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Ferner erzählt man, daß der Chalife Hārûn er-Raschîd eines Nachts gar nicht einschlafen konnte; er rief deshalb Mesrûr und befahl ihm: »Bring' mir schnell Dschaafar her.« Da ging er fort und holte ihn und, als nun Dschaafar vor dem Chalifen stand, sagte dieser zu ihm: »Dschaafar, mich quält heute Nacht große Unruhe, daß ich nicht einschlafen kann, und ich weiß nicht sie loszuwerden.« Dschaafar versetzte: »O Fürst der Gläubigen, die Weisen sagten: In einen Spiegel schauen, ins Bad gehen und sich etwas vorsingen lassen, verscheucht Kummer und Sorge.« Der Chalife entgegnete jedoch: »O Dschaafar, ich habe schon alles das gethan, und nichts half das geringste; und ich schwöre bei meinen lautern Ahnen, wenn du mich nicht auf irgend eine Weise von dieser Schlaflosigkeit befreist, so schlage ich dir den Kopf ab.« Da sagte Dschaafar: »O Fürst der Gläubigen, wirst du auch thun, was ich dir raten werde?« Der Chalife versetzte: »Was ist's?« Und Dschaafar entgegnete: »Laß uns in einen Nachen steigen und mit der Strömung den Tigris bis zu einem Ort, Namens Karn es-Sirât hinunterziehen; vielleicht hören und sehen wir etwas, was wir zuvor noch nicht hörten und sahen. Denn es heißt: Durch eines von den drei Dingen verscheucht man die Sorge, sei es, daß man sieht, was man noch nicht gesehen hat, oder daß man hört, was man noch nicht gehört hat, oder daß man ein Land betritt, das man noch nicht betreten hat. Vielleicht wirst du auf diese Weise deine Unruhe los, o Fürst der Gläubigen.« Da erhob sich er-Raschîd von seinem Platz und begab sich in Begleitung von Dschaafar, dessen Bruder El-Fadl, Abū Ishâk dem Tafelgenossen, Abū Nowâs, Abū Dalas und Mesrûr dem Schwertmeister – 109
Neunhundertundsiebenundvierzigste Nacht.
in das Kleiderzimmer, wo sich alle als Kaufleute kleideten. Dann schlugen sie den Weg zum Tigris ein und stiegen in einen vergoldeten Nachen, in dem sie sich von der Strömung hinuntertreiben ließen, bis sie zu dem Ort, den sie im Auge hatten, gelangten, als sie mit einem Male die Stimme eines Mädchens hörten, das zur Laute folgende Verse sang:
Zu ihm sprech' ich, wenn der Becher vor mir steht,
Und im Dickicht die Nachtigall singt.
Wie lange noch säumst du ferne von der Freude?
Wach auf, denn das Leben ist nur ein Lehen!
So nimm den Trank aus der Hand einer trauten Gazelle
Mit müden und schmachtenden Lidern.
Auf seine Wangen säte ich eine frische Rose,
Die in seinen Schläfenlocken die Granate reifte.
Die Stelle seiner Wangen, die er trauernd zerriß,
Dünkt tote Asche dir, während die Wange ein Feuer ist.
Wohl spricht der Tadler zu mir: Tröste dich sein!
Doch wo hab' ich eine Ausrede, wo ihm so schon der Flaum sprießt?
Als der Chalife den Gesang vernahm, sagte er: »Dschaafar, wie schön ist doch diese Stimme!« Dschaafar versetzte: »O unser Gebieter, ein schönerer und lieblicherer Gesang traf noch nie mein Ohr; jedoch, mein Herr, hinter einer Mauer zu hören ist nur halbes Hören. Wie wär's, wenn wir hinter einem Vorhang zuhörten?« Der Chalife erwiderte: »Auf, Dschaafar, wir wollen bei dem Herrn dieses Hauses die Tufeile spielen;Das heißt; wir wollen ungeladen zu Gast kommen. vielleicht bekommen wir die Sängerin mit eigenen Augen zu sehen.« Dschaafar entgegnete: »Ich höre und gehorche.« Alsdann stiegen sie aus dem Fahrzeug und baten um Einlaß, als ein Jüngling von hübschem Gesicht, süßer Rede und beredter Zunge zu ihnen herauskam und sprach: »Willkommen, willkommen, ihr Herrschaften, die ihr mir Ehre erweist! Tretet ein und macht es euch angenehm 110 und bequem!« Da traten sie ein, während er ihnen voranschritt, und gewahrten sich in einem Raum mit vier Fronten, mit vergoldeter Decke und mit lazurblaubemalten Wänden, in dem sich eine Estrade mit einer hübschen Sitzreihe befand, auf welcher hundert Mädchen gleich Monden saßen. Der Hausherr rief ihnen zu, worauf sie von ihren Sitzen herunterkamen; dann wendete er sich zu Dschaafar und sagte zu ihm: »Mein Herr, ich weiß nicht den Vornehmen unter euch von dem Vornehmeren zu unterscheiden; im Namen Gottes, der Vornehmste unter euch beliebe sich auf den Ehrenplatz zu setzen, und jeder seiner Brüder nehme nach seinem Rang seinen Platz ein!« Da setzte sich jeder nach seinem Rang, während Mesrûr dienend vor ihnen stehen blieb. Hierauf sprach der Hausherr zu ihnen: »Meine Gäste, mit Verlaub, darf ich euch etwas zum Essen vorsetzen?« Sie erwiderten: »Gern.« Da befahl er dem Mädchen Speise aufzutragen, worauf vier Mädchen mit gegürteten Taillen ihnen einen Tisch mit seltenen Gerichten vorsetzten, von allem, was da kreucht und fleucht und im Meere schwimmt, wie Katāvögel, Wachteln, junge Hühner und Tauben; und auf den Kanten des Tisches standen Verse geschrieben, dem Gastmahl angemessen. Nachdem sie soviel gegessen hatten, bis sie gesättigt waren, wuschen sie sich die Hände, und nun sagte der junge Mann zu ihnen: »Ihr Herren, wenn ihr ein Anliegen habt, so sagt es uns, damit wir uns beehren, es euch zu erfüllen.« Da sagten sie: »So ist's; wir sind in deine Wohnung nur wegen einer Stimme gekommen, die wir draußen durch die Wand deines Hauses vernahmen, und wir möchten sie hören und die Sängerin kennen lernen. Wenn es dir beliebt uns diesen Gefallen zu thun, so wäre es sehr artig von dir; hernach wollen wir wieder heimgehen, von wannen wir gekommen sind.« Der Jüngling versetzte: »Ihr seid willkommen.« Alsdann wendete er sich zu einem schwarzen Mädchen und befahl ihm: »Hol' deine Herrin So und So.« Da ging das Mädchen fort und brachte einen Sessel, den 111 sie hinstellte, worauf sie zum zweitenmal fortging und nun mit einem Mädchen gleich dem Vollmond in seiner Rundung wiederkehrte. Nachdem es sich auf den Sessel gesetzt hatte, reichte ihr das schwarze Mädchen einen Beutel aus Atlas, aus dem sie eine mit Juwelen und Hyazinthen besetzte Laute mit goldenen Wirbeln hervorholte.
