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Siebentes Kapitel.
Furustolpe stiftet mystische Bekanntschaften

Das Licht wurde heruntergeschraubt, obwohl das, wie Herr Wendland bemerkte, bei dieser Arbeit gar nicht nötig war.

Aber Herr Wendland mit den schläfrigen Augen war ein vorsichtiger Mann. Das wichtigste ist Ruhe, sagte er; keine Unruhe, nur Ruhe, Ruhe! Die Ruhe kam tatsächlich leichter bei gedämpftem Licht. Herr Wendland war ein Purun Bhagat. So wie der Inder durch seine Ruhe die scheuen Tiere der Wälder zähmte, daß sie ihm aus der Hand fraßen, so lockte Herr Wendland durch seine Ruhe noch scheuere und flüchtigere Wesen an sich. Herr Wendland wußte nichts von Purun Bhagat, denn er hatte wenig gelesen; aber wenn man ihn mit dem Inder verglichen hätte, hätte er sich darüber sehr gefreut. Alles, was mit Indien in Verbindung stand, zog ihn an. Indien war das große, geheimnisvolle Land, dessen Weisheiten der Westen langsam zu durchdringen suchte. Indien war das Heimatland der Yoga, Karma, Nirvana und tausend anderen Sachen mit musikalisch klingenden Namen, die Herr Wendland oft gebrauchte.

»Ruhe,« flüsterte Herr Wendland, »Ruhe!«

Furustolpe sah ihn aus faszinierenden Augen an. Er zitterte vor Spannung. Es schien ihm, als ob er unnatürlich scharf sah und hörte. Draußen auf der Straße lärmten die elektrischen Bahnen. Die zugezogenen Vorhänge konnten den Lärm nicht ganz dämpfen, jedes Geräusch ging ihm durch Mark und Bein, und bei jeder Bewegung der Portieren drehte er unwillkürlich den Kopf.

»Ruhe!« flüsterte Herr Wendland. »Ruhe! Die Geister nahen!«

Furustolpe zitterte am ganzen Körper. Die Geister nahten! Hier war er in einem Hause am Gammel Kongevej, um dem Übersinnlichen zu begegnen! Blitzschnell durchlebte er nochmals die Seelenkämpfe der letzten Tage, denn es hatte lange gedauert, bis er sich dazu entschlossen hatte, nach Damaskus zu gehen; und er war nach Damaskus gegangen …

Fleisch und Blut hatten schwer verstehen können, daß diejenigen, die nicht mehr Fleisch und Blut sind, doch kämpfen und handeln können. Fleisch und Blut verstehen schwer die bösen Mächte der anderen Welt; aber Furustolpe hatte es lernen müssen.

Von einem entfernten Bekannten hatte er von Herrn Wendland erzählen hören, der die Mitglieder des Vereins » Eos« bei sich versammelte und auch gern Gäste empfing, welche Klarheit suchten. Jetzt saß nun Furustolpe in Gammel Kongevej Nummer 112 als Gast des Herrn Wendland.

»Ruhe,« flüsterte Herr Wendland mit seiner milden, verschleierten Stimme. »Ich fühle, daß die Geister hier sind.«

Mit gehobener Stimme fuhr er fort:

»Ist jemand da, so fordere ich ihn im Namen der Wissenschaft auf, wahrheitsgemäß zu antworten. Drei Schläge bedeuten ›Nein‹, ein Schlag ›Ja‹.«

Furustolpe zuckte zusammen. Der Tisch, auf dem er und fünf andere Mitglieder des Vereins »Eos« ihre Hände hielten, hob sich und stieß das eine Bein mit einem klaren und deutlichen Knall auf den Fußboden. An einem kleinen Nebentisch saß ein sechstes Mitglied des Vereins mit Papier und Feder. Er hatte Herrn Wendlands Frage stenographiert; jetzt schrieb er die Antwort auf:

»Ja!«

»Wer ist es?« fragte Herr Wendland.

Der Tisch hob ein anderes Bein und stieß mehrmals ungeduldig auf den Boden.

»Das Alphabet! Der Tisch wünscht das Alphabet!«

Er fing an zu buchstabieren:

»A, b, c, d, e … Bei »s« stieß der Tisch energisch auf den Fußboden. Wieder begann Herr Wendland das Alphabet eintönig herzusagen. Diesmal hielt der Tisch bei »o« an. Herr Wendland begann von neuem, und seine Stimme war eintönig, wie beim Vorlesen eines Protokolls. Der Tisch rührte sich bei »k«. Nachdem Wendland achtmal das Alphabet hergesagt, teilte der Schriftführer mit, daß Sokrates sich zur Sitzung eingefunden hätte.

»Wünscht jemand eine Frage an Sokrates zu richten?« fragte Herr Wendland.

Eines der Mitglieder, ein junger Mann mit blondem Schnurrbart, hegte den Wunsch. Er wollte wissen, ob Sokrates dem Verein »Eos« eine Weisheitsregel mitzuteilen hätte.

Sokrates antwortete ohne Zögern.

»Kenn' dich selbst!«

Der junge Mann dankte, erlaubte sich aber die Frage, wie diese Aufforderung zu deuten sei. Er hatte soeben Kierkegaard gelesen, wußte aber nicht, ob Kierkegaard Sokrates richtig aufgefaßt hatte.

Der Tisch antwortete nicht gleich. Schließlich klopfte er ein »G«, ein »N« und noch andere Buchstaben.

Laut Ausspruch des Schriftführers ergaben die Buchstaben zusammen

»gnothi ceavton«.

Ein Flüstern ging um den Tisch. Der Tisch redete eine fremde Sprache! Ob es jemand wohl deuten könnte! Der blonde Jüngling konnte es. Etwas enttäuscht sagte er, daß »gnothi ceavton« wohl ein Irrtum sei, es müsse heißen: »gnothi seavton«, eine griechische Sentenz, die man Sokrates zusprach und welche genau »Kenn' dich selbst« bedeutete. Sokrates hatte auf die Frage, was »Kenn' dich selbst« bedeuten soll, die Worte ins Griechische übersetzt.

Die Mitglieder des Vereins »Eos« sahen hierin einen kräftigen Beweis für die Identität Sokrates. Der blonde junge Mann, der Kierkegaard gelesen hatte, gab zu, daß dies ja auch ein Gesichtspunkt sei, fand es aber von Sokrates sehr unrecht, eine Frage mir einer Wiederholung zu beantworten.

