Heinrich Heine
Lutetia
Heinrich Heine

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XXII.

Paris, den 29. Oktober 1840.

Thiers geht ab, und Guizot tritt wieder auf. Es ist aber dasselbe Stück, und nur die Akteure wechseln. Dieser Rollenwechsel geschah auf Verlangen sehr vieler hohen und allerhöchsten Personen, nicht des gewöhnlichen Publikums, das mit dem Spiel seines ersten Helden sehr zufrieden war. Dieser buhlte vielleicht etwas zu sehr um den Beifall des Parterres; sein Nachfolger hat mehr die höhern Regionen im Auge, die Gesandtenlogen.

Wir haben in diesen Blättern unsere Vorliebe für Thiers immer freimütig ausgesprochen und unsere Abneigung gegen Guizot nie verhehlt; nur den Privatcharakter Guizot's haben wir unbedingt gewürdigt, und gern zollten wir dem Menschen unsere Achtung, während unsere Rüge den Staatsmann bloßstellte. Werden wir gegen letztern die höchste Unparteilichkeit ausüben können? Wir wollen es ehrlich versuchen. In diesem Augenblick ist es unsere größte Pflicht. In diesem Augenblick versagen wir nicht unser Mitleid dem Manne, der unter den jetzigen Umständen in das Hôtel des Capucines seinen Einzug hält; er ist viel mehr zu bedauern als derjenige, der dieses Marterhaus oder Drillhaus verläßt. Er ist fast ebenso zu bedauern, wie der König selber; auf diesen schießt man, den Minister verleumdet man. Mit wie viel Kot bewarf man Thiers während seines Ministeriums! Heute bezieht er wieder sein kleines Haus auf der Place Saint-George, und ich rate ihm, gleich ein Bad zu nehmen. Hier wird er sich wieder seinen Freunden in fleckenloser Größe zeigen, und wie vor vier Jahren, als er in derselben plötzlichen Weise das Ministerium verließ, wird jeder einsehen, daß seine Hände rein geblieben sind, und sein Herz nicht eingeschrumpft. Er ist nur ernsthafter geworden, obgleich der wahre Ernst ihm nie fehlte und sich, wie bei Cäsar, unter leichten Lebensformen verbarg. Die Beschuldigung der Forfanterie, die man in der letzten Zeit am öftesten gegen ihn vorbrachte, widerlegt er eben durch seinen Abgang vom Ministerium; eben weil es kein bloßer Maulheld war, weil er wirklich die größten Kriegsrüstungen vornahm, eben deshalb mußte er zurücktreten. Jetzt sieht jeder ein, daß der Aufruf zu den Waffen keine prahlerische Spiegelfechterei war. Über vierhundert Millionen beläuft sich schon die Summe, welche für die Armee, die Marine und die Befestigungswerke verwendet worden, und in einigen Monaten stehen sechshunderttausend Soldaten auf den Beinen. Noch stärkere Vorbereitungen zum Kriege standen in Vorschlag, und das ist der Grund, weshalb der König noch vor dem Beginn der Kammersitzungen sich um jeden Preis des großen Rüstmeisters entledigen mußte, des Chefs aller Trommeln (ich vermeide aus leicht erratbaren Gründen das Wort Tambour-Major). Er mußte sich, wie gesagt, dieses Chefs aller Trommeln entledigen, der ebenso unbesonnen wie betäubend die Kriegsreveille schlug. Einige beschränkte Deputiertenköpfe werden jetzt freilich über nutzlose Ausgaben schreien und nicht bedenken, daß es eben jene Kriegsrüstungen sind, die uns vielleicht den Frieden erhielten. Ein Schwert hält das andere in der Scheide. Die große Frage: ob Frankreich durch die Londoner Traktatsvorgänge beleidigt war oder nicht, wird jetzt in der Kammer debattiert werden. Es ist eine verwickelte Frage, bei deren Beantwortung man auf die Verschiedenheit der Nationalität Rücksicht nehmen muß. Vorderhand aber haben wir Frieden, und dem König Ludwig Philipp gebührt das Lob, daß er zur Erhaltung des Friedens ebensoviel Mut aufgewendet, als Napoleon dessen im Kriege bekundete. Ja, lacht nicht, er ist der Napoleon des Friedens!


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