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Die vorderasiatischen Fragen, insbesondere die Bagdadbahn

War in den afrikanischen Kolonialfragen das Ziel, sich gegenseitig guten Willen zu zeigen und künftigen Reibungen vorzubeugen, so hatten die Verhandlungen über die vorderasiatischen Fragen die Aufgabe, einen alten Reibungspunkt zu beseitigen und die Formen für ein friedliches Nebeneinanderarbeiten zu finden.

 

Ein Problem internationaler Politik

Die Angelegenheit der Bagdadbahn, die im Mittelpunkt jener vorderasiatischen Fragen stand, hatte seit länger als einem Jahrzehnt in den deutsch-englischen Beziehungen eine wichtige Rolle gespielt, wichtiger allerdings in der Vorstellung der Engländer als in derjenigen der Deutschen. Die in der Frage der Bagdadbahn zutagegetretenen Meinungsverschiedenheiten sind von der britischen Regierung stets mit einem Ernst und einem Nachdruck behandelt worden, wie kaum ein anderer zwischen England und Deutschland streitiger Gegenstand außer der Flottenfrage. Daß sich an der Frage der Bagdadbahn von Anfang an auch Frankreich und Rußland erheblich interessierten, machte diese Frage zu einem besonders verwickelten Problem der internationalen Politik. Nachdem Rußland durch die Potsdamer Abmachungen von 1910 sich an der Bagdadbahn desinteressiert und Deutschland freie Hand gegeben hatte, erschien der Versuch, auch mit Frankreich und namentlich mit England zu einer Verständigung zu kommen, nicht nur zur Förderung des Ausbaus dieses wichtigen Unternehmens geboten, sondern auch zur Entlastung der Beziehungen Deutschlands zu den Westmächten und damit zur Sicherung des Weltfriedens.

Der Verständigungsversuch hatte eine lange und wechselvolle Vorgeschichte.

Als gegen Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts deutscher Unternehmungsgeist und deutsches Kapital sich für die Türkei zu interessieren begann, fanden die deutschen Bestrebungen bei England Ermunterung, während sie bei Frankreich und Rußland auf Mißtrauen und Gegnerschaft stießen. Frankreich betrachtete damals die Türkei finanziell und wirtschaftlich als seine Domäne; das Auftauchen eines neuen Wettbewerbers, und gerade Deutschlands als des neuen Wettbewerbers, wurde deshalb nicht gern gesehen. Rußland, das auf den Zerfall der Türkei wartete und für sich den Löwenanteil an der Erbschaft des kranken Mannes erhoffte, war von vornherein jeder Entwicklung abhold, die neue Interessen an der Erhaltung der Türkei zu schaffen und das Osmanische Reich innerlich zu kräftigen geeignet war. England dagegen, das im Jahre 1878 die Türkei vor der Zertrümmerung gerettet hatte, betrachtete auch damals noch die Türkei als ein wichtiges Bollwerk gegen die russischen Ausdehnungsbestrebungen, das weder von Rußland zerstört, noch von Frankreich unter seine ausschließliche finanzielle und wirtschaftliche Kontrolle gebracht werden dürfe. Da der britische Unternehmungsgeist und das britische Kapital durch die großen Aufgaben innerhalb des britischen Weltreichs selbst in jenen Jahren vollauf in Anspruch genommen waren und wenig Neigung zu einer verstärkten Betätigung in der Türkei zeigten, ja sogar an das französische Kapital sichtlich Boden verloren, war der britischen Regierung das neue deutsche Interesse für die Türkei durchaus erwünscht. Seine Förderung paßte angesichts des damaligen freundschaftlichen Verhältnisses Englands zum Dreibund in den Rahmen der britischen Gesamtpolitik.

 

Die Haltung Englands und Frankreichs

Nachdem im Jahre 1888 eine unter Führung der Deutschen Bank stehende deutsche Finanzgruppe die Konzession für den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von Haidar-Pascha (Vorstadt von Konstantinopel auf dem asiatischen Ufer) nach Angora erhalten hatte, beteiligte sich an der zur Durchführung der Konzession errichteten Gesellschaft, der Anatolischen Eisenbahngesellschaft, neben deutschem, österreichischem und italienischem Kapital auch englisches Kapital, allerdings nur mit einer bescheidenen Quote, die auch bald wieder abgestoßen wurde.

