Heinrich Heine
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Heinrich Heine

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Bei unserer Universität gibt's gar nichts Neues, außer daß zweiunddreißig Studenten relegiert worden, wegen unerlaubter Verbindungen. Es ist eine fatale Sache, relegiert zu werden; sogar das bloße Konsiliiertwerden soll sein Unangenehmes haben. Ich glaube aber, daß jenes strenge Urteil gegen die 32 noch gemildert wird. Ich will durchaus nicht die Verbindungen auf Universitäten verteidigen; sie sind Reste jenes alten Korporationswesens, die ich ganz aus unserer Zeit vertilgt sehen möchte. Aber ich gestehe, daß jene Verbindungen notwendige Folgen sind von unserm akademischen Wesen, oder besser Unwesen, und daß sie wahrscheinlich nicht eher unterdrückt werden, bis das liebenswürdige und vielbeliebte oxfordische Stallfütterungssystem bei unsern Studenten eingeführt ist. Polnische Studierende sieht man jetzt hier höchstens ein halb Dutzend. Man hatte strenge Untersuchungen gegen sie verfügt. Die meisten sind, wie man sagt, ohne besondere Lust wiederzukommen, von hier abgereist, und ein großer Teil, ich glaube gegen zwanzig, werden noch in unsern Stadtgefängnissen verwahrt. Die meisten davon sind aus dem russischen Polen und sollen sich mit demagogischen Umtrieben gegen ihre Regierung befaßt haben.

Man spricht davon, daß Ludw. Tieck bald hieherkommen und Vorlesungen über den Shakespeare halten werde. Am 31. des vorigen Monats war der Geburtstag des Fürsten Staatskanzlers. Man erwartet hier diese Tage eine hessische Gesandtschaft, die unsere Differenzen mit Hessen, wegen der bekannten Territorialrechtsverletzung, regulieren soll. Eine Kommission ist nach Pommern geschickt, um das dortige Sektenwesen zu untersuchen. Der Wollmarkt hat schon angefangen, und eine Menge Gutsbesitzer sind hier, die ihre Wolle zum Verkauf herbringen, und die man hier scherzweise »Woll-(Wohl-)habende« nennt. Sogar die Straßen bekommen Ambition; die »letzte Straße« will jetzt Dorotheenstraße heißen. Man spricht davon, daß dem großen Fritz eine Statüe auf dem Opernplatze errichtet werden soll. Der Tänzerfamilie Kobler ist auf der Chaussee bei Blumberg die Bagage verbrannt. Bei dem Bau der neuen Brücke bedient man sich einer Dampfmaschine.

Literarische Notizen gibt es hier in diesem Augenblick sehr wenige, obschon Berlin ihr Hauptmarktplatz ist. In Hinsicht der Gemüse schreite ich mit meiner Zeit vorwärts. Spargel esse ich jetzt keine mehr und esse jetzt Schoten. Aber in der Literatur bin ich noch zurückgeblieben. Ja ich habe noch nicht mal die falschen »Wanderjahre« gelesen, die so viel Aufsehn gemacht und noch machen. Dieses Buch hat für Westfalen ein besonderes Interesse, da man jetzt allgemein ausspricht, daß unser Landsmann, Dr. Pustkuchen in Lemgo, ihr Verfasser sei. Ich weiß nicht, warum er dieses Buch desavouieren wollte, da es ihm doch gewiß keine Schande macht. Man hatte sich lange den Kopf zerbrochen, wer der Verf. sei, und nannte allerlei Namen. Der Hofrat Schütz machte öffentlich bekannt, daß er es nicht sei. Den Legationsrat v. Varnhagen nannten einige Stimmen; aber dieser machte dasselbe bekannt. Von letzterm war es auch sehr unwahrscheinlich, da er zu den größten Verehrern Goethes gehört, und Goethe sogar in seinem letzten Heft der Zeitschrift »Kunst und Altertum am Rhein« selbst erklärte: daß Varnhagen ihn tief begriffen und ihn oft über sich selbst belehrt habe. Wahrlich, nächst dem Gefühle, Goethe selbst zu sein, kenne ich kein schöneres Gefühl, als wenn einem Goethe, der Mann, der auf der Höhe des Zeitalters steht, ein solches Zeugnis gibt. – Außerdem spricht man von deren »deutschen Gil-Blas«, den Goethe vor vier Wochen herausgegeben. Dieses Buch ist von einem ehemaligen Bedienten geschrieben. Goethe hat es durchgefeilt und mit einer sehr merkwürdigen Vorrede begleitet. Auch hat dieser kräftige Greis, der Ali Pascha unserer Literatur, wieder einen Teil seiner Lebensgeschichte herausgegeben. Diese wird, sobald sie vollständig ist, eins der merkwürdigsten Werke bilden, gleichsam ein großes Zeitepos. Denn diese Selbstbiographie ist auch die Biographie der Zeit. Goethe schildert meistens letztere und wie sie auf ihn eingewirkt; statt daß andre Selbstbiographen, z. B. Rousseau, bloß ihre leidige Subjektivität im Auge hatten.

