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Kaum zu Hause wieder angelangt, verließ mich der letzte Rest jenes Fiebers, das mir die vergangenen Wochen im Blut gesteckt hatte.
So dankbar ich das viele Gute und Schöne dieser Sommer- und Herbstzeit genossen hatte, so wertvoll es mir war, einmal eine Zeitlang ein Stück Welt von »der Menschheit Höhen« herab, aus der Königsperspektive betrachtet zu haben, so war dies Leben doch nicht das mir gemäße gewesen, das mich befähigte, etwas zu schaffen, woran ich Freude hatte. Das begann nun wieder, sobald ich mich in der alten Freiheit sah.
Denn durch die völlige Unabhängigkeit, die ich stets genossen hatte, war ich dermaßen verwöhnt, daß ich es auch in den Morgenstunden zu keiner dichterischen Stimmung bringen konnte, wenn ich nicht durchaus Herr meines Tages war und durch einen fremden Willen mir nur der geringste Zwang auferlegt wurde. Nun kam sofort allerlei zustande, was in der höfischen Zeit mich nur »im Traum der Gedanken« beschäftigt hatte. Zunächst ging ich wieder an »Ludwig den Bayern«, den ich am 5. Januar in zweiter Schrift zu Ende brachte. Die »Hochzeit am Walchensee« reifte heran, und als Frucht meiner Jagd- und Hochgebirgsstudien entstand die kleine Novelle »Auf der Alm«. Daneben las ich mit Schack die »Phönissen« des Euripides (den griechischen Text, der ihm allerdings geläufiger geblieben war als mir), gab meinem ältesten Buben Schreibunterricht, erfreute mich an dem Aufblühen seiner beiden Geschwister und verkehrte in der alten traulich geselligen Weise mit den Freunden, vor allem mit Geibel, Sybel, Windscheid, Grosse, Adolf Wilbrandt und dem trefflichen Melchior Meyr. Die Krokodile standen im Flor. Auch die Symposien begannen wieder, da der König noch vor Ende November nach München zurückgekehrt war, und am 3. Januar wurde Geibels »Brunhild« zum erstenmal aufgeführt und mit großem Beifall aufgenommen.
Zwischen all diesem Treiben beschäftigte mich die Sorge für meine »Grafen von der Esche«, die Laube schon anfangs November angenommen hatte, und die allerlei Nacharbeit nötig machten. Am 11. Januar kam es zur Erstaufführung im Burgtheater. Die ersten vier Akte fanden »lebhaften Beifall«, der letzte »eine geteilte Aufnahme«. Ich entschloß mich aber erst am 20. Februar, nach Wien zu reisen und mit eigenen Augen mich zu überzeugen, was ich von dem Stück und seiner Bühnenwirkung zu halten hätte.
Das Wiener Burgtheater stand damals auf der Höhe seines Ruhms und galt unbestritten für die vornehmste unter allen deutschen Bühnen. Der alte königliche Heldenspieler Anschütz stand noch in voller Kraft, neben ihm der geniale, unvergleichlich feine Fichtner und der reichbegabte Laroche, Sonnenthal im vollen Glanz seines jugendlichen Talents, Joseph Wagner, der wenigstens in Wien in hohem Ansehen stand, daneben die noch jüngeren großen Talente Baumeister und Lewinsky, die Komiker Beckmann und Meixner, das Gabillonsche Ehepaar und von Künstlerinnen, außer meiner hochverehrten und sehr geliebten Julie Rettich, Frau Hebbel, Frau Haizinger mit ihrer reizenden Tochter Luise Neumann und die damals vor allen gefeierte Friederike Goßmann, geringerer Kräfte zu geschweigen, die an anderen Bühnen ebenfalls an erster Stelle geglänzt haben würden. In der Tat eine Künstlergesellschaft, wie sie auch in Wien weder vor- noch nachher sich zusammengefunden hat.