Neunhundertundachtundvierzigste Nacht.
Hierauf stimmte sie die Saiten zum Spiel, und, die Laute an ihre Brust pressend, neigte sie sich über sie, wie sich eine Mutter über ihr Kind neigt; dann tastete sie über die Saiten, daß sie klagten, wie ein Kind klagend die Mutter ruft. Und nun schlug sie die Laute und trug folgende Verse vor:
»Wenn die Zeit mir meinen Geliebten wieder schenkt, so will ich ihn schelten:
Mein Freund, so will ich sagen, laß kreisen den Becher und trink'!
Trink' von dem Weine, der nie mit eines Mannes Herz sich vermischte,
Ohne ihn zu wonnigen Freuden zu entflammen.
Der Zephyr erhob sich den Becher zu tragen,
Sahst du je den Vollmond einen Stern halten?Der Becher wird mit dem Stern verglichen. Der Zephyr und der Vollmond ist der Mundschenk.
Wie viele Nächte verplauderte ich, wenn der Vollmond
Über den dunkeln Tigris sein Licht ergoß!
Und wenn dann der Vollmond sich neigte zum Untergang,
Dann war's, wie wenn er reckte übers Wasser ein güldenes Schwert.«
Als sie ihr Lied beendet hatte, weinte sie bitterlich, und alle, die sich in dem Hause befanden, weinten laut, als wollten sie sterben. Und es befand sich kein einziger unter ihnen, der nicht von Sinnen gekommen wäre und, ergriffen von ihrem schönen Gesang, seine Kleider zerrissen und sich vors Gesicht geschlagen hätte. Er-Raschîd aber sagte: »Der Gesang dieses Mädchens beweist, daß sie liebt und von ihrem Liebsten getrennt ist.« Ihr Herr versetzte darauf: »Sie hat Vater und Mutter verloren.« Er-Raschîd entgegnete jedoch: »So weint man nicht über den Verlust von Vater und 112 Mutter, das ist der Kummer über einen verlorenen Geliebten.« Und entzückt über ihren Gesang sagte er dann zu Abū Ishâk: »Bei Gott, ihresgleichen sah ich nicht.« Abū Ishâk versetzte: »Mein Herr, ich bewundere sie über die Maßen und weiß mich kaum noch vor Entzücken zu halten.« Hierbei aber hatte Er-Raschîd den Hausherrn betrachtet und sein Auge auf seinen Reizen und seinem feinen Wesen ruhen lassen. Doch sah er, daß sein Antlitz eine gelbe Färbung hatte, so daß er sich zu ihm wandte und rief: »Junger Mann!« Er erwiderte: »Zu Diensten, mein Herr.« Nun fragte er: »Weißt du, wer wir sind?« Er erwiderte: »Nein.« Da sagte Dschaafar: »Wünschest du, daß wir dir jeden von uns bei Namen nennen?« Er versetzte: »Ja.« Da sagte Dschaafar: »Dies ist der Fürst der Gläubigen und der Sohn des Oheims des Herrn der Gesandten.« Und so nannte er ihm auch die Namen aller andern von der Gesellschaft, worauf Er-Raschîd sagte: »Ich wünsche von dir zu hören, weshalb dein Antlitz so gelb aussieht, ob die Farbe angeboren oder erst später erworben ist.« Der Jüngling entgegnete: »O Fürst der Gläubigen, meine Geschichte ist seltsam und mein Fall wunderbar. Würde es mit Nadeln in die Augenwinkel geschrieben, es wäre eine Belehrung für alle, die sich belehren lassen.« Da sagte Er-Raschîd: »Erzähl' mir deine Geschichte, vielleicht kann deine Heilung durch meine Hand stattfinden.« Nun sprach der Jüngling: »O Fürst der Gläubigen, leihe mir deine Ohren und gieb dich mir ganz hin.« Er-Raschîd versetzte: »Laß deine Geschichte hören, denn du hast mein Verlangen nach ihr rege gemacht.« Da hob der Jüngling an: »Wisse, o Fürst der Gläubigen, ich bin ein Seekaufmann und stamme aus der Stadt Omân, woselbst mein Vater als reicher Kaufmann lebte. Er besaß dreißig Schiffe, die überseeischen Handel trieben und deren Miete dreißigtausend Dinare betrug. Daneben war er ein hochherziger Mann, und er hatte mich Schreiben und alles, was der Mensch sonst nötig hat, gelehrt. Als nun die Stunde 113 seines Hinscheidens nahte, rief er mich zu sich und gab mir die üblichen Ermahnungen. Hierauf nahm ihn Gott, der Erhabene, in seine Barmherzigkeit auf, – und Gott schenke dem Fürsten der Gläubigen langes Leben! – Nun hatte mein Vater auch Teilhaber, die mit seinem Geld Handel trieben und Reisen übers Meer machten. Da traf es sich eines Tages, daß, als ich in meiner Wohnung mit einer Anzahl Kaufleute saß, einer meiner Burschen zu mir hereintrat und sprach: »Mein Herr, an der Thür steht ein Mann, der Einlaß zu dir begehrt.« Da gewährte ich ihm seine Bitte, worauf er eintrat, mit einem verhüllten Gegenstand auf seinem Haupt, den er vor mir niedersetzte und enthüllte; und siehe; da waren es Früchte außer der Zeit und Gemüse in Salz und frisch, wie sie in unserm Land nicht zu finden waren. Ich dankte ihm infolgedessen und gab ihm hundert Dinare, worauf er unter Danksagungen fortging. Alsdann verteilte ich die Sachen unter alle meine anwesenden Freunde und fragte die Kaufleute: »Woher sind die Sachen?« worauf sie mir erwiderten: »Aus Basra.