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Berlin, den 7. Juni 1822.
Ich habe eben meinen Galarock, schwarzseidne Hosen und Strümpfe angezogen, und melde Ihnen allerfeierlichst:
die hohe Vermählung Ihrer königl. Hoheit der Prinzessin Alexandrine mit Sr. königl. Hoheit dem Erb-Groß-Herzoge von Mecklenburg-Schwerin.
Die ausführliche Beschreibung der Hochzeitfeierlichkeiten selbst lasen Sie gewiß schon in der Vossischen oder Haude- und Spenerschen Zeitung und was ich darüber zu sagen habe, wird also sehr wenig sein. Es hat aber auch noch einen andern wichtigen Grund, warum ich sehr wenig darüber sage, und das ist: weil ich wirklich wenig davon gesehen. Da ich oft mehr den Geist als die Notiz referiere, so hat das so sehr viel nicht zu bedeuten. Ich hatte mich auch nicht genug vorbereitet, sehr viele Notizen einzusammeln. Es war freilich schon sehr lange vorher bestimmt, daß am 25. die Vermählung jener hohen Personen stattfinden sollte. Aber man trug sich damit herum, daß solche noch etwas länger aufgeschoben werde, und wahrhaftig, Freitag (den 24.) wollte ich es noch nicht recht glauben, daß schon am andern Tage die Trauung stattfände. Es ging manchem so. Sonnabendmorgen war es nicht sehr lebhaft auf der Straße. Aber auf den Gesichtern lag eine Eilfertigkeit und geheimnisvolle Erwartung. Herumlaufende Bedienten, Friseure, Schachteln, Putzmacherinnen usw. Ein schöner Tag; nicht sehr schwül; aber die Menschen schwitzten. Gegen sechs Uhr begann das Wagengeroll. – Ich bin kein Adeliger, kein hoher Staatsbeamte und kein Offizier: folglich bin ich nicht kurfähig, und konnte den Vermählungsfeierlichkeiten auf dem Schlosse selbst nicht beiwohnen. Doch ging ich nach dem Schloßhof, um mir wenigstens das ganze kurfähige Personal zu beschauen. Ich habe nie so viel prächtige Equipagen beisammen gesehen. Die Bedienten hatten ihre besten Livreen an, und in ihren schreiend hellfarbigen Röcken und kurzen Hosen mit weißen Strümpfen sahen sie aus wie holländische Tulpen. Mancher von ihnen trug mehr Gold und Silber am Leibe als das ganze Hauspersonal des Bürgermeisters von Nordamerika. Aber dem Kutscher einer fremden Herrschaft gebühret der Preis. Wahrlich, diese Blume der Kutscher auf seinem Bocke paradieren zu sehen, ist schon allein wert, daß man deshalb nach Berlin reiset. Was ist Salomo in seiner Königspracht, was ist Harun-al-Raschid in seinem Kalifenschmuck, ja was ist der Triumphelefant in der »Olympia« gegen die Herrlichkeit dieses Herrlichen? An minder festlichen Tagen imponiert er schon hinlänglich durch seine echt chinesische Porzellanhaftigkeit, durch die pendulartigen Bewegungen seines gepuderten, schwerbezöpften, mit einem dreieckigen Wünschelhütchen bedeckten Kopfes, und durch die wunderliche Beweglichkeit seiner Arme beim Pferdelenken. Aber heute trug er ein karmoisinrotes Kleid, das halb Frack, halb Überrock war, Hosen von derselben Farbe, alles mit breiten goldnen Tressen besetzt. Sein edles Haupt, kreideweiß gepudert, und mit einem unmenschlich großen schwarzen Haarbeutel geziert, war von einem schwarzen Samtkäppchen mit langem Schirm bedeckt. – Ganz auf gleiche Weise waren die vier Bedienten gekleidet, die hinten auf dem Wagen standen, sich mit brüderlicher Umschlingung einer an dem andern festhielten, und dem gaffenden Publikum vier wackelnde Haarbeutel zeigten. Aber Er trug die gewöhnliche Herrscherwürde im Antlitz, Er dirigierte die sechsspännige Staatskarosse, und zerrend zog er die Zügel, »und rasch hinflogen die Rosse.«