Und neben den glänzenden Darstellern die Dichter, die ihnen dankbare Aufgaben boten. Es war die literarische Blütezeit Wiens. Zwar hatte sich der Altmeister Grillparzer seit Jahren grollend zurückgezogen, aber Laube bemühte sich, ihn mit dem Publikum wieder auszusöhnen, das ihn durch die kalte Aufnahme seines Lustspiels »Weh dem, der lügt« unheilbar verwundet hatte. Desto mehr im Sonnenschein der Gunst stand Halm, den Grillparzer nicht als Ebenbürtigen schätzte. Wie er von Hebbel dachte, der seit Jahren in Wien seinen Wohnsitz aufgeschlagen, ist mir nicht bekannt. Bauernfeld jedoch ließ er gelten, und Joseph Weilen hatte sich eine Art Schülerstellung bei ihm erobert. Laube selbst versah die Bühne mit Stücken, die trotz einer gewissen Trockenheit eine starke Lebenskraft bewiesen. Auch Mosenthal sei hier erwähnt, wenn er auch nicht hielt, was seine »Deborah« versprochen hatte. In der Posse war Nestroy noch immer tätig. Daneben lebte noch von bedeutenderen Lyrikern Zedlitz, und die talentvolle Betty Paoli genoß in der Wiener Gesellschaft einer großen Beliebtheit. Man wird begreifen, daß ich dem, was in Wien meiner wartete, mit großer Spannung entgegensah.
Seit Anbeginn meiner dramaturgischen Laufbahn hat Laube mir das redlichste Wohlwollen bewiesen und bis an sein Ende, auch nachdem er die Burg verlassen und das Stadttheater übernommen hatte, alles, was ich ihm brachte, mit warmem Anteil aufgenommen. Nach seinem Tode, sowohl unter Dingelstedt wie dessen sämtlichen Nachfolgern, habe ich mich eines gleichen Entgegenkommens nicht mehr zu erfreuen gehabt. Um so pietätvoller bewahre ich das Andenken an den klugen, energischen, bis zur Schroffheit aufrichtigen Mann, der mich bei meinen ersten, noch vielfach tastenden Schritten mit seinem erfahrenen Rate förderte und durch seinen knappen sachlichen Beifall ermutigte.
Ich konnte nicht immer seiner Meinung sein, sofern es das höhere dichterische Interesse betraf. Aber ich mußte ihm zugestehen, daß er stets Recht hatte in bezug auf sein Publikum, das er aus dem Grunde kannte. Und wie sicher er es verstand, auf den Proben die möglichst scharfe theatralische Wirkung herauszuarbeiten, mußte jeder bezeugen, der ihn einmal am Werk gesehen.
Meine Eschengrafen hielt er gewiß so wenig wie ich selbst für ein Meisterwerk. Es waren neben den einfachen, kräftigen Szenen von volkstümlicher Frische außer einer mühsam aufgebauten Vorgeschichte intrigenhafte Partien darin, die auf der Bühne erkältend wirken mußten. So ging in einem einzigen Akt ein vermeintlicher Liebestrank, der ein Gift war, allerdings in geschickter Motivierung durch nicht weniger als vier Hände, bis er seine Schuldigkeit tat und den jungen Helden in den Verdacht des beabsichtigten Vatermordes brachte. Aber eine warme poetische Blutwelle strömte durch das Stück, und das Thema: die Versöhnung eines alten Ehepaares, das eine bösliche Verleumdung jahrelang geschieden hatte, durch den eigenen Sohn, konnte einer tiefen Teilnahme des Publikums sicher seinZugrunde lag die alte Sage von Dietleib und ein französischer Reisebericht über den Sohn des Markgrafen Gaston Phébus von Béarn in der Beilage zur Augsburger »Allgemeinen Zeitung« vom 28. Juni 1857..
Sie blieb auch nicht aus, wovon ich mich am 22. Februar bei der vierten Wiederholung überzeugen konnte. »Die Eschen hielten sich ganz wacker,« verzeichnet mein Tagebuch. Daß sie es dennoch nicht zu einem dauernden Erfolg brachten, lag außer der schon erwähnten Verzwicktheit und Künstlichkeit mancher Motive nicht zum wenigsten an der nur teilweise glücklichen Besetzung.
Wahrhaft enttäuscht war ich vor allem durch Joseph Wagner, der die innerliche Wucht meines älteren Eschengrafen nicht von fern zur Anschauung brachte, während doch die Hälfte der Aufgabe auf seinen Schultern ruhte. Ein weichlicher Deklamator, wo ich einen tiefverdüsterten, schwerblütigen, jäh aufwallenden Starrkopf gezeichnet hatte. Nicht minder ungenügend war die Goßmann, die aus dem einfachen, rührend hingebungsvollen Bürgerkind eine sentimentale Naive machte, und der junge Lewinsky, um nicht in die Manier des Theaterbösewichts zu verfallen, hielt sich so trocken zurück, daß seine scharf charakteristische Rolle keinen Eindruck zu machen vermochte.