Die Bahn nach Angora wurde in wenigen Jahren vollendet und alsbald durch eine Linie von Eskischehir nach Konia ergänzt. Im Jahre 1896 wurde auch diese Linie in Betrieb genommen. Das neue Eisenbahnnetz, eine Streckenlänge von mehr als 1000 km umfassend, erschloß, im Gegensatz zu den unter französischer und englischer Führung bisher erbauten kurzen Stichbahnen im westlichen Kleinasien und in Syrien, das Innere des anatolischen Hochlandes, das im Altertum durch seine Fruchtbarkeit und seinen Erzreichtum berühmt war und jetzt seiner Erweckung aus vielhundertjährigem tiefem Verfall wartete.

Als Frankreich sah, daß Deutschland sich in der Verfolgung des neugesteckten Zieles nicht irremachen ließ und daß Deutschland, das immer noch als armes Land galt, auch die für die Durchführung seiner Pläne erforderlichen Mittel aufzubringen in der Lage war, fand es sich mit den vollendeten Tatsachen ab. Es bildete sich zwischen den deutschen und den französischen Interessenten in der Türkei allmählich ein modus vivendi heraus, der zwar nicht ausschloß, daß man sich in einzelnen Geschäften gelegentlich scharf befehdete, der aber auf der andern Seite in wichtigen Fällen zu einem gemeinschaftlichen Vorgehen und einer Zusammenarbeit führte. Die einsichtigsten Vertreter Frankreichs, vor allem M. Constans, der seit 1899 lange Jahre hindurch als französischer Botschafter in Konstantinopel tätig war, rangen sich durch das Gestrüpp nationaler Vorurteile zu der von deutscher Seite stets vertretenen Überzeugung hindurch, daß Frankreichs und Deutschlands Interessen in der Türkei in den wesentlichsten Punkten – Erhaltung der türkischen Unabhängigkeit, finanzielle und wirtschaftliche Kräftigung der Türkei – übereinstimmten und eine loyale Zusammenarbeit notwendig machten. Dagegen wurde im Laufe der neunziger Jahre Englands anfangs so warmes Interesse für die deutsche Betätigung in der Türkei – im Einklang mit dem gesamtpolitischen Verhältnis – immer kühler. Nur einmal noch, unter der Einwirkung der Zuspitzung des britisch-französischen Verhältnisses im Jahre 1898 (Faschoda) und in der von Rußland in seiner vorderasiatischen Politik ausgenutzten Bedraftgnis der ersten Periode des Burenkriegs, also zu der Zeit der Chamberlainschen Bestrebungen zur Schaffung einer deutsch-englisch-amerikanischen Entente, schien sich ein neues deutsch-englisches Zusammengehen auch in den vorderasiatischen Eisenbahnfragen ermöglichen zu lassen.

 

Die Stellung der Türkei

In jener Zeit gewann das Projekt der »Bagdadbahn« zum erstenmal greifbare Gestalt. Jene große Transversallinie, die Konstantinopel quer durch Kleinasien und Mesopotamien mit dem Persischen Golf verbinden sollte, ist nicht nur der gegebene Hauptstrang des gesamten Eisenbahnnetzes der asiatischen Türkei und damit für das Osmanische Reich die strategisch und wirtschaftlich wichtigste Eisenbahn, sondern sie hat auch als die kürzeste Verbindung zwischen Europa und Indien alle Aussicht, eine Weltlinie ersten Ranges zu werden. Es ist daher begreiflich, daß der Plan der Bagdadbahn schon seit Jahrzehnten fortgesetzt erörtert und von den verschiedensten Finanzgruppen mit der türkischen Regierung verhandelt worden war. Wenn bisher alle diese Erörterungen und Verhandlungen ohne Ergebnis geblieben waren, so lag das einmal an den finanziellen Schwierigkeiten des Projekts: seine Durchführung erforderte Hunderte von Millionen, eine privatwirtschaftliche Rentabilität war für lange Jahre nicht zu erwarten, für eine staatliche Garantie fehlten der Türkei die Mittel; ferner an einer politischen Schwierigkeit: der äußerst mißtrauische Sultan Abdul Hamid wollte, so brennend er sich für den Plan der Bagdadbahn interessierte, den Bau und Betrieb dieser wichtigsten aller türkischen Eisenbahnen nicht in Hände legen, von deren Loyalität und Zuverlässigkeit gegenüber der Türkei er nicht unbedingt überzeugt war.

