Heinrich Heine
Lutetia
Heinrich Heine

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VIII.

Paris, den 27. Mai 1840.

Über die Blutfrage von Damaskus haben norddeutsche Blätter mehrere Mitteilungen geliefert, welche teils von Paris, teils von Leipzig datiert, aber wohl aus derselben Feder geflossen sind, und im Interesse einer gewissen Klicke das Urteil des deutschen Publikums irre leiten sollen. Wir lassen die Persönlichkeit und die Motive jenes Berichterstatters unbeleuchtet, enthalten uns auch aller Untersuchung der Damaszener Vorgänge; nur über das, was in Beziehung derselben von den hiesigen Jungen und der hiesigen Presse gesagt wurde, erlauben wir uns einige berichtigende Bemerkungen. Aber auch bei dieser Aufgabe leitet uns mehr das Interesse der Wahrheit als der Personen; und was gar die hiesigen Juden betrifft, so ist es möglich, daß unser Zeugnis eher gegen sie als für sie spräche. – Wahrlich, wir würden die Juden von Paris eher loben als tadeln, wenn sie, wie die erwähnten norddeutschen Blätter meldeten, für ihre unglücklichen Glaubensbrüder in Damaskus einen so großen Eifer an den Tag legten und zur Ehrenrettung ihrer verleumdeten Religion keine Geldopfer scheuten. Aber es ist nicht der Fall. Die Juden in Frankreich sind schon zu lange emanzipiert, als daß die Stammesbande nicht sehr gelockert wären, sie sind fast ganz untergegangen, oder besser gesagt, aufgegangen in der französischen Nationalität; sie sind gerade ebensolche Franzosen wie die andern, und haben also auch Anwandlungen von Enthusiasmus, die vierundzwanzig Stunden, und, wenn die Sonne heiß ist, sogar drei Tage dauern! – und das gilt von den bessern. Viele unter ihnen üben noch den jüdischen Zeremonialdienst, den äußerlichen Kultus, mechanisch, ohne zu wissen warum, aus alter Gewohnheit; von innerm Glauben keine Spur, denn in der Synagoge ebenso wie in der christlichen Kirche hat die witzige Säure der Voltaire'schen Kritik zerstörend gewirkt. Bei den französischen Juden, wie bei den übrigen Franzosen, ist das Gold der Gott des Tages, und die Industrie ist die herrschende Religion. In dieser Beziehung dürfte man die hiesigen Juden in zwei Sekten einteilen: in die Sekte der rive droite und die Sekte der rive gauche, diese Namen haben nämlich Bezug auf die beiden Eisenbahnen, welche, die eine längs dem rechten Seinufer, die andere dem linken Ufer entlang, nach Versailles führen und von zwei berühmten Finanzrabbinern geleitet werden, die miteinander ebenso divergierend hadern, wie einst Rabbi Samai und Rabbi Hillel in der ältern Stadt Babylon.

Wir müssen dem Großrabbi der rive droite, dem Baron Rothschild, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er für das Haus Israel eine edlere Sympathie an den Tag legt, als sein schriftgelehrter Antagonist, der Großrabbi der rive gauche, Herr Benoit Fould, der, während in Syrien, auf Anreizung eines französischen Konsuls, seine Glaubensbrüder gefoltert und gewürgt wurden, mit der unerschütterlichen Seelenruhe eines Hillel in der französischen Deputiertenkammer einige schöne Reden hielt über die Konversion der Renten und den Diskonto der Bank.