Daß das Stück dennoch sich »ganz wacker hielt«, verdankte ich vor allem dem glänzenden, tief ergreifenden Spiel meiner Freundin Julie Rettich, die mir, solange ich den Stoff in mir getragen, stets als die einzige kongeniale Darstellerin der alten Gräfin vor Augen gestanden hatte. (Laube, der bekanntlich auch sonst mit seinen Besetzungen gern experimentierte, hatte nur wiederstrebend eingewilligt, die Rolle ihr und nicht der Hebbel zu geben.)
An dieser Stelle drängt es mich, auszusprechen, daß ich die höchsten dramatischen Eindrücke, neben und über der Rachel, der Ristori und der Janauschek, dieser einzigen Künstlerin verdankt habe. Sie war auch als Frau die bedeutendste weibliche Erscheinung, die mir je begegnet ist, von einem angeborenen Adel des Geistes und Herzens, einer leidenschaftlichen Güte und schlichten Helle des Gemüts, einem aufopferungsfreudigen Freundschaftssinn und einer verständnisvollen Duldung für alles Menschliche, selbst wenn es ihrer eigenen Natur fremd war, wie es auf dieser unvollkommenen Erde selten zu finden ist. Dazu kam, daß sie eine der sehr wenigen ihres Berufes war, die das Theater nicht in ihr bürgerliches Leben mit hinübernehmen. So sehr sie für ihre Kunst begeistert war, so vollständig fiel aller Theaterflitter von ihr, sobald sie sich abgeschminkt hatte, und die echten Züge der Gattin, Mutter, Großmutter und Freundin traten auf ihrem großgebildeten, geistvollen Gesicht zutage.
Sie war mit einem vortrefflichen Manne verheiratet, der als Schauspieler weit unter ihr stand und lebenslang unter dem Wahne litt, daß sein Talent verkannt werde. Eine einzige Tochter hatte diesen unglücklichen Mangel an Selbsterkenntnis vom Vater geerbt und bei ihrer Verheiratung mit dem Impresario Merelli es sich ausbedungen, als Sängerin auf italienischen Bühnen auftreten zu dürfen, wo sie nirgend Erfolg hatte. Den geheimen Kummer über diese kaltherzige Tochter, die der Mutter so wenig ähnlich sah, vergüteten meiner Freundin zwei liebliche Enkelkinder, deren Erziehung die herumreisende Mutter nur allzu willig der Großmama überlassen hatte. So fand ich sie, als ich nach Wien kam, außerdem umgaben sie noch einige Hausfreunde, die sie gleich dem Gatten auf Händen trugen; ein alter, bescheidener Hausonkel, Pabsch, die leidenschaftlich getreue Freundin Julie Schlesinger und der »Adoptivsohn« Faust Pachler; vor allen aber der Freiherr Eligius von Münch-Bellinghausen, der Dichter des »Sohns der Wildnis« und des »Fechters von Ravenna«, Friedrich Halm.
Schon im Juli des Jahres 1854 hatte ich die große Künstlerin in München bei Gelegenheit des Gesamtgastspiels bewundern können. Ihre Gräfin Orsina, Königin Elisabeth, Sittah, Dame in Trauer in »Minna von Barnhelm«, Isabella in der »Braut von Messina« hatten mich entzückt. Nie zuvor war mir auf der Bühne eine solche Durchdringung des hohen Stils mit vollem Lebensgefühl und reicher Charakterisierung begegnet, und daß die geniale Frau es nicht bedurfte, vom Kothurn getragen zu werden, um alle Mitspieler zu überragen, sah ich zehn Jahre später bei ihrem Gastspiel in Berlin, wo sie in Octave Feuillets kleinem Stück »Le village« die schlichte gute Frau so ergreifend spielte, daß ich mich der Tränen nicht erwehren konnte.
