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Die Reformation und die mit ihr verknüpften Ereignisse hatten die Menschen vielfach zum Denken angeregt. Die Unduldsamkeit jedoch, welche die Machthaber und Mitglieder beider Konfessionen an den Tag legten, indem sie ihre Gegner verleumdeten und verfolgten, stieß alle wahrhaft human Gesinnten so sehr ab, daß sich insgeheim eine Richtung ausbildete, welche das Heil weder im Katholizismus, noch im Protestantismus suchte, sondern in einem brüderlichen Verhalten aller Menschen ohne Unterschied des Glaubens. Auch in England war man der konfessionellen Kämpfe satt, der Verfolgung der Protestanten unter der »blutigen Maria,« wie jener der Katholiken unter der eisernen Elisabeth, und sehnte sich nach Toleranz. Die Grundsätze der letztern schöpfte man vorzüglich aus der wiederauflebenden Litteratur und Kunst, welche so tiefen Eindruck hervorbrachten, daß, wie früher die romanische, so nun auch die gotische Baukunst, als Ausdruck eines bestimmten konfessionellen Strebens, ihren Anhang verlor und die der alten griechischen und römischen nachgeahmte, sogen. augustische Bauart, oder die »Renaissance,« die Gemüter der Kunstverständigen eroberte. Durch das Aufgeben der Gotik fielen natürlich die Satiren des Meisels weg; die weiten Hallen, die schlanken, luftigen, von niederdrückenden Bogen unabhängigen, blumengekrönten Säulen und die niederen, mit dem Gebäude verwachsenen, über dasselbe wenig hervorragenden Türme und Kuppeln drückten eine die Menschheit in weitesten Maße umfassende, Überhebungen nicht duldende, Freiheit mit praktischer Menschenliebe verbindende Gesinnung aus. Freilich war dieser Baustil durch allerlei geschmackloses Schnörkelwerk verunstaltet; aber dies war nur ein Auswuchs des damaligen Geschmackes überhaupt, der sich auch in der Poesie durch die widerwärtigen Hirtengedichte offenbarte. Die Renaissance-Architektur wurde in England durch den in Italien gebildeten Maler Inigo Jones eingeführt, welcher 1607 unter Jakob I. Generalintendant der königlichen Bauten und zugleich Vorsteher der Freimaurer wurde, deren Logen er reformirte. Er führte statt der jährlichen vierteljährliche Hauptversammlungen ein; diejenigen Maurer, welche nur am Handwerke hingen und für höhere, geistige Bestrebungen keinen Sinn hatten, wurden veranlaßt, in die Zünfte zurückzutreten, während auf der andern Seite wieder begabte Männer, die nicht zum Handwerke gehörten, aber an der Baukunst und an den Bestrebungen der Zeit überhaupt Interesse hatten, sich den Logen unter dem Titel »angenommener Brüder« anschlossen. In diesem veränderten Bestande erwachte ein neuer, freier Geist unter den freien Maurern, genährt durch die überall auftauchenden Ideen einer von Glaubensvorurteilen abgelösten Menschenliebe. Unberechenbar viel trugen zu der neu auskeimenden Richtung bei die Bilder, welche Thomas Morus in seiner Utopia und Sir Francis Bacon in seiner »Neuen Atlantis« von Ländern entwarfen, die zwar nur in ihrer Phantasie existierten, aber ideale Zustände besaßen, wie aufgeklärte Männer sie auf die Erde herabwünschen mochten, sowie die Schriften des böhmischen Predigers Amos Komensky, lat. Comenius, welcher im dreißigjährigen Kriege von den Kaiserlichen aus seinem Vaterlande vertrieben worden und 1641 nach England gekommen war, – Schriften, welche kirchliche Engherzigkeit verdammten und eine weltbürgerliche Gesinnung empfahlen. Freilich litten die Logen, weil sich in ihnen Männer der verschiedensten politischen und religiösen Ansichten befanden, schwer unter der englischen Revolution und den Bürgerkriegen, die auf sie folgten; allein die später wiederkehrende Ruhe, die wissenschaftlichen Forschungen, denen die unter Karl II. gestiftete königliche Gesellschaft der Wissenschaften, im Gegensatze zu theologischen Grübeleien, großen Vorschub leistete, und endlich die Vertreibung des auf's neue konfessionelle Reibungen herbeiführenden Jakob II., gestatteten den Freimaurern, sich wieder zu erholen und ihre Arbeiten fortzusetzen. Dazu hatte namentlich auch der Wiederaufbau der im Jahre 1666 größtenteils abgebrannten Stadt London und insbesondere der großen Pauls-Kirche, dieses protestantischen Gegenstückes der Peterskirche in Rom, beigetragen, deren Baumeister, Christof Wren, der Bruderschaft angehörte. Nachdem jedoch diese Bauten vollendet waren, nämlich um die Zeit des Todes König Wilhelm's III. (1702), und demzufolge die Bauleute Mangel an Arbeit hatten, fühlten die Freimaurerlogen auf empfindliche Weise das Unzureichende ihrer bisherigen Organisation. Die Bauleute von Fach nahmen immer mehr ab, indem sie dahin gingen, wo ihnen Arbeit winkte, und die »Angenommenen Brüder,« bisher die Minderen an Zahl, sahen sich verwaist und ihre Lokale verödet. Man sah ein, daß es nicht genüge, Nichtmaurer aufzunehmen, sondern daß man, wenn die Logen fortdauern und ihre humanen Grundsätze weiter verbreiten wollten, erstens sich vom Handwerke und dessen Fesseln gänzlich ablösen und zweitens ein Band der Vereinigung unter den einzelnen Werkstätten schaffen müsse. Es waren keine weltumgestaltenden großen Geister, keine mit ehernen Zügen in das Buch der Weltgeschichte eingegrabenen Namen, deren Träger den genialen Gedanken faßten, aus der Werkmaurer-Gesellschaft eine geistig zu fassende Freimaurer-Brüderschaft zu bilden, an die Stelle des materiellen den symbolischen Bau zu setzen. Die beiden Theologen Theophil Desaguliers (zugleich Naturforscher und Mathematiker) und James Anderson und der Altertumsforscher Georg Payne standen an der Spitze der Männer, welche im Jahre 1717 die Vereinigung von vier Logen der Maurer Londons zu einer Großloge und die Wahl eines Großmeisters und zweier Großaufseher herbeiführten und damit den Freimaurerbund, wie er noch heute besteht, stifteten. Was Jerusalem dem Juden, Mekka dem Mohammedaner, Rom dem Katholiken, das ist London dem Freimaurer.
Jetzt waren die Maurer Englands keine Handwerksgenossenschaft mehr, sondern eine Gesellschaft von Männern aller Stände und Berufsarten, wie nicht minder aller Religionen (schon die genannten Stifter waren verschiedener Konfession), welche sich in dem höheren Gefühle der Menschlichkeit begegneten und keinen anderen Maßstab der Menschenwürde anerkannten, als Sittlichkeit, Herzensgüte und Wahrheitsliebe. Die neuen Freimaurer behielten die Sinnbilder der Werkmaurer, ihre Sprüche und Gebräuche bei; nur legten sie dieselben in moralischem Sinne aus. Sie bauten nicht mehr Häuser und Kirchen, sondern einen geistigen Tempel der Menschheit, benutzten das Winkelmaß nicht mehr zum Messen der rechten Winkel an Quadersteinen, sondern zur Berichtigung der Unebenheiten des menschlichen Charakters, den Zirkel nicht zum Beschreiben von Kreisen an Bauwerken, sondern zum Einschlusse aller Menschen in eine brüderliche Familienrunde.
Und wenn sie auch die konfessionellen Unterschiede und alle jene Dogmen nicht berücksichtigten, welche von Menschen erfunden worden sind, so warfen sie damit doch die Religion im allgemeinen nicht weg, sondern hielten fest an jenen zwei einzigen Glaubenssätzen, welche nie erfunden wurden, sondern sich dem menschlichen Geist und Herzen von selbst aufdrängen, – dem Dasein Gottes und der Unsterblichkeit der Seele. Sie eröffneten daher auch stetsfort jede Loge und schlossen auch eine jede mit Gebet zum »allmächtigen Baumeister des Weltalls,« und hielten Gedächtnisfeiern für abgeschiedene Brüder, von denen sie die Formel brauchten: er ist in den ewigen Osten hinübergegangen, d. h. dahin, wo das Licht herkommt. In der Beibehaltung dieser beiden Grundsätze schlossen sich daher die Freimaurer an die damals unter den Gebildeten vorherrschende, vorzugsweise durch den großen englischen Philosophen Locke begründete, religiöse Richtung an, welche man mit dem Namen des Deismus bezeichnet.