Es war ein furchtbares Menschengewühl auf dem Schloßhofe. Das muß man sagen, die Berlinerinnen sind nicht neugierig. Die zartesten Mägdlein gaben mir Stöße in die Weichen, die ich noch heute fühle. Es war ein Glück, daß ich keine schwangere Frau bin. Ich quetschte mich aber ehrlich durch, und gelangte glücklich ins Innere des Schlosses. Der zurückdrängende Polizeibeamte ließ mich durch, weil ich einen schwarzen Rock trug, und weil er es mir wohl ansah, daß die Fenster meines Logis mit rotseidenen Gardinen behängt sind. Ich konnte jetzt sehr gut die hohen Herren und Damen aussteigen sehen, und mich amüsierten recht sehr die vornehmen Hofkleider und Hofgesichter. Erstere kann ich nicht beschreiben, weil ich zu wenig Schneidergenie bin, und letztere will ich nicht beschreiben, aus stadtvogteilichen Gründen. Zwei hübsche Berlinerinnen, die neben mir standen, konnten nicht genug bewundern die schönen Diamanten, und Goldstickereien, und Blumen, und Gaze, und Atlasse, und lange Schleppen, und Frisuren. Ich sah fast beständig nach den blauen Augen dieser schönen Geschöpfe, und ich wurde etwas ärgerlich, als mir von hinten jemand freundschaftlich auf die Achsel schlug, und mir das rotbäckige Gesichtlein des Kammermusici entgegenleuchtete. Er war in ganz besonderer Bewegung, und hüpfte wie ein Laubfrosch. – »Carissime«, quäkte er, »ich sehe, Sie haben Sinn für das Schöne: – – – –« Um mich von ihm zu befreien, zeigte ich ihm meinen Barbier, der uns gegenüberstand und heute seinen neuen altdeutschen Rock angezogen hatte. Dem Kammermusico wurde das Gesicht kirschbraun vor Ärger, und er fletschte mit den Zähnen: »O Sankt Marat! so ein Lumpenkerl gibt sich für einen – – – –« Dadurch hatte ich das Ding noch schlimmer gemacht, und fiel ihm nun in die Rede: »Wissen Sie auch, im Lustgarten werden gleich zwölf Kanonen losgeschossen?« Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, und verschwunden war der Kammermusikus.
Ich wischte mir den Angstschweiß aus dem Gesicht, als mir der Kerl vom Halse war, sah noch die letzten Aussteigenden, machte meinen schönen Nachbarinnen eine mit einem holden Lächeln akkompagnierte Verbeugung, und begab mich nach dem Lustgarten. Hier standen wirklich zwölf Kanonen aufgepflanzt, die dreimal losgeschossen werden sollten, in dem Augenblick, wenn das fürstliche Brautpaar die Ringe wechseln würde. An einem Fenster des Schlosses stand ein Offizier, der den Kanonieren im Lustgarten das Zeichen zum Abfeuern geben sollte. Hier hatte sich eine Menge Menschen versammelt. Auf ihren Gesichtern waren ganz eigne, fast sich widersprechende Gedanken zu lesen.
Es ist einer der schönsten Züge im Charakter der Berliner, daß sie den König und das königliche Haus ganz unbeschreiblich lieben. Die Prinzen und Prinzessinnen sind hier ein Hauptgegenstand der Unterhaltung in den geringsten Bürgerhäusern. Ein echter Berliner wird nie anders sprechen, als »unsre« Charlotte, »unsre« Alexandrine, »unser« Prinz Karl usw. Der Berliner lebt gleichsam in die königl. Familie hinein, alle Glieder derselben kommen ihm wie gute Bekannte vor, er kennt den besondern Charakter eines jeden, und ist immer entzückt, neue schöne Seiten desselben zu bemerken. So wissen die Berliner z. B., daß der Kronprinz sehr witzig ist, und deshalb kursiert jeder gute Einfall gleich unter dem Namen des Kronprinzen, und einem Herkules mit der schlagenden Witzkeule werden die Witze aller übrigen Herkulesse zugeschrieben. Sie können sich also vorstellen, wie sehr hier die schöne, leuchtende Alexandrine ein Gegenstand der Volksliebe sein muß; und aus dieser Liebe können Sie sich auch den Widerspruch erklären, der auf den Gesichtern der Berliner lag, als sie erwartungsvoll nach den hohen Schloßfenstern sahen, wo unsre Alexandrine vermählt wurde. Verdruß durften sie nicht zeigen; denn es war der Ehrentag der geliebten Prinzessin. Recht freuen konnten sie sich auch nicht; denn sie verloren dieselbe. Neben mir stand ein Mütterchen, auf dessen Gesicht zu lesen war: »Jetzt habe ich sie zwar verheiratet, aber sie verläßt mich jetzt.« Auf dem Gesichte meines jugendlichen Nachbars stand: »Als Herzogin von Mecklenburg ist sie doch nicht so viel, wie sie als Himmelskönigin war.« Auf den roten Wangen einer hübschen Brünette las ich: »Ach, wär ich schon so weit!« – Da donnerten plötzlich die Kanonen, die Damen zuckten zusammen, die Glocken läuteten, Staub- und Dampfwolken erhoben sich, die Jungen schrieen, die Leute trabten nach Hause, und die Sonne ging blutrot unter hinter Monbijou.
