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Achtes Kapitel.
Die feindlichen Brüder


»Ei, Emilie,« rief der Ankommende lachend, »ist Dir mein Anblick so schrecklich? Ciel, Du siehst ja förmlich versteinert aus. Aber« – er küßte galant ihre Hand – »willst Du nicht Raum geben?«

Er trat in die Stube: » Bon soir, ma chère maman Guten Abend, liebe Mama.!« und machte eine Bewegung dem Divan zu, hemmte jedoch augenblicklich den Schritt, als er im Halbdunkel – Emilie lehnte, ein Bild bleichen Entsetzens, mit dem Lichte noch immer an der Tür – plötzlich die Gestalt bemerkte, die seitwärts des Tisches hochaufgerichtet neben der Matrone stand.

» Ciel,« rief er verwundert, »Sie haben Besuch? Darf ich die Ehre haben –«

»Guten Abend, Kurt!« unterbrach ihn der Bruder. Seine Stimme klang ruhig, gefaßt. Der Schreck, in den ihn die plötzliche Erscheinung, die unerwartet schnelle Rückkehr des Kantonmaires anfangs versetzt hatte, war schon nach dessen ersten Worten einer ruhigeren Auffassung der Lage gewichen. Bereits im Begriffe, dem Winke der Schwester zu folgen, hatte er, von der Vergeblichkeit weiteren Versteckspielens überzeugt, sich noch im letzten Augenblick eines anderen besonnen. Wie ein Verhängnis, das allen Zweifeln, der ganzen Ungewißheit seiner Lage mit einemmale ein Ende machte, erschien ihm der Vorfall. Sein ganzes Unterfangen, das Leben, das er in den letzten Wochen geführt hatte, die Flucht mit ihren Schrecken und Aufregungen – eine Flucht, deren Ausgang ihm eben jetzt, nach dieser Unterredung mit den Seinigen, wieder mehr als fraglich erschien – kam ihm auf einmal wie ein recht unbedachtes, törichtes Abenteuer vor. Wenn es schließlich denn doch sein Los sein sollte, als verurteilter Hochverräter unter den Kugeln französischer Schergen zu verbluten, so war es jedenfalls besser, wenn sein Schicksal sich bald entschied. Mochte denn kommen, was da wollte – er war entschlossen, dem Geschick, das ihm in Gestalt dieses entarteten Sohnes seines eigenen Volkes entgegentrat, mutig die Stirn zu bieten.

Wie von einer Natter gestochen, fuhr Kurt zurück. Zornbleichen Gesichts stieß er hervor: » Mille tonnerres, Du? Unglücklicher, wo kommst Du her? Hier in meiner Behausung wagst Du –«

»Wie Du siehst, Kurt,« unterbrach ihn der andere mit klangvoller Stimme. »Ein unschuldig Verfolgter, werde ich es doch wagen dürfen, Mutter und Schwester noch einmal zu begrüßen, ehe –«

Eine zitternde Stimme unterbrach ihn: »Komm zu Dir, mein lieber Kurt!« Die Matrone ergriff seine Hand: »Bitte, setz Dich einmal zu mir, mein Sohn. Sieh, es ist Dein Bruder, der, an Dein brüderlich Herz appellierend, sich unter den Schatten Deines Hauses geflüchtet hat. Willst Du ihn, den Unglücklichen, den unschuldig Verfolgten, nicht als Bruder willkommen heißen?«

»Den Unglücklichen, den unschuldig Verurteilten!« höhnte Kurt. Er lachte schrill auf.

Emilie, die inzwischen zu sich gekommen war, trat, bleich wie eine Lilie, vor. »Gelt, lieber Kurt,« flüsterte sie – rührende, flehende Bitte sprach aus ihren Augen – »Du wirst meinen armen Bruder nicht verraten?«

Kurt wandte ihr das wutverzerrte Antlitz zu. Sein Auge sprühte. » Sacre Dieu, Emilie,« polterte er, »wofür hältst Du mich? Eine schöne Zumutung an einen königlichen Beamten, hahaha! … Ciel, solche Komplotte werden hinter meinem Rücken geschmiedet! … Ha, Ihr klugen Leute hattet wohl nicht auf so frühe Rückkehr des einfältigen Aktenmenschen gerechnet? Ein Glück, parbleu, daß mir unterwegs der Unterpräfekt begegnen muß, daß ich noch früh genug die Nachricht erhalte, daß meine Anwesenheit in Soden nicht nötig sei, sonst wäre da, hahaha, etwas Schönes gebraut worden … Aber, beim Himmel, ich werde meine Pflicht tun!«

»Deine Pflicht?« lispelte Emilie und wich bestürzt einen Schritt zurück, »und was hältst Du für Deine Pflicht?«