Gegen Ende der neunziger Jahre schien sich die Möglichkeit zur Überwindung jener Schwierigkeiten zu bieten.

Die anatolische Linie stellte einen vielversprechenden Anfang dar. Die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der Türkei ermöglichte die Schaffung neuer Einnahmequellen, die als Grundlage der Finanzierung der Bagdadbahn verwendet werden konnten. Und in Deutschland, das keinerlei territoriale Ziele in der Türkei verfolgte, das vielmehr durch seine eigensten Interessen genötigt war, für die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit und der Integrität der Türkei einzutreten, hatte der Sultan hinreichendes Vertrauen gewonnen, um das große Werk in deutsche Hände zu legen.

Die deutsche Regierung, an die sich der Sultan mit dem immer wiederholten und dringenden Ersuchen um Förderung des Planes wandte, sah hier die Möglichkeit zu einer bedeutungsvollen Ausweitung der wirtschaftlichen Weltstellung Deutschlands und zeigte sich deshalb gern bereit, den türkischen Wünschen zu entsprechen. Die deutsche Finanzgruppe, die das anatolische Netz geschaffen hatte, stellte sich für das große Unternehmen zur Verfügung.

 

Versuche internationaler Finanzierung

Man war sich bei uns von Anfang an darüber klar, daß eine rasche Durchführung des großen Unternehmens nur auf internationaler Grundlage möglich sei. Der Umfang der für den Bau einer Streckenlänge von etwa 2500 km erforderlichen Kapitalien, die Notwendigkeit der Zustimmung der europäischen Großmächte zur Schaffung der für die Finanzierung des Unternehmens erforderlichen neuen türkischen Staatseinnahmen, die internationale Bedeutung der neuen Weltlinie, namentlich für den Verkehr mit Britisch-Indien, schließlich die weitgehende Abhängigkeit des Schicksals des Unternehmens von der politischen Haltung der einzelnen Großmächte – das alles mußte den Versuch nahelegen, nicht nur die Zustimmung, sondern auch die Mitwirkung der nächstinteressierten Großmächte und ihrer Finanzkreise an dem Unternehmen zu gewinnen.

Die Bemühungen nach dieser Richtung hin führten zunächst hinsichtlich Frankreichs zu einem Erfolg. Zwischen der Gruppe der Deutschen Bank und der französischen Gruppe der Ottomanischen Bank kam im Mai 1899 unter Mitwirkung der beiderseitigen Botschafter in Konstantinopel, des Baron Marschall und des Herrn Constans, ein grundsätzliches Einvernehmen über ein Zusammengehen in Sachen der Bagdadbahn zustande.

Auch mit England ließen sich die Verhandlungen zunächst günstig an. Als im November 1899 der Kaiser Wilhelm H. mit dem Reichskanzler zum Besuch bei der Königin von England in Windsor weilte, äußerte sich Chamberlain in dem Sinne, daß ihm eine englische Beteiligung an den deutschen Eisenbahnunternehmungen in Vorderasien erwünscht sei; es sei ihm lieber, die Deutschen in Kleinasien zu sehen, als die Russen und Franzosen. Aber es blieb bei dieser Bekundung eines politischen guten Willens; die Versuche, eine englische Finanzgruppe für eine positive Mitwirkung zu gewinnen, verliefen ergebnislos.