« Und nun rühmten sie sie mir und schilderten mir Basras Schönheit, wobei alle einstimmig erklärten, das schönste in der Welt wäre Bagdad und seine Bewohner. Dann hoben sie an Bagdad und das feine Wesen seiner Bewohner, seine angenehme Luft und seine prächtige Anlage zu schildern, so daß mein Verlangen nach der Stadt rege wurde, und alle meine Gedanken sie zu schauen trachteten. Ich machte mich deshalb auf, verkaufte meine Grundstücke und Ländereien und die Schiffe, für welch' letztere ich hunderttausend Dinare erhielt, sowie auch die Sklaven und Sklavinnen und fand, als ich all mein Geld zusammenschaffte, daß es eine Million Dinare waren, abgesehen von den Juwelen und Edelsteinen. Alsdann heuerte ich ein Schiff, befrachtete es mit meinen Geldern und der übrigen Habe, und segelte Tage und Nächte lang, bis ich nach Basra gelangte, wo ich mich eine Zeitlang aufhielt. Dann heuerte ich ein Fahrzeug und, all meine Gelder auf 114 ihm verladend, zogen wir wenige Tage weiter, bis wir nach Bagdad gelangten. Hier erkundigte ich mich, wo die Kaufleute wohnten, und welches Viertel zum Wohnen am angenehmsten wäre, worauf man mir das Viertel El-Karch nannte. Infolgedessen suchte ich dasselbe auf, mietete mir dort ein Haus in der Saffrangasse und schaffte all mein Gut nach jener Wohnung. Nachdem ich dort einige Zeit gewohnt hatte, ging ich eines Tages aus, mich zu vergnügen, indem ich etwas Geld zu mir steckte. Da aber jener Tag der Freitag war, suchte ich zuerst eine große Moschee auf, El-Mansûrs Moschee geheißen, wo der Gottesdienst stattfand. Nachdem wir das Gebet beendet hatten, ging ich mit den Leuten zu einem Platz, Karn es-Sirât geheißen, wo ich ein hohes und hübsches Haus gewahrte, mit einem Balkon, der auf das Ufer des Tigris hinausging und mit einem Gitterfenster versehen war. Ich begab mich infolgedessen mit einer Anzahl Leute dorthin und sah dort einen Scheich sitzen, in hübsche Kleider gekleidet und einen Wohlgeruch um sich verbreitend. Sein Bart wallte lang herunter und teilte sich auf der Brust in zwei silberweiße Hälften, und rings umgaben ihn vier Mädchen und fünf Burschen. Ich fragte einen nach seinem Namen und Gewerbe, worauf er mir antwortete: »Das ist Tâhir bin el-Alā, und er hält Mädchen. Jeder, der ihn besucht, ißt und trinkt bei ihm und sieht sich die Schönen an.« Da sagte ich: »Bei Gott, schon lange Zeit ging ich auf der Suche nach so etwas umher.«
Neunhundertundneunundvierzigste Nacht.
Hierauf trat ich an ihn heran, o Fürst der Gläubigen, und sprach zu ihm nach dem Salâm: »Mein Herr, ich habe ein Anliegen an dich.« Er versetzte: »Was ist's?« Ich erwiderte: »Ich möchte heute Nacht dein Gast sein.« Da sagte er: »Freut mich und ehrt mich! Mein Sohn, ich habe dahier viele Mädchen, bei denen die Nacht teils zehn Dinare, teils mehr kostet. Triff nach Belieben deine Wahl.« Ich 115 erwiderte: »So wähle ich mir die aus, bei der die Nacht zehn Dinare kostet.« Alsdann wägte ich ihm dreihundert Dinare für einen ganzen Monat dar, worauf er mich einem Burschen übergab, der mich in ein in dem Hause befindliches Bad führte und sorgsam bediente. Als ich dann wieder das Bad verließ, führte er mich zu einem Gemach und klopfte an die Thür, worauf ein Mädchen herauskam, zu dem er sagte: »Empfang deinen Gast.« Da hieß sie mich lachend und erfreut aufs beste willkommen und führte mich in einen wunderbaren mit Gold verzierten Raum; und wie ich sie betrachtete, fand ich, daß sie dem nächtigen Vollmond in seiner Rundung glich, während sie von zwei Mädchen gleich Planeten bedient wurde. Alsdann lud sie mich ein Platz zu nehmen und, sich an meine Seite setzend, winkte sie ihren Mädchen, worauf dieselben einen Tisch mit allerlei Fleischgerichten brachten, als Hühnern, Wachteln, Katāvögeln und Tauben; und nun aßen wir, bis wir genug hatten, und in meinem ganzen Leben aß ich kein delikateres Mahl. Nachdem wir gespeist hatten, ließ sie den Tisch fortnehmen und den Weintisch, Blumen, Süßigkeiten und Obst auftragen. In dieser Weise verbrachte ich einen Monat bei ihr, nach dessen Ablauf ich ins Bad ging, worauf ich den Scheich aufsuchte und zu ihm sprach: »Ich wünsche jetzt das Mädchen für zwanzig Dinare.« Da sagte er: »Wäg' das Gold dar.« Und so ging ich fort und holte das Gold, ihm sechshundert Dinare für einen Monat darwägend, worauf er einen Burschen rief und ihm befahl: »Nimm deinen Herrn.« Da nahm mich der Bursche ins Bad und, als ich es wieder verließ, führte er mich zur Thür eines Gemachs und klopfte, worauf ein Mädchen herauskam, zu dem er sagte: »Nimm deinen Gast in Empfang.« Da nahm sie mich aufs beste auf und siehe, sie war von vier Mädchen umgeben. Hierauf befahl sie das Essen aufzutragen, und sie brachten einen Tisch mit allerlei Gerichten, von denen ich aß. Als ich dann mein Mahl beendet hatte, ließ sie den Tisch 116 fortnehmen und holte eine Laute hervor, zu der sie folgende Verse sang:
Ihr Moschusdüfte von Babels Land,
Bei meiner Sehnsucht, nehmt meine Grüße mit!
