Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ein Frühling, der nie verging, blühte und duftete über Asgard, und die Götter gingen einher mit seliglachenden Augen. Die wilden Naturkräfte waren gebändigt, in ihre Schranken verwiesen und dem Wechsel der Jahreszeiten dienstbar gemacht. Jenseits des breiten Meergürtels, den die Asen um Midgard gelegt hatten, hausten die Riesen. Auf der Erde wuchs zahlreich und kräftig das Menschengeschlecht empor und brachte an heiligen Stätten den Göttern geweihte Opfer dar. Tief im Erdinnern aber schafften die Zwerge, klopften die köstlichen Erze aus dem Gestein und schmiedeten wunderbares Geschmeide, mit dem sich die Götter schmückten.
Das schwerste Tagewerk, die Erschaffung und Ordnung der Welt, war geschehen. Es war die Zeit, in der die Götter an sich selber denken durften und an frohe Feiertage.
Geschwisterlich vereint, einer dem anderen in Liebe zugetan, durchzogen sie die Blumenwiesen Asgards und bauten sich himmlische Burgen auf mit ragenden Hallen und zahllosen Fenstern zum Ausblick auf das Riesenland und die Menschenerde. Viele Namen gaben die Menschen den Göttern je nach der Sprache, in der sie sie verehrten, und die Nordmänner riefen den allweisen Wodan Odin.
Gladsheim hieß Wodans goldglänzende Burg in Asgard, die »Welt der Wonnen«, und der mächtigste Saal darin war Walhall. Ebenbürtig war ihm in Gladsheim nur ein zweiter, Wingolf, die heitere Halle der Göttinnen. Mit Frigg, seiner hohen Gemahlin, zeugte Wotan herrliche Asensöhne. Der herrlichste und beste unter ihnen war Baldur, der Lichte, den alle Götter mehr liebten als sich selbst, weil er das Vollkommenste war an Leib und an Seele, was Asgard hervorgebracht hatte und durch seine frühlingsfrohe Erscheinung, die kraftvolle Schönheit seines Wuchses und die Reinheit seines Gemütes Freude hervorrief, wo immer er ging. Breidablick hieß sein glänzender Saal, blank wie die Sonne, und nichts Unreines durfte über die Schwelle. Vorbildlich in allen Tugenden des Himmels und der Erde, hell und klar wie der sonnige Tag stand Baldur vor Göttern und Menschen, und sein Sohn, Forsetti, den ihm sein glückliches Gemahl Nanna geschenkt hatte, saß im Himmelssaale Glitnir als Gott der Gerechtigkeit und übte die richterliche Obergewalt. Hermodur aber, der schnelle Götterbote, war Baldurs Bruder und hing ihm zärtlich an.
Neben seinem Vater Wodan ragte über alle Asen Donar hinaus, den die Nordmänner Thor riefen. Nichts kam seiner Körperkraft und seinem heldischen Mute gleich. Er liebte die Menschen und ihr fruchtbares Ackerland, bekriegte die Unholden und Riesen, die die Erde bedrohten, und brauste mit seinem Bockgespann durch die Wetterwolken, daß sie der dürstenden Erde die heilbringenden Gewitterregen spenden mußten und die erfrischende Luft. Tanngniost, der Zahnknisterer, und Tanngrisnir, der Zahnknirscher, hießen die Böcke vor seinem Wetterwagen. Seine Halle aber hieß Bilskirnir, der Blitz. Selten war er daheim, der Vielbeschäftigte, und die Menschen, wo immer sie den nährenden Boden bestellten, liebten ihn in ihren Herzen und Hirnen über alle die anderen Asen und hingen ihm an in Not und Gefahr, denn sie fühlten sich ihm nahe, weil Jord seine Mutter gewesen war, die Erdgöttin. Darum liebte auch er den Bauernstand. Seine Gemahlin war Sif, die so schönhaarig war wie goldenwogendes Getreidefeld. Seine Tochter Thrud wuchs auf in des Vaters gütiger Art, während seine Söhne, Modi, der Zorn, und Magni, die Kraft, des Vaters Kämpferblut ererbt hatten. Bedurften die Götter des stärksten aller Asen Hilfe, so riefen sie nur seinen Namen, und wie der Blitz stand Asathor unter ihnen. Das Volk der Menschen aber opferte dem Stärksten der Starken unter den ragendsten Eichen.
Donar-Thor am nächsten an Heldenhaftigkeit und Sorge um Menschenvolk und Menschenerde stand Tuisko, Ziu genannt und von den Nordmännern Tyr. Als Gott über den strahlenden Himmel gesetzt, beschenkte er die Erde mit Wärme und Licht, bevor die Nacht kam, und steigerte ihre Fruchtbarkeit. Feind war er darum allen zerstörenden Kräften und hob das Schwert gegen die gierigen Kriegerscharen, die sengend und mordend ins Land fielen. Als Schwertgott feierte ihn deshalb das Volk, ritzte seine Runen in die Klingen und huldigte ihm in Schwertertänzen, wenn es galt, die Jünglinge mutig und mannhaft zu machen; in Menschenopfern, wenn es unter stürmischer Anrufung seines Namens die Schlachtreihen des Feindes durchbrochen und niedergestreckt hatte. In heiligen Hainen verehrte ihn das dankbare Volk, und es bezeugte dem strahlenden Himmelssieger die Ehrfurcht des Menschenkindes, daß es seinen Tempelhain nur in freiwillig gewählten Fesseln und tief zur Erde gebeugt betrat. Weiße Rosse waren dem Schwertgott heilig, die mit den Hufen salzige Quellen geöffnet hatten zur Kräftigung der kriegswunden Glieder, und das Wiehern der Rosse galt als Weissagung.
Wie der frühlingsfrohe Baldur als Gott des Tages, so herrschte der blinde Hödur als Gott der Nacht. Einsam war er und schweigsam. Nur wenn das Licht sich neigte, trat er in die Dämmerung, um in das Dunkel zu wandern. Und da er blind geboren war, wußte er wenig von dem fröhlichen Tun der Götter, die ihn still seine Wege gehen ließen.
Auch Hönir wohnte in Asgard, der Fahrtgenosse Wodans, der dem ersten Menschenpaare in Midgard die Seele geschenkt hatte und die Bewegung der Glieder. Er machte wenig Worte und war ein Mann des Friedens und der Ruhe.
Königlich anzusehen war Uller, der über den Winter gesetzt war und auf gewaltigen Schneeschuhen über Schnee und Eis dahinstob, mit Pfeil und Bogen das Wild zu jagen. Ihm jubelten die Jäger zu.
Am königlichsten neben Wodan-Odin erschien Loki, der Gott des Feuers und der Hitze. Von verführerischer Anmut und blendender Geistesschärfe, berufen, neben Allvater zu stehen, fehlte ihm Wodans Willenskraft und Baldurs sittliche Größe, so daß er oft und gern seine hohen Gaben verwandte, um durch übermütiges Trugwerk und geistreiche Listen das Gelächter der Götter zu erregen und sich im billig erworbenen Ruhm zu sonnen. Da es seiner Herrschsucht und Eitelkeit nicht gelungen war, der Erste der Götter zu werden, so wünschte er ihnen seine überlegene List und Klugheit ständig zu bezeigen, und was zuerst ein leichtfertig Spiel erschien und lustiges Gelächter erregte, konnte leicht zu unheilvollem Ernst werden, wenn die Götter ihm nicht die Grenzen seines Tuns umschrieben. Als Wodans Fahrtgenosse bei der Erschaffung der Menschen hatte er dem ersten Menschenpaare einen Tropfen seines Blutes vererbt: die ungezügelte Leidenschaft. Die Menschen aber fürchteten sich vor dem unbeständigen, bald schmeichlerischen, bald jähzornigen Gott und hielten sich in ihren Anrufungen vor seinem Namen zurück.