Damals, in meinem ersten Münchener Jahr, hatte ich sie auch persönlich kennen und lieben gelernt und ihr meinen »Meleager« gewidmet. Sie besuchte uns mit ihrem Gatten und Baron Münch einige Jahre darauf wieder, wo dann unsere Freundschaft sich vollends befestigte. Auch mit Halm kam ich in ein freundliches Verhältnis und fand ihn »edel, hilfreich und gut«, stets bemüht, jüngeren Talenten mit seinem erfahrenen Rat unter die Arme zu greifen. Sein klares Urteil kam auch mir bei meinen dramatischen Entwürfen vielfach zustatten. Denn er war ein Meister in der Kompositionstechnik, im dramaturgischen Kontrapunkt, und verstand es mit virtuoser Sicherheit, jeden Stoff sofort auf seine entscheidenden Grundmotive anzusehen und ihn danach organisch zu gliedern. Hätte er das Knochengerüst ebenso glücklich mit Fleisch und Blut zu bekleiden vermocht, so wäre er der Größten einer geworden.
Hier aber versagte ihm die Natur. Statt des unmittelbaren Ausdrucks der Leidenschaft stand ihm nur eine konventionelle glatte Rhetorik zu Gebote, und wo man den naiven Naturlaut erwartete, brachte er es nicht über eine süßliche Lyrik und jenes theatralische Getändel, das wir mit dem Namen »Wienereien« bezeichneten. (»Zwei Seelen und ein Gedanke« – im »Sohn der Wildnis«!)
Er hatte aber, da die spätere Julie Rettich als Julie Gley von Hamburg nach Wien gekommen war, ihr aufs wärmste gehuldigt und Rollen geschrieben, in denen sie das Wiener Publikum begeistern konnte. Die persönliche Freundschaft, die unerschütterlich durch die langen Jahre fortbestand, kam hinzu, um das Urteil der Schauspielerin über ihren Dichter befangen zu machen. So feinsinnig und hellsichtig in allem Dichterischen, nicht bloß in bezug auf den Theatereffekt, die seltene Frau war, hier bornierte ihr Herz ihren Verstand. Die einzigen Stunden, in denen ich ihren Unwillen erregte, waren die zum Glück nicht häufigen, in denen sie mich aufforderte, über ein neues Drama Halms mich auszusprechen, wo ich dann trotz der behutsamsten Form an die Schranke stieß, die durch das weibliche Gefühl gezogen und durch kein ästhetisches Räsonnement einzureihen war.
Wie sehr es mich beglückte, meine so schwärmerisch verehrte Freundin in einem meiner Stücke auftreten zu sehen, brauche ich nicht zu schildern. Auch sonst aber waren diese acht Tage in Wien eine wahre Festzeit für mich.
Zu den Vorteilen meiner Münchener Existenz hatte ich es auch gezählt, daß sich dort außer ein paar Freunden niemand um mich bekümmerte. Es gab keine »Salons«, keine »Gesellschaft«, die einen Ehrgeiz darein setzte, bedeutende Persönlichkeiten, sogar so erlauchte wie einen Justus Liebig, zu sich heranzuziehen, bloß um mit ihnen als Dekorationen zu prunken. Ein inneres Interesse schien noch weniger zu bestehen. Es kam nie vor, daß mir am dritten Ort über irgendeine meiner Arbeiten ein Wort gesagt wurde, und eine öffentliche literarische Kritik gab es, wie schon erwähnt, in der Münchener Frühzeit noch kaum. Man konnte im übrigen Deutschland berühmt werden, ohne daß die Stadtgenossen etwas davon erfuhren.
Dieser Mangel an aller persönlichen Verhätschelung war aber eine heilsame Disziplin für den Charakter eines jungen Poeten, dem es um Eitelkeitserfolge nicht zu tun war. An ehrlicher Kritik ließen es die Freunde nicht fehlen, so wenig wie in Stunden des Zweifels und der Selbstunterschätzung an Aufmunterung und frischem Wind unter die Flügel. Gedruckte Rezensionen hatte ich mir von Anfang an so viel als möglich fernzuhalten gesucht, da ich selbst die Schwächen einer jeden fertigen Arbeit nur allzu genau erkannte und übrigens wußte, daß es vergebene Mühe sein würde, meiner Länge eine Elle zusetzen zu wollen.