Die anderen Anwesenden mißbilligten seine Unzufriedenheit.

Eine zweite an Sokrates gerichtete Frage zeigte, daß dieser schon die Sitzung des Vereins »Eos« verlassen hatte. An seiner Stelle hatte sich ein Geist eingefunden, welcher behauptete »Rotherz« zu heißen, ein vor hundertfünfzig Jahren gestorbener Hurone.

Herr Wendland ergriff das Wort.

»Bist du glücklich, wo du dich jetzt befindest, Rotherz?«

»Ja, sehr glücklich!«

»Hast du einen Körper?«

»Ja, sehr guten Körper. Sehr stark! Sehr gesund! Jage gut!«

»Jagst du, wo du jetzt bist?«

»Ja! Jage viel, esse viel. Trinke viel Feuerwasser!«

»Trinkst du Feuerwasser?«

»Ja, viel Feuerwasser. Starkes Feuerwasser. Gutes Feuerwasser. Whisky!«

»Whisky? Trinkst du Whisky?«

»Ja! Viel Whisky! Sehr starken, guten Whisky!«

Herr Wendland wandte sich mit einem erstaunten, hilflosen Ausdruck in seinen milden Augen an die Vereinsmitglieder.

»Er trinkt Whisky! Komisch! Ich bin Abstinenzler. Ich dachte, daß man im Jenseits weiter fortgeschritten sei.«

Zum Geiste gewandt, wiederholte er scharf:

»Trinkst du wirklich Whisky?«

Ohne zu zögern und sehr energisch wiederholte dieser:

»Ja! Viel Whisky! Starken Whisky! Rotherz liebt Whisky! Schmeckt gut. Leben ohne Whisky traurig!«

Herr Wendland rief streng:

»Bist du wirklich der, für den du dich ausgibst? Bist du nicht ein Spottgeist? Oder sogar ein böser Geist?«

Der Tisch antwortete mit einer ganzen Reveille von Schlägen, wie betrunken tanzte er zwischen den Mitgliedern des Vereins »Eos«; plötzlich schrie Herr Wendland laut auf. Eines der Tischbeine hatte sich gut drei Zentimeter in die Luft gehoben, um dann mit aller Kraft auf seinen rechten Fuß zu fallen. Im selbigen Moment hörte der Tisch auf, sich zu bewegen. Er stand still und antwortete weder »Ja« noch »Nein« auf Herrn Wendlands Fragen. Herr Wendland trocknete sich den Schweiß von der Stirn und schob den Tisch auf seinen Platz zurück. Zu den Anwesenden sagte er:

»Zweifelsohne hatten wir es in diesem Falle mit einem Spottgeist zu tun. Aber leider – – leider ist zu befürchten, daß es ein böser Geist war?«

Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht rieb er sich die rechte Fußspitze, dann ging er wieder zur Séance über. Nach kaum zwei Minuten vibrierte der Tisch wieder durch einen neuen unsichtbaren Gast. Die Räume des Vereins »Eos« schienen geradezu überfüllt von übersinnlichen Besuchern zu sein. Als einer der letzten seinen Namen buchstabiert hatte, stand jemand halb vom Stuhle auf. Es war eine junge Dame, ein eingeführter Gast wie Furustolpe.

»Du! Bist du hier?«

Der Tisch bejahte.

»Bist du es wirklich, Eduard?«

Der Tisch wiederholte seine Versicherung.

»Willst du mir einen Beweis dafür geben, daß du es wirklich bist?«

Zum dritten Male pochte der Tisch »Ja«.

Herr Wendland sagte das Alphabet her. Langsam aber ohne Zögern buchstabierte der Tisch den Satz:

»Erinnerst du dich an den 2. September 1916?«

Das junge Mädchen griff sich nach der Stirn und rief:

»Mehr! Mehr!«

Der Tisch buchstabierte:

»Der Gasthof in Sölleröd!«

Das Mädchen starrte vor sich hin, wie suchend nach dem Platz im Zimmer, von wo aus der Unsichtbare sprach. Ohne gefragt zu sein fuhr der Tisch fort:

»Wir verpaßten den Zug. Wir mußten im Gasthof übernachten!«

»Eduard!« rief das Mädchen.

»Eduard, jetzt weiß ich, daß du es bist. Sag nichts mehr! Bist du glücklich, wo du jetzt weilst?«

Der Tisch klopfte dreimal.

»Bist du unglücklich?«

Der Tisch klopfte »Ja«.

»Warum, Eduard? Warum?«

Der Tisch antwortete nicht. Er wurde unruhig, ein Zeichen, daß er das Alphabet wünschte. Wieder begann Herr Wendland sein eintöniges Hersagen. Der Tisch buchstabierte:

»Ich bin nicht allein! Ein anderer ist mit mir hier.«

»Wer, Eduard, wer?«

Das junge Mädchen zitterte vor Eifersucht.

Mit harten Stößen antwortete der Tisch:

»Er kann selbst nicht sprechen. Er sagt: Teelemainen ist hier!«

Die Séance wurde plötzlich verwirrt. Kaum hatte der Tisch seine Mitteilung beendet, als Furustolpe leichenblaß von seinem Platz aufstand. Herr Wendland sah ihn an und fragte mit monotoner Stimme, ob er den Geist kenne, der sich Teelemainen nannte. Ehe Furustolpe antworten konnte, begann der Tisch einen neuen Hexentanz, genau so wie Rotherz! Er torkelte hin und her und hob sich schließlich einige Zentimeter. Herr Wendland zog schleunigst die Beine ein, aber seine Befürchtungen waren unbegründet. Der Tisch blieb vor Furustolpe stehen und fing an hin und her zu tanzen, wie ein ungebildeter Mensch, bevor er zuschlägt. Furustolpe stand wie versteinert. Der Tisch pochte eine Reihe von Schlägen – – – es klang wie wütende, aber erstickte Drohungen – – – Auf einmal stand er mit einem Krach still. Mit schmerzenden Armen starrten die Anwesenden Furustolpe an. Das junge Mädchen betrachtete ihn mit haßerfüllten Blicken und schluchzte:

»Eduard, Eduard, was hast du mit ihm zu schaffen. Antworte mir doch!«

Alles verblieb stumm. Der Tisch gab keine Antwort. Der letzte Taifun von Schlägen schien die Luft in den Räumen des Vereins »Eos« von Geistern gesäubert zu haben, wie ein Gewitter die Luft von Elektrizität reinigt. Nachdem Herr Wendland einige beruhigende Worte gesprochen und die Anwesenden das Protokoll des Schriftführers unterschrieben hatten, brach man auf, um zu gehen. Dem jungen Mädchen war es klar, daß Furustolpe Eduards Feind war; sie betrachtete ihn mit lodernden Blicken. Die anderen – mit Ausnahme des blonden jungen Mannes, der noch über Sokrates' eigentümliche Antwort grübelte – flüsterten miteinander und sahen ihn erschrocken an. Herr Wendland selbst, der ihm gestattet hatte, der Séance beizuwohnen, betrachtete ihn mit verwunderten, milden Augen. Einen solchen Abend hatte man sehr selten im Verein »Eos« erlebt. Ein Wiedererkennen und dann solch' eine lebhafte Manifestation – das waren wirklich keine Alltäglichkeiten! Aber über dem letzten Geschehnis lag etwas Mystisches – etwas Böses sozusagen. – –

Furustolpe raffte sich aus seiner Erstarrung auf und ging zu Herrn Wendland.

»Ich möchte gerne mit Ihnen sprechen, Herr Wendland.«

Herr Wendland nickte und ließ die anderen hinaus. Dann kam er mit kleinen, diskreten, trippelnden Schritten zurück, wie ein junger Geistlicher, der sein erstes Beichtkind empfängt. Furustolpe räusperte sich.

»Ja, hm – – ich wollte sagen, daß der größte Teil von dem, was ich heute abend hier hörte, nicht sehr großen Eindruck auf mich gemacht hat!«

Herr Wendland hob gekränkt den Kopf.

»So, das kann ich nicht verstehen. Ein Geist wurde von seiner Braut erkannt – – – –«

»Ja, ich weiß schon; aber Sokrates – – und der Indianer – – –«

Herr Wendland neigte sich nach vorn und unterstrich seine Worte durch Handbewegungen:

»Herr Furustolpe! Sie sind noch ein Neuling in diesen Dingen. Was Sie heute abend hier miterleben durften, nenn' ich eine gute Séance – – eine sehr gute Séance sogar! Das Benehmen einiger der anwesenden Geister verblüfft – ja, befremdet Sie sogar! Über Sokrates will ich mich nicht äußern – – denn dazu stehe ich dem seelischen Leben der Antike zu fremd gegenüber – –« Herr Wendland strich seinen Spitzbart. »Über den Geist aber, der sich Rotherz nannte, kann ich mich mit desto größerer Bestimmtheit äußern. Nach seinen ersten Antworten schöpfte ich einen Verdacht, der immer stärker wurde. Dieser Geist sprach von Whisky. Sollte ein Toter sich offen seines Konsums alkoholischer Getränke rühmen? Nein, nein, sagte ich mir, das ist nicht gut möglich! Darum fragte ich auch: ›Bist du der, für den du dich ausgibst? Bist du nicht ein Spottgeist – ein böser Geist?‹ Sie haben selbst die Antwort miterlebt. Der Geist handhabte den Tisch in einer Weise – –« Herr Wendland rieb sich mit verzerrtem Gesicht die rechte Fußspitze, »in einer Weise, die an diabolischer Tücke nichts zu wünschen übrig ließ.«

Furustolpe staunte ihn mit offenem Munde an.

»Sie glauben also, daß es Teufel gibt?«

Herr Wendland schüttelte den Kopf.

»Nein! Keine Teufel, aber böse Wesen – böse Geister.

Sie müssen eins bedenken, Herr Furustolpe – – – etwas, das uns alle unsere Forschungen lehren, wenn wir aus diesem Leben scheiden, wachen wir genau so auf, wie wir einschliefen! Wir werden weder Engel noch Teufel. Wir existieren weiter mit genau denselben Veranlagungen und Neigungen, die wir während unseres Lebens entwickelt oder erworben haben. Wir haben nur keinen Körper mehr und das macht uns gleichzeitig schwächer und stärker. Schwächer, weil wir uns nicht direkt mit den Lebenden verständigen können, und stärker, weil wir nicht gebunden sind an die Materie und ihre Gesetze. Aber die Anlagen, die Tugenden und Laster, die wir hatten, als wir einschliefen, die haben wir noch, wenn wir aufwachen; deshalb gibt es gute und böse Geister.«

»Es gibt also böse Geister?«

»Ganz gewiß!«

»Haben Sie,« Furustolpe neigte sich mit leuchtenden Augen zu Wendland, »haben Sie Beweise dafür gesehen?«

»Ach ja, Sie sahen ja heute abend. Und sonst – ach ja – viele. – Leider! Wenn wir nur alle so lebten, wie wir sollten! Aber – leider ist es nicht der Fall!«

»Glauben Sie,« Furustolpe hauchte fast, »glauben Sie, daß jemand, der im Leben einen Menschen haßte, ihm noch vom Jenseits aus nach dem Leben trachten kann?«

»Ja; aber gewiß!«

»Glauben Sie zum Beispiel, daß er den Inhalt zweier Flaschen, von denen die eine Gift enthielt, vertauschen könnte, um seinen Feind umzubringen?«

»Ja – – – das heißt – – –« Herr Wendland strich seinen Bart. – – – »Ich kenne ja nicht gerade einen solchen Fall, aber soweit ich es verstehe, würde kein Forscher die Möglichkeit zu bestreiten wagen. Podgers erzählt in seinem Buch: ›Das Jenseits‹ wunderbare Sachen von den materiellen Kräften der Geister. Einige Forscher, die in einem Landhaus versammelt waren, verlangten, daß der Geist einen Pelzmantel und einen Teller holen solle, die sich in einer Wohnung in der Stadt befanden. Im nächsten Augenblick fiel der Teller mit einem Krach auf den Tisch und zerbrach in tausend Scherben und der Pelzmantel lag über einem Stuhl, aber die Haare waren angesengt von der Geschwindigkeit, womit er transportiert worden war.«

»Ist das wirklich wahr?«

»Vollständig wahr! Podgers gibt Namen, Adressen und Daten an. Weiter spricht er von anderen Sachen, die ganz überzeugend und mindestens ebenso seltsam sind. Ein Mann, der an einer Séance teilnahm, ein Ungläubiger, spottete und höhnte offen die Geister. Plötzlich hagelten Faustschläge durch die Luft, er wurde umgeworfen und verprügelt, bis er laut um Gnade schrie! Myers hat gesehen, wie eine Person von Geistern aus einem Fenster im dritten Stock hinausgehoben und durch ein anderes Fenster hereingetragen wurde. Sechs Personen, darunter drei hervorragende Gelehrte, waren bei diesem Ereignis anwesend und sahen es mit eigenen Augen. Und – – – wenn die Geister das können, warum wäre es ihnen dann nicht möglich, den Inhalt zweier Flaschen zu vertauschen. Ich frage: Warum denn nicht?«

Furustolpe zögerte mit der Antwort.