Besonders lärmig waren die Vermählungsfeierlichkeiten nicht. Den Morgen nach der Trauung wohnten die hohen Neuvermählten dem Gottesdienste in der Domkirche bei. Sie fuhren in der achtspännigen goldnen Kutsche mit großen Glasfenstern, und wurden von einer gewaltigen Menschenmenge bestaunt. Wenn ich nicht irre, trugen die obigen Bedienten an diesem Tage keine Haarbeutel. Des Abends war Gratulationscour, und hierauf Polonäsenball im Weißen Saale. Den 27. war Mittagstafel im Rittersaale, und des Abends verfügten sich die hohen und höchsten Personen nach dem Opernhause, wo die von Spontini zu diesem Feste eigends komponierte Oper: »Nurmahal, oder das Rosenfest in Kaschemir« gegeben wurde. Es kostete den meisten Leuten viele Mühe, Billetts zu dieser Oper zu erlangen. Ich bekam eins geschenkt; aber ich ging doch nicht hin. Ich hätte es zwar tun sollen, um Ihnen darüber zu referieren. Aber glauben Sie, daß ich mich für meine Korrespondenz aufopfern soll? Mit Grausen denke ich noch an die »Olympia«, der ich kürzlich, aus einem besondern Grunde, nochmals beiwohnen mußte, und die mich mit fast zerschlagenen Gliedern entließ. Ich bin aber zum Kammermusikus gegangen, und fragte ihn, was an der Oper sei? Der antwortete: »Das Beste dran ist, daß kein Schuß drin vorkömmt.« Doch kann ich mich hierin auf den Kammermusikus nicht verlassen, denn erstens komponiert er auch, und nach seiner Meinung besser als Spontini, und zweitens hat man ihm weisgemacht, daß letzterer eine Oper mit obligaten Kanonen schreiben wolle. Man spricht aber überhaupt nicht viel Gutes von der »Nurmahal«. Ein Meisterstück kann sie nicht sein. Spontini hat viele Musikstücke seiner ältern Oper hineingeflickt. Dadurch enthält diese Oper freilich sehr gute Stellen, aber das Ganze hat ein zusammengestoppeltes Ansehn, und entbehrt jene Konsequenz und Einheit, die das Hauptverdienst der übrigen Spontinischen Opern ist. – Die hohen Neuvermählten wurden mit allgemeinem Aufjauchzen empfangen. Die Pracht, die in diesem Stücke eingewebt ist, soll unvergleichlich sein. Der Dekorationsmaler und der Theaterschneider haben sich selbst übertroffen. Der Theaterdichter hat die Verse gemacht, folglich müssen sie gut sein. Elefanten sind keine zum Vorschein gekommen. Die Staatszeitung vom 4. Juni rügt einen Artikel der Magdeburger Zeitung, worin stand, daß zwei Elefanten in der neuen Oper erscheinen sollten, und bemerkt mit shakespeareschem Witze: diese Elefanten »sollen sich vorgeblich noch in Magdeburg verhalten«. Hat die Magd. Zeitung diese Notiz aus meinem zweiten Briefe geschöpft, so bedauere ich mit tiefem Seelenschmerz, daß ich Unglücklicher ihr diesen Witzblitz zugezogen. Ich widerrufe, und zwar mit so de- und wehmütiger Gebärde, daß die Staatszeitung Tränen der Rührung weinen soll. Überhaupt erkläre ich ein für allemal, daß ich bereit bin, alles zu widerrufen, was man von mir verlangt; nur darf es mir nicht viele Mühe kosten. Daß zwei Elefanten im Rosenfest vorkommen würden, hatte ich wirklich selbst gehört. Nachher sagte man mir, es wären nur zwei Kamele, später hieß es, zwei Studenten kämen drin vor, und endlich sollten es Unschuldsengel sein. – Den 28. war Freiredoute. Schon