»Es ist meine Pflicht, den Hochverräter zu verhaften.«

»O Gott,« schluchzte die Matrone in hellem Entsetzen auf, »das würdest Du – soweit könntest Du Dich vergessen, Kurt, Dich so sehr vor den Fremden, den Feinden Deines Volkes, Deines Landes, erniedrigen? Es kann nicht sein, Kurt! O, sprich ein Wort, mein Sohn, daß mein Ohr mich getäuscht, daß ich nicht richtig verstanden habe.«

»Wer ist der Feind meines Volkes?« schrie Kurt wütend. »Diejenigen sind's, die hartnäckig nicht wissen wollen, was die Zeitenuhr geschlagen hat, die – ohne Verständnis für die große Idee der Völkerverbrüderung, wie sie von jener – en verité!grande nation der Franzosen ist ausgesprochen und zündend in die Geschichte der Menschheit hineingetragen worden, – nicht müde werden, den Zündstoff der Unzufriedenheit, des Aufruhrs, der Zwietracht immer aufs neue in die Massen zu werfen! Diejenigen sind's, die den leuchtenden Genius des Fortschritts, verkörpert in jenem Gewaltigen, dem Kaiser Napoleon, immer von neuem, wie der Hund den Mond, wagen anzubellen, in eingefleischter Borniertheit es wagen, dem rollenden Schicksalswagen in die Speichen zu greifen … Aber, ha,« – mit spöttisch triumphierender Miene sah er den Professor an – »Ihr Narren, Ihr haltet den Wagen der Zeit nicht auf – unerbittlich über Euch hinwegrollend, wird er Euch mit seinen Rädern zermalmen!«

Wie ein Sturzbach sprudelten die Worte von seinen Lippen. Friedrichs Antlitz blieb unbewegt. Mit einem Blicke ruhiger Ueberlegenheit sah er dem Wütigen in die rollenden Augen.

»Gut denn, Kurt,« sagte er, »wir werden ja sehen. Tue, was Du nicht lassen kannst. Ich bin in Deiner Hand. Aber –« er erhob die Stimme – »wenn früher oder später der Umschlag erfolgt, wenn der vermeintliche Stern, zu dem Ihr, Du und Deinesgleichen, jetzt mit abgöttischer Verehrung emporschaut, sich einst als ein dem Sumpfe entstiegener Irrwisch erweisen und mit Gezisch und Gestank sich wieder in Nacht und Nebel verlieren wird, dann gedenke an diese Stunde! Das Urteil, das die Nachwelt, das die Geschichte, die unerbittliche Richterin, über Deine und meine Handlungsweise einst fällen wird, es wird – verlaß Dich darauf! – anders lauten, als Du in Deiner Verblendung ahnst. Wohlan, verhafte mich, – Deine Liebedienerei gegen die Welschen wird bald genug ihren Lohn finden! Verhafte mich, damit morgen die Kinder auf der Gasse sich zuraunen: der Hesse, der Kantonmaire Wendheim hat seinen eigenen Bruder an die Franzosen verraten!«

Vor dem flammenden Blicke, der die Worte begleitete, senkte der Kantonmaire unwillkürlich das Auge. Er schnappte förmlich nach Luft.

»Genug der Worte,« hob er heiser an. »Es gibt keine Rücksicht, die mich bestimmen könnte, von dem Pfade zu weichen, den zu gehen Pflicht und Ehre, Amt und Gewissen mir vorschreiben.« Er warf sich in die Brust: »Professor Friedrich von Grandenborn, ich bedaure unendlich – im Namen des Königs – Sie sind verhaftet!«

Ein zwiefacher gellender Aufschrei folgte den Worten. Die Matrone war einer Ohnmacht nahe. Schwer sank ihr Kopf auf die Tischkante nieder. Emilie aber, die ihre ganze Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte, trat flammenden Auges dicht vor den Wütenden hin und fragte:

»Kurt, sage, ist das Dein letztes Wort?«

Ruhig und ernst stand sie vor ihm. Ihr Gesicht war schneeweiß: ihr schönes Auge schien sich in seine Seele zu bohren. Der Kantonmaire runzelte die Stirn: zuckenden Gesichts, mit glühenden Wangen starrte er die Liebliche an. Als habe er nicht richtig verstanden, fragte er unwirsch:

»Was bezweckt ma belle Emilie meine schöne Emilie. –«

»Ich frage Dich,« unterbrach ihn die Jungfrau – und ihre Gestalt schien förmlich zu wachsen – »frage Dich noch einmal, Kurt: ist das, was Du soeben gesagt, Dein letztes Wort? Ja oder nein – antworte mir!«

Sie sah so entschlossen aus; ihre Stimme klang so befehlend, so drohend, daß der Kantonmaire stutzte. So hatte er Emilie noch nie gesehen. Ohne zu antworten wandte er sich erbleichend ab. Wie ein Löwe im Käfig durchmaß er mehreremale die Stube mit dröhnenden Schritten; plötzlich stürmte er ohne ein Wort des Grußes hinaus. Gleich darauf hörten ihn die Seinigen mit Gepolter die Treppe hinunterstürzen.

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