»Und alles das ist bewiesen?«

»Ja, vollständig!«

»Ich habe aber doch noch nie etwas Derartiges gehört.«

Herr Wendland winkte mit seiner kleinen Hand.

»Haben Sie sich früher mit übersinnlichen Dingen beschäftigt? Haben Sie früher schon einmal einer Séance beigewohnt? Die Welt verhöhnt uns, wie sie zu allen Zeiten die Wahrheit verhöhnt hat. Derartige Dinge – und noch viel seltsamere – passieren täglich, und wir zeugen davon, aber die Welt will unser Zeugnis nicht hören!«

Furustolpe stützte den Kopf in die Hände und dachte nach. Wendlands Worte erhellten seinen Geist wie flammende Blitze. Er war geblendet. Er wollte und wollte doch nichts glauben.

»Aber heute abend,« wiederholte er.

»Ja.«

»Heute ist nichts derartiges passiert!«

»Wie können Sie, ein erwachsener Mensch, verlangen, daß Sie bei Ihrer ersten Séance das erleben, worauf Forscher oft monatelang warten müssen? Glauben Sie, daß Sie an die Geister Forderungen stellen können? Und wenn Sie es nicht schon vergessen haben – – – zwei Manifestationen geschahen, von denen die eine reichlich energisch war, und wie es mir schien – – an Sie gerichtet!«

Furustolpe zitterte.

»Ja, aber sie sprachen – – – so – – – so komisch – – –«

Herr Wendland stand verletzt auf. Furustolpe nahm ihn am Arm und sagte:

»Warten Sie! Ich muß Sie noch etwas fragen!! Können die Geister nur durch Tische reden?«

Herr Wendland sah den Eifer in seinen Augen und wurde wieder versöhnt.

»Nein, sie können sich auch auf andere Weise bemerkbar machen; durch automatische Schrift und durch Medien!«

»Glauben Sie – – – glauben Sie, daß ein Geist durch das Telephon sprechen kann?«

Herr Wendland starrte ihn unsicher an. Furustolpe sah aus, als ob er es wirklich ernst meinte.

»Hm. Es ist zwar noch nicht bewiesen, daß ein Geist diese moderne Einrichtung benutzt hat. Beckett allerdings erzählt von einer Séance in einem Landhaus, wo einer der Gäste aus Hohn verlangte, telephonisch angerufen zu werden. Es war mitten in der Nacht und das Amt geschlossen. Nichtsdestoweniger fingen die Telephonklingeln wie rasend an zu läuten. Der Mann, der den Anruf verlangt hatte, ging an den Apparat und nahm den Hörer ab, aber da sprang ein langer blauer Funke aus dem Apparat, so daß er den Hörer vor Schreck fallen ließ. Trotzdem hörte er im Telephon ein gellendes Hohnlachen; sicherlich war es ein Spottgeist – – – vielleicht ein böser Geist, der auf diese Weise seine Macht zeigen wollte. Jedenfalls steht dieses Faktum fest.«

»Der Mann hörte keine Worte am Telephon?«

»Nein, keine direkten Worte?«

»Ich – – –« Furustolpe zögerte, aber schüttelte hastig sein Zögern ab – – – »ich dachte – – – ich hörte wunderliche Worte im Apparat.«

Herr Wendland richtete sich im Stuhl auf.

»Geisterworte? Meinen Sie es wirklich?«

»Ja! Ich weiß nicht. – Aber sonst wüßte ich nicht, was es sein könnte!«

Furustolpe begann geläufig zu reden. Auf seinen Wangen brannte hektische Röte. Seine Stimme sang wie der Wind im herbstlichen Tannenwald. Herr Wendland hatte es schwer, ihn zu verstehen, und ein paarmal mußte er seine Worte wiederholen.

»Kann etwas Derartiges möglich sein? Sagen Sie es mir doch, denn ich bin zu Ihnen gekommen, um mir Klarheit zu verschaffen. Ich frage Sie auf Ehre und Gewissen: kann es möglich sein?«

»Herr Furustolpe,« sagte Herr Wendland mit noch gedämpfterer Stimme als sonst, »wenn man sich, wie ich, jahrelang mit okkulten Dingen beschäftigt hat, dann lernt man das Unmögliche einsehen, und man muß es auch vor den Menschen bekennen. Die Geister leben ein reicheres und mächtigeres Leben als wir! Warum soll sich nicht ein Geist ebensogut eines Telephonapparates wie eines Tischbeines als Medium bedienen? Was ist wohl in höherem Grade dazu geeignet, ein Ausdrucksmittel zu sein, ein Tischbein oder ein großartig entwickelter Sprechapparat? Nichts in Ihren Erzählungen scheint mir die großartigen Phänomene zu übertreffen, welche die okkulten Forscher seit Jahr und Tag festgestellt haben und immer weiter feststellen.

Wir leben in der Zeit der Zeichen! Sind Sie – hm – noch anderen Dingen ausgesetzt worden?«

Furustolpe begann von neuem. Er schilderte die Vergiftungsgefahr und das Fieber. Er deutete die Träume an, mit denen er im Fieber gekämpft hatte. Das Salvarsan beschrieb er ganz einfach als eine Arznei. Herr Wendland nickte nur und murmelte Namen: Podgers, Beckett, Myes, Lodge. Schließlich sagte Furustolpe heiser:

»Und dann, wie Sie schon sagten – heute abend!«

Herr Wendland richtete sich im Stuhl auf.

»Ja, heute abend! Eine wunderliche Manifestation! Allem Anschein nach an Sie gerichtet! Bevor sie kam –«

Er zögerte.

»Bevor sie kam, wurde ein Name genannt; wenn ich nicht irre, ein finnländischer Name. Ist Ihnen dieser Name bekannt?«

Furustolpe senkte den Kopf in den Bart. Es dauerte lange, bis er antwortete.

»Oh, ja, ich kenne ihn.«

»Darf – – – darf ich fragen – – – war es einer Ihrer Freunde?«

»Nein – – – kein Freund; nur jemand, den ich kannte!«

»Und der ist tot?«

»Ja, er ist tot.«

Die Schleuse von Furustolpes Beredsamkeit schloß sich plötzlich.

»Starb er unerwartet?«

»Ja–a.«

»Ist es für Sie eine schmerzliche Erinnerung?«

Furustolpe nickte bejahend.

»Aber es war ja nur eine flüchtige Bekanntschaft!«

Furustolpe zögerte. Herr Wendland sah ihn so forschend an. Er kannte Herrn Wendland noch nicht genügend, um sich ihm ganz zu offenbaren. Er faßte einen Entschluß.

»Jawohl, es war nur ein flüchtiger Bekannter – aber – ich war ja anwesend, als er starb – und ich weiß, daß er starb, bevor er seine Wünsche erfüllt sah. Ich weiß nichts von diesen Dingen und ich bin nicht klüger, als daß ich zu Ihnen komme, um Sie zu fragen: glauben Sie, daß er es ist, der mir nachstellt?«

Herrn Wendlands Blick hatte sieben Schleier, als er antwortete.

»Aber aus dem, was Sie mir erzählt haben, sehe ich keinen Anlaß, daß er Sie hassen sollte oder gar verfolgen!«

Furustolpe hob entschlossen den Kopf, er wollte ganz die Wahrheit sagen.

»Ich will Ihnen alles ganz aufrichtig sagen, Herr Wendland. Er hatte keinen Grund, mich zu hassen! Nein, wahrhaftig nicht. Aber ich – – – vergriff mich an ihm – – – und – – – und wir gerieten in Streit und da versuchte er mich zu erstechen!«

»Erstechen! Er wollte Sie ermorden?«

»Ja, das wollte er! Aber bevor er es tun konnte, erreichte ihn der Tod. Wir wissen nicht Tag und Stunde, so steht es ja geschrieben. Glauben Sie nur nicht, daß ich es war! Nein! Nein! Er starb durch einen Unglücksfall. Jetzt frage ich Sie nun: Ist er es wohl, der hinter mir her ist?«

Herr Wendland schaute sinnend auf seinen Gast, dessen Augen leuchteten und dessen Wangen glühten. Welch eine seltsame Geschichte. Na ja, man hörte oft merkwürdige Dinge von den Ländern da oben! Im Grunde war es ja nicht an ihm, zu richten. Ein Mensch bat ihn um Rat; es war seine Pflicht, zu helfen.

Ein achter Schleier umflorte seinen Blick, als er sagte:

»Ich habe Ihnen schon geantwortet. Sie fragten mich theoretisch, ob ich an gewisse Manifestationen glaubte und ich antwortete theoretisch »ja«. Die Einzelheiten, die Sie mir erzählt haben, ändern nichts an meiner Antwort, sondern unterstreichen sie nur! Die Forschungen haben uns gelehrt, daß Anhänglichkeit, Liebe und Interesse für die Hinterbliebenen auch jenseits des Grabes fortleben. Es erscheint allerdings, als ob die bösen Geister durch den Tod in gewissem Grade geläutert werden, aber es ist ebenso gewiß, daß die persönliche Schlechtigkeit im Jenseits weiterlebt, wie die Güte. So gibt es Geister, die vom Jenseits mit Anhänglichkeit und Liebe denen folgen, die sie verlassen haben; andererseits muß es Geister geben, die mit Haß und bösen Wünschen diejenigen verfolgen, die sie im Leben haßten.«

Furustolpe starrte Herrn Wendland an.

»Ja? Ja? Sie meinen wirklich, daß es sich so verhält?«

Er zerrte an seinem Bart.

»Ich habe mir etwas Derartiges gedacht, obwohl ich es nicht glauben wollte! Er wollte mich ermorden! Das streitet ja wider alle Vernunft. Ich kann es kaum glauben!«

»Die Vernunft,« meinte Herr Wendland, »ja, so nennt man die Scheuklappen, die der Materialismus uns Abendländern vorgebunden hat. In Indien, in dem großen und weisen Indien, belächelt man uns und unsere Vernunft!«

Furustolpe rief mit einer Stimme, in der Erbitterung und Verzweiflung kämpften:

»Was soll ich denn anfangen? Was? Wenn ein lebender Mensch einem etwas antun will, zeigt man ihn bei der Polizei an. Aber was macht man mit einem Toten? Ein Toter – das ist ja wahnsinnig! Ein Toter – – – nein, ich kann es nicht glauben!«

»Glauben Sie,« sagte Herr Wendland, »und sagen Sie: ›Helfen Sie mir in meinem Unglauben!‹ Glauben Sie, seien Sie nicht wie diejenigen, die nicht glauben, selbst wenn die Toten auch auferstehen und Zeugnis ablegen würden!

Es ist ganz klar, was Sie machen müssen! Sie müssen sich in Verbindung mit Ihrem Feind setzen!«

»In Verbindung!« Furustolpe rief es fast verächtlich. »Das habe ich ja schon getan! Kam ich nicht deswegen heute Abend hierher? Sagte nicht Ihr Tisch, daß er hier war? Er war hier! Und wie hat er sich benommen? Haben Sie es nicht gesehen? War er es nicht, der den Tisch gegen mich schüttelte? Genau, als ob er mich schlagen wollte. Was meinen Sie?«

Herr Wendland nickte ernst.

»Ohne Zweifel war er es. Aber das hindert nichts daran, daß Sie es machen sollen, wie ich Ihnen sagte! Sie sollen nicht eine Séance wie heute abend versuchen, Sie müssen sich an ein Medium wenden!«

»Ein Medium?!« Furustolpe fuhr zurück, als ob Herr Wendland ihm vorgeschlagen hätte, die Klapperschlangen im Zoologischen Garten um Beistand zu bitten.

»Ja ein Medium ist in diesen Dingen für den Hilfesuchenden das, was das Fernglas für den Astronomen ist. Es bringt die Unendlichkeit näher. Durch das Medium können wir mit den Geistern sprechen, ja manchmal sie sogar sehen!«

Furustolpe starrte ihn mit offenbarem Mißtrauen an.

»Sind denn die Medien nicht Betrüger?«

Herr Wendland stand tief verletzt auf.

»Warum fragen Sie nicht, ob ich ein Betrüger bin? Warum behaupten Sie es nicht? Obwohl ich mich bei weitem nicht großer Gaben rühmen kann, so habe ich doch auch auf diesem Gebiete etwas geleistet!«

»Sie? Sie sind ein Medium? Davon hatte ich ja keine Ahnung!«

»Ich verstehe! Leider ist es nicht zu leugnen, daß sich auch in unsere Kreise Betrüger hereingeschlichen haben! Leider sind einige der bekanntesten Medien entlarvt worden, wie man es so nennt. Aber es zeugt von sehr wenig Verständnis, wenn man dann behaupten würde, daß alle Medien Betrüger sind!«

Furustolpe beobachtete seinen sanftmütigen Gastgeber lange. Man sah ihm seine Gedanken so deutlich an, daß er kaum angefangen hatte zu sprechen, als ihn Herr Wendland unterbrach:

»Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Sie haben mir Ihr Innerstes eröffnet und soweit es in meiner Macht steht, will ich Ihnen gern helfen. Aber heute abend bin ich müde. Die Séance war voller Sensationen!« Er rieb sich die Fußspitze. »Die Arbeit, die Sie von mir wünschen, erfordert Überlegung und Fasten!«

Furustolpe verbeugte sich linkisch.

»Sie dürfen sich nicht zu sehr anstrengen, Herr Wendland. Heute haben wir Sonnabend. Kann ich vielleicht am Dienstag zu Ihnen kommen?«

Herr Wendland nickte, sein Blick war abwesend, als finge er schon an, seine Seele dorthin zu versetzen, wo die Geister weilen; mit einem Turban auf dem Kopf hätte er einem Maharadscha geähnelt.

»Am Dienstag?« sagte er.

*

Der Dienstagabend war bewölkt und schwül. Furustolpe ging wiegenden Schrittes den Gammel Kongevej entlang. Eine elektrische Bahn hätte ihm beinahe die Mühe erspart, sich eines Mediums zu bedienen, wenn er mit den Toten in Verbindung kommen wollte. Er rettete sich im letzten Moment, gefolgt von den Flüchen des Führers. Ein Radler, den er zu einer lebensgefährlichen Wendung zwang, stimmte in dessen Scheltworte ein. Nur wie durch einen glücklichen Zufall kam unser Held heil in Nr. 112 an.

Herr Wendland selbst öffnete ihm die Tür. Er stutzte und zog tief den Atem ein, als Furustolpe ihn begrüßte.

»Sie haben getrunken!« rief er voller Abscheu.

Furustolpe wollte dies bestreiten, fand aber nicht die Worte dazu.

»Ja, ich kann nicht leugnen – – –«

»Finden Sie, daß dies ein passender Zustand ist – – –«

»Ich fürchte mich! Sie wissen doch, wie sich der Tisch neulich benahm! Wer weiß, was er heute anstellen wird!«

Herr Wendland führte seinen Gast mit gerunzelter Stirne ins Zimmer. Er setzte sich auf denselben Stuhl, wo er das letzte Mal gesessen hatte und betrachtete Furustolpe ernst.

»Sie wissen, daß ich Abstinenzler bin – – – still, sagen Sie nichts! Wenn Ihr Fall mich nicht interessierte, so würde ich Sie bitten, wieder zu gehen. Aber jetzt können Sie bleiben?«

Er schwieg einen Augenblick. Furustolpe wollte sich verteidigen, aber eine Handbewegung machte ihn verstummen, und er versuchte krampfhaft seine Blicke auf Herrn Wendlands Gesicht zu richten.

Herr Wendland begann wieder mit gedämpfter Stimme: »Ich glaube kaum, daß ich Sie beleidige, wenn ich behaupte, daß Sie in geistigen Dingen ein vollkommner Laie sind. Bevor ich mich jedoch in Trance setze, möchte ich Ihnen eins sagen: Wenn ich mich in Trance befinde, ist es nicht der Geist, den Sie sprechen wollen, der sich einstellt und aus meinem Munde spricht, sondern es ist ein Kontrollgeist. Wenn ein Medium sich in Trance befindet, d. h. wenn es den persönlichen Gebrauch seines Gehirns und seiner Glieder aufgegeben hat, dann kommt der Kontrollgeist, spricht durch den Mund des Mediums und benützt dessen Körper, als ob es sein eigener wäre. Haben Sie verstanden?«

Furustolpe löste seinen Blick von einem kleinen Buddhabildnis, das an Herrn Wendlands Uhrkette saß und antwortete hastig »Ja«.

»Gut. Mein Kontrollgeist heißt Posch. Bei Lebzeiten war er Juwelier in Krakau. Das macht, nach dem was man mir gesagt hat, seinen Dialekt etwas schwer verständlich. Aber Sie werden ihn schon verstehen. Also – Posch redet mit Ihnen: Vergessen Sie das nicht. Wenn Posch Sie mit dem Geist, den Sie zu sprechen wünschen, in Verbindung setzen kann, so macht er es auch, sonst müssen wir den Versuch wiederholen.«

Furustolpe kniff das eine Auge zu und dachte nach.

»Sie sagten, daß – – – wie hieß es doch gleich – – – daß Posch mit mir spricht – – – nicht der andere?«

»Nein! Posch ist sozusagen Dolmetscher zwischen Ihnen und den Übersinnlichen. Sie hören Poschs Stimme. Wenn Posch die Verbindung mit dem anderen herstellen kann, so teilt er Ihnen mit, was der andere zu sagen hat. Verstehen Sie?«

Furustolpe antwortete mit gerunzelter Stirne:

»Ja.«

»Gut! Hier haben Sie Papier und Bleistift. Sie schreiben alle Fragen und Antworten auf. Vergessen Sie nicht, daß ich von dem, was passiert, nichts weiß, nachdem die Trance eingetreten ist. Sind sie fertig? Dann fange ich an!«

Herr Wendland fing an, sich die Schläfe und Handgelenke zu streichen. Er schien durch die Portieren des Zimmers zu schauen. Seine Pupillen wurden immer kleiner. Plötzlich wurde er starr wie ein Toter. Furustolpe machte eine unfreiwillige Bewegung. Aber ehe er Wendland zu Hilfe kommen konnte, fing dieser an, den Mund zu bewegen und eine fremde, krächzende Stimme sprach:

»Chr … Guten Abend. Ja hier ist Posch aus Krakau, Juwelen, Gold und Silber – scheene Ware, sehr billig, ahbah, sehr billige Preise! Brauchen se was zu benetigen?«

Furustolpe, der mit zitternden Fingern den Bleistift ergriffen hatte, ließ ihn fahren. War es ein Geist, der sprach? Er war auf allerhand vorbereitet gewesen, aber nicht auf etwas Derartiges. Er hatte sich immer einen Geist wie eine weißgekleidete Gestalt mit einem Palmenzweig in der Hand vorgestellt. Herrn Wendlands Unterricht hatte ja diese Vorstellungen etwas modifiziert und die Séance des Vereins »Eos« hatte ihm gelehrt, daß es auch Spottgeister und böse Geister gibt. Aber jetzt sprach doch ein guter Geist – – – ein Kontrollgeist. Führte der eine derartige Sprache? Herrn Wendlands Gesicht zuckte zusammen. Er verzog den Mund zu einem freundlichen Grinsen, er schlug mit den Händen aus. Die Stimme krächzte weiter:

»So ist es. – Posch weiß schon, was er sagt. Wer zerrt mich am Arm? Wer bist du? Was sagst du?«

Furustolpe hörte kaum mehr zu. Plötzlich wurde er aufmerksam.

»Chr … Ein rotbärtiger Mann, hat grüne Augen, hat eine Warze an der Stirn und eine Wunde. Sein Name beginnt mit einem ›T‹. Er war Seemann, ist im Meer ertrunken. Aber zuerst schlug ihn jemand – – wollte ihn ermorden. Chr … Was sagst du?«

Furustolpes Gleichgültigkeit war verschwunden. Er starrte Herrn Wendland an, der das Ohr nach oben drehte, wie um besser zu hören, was der Unsichtbare ihm sagte. Er fletschte die Zähne wie ein knurrender Hund. Jetzt begann der Wortschwall von neuem.

»Chr … Gut. Und was sagst du? Die Kajüte wankt, die Lampe blakt, auf dem Tisch steht eine Flasche. Zwei Personen trinken. Eine Person hebt die Flasche – schwere Flasche – runde Flasche. Die Flasche fällt. Jetzt keine Warze mehr zu sehen – nur große Wunde. Viel Blut fließt, Likör vermengt sich mit dem Blut. Das Deck wankt – das Messer blinkt, wer wird gestraft werden? Der Mörder aus der Kajüte! Ritsch! Das Messer geht daneben. Ritsch! Ritsch! Das Deck wankt, das Messer blinkt, der Mörder ist nicht gestraft. Das Opfer ist ertrunken!«

Herrn Wendlands Stimme kam schleppend aus seinem verzerrten Mund. Furustolpe zitterte mit jedem Nerv. Herr Wendland zog die Brauen zusammen. Wieder kam ein Wortschwall.

»Was sagst du? Gut, er soll wissen, daß du es bist! Darum soll Posch sagen, ›denk an die 10 000 Mark‹; die 10 000 Mark für die Überfahrt! Du hast ihn darum betrogen! Denk daran! Du hattest 14 000 Mark und 500 Rubel. Denk an die 10 000 Mark. Nicht deutsche Mark, was sagst du? Finnische Mark! Vergiß nicht. Er ist hier, den du ermorden und betrügen wolltest. Was sagst du? T – – ich verstehe nicht, Tel – – Telmain – – Chr … gut. Teelemainen ist hier, verstanden?«

Furustolpe zitterte wie Espenlaub. Wie durch einen Nebel sah er die Szene in der Kajüte, sah die Warze an Teelemainens Schläfe – die Flasche fiel – – er sah alles wie durch einen blutroten Schleier. Konnte es wahr sein, daß Teelemainen hier im Zimmer war, unsichtbar und voller Haß, dürstend nach Rache? Die Stimme aus Herrn Wendlands Mund beantwortete seine unausgesprochene Frage.

»Chr … Hast du verstanden? Teelemainen ist hier! Teelemainen spricht durch Posch. Selbst kann er nicht sprechen. Er ist tot; aus der Wunde an seiner Stirn fließt das Blut. Was sagst du? Gut! Ich werde es sagen!«

Furustolpe zitterte am ganzen Körper. Die krächzende Stimme war nicht mehr lächerlich, sie war erschreckend; es war ihm, als hörte er die Tore des Grabes ächzen. Was würde er jetzt zu hören bekommen? Sollte er wirklich eine Botschaft erhalten, aus dem geheimnisvollen »Jenseits«, wohin die Blicke der Lebenden starrten und ihre Ohren in spannungsvoller Erwartung lauschten, aber von wo nie ein Wort oder ein Gesicht erschien?

Die Stimme sagte: »Dieses sagt Teelemainen: Posch spricht für Teelemainen. Der Tod ist düster, er ist nicht leicht. Die Toten, die schlecht sind, werden unglücklich. Teelemainen war schlecht, Teelemainen hat den Mann verfolgt, der ihn ermorden wollte. Teelemainen wollte ihn strafen; Teelemainen bereut. Teelemainen will nicht mehr schlecht sein, Teelemainen will nicht mehr verfolgen. Der Mann, der Teelemainen ermorden wollte, soll Ruhe haben, aber erst soll er sagen: ›Ich bereue, daß ich Teelemainen ermorden wollte, ich bereue, daß ich ihn um die 10 000 Mark betrog, die ich ihm vor seinem Tode versprach! Ich will damit Teelemainen ein Grab machen? Dann bekommt Teelemainen Ruhe, dann bekommt der andere Ruhe.‹ Chr … was sagst du? Ist das alles? Alles!«

Die krächzende Stimme röchelte, Herr Wendland drehte den Kopf nach rechts und links, als ob er nach einem verschwundenen East ausspähte. Das verzerrte Gesicht wurde ruhiger. Die hochgezogenen Schultern sanken hinab in ihre normale Lage. Die Handflächen waren nicht mehr nach oben gedreht. Noch einige Worte in dem krächzenden Dialekt:

»Chr … Verschwunden. Ja – – so ist es. – Wer ist da? Junger Mann, schwarze Haare – – Soldat – Chr. – – Nein, Posch will – – –«

Mit einmal waren Poschs Züge in Herrn Wendlands Gesicht verschwunden, wie eine Kreidezeichnung auf einer schwarzen Tafel, die mit einem Schwamm weggewischt wird. Herr Wendland saß wieder im Stuhl mit einem schläfrigen Blick in seinen milden blauen Augen. Er sah Furustolpe an, als ob er ihn nur mit Schwierigkeit erkenne. Dann erhellte sich seine Miene.

»Na,« sagte er.

Furustolpe antwortete nicht – – er war noch halb betäubt.

»Bekamen Sie Anschluß?«

»Ja, das glaube ich!«

»Sind Sie nicht überzeugt? Gab der Geist keinen Beweis seiner Identität?«

»Oh, doch, das kann ich wohl behaupten!«

»Sie sehen so merkwürdig aus! Sind Sie erschrocken?«

»Es war – – es war sehr eigentümlich!«

»Natürlich ist es eigentümlich, mit dem Übersinnlichen in Verbindung zu kommen! Das hatten Sie ja vorausgesehen – – hm – – und Sie hatten sich ja – – hm – – Mut angetrunken, bevor Sie herkamen!«

Furustolpe errötete. Der Whisky hatte seine moralische Kraft verloren, aber er merkte selbst, daß der Duft noch nicht schwächer geworden war.

»Sagen Sie mir,« sagte er, »war es ganz bestimmt ein Geist, der sprach?«

Herr Wendland, der sich über die gelungene Séance gebrüstet hatte, wurde plötzlich steif und betrachtete ihn kalt.

»Was meinen Sie?«

»Der Geist sprach so merkwürdig – – gar nicht wie man sich einen Geist vorstellt, sondern vielmehr wie ein Schacherjude.«

Herrn Wendlands Blick wurde eiskalt, und er richtete sich in seiner ganzen Länge auf.

»Herr Furustolpe, ich muß sagen, daß Ihnen die richtige Auffassung für geistige Dinge noch total fehlt! Sie glauben zu wissen, wie sich ein Geist zu benehmen hat! Aus Ihrer eigenen Unkenntnis oder vorausgefaßten Meinung heraus konstruieren Sie ein Schema, welches die Geister zu befolgen haben, wenn Sie Ihnen glauben sollen! Zum hundertstenmal vergessen Sie eins: wir wachen genau so im Jenseits auf, wie wir hier einschliefen! Es gibt dumme, törichte, schwatzhafte Geister, genau so wie es dumme, törichte, schwatzhafte Menschen gibt. Ich weiß, daß mein Kontrollgeist etwas eigentümlich spricht, aber das ist ja verzeihlich, da er bei Lebzeiten Juwelier in Krakau war – – aber darum ist er ein ebenso guter Kontrollgeist, wie jeder andere! Ein weltberühmtes Medium hat ein kleines Indianermädchen als Kontrollgeist, ein anderes ein ungelehrtes Negerweib. Ich in meiner Bescheidenheit bin mit Posch ganz zufrieden, obwohl Sie es nicht zu sein scheinen! Jetzt frage ich Sie auf Ehre und Gewissen: gab der Geist, der durch Posch mit Ihnen redete, einen überzeugenden Beweis seiner Identität, oder nicht? Erinnerte er Sie an Begebnisse, von denen nur er und Sie wußten, oder nicht?«

Furustolpe nickte schwerfällig.

»O ja?«

»Und was verlangen Sie denn eigentlich noch mehr? Sie haben keine Notizen gemacht von dem, was der Geist Ihnen sagte? Haben Sie es vergessen, oder waren die Dinge, die der Geist Ihnen sagte, derart, daß Sie es lieber nicht zu Papier bringen wollten?«

Herr Wendland hatte sich in wirkliche Aufregung geredet. Er war von der Mißachtung, welche Furustolpe seinem Kontrollgeist gezeigt hatte, aufs tiefste gekränkt. Seine Augen blickten durchbohrend auf Furustolpe, als er die letzte Andeutung aussprach. Furustolpe erbleichte und stand auf, ohne zu antworten.

»Wieviel,« stammelte er, »bin ich – – –«

»Fünfzig Kronen, die in die Kasse des Vereins ›Eos‹ gehen. Danke. Leben Sie wohl, Herr Furustolpe und hören Sie auf einen guten Rat: Spielen Sie nicht mit der Geisterwelt und versuchen Sie nicht, ihr Vorschriften zu machen. Hören Sie auf mich! Sie ist die wirkliche Welt! Unsere Welt ist nur eine Scheinwelt! Wir sind Spielbälle der übersinnlichen Mächte!«

Furustolpe taumelte die Treppen hinunter. Zehntausend Mark! Sollte er zehntausend Mark opfern, um seine Ruhe zu bekommen! Fleisch und Blut sträubten sich gegen diesen Gedanken. Poschs Stimme hatte eine vergessene Wirklichkeit ins Leben gerufen: Eine Flasche fiel; aus einer Wunde floß Blut. Derjenige, der dieses beschrieben hatte, mußte sein Wissen aus guter Quelle geschöpft haben … Was hatte Herr Wendland zuletzt gesagt? Spielen Sie nicht mit der Geisterwelt, machen Sie ihr keine Vorschriften! Wir sind nur Spielbälle der übersinnlichen Mächte!«

Aber zehntausend Mark … An der Ecke von Gammel Kongevej und Vesterbrogade kam unserm Helden ein versöhnender Gedanke: die finnische Mark fiel seit einiger Zeit ununterbrochen: zehntausend Mark waren nicht mehr so viel, wie damals.

Furustolpe blickte scheu gen Himmel, als ob er fürchtete, daß ein gewisses unsichtbares Wesen seine Gedanken lesen und den Preis erhöhen würde. Er hatte seinen Entschluß noch nicht gefaßt, aber er ahnte ihn schon. Er wußte auch schon, daß er Stangeland und Petersson nichts davon verraten konnte.


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