Nun überraschte es mich wahrhaft, von der liebenswürdigen Wiener Gesellschaft als ein junger Poet begrüßt zu werden, mit dem man sich schon viel beschäftigt und dem man für manche gute Gabe zu danken habe. Dabei hatte man den Takt, mich nicht durch banale Lobsprüche verlegen zu machen, sondern dieses und jenes vorzubringen, womit man nicht einverstanden war, so daß ich mich sogleich zu meiner Rechtfertigung in ein angeregtes Gespräch hineingelockt sah. Dazu die schönen Frauen, die herrliche Umgebung der Stadt, die Kunstschätze des Belvedere und der reichen Privatgalerien und die Abende im Theater, die mir außer den Stunden im Rettichschen Kreise die größte Freude machten. Nicht vorzugsweise die klassischen Dramen, deren Ausstattung hinter der weit künstlerischeren des Münchener Hoftheaters zurückblieb, während ich auch im Spiel bei allem großen Talent der einzelnen eine gewisse Einheit und Größe des Stils vermißte. Darauf einzuwirken, war eben Laubes Sache nicht. Desto vollkommener erschien mir das Lustspiel und Konversationsstück, von einer Feinheit, Anmut und Wahrheit, wie ich nichts Ähnliches bisher gesehen hatte. Auf gleicher Höhe in anderem Genre das komische Quartett im Treumanntheater: Nestroy, Grois, Treumann, Knaak. Unsere Lang und Sigl waren gewiß Humoristen ersten Ranges. Aber zu einer so aristophanischen Höhe grotesker Komik, einem solchen Übermut und Überschwang ausbündiger Lustigkeit, wie dort in Wien, konnten sie es nicht bringen, schon weil die Mitspieler ihnen nicht ebenbürtig waren.
Es würde viele Bogen füllen, wollte ich von jenen acht Tagen ausführlich berichten. Unter den vielen neuen Bekanntschaften, die mein Tagebuch verzeichnet, sei nur zweier erwähnt: Grillparzers und Hebbels.
Über beide hatte ich im »Literaturblatt zum deutschen Kunstblatt« mich ausgesprochen, über den Altmeister der österreichischen Dramatiker, der damals in Norddeutschland so gut wie verschollen war, mit andächtiger Bewunderung. Ich hatte ihn gleichsam neu entdeckt und zum erstenmal, da die Rettich mir seine sämtlichen, noch zerstreut erschienenen Dramen geschenkt hatte, mit tiefstem Interesse studiert. Er hatte wohl von meinem Aufsatz Kenntnis genommen und ihn mir gedankt. Nun empfing er mich, da Lewinsky mich zu ihm führte, mit einer Freundlichkeit, die mir das Herz aufgehen ließ. Ich genoß bei dem ehrwürdigen Greise eine unvergeßliche Stunde, und als ich bei meinem zweiten Besuch mich von ihm verabschiedete und er mich mit väterlicher Güte umarmte, war ich nahe daran, wie er selbst in jungen Jahren einem Größeren gegenüber, von meiner inneren Bewegung mich zu Tränen fortreißen zu lassen.
Anders verlief mein Besuch bei Hebbel. Dessen Gedichte hatte ich respektvoll, aber ohne Verhüllung dessen, was ich für die Grenzen seiner Begabung hielt, besprochen, das Gewaltsame und Grüblerische seines Wesens auch in der Lyrik, die dialektische Marotte hervorgehoben, mit der er allem Einfachen aus dem Wege ging, und die Unfähigkeit, »Geist und Natur auf ungetrennter Spur« sich verbinden zu lassen. Ich war also nicht auf den freundlichsten Empfang gefaßt, zumal ich darauf bestanden hatte, daß die Rolle meiner Gräfin von der Esche der Rettich zuerteilt werden sollte.
Ich fand aber den merkwürdigen langen blonden Mann zwar etwas einsilbig, doch ohne jede Spur einer Empfindlichkeit gegen den dreisten jungen Kollegen. Eine gewisse befangene Höflichkeit auf seiner Seite verschwand bald, und ein interessantes Gespräch kam in Gang, an dem dann auch die Frau teilnahm. Da ich sein großes Talent anerkannte, so problematisch mir auch das meiste, was er hervorgebracht, erschien – die grandiosen »Nibelungen« waren noch nicht gedichtet –, konnte ich ihm einen aufrichtigen guten Willen zeigen, der ihm nach der Vorstellung, die er sich von mir gemacht, sichtlich wohltat.