Mit euch, meiner Liebsten Stätte, macht' ich einen Bund,
O welch' eine edle Stätte ist das!
Dort wohnt sie, die alle Liebenden begehren,
Doch ist von ihr nichts zu erhoffen.«
Nachdem ich auch bei ihr einen Monat zugebracht hatte, ging ich zum Scheich und sagte zu ihm: »Jetzt will ich das Mädchen für vierzig Dinare.« Er versetzte: »Wäg' mir das Gold dar.« Da wog ich ihm zwölfhundert Dinare für einen Monat dar und verbrachte den Monat bei ihr als wäre es ein einziger Tag, bezaubert von ihrem schönen Gesicht und ihrem liebenswürdigen Geplauder. Hierauf ging ich wieder zum Scheich, als es bereits Abend geworden war. Da ich aber großen Lärm und lautes Geschrei vernahm, fragte ich ihn: »Was ist los?« worauf er mir erwiderte: »Dies ist unsere berühmteste Nacht, an der alles Volk seine Augen aneinander weidet. Hast du Lust aufs Dach zu steigen und dir die Leute anzusehen?« Ich bejahte es und stieg aufs Dach, wo ich einen schönen Vorhang gewahrte, hinter dem sich ein prächtiges Gemach befand, in welchem auf einer Bank auf einem hübschen Teppich ein Mädchen saß, das mit ihrer Schönheit und Anmut und ihrem ebenmäßigen Wuchs die Beschauer verwirrte. Ihr zur Seite aber saß ein Jüngling. der seine Hand um ihren Hals gelegt hatte und Kuß um Kuß mit ihr tauschte. Als ich die beiden sah, o Fürst der Gläubigen, konnte ich nicht mehr an mich halten und wußte nicht mehr, wo ich mich befand, so sehr war ich von ihrer Schönheit geblendet. Als ich dann wieder herunterstieg, fragte ich das Mädchen, bei der ich weilte, nach ihr aus und schilderte sie ihr, worauf sie mich fragte: »Was willst du von ihr?« Ich versetzte: »Bei Gott, sie hat mir den Verstand geraubt.« Da lächelte sie und sagte: »O Abul-Hasan, 117 hast du Verlangen nach ihr?« Ich erwiderte: »Ja, bei Gott, sie hat mir Herz und Seele in Besitz genommen.« Da sagte sie: »Es ist die Tochter Tâhir bin el-Alās; sie ist unsere Herrin, und wir alle sind ihre Sklavinnen. Weißt du wohl auch, o Abul-Hasan, wie teuer eine Nacht und ein Tag mit ihr zu stehen kommt?« Ich entgegnete: »Nein.« Da sagte sie: »Fünfhundert Dinare; und die Herzen der Könige seufzen vergeblich nach ihr.« Ich aber versetzte: »Bei Gott, ich will all mein Geld für dieses Mädchen hingeben!« Die ganze Nacht über lag ich von Sehnsucht gefoltert da, am nächsten Morgen aber begab ich mich ins Bad und ging, nachdem ich mich in einen der prächtigsten königlichen Anzüge gekleidet hatte, zu ihrem Vater, zu dem ich sprach: »Mein Herr, nun will ich die, bei der die Nacht fünfhundert Dinare kostet.« Er versetzte: »Wäg' das Gold dar.« Da wog ich ihm fünfzehntausend Dinare für einen ganzen Monat dar, und er nahm es und sagte zum Burschen: »Führ' ihn zu deiner Herrin So und So,« worauf er mich zu einem Raum führte, wie mein Auge einen eleganteren auf der ganzen Erde nicht geschaut hatte. Als ich das Zimmer betreten hatte, sah ich das Mädchen dort sitzen; sobald ich sie jedoch erblickte, o Fürst der Gläubigen, verwirrte sie mir den Verstand mit ihrer Schönheit, da sie dem Vollmond in der vierzehnten Nacht glich.
Neunhundertundfünfzigste Nacht.
Sie war geschmückt mit Schönheit, Anmut und ebenmäßigem Wuchs und ihre Rede beschämte die Töne der Lauten, als hätte der Dichter sie in folgenden Versen gemeint:
»Wenn sie sich den Götzenanbetern zeigte,
Sie verließen ihre Götzen und beteten sie an als Gott.
Und wenn sie in die salzige Meeresflut spiee,
So würde des Meeres Wasser süß werden von ihrem Speichel.
Und wenn sie einem Mönch im Osten erschiene,
So würd' er sich vom Osten abkehren und vor dem Westen verneigen.« 118
Und wie schön ist auch eines andern Wort:
»Ich schaute sie an mit einem Blick, und meine Gedanken
Verwirrten sich beim Anblick ihrer wunderbaren Schönheit.
Da stieg ein Verdacht in ihr auf, daß ich sie liebte,
Und dieser Verdacht ward sichtbar auf ihren Wangen.
Ich begrüßte sie mit dem Salâm, worauf sie mir den herzlichsten Willkommen bot und, mich an die Hand fassend, o Fürst der Gläubigen, an ihre Seite zog; ich aber weinte im Übermaß meines Verlangens aus Furcht vor der Trennung und sprach, während mir die Thränen niederrannen, die Verse:
»Ich liebe die Nächte der Trennung, wiewohl nicht aus Freuden über sie,
Denn vielleicht bringt die Zeit nach ihnen auch wieder Vereinigung.
