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»Es heißt, daß einmal ein Schäfer lebte, der seine Herde sorglich bewachte, als eines Nachts ein Dieb zu ihm kam, um ihn etwas aus seiner Herde zu stehlen. Als er sah, daß er sie treu behütete, indem er weder des Nachts schlief noch am Tage achtlos war, lag er die ganze Nacht auf der Lauer, ohne ihm etwas entwenden zu können. Schließlich ging er, ermüdet hiervon, in die Steppe und erjagte einen Löwen, worauf er ihm das Fell abzog und es mit Stroh ausstopfte. Dann stellte er es auf eine Anhöhe in der Steppe, damit es der Hirt sähe und es für einen lebendigen Löwen hielte. Hierauf ging er zum Hirten und sagte zu ihm: »Jener Löwe da hat mich zu dir geschickt und verlangt sein Abendessen von dieser Schafherde.« Der Hirt versetzte: »Und wo ist der Löwe?« Der Dieb entgegnete: »Heb' deinen Blick auf, dort steht er.« Da hob der Hirt sein Haupt, und, als er die Gestalt des Löwen sah, glaubte er, es wäre ein wirklicher Löwe und entsetzte sich vor ihm gewaltig, –
Neunhundertundzweiundzwanzigste Nacht.
so daß er zum Dieb sprach: »Nimm soviel, wie du willst, ich widersetze mich nicht.« Da nahm der Dieb soviel Schafe, als ihm gefiel, und die große Furcht des Hirten reizte ihn nur noch mehr, so daß er ihn in kurzen Zwischenräumen fort und fort in Schrecken setzte, indem er zu ihm sprach: »Der Löwe braucht dies und will das und das thun,« worauf er soviel Schafe nahm, als ihm beliebte, bis der größte Teil der Schafe verschwunden war.
Ich erzähle dir dies aber nur, o König, daß sich die Großen deines Reiches nicht durch deine Milde und 15 Nachgiebigkeit verführen lassen, sich alles gegen dich zu erlauben; und besser wäre es, sie stürben als daß sie so gegen dich verführen.« Da nahm der König ihre Worte an und sprach zu ihr: »Ich nehme diesen Rat von dir an und werde weder ihrer Weisung folgen noch zu ihnen hinausgehen.«
Als nun der Morgen anbrach, versammelten sich alle Wesire und Großen des Reiches und die Vornehmen des Volkes, ein jeder seine Waffen mit sich nehmend, und machten sich zum Königspalast auf, um bei ihm einzudringen, ihn zu erschlagen und an seiner Statt einen andern einzusetzen. Beim Thor angelangt, forderten sie den Pförtner auf, ihnen zu öffnen; da dieser es jedoch nicht that, ließen sie Feuer holen und verbrannten die Thore, worauf sie eindrangen. Der Pförtner, der jedoch ihre Worte vernommen hatte, eilte schnell zum König und hinterbrachte ihm, daß sich das Volk beim Thor versammelt hätte, indem er sprach: »Sie forderten mich auf, ihnen zu öffnen, und, da ich mich weigerte, ließen sie Feuer holen und verbrannten die Thore, um zu dir einzudringen und dich zu erschlagen. Was befiehlst du mir nun?« Da sprach der König bei sich: »Ich bin in das schlimmste Verderben geraten.« Alsdann schickte er nach dem Weib und sagte zu ihr: »Alles, was Schimâs zu mir sprach, erfand ich als wahr, und nun ist das ganze Volk, Hoch und Gering, gekommen und will mich und euch erschlagen; und als ihnen der Pförtner nicht öffnete, ließen sie Feuer holen, um die Thore zu verbrennen; so wird das Haus mit uns verbrennen. Was rätst du uns an?« Da sprach das Weib zu ihm: »Sei unbesorgt und laß dich dadurch nicht erschrecken; dies ist die Zeit, wo sich die Thoren wider ihre Könige erheben.« Nun fragte der König: »Was rätst du mir zu thun, und welchen Ausweg giebt's in dieser Sache?« Sie versetzte: »Mein Rat ist der, daß du dir den Kopf verbindest und dich krank stellst. Schick' dann zum Wesir Schimâs, und, so er zu dir kommt und dich in deinem Zustand sieht, sprich zu ihm: »Ich wollte heute zum Volk 16 herausgehen, wurde jedoch durch diese Krankheit daran verhindert. Geh' zu den Leuten heraus, sag' ihnen, wie es mit mir steht, und teil' ihnen mit, daß ich morgen zu ihnen herauskommen will, um ihre Anliegen zu erledigen und Einsicht in ihre Lage zu nehmen, daß sie sich wieder beruhigen und ihr Zorn sich legt.