Das Interesse, welches die hiesigen Juden an der Tragödie von Damaskus nahmen, reduziert sich auf sehr geringfügige Manifestationen. Das israelitische Konsistorium, in der lauen Weise aller Körperschaften, versammelte sich und deliberierte; das einzige Resultat dieser Deliberationen war die Meinung, daß man die Aktenstücke des Prozesses zur öffentlichen Kunde bringen müsse. Herr Cremieux, der berühmte Advokat, welcher nicht bloß den Juden, sondern den Unterdrückten aller Konzessionen und aller Doktrinen zu jeder Zeit seine großmütige Beredsamkeit gewidmet, unterzog sich der obenerwähnten Publikation, und mit Ausnahme einer schönen Frau und einiger jungen Gelehrten ist wohl Herr Cremieux der einzige in Paris, der sich der Sache Israels tätig annahm. Mit der größten Aufopferung seiner persönlichen Interessen, mit Verachtung jeder lauernden Hinterlist, trat er den gehässigsten Insinuationen rücksichtlos entgegen und erbot sich sogar, nach Ägypten zu reisen, wenn dort der Prozeß der Damaszener Juden vor der Tribunal des Pascha Mehemed Ali gezogen werden sollte. Der ungetreue Berichterstatter in den erwähnten norddeutschen Blättern insiniert der »Leipziger Allgemeinen Zeitung« mit perfider Nebenbemerkung, daß Herr Cremieux die Entgegnung, womit er die falschen Missionsberichte in den hiesigen Zeitungen zu entkräften wußte, als Inserat druckte und die übliche Gebühr dafür entrichtete. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß die Journaldirektionen sich bereitwillig erklärten, jene Entgegnung ganz gebührenfrei einzurücken, wenn man einige Tage warten wolle, und nur auf Verlangen des schleunigsten Abdrucks berechneten einige Redaktionen die Kosten eines Supplementblattes, die wahrlich nicht von großem Belange, wenn man die Geldkräfte des israelitischen Konsistoriums bedenkt. Die Geldkräfte der Juden sind in der Tat groß, aber die Erfahrung lehrt, daß ihr Geiz noch weit größer ist. Eines der hochgeschätztesten Mitglieder des hiesigen Konsistoriums – man schätzt ihn nämlich auf einige dreißig Millionen Franks – Herr Wilhelm de Romilly, gäbe vielleicht keine hundert Franks, wenn man zu ihm käme mit einer Kollekte für die Rettung seines ganzen Stammes!Statt dieses Satzes steht in der französischen Ausgabe der folgende: »Die Israeliten der neuen Generation sind noch knickriger als ihre Väter; ja, ich möchte glauben, daß sich unter der Jeunesse dorée von Israel mehr als ein Millionär findet, der vielleicht keine hundert Franks gäbe, wenn er um diesen Preis einen ganzen Stamm beduinischer Religionsgenossen vor der Bastonade retten könnte!« – Der Herausgeber Es ist eine alte, klägliche, aber noch immer nicht abgenutzte Erfindung, daß man demjenigen, der zur Verteidigung der Juden seine Stimme erhebt, die unlautersten Geldmotive zuschreibt; ich bin überzeugt, nie hat Israel Geld gegeben, wenn man ihm nicht gewaltsam die Zähne ausriß, wie zur Zeit der Valois. Als ich unlängst die Historie des Juifs von Basnage durchblätterte, mußte ich herzlich lachen über die Naivität, womit der Autor, welchen seine Gegner anklagten, als habe er Geld von den Juden empfangen, sich gegen solche Beschuldigung verteidigte; ich glaube ihm aufs Wort, wenn er wehmütig hinzusetzt: Le peuple juif est le peuple le plus ingrat qu'il y ait au monde! Hie und da freilich gibt es Beispiele, daß die Eitelkeit die verstockten Taschen der Juden zu öffnen verstand, aber dann war ihre Liberalität noch widerwärtiger als ihre Knickerei. Ein ehemaliger preußischer Lieferant, welcher, anspielend auf seinen hebräischen Namen Moses (Moses heißt nämlich auf Deutsch »aus dem Wasser gezogen«, auf Italienisch »del mare«), den dem letztern entsprechenden klangvolleren Namen eines Baron Delmar angenommen hat, stiftete hier vor einiger Zeit eine Erziehungsanstalt für verarmte junge Adlige, wozu er über anderthalb Millionen Franks aussetzte, eine noble Tat, die ihm im Faubourg Saint-Germain so hoch angerechnet wurde, daß dort selbst die stolzältesten Douairièren und schnippisch jüngsten Fräulein nicht mehr laut über ihn spötteln. Hat dieser Edelmann aus dem Stamme David auch nur einen Pfennig beigesteuert bei einer Kollekte für die Interessen der Juden? Ich möchte mich dafür verbürgen, daß ein anderer aus dem Wasser gezogener Baron, der im edlen Faubourg den Gentilhomme catholique und großen Schriftsteller spielt, weder mit seinem Gelde noch mit seiner Feder für die Stammesgenossen tätig war. Hier muß ich eine Bemerkung aussprechen, die vielleicht die bitterste. Unter den getauften Juden sind viele, die aus feiger Hypokrisie über Israel noch ärgere Mißreden führen, als dessen geborene Feinde. In derselben Weise pflegen gewisse Schriftsteller, um nicht an ihren Ursprung zu erinnern, sich über die Juden sehr schlecht oder gar nicht auszusprechen. Das ist eine bekannte, betrübsam lächerliche Erscheinung. Aber es mag nützlich sein, das Publikum jetzt besonders darauf aufmerksam zu machen, da nicht bloß in den erwähnten norddeutschen Blättern, sondern auch in einer weit bedeutenderen Zeitung die Insinuation zu lesen war, als flösse alles, was zu Gunsten der Damaszener Juden geschrieben worden, aus jüdischen Quellen, als sei der österreichische Konsul zu Damaskus ein Jude, als seien die übrigen Konsuln dort, mit Ausnahme des französischen, lauter Juden. Wir kennen diese Taktik, wir erlebten sie bereits bei Gelegenheit des jungen Deutschlands. Nein, sämtliche Konsuln von Damaskus sind Christen, und daß der österreichische Konsul dort nicht einmal jüdischen Ursprungs ist, dafür bürgt uns eben die rücksichtslose, offene Weise, womit er die Juden gegen den französischen Konsul in Schutz nahm; – was der letztere ist, wird die Zeit lehren.


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