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Achtes Kapitel.
Worin bewiesen wird, daß der Frieden auf Erden nie von Dauer ist

Furustolpe hatte Ruhe bekommen.

Er hatte Fleisch und Blut besiegt, denen es eine Torheit erschien. Er hatte es Stangeland, den es geärgert hätte, verheimlicht; er hatte Teelemainens Schatten zehntausend Mark geschenkt, und von dem Augenblick an hatte er Ruhe. Alle mystischen Ereignisse, harmloser und lebensgefährlicher Art, hatten aufgehört. Selbst seine Seele hatte Frieden bekommen. Er fühlte sich wie ein Mann, der spät in eine hohe Lebensversicherung eingetreten war – – – wie ein Mann, der seine Pflicht getan hatte. Es war eine schmerzliche, schwerverständliche Pflicht. Manchmal fühlte er etwas wie Reue, wenn er daran dachte, was zehntausend finnische Mark trotz des schwachen Kurses bedeuteten. Augenblicke, wo er, wäre ihm genügende klassische Bildung geschenkt gewesen, mit Wehmut an die Schatten der Antike gedacht hätte, die sich mit einem einzigen Obulus begnügten für die Fahrt über den Styx. Aber solche Augenblicke waren selten und kurz. Furustolpes Stimmung konnte man am treffendsten mit dem schönen Wort »friedlich« bezeichnen.

Doch sein Entschluß und sein Opfer hatten etwas anderes zur Folge. Sein Interesse für das geheimnisvolle »Jenseits« nahm zu. Es lag nicht nur daran, daß er ökonomische Interessen in der Welt der Schatten hatte, nein, die Séance bei Herrn Wendland hatte einen reinen Wissensdurst in ihm erweckt, der nach Antwort, nach Licht rief. Einige Tage, nachdem er sein Opfer gebracht hatte, ging er wieder zu Herrn Wendland.

Herr Wendland empfing ihn sehr kühl.

»Sie, der Sie der Geisterwelt Vorschriften machen wollen – – – Sie kommen wieder? Sie, der Sie sich einbilden, zu wissen, wie ein Geist reden soll oder nicht! Glauben Sie vielleicht, daß ich mir einen anderen Kontrollgeist angeschafft habe? Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß es immer noch Posch ist!«

Furustolpe murmelte, daß Posch nichts zu wünschen übrig ließe.

»Sie dürfen doch nicht böse sein, wenn ich mich auch etwas dumm ausdrückte. Ich bin doch nicht gewöhnt, mich mit geistigen Dingen zu beschäftigen, wie Sie es nennen!«

»Wie ich es nenne! Und wie nennen Sie es? Sind es nicht geistige Dinge?«

»Natürlich rechne ich es auch zu den geistigen Dingen, und habe ich nicht bewiesen, daß ich es ernst nehme, wo ich zehntausend Mark geopfert habe für etwas, was Ihr – – Kontrollgeist verlangte!«

Herr Wendland öffnete die Augen – – und auch die Türe seiner Wohnung.

»Zehntausend Mark?«

»Jawohl zehntausend finnische Mark für ein Werk, das der Kontrollgeist verlangte!«

»Ein Werk der Mildtätigkeit?«

Furustolpe zögerte. Wie alle Bekehrten wollte er wohl seinen Eifer zeigen, aber nicht zuviel über die Einzelheiten seiner Motive reden.