um halb neun fuhren Masken nach dem Opernhause. – Ich habe im vorigen Briefe eine hiesige Redoute beschrieben. Sie unterschied sich diesmal nur dadurch, daß keine schwarze Dominos zugelassen wurden, daß alle Anwesende in Schuhen waren, daß man sich um ein Uhr im Saale demaskieren konnte, und daß die Einlaßbillette und Erfrischungen gratis gegeben wurden. Letzteres war wohl die Hauptsache. Wenn ich nicht den festen Glauben in der Brust trüge, daß die Berliner Muster von Bildung und feinem Betragen sind, und mit Recht auf die Ungeschliffenheit meiner Landsleute verächtlich herabschauen; wenn ich mich nicht bei vielen Gelegenheiten überzeugt hätte, daß der powerste Berliner es im anständigen Hungerleiden sehr weit gebracht hat, und meisterhaft darauf eingeübt ist, den schreienden Magen in die Formen vornehmer Konvenienz einzuzwängen: so hätte ich von den Leuten hier sehr leicht eine ungünstige Meinung fassen können, als ich bei dieser Freiredoute sah, wie sie das Büffet sechs Mann hoch umdrängten, sich Glas nach Glas in den Schlund gossen, sich den Magen mit Kuchen anstopften, und das alles mit einer ungraziösen Gefräßigkeit und heroischen Beharrlichkeit, daß es einem ordentlichen Menschenkinde fast unmöglich war, jene Büffetphalanx zu durchbrechen, um, bei der Schwüle, die im Saale herrschte, mit einem Glase Limonade die Zunge zu kühlen. Der König und der ganze Hof waren auf dieser Redoute. Der Anblick der Neuvermählten entzückte alle Anwesende. Sie glänzte mehr durch ihre Liebenswürdigkeit als durch ihren reichen Diamantenschmuck. Unser König trug ein bläulichdunkles Domino. Die Prinzen trugen meistens altspanische und ritterliche Tracht.
Ich habe längst bemerkt, daß über die Rangordnung, womit ich Ihnen die hiesigen Begebnisse melde, bloß meine Laune entscheidet, und nicht die Anciennität. Wollte ich letzterer folgen, so hätte ich meinen Brief mit Geheimrat Heims Jubiläum anfangen müssen. Aus den Zeitungen werden Sie hinlänglich erfahren haben, wie man hier diesen verdienten Arzt gefeiert. Zwei ganze Tage sprach man davon in Berlin; das will viel sagen. Überall hörte man Anekdoten aus Heims Leben erzählen, von denen einige höchst ergötzlich sind. Die drolligste derselben schien mir die Art, wie er seinen Kutscher mystifiziert, als ihm derselbe einstmals erklärte: er habe ihn jetzt so lange Zeit schon herumgefahren, er wünsche jetzt auch Arzt zu werden, und das Kurieren zu lernen. Mehrere andre Dienstjubiläen fanden ebenfalls statt, und bei Jagor sprangen die Stöpsel der Champagnerflaschen. Überhaupt, ehe man sich dessen versieht, haben die Leute hier 50 Jahre abgedient. Das tut das Klima. – Auch eine Dienstmagd hat ihr Jubiläum gehalten, und in der »Eleganten« ist zu lesen, wie die Jubelmagd gefeiert und besungen wurde. Sogar eine Matrone aus der Unschuldsgasse hat, wie ich gestern höre, ihr Jubiläum gefeiert. Sie wurde mit Rosen und Lilien bekränzt; ein gefühlvoller Portepeejüngling überreichte ihr ein Kraftsonett, ganz im Geist der gewöhnlichen Jubelpoesie, worin Liebe, Triebe, riebe, schiebe sich reimten, und zwölf Jungfrauen sangen:
»Du Schwert an meiner Linken, Was soll dein heitres Blinken?« etc. etc. |