Und die Tage der Vereinigung sind mir zuwider,
Dieweil ich schaue, daß allen Dingen das Ende folgt.«
Hierauf sprach sie mir mit sanften Worten Trost zu, während ich, versunken im Meer der Sehnsucht, im Übermaß meines leidenschaftlichen Verlangens selbst im Beisammensein die Schmerzen der Trennung fürchtete. Und gedenkend des Wehs der Trennung und des Geschiedenseins, sprach ich die beiden Verse:
»Ich dachte zur Stunde des Beisammenseins an ihre Abkehr,
Und meines Auges Thränen strömten wie Drachenblut;
Da wischt' ich meinen Augapfel auf ihren Schwanenhals,
Denn das Blut zu stillen ist des Kampfers Weise.«
Hierauf erteilte sie Befehl Speisen aufzutragen, und es erschienen vier hochbusige, jungfräuliche Mädchen, die uns Speisen, Obst, Süßigkeiten, Blumen und Wein vorsetzten, wie es sich für Könige geziemt. Und so aßen wir, o Fürst der Gläubigen, und saßen beim Wein, umgeben von duftigen Blumen, in einem Raum, wie er sich nur für Könige geziemt. Hierauf, o Fürst der Gläubigen, brachte ihr ein Mädchen einen seidenen Beutel, aus dem sie eine Laute zog, worauf sie dieselbe in ihren Schoß legte und über ihre Saiten tastete, daß sie klagend riefen, wie ein Kind nach seiner Mutter ruft; und dazu sang sie die beiden Verse: 119
»Trink nur den Wein aus der Hand einer jungen Gazelle,
Der gleich dem Wein an Feinheit, wie ihm der Wein auch gleich.
Denn sieh', der Rebe Blut schmeckt nur dem Trinker dann,
Wenn es ein Mundschenk reicht, mit Wangen licht und rein.«
In dieser Weise verbrachte ich bei ihr, o Fürst der Gläubigen, geraume Zeit, bis all mein Geld ausgegeben war; da dachte ich, als ich bei ihr saß, an die Trennung, und die Thränen liefen mir in Strömen über die Wangen, daß ich die Nacht vom Tage nicht zu unterscheiden vermochte. Auf ihre Frage, weshalb ich weinte, versetzte ich: »Ach, meine Herrin, seit der Zeit, daß ich zu dir kam, nahm dein Vater für jede Nacht fünfhundert Dinare von mir, und nun hab' ich kein Geld mehr; und fürwahr, der Dichter spricht die Wahrheit, wenn er sagt:
»Armut in unserer Heimat ist Fremdlingschaft,
Und Geld in der Fremde ist Heimat.«
Da versetzte sie: »Wisse, mein Vater pflegt die Kaufleute, die bei ihm all sein Geld einbüßen, drei Tage zu bewirten, worauf er sie hinauswirft, daß sie nicht mehr zu uns zurückkehren. Verbirg jedoch dein Geheimnis und verheimliche deine Lage, denn ich will es zuwege bringen, daß wir so lange zusammenbleiben als Gott nur will. In meinem Herzen hege ich große Liebe zu dir, und wisse, daß alles Geld meines Vaters unter meiner Hand ist, ohne daß er wüßte, wie viel es ist. Ich will dir alle Tage einen Beutel mit fünfhundert Dinaren geben, und du giebst ihn meinem Vater und sprich zu ihm: »Ich bezahle dir von jetzt an nur noch von Tag zu Tag.« Alles, was du ihm giebst, giebt er mir und ich gebe es dir wieder, und die Sache geht dann so lange in dieser Weise als Gott nur will.« Ich dankte ihr hierfür, indem ich ihr die Hand küßte, und blieb nun, o Fürst der Gläubigen, ein volles Jahr bei ihr, bis es sich eines Tages traf, daß sie ihr Mädchen gehörig durchprügelte, worauf dasselbe sagte: »Bei Gott, ich will dein Herz peinigen, wie du mich gepeinigt hast!« Alsdann ging sie zu 120 ihrem Vater und erzählte ihm unsere Sache von Anfang bis zu Ende. Als nun Fâhir bin el-Alā des Mädchens Bericht vernommen hatte, erhob er sich zur selbigen Stunde und bei mir eintretend, als ich gerade mit seiner Tochter dasaß, sprach er: »He, du da!« Ich versetzte: »Zu Diensten.« Da sagte er: »Es ist unser Brauch, daß wir, wenn ein Kaufmann bei uns sein Geld einbüßt, ihn noch drei Tage bewirten. Du aber hast bei uns ein ganzes Jahr gegessen und getrunken und gethan, was dir beliebte.« Hierauf wendete er sich zu seinen Burschen und befahl ihnen: »Zieht ihm die Sachen aus.« Da thaten sie es und gaben mir schlechte Kleider und zehn Dirhem, worauf er zu mir sagte: »Verlaß uns, ich will dich weder schlagen noch schelten; geh' jedoch deines Weges, und, so du noch in dieser Stadt bleibst, kostet es dich ungestraft dein Blut.« Da ging ich widerstrebend fort, o Fürst der Gläubigen, ohne zu wissen, wohin ich meinen Weg nehmen sollte, mit allem Gram der Welt im Herzen und von trüben Gedanken gequält, indem ich bei mir sprach: »Wie konnte ich eine Million hierherbringen, darunter den Erlös für dreißig Schiffe, und all dies Geld im Hause dieses nichtsnutzigen Scheichs durchbringen, daß ich ihn nun nackend und gebrochenen Herzens verlasse? Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Nachdem ich mich dann noch drei Tage ohne zu essen und trinken in Bagdad aufgehalten hatte, nahm ich am vierten Tag auf einem Schiff, das nach Basra zu segeln im Begriff war, einen Platz von seinem Besitzer und zog nach Basra. Dort angelangt, begab ich mich hungrig auf den Bazar, wo mich ein Gemüsehändler sah, der zuvor mein und meines Vaters Freund gewesen war. Mich umarmend, fragte er mich, wie es mir erginge, worauf ich ihm alle meine Erlebnisse erzählte. Er versetzte: »Bei Gott, so handelt kein vernünftiger Mensch! Doch, nun dir dies zugestoßen ist, was beabsichtigst du zu thun?« Ich entgegnete: »Ich weiß es nicht.« Da sagte er: »Willst du bei mir 121 sitzen und über meine Einnahmen und Ausgaben außer Essen und Trinken für zwei Dirhem pro Tag durchführen?« Ich willigte ein und blieb nun, o Fürst der Gläubigen, ein volles Jahr bei ihm, verkaufend und kaufend, bis ich hundert Dinare bei mir hatte. Dann mietete ich mir ein Oberstübchen am Stromufer, daß, falls ein Schiff mit Waren ankäme, ich mir für die Dinare Waren einkaufen und nach Bagdad zurückkehren könnte. Da traf es sich eines Tages, daß Schiffe eintrafen und alle Kaufleute zu ihnen hinausgingen, um Waren einzukaufen. Ich ging mit ihnen mit, und mit einem Male kamen zwei Männer aus dem Schiffsraum und stellten sich zwei Sessel hin, auf die sie sich niederließen. Alsdann traten die Kaufleute an sie heran, um zu kaufen, worauf die beiden Leute zu einigen der Burschen sagten: »Holt den Teppich her.« Da brachten sie den Teppich, und einer holte einen Reisesack, aus dem er einen Ranzen zog, den er öffnete und auf dem Teppich ausschüttete; und siehe, da wurden unsere Blicke von all den mannigfachen Juwelen, Perlen, Korallen, Hyazinthen und Karneolen, die herauskamen, geblendet.