Auch die politischen Parteien blieben unberücksichtigt unter den Freimaurern, und nur der Grundsatz war allen gemein, das Vaterland zu lieben, Gesetz und Ordnung zu achten und das Wohl des Volkes zu befördern.
Da dem neuen Bunde an seiner Einheit liegen mußte, so war einer der ersten Beschlüsse der Großloge dahin gerichtet, daß ohne ihre Genehmigung keine Loge als rechtmäßig betrachtet werden solle. Es giebt daher bis auf den heutigen Tag keine anerkannte Freimaurerloge, welche nicht ursprünglich und mittelbar von London aus gegründet worden wäre. Trotz dieser Beschränkung, ohne welche der Bund wieder zerfallen wäre, entstanden schon in den ersten Jahren nach seiner Gründung eine Menge neuer Logen, welche die Ermächtigung hierzu von Seite der Großloge erhielten. Bei dieser Zunahme des Bundes machte sich das Bedürfnis fühlbar, gemeinsame Gesetze zu besitzen, und im Auftrage der Großloge unterzog sich einer der Stifter, Anderson, der Aufgabe, die bisherigen Beschlüsse der Bundesbehörde mit den alten Urkunden und Gebräuchen der Maurer zu vergleichen und zu einem Ganzen zu bearbeiten; es ist das Konstitutionenbuch, welches noch gegenwärtig als Grundlage des freimaurerischen Thuns und Treibens gilt; es wurde öfter im Drucke herausgegeben und ist Jedermann zugänglich. Einen weitern Grundstein des Wesens der Freimaurerei legte die Großloge 1724 durch die Einsetzung eines Ausschusses für Mildthätigkeit und betrat damit eine der schönsten Stufen des Wirkens dieser Brüderschaft, diejenige nämlich der Hülfe in Not und Elend, nicht nur der Brüder, sondern aller Menschen.
Die innere Gliederung des Bundes endlich wurde vollendet durch die Einführung der Grade. Diejenigen Brüder nämlich, welche das Amt eines Meisters, d. h. des Ersten unter den einander gleichen Genossen oder Gesellen, bekleidet hatten, traten nach Ablauf ihrer Amtsdauer nicht mehr, wie früher, unter die einfachen Gesellen zurück, sondern bildeten eine eigene Abteilung, die der Meister, und anderseits wurden die Neuaufgenommenen nicht mehr sofort Gesellen, sondern hatten vorerst einige Zeit als Lehrlinge zuzubringen. So entstanden die drei Grade der Meister, Gesellen und Lehrlinge, wahrscheinlich um das Jahr 1720; andere, höhere Grade, waren damals noch unbekannt. Die Beförderung der Lehrlinge zu Gesellen und dieser zu Meistern, welche vorzunehmen erst nur die Großloge das Recht hatte, wurde bereits 1725 jeder einzelnen Loge bewilligt.
Die nun so mit den Grundlagen ihrer Eigentümlichkeit ausgestattete Freimaurerei breitete sich bald weiter aus. Es traten, von reisenden englischen Maurern oder von in England aufgenommenen Fremden gegründet, in allen civilisierten Ländern Logen ins Leben, welche sich, wenn sie zahlreich genug waren, baldmöglichst auch zu Großlogen vereinigten. So entstand 1730 die Großloge von Irland, 1736 von Schottland und von Frankreich, 1740 eine Provinzialloge von England in Hamburg, 1742 die Loge zur Einigkeit in Frankfurt a. M. und eine Loge in Wien, 1744 die große Mutterloge zu den 3 Weltkugeln in Berlin, 1734 die Loge des Großmeisters der Niederlande im Haag, 1743 eine Loge in Kopenhagen, 1755 eine solche in Stockholm, 1737 in Polen, 1738 in Rußland, 1737 eine Provinzialloge von England in Genf und 1739 eine Loge in Lausanne, 1733 eine solche in Florenz, schon 1727 und 28 Logen in Gibraltar und Madrid und 1735 in Lissabon, 1733 zu Boston in Nordamerika und von da aus bald in Philadelphia u. a. O. So war der Freimaurerbund innerhalb der ersten drei Jahrzehnte seines Bestehens bereits in allen civilisierten Ländern vertreten.