Ein Teil von Goethes Biographie wird aber erst nach seinem Tode erscheinen, da er alle seine weimarschen Verhältnisse, und besonders die, welche den Großherzog betreffen, darin bespricht. Dieser Nachtrag wird wohl das meiste Aufsehn erregen. Wir werden auch bald Memoiren von Byron erhalten, die aber, wie man sagt, ebenso wie seine Dramen, mehr Gemütschilderung als Handlung enthalten sollen. Die Vorrede zu seinen drei neuen Dramen enthält höchst merkwürdige Worte über unsere Zeit und den Revolutionsstoff, den sie in sich trägt. Man klagt noch sehr über die Gottlosigkeit seiner Gedichte, und der gekrönte Dichter Southey in London nennt Byron und seine Geistesverwandte »die satanische Schule«. Aber Childe-Harold schwingt gewaltig die vergiftete Geißel, womit er den armen Laureaten züchtigt. – Eine andere Selbstbiographie erregt hier viel Interesse. Es sind die »Memoiren von Jakob Casanova de Seingalt«, die Brockhaus in einer deutschen Übersetzung herausgibt. Das französische Original ist noch nicht gedruckt, und es schwebt noch ein Dunkel über die Schicksale des Manuskripts. An seiner Echtheit darf man gar nicht zweifeln. Das Fragment sur Casanova in den Werken des Prinzen Charles de Ligne ist ein glaubwürdiges Zeugnis, und dem Buche selbst sieht man gleich an, daß es nicht fabriziert ist. Meiner Geliebten möchte ich es nicht empfehlen, aber allen meinen Freunden. Italienische Sinnlichkeit haucht uns aus diesem Buche schwül entgegen. Der Held desselben ist ein lebenslustiger, kräftiger Venezianer, der mit allen Hunden gehetzt wird, alle Länder durchschwärmt, mit den ausgezeichnetsten Männern in nahe Berührung kommt, und in noch weit nähere Berührung mit den Frauen. Es ist keine Zeile in diesem Buche, die mit meinen Gefühlen übereinstimmte, aber auch keine Zeile, die ich nicht mit Vergnügen gelesen hätte. Der zweite Teil soll schon heraus sein, aber er ist hier noch nicht zu bekommen, da, wie ich höre, die Zensur bei dem Brockhausischen Verlag seit gestern wieder in Wirksamkeit getreten ist. – Hier sind in diesem Augenblick wenig gute belletristische Schriften erschienen. Fouqué hat einen neuen Roman herausgegeben, betitelt »Der Verfolgte«. In der poetisierenden Welt geht es hier wie in der musikalischen. An Dichtern fehlt es nicht, aber an guten Gedichten. Nächsten Herbst haben wir doch einiges Gute zu erwarten. Köchy (kein Berliner), der uns vor kurzem eine sehr gehaltreiche Schrift über die Bühne geliefert hat, wird nächstens einen Band Gedichte herausgeben, und aus den Proben, die mir davon zu Gesicht gekommen, bin ich zu den größten Erwartungen berechtigt. Es lebt in denselben ein reines Gefühl, eine ungewöhnliche Zartheit, eine tiefe Innigkeit, die durch keine Bitterkeit getrübt wird, mit einem Worte, echte Poesie. An wahrhaft dramatischen Talenten ist just jetzt kein Überfluß, und ich erwarte viel von v. Uechtritz (kein Berliner), einem jungen Dichter, der mehrere Dramen geschrieben, die von Kennern erstaunlich gerühmt werden. Es wird nächstens eins derselben »Der heilige Chrysostomus« in Druck erscheinen, und ich glaube, daß es Aufsehn erregen wird. Ich habe Stellen daraus gehört, die des größten Meisters würdig sind. Über Hoffmanns »Meister Floh« versprach ich Ihnen in meinem Vorigen mehreres zu schreiben. Die Untersuchung gegen den Verfasser hat aufgehört. Derselbe kränkelt noch immer. Jenen vielbesprochenen Roman habe ich endlich gelesen. Keine Zeile fand ich darin, die sich auf die demagogischen Umtriebe bezöge. Der Titel des Buches wollte mir anfangs sehr unanständig vorkommen; in Gesellschaft mußten, bei Erwähnung desselben, meine Wangen jungfräulich erröten, und ich lispelte immer: »Hoffmanns Roman, mit Respekt zu sagen.« Aber in Knigges »Umgang mit Menschen« (3. Teil, 9. Kap. über die Art mit Tieren umzugehn; das 10. Kap. handelt vom Umgang mit Schriftstellern) fand ich eine Stelle, die sich auf den Umgang mit Flöhen bezog, und woraus ich ersah, daß letztere nicht so unanständig sind wie »gewisse andre kleine Tiere«, die dieser tiefe Kenner der Menschen und Bestien selbst nicht nennt. Durch dieses humanistische Zitat ist Hoffmann geschützt. Ich berufe mich auf das Lied von Mephistopheles:

Es war einmal ein König,
Der hatt einen großen Floh.

Der Held des Romans ist aber kein Floh, sondern ein Mensch, namens Peregrinus Tyß, der in einem träumerischen Zustande lebt, und durch Zufall mit dem Beherrscher der Flöhe zusammentrifft, und höchst ergötzliche Gespräche führt. Dieser, Meister Floh genannt, ist ein gar gescheuter Mann, etwas ängstlich, aber doch sehr kriegerisch, und trägt an den dürren Beinen große goldene Stiefel mit diamantenen Sporen, wie auf dem Umschlage des Buches zu sehen ist. Ihn verfolgt eine gewisse Dörtje Elverdink, die, wie man sagt, die Demagogie repräsentieren sollte. Eine schöne Figur ist der Student Georg Pepusch, der eigentlich die Distel Zeherith ist und einst in Famagusta blühte, und der in die Dörtje Elverdink verliebt ist, die aber eigentlich die Prinzessin Gamaheh, die Tochter des Königs Sekakis, ist. Die Kontraste, die auf solche Weise der indische Mythos mit der Alltäglichkeit bildet, sind in diesem Buche nicht so pikant wie im »Goldnen Topf« und in andern Romanen Hoffmanns, worin derselbe naturphilosophische Theatercoup angewandt ist. Überhaupt ist die Gemütswelt, die Hoffmann so herrlich zu schildern versteht, in diesem Romane höchst nüchtern behandelt. Das erste Kapitel desselben ist göttlich, die übrigen sind unerquicklich. Das Buch hat keine Haltung, keinen großen Mittelpunkt, keinen innern Kitt. Wenn der Buchbinder die Blätter desselben willkürlich durcheinander geschossen hätte, würde man es sicher nicht bemerkt haben. Die große Allegorie, worin am Ende alles zusammenfließt, hat mich nicht befriedigt. Mögen andre sich daran ergötzt haben; ich glaube, daß ein Roman keine Allegorie sein soll. – Die Strenge und Bitterkeit, womit ich über diesen Roman spreche, rührt eben daher, weil ich Hoffmanns frühere Werke so sehr schätze und liebe. Sie gehören zu den merkwürdigsten, die unsere Zeit hervorgebracht. Alle tragen sie das Gepräge des Außerordentlichen. Jeden müssen die »Phantasiestücke« ergötzen. In den »Elixieren des Teufels« liegt das Furchtbarste und Entsetzlichste, das der Geist erdenken kann. Wie schwach ist dagegen »The monk« von Lewis, der dasselbe Thema behandelt. In Göttingen soll ein Student durch diesen Roman toll geworden sein. In den »Nachtstücken« ist das Gräßlichste und Grausenvollste überboten. Der Teufel kann so teuflisches Zeug nicht schreiben. Die kleinen Novellen, die meistens unter dem Titel »Serapionsbrüder« gesammelt sind, und wozu auch »Klein Zaches« zu rechnen ist, sind nicht so grell, zuweilen sogar lieblich und heiter. Der »Theaterdirektor« ist ein ziemlich mittelmäßiger Schelm. In dem »Elementargeist« ist Wasser das Element, und Geist ist gar keiner drin. Aber »Prinzessin Brambilla« ist eine gar köstliche Schöne, und wem diese durch ihre Wunderlichkeit nicht den Kopf schwindlige macht, der hat gar keinen Kopf. Hoffmann ist ganz original. Die, welche ihn Nachahmer von Jean Paul nennen, verstehen weder den einen noch den andern. Beider Dichtungen haben einen entgegengesetzten Charakter. Ein Jean-Paulscher Roman fängt höchst barock und burleske an, und geht so fort, und plötzlich, ehe man sich dessen versieht, taucht hervor eine schöne, reine Gemütswelt, eine mondbeleuchtete, rötlich blühende Palmeninsel, die, mit all ihrer stillen, duftenden Herrlichkeit, schnell wieder versinkt in die