Neunhundertundeinundfünfzigste Nacht.
Hierauf wendete sich einer der beiden Leute, die auf den Stühlen saßen, zu den Kaufleuten und sprach zu ihnen: »Ihr Kaufleute all, ich verkaufe heute nur dies, da ich müde bin.« Da trieben sich die Kaufleute hoch, bis das Gebot auf vierhundert Dinare gestiegen war, worauf der Eigentümer des Ranzens, der mich von früher her kannte, zu mir sprach: »Warum sprichst du nicht und bietest nicht wie die andern Kaufleute?« Ich versetzte: »Bei Gott, mein Herr, ich hab' weiter nichts mehr an irdischem Gut als hundert Dinare.« Und aus Scham vor ihm standen mir die Thränen im Auge. Da schaute er mich, bekümmert über meine Lage, an und sagte zu den Kaufleuten: »Ich nehme euch wider mich zu Zeugen, daß ich den ganzen Inhalt dieses Ranzens an 122 Juwelen und Edelsteinen diesem Mann für hundert Dinare verkaufe, wiewohl ich weiß, daß sie so und soviel tausend Dinare wert sind; ich mache sie ihm zum Geschenk.« Hierauf gab er mir den Reisesack, den Ranzen und den Teppich mit allen Edelsteinen, die darauf lagen, und ich dankte ihm, während ihn alle anwesenden Kaufleute rühmten. Alsdann nahm ich alles und begab mich damit auf den Bazar der Juweliere, wo ich nun kaufend und verkaufend dasaß. Unter den Edelsteinen befand sich aber auch ein rundes Amulett, ein Meisterwerk, ein halbes Pfund schwer und von lichtestem Rot, auf dessen beiden Seiten Zeichen gleich Ameisenspuren eingegraben waren, ohne daß ich seinen Wert kannte. Nachdem ich ein ganzes Jahr gekauft und verkauft hatte, nahm ich das Amulett, indem ich sprach: »Das hat bei mir lange Zeit gelegen, ohne daß ich weiß, was es ist, noch was für einen Nutzen es hat.« Alsdann gab ich es dem Makler, der es nahm und damit die Runde machte, worauf er wieder zurückkehrte und sagte: »Keiner der Kaufleute hat mehr als zehn Dirhem dafür geboten.« Da versetzte ich: »Ich verkaufe es nicht hierfür,« worauf er es mir ins Gesicht warf und fortging. Als ich es dann an einem andern Tag zum Verkauf ausbot und man mir diesmal fünfzehn Dirhem bot, nahm ich es zornig dem Mäkler ab und warf es beiseite. Während ich aber eines Tages wieder dasaß, kam ein Mann zu mir und sprach zu mir, nachdem er mich begrüßt hatte: »Mit Verlaub, darf ich mir deine Waren besehen?« Ich versetzte: »Jawohl;« jedoch, o Fürst der Gläubigen, war ich noch immer erbost darüber, daß das runde Amulett keinen Käufer finden wollte. Wie nun der Mann die Waren um und um kehrte, nahm er von allem nichts als das Amulett, und, als er es sah, o Fürst der Gläubigen, da küßte er seine Hand und rief: »Gelobt sei Gott!« Alsdann sprach er: »Mein Herr, willst du dies verkaufen?« In wachsendem Ärger sagte ich: »Jawohl.« Da fragte er mich: »Wie hoch ist sein Preis?« Ich fragte dagegen: 123 »Wieviel giebst du mir dafür?« Er versetzte: »Zwanzig Dinare.« Da glaubte ich, er triebe seinen Spott mit mir, und sagte: »Scher' dich deines Weges.« Nun sagte er: »Fünfzig Dinare,« worauf ich ihm keine Antwort gab. Alsdann bot er tausend Dinare, während ich, o Fürst der Gläubigen, bei alledem schwieg und keine Antwort gab.« Er aber lächelte über mein Schweigen und fragte: »Weshalb giebst du mir keine Anwort?« Ich erwiderte: »Scher' dich deines Weges,« und war drauf und dran mit ihm Streit anzufangen, während er ein Tausend nach dem andern bot. Ich blieb still, bis er zwanzigtausend Dinare bot, so daß ich nun wirklich glaubte, er hielte mich zum besten. Inzwischen aber versammelten sich die Leute um uns, und jeder sagte zu mir: »Verkauf' es ihm, und wenn er es nicht kauft, so machen wir uns alle über ihn her, verprügeln ihn und werfen ihn zur Stadt hinaus.« Infolgedessen sagte ich: »Willst du kaufen oder treibst du deinen Scherz?« worauf er versetzte: »Willst du verkaufen oder treibst du deinen Scherz?« Ich erwiderte: »Ich will verkaufen.« Und nun sagte er: »Nimm dreißigtausend Dinare und schließ' das Geschäft ab.« Da sagte ich zu den Anwesenden: »Ich nehme euch wider ihn zu Zeugen; jedoch verkaufe ich dir das Amulett nur unter der Bedingung, daß du mir seinen Wert und Nutzen angiebst.« Er entgegnete: »Erst schließ' das Geschäft ab, und dann will ich dir seinen Wert und Nutzen mitteilen.« Da sagte ich: »Ich verkauf' es dir,« worauf er rief: »Gott sei für dein Wort Bürge!« Alsdann holte er das Gold hervor und händigte es mir ein, worauf er das Amulett nahm und, es in seinen Busen steckend, mich fragte: »Bist du zufrieden?« Ich erwiderte: »Ich bin's.« Nun sagte er: »Seid Zeugen, daß er das Geschäft abgeschlossen und die dreißigtausend Dinare empfangen hat.« Dann wendete er sich zu mir und sprach: »Armer Kerl, bei Gott, hättest du mit dem Verkauf noch gewartet, so hätten wir dir bis zu hunderttausend, ja bis zu einer Million Dinaren geboten.