Heinrich Heine
Lutetia
Heinrich Heine

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XII.

Paris, den 3. Juli 1840.

Für einige Zeit haben wir Ruhe, wenigstens vor den Deputierten und Fortepianospielern, den zwei schrecklichen Landplagen, wovon wir den ganzen Winter bis tief ins Frühjahr so viel erdulden müssen. Das Palais Bourbon und die Salons der Herren Erard und Herz sind mit dreifachen Schlössern verriegelt. Gottlob, die politischen und musikalischen Virtuosen schweigen! Die paar Greise, die im Luxembourg sitzen, murmeln immer leiser, oder nicken schlaftrunken ihre Einwilligung zu den Beschlüssen der Jüngern Kammer. Ein paarmal vor einigen Wochen machten die alten Herren eine verneinende Kopfbewegung, die man als bedrohlich für das Ministerium auslegte; aber sie meinten es nicht so ernsthaft. Herr Thiers hat nichts weniger als einen bedeutenden Widerspruch von seiten der Pairskammer zu erwarten. Auf diese kann er noch sicherer zählen als auf seine Schildhalter in der Deputiertenkammer, obgleich er auch letztere mit gar starken Banden und Bändchen, mit rhetorischen Blumenketten und vollwichtigen Goldketten an seine Person gefesselt hat!

Der große Kampf dürfte jedoch nächsten Winter hervorbrechen, nämlich wenn Herr Odilon-Barrot ins Ministerium getreten und Herr Guizot, der seinen Gesandtschaftsposten aufgeben wird, von London zurückkehrt und seine Opposition gegen Herr Thiers aufs neue eröffnet. Diese beiden Nebenbuhler haben schon frühe begriffen, daß sie zwar einen kurzen Waffenstillstand schließen, aber nimmermehr ihren Zweikampf ganz aufgeben können. Mit dem Ende desselben findet vielleicht auch das ganze parlamentarische Gouvernement in Frankreich seinen Abschluß.In der französischen Ausgabe heißt es, statt des obigen Satzes, etwas ausführlicher: »Was wird das Ende dieses oratorischen Duells sein? Es dünkt mich sehr wahrscheinlich, daß mit dem Kampf zwischen den beiden berühmten Fechtmeistern der Tribüne und ihren Waffenspielen auch das ganze parlamentarische Regime in Frankreich seinen Abschluß finden und durch die pöbelhaften Ausfälle eines Sanskulottismus ersetzt werden wird, der nur Faustschläge und Stockprügel kennt, oder durch diejenigen einer Soldateska mit rasselndem Säbel und Trommelschlag.« – Der Herausgeber

Herr Guizot beging einen großen Fehler, als er an der Koalition teilnahm. Er hat später selber eingestanden, daß es ein Fehler gewesen, und gewissermaßen um sich zu rehabilitieren, ging er nach London; er wollte das Vertrauen der auswärtigen Mächte, das er in seiner Stellung als Oppositionsmann eingebüßt hatte, in seiner diplomatischen Laufbahn wiedergewinnen; denn er rechnet darauf, daß am Ende bei der Wahl eines Konseilpräsidenten in Frankreich wieder der fremdländische Einfluß obsiegen werde. Vielleicht rechnet er zugleich auf einige einheimische Sympathien, deren Herr Thiers allmählich verlustig gehen würde, und die ihm, dem geliebten Guizot, zuflössen. Böse Zungen versichern mir, die Doktrinäre bildeten sich ein, man liebe sie schon jetzt. So weit geht die Selbstverblendung selbst bei den gescheitesten Leuten! Nein, Herr Guizot, wir sind noch nicht dahin gekommen, Sie zu lieben; aber wir haben auch noch nicht aufgehört, Sie zu verehren. Trotz all unserer Liebhaberei für den beweglich brillanten Nebenbuhler haben wir dem schweren, trüben Guizot nie unsere Anerkenntnis versagt; es ist etwas Sicheres, Haltbares, Gründliches in diesem Manne, und ich glaube, die Interessen der Menschheit liegen ihm am Herzen.

Von Napoleon ist in diesem Augenblicke keine Rede mehr; hier denkt niemand mehr an seine Asche, und das ist eben sehr bedenklich. Denn die Begeisterung, die durch das beständige Getratsche am Ende in eine sehr bescheidene Wärme übergegangen war, wird nach fünf Monden, wenn der kaiserliche Leichenzug anlangt, mit erneuten Bränden aufflammen. Werden alsdann die emporsprühenden Funken großen Schaden anstiften? Es hängt alles von der Witterung ab. Vielleicht, wenn die Winterkälte frühe eintritt und viel Schnee fällt, wird der Tote sehr kühl begraben.


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