« Am andern Morgen ruf' dann zehn der Sklaven deines Vaters, mutige und starke Gesellen, auf die du bauen kannst, und die auf dein Wort hören und deinem Befehl Folge leisten, dein Geheimnis bewahrend und dir treu ergeben. Stelle sie dir zu Häupten und befiehl ihnen nur einen nach dem andern bei dir vorzulassen; so aber einer bei dir eingetreten ist, sprich zu ihnen: »Packt ihn und schlagt ihn nieder.« Sobald sie hierin mit dir eins geworden sind, stelle morgen früh deinen Thron im Diwan auf und öffne das Thor. Wenn sie sehen, daß du das Thor geöffnet hast, werden sie guter Dinge sein und unbesorgten Herzens zu dir kommen und dich um Audienz bitten. Erteile ihnen dann die Erlaubnis einzeln nacheinander vor dir zu erscheinen, wie ich es dir gesagt habe, und thue mit ihnen nach deinem Belieben. Jedoch mußt du zuerst Schimâs, ihr Oberhaupt und ihren Meister, niederhauen lassen, da er der Großwesir ist und der Rädelsführer. Töt' ihn zuerst und dann laß einen nach den andern niederhauen und verschone keinen, von dem du weißt, daß er bundbrüchig wider dich geworden ist; ebenso aber auch jeden, dessen Macht du fürchtest. Wenn du in dieser Weise mit ihnen verfahren bist, so werden sie keine Kraft mehr wider dich besitzen, und du wirst völlige Ruhe vor ihnen haben und wirst die Regierung in Freuden genießen und thun können was du willst. Und wisse, es giebt keine List, die dir dienlicher ist als diese.« Da versetzte der König: »Dein Rat ist recht und dein Befehl der richtige; ich werde sicherlich nach deinen Worten thun« Hierauf ließ er sich eine Binde bringen und verband sich den Kopf, sich krank stellend. Dann schickte er nach Schimâs und sprach zu ihm, als er vor ihm erschienen war: »O Schimâs, du weißt, daß 17 ich dich liebe und deinem Rat gehorche, da du mir Bruder und Vater in einer Person bist; du weißt auch, daß ich alles, was du mich heißest, annehme, und du befahlst mir zu den Unterthanen hinauszugehen und mich zum Gericht über sie hinzusetzen. Ich war von der Trefflichkeit deines Rates überzeugt und wollte auch gestern zu ihnen hinauskommen, doch da wurde ich krank und bin nicht imstande zu sitzen. Nun aber kam es mir zu Ohren, daß das Volk des Königreiches wider mich aufgebracht ist, daß ich nicht zu ihnen herauskam, und daß sie mir in ihrem Zorn Unziemliches zufügen wollen, indem sie nicht wissen, daß ich krank bin. Geh' deshalb zu ihnen hinaus, sag' ihnen, wie es mit mir steht und wie es mir ergeht, und entschuldige mich bei ihnen, denn ich befolge ihre Worte und thue nach ihren Wünschen. Bring' diese Sache in Ordnung und verbürg' dich an meiner Statt hierfür, wie du mir und meinem Vater zuvor ein treuer Ratgeber warst, und wie es dein Brauch ist, zwischen den Leuten Frieden zu stiften. So Gott, der Erhabene, will, komme ich morgen zu ihnen heraus, und vielleicht weicht die Krankheit heute Nacht von mir, durch den Segen meiner lautern Absicht und des Guten, das ich in meinem Herzen für sie plane.« Da warf sich Schimâs vor Gott nieder und segnete den König, indem er ihm, erfreut hierüber, die Hände küßte. Alsdann ging er zu den Leuten hinaus und teilte ihnen die Worte des Königs mit, indem er ihnen ihr Vorhaben untersagte und des Königs Entschuldigung und die Ursache, die ihn von seinem Erscheinen abgehalten hatte, mitteilte; außerdem that er ihnen des Königs Versprechen kund, morgen zu ihnen herauszukommen und zu thun, was sie wünschten, worauf sie heimkehrten.