« Als ich dies 124 vernahm, o Fürst der Gläubigen, wich mir das Blut aus dem Gesicht, und seit jenem Tag ward es von dieser gelben Farbe, die du siehst, überzogen. Hierauf sagte ich zu ihm: »Sag' mir, weshalb und welchen Nutzen dieser runde Stein hat.« Er versetzte: »Wisse, der König von Indien hat eine Tochter, wie man keine schönere sah, doch leidet sie an Migräne.Nach der Breslauer Ausgabe ist die Krankheit Epilepsie, was zum folgenden besser paßt, da Fallsüchtige im Orient als Besessene gelten, wie bereits aus den Evangelien ersichtlich. Da ließ der König die Herren der Feder, die Gelehrten und Zauberer vor sich kommen, ohne daß sie sie von ihrer Krankheit befreien konnten. Da sprach ich zu ihm, da ich ebenfalls in der Versammlung anwesend war: »O König, ich kenne einen Mann, Namens Saadullāh der Babylonier, der in diesen Sachen wie kein anderer auf der Welt Bescheid weiß. Wenn es dir beliebt, so schicke mich zu ihm; thu' es nur!« Er erwiderte: »Geh' hin zu ihm,« worauf ich zu ihm sagte: »Schaff' mir ein Stück Karneol her.« Da ließ er mir ein großes Stück Karneol nebst hunderttausend Dinaren und einem Geschenk bringen, mit dem ich mich nach dem Lande Babel aufmachte, wo ich mich nach dem Scheich erkundigte. Nachdem man mich zu ihm gewiesen hatte, übergab ich ihm die hunderttausend Dinare nebst dem Geschenk und dem Stück Karneol, worauf er einen Steinschneider kommen ließ, der aus dem Stück Karneol dieses Amulett machte, nachdem der Scheich sieben Monate lang die Sterne beobachtet hatte, bis er eine zum Einschneiden dieser Talismane günstige Zeit erwählte. Als der Steinschneider die Zeichen eingeschnitten hatte, kehrte ich mit dem Amulett zum König zurück.
Neunhundertundzweiundfünfzigste Nacht.
Seine Tochter war aber mit vier Ketten gefesselt, und in jeder Nacht war ein Mädchen bei ihr, das am andern Morgen mit durchgeschnittener Kehle gefunden wurde. Wie 125 nun der König ihr das Amulett aufs Haupt legte, ward sie zur selbigen Stunde geheilt, so daß der König in mächtiger Freude mir ein Ehrenkleid anlegte und viel Geld als Almosen verteilte; das Amulett aber ließ er in ihr Halsband fassen. Nun traf es sich eines Tages, daß die Prinzessin mit ihren Mädchen auf ein Schiff stieg, um eine Lustfahrt aufs Meer zu unternehmen, wobei eins ihrer Mädchen im Spiel die Hand nach ihr ausstreckte und das Halsband zerriß, daß es ins Meer fiel. Und von Stund an kehrte der Dämon wieder in die Prinzessin ein. Da ward der König schwer bekümmert und gab mir eine Menge Geld, indem er zu mir sprach: »Geh' zum Scheich, daß er ihr ein anderes Amulett macht.« Als ich aber bei ihm eintraf, fand ich, daß er gestorben war, worauf ich zum König zurückkehrte und es ihm mitteilte. Da schickte mich der König nebst zehn andern in die Länder aus, ein Heilmittel für sie zu suchen, und so ließ Gott mich das Amulett bei dir wiederfinden.« Hierauf nahm er das Amulett von mir, o Fürst der Gläubigen, und ging fort; und dies ist der Grund, weshalb mein Gesicht die gelbe Farbe bekommen hat. Alsdann kehrte ich mit all meinem Gut nach Bagdad zurück und wohne seitdem in diesem Hause hier. Am nächsten Morgen in der Frühe kleidete ich mich an und begab mich zur Wohnung Tâhir bin el-Alās, um vielleicht meine Geliebte zu sehen, denn die Liebe zu ihr war in meinem Herzen immer größer geworden. Als ich jedoch zu seinem Hause gelangte, sah ich, daß das Fenster eingestürzt war, weshalb ich einen Burschen fragte und zu ihm sprach: »Was hat Gott mit dem Scheich gethan?« Er versetzte: »Mein Bruder, vor einigen Jahren kam ein Kaufmann, Namens Abul-Hasan von Omân, zu ihm und verbrachte bei seiner Tochter geraume Zeit, bis sein Geld ausging, worauf ihn der Scheich gebrochenen Herzens hinauswarf. Das Mädchen aber hatte ihn sehr lieb gewonnen und ward nach der Trennung von ihm schwer krank, so daß sie dem Tode nahe war. Als sie ihrem Vater hiervon 126 Mitteilung machte, schickte er nach ihm in die Länder aus indem er sich verbürgte, dem, der ihn zurückbrächte, hunderttausend Dinare zu zahlen. Doch sah ihn niemand, und keiner fand eine Spur von ihm. Sie aber ist noch heute dem Tode nahe.« Da fragte ich: »Und wie steht es mit ihrem Vater?« Er erwiderte: »Er hat infolge seines schweren Unglücks die Mädchen verkauft.« Nun sagte ich: »Soll ich dich zu Abul-Hasan von Omân führen?« Er entgegnete: »Um Gott, mein Bruder, thu's.« Da sagt' ich: »Geh' zu ihrem Vater und sprich zu ihm: Du bist mir einen Botenlohn schuldig, denn Abul-Hasan von Omân steht draußen vor der Thür.