Heinrich Heine
Reisebilder
Heinrich Heine

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Kapitel XXX

Auf dem Schlachtfelde von Marengo kommen einem die Betrachtungen so scharenweis angeflogen, daß man glauben sollte, es wären dieselben, die dort so mancher plötzlich aufgeben mußte, und die nun, wie herrenlose Hunde, umherirren.

Ich liebe Schlachtfelder, denn so furchtbar auch der Krieg ist, so bekundet er doch die geistige Größe des Menschen, der seinem mächtigsten Erbfeinde, dem Tode, zu trotzen vermag. Und gar dieses Schlachtfeld wo die Freiheit auf Blutrosen tanzte, den üppigen Brauttanz! Frankreich war damals Bräutigam, hatte die ganze Welt zur Hochzeit geladen, und, wie es im Liede heißt,

Heida! am Polterabend,
Zerschlug man statt der Töpfe
Aristokratenköpfe.

Aber ach! jeder Zoll, den die Menschheit weiterrückt, kostet Ströme Blutes; und ist das nicht etwas zu teuer? Ist das Leben des Individuums nicht vielleicht ebensoviel wert wie das des ganzen Geschlechtes? Denn jeder einzelne Mensch ist schon eine Welt, die mit ihm geboren wird und mit ihm stirbt, unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte – Still davon, so würden die Toten sprechen, die hier gefallen sind, wir aber leben und wollen weiter kämpfen im heiligen Befreiungskriege der Menschheit.

»Wer denkt jetzt noch an Marengo!« – sagte mein Reisegefährte, der livländische Russe, als wir über das Brachfeld fuhren – »jetzt sind alle Augen gerichtet nach dem Balkan, wo mein Landsmann Diebitsch den Türken die Turbane zurechtsetzt, und wir werden noch dieses Jahr Konstantinopel einnehmen. Sind Sie gut russisch?«

Das war eine Frage, die ich überall lieber beantwortet hätte als auf dem Schlachtfelde von Marengo – Ich sah im Morgennebel den Mann mit dem dreieckigen Hütchen und dem grauen Schlachtmantel, er jagte dahin wie ein Gedanke, geisterschnell, in der Ferne erscholl es wie ein schaurig süßes allons enfans de la patrie – Und dennoch antwortete ich: »Ja, ich bin gut russisch.«

Und in der Tat, bei dem wunderlichen Wechsel der Losungsworte und Repräsentanten in dem großen Kampfe, hat es sich jetzt so gefügt, daß der glühendste Freund der Revolution nur im Siege Rußlands das Heil der Welt sieht, und den Kaiser Nikolas als den Gonfaloniere der Freiheit betrachten muß. Seltsamer Wechsel! noch vor zwei Jahren bekleideten wir mit diesem Amte einen englischen Minister, das Geheul des hochtoryschen Hasses gegen George Canning leitete damals unsre Wahl, in den adlig unedlen Kränkungen, die er erlitt, sahen wir die Garantieen seiner Treue, und als er des Märtyrertodes starb, da legten wir Trauer an, und der achte August wurde ein heiliger Tag im Kalender der Freiheit. Die Fahne aber nahmen wir wieder fort von Downingstreet, und pflanzten sie auf die Petersburg, und wählten zu ihrem Träger den Kaiser Nikolas, den Ritter von Europa, der die griechischen Witwen und Waisen schützte gegen asiatische Barbaren, und in solchem guten Kampfe seine Sporen verdiente. Wieder hatten sich die Feinde der Freiheit zu sehr verraten, und wir benutzten wieder den Scharfsinn ihres Hasses, um unser eignes Beste zu erkennen. Wieder zeigte sich diesmal die gewöhnliche Erscheinung, daß wir unsre Repräsentanten viel mehr der Stimmenmehrheit unserer Feinde als der eignen Wahl verdanken, und indem wir die wunderlich zusammengesetzte Gemeinde betrachteten, die für das Heil der Türkei und den Untergang Rußlands ihre frommen Wünsche gen Himmel sandte, so merkten wir bald, wer unser Freund oder vielmehr das Schrecken unserer Feinde ist. Wie mußte der liebe Gott im Himmel lachen, als er zu gleicher Zeit Wellington, den Großmufti, den Papst, Rothschild I., Metternich, und einen ganzen Troß von Ritterlingen, Stockjobbern, Pfaffen und Türken, für dieselbe Sache, für das Heil des Halbmonds, beten hörte!

Was die Alarmisten bisher über die Gefahr gefabelt, der wir durch die Übergröße Rußlands ausgesetzt sind, ist töricht. Wenigstens wir Deutsche haben nichts zu riskieren, etwas mehr oder weniger Knechtlichkeit, darauf darf es uns nicht ankommen, wo das Höchste, die Befreiung von den Resten des Feudalismus und Klerikalismus, zu gewinnen ist. Man droht uns mit der Herrschaft der Knute, aber ich will gern etwas Knute aushalten, wenn ich sicher weiß, daß unsre Feinde sie mitbekommen. Ich wette aber, sie werden, wie sie immer getan, der neuen Macht entgegenwedeln, und graziöse lächeln, und zu den schandbarsten Diensten sich darbieten, und sich dafür, da doch einmal geknutet werden muß, das Privilegium einer Ehrenknute ausbedingen, so wie der Adlige in Siam, der, wenn er bestraft werden soll, in einen seidenen Sack gesteckt und mit parfümierten Stöcken geprügelt wird, statt daß der straffällige Bürgerliche nur einen leinenen Sack und keine so wohlriechende Prügel bekömmt. Nun, dieses Privilegium, da es das einzige ist, wollen wir ihnen gönnen, wenn sie nur Prügel bekommen, besonders die englische Nobility. Mag man noch so eifrig erinnern, daß es eben diese Nobility sei, die dem Despotismus die Magna Charta abgezwungen, und daß England, bei aller Aufrechthaltung der bürgerlichen Standesungleichheit doch die persönliche Freiheit gesichert, daß England der Zufluchtsort für freie Geister war, wenn der Despotismus den ganzen Kontinent unterdrückte; – das sind tempi passati! England mit seinen Aristokraten gehe jetzt immerhin zugrunde, freie Geister haben jetzt im Notfall einen noch bessern Zufluchtsort, würde auch ganz Europa ein einziger Kerker, so gäbe es jetzt noch immer ein anderes Loch zum Entschlüpfen, das ist Amerika, und gottlob! das Loch ist noch größer als der Kerker selbst.

Aber das sind alles lächerliche Grillen, vergleicht man in freiheitlicher Hinsicht England mit Rußland, so bleibt auch dem Besorglichsten kein Zweifel übrig, welche Partei zu erfassen sei. Die Freiheit ist in England aus historischen Begebenheiten, in Rußland aus Prinzipien hervorgegangen. Wie jene Begebenheiten selbst, so tragen auch ihre geistigen Resultate das Gepräge des Mittelalters, ganz England ist erstarrt in unverjüngbaren, mittelalterlichen Institutionen, wohinter sich die Aristokratie verschanzt und den Todeskampf erwartet. Jene Prinzipien aber, woraus die russische Freiheit entstanden ist, oder vielmehr täglich sich weiter entfaltet, sind die liberalen Ideen unserer neuesten Zeit; die russische Regierung ist durchdrungen von diesen Ideen, ihr unumschränkter Absolutismus ist vielmehr Diktatur, um jene Ideen unmittelbar ins Leben treten zu lassen; diese Regierung hat nicht ihre Wurzel im Feudalismus und Klerikalismus, sie ist der Adel- und Kirchengewalt direkt entgegenstrebend; schon Katharina hat die Kirche eingeschränkt und der russische Adel entsteht durch Staatsdienste; Rußland ist ein demokratischer Staat, ich möchte es sogar einen christlichen Staat nennen, wenn ich dieses oft mißbrauchte Wort in seinem süßesten, weltbürgerlichsten Sinne anwenden wollte: denn die Russen werden schon durch den Umfang ihres Reichs von der Engherzigkeit eines heidnischen Nationalsinnes befreit, sie sind Kosmopoliten, oder wenigstens Sechstelkosmopoliten, da Rußland fast den sechsten Teil der bewohnten Welt ausmacht –

Und wahrlich, wenn irgendein Deutschrusse, wie mein livländischer Reisegefährte, prahlerisch patriotisch tut, und von unserem Rußland und unserem Diebitsch spricht, so ist mir als hörte ich einen Hering, der das Weltmeer für sein Vaterland und den Walfisch für seinen Landsmann ausgibt.


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