Asgards Wächter, der treue Heimdall, saß als Markgraf in seiner Halle an der Brücke Bilfrost, die sich wie ein Regenbogen vom Himmel zur Erde spannte. Der Scharfäugigste war er und der Hellhörigste. Hunderte von Tagereisen weit sah sein Auge durch Tag und Dunkel, und sein Ohr hörte das Gras auf der Erde, die Blätter an den Bäumen, ja die Wolle auf den Schafen wachsen. Er war der Früheste, denn er schlief nicht ein, weil er aus der Dämmerung des Abends schon die Dämmerung des Morgens ersah. Keinen besseren Mann konnten die Götter an die einzige Brücke stellen, die gen Asgard führte. –
Ein Frühling, der unvergänglich schien, blühte und duftete über Asgard, und die Götter gingen einher mit seliglachenden Augen. Geschwisterlich vereint, einer dem andern in Liebe zugetan, durchzogen sie die Blumenwiesen, trieben ritterliches Spiel, huldigten Frigg, der erhabenen Himmelsmutter, und den jüngeren Göttinnen ihres Hofes, Saga, der weisen, mit der Allvater den Trunk des Wissens aus goldenen Schalen schöpfte, Fulla, der listigen Vertrauten der Himmelsmutter, Menglod, der flammenden Morgenröte, Idun, der jugendschönen, der ewig jungen, die die Zauberäpfel bewahrt, von denen die Götter essen, um nimmer zu altern, Gefjon, der klugen, zu der die Mädchen beteten. Manche gleich schöne, gleich kluge Götterjungfrau lächelte aus Friggs Gefolge den Götterhelden zu, wenn sie auf blitzschnellen Rossen über die Wiesen jagten, den Speer schossen oder die heißen Schwerter über Schild und Brünnen fegen ließen. Oder wenn sie auf den Bänken der Halle saßen, Lieder zur Harfe sangen und den Met sich zutranken, den die Holden ihnen in den kostbaren Trinkgefäßen reichten, gefertigt aus blinkendem Gold von dem reichen Volk der Zwerge. Dann legten die Götter den frohen Frauen funkelnden Schmuck um Hals und Nacken, Edelgestein, das die Zwerge erschürft hatten, glitzernde Halsbänder und schimmernde Kronreifen, die Flut der Locken zu fassen, und schlangen die Arme um die schlanken Hüften und wußten nur von Liebe und nichts von Leid, weil sie einig waren und einer des anderen sicher im selben Sippschaftsgefühl. Und weil sie schuldlos waren und gerecht.
So lebten die Götter ihr goldenes Zeitalter, und der ewige Frühling blühte und duftete über Asgard und sandte seine Sonne in alle Welten. –
Heiteren Auges saß Wodan auf dem Hochsitz über der heiligen Türschwelle seines Saales, die den Ausblick bot nach Midgard, dem Land der Menschen, und nach Utgard, dem Land der Riesen und Trolle. Seine Jagdwölfe lagen ihm zu Füßen, und seine Weisheitsraben flogen von seiner Schulter her und hin und kehrten geruhsamen Fluges zurück. Denn nichts Böses gab es zu melden. Das Volk der Menschen gedieh in den drei Ständen, in die der treue Hüter Heimdall Bauern, Bürger und Krieger gegliedert hatte, zu Wohlstand, Glück und Ehre, und das Riesengeschlecht lag schlemmend und zechend in den Grenzen, die ihm gezogen waren, sang und brüllte beim Gelage, daß oft Meer und Erde erbebte, und schielte nur zuweilen wie in erwachender Erinnerung nach den Göttern in Asgard. Die Thursen, das ist die Starken, nannten sie sich, die Asen aber nannten sie um ihrer Gefräßigkeit willen die Joten, das ist die Fresser, und ihr Reich Jotunheim, das Vielfraßland. Oft waren die Thursen von ebenso plumpem Wesen wie Gliedern, und es bedurfte nur eines neckenden Wortes, daß sie wie Schlagetote mit losgebrochenen Felsen und entwurzelten Bäumen aufeinander loshieben. Wo aber etlichen unter ihnen Weisheit geschenkt war, traten sie auf als Beherrscher der Elemente und lenkten Meerflut, Sturm und Feuersbrunst. Als gewaltige Baumeister suchten sie ihresgleichen, denn ein kleines war es für sie, Felsen auf Felsen zu türmen und Burgen zu erbauen, die bis zum Himmel ragten. Oft waren ihre Weiber scheußlich und verzerrt wie Strudel und Gischt, oft aber auch über die Maßen schön wie lächelnd atmende Meeresstille.
Denn mächtige Wasserriesen gab es und furchtbare Sturmriesen, Berg- und Waldriesen von ungeheuerlicher Stärke und hitzige Feuerriesen. Ihre Jahreszeit hob an, wenn der Sommer geschwunden war. Der heulende Herbst, der krachende Winter blieb ihre Freude, bis die frühlingsfrohen Götter ihrem Gelärm Einhalt geboten.