Als nach Erteilung einer Vorkonzession für die Bagdadbahn (Dezember 1899) die Versuche, eine finanzielle Mitwirkung Englands zu sichern, wiederaufgenommen wurden, zeigte sich in England eine verstärkte Zurückhaltung. Im Februar 1901 hatte der Leiter des Bagdadunternehmens, der Direktor der Deutschen Bank Dr. Georg von Siemens, im Londoner Foreign Office eine Besprechung, an der von englischer Seite der. Unterstaatssekretär im Foreign Office, Mr. Sanderson, und der britische Botschafter in Konstantinopel, Sir Nicolas O'Conor, teilnahmen. Es handelte sich damals vor allem darum, festzustellen, ob mit Englands Zustimmung zu der für die Finanzierung des Bagdadprojekts erforderlichen Erhöhung der türkischen Eingangszölle gerechnet werden könne. Die englischen Herren äußerten nur unter Vorbehalten ihre persönliche Meinung, die darauf hinauskam, daß England eine Zustimmung zu der ins Auge gefaßten türkischen Zollerhöhung nur in Erwägung ziehen könne, wenn vorher ein ausreichendes britisches Interesse an dem geplanten Unternehmen der Bagdadbahn geschaffen worden sei. Ein solches britisches Interesse zu schaffen, überließen sie der deutschen Gruppe, ohne diese auch nur durch eine Andeutung zu unterstützen, nach welcher Richtung sie sich zweckmäßigerweise zu bemühen habe. Dr. von Siemens reiste unverrichtetersache nach Berlin zurück.

 

England Gegner der Bagdadbahn

Die Folgezeit brachte, im Einklang mit der britischen Gesamtpolitik, eine immer deutlicher betonte Feindseligkeit Englands gegenüber dem Bagdadprojekt. England legte den türkischen Zollerhöhungen Schwierigkeiten in den Weg und warf die Streitfrage von Koweit auf. Koweit ist eine kleine Stadt am Nordufer des Persischen Golfs; sein Hafen galt als der weitaus beste in jener Gegend und als der natürliche Endpunkt einer von Bagdad her an den Golf heranführenden Eisenbahn. Die britisch-indische Regierung hatte vor längerer Zeit mit dem Scheich von Koweit Verträge abgeschlossen, deren Inhalt niemals genauer bekanntgeworden ist. Auf Grund dieser Verträge beanspruchte England für sich zwar nicht ein Protektorat über Koweit, aber immerhin eine nicht genauer definierte Sonderstellung, während die Pforte an ihrer Souveränität über Koweit festhielt. Als im Herbst 1901 die Türken aus Anlaß eines Aufstandes Truppen in Koweit landen wollten, wurden sie durch britische Kriegsschiffe daran verhindert. Im Anschluß an diesen Vorgang teilte die britische Regierung der türkischen mit, daß sie unter Voraussetzung der Respektierung des – immer nicht genauer definierten – Status quo durch die Türken ihrerseits davon Abstand nehmen wolle, Koweit zu besetzen und ein Protektorat zu erklären. Dabei ist es geblieben. Von deutscher Seite suchte man den Schwierigkeiten der Koweitfrage Rechnung zu tragen, indem man sich damit abfand, daß in der Anfang März 1903 erteilten endgültigen Bau- und Betriebskonzession für die Bagdadbahn der Endpunkt der Bahn am Persischen Golf nicht festgesetzt, sondern für eine spätere Verständigung offengehalten wurde.

Trotz dieses Entgegenkommens und trotz der Geneigtheit Deutschlands, sich auch in den andern für England wichtigen Punkten mit der britischen Regierung zu verständigen, lehnte die britische Regierung endgültig jede englische Mitwirkung ab. Balfour, der am 8. April 1903 im Unterhaus die neuen deutschen Vorschläge mitgeteilt und eine sorgsame Erwägung in Aussicht gestellt hatte, verkündigte am 23. April 1903, daß die angebotenen Garantien für eine gleichberechtigte Stellung Englands in dem Unternehmen nicht ausreichten und daß deshalb England die gewünschten Zusagen nicht geben könne.

In derselben Zeit erklärte Delcass in der französischen Kammer, für die französische Mitwirkung an dem Bagdadunternehmen sei Vorbedingung die volle Gleichberechtigung Frankreichs im Kapital und in der Leitung.