häßlichen, schneidend kreischenden Wogen eines exzentrischen Humors. Der Vorgrund von Hoffmanns Romanen ist gewöhnlich heiter, blühend, oft weichlich rührend, wunderlich-geheimnisvolle Wesen tänzeln vorüber, fromme Gestalten schreiten auf und ab, launige Männlein grüßen freundlich und unerwartet, aus all diesem ergötzlichen Treiben grinzt hervor eine häßlichverzerrte Alteweiberfratze, die, mit unheimlicher Hastigkeit, ihre allerfatalsten Gesichter schneidet und verschwindet, und wieder freies Spiel läßt den verscheuchten muntern Figürchen, die wieder ihre drolligsten Sprünge machen, aber das in unsere Seele getretene katzenjammerhafte Gefühl nicht fortgaukeln können. – Über die Romane anderer hiesiger Schriftsteller will ich in meinen nächsten Briefen sprechen. Alle tragen denselben Charakter. Es ist der Charakter der deutschen Romane überhaupt. Dieser läßt sich am besten auffassen, wenn man sie vergleicht mit den Romanen anderer Nationen, z. B. der Franzosen, der Engländer usw. Da sieht man, wie die äußere Stellung der Schriftsteller den Romanen einer Nation einen eignen Charakter verleiht. Der englische Schriftsteller reiset, mit einer Lords- oder Apostelequipage, schon durch Honorar bereichert oder noch arm, gleichviel er reiset, stumm und verschlossen beobachtet er die Sitten, die Leidenschaften, das Treiben der Menschen, und in seinen Romanen spiegelt sich ab die wirkliche Welt und das wirkliche Leben, oft heiter (Goldsmith), oft finster (Smollet), aber immer wahr und treu (Fielding). Der französische Schriftsteller lebt beständig in der Gesellschaft, und zwar in der großen; mag er auch noch so dürftig und titellos sein. Fürsten und Fürstinnen kajolieren den Notenabschreiber Jean Jacques, und im Pariser Salon heißt der Minister Monsieur und die Herzogin Madame. Daher lebt in den Romanen der Franzosen jener leichte Gesellschaftston, jene Beweglichkeit und Feinheit und Urbanität, die man nur im Umgang mit Menschen erlangt, und daher jene Familienähnlichkeit der französischen Romane, deren Sprache immer dieselbe scheint, eben weil sie die gesellschaftliche ist. Aber der arme deutsche Schriftsteller, der, weil er meistens schlecht honoriert wird, oder selten Privatvermögen besitzt, kein Geld zum Reisen hat, der wenigstens spät reist, wenn er sich schon in eine Manier hineingeschrieben, der selten einen Stand oder einen Titel hat, der ihm die Gnadenpforten der vornehmen Gesellschaft, die bei uns nicht immer die feine ist, erschleußt, ja der nicht selten einen schwarzen Rock entbehrt, um die Gesellschaft der Mittelklasse zu frequentieren, der arme Deutsche verschließt sich in seiner einsamen Dachstube, faselt eine Welt zusammen, und in einer aus ihm selbst wunderlich hervorgegangenen Sprache schreibt er Romane, worin Gestalten und Dinge leben, die herrlich, göttlich, höchstpoetisch sind, aber nirgends existieren. Diesen phantastischen Charakter tragen alle unsre Romane, die guten und die schlechten, von der frühesten Spieß-, Cramer- und Vulpius-Zeit bis Arnim, Fouqué, Horn, Hoffmann usw., und dieser Romancharakter hat viel eingewirkt auf den Volkscharakter, und wir Deutschen sind unter allen Nationen am meisten empfänglich für Mystik, geheime Gesellschaften, Naturphilosophie, Geisterkunde, Liebe, Unsinn und – Poesie!


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