Augen besessen und sich trotz der Studien die Liebe und das Verständnis für unsere Anliegen behalten hat. Ich hoffe, an ihm noch viel Freude zu erleben. Deswegen bin ich seiner Bitte, der Jungmannschaft für das Eierlesen die Wiese vor dem Haus zu überlassen, entgegengekommen. In einer anderen Angelegenheit aber habe ich mir die Prüfung vorbehalten.«
Gertrud spitzte die Ohren.
»Du weißt es wohl schon von ihm selber. Er wünscht euer stilles Verlöbnis möglichst rasch in das öffentliche zu verwandeln. Das geht mir nun gegen den Strich. Die Jugend plant stets anders, als ein Alter für sie denkt. War es nicht mein Wunsch, daß du einen Landwirt heiratest? Nun hast du dir einen Juristen erwählt. Und ich dachte, der Jurist müsse zuerst sein Staatsexamen und den Doktor ablegen, ehe ich in den neuen Schritt willige. Nun hat aber Röbi mit Gründen, denen ich die Triftigkeit nicht absprechen kann, um Beschleunigung gebeten. Ich glaube selber, daß die öffentliche Verlobung einen Studenten von allerlei geselligen Verpflichtungen entbindet, die ein Hemmnis auf dem Weg zu seinen höheren Zielen sind. Und ich will in der Angelegenheit kein Rabenvater gegen euch sein!«
»Da wird sich Röbi freuen!« rief Gertrud in großer Überraschung.
»Das Ausgeben der Karten auf Ostern läßt sich nicht mehr richten, denn da haben wir ja seit langem meiner Schwester Elisabeth und dem Schwager in Egelsdorf am See unseren Besuch versprochen. Ich möchte das nicht ändern, ich bin jedesmal froh, wenn eine Verwandtschaftspflicht erledigt ist. Dazu ist am Ostermontag Eierlesen, da wünsche ich nicht, daß die Nachricht so neu in das Volksfest hineinfällt.«
»Du hast Recht, Vater!«
»Also kauft euch die Ringe auf Pfingsten! Damit bin ich einverstanden.« Und der Freihöfler schaute seiner Tochter warmherzig ins Gesicht.
In diesem Augenblick trat Röbi in die Stube. Frisch, fröhlich kam er vom Dorf herauf und dachte kaum mehr daran, daß er im Zorn von Gertrud hinweggegangen war.
»Mit dem Förster ist die Angelegenheit beredet,« berichtete er. »Wir dürfen die nötigen Jungtannen zum Schmucke des Festplatzes schlagen. Hanstöni, Konrad Erb und ich besorgen es morgen, und der junge Röthlisberger übernimmt die Fuhre. Ich freue mich auf die Arbeit im Wald!«
Mit kräftigen Armen ahmte er die Bewegung des Axtschwunges nach, Gertrud und der Freihöfler lachten unwillkürlich zu seinem Eifer.
»Röbi, hör! Ich habe dir auch eine Neuigkeit!« rief sie ihm schalkhaft und freudig zu. »Rate!«
Einen Augenblick spannte sie seine Neugier, dann sagte sie: »Denke dir, der Vater gestattet, daß wir auf Pfingsten unsere Verlobungskarte herausgeben.«
»Trudi!« jauchzte er auf und schlang seinen Arm um ihre Hüfte. »Ich habe nicht nur die beste Braut im Land, sondern auch den besten Vater. –Du und ich! –Komm, wir wollen ihm die Hand reichen und ihm gemeinsam danken.«
Vergessen war der kleine Streit vom Nachmittag, und zwischen den drei Menschen waltete ein stilles, reines Glück.