Die englische und die französische Politik hatten sich also zusammengeschlossen, um Deutschland die Führung des von ihm vorbereiteten und gegründeten Unternehmens durch den Anspruch auf volle Gleichberechtigung, die in Wirklichkeit auf eine glatte Majorisierung Deutschlands hinausgekommen wäre, aus der Hand zu winden oder die Durchführung des Unternehmens zu verhindern.

 

Englands und Frankreichs Widerstand

Bei der unbedingten Gegnerschaft der englischen und französischen Politik – Rußland hatte aus den bereits angedeuteten Gründen von Anfang an dem Bagdadunternehmen Schwierigkeiten bereitet – ist es geblieben. Trotzdem hielt die französische Finanzgruppe der Ottomanischen Bank den Wunsch und die Zusage ihrer Beteiligung – wahrscheinlich im geheimen Einverständnis mit der französischen Regierung – aufrecht. Da jedoch der französische Markt den Bagdadwerten verschlossen blieb, hat die französische Beteiligung für die deutsche Gruppe nur insofern Wert gehabt, als sie den Faden nicht ganz abreißen ließ und für später gewisse Möglichkeiten offenhielt.

Die im März 1903 erteilte Konzession umfaßte die Hauptlinie von Konia, dem Endpunkt der Anatolischen Bahn, bis zum Persischen Golf sowie eine Anzahl wichtiger Zweiglinien. Die finanziellen Vereinbarungen erstreckten sich jedoch nur auf die ersten 200 Kilometer vorwärts Konia, da nur für diese hinreichende Garantien verfügbar zu machen waren. Die Stellung von Garantien für das Gesamtnetz blieb vorbehalten.

Die erste Strecke von 200 Kilometer (Konia-Bulgurlu) konnte bereits im Herbst 1904 dem Betrieb übergeben werden. Dann aber geriet die Durchführung des Unternehmens angesichts der Unfähigkeit der türkischen Regierung, gegen den Widerstand Englands und Frankreichs weitere Garantien verfügbar zu machen, für eine Anzahl von Jahren ins Stocken.

Im Frühjahr 1906 wurde ich von der Deutschen Bank als ihr Vertreter und als Delegierter des Verwaltungsrats der Anatolischen Eisenbahngesellschaft und der Bagdad-Eisenbahn-Gesellschaft nach Konstantinopel gesandt. Meine Hauptaufgabe war, an der Überwindung der Finanzierungsschwierigkeiten mitzuhelfen und mit der türkischen Regierung Verträge über den Weiterbau der Bagdadbahn, jedenfalls über das Taurusgebirge hinaus, tunlichst aber bis nach Aleppo, wo die Verbindung mit dem französischen Eisenbahnnetz in Syrien zu gewinnen war, zum Abschluß zu bringen.

Auch mir war klar, daß die besonderen Lebensbedingungen des Bagdadbahn-Unternehmens eine internationale Verständigung geradezu erforderten. Vor allem war, um die Bagdadbahn als großen internationalen Verkehrsstrang zwischen Europa und Indien voll nutzbar zu machen, eine Einigung mit England notwendig. Aber auf der andern Seite erschien mir jeder neue Einigungsversuch aussichtslos, solange die Gegenseite der Überzeugung war, daß wir ohne ihre Zustimmung keinen Schritt vorwärtskommen könnten und daß sie deshalb in der Lage sei, uns jede Bedingung aufzuerlegen und uns die Früchte unserer Arbeit zu entwinden. Der Boden für eine für uns annehmbare Verständigung mußte erst durch Tatsachen geschaffen werden, die aller Welt zeigten, daß wir entschlossen und stark genug waren, die Hindernisse, die man uns in den Weg legte, zu überwinden und nötigenfalls das Unternehmen auf eigne Faust der Vollendung zuzuführen.