»Ja, so kann man es wohl nennen!«

»Zehntausend Mark! Und jetzt wünschen Sie eine neue Séance?«

»Ja, wenn es Ihnen recht ist.«

Herr Wendland sah auf seinen Gast und senkte den Kopf. Nach einigen Strichen über Stirn und Handgelenke wurde er erst starr, dann wieder lebhaft. Er zog den Mund grinsend bis an die Ohren, und die krächzende Stimme, die Furustolpe voriges Mal mit Verwunderung erfüllt hatte, sprach wieder:

»Chr …! Posch ist hier – – Posch aus Krakau – – Gold, Silber, Juwelen. Brauchen Se was zu benetigen? Alter Mann ist hier! Weiße Haare, trauriges Gesicht, will durch Posch sprechen! Posch wird sprechen. Was sagst du? Gut!«

Die Stimme krächzte mit vielen Einzelheiten, daß ein alter Mann seinen Sohn davor warnen wolle, nicht so viel zu trinken. Schließlich verstand Furustolpe, daß er gar nicht gemeint war. Er fand, daß es verlorene Zeit sei, als Bote zwischen einem unbekannten alten Mann und seinem verbummelten Sohn zu gehen. Mitten in einem Satz unterbrach er den Kontrollgeist Posch.

»Ist Teelemainen nicht hier. Ich wollte eigentlich mit ihm reden!«

»Chr … Was sagst du? Alter Mann hier – weiße Haare, trauriges Gesicht!«

»Aber Teelemainen?«

Herr Wendland bewegte das Gesicht mit den geschlossenen Augen, wie um zu sehen. Die krächzende Stimme sagte:

»Der Mann, der morden wollte, der Mann mit den zehntausend Mark – – nicht deutsche Mark – – nein – – ist nicht hier. Ist in einer anderen Sphäre. Es gibt viele Sphären. Sphären für die Bösen, für die Reuemütigen und für die Guten. Der Mann, den man ermorden wollte, ist in eine andere Sphäre gegangen, vielleicht hatte er etwas zu bereuen. Es ist schlimm für die, welche böse sterben. Aber für den, der bereits gut ist, ist der Tod leicht, und für gute Menschen ist der Tod schön – – –«

Furustolpe lauschte ganz atemlos. Er vergaß die krächzende Stimme, das grinsende Gesicht, die lächerlichen Handbewegungen. Der krächzende Mund erzählte Geheimnisse von jenem unbekannten Land, von wo man nie wiederkehrt. Und er, Furustolpe, saß hier und ihm wurden diese Geheimnisse erzählt. Die Stimme sagte, daß sein Feind in eine andere Sphäre gegangen war, wo er das Böse bereuen konnte, das er Furustolpe hatte antun wollen.

»Nein, der Böse wird erst glücklich, wenn er bereut hat, was er verbrochen hat und nicht mehr das Böse will; da steigt er in die Sphären hinauf, wo die Guten leben. Dort ist Sphäre über Sphäre: aus Silber, aus Gold – – aus Diamanten – – Sphären aus allen Kostbarkeiten!«

Die Stimme zitterte vor Aufregung, als sie die Pracht der steigenden Sphären beschrieb und ging bei den letzten Worten beinahe in einen Schrei über. Über Herrn Wendlands Gesicht lag ein Lächeln von krampfhafter Freude, und Furustolpe zitterte nicht weniger. Sphären aus Silber, aus Gold, aus Diamanten! Die Schrift lehrte es – – nun wurde es ihm aus Herrn Wendlands Mund noch bestätigt. Also diese Pracht erwartet die Guten. Was würde er wohl noch erfahren? Leider fuhr der Kontrollgeist nicht fort mit seinen Schilderungen.

»Chr …! Wer ist dort? Ein junger Mann ist hier, er will seinen Eltern einen Gruß schicken und sagen, daß er glücklich ist. Er hat dunkle Haare, ein großes Kinn, ein trauriges Gesicht – – ich sehe ein ›M‹ über ihm. Er ist betrübt, er will seinen Eltern sagen, daß sie nicht trauern sollen, denn er ist glücklicher als im Leben.«

Furustolpe fühlte in sich ein Freudengefühl, das mit jedem Augenblick stärker wurde. Daß solche Dinge geschehen konnten! Der arme tote Jude Posch durfte den Lebenden verkünden, was sie sonst niemals erfahren würden; er durfte die Herrlichkeit der Sphären beschreiben; trauernde Eltern trösten, Menschen, die wie er im unklaren waren, belehren. Da durchfuhr ein Zucken Wendlands Gestalt. Er murmelte einige Worte, darauf sah man nicht mehr Poschs, sondern Wendlands Gesicht.

»Na? Bekamen Sie eine Verbindung?«

»Nein. Ihr Kontrollgeist sagte, daß derjenige, den ich sprechen wollte, in einer anderen Sphäre sei.«

»Ja, ja, das passiert oft. Sagte er noch etwas anderes?«

»Er beschrieb, wie es im Jenseits aussieht. Ach, Herr Wendland, ich bin ja so glücklich darüber, daß ich all' dieses gesehen und gehört habe! Daß etwas Derartiges geschehen kann! Wir werden in unserem Kummer getröstet, bekommen Licht im Dunkeln! Ich bin so glücklich!«

Herrn Wendlands Gesicht erhellte sich. Er stand auf, er wurde redselig.

»Jetzt fangen Sie an, die richtige Erkenntnis zu bekommen. Das freut mich! Ich muß sagen, daß Ihre Bemerkungen neulich einen sehr schlechten Eindruck auf mich machten! Aber ich sehe jetzt, daß Sie nicht so oberflächlich sind, wie ich erst dachte. Ich merke, daß Sie mit Demut und mit offenem Sinn nach der Wahrheit forschen wollen. Es freut mich wirklich sehr!«

Furustolpe dachte plötzlich an etwas, und seine Begeisterung sank zusehends.

»Aber den Mann, mit dem ich sprechen wollte – – ich gab sozusagen um seinetwillen die zehntausend Mark – – glauben Sie, daß ich ihn loswerden kann?«

»Loswerden? Wollen Sie denn nicht mit ihm sprechen?«

»O ja, das meine ich ja gerade!«

»Ich verstand Sie falsch. Erzählen Sie mir bitte, was mein Kontrollgeist Ihnen sagte!«

Furustolpe erzählte. Wendland hörte zu und nickte.

»Es ist möglich, daß Sie ihn sprechen können. Ich verstehe, warum Sie es wollen. Aber es ist nicht sicher. Wenn ein Geist von der niedrigsten Sphäre, der Erdensphäre, fort ist, kann er wohl zurückkehren, um sich mit der Erde zu verständigen, aber oft ist ihm dieses nicht erlaubt. Ich will Ihnen nicht unmögliche Dinge vorspiegeln! Ich kann Ihnen nur raten, dann und wann zu versuchen, durch Posch eine Verbindung wieder anzuknüpfen. Auf Posch können Sie sich völlig verlassen – ganz wie auf mich!«

Herr Wendland schwieg einen Augenblick und sah Furustolpe strahlend an. Er beschloß, diesen wahrheitssuchenden Geist noch weiter zu bearbeiten.

Mit milder, rhythmischer Stimme begann er das neue Evangelium zu verkünden, das von Amerika und England aus sich über die ganze Welt verbreitet hatte. Er sprach von jener Welt, worin die Toten erwachten, einer soliden wirklichen Welt, nach ihren Aussagen in verblüffender Weise unserer eigenen Welt ähnlich, mit Häusern, Kleidern und Essen, wie hier auf unserer Erde, nur vergeistigt – – wie dieses zu verstehen war, war ein Geheimnis und würde es wohl auch bleiben. Es war nicht ein müßiger Himmel, sondern es war eine Welt strengster Arbeit, wo es galt, Charakter zu zeigen, und wo man sich durch die verschiedenen Sphären zur Vollkommenheit hinaufarbeitete.

Furustolpe hörte mit offenem Munde zu und dachte nach. Herrn Wendlands Stimme war mild – – – Poschs Stimme klang hart und grotesk, und doch machte die Wahrheit fast mehr Eindruck, wenn man sie aus Poschs Munde hörte. Warum sollte die Wahrheit von einer milden Stimme verkündet werden? Die ersten Apostel hatten bestimmt jüdisch gesprochen.

Als Furustolpe aufstand, um zu gehen, trug er im Arm ein großes Bücherpaket, geschrieben von den spiritistischen Autoritäten Englands und Amerikas.

»Niemand ist so verhöhnt worden wie sie!« sagte Herr Wendland. »Aber es verdroß sie nicht, die Wahrheit mit demütigem Sinn zu suchen. Bald wird die ganze Welt auf ihre Worte lauschen! – – –«

»Danke,« fügte er hinzu. »Für die Kasse des Vereins ›Eos‹.«

*

Während Furustolpe am Gammel Kongevej für sein Geistesleben sorgte, ging der Chemiker Petersson in den Bureaus in der Knabostraede einher. Von Rauchwolken umgeben, glich er einem alten, rotnäsigen Oberdämonen. Das Salvarsan häufte sich unter seinen Händen. Man hatte einen Posten verkauft, aber jetzt wollte man einige Zeit warten. Den ersten Posten hatte man an einen der Leute verkauft, die Stangeland mit so großer Geschicklichkeit ausfindig zu machen wußte. Herr Nathan Silberschuch, in Galizien geboren und in Malmö ansässig, hatte es sich großzügig zur Aufgabe gemacht, den armen russischen Kranken das Heilmittel zugute kommen zu lassen. Auch der Preis, den er zahlte, war nicht einmal der dänische Marktpreis. Jeden Versuch, den Preis höher zu schrauben, beantwortete er mit einer Bewegung der Daumen um die Handgelenke, um damit anzudeuten, was man zu erwarten hätte, wenn es ans Tageslicht kam, daß man ohne Erlaubnis medizinische Erzeugnisse herstellte. Hierdurch wurde jede Diskussion unmöglich gemacht, aber natürlich auch jede Möglichkeit, weitere Geschäfte mit ihm zu machen. Übrigens wurde er bald darauf aus Skandinavien ausgewiesen, und somit war mit ihm nicht mehr zu rechnen. Also lagerte man das Salvarsan. Stangeland bekam Fühlung mit einem norwegischen Seekapitän, der augenblicklich in Trondhjem lag, der aber im Juli nach Nordschweden und Finnland gehen sollte, und der voller Mitleid für die Kranken in Rußland war. Inzwischen schmolz das Kapital der Aktiengesellschaft täglich zusammen, weil man immer weiter neues Rohmaterial einkaufte, aber man hoffte auf den Juli und auf die Ankunft des norwegischen Kapitäns. Dann und wann kam Stangeland nach Knabbostraede, ordnete das Lager und strich liebevoll über die Verpackungen.

Furustolpe dagegen sah man sehr selten in den Räumen der Aktiengesellschaft. Er verschwand am Spätnachmittage ganz allein.

Aber an einem schönen Abend im Juli passierte das Folgende:

Zum erstenmal seit langer Zeit gelang es Stangeland, Furustolpe mit in ein Lokal zu locken – nicht nach der Weinstube »Halt«, sondern in ein anderes Lokal. Es bestand aus zwei Räumen. Stangeland ging durch den ersten Raum und blieb dann mit einem Ausruf auf der Schwelle des zweiten stehen.

»Was ist denn los?« fragte Furustolpe.

»Sieh mal!«

Furustolpe sah. Er sah eine lange, magere Hand zu einer langen, roten Nase gehoben. Dann sah er, daß die Hand ein Glas rauchenden Toddy hielt, und dann, daß sowohl Hand wie Nase dem Chemiker Petersson gehörten.

Der Chemiker, der im Verkehr mit seinen Kompagnons in der »Sapientia« ein strenger Abstinenzler war, trank, wenn er alleine war, Toddy, und was mehr bedeutete – – die Toddys waren mahagonifarben. Ein Echo von Stangelands Ausruf entfuhr Furustolpe. Er wollte hinein, um den Heuchler auf frischer Tat zu entlarven, aber Stangeland hinderte ihn daran.