Der gutmütigste unter ihnen war Ägir, der Herrscher der weiten, der offenen Meere. Wenn die Götter ausfuhren in die Welt, kehrten sie oft in seiner Meereshalle ein und taten gewaltige Züge Metes bei dem fröhlichen Alten. Bösartiger Natur war Ran, sein Weib, die Räuberin. Auf dem Grunde des Meeres kauerte sie und stellte grausam ihre Netze nach den Schiffern, die über sie dahinfuhren. Neun Töchter zeugte das Paar, die wie spielende Wellen verführerisch lockten und die in Liebe entbrannten Söhne der Männererde in ihre Umarmung zogen und auf den Meeresgrund, in den Todessaal ihrer Mutter Ran.
Über das Eismeer herrschte Hymir, der Frostriese, vor dessen eisigem Blick Felsen zerbarsten wie Glas. Den größten Braukessel besaß er, tief wie das Meer, aber er hielt ihn unter Schloß und Riegel als unwirscher Gesell.
Scheusälig aber war Grendel anzuschauen, der Nebelriese der Sturmflut, mit drachenförmigem Haupt und Krallen wie Stahl, gezeugt von einer wölfischen Mutter, die bei ihm hauste und ihm auf seinen Unholdfahrten gierig folgte. Unheimliche Schlupfwinkel wählten sie zu Wohnstätten, im fiebrigen Moor, in feurigen Gewässern. Und Mensch und Tier erschauerte vor diesem fiebrigen Feueratem.
Jetzt aber gaben die Riesen Ruhe, denn der allweise Wodan hielt sie im Bann seiner Gerechtigkeit. Nicht umsonst hatte er Yggdrasil geschaffen, die Weltesche, die ihre Wurzeln unter Midgard, Utgard und Niflheim senkte und ihm Wissen gab aus allen Welten. Wenn die Götter aus Asgard hinabstiegen, um über das Menschenvolk zu richten, so stiegen sie zu dem Brunnen der Nornen, aus dem eine Wurzel der Weltesche trank, zu den Schicksalsmädchen Urd, Skuld und Werdandi, die die Geschicke jedes Menschen wußten von seiner Geburtsstunde an bis zur Todesstunde. Oft aber stieg Wodan ungeleitet zum Brunnen Mimirs, des Weisesten der Weisen aus Ymirs Geschlecht, das Welt und Urzeit sah, bevor die Götter waren. Und er bot ihm göttliche Freundschaft, wenn er ihm alles sagte aus der tiefsten Tiefe.
»Wie soll ich deiner Freundschaft trauen?« sprach Mimir. »Du bist ein Ase und ich ein Thurse.«
»Wähl dir ein Pfand,« sprach Wotan.
»Was hältst du am höchsten an dir?« fragte Mimir.
»Meine allsehenden Augen.«
»So gib mir das eine zum Pfand.«
Da gab der Gott das Auge zum Pfand und gewann Mimir zum Freunde. Und Mimir schöpfte mit Wodans Auge die Tropfen aus der tiefsten Tiefe, und sie saßen beieinander und raunten miteinander manche Nacht.
Einäugig kehrte Wodan gen Asgard zurück. Aus Liebe zu seiner Schöpfung, aus Liebe zu den Göttern und Menschen hatte er sein Auge dargebracht. Denn nun war der Allweise allwissend geworden.
Oft wandelte er in Asgard zum Wohnsitz der Saga, der ernstgerichteten Göttin, und trank mit ihr aus einer Schale und besprach mit ihr feierliche Dinge, die wie Gesang waren aus tiefen Brunnen. Und die Saga ritzte sie in heilige Zauberrunen, während die Götter und Göttinnen draußen über die blumigen Wiesen jagten und sich in Liebe fanden, an festlichen Tafeln saßen und sich mit Kränzen schmückten und dem funkelnden Goldgeschmeide.
Kinderselig hallte das Lachen über Asgards Wiesen, durch Asgards Hallen.
Wodans Ohr hörte es wohl. Sein Auge blickte sinnend.
Über Sagas Haar strich er und erhob sich.
»Sie sollen fröhlich sein. Lange, lange ... Denn so lange die Götter schuldlos sind, sind sie unsterblich.«