 

Deutschland sichert die finanziellen Grundlagen

In zäher Arbeit und hartem Kampf gelang es, die finanziellen Grundlagen für den Weiterbau zu sichern. Zwar setzten die Engländer durch, daß der Ertrag der dreiprozentigen Zollerhöhung, die endlich im Jahre 1907 für den Zeitraum von sieben Jahren den Türken zugestanden wurde, für die mazedonischen Reformen festgelegt wurde, so daß diese wichtige Einnahmequelle für die Finanzierung der Bagdadbahn gesperrt war. Aber gleichzeitig gelang es unsern Bemühungen, andere Einnahmen, die teilweise durch die im Jahre 1903 durchgeführte Unifikation der alten türkischen Staatsschuld, teilweise durch die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei verfügbar geworden waren und für die Zukunft eine weitere günstige Entwicklung versprachen, für die Finanzierung des Weiterbaus der Bagdadbahn zu sichern. Am 2. Juni 1908 konnte ich meinen Namen unter Verträge mit der türkischen Regierung setzen, in denen der Ausbau von weiteren 840 Kilometern vereinbart wurde. Die neuen Strecken brachten die Durchquerung des Taurus und Amanus, die Verbindung mit dem Golf von Alexandrette durch den Anschluß an die von der deutschen Gruppe kurz zuvor erworbene Stichbahn Mersina-Adana, die Verbindung mit dem syrischen Eisenbahnnetz in Aleppo, schließlich die Überschreitung des Euphrat; vorläufiger Endpunkt war Tel Helif, ein Ort südlich von Mardin, der Ausgangspunkt der in der Konzession von 1903 vorgesehenen wichtigen Zweiglinie nach Diarbekir.

Mit diesen Verträgen war nach vierjähriger Stockung ein entscheidender Schritt vorwärts getan.

Wenige Wochen nach ihrer Unterzeichnung brach die jungtürkische Revolution aus. Die zunächst stark unter französischem und englischem Einfluß stehende neue Richtung war dem »deutschen« Bagdadunternehmen gegenüber stark voreingenommen. Aber die Bagdadverträge hielten Stich gegenüber aller Prüfung und Kritik; auch die Jungtürken mußten sich überzeugen, daß die Durchführung des begonnenen Werkes ein lebenswichtiges Interesse für die Türkei darstellte.

Von deutscher Seite aus wurde unter den neuen Verhältnissen ein neuer Versuch gemacht, in den türkischen Angelegenheiten mit Frankreich und England zusammenzugehen. Auf deutsche Anregung hin fand sich im Herbst 1908 die Gruppe der Deutschen Bank, die französische Gruppe der Ottomanischen Bank und eine englische, Sir Ernest Cassel nahestehende Gruppe zusammen, um der neuen Türkei durch einen Vorschuß und im Anschluß daran durch eine Anleihe über ihre finanziellen Schwierigkeiten hinauszuhelfen. Auch in der Frage der Bagdadbahn wurde die Fühlung mit England vorsichtig wiederaufgenommen. Im Herbst 1909 traf ich mit Sir Ernest Cassel, der inzwischen durch die Gründung der Banque Nationale de Turquie ein größeres Interesse an den türkischen Geschäften genommen hatte, in Konstantinopel zusammen; die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit in den türkischen Geschäften, insbesondere im Bagdadbahn-Unternehmen, wurden dabei erörtert.

 

Deutscher Einigungsversuch mit England und Frankreich

Gegen Schluß des Jahres kam Sir Ernest nach Berlin. Er stellte zur Erwägung, ob wir uns entschließen könnten, das südliche Stück der Bagdadbahn, von der Stadt Bagdad bis zum Persischen Golf, an eine unter englischer Führung stehende Gesellschaft zu überlassen, wogegen England seinen bisherigen Widerstand gegen das Unternehmen aufgeben und uns nördlich von Bagdad freie Hand lassen sollte. An sich wäre eine solche Lösung vom Standpunkt der deutschen Interessen aus erträglich gewesen, vorausgesetzt, daß die türkische Regierung ihr Mißtrauen gegen eine Verstärkung der englischen Stellung in Südmesopotamien überwinden konnte und daß zwischen den beiden Finanzgruppen Abmachungen über das Ineinandergreifen des Betriebs der beiderseitigen Linien getroffen worden wären, die einen reibungslosen Durchgangsverkehr für Personen und Güter in derselben Weise wie auf einem einheitlichen Netze gesichert hätten.