« Hierauf lief der Mann wie ein von der Mühle losgebundenes Maultier davon und kehrte nach einer Weile mit dem Scheich zurück, der bei meinem Anblick sofort wieder ins Haus zurückkehrte und dem Mann hunderttausend Dinare gab, worauf derselbe unter Segenswünschen auf mich fortging. Alsdann kam der Scheich auf mich zu und sagte, indem er mich weinend umarmte: »Mein Herr, wo bist du so lange gewesen? Meine Tochter ist infolge der Trennung von dir fast gestorben. Tritt ein ins Haus mit mir.« Als ich dann mit ihm eingetreten war, warf er sich in Dankbarkeit gegen Gott, den Erhabenen, nieder und sprach: »Gelobt sei Gott, der uns mit dir vereinigt hat!« Dann trat er zu seiner Tochter ein und sprach zu ihr: »Gott hat dich von deiner Krankheit gesund gemacht.« Sie versetzte jedoch: »Mein Vater, ich genese nicht eher von meiner Krankheit, als bis ich Abul-Hasans Antlitz schaue.« Er erwiderte ihr hierauf: »Wenn du einen Bissen gegessen hast und ins Bad gegangen bist, vereinige ich euch beide.« Als sie seine Worte vernahm, rief sie: »Ist's wirklich wahr, was du sprichst?« Er entgegnete: »Beim großen Gott, meine Worte sind wahr.« Da versetzte sie: »Bei Gott, wenn ich sein Gesicht schaue, brauche ich nicht mehr zu essen.« Und nun befahl er seinem Burschen: »Bring' deinen Herrn herein.« Da trat ich ein und, als sie mich anschaute, o Fürst der 127 Gläubigen, sank sie in Ohnmacht, worauf sie, nachdem sie sich wieder erholt hatte, den Vers sprach:
Gott hat die Getrennten wieder vereint,
Als sie nimmer wieder vereint zu werden glaubten.«
Alsdann richtete sie sich auf und sagte: »Bei Gott, mein Herr, ich glaubte dein Antlitz nimmermehr zu schauen, es sei denn im Traum!« Dann umarmte sie mich weinend und sprach: »O Abul-Hasan, jetzt will ich essen und trinken.« Da holten sie ihr zu essen und trinken, und ich blieb bei ihnen eine Zeitlang, bis sie ihre frühere Anmut wieder erlangt hatte, worauf ihr Vater den Kadi und die Zeugen rufen ließ und mir den Ehekontrakt mit ihr ausfertigte. Alsdann richtete er ein prächtiges Hochzeitsfest an, und sie ist mein Weib bis auf den heutigen Tag.«
Hierauf verließ der junge Mann den Chalifen und kehrte mit einem Knaben von wunderbarer Schönheit und schlankem und ebenmäßigem Wuchs zurück, zu dem er sprach: »Küß die Erde vor dem Fürsten der Gläubigen.« Da küßte er die Erde vor dem Chalifen, der sich über seine Schönheit verwunderte und seinen Schöpfer pries. Hierauf kehrte der Chalife mit seiner Gesellschaft heim und sagte zu Dschaafar: »Was ist das für eine wunderbare Geschichte! Nie hörte und sah ich etwas Merkwürdigeres.« Als sich dann Er-Raschîd in den Chalifenpalast gesetzt hatte, rief er: »Dschaafar!« Dschaafar erwiderte: »Zu Diensten, mein Herr.« Alsdann sprach der Chalife: »Bring' den Tribut von Basra, Bagdad und Chorāsân in diese Halle und laß einen Vorhang vor ihm nieder.« Da brachte er den Tribut, und es war eine gewaltige Geldsumme, die Gott allein zählen konnte. Alsdann rief der Chalife: »Dschaafar!« worauf Dschaafar erwiderte: »Zu Diensten.« Da sagte er: »Hol' mir Abul-Hasan her.« Dschaafar versetzte: »Ich höre und gehorche.« Als nun Abul-Hasan erschien, küßte er die Erde vor dem Chalifen, doch fürchtete er, der Chalife hätte ihn wegen eines Verstoßes holen lassen, den er während seiner Anwesenheit 128 in seinem Hause begangen hätte. Und nun sprach Er-Raschîd: »Omanit!« Abul-Hasan versetzte: »Zu Diensten, o Fürst der Gläubigen; Gott schenke dir ewige Huld!« Der Chalife entgegnete: »Heb' diesen Vorhang auf!« Wie nun der Omanit den Vorhang, der vor der Halle niedergelassen war, aufhob, verwirrte sich sein Verstand beim Anblick der Menge Geld, während der Chalife ihn fragte: »O Abul-Hasan, welches Geld ist mehr, dieses oder das, was du am Amulett verloren hast?« Er erwiderte: »O Fürst der Gläubigen, dieses ist um viele Male mehr.« Da sagte Er-Raschîd: »Seid Zeugen, ihr Anwesenden, daß ich dies Geld jenem Jüngling schenke.« Beschämt und weinend vor Freude, küßte der Omanit die Erde vor dem Fürsten der Gläubigen; als ihm aber die Thränen über die Wangen liefen, kehrte ihm das Blut ins Gesicht zurück, und sein Antlitz ward wie der Vollmond in der Nacht seiner Rundung, während der Chalife die Worte sprach: »Es giebt keinen Gott außer Gott! Preis Ihm, der die Dinge verändert und selber unverändert bleibt!« Alsdann ließ er einen Spiegel holen und den Jüngling hineinschauen, der, sobald er hineingeschaut hatte, sich aus Dankbarkeit zu Gott, dem Erhabenen, niederwarf. Hierauf befahl der Chalife das Geld zu ihm zu schaffen und forderte ihn auf, es nicht an Besuchen fehlen zu lassen, um sein Tischgenosse zu werden. Und so besuchte er fortan den Chalifen, bis dieser zur Barmherzigkeit Gottes, des Erhabenen, abschied. Preis dem Lebendigen, der nimmer stirbt, dem Herrn der sichtbaren und unsichtbaren Welt!