»Laß nur, wir wollen sehen, ob er noch mehr trinkt!«

Sie setzten sich an einen Tisch, von wo aus sie freie Aussicht auf Petersson hatten. Sie sahen den Rauch, der von Peterssons Toddy stieg, wie die Forscher im Observatorium des Vesuvs den Rauch aus den Kratern beobachteten. Sie zählten sieben Glas Toddy. Als das siebente vertilgt war, da war auch Petersson fertig. Seine zahlende Hand streute das Geld um sich, wie ein Krösus auf einem alten Bilde. Er stand auf und schwankte wie ein Schiff auf hoher See. Er verließ das Lokal durch einen hinteren Ausgang, ohne daß er Stangeland und Furustolpe gesehen hatte.

»Na, nun schlägt's dreizehn!«

»Das hätte ich mir nicht träumen lassen!«

Die zwei Kompagnons meinten, daß das, was sie eben gesehen hatten, die Höhe aller Frechheit sei. Sie stellten fest, daß jemand, der sieben Glas trinkt, bestimmt Stadien durchgemacht hat, wo er sechs und fünf Glas trank. Mit anderen Worten: der Chemiker Petersson zeigte sich nicht nur jetzt als Meister in der Kunst der Verstellung, sondern er war es schon lange gewesen.

Nach dieser Feststellung bestellten sie sich gedankenvoll einen Grog.

»Gestern erhielt er viertausend Kronen, um Rohmaterial einzukaufen,« sagte Furustolpe. »Wir haben ja nicht mehr viel Geld, und ich fand die Summe reichlich hoch, aber er behauptete, daß der Preis steigen würde und daß es deshalb klüger sei, viel auf einmal zu kaufen. Glaubst du, daß er das Geld vertrunken hat?«

»Nein, denn er sagte mir heute, daß er die Waren gekauft habe. Als ich ihm vorschlug, doch mitzukommen, sagte er ›nein‹. Jetzt verstehe ich warum!«

»Ist er sonst mit dir ausgegangen?«

»Nein, nicht daß ich wüßte.«

»Und wo warst du denn immer? Es ist ein Monat her, als wir ein Glas zusammen tranken!«

»Prosit!« sagte Furustolpe ausweichend.

»Die Sache ist klar!« sagte Stangeland und strich sich den Mund mit der Hand. »Ich habe schon früher ähnliches gesehen. Er war Abstinenzler, als wir uns zuerst trafen. Unser Beispiel hat ihn verdorben. Er schämt sich und trinkt dann heimlich.«

Furustolpe tat, als ob er es nicht hörte.

»Glaubst du, daß er nach Hause kommt?« fragte er.

»Ein Betrunkener verunglückt nie,« versicherte Stangeland. »Wenn ein Betrunkener und ein Nüchterner durch das Fenster fallen, wette ich zehn gegen eins auf den Betrunkenen!«

Stangeland mußte seine Versicherung zurücknehmen, als sie am nächsten Tag in die Fabrikationslokale der Aktiengesellschaft »Sapientia« kamen. Sie hatten vergeblich Herrn Petersson in seinem Hotel gesucht, um ihn zu entlarven. Er war nicht dort gewesen; hingegen war er im Büro. Leider aber fehlte der größte Teil des Büros. Herr Petersson stand rußig und schwankend wie eine alte Brandmauer auf der Schwelle zu dem einen Zimmer und sah hilflos um sich. Zu seinen Füßen stand ein Eimer mit der Flüssigkeit, woraus er früher seinen Durst zu löschen pflegte. Das war auch ungefähr alles, was die zwei Direktoren sahen.

Petersson sah sich um und betrachtete seinen Kompagnon mit matten Blicken.

»Ein chemisches Experiment. Hoach! Weiß der Teufel, wie das passiert ist!«

Stangeland war der erste, der sich erholte.

»Was meinen Sie?«

»Ex – – – chemisches – – Ex – – Experiment!«

Jetzt konnte auch Furustolpe wieder sprechen.

»Sie meinen doch nicht, daß das alles ist, was übrigblieb?«

Petersson nickte schwerfällig.

»Ex – – Experiment. Kam heute zeitig her, um zu – – zu experimentieren. Habe wohl etwas umgestoßen? Vielleicht auch ein Streichholz – – Feuer und Rauch über die ganze Linie – – komisch! Weiß der Teufel, wie es passierte! Nein – – das war alles. Jetzt habe ich die Rettungsarbeit gemacht!«

Er warf den Eimer mit dem Fuß um und murmelte.

»Feine Rettungsarbeit!«

Furustolpe lief in das andere Zimmer. Er kam wieder heraus, vor Wut beinahe brüllend, mit verzerrtem Gesicht und einem Bart, der sich sträubte.

»Mensch, Kerl! Was haben Sie gemacht? Sie haben die Aktiengesellschaft ruiniert. Sie haben mich ruiniert. Noch vor heute abend sitzen Sie im Gefängnis!«

Er erinnerte sich an das, was er gestern abend gesehen hatte.

»Das kommt davon, wenn man sich in den Lokalen herumdrückt! Wenn man behauptet, Abstinenzler zu sein und im geheimen trinkt! Glauben Sie, daß etwas verborgen bleibt und nicht an den Tag kommt. Antworten Sie mir: Wo waren Sie gestern abend?«

Peterssons Gesicht bekam einen grübelnden Ausdruck.

»Soll ich es Ihnen sagen? Sie saßen in einem Restaurant am Gommel Tore. Soll ich Ihnen sagen, was Sie dort machten? Sie haben sieben Rumtoddys vertilgt! Als Sie gingen, waren Sie so betrunken, so daß Sie sich kaum aufrecht halten konnten! Und wohin gingen Sie dann? Sie sind hierher gegangen und haben die Gesellschaft und mich ruiniert!«

Der Chemiker sagte schluckend:

»Erst – erst bin ich in die Weinstube »›Halt‹ gegangen!«

»Ja, erst gingen Sie in die Weinstube »›Halt‹ und dann trieben Sie sich noch in anderen Lokalen rum!''

Furustolpes Stimme überschlug sich beinahe.

»Sie Bummler! Sie Heuchler! Sie haben Rohmaterial für viertausend Kronen verbrannt. Sie haben ein Lager im Werte von dreißigtausend Kronen verbrannt. Heute noch sitzen Sie im Gefängnis!«

Petersson wankte hin und her und versuchte vergeblich, Protest einzulegen. Er schluckte und schluckte nur.

Stangeland raffte sich auf.

»Wir müssen klar denken.«

»Wir müssen die Wahrheit wissen. Haben wir wirklich vierunddreißigtausend Kronen verloren?«

»Jeden Öre und noch mehr! Vorgestern kaufte er Rohmaterial für viertausend Kronen. Das fertige Lager hatte einen Wert von dreißigtausend Kronen, und das Inventar des Bureaus beträgt dreitausend Kronen. Noch heute sitzt – – –«

»Wieviel hat die Aktiengesellschaft in der Kasse?«

»Ungefähr fünfzehntausend Kronen.«

»Das ist nicht viel. Ist nicht mehr da?«

»Ich habe – hm – – ich habe etwas für mich persönlich herausgenommen.«

»Soo? Wozu denn?«

»Fü – – für private Sachen!«

Stangeland sah Furustolpe an.

»So! Hm! Na, darüber reden wir später. Fünfzehntausend Kronen, hm. Das ist nicht viel! Wir müssen klar denken! Ich bin Nietzscheanhänger. Ich liebe es, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen!«

Stangeland strich sich den duftenden Haarschopf aus der Stirne und rümpfte seine große Nase.

»Es gibt nur einen Ausweg! Petersson muß eben doppelt arbeiten!«

Petersson gab schluckend seine Antwort.

»Das – das werde ich machen! Jawohl!!! Hoach!«

»Aber wir brauchen Rohmaterial und Inventar, vor allen Dingen müssen wir leben. Der Kapitän kommt doch diese Woche! Dann kommt er erst in drei Monaten wieder, und bevor er wiederkommt, können wir wohl kaum verkaufen!« – – –

Furustolpe fuhr auf.

»So, es dauert Monate, bevor wir wieder verkaufen können! So! Aber da soll er ins Gefängnis, das gelobe ich mir! Der Bummler, der – –«

Stangeland unterbrach ihn.

»Laß uns lieber denken, denn wir müssen der Situation als Männer in die Augen sehen. Du kannst Petersson nicht verklagen, denn es gibt Patentvorschriften – – es gibt auch Mietsgesetze. Wir haben feuergefährliches Material ohne Erlaubnis und ohne Versicherung in Wohnräumen aufbewahrt. Du brauchst Petersson und er braucht dich. Wenn Petersson doppelt soviel arbeitet, dann kann er den Schaden bald wieder gutmachen, aber es dauert ein Weilchen, bis wir verkaufen können, und vor allem benötigen wir neues Kapital … Wir müssen eben Kapital anschaffen!«

Furustolpes Gesicht erhellte sich sichtbar bei Stangelands letzten Worten.

»Und von wo erhalten wir dann das Kapital?«

Stangeland dehnte sich.

»Daran habe ich auch gedacht. Ich habe es mir aber in diesem Augenblick überlegt, und wir können keine Zeit verlieren. Du hast einen Landsmann hier in Kopenhagen. Er ist ein smarter Kerl. Er legt gern Geld an, wo er etwas verdienen kann!«

»Wie heißt er?«

»Gyllenkvist.«

Furustolpe sah seinen Kompagnon fragend an.

»Gillenkvist – –? Wer ist er?«

»Ein junger Geschäftsmann. Smart, sage ich dir. Hat Kapital. Ich wollte mir damals Geld von ihm borgen, als ich mein ganzes Vermögen an der Börse verloren hatte. Er sagte ›Nein‹, bevor ich überhaupt zum Reden kam.«

»Und dann willst du, daß ich – – –?«

»Jawohl! Mit mir war nichts los! Das verstand er! Ein kluger Mann! Aber hier – – hier ist Geld zu verdienen! Das wird er auch einsehen! Ich kann nicht zu ihm gehen. Mir würde er nicht glauben. Aber dir glaubt er bestimmt! Du kannst reden. Du bist sein Landsmann. Das Kapital haben wir so gut wie sicher! Versuche jedenfalls, die Prozente herunterzuschrauben!«

»Prozente! Ich soll einem wildfremden Menschen auch noch Prozente geben! Alles wegen diesem Schuft! Ich muß immer, immer für andere Leute Geld zahlen! Nein, ich gehe nicht!«

Stangeland zuckte mit den Schultern!

»Wie du denkst. Was willst du aber anfangen?«

»Mein Geld nehmen und spekulieren!«

»Ich wasche meine Hände – – Haft du vergessen, wie es uns im Februar erging? Glaubst du, daß die Börse jetzt sicherer ist? Wenn du aber das nötige Kapital anschaffst und Petersson doppelt so fleißig arbeitet, dann hast du in fünf Wochen alles wieder herein.«

Furustolpe antwortete nicht. Er schaute Petersson an, der seinerseits mit ungläubiger Miene den Eimer zu seinen Füßen anstarrte.

»Sie elender Mensch!« schrie Furustolpe. »Warum habe ich mich in all' das eingelassen! Sie Bummler! Sie Heuchler! Versprechen Sie mir, nie mehr heimlich zu trinken?«

Der Chemiker stotterte fragend:

»Heimlich – – – trinken?«

»Bummeln, trinken – – saufen!«

»Versprechen Sie es uns? Versprechen Sie nur zu trinken, wenn wir Sie beaufsichtigen können? Versprechen Sie uns, doppelt zu arbeiten?«

Petersson sagte ein lautes und vernehmliches »Ja«.

Furustolpe wandte sich hastig an Stangeland.

»Verflucht auch! Ich möchte es nicht machen, aber ich mache es doch. Ich gehe und pumpe ihn an.«

Fünf Tage später hatte die Aktiengesellschaft »Sapientia« aufgehört zu existieren. Sie war in eine neue Aktiengesellschaft aufgegangen, welche auf Stangelands Vorschlag den Namen »Tolerantia« erhielt, um ihren versöhnenden Charakter anzudeuten. Die Hand war immer noch Esaus, aber die Stimme war Jakobs. Herr Gyllenkvist hatte sich als sehr scharf erwiesen. Er hatte die Aktiengesellschaft finanziert, aber nur unter gewissen Bedingungen. Von den Aktien der neuen Aktiengesellschaft erhielt er fünfunddreißig Prozent, Furustolpe ebensoviel und Stangeland und Petersson den Rest. Furustolpe hätte gewiß zu diesen Bedingungen »Nein« gesagt, wenn er nicht auf dem Wege zu Gyllenkvist noch fünftausend Kronen von seinen restlichen fünfzehntausend Kronen an der Börse riskiert und ihnen am selben Tage auf ewig Lebewohl hatte sagen müssen. Er versuchte bei Gyllenkvist für sich fünfzig Prozent zu erlangen, aber es gelang ihm nicht! Furustolpe, Stangeland und Petersson schlossen sich zu einem Block zusammen, und da nichts ohne Petersson zu machen war, siegten die drei. Von den dreißig Prozent, die auf Stangeland und Petersson kamen, nahm sich Petersson im Bewußtsein seiner Unentbehrlichkeit zwanzig Prozent. Die beiden ersten Gründer der Aktiengesellschaft »Confidentia« und »Sapientia« waren voller Bitterkeit gegen Petersson erfüllt, der durch seine Bummelei das ganze Unglück verschuldet hatte. Petersson hingegen schob die ganze Schuld von seinen Schultern auf die der Kompagnons. Wenn sie ihn nicht dazu verlockt hätten, hätte er niemals angefangen zu trinken; und hätte er nicht getrunken, hierin waren sie sich alle einig, dann wäre auch das Unglück nicht passiert. Wäre das Unglück nicht geschehen, dann hätten sie nichts mit Gyllenkvist zu tun gehabt, und wenn die Bitterkeit gegen Petersson diesen von Furustolpe und Stangeland entfernte, so vereinte der Unwille gegen Gyllenkvist wieder Furustolpe und Stangeland mit dem Chemiker. Herr Gyllenkvist hingegen war das verkörperte Wohlwollen gegen seine Kollegen in der Aktiengesellschaft »Tolerantia«.

Herr Gyllenkvist war jung, glattrasiert und lächelnd, hatte blendend weiße Zähne und gletschergrüne Augen. Er war verbindlich wie ein Oberkellner, elegant wie ein Kabaretsänger. Jeden Tag sah man auf der Promenade seinen modefarbenen Überzieher, grünen Hut und seine wildlederbesetzten Lackschuhe. Er hatte ein Erbe von einigen Hunderttausend Kronen und bemühte sich, sowohl das Geld in Nachtlokalen durchzubringen, als auch das Kapital durch gute Geschäfte zu vermehren. Seine Wohnung war mollig und gepolstert wie das Boudoir einer schönen Frau und sie empfing auch bedeutend mehr Frauen als Männer. Herrn Gyllenkvists Scheitel war tadellos, seine Unterhaltung fließend und seine Kenntnisse an Weinen und Speisen perfekt.


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