Die Aussprache hatte aber zunächst keine weitere Folge. Im Gegenteil, im Laufe des Jahres 1910 kam es zu einem abermaligen, von Frankreich ausgehenden und von England unterstützten Vorstoß gegen Deutschlands finanzielle und wirtschaftliche Stellung in der Türkei. Eine französische Gruppe, die Fühlung mit englischen Kreisen suchte und fand, betrieb mit Hochdruck das Projekt einer Eisenbahn von Nordsyrien durch das Euphrattal nach Bagdad, um durch diese etwas kürzere, wirtschaftlich und strategisch jedoch für die Türkei weniger wertvolle Konkurrenzlinie der durch das Tigristal führenden deutschen Bagdadbahn den Todesstoß zu versetzen. Gleichzeitig wurde das starke Geldbedürfnis der Türkei von der französischen Regierung ausgenutzt, um der Türkei Bedingungen aufzuerlegen, die der Errichtung einer Finanzkontrolle gleichkamen und die Türkei in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten, namentlich auch in der Ausgestaltung ihres Eisenbahnnetzes, dem Machtspruch der Westmächte unterworfen hätten. Der bedrängte türkische Finanzminister, der sich in Paris vor so unannehmbare Bedingungen gestellt sah, fand in London verschlossene Türen. In Paris und London war man überzeugt, daß Deutschland nicht stark genug sei, um der Türkei eine wirksame finanzielle Hilfe zu gewähren: »Londres ne veut pas, Berlin ne peut pas!« triumphierten damals die französischen Zeitungen.

 

Die Sanierung der türkischen Finanzen

Die Rechnung war falsch. In der Erkenntnis, daß es gelte, die Unabhängigkeit der Türkei und damit die gleichberechtigte Stellung Deutschlands in diesem wichtigen und zukunftsreichen Lande zu erhalten, schloß sich die gesamte deutsche und österreichisch-ungarische Bankwelt zu einem großen Konsortium zusammen, um der Türkei aus der Bedrängnis zu helfen. Im November 1910 reiste ich im Auftrag dieses Konsortiums nach Konstantinopel, um mit dem türkischen Finanzminister über die Anleihebedingungen zu verhandeln. Nach wenigen Tagen konnten die Verträge unterzeichnet werden, die der Türkei ausreichende Mittel sicherten, um für zwei Jahre den Fehlbetrag ihres Staatshaushalts zu decken.

Die Türkei machte von der hierdurch gewonnenen Bewegungsfreiheit Gebrauch, um den weiteren Ausbau der Bagdadbahn, deren volle Bedeutung inzwischen auch von den jungtürkischen Machthabern erkannt worden war, sicherzustellen. Im März 1911 kamen Verträge zustande, in denen der sofortige Ausbau der Hauptlinie bis Bagdad vereinbart und der Gesellschaft die Konzession für eine Zweiglinie nach Alexandrette und für den Bau und Betrieb eines Hafens an diesem wichtigen Platze verliehen wurde. Um der türkischen Regierung die Möglichkeit zu geben, doch noch mit England zu einer Verständigung über die Bagdadbahn zu kommen, wurde im Einverständnis mit dem Auswärtigen Amt dem Großwesir auf dessen Wunsch eine von meinem Kollegen von Gwinner und mir unterzeichnete Erklärung ausgestellt, daß wir bei der Bagdad-Eisenbahn-Gesellschaft dafür eintreten wollten, daß diese sich bereitfinde, unter noch näher zu vereinbarenden Bedingungen und Entschädigungen ihre Rechte auf die Strecke von Bagdad bis zum Golf, sei es ganz, sei es teilweise, an eine neuzugründende türkische Gesellschaft zu übertragen, vorausgesetzt, daß der deutsche Anteil an dieser Gesellschaft nicht geringer bemessen werde als derjenige einer jeden andern nichttürkischen Gruppe. Außerdem verzichtete die Bagdad-Eisenbahn-Gesellschaft auf alle ihre Rechte auf den Ertrag künftiger Zollerhöhungen, um dadurch dem Widerstand Englands gegen eine solche im Interesse der türkischen Finanzen unerläßliche Erschließung neuer Einnahmen ein für allemal den Boden zu entziehen.


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