Neunhundertunddreiundzwanzigste Nacht.
Der König aber schickte nach den zehn Sklaven, entschlossenen und beherzten reckenhaften Gesellen, die er aus den Recken seines Vaters erwählte, und sprach zu ihnen: »Ihr 18 wisset, in welchen Ehren und welch hohem Ansehen ihr bei meinem Vater standet, und wie gütig er zu euch war und euch beschenkte und auszeichnete; ich aber will euch noch auf eine höhere Stufe erheben und werde euch sofort den Grund hiervon angeben; und ihr seid in Gottes Schutz vor mir. Jedoch will ich zuvor eine Frage an euch richten, ob ihr mir in derselben Gehorsam leisten wollt; und, so ihr mein Geheimnis vor allem Volk hütet und meinen Befehl vollzieht, sollt ihr von mir mehr erhalten, als ihr wünscht.« Da antworteten ihm die Zehn wie aus einem Mund zu gleicher Zeit: »O unser Herr, alles, was du uns heißest, wollen wir thun und wollen in nichts von deinem Befehl abweichen, denn du bist unser Gebieter.« Hierauf sprach der König zu ihnen: »Gott lasse es euch wohlergehen! Ich will euch jetzt mitteilen, weshalb ich euch auserwählte euch noch mehr zu ehren. Ihr wisset, wie mein Vater das Volk seines Königreiches auszeichnete und es in meiner Sache vereidigte, und wie sie ihm gelobten, ihren Treueid mir gegenüber nicht zu brechen und meinem Befehle nicht zuwiderzuhandeln. Nun aber saht ihr, wessen sie sich gestern unterfingen, indem sie sich alle um mich zusammenscharten, um mich zu erschlagen. Ich habe deshalb etwas mit ihnen vor; und zwar, in der Erwägung ihres gestrigen Unterfangens und im Hinblick darauf, daß sie nur eine exemplarische Strafe einschüchtern kann, kann ich nicht umhin euch mit der Ermordung derer, die ich euch insgeheim bezeichnen werde, zu betrauen, um von meinem Land durch den Tod der Großen und Häupter Übel und Unglück abzuwehren. Und in folgender Weise soll die Sache vor sich gehen: Morgen will ich in diesem Gemach auf diesem Sitz sitzen und ihnen Erlaubnis gewähren, der Reihe nach einzeln bei mir einzutreten, indem sie zu der einen Thür eintreten und zur andern wieder herausgehen. Ihr Zehn steht dann vor mir und passet auf meinen Wink auf; und, so oft jemand eintritt, packt ihn und führt ihn in jenes Zimmer, wo ihr ihn niederhaut und seinen Leichnam 19 versteckt.« Die Sklaven versetzten: »Wir hören auf dein Wort und gehorchen deinem Befehl,« worauf er sie beschenkte und, sie entlassend, zur Ruhe ging. Am nächsten Morgen ließ er sie zu sich rufen und befahl ihnen den Thron aufzustellen. Alsdann legte er den königlichen Ornat an und nahm das Rechtsbuch in die Hand, worauf er die Thür zu öffnen befahl. Dann stellten sich die zehn Sklaven vor ihn, und der Herold rief: »Wer ein Amt hat, der komme zum Teppich des Königs!« Da erschienen die Wesire, die Kommandanten und Kämmerlinge, und jeder von ihnen stellte sich auf seinen Platz, worauf der König einem nach dem andern einzutreten befahl. Da trat der Wesir Schimâs zuerst ein, wie es des Großwesirs Brauch war; aber kaum befand er sich vor dem König, da umringten ihn die zehn Sklaven und führten ihn in das Zimmer, wo sie ihn niederhieben; alsdann machten sie sich an die Wesire, die Ulemā und Vornehmen und machten einen nach dem andern bis auf den letzten Mann nieder. Hierauf rief er die Scharfrichter und befahl ihnen das Schwert an die andern zu legen, die noch übrig geblieben waren vom Volk der Tapfern und Hochgemuten, und so verschonten sie keinen, von dem sie wußten, daß er Energie besaß, sondern hieben alle nieder, bis auf das gemeine Volk und Gesindel, das sie forttrieben, worauf sich jeder von ihnen zu seinen Angehörigen begab. Hierauf überließ sich der König ganz seinen Vergnügungen und gab seine Seele seinen Lüsten hin, der Tyrannei, Gewaltthätigkeit und Grausamkeit dienend, bis er alle Unholde, die vor ihm gewesen waren, überholt hatte. Nun aber war das Land dieses Königs eine Grube von Gold, Silber, Hyazinthen und Edelsteinen, und alle Könige ringsum beneideten ihn um sein Reich und lauerten nur darauf, daß ihn ein Unglück befiele. Einer aber von ihnen sprach bei sich: »Ich habe meinen Wunsch, dieses Reich jenem thörichten Knaben zu entreißen, erreicht, nachdem er die Großen seines Reiches und all die Tapfern und Hochgemuten seines Landes hat 20 hinrichten lassen. Jetzt ist der rechte Zeitpunkt gekommen, ihm das Reich aus der Hand zu reißen, da er jung an Jahren und unkundig des Krieges und ohne Einsicht ist und auch keinen hat, ihm rechten Rat zu erteilen oder zu Hilfe zu kommen. Noch heute will ich gegen ihn des Übels Pforte öffnen, indem ich einen Brief an ihn schreibe, und will ihn darin verspotten und für sein Thun ausschelten, um dann seine Antwort zu erschauen. Und so schrieb er an ihn einen Brief folgenden Inhalts: »Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen! Des Ferneren, so kam mir zu Ohren, was du mit deinen Wesiren, Ulemā und Recken gethan hast, und daß du dich selber dadurch ins Unglück gestürzt hast, so daß du weder Macht noch Stärke behalten hast deine Angreifer abzuwehren, indem du Gewalt verübst und Verderben anrichtest. Nun hat mir Gott den Sieg über dich verliehen und hat dich mir in die Hand gegeben, weshalb du auf mein Wort hören und meinem Befehl Folge leisten sollst, und sollst mir ein festes Schloß mitten im Meer erbauen. So du dies nicht vermagst, zieh' aus dem Land und such' dein Heil in der Flucht, denn ich entsende dann wider dich aus dem äußersten Indien zwölf Reitergeschwader, ein jedes aus zwölftausend Reitern bestehend, daß sie dein Land überfallen, dein Gut plündern, deine Mannen erschlagen und deinen Harem in die Gefangenschaft führen. Und ich mache zu ihrem Anführer meinen Wesir Badîa, und will ihm Befehl erteilen deine Stadt zu belagern, bis er sie erobert; dem Burschen aber, den ich als Gesandten zu dir schicke, habe ich befohlen, nur drei Tage bei dir zu verweilen, und, so du meinem Befehl gehorchst, bist du gerettet, wenn aber nicht, so entsende ich wider dich, was ich bereits erwähnte.« Hierauf versiegelte er den Brief und gab ihn dem Gesandten, der sich auf den Weg nach der Residenz des König Wird Chân machte und ihm den Brief übergab. Als der König ihn gelesen hatte, verließ ihn seine Kraft; seine Brust ward beklommen und die Sache beunruhigte ihn so, daß er des 21 Untergangs gewiß war, da er niemand fand, der ihm raten oder helfen und beistehen konnte. Und so erhob er sich und begab sich mit veränderter Farbe zu seinem Weib, das ihn fragte: »Was fehlt dir, o König?« Er versetzte: »Heute bin ich kein König mehr, sondern des Königs Sklave.« Alsdann öffnete er den Brief und las ihr denselben vor, worauf sie zu weinen und jammern anhob und ihre Kleider zerriß. Da fragte sie der König: »Weißt du in dieser schlimmen Sache einen Rat oder Ausweg?« Sie versetzte: »In der Zeit des Krieges wissen Frauen keinen Ausweg und haben weder Kraft noch Rat; in solchen Dingen besitzen Männer allein Kraft und Rat und wissen einen Ausweg.« Als der König diese Worte von ihr vernahm, erfaßte ihn die schwerste Reue und Kümmernis und Trauer darüber, daß er sich so gegen die Häupter des Reiches –
Neunhundertundvierundzwanzigste Nacht.
und seine Wesire und die Vornehmsten seiner Unterthanen vergangen hatte, und er wünschte, zuvor gestorben zu sein, ehe ihm diese entehrende Nachricht überbracht war. Dann sprach er zu seinen Weibern: »Mir geschah von euch, was dem Rebhuhn von den Schildkröten geschah.« Da fragten sie: »Wie war das?« Der König versetzte: