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(1868)
Es regnete schon den dritten Tag, und die Garten- und Waldwege um das Landhaus herum waren in Bäche verwandelt. Am ersten und zweiten Tage hatte die Gesellschaft, die sich dort zusammengefunden, ihren Ehrgeiz darin gesetzt, so unerschöpflich an guter Laune zu sein, wie der Himmel an Wolken, und in dem großen fünffenstrigen Salon, vor dem die Oleander blühten, regneten die Scherze, rauschte das Gelächter und rieselten die witzigen Anspielungen so ununterbrochen, wie draußen die Tropfen auf die Terrasse niederprasselten. An diesem dritten Tage aber beschlich die Herzhaftesten in der Arche eine zaghafte Ahnung, daß die Sündflut einen längeren Athem haben möchte, als ihr Humor. Zwar wagte Niemand, das Gelübde, das man sich vorgestern gethan, nämlich, diese Heimsuchung gemeinsam zu überstehn, zu brechen und auf sein Zimmer zu schleichen, um dort auf eigene Hand verdrießlich zu sein. Aber das gemeinsame Gespräch, die Spiele und Belustigungen des Verstandes und Witzes waren ins Stocken gerathen, seit der Professor, der für einen großen Barometerkundigen galt, statt des verheißenen Umschlags der Witterung ein neues Sinken des Quecksilbers eingestehen mußte. Er hatte sich einen zweiten Barometer verschafft und forschte nun ernsthaft den Gründen nach, weshalb die beiden Propheten nicht ganz Einer Meinung waren. Seine Frau malte stumm schon die sechste Wasserrose mit Deckfarben auf graues Papier; an einem zweiten Tischchen stellte Frau Helene soeben die Schachfiguren zur siebenten Revanchepartie auf, im Winkel saß Frau Anna neben der Wiege ihres Säuglings, dem sie mit ihrem Fächer die Fliegen abwehrte, während sie in einem alten Volkskalender auf ihrem Schooß die Räthsel und Charaden zu rathen suchte. Der junge Doctor, der mit Frau Helene spielte, wollte die Pause benutzen, um eine plattdeutsche Anekdote zum Besten zu geben, brach aber plötzlich ab, da ihm einfiel, daß er sie schon gestern erzählt hatte. Frau Anna's Mann, eingedenk der weisen Behauptung des alten Shandy, daß sich alle Schmerzen und Bekümmernisse der Seele am leichtesten überstehen ließen, wenn der Leib sich in horizontaler Lage befinde, hatte sich seiner ganzen Länge nach auf ein altes Ledersopha gestreckt und blies den Rauch einer feuchtgewordenen Cigarre in trägen blauen Ringen gegen die niedrige Decke des Saals.
Unter diesen mehr oder weniger kümmerlichen Versuchen, sich in das Schicksal zu finden, mußte die sorglos heitere Miene auffallen, mit der ein Mann in mittleren Jahren, die Hände auf dem Rücken, schon seit einer halben Stunde langsam den Saal hinauf und hinunter ging. Zuweilen stand er einen Augenblick bei dem Schachtischchen still, oder sah der Malerin über die Schulter, oder fuhr im Vorbeigehen dem schlafenden Kindchen sacht über die kleine Stirn, schien sich aber bei alle Dem nichts zu denken, sondern in Betrachtungen versunken zu sein, die von der verregneten Gegenwart weit ab in irgend einem sonnigen Einst oder Künftig wurzelten.
Was haben Sie nur, lieber Eminus? fragte Frau Eugenie, die eben von einem wirthschaftlichen Ausflug in Küche und Vorrathskammer wieder in den Saal zurückkehrte. Wir andern alle machen Gesichter, wie sie zu dem abscheulichen Tage passen; auf Ihrem Gesicht dagegen ist gutes Wetter, sogar eine Art Sonnenschein, wie wenn Sie heimlich verlobt wären, oder heute die letzte Seite an einem Buch geschrieben hätten, oder Zahnweh, das Sie vierundzwanzig Stunden geplagt, abziehen fühlten. Geschwind beichten Sie, was es ist, oder wir haben Sie im Verdacht, daß es Nichts sei, als die gottloseste Schadenfreude über uns Andern, die wir nicht, wie Sie, aufs Land gehen, um da erst recht im Zimmer hinter den Büchern festzusitzen.
Ich kann Sie beruhigen, beste Freundin, lachte der Angeredete. Diesmal ist keine Bosheit im Spiel, wenn ich mich wohl fühle, und ihre andern Hypothesen sind Gottlob ebenso unbegründet, eine sogar entschieden unmöglich; denn ich würde schwerlich gute Miene dazu machen, wenn ich nach so langer Freiheit mich verpflichtet hätte, noch einmal den Pantoffel zu küssen, zumal sämmtliche hier anwesenden Pantöffelchen schon vergeben sind. Was mich trotz unserer betrübten Umstände im Gleichgewicht hält, ist nichts Anderes als eine schöne Geschichte, auf die ich heute früh, als ich meine alten Papiere durchsah, zufällig wieder gestoßen bin, und die mir nun nachgeht, wie sich eine einschmeichelnde Melodie zuweilen im Ohr festhängt und uns beständig umklingt.
Eine Geschichte? und noch dazu eine schöne? sagte die Malerin. Die müssen Sie uns gleich zum Besten geben, das versteht sich. Haben wir nicht, so lange der Regen dauert, Gütergemeinschaft eingeführt, und Sie wollten eine schöne Geschichte für sich behalten? Das wäre eine schöne Geschichte!
Vielleicht aber gefällt sie Ihnen gar nicht, versetzte Eminus, indem er bei ihr stehen blieb und im Weitersprechen den langen Stengel einer Wasserrose in einen Knoten schlang. Mir wenigstens gefallen so viele Geschichten nicht, die heute Glück machen, daß ich mir längst gesagt habe: du hast einen altmodigen Geschmack und bist mit der Zeit nicht fortgeschritten. Als Historiker kann ich mich am Ende darüber trösten. Wir sind ja überhaupt nicht auf das Neueste angewiesen. Und vielleicht haben mir meine Quellen für die Geschichte auch den Geschmack an Geschichten, wie sie heute geschrieben und gelobt werden, verdorben. Der Abstand zwischen der Holzschnittmanier einer alten Städtechronik und der photographischen, stereoskopischen, ausgepinselten Zierlichkeit und Ausführlichkeit so einer modernen Novelle ist auch gar zu himmelweit. Dort alles noch Rohstoff, selten die Blöcke nothdürftig behauen, die Fugen klaffend, das Material bunt übereinandergeschichtet, daß nur der Kenner oder Liebhaber sich das Seinige daraus zusammensuchen mag. Und in unserer kunstgewandten modernen Zeit Alles so glatt und blank, so bewußt und bedacht, so in lauter Stil und Form verwandelt, daß der Gegenstand einem oft ganz entschwindet, das Was vor dem Wie vergessen wird und wir vor lauter psychologischen Finessen des Erzählers uns fast nicht mehr um die Menschen bekümmern, an denen er seine Künste entfaltet. Ich dagegen stehe noch auf dem veralteten Standpunkt, daß mir in jeder Geschichte die Geschichte selbst die Hauptsache ist. Etwas besser, etwas schlechter erzählt, daran liegt mir nichts. Wenn das, was sich ereignet hat oder von einem Phantasten ersonnen ist, schon in der ungefügen, ungeschliffenen Fassung einer alten Chronik Eindruck auf mich macht, so mag ich am liebsten gar keine stilistischen Brimborien dabei, sondern lasse von meiner eigenen Phantasie das Fehlende hinzuthun. Aber ihr Modernen – und dabei warf er einen sarkastischen Blick auf den Schachspieler und den Raucher – ihr seid nicht zufrieden, eh ihr nicht einer Geschichte alles Erdenkliche an Putz und Schmuck umgehängt habt, wenn sie auch nackt, wie Gott sie geschaffen, am schönsten war.
Jede Zeit hat ihre Kleiderordnung, und man muß wohl oder übel die Mode mitmachen, versetzte der auf dem Sopha Liegende, ohne sich aus seiner Ruhe stören zu lassen.
Und jede Zeit erlebt und erzählt ihre Geschichten, warf der Schachspieler ein. So lange das Faustrecht noch galt, waren die Geschichten freilich handgreiflicher, von Achilles bis auf den edlen Ritter aus der Mancha. Seitdem ist etwas mehr Seele in das Leben gekommen, und wenn die Ereignisse innerlicher sind, wird man sie auch nicht so äußerlich mit groben Grundstrichen aufzeichnen können, wie eine mittelalterliche Dolch- und Degennovelle. Umrisse und etwas Licht und Schatten thun es nicht mehr; wir wollen das ganze Farbenspiel sehen, die leisesten Halbtöne und allen Reiz des Helldunkels, und da wir selbst mehr Gemüthsmenschen geworden sind, ist uns auch der Gemüthsantheil, den der Erzähler an seinen Leuten nimmt, nicht mehr gleichgiltig.
Ich weiß schon, spottete Eminus: »wenig Fleisch, sehr viel Gemüth«, das ist heutzutage die Loosung, und ich habe nichts dagegen. Aber ich bin eben ein Mann des ungemüthlichen Mittelalters, wenn auch nicht im Sinne der Romantik, und darum will ich meine Geschichte lieber für mich behalten, denn sie fügt sich in keiner Beziehung in die heutige Kleiderordnung, und während die anwesenden Poeten über die sehr bescheidene altväterische Form die Nase rümpfen werden, fürchte ich mit dem Inhalt bei den Damen anzustoßen, obwohl ich ihn durchaus sittlich finde.
Da Sie selbst uns sittlich genug sind, sagte Frau Eugenie, so können wir nach dieser Versicherung wohl auch Ihrer Geschichte unbedenklich Gehör geben.
Zumal da kein unconfirmirtes Fräulein zugegen ist, ergänzte Frau Helene.
Mit Ausnahme der kleinen Unschuld hier in der Wiege, sagte Frau Anna, die aber hoffentlich noch die Augen darüber zudrückt.
Darauf hin ließe sich's wagen, sagte Eminus. Aber nun wird mir plötzlich selber bange, daß mein Liebling, der mir unter vier Augen sehr gefallen hat, sich unvortheilhaft und linkisch ausnehmen möchte, wenn ich ihn in so verwöhnte Gesellschaft bringe. Manchem ist es mit einem heimlich angebetenen Schätzchen nicht besser gegangen. Und mein alter Chronist, dem ich die wenigen Blätter ganz ohne Prätension nur zu meinem eigenen Vergnügen nachschrieb, war allerdings kein Dichter wie Boccaccio und Genossen, obwohl er es an dieser Geschichte ums Haar geworden wäre.
Lassen Sie uns nicht länger bei der Vorrede verweilen, sagte jetzt der Professor. Das Schlimmste, was Ihrer Geschichte begegnen kann, ist, daß die Poeten sie nur als einen Stoff ansehen und, wenn es noch vierzehn Tage regnet, ein Trauerspiel oder Lustspiel daraus machen, das den Bühnen gegenüber Maculatur bleibt.
In Gottes Namen denn! seufzte der von allen Seiten in die Enge Getriebene und ging, sein Manuscript zu holen.
Bald kam er zurück, eine Mappe unter dem Arm, aus der er ein beschriebenes Heft hervorzog. Die Schrift ist zwanzig Jahre alt, sagte er, sich ans Fenster setzend und das Heft auf seinen Knieen entfaltend. Ich machte damals Studien zu einer Geschichte der lombardischen Städte und war auch nach Treviso gekommen, wo ich im städtischen Archiv und in den Klosterbibliotheken Ausbeute zu finden hoffte, die mir leider nicht zu Theil wurde. Nur bei den Dominicanern in S. Niccolo stöberte ich eine merkwürdige Chronik aus dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts auf, die ich den guten Patres gern mit Gold aufgewogen hätte. Aber Alles, was ich erlangte, war die Erlaubniß, unter den Augen des Bruder Antonio im kühlen Refectorium mir auszuschreiben, was mir von Wichtigkeit war. Dieses Heft trägt noch die Spuren eines weihrauchduftigen, dunkelrothen Klosterweins, mit dem ich den Chronikstaub dann und wann niederschlug, bis ich nach mancherlei trocknen Notizen auf die
Geschichte von der blonden Giovanna
stieß, die mich, wie eine Quelle im dürren Hochlande, plötzlich mehr als Wein erquickte.
Zu der Zeit nämlich – es ist vom ersten Viertel des vierzehnten Jahrhunderts die Rede – entbrannte eine heftige Fehde zwischen der Stadt Treviso und dem benachbarten Vicenza, aus geringen offenbaren Ursachen, denen die versteckte Eifersucht der einen auf die andere Stadt, wie die unsichtbare Luft einem schwachen Feuerbrande, Nahrung zuwehte. Die Vicentiner riefen die Venediger zu Hülfe und brachten es durch deren Zuzug dahin, daß sie sich mit einem raschen Handstreich erst des Castells San Salvatore di Collalto, dann sogar der Stadt Treviso selbst bemächtigten und erst nach schimpflicher Demüthigung und Auferlegung einer ansehnlichen Schatzung mit Geiseln und Beute beschwert wieder abzogen.
Als diese Dinge ruchbar wurden und die Kunde bis nach Mailand drang, ergrimmte darüber Niemand mehr, als ein edler Jüngling aus unserer übel heimgesuchten Stadt, Attilio Buonfigli mit Namen, Sohn eines der angesehensten Trevisaner Bürger und Neffe des Gonfalonier Marco Buonfigli, der seit seinem Knabenalter in Mailand, im Hause des Herrn Matteo Visconti, als ein Edelknappe aufgewachsen, damals etwa fünfundzwanzig Jahre alt und in allen ritterlichen Künsten trefflich unterwiesen und geübt war. Sobald er von dem Unglück seiner theuren Vaterstadt vernahm, that er ein Gelübde, nicht eher ohne Panzerhemd zu schlafen, bis er die Schmach gerächt habe, erbat sich Urlaub von seinem Herrn und ritt mit einigen seiner Freunde, alle schmuck in Waffen und streitbar gleich ihm selbst, aus Mailands Thoren. Und da er in den Fehden der Visconti sich, so jung er war, einen großen Namen gemacht, so strömte ihm, sobald sein Vorhaben bekannt wurde, von allen Seiten rüstige und abenteuerliche Jugend zu, ihm als ihrem Condottiere Treue schwörend, gegen welchen Feind immer er sie führen würde. Als er nun Mannschaft genug beisammen hatte, um allenfalls auch allein den Venedigern die Spitze zu bieten, entsandte er einen heimlichen Boten nach Treviso, seinem Oheim und Vater anzuzeigen, an dem und dem Tage werde er vor den Thoren Vicenza's eintreffen, Sühne für die erlittene Unbill zu fordern. Dann möchten sie bereit sein, zu ihm zu stoßen und mit der Hülfe Gottes ihren Feinden den Fuß auf den Nacken zu setzen.
Und so geschah es auch und wurde Alles so klug und eifrig ins Werk gesetzt, daß es Denen von Treviso gelang, die abziehenden Bundtruppen auf dem Heimwege nach Venedig zu überfallen und ihnen Beute und Geiseln wieder abzunehmen, während an demselben Tage der junge Attilio in einer heißen Feldschlacht am Flüßchen Bacchilione den Vicentinern den Meister zeigte. Da hatte sich das Blatt gewendet, und es war nun eben so großer Jubel in Treviso, als wenige Monate vorher Vicenza von Siegesherrlichkeit trunken gewesen war. Nur Eines trübte die Freude unserer guten Stadt. Der junge Sieger nämlich lag schwer danieder an einer tiefen Halswunde, die ihm ein Vicentiner Schwerthieb beigebracht hatte, und viele Tage hindurch hing sein Leben nur an einem dünnen Faden. Sein eigner Vater nebst seiner edlen Mutter pflegten ihn im besten Hause der unterworfenen Stadt, das einem der ansehnlichsten Bürger gehörte, Herrn Tullio Scarpa, dessen ältester Sohn, Lorenzaccio genannt, stets unter den erbittertsten Feinden der Trevisaner gewesen war, auch, so lange der verwundete Sieger in seinem väterlichen Hause verpflegt wurde, die Schwelle desselben mit keinem Fuße betrat. Desto freundlicher ward Attilio, obwohl er ein Feind ihrer Vaterstadt war, von des Lorenzaccio einziger Schwester, der jungen Emilia, angeblickt, also daß die Väter und Mütter es gewahr wurden und Hoffnungen darauf zu bauen anfingen, wie daß nämlich durch eine Versippung zweier so bedeutender Familien aus beiden Städten der jahrelange Groll erstickt und Eifersucht in freundnachbarliche Gutwilligkeit verwandelt werden möchte. Das wurde, da es sich mit der Wunde besserte, in einer vertraulichen Stunde dem Attilio von seiner lieben Mutter beigebracht, der auch nichts dagegen einwandte, da sein Herz noch vollkommen frei und die junge Vicentinerin eine gar anmuthige Jungfrau war. Heimlich aber war es ihm zuwider, eine Tochter auf dieser Stadt zum Weibe nehmen zu sollen, hielt sich daher auch nach geschehenem Verlöbniß in ziemlicher Entfernung von dem Mägdlein und hätte am liebsten den Handel wieder abgebrochen, wenn er nicht gefürchtet hätte, zwischen die eben aufkeimende Saat des Friedens neuen Haß auszusäen.
Darüber waren vier oder sechs Wochen vergangen und der Wundarzt erklärte, es sei dem Genesenen nunmehr ohne Gefahr verstattet, sein Roß zu besteigen und Schild und Lanze zu führen, wenn er auch den Druck der stählernen Halsberge noch eine Weile zu meiden hätte. Also ward beschlossen, aufzubrechen und nach Treviso zu ziehen, wohin in wenigen Wochen die Braut mit ihren Eltern folgen sollte, da es sich die gerettete Stadt nicht wollte nehmen lassen, ihrem edlen Sohne und Befreier die Hochzeit mit allem Glanze auszurichten. Hatten doch die guten Bürger auch die Zeit während des Siechenlagers nicht verloren, sondern dem theuren, jungen Helden, dessen Namen auf allen Lippen war, einen Einzug bereitet, wie er glänzender noch keinem Fürsten zu Theil geworden war.
Unter den andern Ehrengaben, die ihm die Stadt entgegenbringen wollte, war ein Banner, das ihm sein eigner Ohm im Namen des gesammten Rathes überreichen sollte, ein wahres Wunder an Stoff und kunstfertiger Arbeit. Der zehn Fuß hohe Schaft von feinem Eichenholz ganz mit silbernen Buckeln beschlagen, am Griff mit Rubinen besetzt, die Spitze vergoldet, daß man die Augen wenden mußte, wenn sie in der Sonne blitzte. An diesem Schaft hing der schwere Wimpel von Silberbrocat, auf dem ein goldner Greif, das Wappenthier der Buonfigli, mit der Mauerkrone von Treviso gekrönt, eine rothe Schlange in der Luft erwürgte, so natürlich geringelt und mit feinen Goldschuppen überdeckt, daß man einen leibhaftigen Wurm sich krümmen zu sehen meinte. Darüber stand in geflammten Lettern die Inschrift auf Latein: »Fürchte dich nicht, denn ich werde dich erretten.«
Dieses Wunderwerk einer kunstreichen Nadel war während der sechs Wochen, die Attilio an seiner Schwertwunde daniederlag, aus den Händen einer einzigen Jungfrau hervorgegangen, deren Geschicklichkeit in solchem Bildwerk aus Gold-, Silber- und Seidenfäden weit und breit gerühmt wurde. Man nannte sie Gianna, das ist Giovanna, die Blonde, da sie Haare hatte wie gesponnenes rothes Gold, so daß sie eine Kirchenfahne für die allerheiligste Jungfrau in der Capella di San Sebastiano bloß mit ihrem eignen Haar hatte sticken können. Sie hatte es sich aber abgeschnitten vor übergroßer Betrübniß, als ihr Verlobter, welcher Sebastian hieß, ein schöner und wackerer Jüngling aus der Nachbarschaft, wenige Wochen vor der Hochzeit an den Blattern gestorben war. Damals war sie erst achtzehn Jahr alt und für so Viele in der Stadt das Ziel heimlicher Wünsche und offener Bewerbungen, daß sie oft die Prophezeiung hören mußte: ehe ihre Haare wieder gewachsen wären, würde ihr Bräutigam einen Nachfolger haben, nach dem Sprichwort: »Lange Haare, kurzer Sinn«. Auf solche Reden pflegte sie Nichts zu erwiedern, weder Ja noch Nein, sondern ruhig auf ihre Stickerei niederzublicken, wie ein Mensch, dessen Ohr und Gemüth gegen die losen Reden der Welt verschlossen sind. Und wirklich machte sie alle Weissagungen zu Schanden, indem sie fortlebte, als habe sie sich mit der Weihgabe ihrer Haare der Madonna zu ewiger Jungfräulichkeit verlobt und sollte keine Männerhand jemals die Flechten, die sich wieder um ihr Haupt geschlungen, in liebkosendem Spiel auflösen und das weiche Gold sich durch die Finger rollen lassen. Viele glaubten, daß sie in ein Kloster gehen würde, zumal sie am liebsten geistliche Festgewande, Paramente und Altardecken stickte und sich von öffentlichen Lustbarkeiten fern hielt. Aber auch diese Meinung täuschte sie, wurde vielmehr mit der Zeit wieder heiter, wenn auch immer mehr zuhörend, als redend, und bezog nach dem frühen Tod ihrer Eltern ein kleines Haus, das in die Stadtmauer gebaut aus einem Thürmchen eine lachende Aussicht hatte über die fruchtbaren Auen, die von den Flüßchen Piavesella und Rotteniga durchströmt werden. Da haus'te sie mit einer alten tauben Magd, ihrer Amme, unbescholten und unbeschrieen über zehn Jahre, und Niemand betrat ihr Haus, als dann und wann eine Nachbarin, oder eine von den vornehmen Damen der Stadt, die sie aufsuchten, um ihr eine Arbeit zu übertragen. Manchmal sah man auch einen der geistlichen Väter der Stadt den Klopfer an ihrer Thür bewegen. Dann rief sie immer die Amme in das Gemach, wo sie den Besuch empfing, und wußte auf diese Art jede üble Nachrede von sich fern zu halten. Obwohl sie aber die Nadel nur an Feiertagen ruhen ließ und auch sonst nicht viel an sich wandte, hielt sich ihre Schönheit doch so unversehrt, daß, wenn sie an einem Sonntage in der Abendkühle auf den Wällen der Stadt oder in dem nahen Wäldchen mit ihrer alten Dienerin lustwandelte, Jedermann, den ihre großen schwarzen Augen unter den blonden Wimpern hervor nur mit einem gleichgiltigen Blicke streiften, wie verzaubert stehen blieb, ihr nachzuschauen, und auch von Fremden und vornehmen Herren, die ihre Sinnesart nicht kannten und den Berichten über sie nicht glauben wollten, Anträge genug an sie kamen, sie ihrem ledigen Stande abtrünnig zu machen. Sie aber gab Allen die gleiche Antwort: das Leben, das sie führe, sei ihr zu lieb und gewohnt, um es mit einem andern zu vertauschen.
So war sie schon in ihr zweiunddreißigstes Jahr getreten, als die Fehde zwischen den beiden Nachbarstädten ausbrach, und da sie eine getreue Tochter ihrer Vaterstadt war, empfand sie alles Weh und Ungemach, das diese betraf, eben so bitter in ihrem Herzen, wie ihr die Rettung durch den tapferen Arm ihres jungen Landsmannes, den sie nie mit Augen gesehen, als eine himmlische Botschaft und der Retter selbst als ein Engel mit dem Flammenschwert erschien. Niemals hatte sie eine Arbeit freudiger übernommen und mit mehr Fleiß und Kunst ausgeführt, als jenes Banner, das die Stadt ihrem siegreichen Sohne bei seinem Einzuge überreichen wollte; und als der festliche Tag gekommen war und Alles in Treviso, was nicht auf dem Siechbette lag, auf Markt und Gassen, vor dem Thor, an den Fenstern, ja bis auf die Dächer der Häuser hinauf sich ein Plätzchen suchte, Attilio Buonfigli mit Blumen und jubelndem Zuruf zu überschütten, litt es auch die blonde Gianna nicht in ihrem engen Hause, obwohl sie aus dem Thurmfenster gar wohl den von Vicenza herannahenden Zug überblicken konnte. Sie verschaffte sich auf einer mit Teppichen geschmückten Tribüne vor dem Stadthause einen Platz, um den Helden recht aus der Nähe zu betrachten, und legte ihr bestes Gewand an, ein Mieder von Silberstoff mit blauem Sammet besetzt, dazu einen Rock von feiner lichtblauer Wolle, das Haar nach der Sitte der Zeit reich durchflochten mit Bänderschmuck, so daß es schon eine Stunde vor dem Einzug in den Straßen einen Auflauf und manchen Ausruf des Staunens gab, als sie so angethan an der Seite einer Nachbarin ihrem Platz auf dem Schaugerüste zuschritt. Bald aber wandten sich die Augen der Menge wieder von ihr ab und spähten in großer Ungeduld die Straße hinunter, durch die der Held heranreiten sollte. Ein Theil des Raths war ihm wohl eine halbe Miglie weit vor das Thor entgegengeritten, ihn sammt seinen Eltern ehrenvoll zu bewillkommnen. Sein Oheim, der Gonfaloniere, harrte mit den Uebrigen auf der Treppe des Stadthauses, die ganz mit kostbarem rothem Tuch belegt war, von welchem auch ein breiter Streifen über den Marktplatz bis an das Portal der Kathedrale lief, wie man sonst nur gesalbten und geweihten Personen den Weg zu bahnen pflegt.
Wer aber beschreibt den wahrhaft wundervollen und überschwänglich festlichen Anblick, als Attilio endlich, all seinem Geleit voran, die Straße herangeritten kam, auf seinem rostbraunen, rothaufgezäumten Streitrosse, er selbst in schlichtem Aufzuge, ein Panzerhemd aus feinen Stahlringen über den Waffenrock geworfen, übrigens waffenlos, bis auf das Schwert, das ihm am Gurte hing, das Haupt nur im Schmuck der krausen dunkelbraunen Locken. Kinn und Wangen waren von leichtem Bart umschattet, durch den an der linken Seite hochroth die breite Narbe seiner Halswunde hinlief. Auch war, während er in aller Kraft sein starkes Pferd regierte, eine leichte Blässe auf seinen Wangen noch nicht verschwunden, die nur dann und wann von einem bescheidenen Roth überflogen wurde, wenn er umblickend und nach allen Seiten grüßend weiße Häupter bemerkte, die sich ehrfürchtig vor seiner siegreichen Jugend verneigten, oder Mütter, die ihre Kinder in die Höhe hoben, damit sie den Befreier der Stadt besser sehen könnten. Was aber das Ganze krönte, war der Blumenregen, der aus allen Fenstern und von allen Dächern in unerschöpflicher Fülle auf den Helden herabrauschte, so daß seine Gestalt zuweilen förmlich verschwand, wie unter einem vielfarbigen Schleier, und sein gutes Pferd, das in der Schlacht an andere Wurfgeschosse gewöhnt war, Nüstern und Ohren sträubte und in das Jubelgeschrei und das Läuten aller Glocken sein helles Wiehern mischte.
Als nun der Zug vor dem Stadthause angekommen war, sprang Attilio aus dem Sattel und eilte die Stufen hinauf, vor seinem edlen Oheim niederzurnieen, das Banner aus seiner Hand zu empfangen und diese Hand zu küssen, die ihn mit so reichen Ehren überschüttete. Als er sich aber jetzt von den Knieen wieder erhob und eben die Stufen hinunterschreiten wollte, um den Kirchgang anzutreten, stutzte er wie in plötzlicher Lähmung des Leibes oder der Seele und brauchte wohl drei Minuten, bis er sich besinnen konnte, wo er war und daß so viel tausend Augen auf ihn gerichtet waren. Er hatte nämlich auf der Tribüne zur Rechten ein Gesicht gesehen, das ihn wie eine Erscheinung aus himmlischen Gefilden plötzlich dem Irdischen entrückte, und da auch die großen schwarzen Augen unter den blonden Wimpern mit einem unbeschreiblichen, halb süßen, halb schwermüthigen Ausdruck auf ihn gerichtet waren, schoß ihm plötzlich alles Blut nach dem Herzen, er verfärbte sich, wie wenn er einen Pfeilschuß mitten in die Brust empfangen hätte, und wäre nicht das Banner in seiner Hand gewesen, auf das er sich stützen konnte, so hätte er zum zweitenmale, diesmal aber wider seinen Willen, in die Kniee sinken müssen. Die ihm zunächst standen und sein Schwanken gewahrten, gaben seiner Halswunde und der Ermüdung durch den langen Ritt am heißen Tage die Schuld, und Niemand ahnte die wahre Ursache, zumal Attilio sich alsbald faßte, die Blicke mit Gewalt von dem reizenden Antlitz losmachte und, ohne noch einmal das Haupt nach den Frauen umzuwenden, den Weg in die Kathedrale antrat.
Ihm nach strömte alles Volk, und auch die Tribünen leerten sich eilig. Die Letzte, die sich erhob, und zwar erst auf die Ermunterung ihrer Nachbarin, war Gianna die Blonde, die wie in einen Traum verzückt, oder wie man am Himmel der Spur eines fallenden Sternes nachstarrt, den Jüngling mit den Augen begleitete, bis die dunkle Tiefe des Portals seine hohe Gestalt verschlungen hatte. Die Nachbarin schickte sich an, den Uebrigen zu folgen, um dem Hochamt beizuwohnen. Gianna dagegen schützte ein Unwohlsein vor, da sie zu lange in der Sonne gesessen habe, und ging gesenkten Hauptes einsam durch die Stadt zurück ihrem Hause zu. Eine von den Blumen, mit denen die Straße hoch übersäet war, hob sie auf, um sie zum Andenken heimzutragen, eine rothe Nelke, von einem Pferdehuf zertreten. Die stellte sie zu Hause in ein Glas mit Wasser und dachte sich dies und das dabei, was es bedeuten sollte, wenn sie noch einmal aufblühte. Ihre alte Magd, die den Zug aus einer Schießscharte des Stadtthores mit angesehen hatte, floß über von Loben und Rühmen Attilio's, und wie bescheiden er um sich geblickt habe, in so jungen Jahren schon ein unsterblicher Held, und was er noch an Ruhm und Ehre künftig hinzugewinnen werde, den Namen seiner Vaterstadt groß zu machen unter allen Städten Italiens, vielleicht sogar größer als Florenz und Rom. Dann auch sprach sie von seiner Verlobten, die alle Frauen beneiden müßten, und ob sie wohl seiner werth sei und nicht vielmehr ihrem Bruder, dem Herrn Lorenzaccio gliche, der bei den Trevisanern und zumal den Frauen im schlimmsten Andenken stand. Auf all diese Reden erwiederte die Blonde nichts oder doch nicht viel, setzte sich vielmehr, zum großen Erstaunen der Alten, an ihren Stickrahmen, nicht anders, als ob ein Werktag wäre, und hob nur dann und wann die Augen, um nach der Blume im Glase zu sehen. Auch als der Nachmittag kam und mit ihm die übrigen Lustbarkeiten, das Caroussel und die Luftspringer und das künstliche Feuerwerk, blieb sie still an ihrem Platz, während die Alte fortging, ihr Theil an der allgemeinen Festfreude zu erhaschen. Erst am späten Abend kam die Getreue wieder, todtmüde und ganz mit Staub bedeckt, konnte aber nicht genug erzählen und ihre Herrin bedauern, daß das böse Kopfweh sie zu Hause gehalten habe. Die blonde Giovanna hörte das Alles mit einem stillen Gesicht, nicht froh, nicht traurig, mit an, als ob es sie gar nichts anginge. Sie hatte indessen ein großes Stück an einer Dalmatica fertig gestickt und, wie es schien, sich nicht vom Fleck gerührt. Die Nelke aber im Glase war voll aufgeblüht. – Darüber wurde es völlig Nacht, und nachdem die Frauen ihr schweigsames Nachtmahl verzehrt hatten, ging die alte Catalina, deren sechzigjährige Glieder sich heute genug getummelt hatten, in die Küche, um zu schlafen. Ihre Herrin blieb noch auf und sah den Mond über der breiten Ebene heraufsteigen und die Wellen der Rotteniga versilbern, und statt des summenden Festlärms aus der Stadt, der nach und nach stiller wurde, fing eine Nachtigall, die im Gebüsch unter ihrem Fenster nistete, einen so süßen und sehnsüchtigen Gesang an, daß dem einsamen schönen Mädchen unter dem Lauschen die Thränen in die Augen traten. Es wurde ihr so eng und heiß um die Brust, daß sie aufstand, das Licht löschte und einen dunklen Mantel über ihr leichtes Hauskleid warf. So stieg sie die ausgeschliffenen Stufen der schmalen Steintreppe hinunter, öffnete die Hausthür und trat in die menschenleere Gasse hinaus, um noch ein paar Schritte in der Nachtkühle zu thun und ihr heißes Blut zu beruhigen. Sie hatte aber, in ihre Gedanken vertieft, vergessen, den Mantel übers Haupt zu schlagen, so daß sie, obwohl der Mond nicht in die Gassen drang, von jedem Vorübergehenden leicht erkannt werden mußte. Und nun traf es sich durch eine Fügung, die wohl wie alles Irdische einem höheren Wink gehorchte, daß gerade Der des Weges kam, um den ihre Gedanken den ganzen Tag wie Motten um ein Licht gekreis't hatten.
Attilio nämlich, aller Ehren längst müde und vom Saus und Braus des Festes mehr als vom Getümmel einer Feldschlacht erschöpft, hatte sich, seine Wunde vorschützend, vom Bankett weggeschlichen, um allein und unerkannt die alten Orte wieder aufzusuchen, wo er als Knabe gespielt hatte. Mehr aber noch trieb ihn das Verlangen, ob er jenen Augen nicht wieder begegnen möchte, deren Blick ihm noch immer im Herzen nachloderte. Er hatte von einem der Bürger durch kluges Fragen erkundet, daß jene blonde Schönheit zugleich die Künstlerin sei, die das Banner verfertigt habe, und gedachte am andern Tage unter dem Vorwande, ihr seinen Dank zu sagen, sie ohne Weiteres in ihrem Hause aufzusuchen. Nun kam ihm eben, da er in schwermüthiger Sorge an Alles dachte, was geschehen war und noch werden sollte, die halbverhüllte Gestalt entgegen, als hätte sie ihn erwartet. Beiden, wie sie sich plötzlich gegenüberstanden, versagte die Rede. Aber Attilio faßte sich zuerst. Ich kenne Euch wohl, Madonna, sagte er, indem er mit höflichem Verneigen auf sie zutrat. Ihr seid Gianna la Bionda. – Und ich kenne Euch auch, Attilio Buonfigli, erwiederte die Schöne. Wer in Treviso sollte Euch nicht kennen! – Hierauf schwiegen sie wieder, und Jedes benutzte die Dunkelheit der schattigen Gasse, das Andere so nahe wie noch nie zuvor nach Herzenslust zu betrachten, und dem Jüngling schien, ihre Schönheit glänze in diesem Zwielicht noch tausendmal herrlicher als am Tage, und ihr kam es vor, als leuchteten seine Augen noch ganz anders, da er zu ihr sprach, als da er am Morgen sie stumm von ferne angeblickt hatte. – Verzeiht, Madonna, hub nun der Jüngling wieder an, daß ich Euch hier in der Gasse bei nächtlicher Zeit wie ein Wegelagerer entgegentrete. Meine Absicht war, Euch morgen in Eurem Hause aufzusuchen, Euch für die große Mühe und wundersame Kunst zu danken, die Ihr auf die Stickerei meines Banners verwendet habt. Wenn Ihr nicht zürnen wollt, so erlaubt, daß ich Euch, da Ihr allein seid, das Geleit gebe bis zu Eurem Hause. In der That, ich wollte, ich wüßte einen schwereren Ritterdienst, den ich Euch leisten könnte, Euch zu beweisen, wie sehr ich Euch ergeben bin. – Worauf die Schöne, ob sie gleich sonst die Worte wohl zu setzen verstand, nichts zu antworten wußte, als: Meine Wohnung ist nur sechs Schritte weit entfernt und zu bescheiden, als daß ich Euch einladen könnte, sie zu betreten. – Redet nicht also, versetzte Attilio. Vielmehr, wenn Ihr eine Fürstin wärt und ich um eine Gnade zu bitten hätte, würde ich es als die höchste Gunst erkennen, wenn Ihr mir erlaubtet, bei Euch einzutreten und ein Viertelstündchen zu rasten; denn wahrlich, ich bin des Herumschweifens herzlich müde, und ein Trunk Wasser thäte mir wohl. – Darauf erwiederte die Schöne, obzwar nicht ohne einiges Zögern und Erröthen: Wer dürfte dem Sieger vom Bacchilione am Tage seines Einzuges in die befreite Stadt einen Trunk Wasser versagen, um den er so höflich bittet? Tretet ein, Herr Attilio. Mein schlechtes Haus und Alles, was es enthält, steht Euch zu Diensten. – So schloß sie die kleine Pforte auf, ließ ihn eintreten, und nachdem sie den Riegel wieder vorgeschoben, weil viel loses Gesindel an Festtagen sich herumtreibt, um im Trüben zu fischen, leitete sie ihren Gast, ihn freundlich an der Hand fassend, sich nach, die völlig dunkle Schneckenstiege hinauf, daß er schier geblendet stand, als sie oben die Thür zu ihrem Gemach öffnete und der helle weiße Mondschein ihm entgegenquoll. – Nehmet ein wenig Platz, sagte sie, bis ich Euch das Wasser bringe. Oder wollt Ihr nicht mit einem Becher schlechten Weins vorlieb nehmen, wie wir ihn selber trinken? – Er aber, dem das Herz mächtig pochte, schüttelte nur stumm den Kopf und trat zu dem Sessel am Fenster, auf dem ihre Stickerei lag, diese betrachtend, als hätte er sie abzeichnen sollen. Da ließ sie ihn allein und ging in die Küche, wo die Amme in festem Schlaf auf einer Decke lag, die sie über die steinernen Fliesen gebreitet hatte, der Kühle wegen. O Amme, sagte sie halblaut, wenn du wüßtest, wer gekommen ist! – Dann, indem sie aus dem großen Steinkrug neben dem Herde einen Becher füllte, blieb sie einen Augenblick stehen, drückte die beiden kalten Hände gegen ihre heißen Wangen und sprach vor sich hin: Heilige Mutter unseres Herrn, beschütze mein Herz vor trostlosen Wünschen! – Darauf wurde ihr besser, und nachdem sie noch ein Brödchen auf einen zinnernen Teller gelegt hatte, trug sie das und den Becher wieder zu Herrn Attilio hinein, der inzwischen sich auf den Sessel gesetzt und in das offene Land hinausgestiert hatte. Ich schäme mich, sagte sie, daß ich Euch Gefängnißkost bringe, Wasser und Brod. Aber wenn Ihr nur den Arm zum Fenster hinausstrecken wollt, es steht ein alter Feigenbaum unten zwischen Mauer und Graben, der mit seinem Wipfel voll süßer Früchte bis herauf reicht. – Gianna, antwortete der Jüngling und nahm ihr den Becher aus der Hand, ich begehrte mir nie einen andern Trunk, wenn ich hier auf ewig Euer Gefangner sein dürfte. – Und sie, indem sie sich zu lächeln bemühte: Ihr würdet bald Langeweile haben, während Euch draußen in der Welt und an der Seite Eurer jungen Gemahlin tausendfache Kurzweil, Glück und Ehren aller Art erwarten. – Woran mahnst du mich! rief er, und seine Stirn wurde finster. Wisse, daß jenes Verlöbniß, von dem du mir einen Himmel auf Erden versprichst, mir die Hölle bedeutet. Da ich noch matt war vom Wundfieber und meiner selbst nicht wohl mächtig, habe ich mich in dieses verhaßte Netz verlocken lassen, in dem ich mich nun winde, wie ein gefangener Fisch auf dem heißen Strande. Wehe meinen jungen Jahren! Warum sind mir die Augen erst aufgegangen, da es zu spät war! Warum habe ich mich selbst erst kennen lernen, nachdem ich mich wie ein Thor an eine unselige Pflicht verkauft hatte! – Dann sprang er vom Sitz empor und ging mit hallenden Schritten durch die mondhelle Kammer im Kreise herum, nicht anders, als ein junger Panther, den man in einer Fallgrube gefangen und in einen Käfich mit Eisengittern gesteckt hat. – Die Blonde aber, die sehr erschrak über den Ungestüm seines seltsamen Bekenntnisses, that dennoch nicht dergleichen, sondern sagte, die Blätter der rothen Nelke mit ihrem weißen Finger streichelnd: Ihr macht mich staunen, Herr Attilio! Ist denn die Braut nicht jung und schön und in allen Tugenden aufgewachsen, daß Ihr es als eine Verdamnmiß betrachtet, ihr Gemahl zu werden? – Und wäre sie ein Engel vom Throne Gottes, rief er und blieb plötzlich vor ihr stehen, die Blume da, die deine Hand berührt hat, wäre mir ein köstlicheres Geschenk, als ihre ganze Person mit all ihren Gaben und Tugenden! O warum hast du mir das gethan, Gianna? Wer nie die Sonne gesehen hat, der mag wohl in der Dämmerung hinleben und sich begnügen. Aber seit heute früh mein Auge dem deinen begegnet ist, weiß ich, daß nur Ein Weib auf Erden lebt, um dessen Liebe und Gunst ich Alles wagen und Leib und Seele in die Schanze schlagen könnte, und dieses Weib bist du, Gianna la Bionda, und nun wollte ich, die ewige Nacht verschlänge mich, statt daß ich in die Dämmerung zurückschleichen soll, um frierend und elend von meiner Sonne zu träumen!
Er hatte ihre beiden Hände gefaßt, als wollte er sich an ihnen anklammern, um nicht in den Abgrund zu stürzen, ließ sie aber nieder fahren, als ihr Gesicht unbeweglich blieb, und trat an das offene Fenster. Darauf war es eine Weile ganz still, und nur die Nachtigall unten im Busch hörte nicht auf zu schmettern und zu schlagen. Auf einmal aber, wie von einem plötzlichen Entschluß durchzuckt, wandte sich der Jüngling wieder um und sagte: Und wenn ich und Alle darüber zu Grunde gehen sollten, ich thue es nicht, ich erdulde diese Ketten und Banden nicht! Morgen in aller Frühe sende ich Briefe nach Vicenza, mein Wort zurückzufordern, und dann will ich hintreten vor beide Städte und Jeden auf Schwert und Lanze herausfordern, der es zu leugnen wagt, daß Gianna la Bionda die Königin aller Frauen ist! – Das werdet Ihr nicht thun, Attilio, sagte jetzt die Schöne und sah mit einem ruhig ernsten Blick an ihm vorbei gegen den Nachthimmel. Daß Ihr mir so plötzlich geneigt worden seid und mir Euer Herz so unumschränkt ergeben wollt, erkenne ich als eine überschwänglich hohe Gabe, für die ich, ob ich auch ihrer unwerth bin, Euch Zeit meines Lebens danken werde. Aber sie annehmen kann ich nicht, ohne uns Beide ins Verderben zu stürzen. Bedenkt, mein Freund, wie mächtig die kaum erstickte Feindschaft zwischen beiden Städten wieder entbrennen würde, wenn Ihr dem Hause der Scarpa und mit ihm der gesammten Stadt den Schimpf anthätet, die Euch anverlobte Braut zu verschmähen, da Ihr sie doch keines Fehls oder Verschuldung gegen Euch zeihen könnt, einzig und allein, weil ein anderes Gesicht Euch mehr gefallen. Und dieses Gesicht selbst, gesetzt, es verdiente heute noch all das übermäßige Lob und die Leidenschaft, die es Euch erregt hat, wer weiß, ob nicht schon über ein Jahr aller Reiz von ihm abgewelkt ist, daß Ihr Euch wundernd fragt, wie es möglich war, so heftig dafür zu entbrennen? Sehen wir es nicht oft an der Neige des Sommers, daß über Nacht ein früher Herbst einbricht und den Baum, der gestern noch mit allen Zweigen grünte, plötzlich gelb und häßlich macht? Ich habe mein einunddreißigstes Jahr überschritten; Ihr, mein Freund, steht in der Fülle der Jugend und schreitet den Berg noch hinan, auf dessen Gipfel ich angelangt bin. Lasset mich darum als die Aeltere auch die Weisere sein und Vernunft für uns Beide haben. Und darum erkläre ich Euch meinen festen Willen: auch wenn ich je sehen sollte, daß Eure Neigung mehr wäre, als eine flüchtige Laune, und daß alle widrigen Umstände sich durch ein Wunder Eurem Wunsche fügten, – Eure Gattin zu sein würde ich niemals einwilligen, und wenn Eure Eltern in Person zu mir kämen, ihr Fürwort für Eure Werbung bei mir anzubringen!
Erst nachdem sie geendet, wandte sie die Augen wieder zu ihm, und da sie sah, wie er erblaßt war und seine schönen Augen wie in Verzweiflung umherirren ließ, hätte sie um ein Haar aus Liebe und Mitleid Alles widerrufen, was sie soeben mit unsäglicher Standhaftigkeit sich abgezwungen. Gute Nacht, Madonna, versetzte er traurig und schien gehen zu wollen, blieb aber wieder stehen und sah zu Boden. – Ihr zürnt mir, Attilio, sagte sie. – Und er: Nein, bei Gott, Gianna! Aber gebt mir Urlaub, zu gehen; denn wahrlich, ich bin schon zu lange geblieben und habe geredet wie ein Wahnsinniger, ohne zu bedenken, daß das, was ich Euch angetragen, für Euch vielleicht so werthlos ist, daß Ihr nicht einmal die Hand darnach ausstrecken mögt, geschweige Kampf und Mühsal darum erdulden. So trage ich denn die gerechte Beschämung hinweg, und es ist Niemandes Schuld, als meine eigene, wenn dieser mein Ehrentag, der so festlich begonnen, so kläglich endet. Lebet wohl, Gianna! Die Fahne, die Ihr gestickt, und die mir heute morgen das theuerste Kleinod schien, nun werde ich sie in eine Kapelle stiften, um nicht durch ihren Anblick an die Hand erinnert zu werden, die sich so kalt mir versagen konnte. –
Damit neigte er sich und nahete schon der Schwelle, als er noch einmal seinen Namen rufen hörte. Gianna's Herz, längst schon gegen seine Bande tobend, hatte sie jetzt gesprengt und trat auf die Lippen. Attilio, sagte die Erröthende, die sich selbst nicht mehr besaß, ich kann Euch nicht so fortgehen sehen, wenn ich noch leben soll. Was ich Euch gesagt habe, bleibt bestehen, und Ihr werdet kein Iota daran verändern; denn es ist zu Eurem Heil, das mir theurer ist, als das meine. Aber ich habe Euch noch nicht Alles gesagt. Wisset denn, seit mein Bräutigam gestorben ist, nun vor zwölf Jahren, habe ich nie den Gedanken oder Wunsch gehabt, je einem Manne anzugehören, und wenn ich den Schatz meiner Ehre rein bewahrt habe, wahrlich, es hat mich weder Kampf noch Bedauern gekostet. Denn ich denke nicht gering von mir, nicht sowohl um der armen und unbeständigen Schönheit willen, als weil ich weiß, daß ich eine freie und starke Seele habe, die ich nicht in die Gewalt eines Schlechteren oder Schwächeren so gehorsam ergeben wollen, wie es doch in der Ehe das Weib dem Manne thun soll. Und so Viele um mich geworben, nie habe ich Einen gefunden, dem zu dienen mir nicht als eine Knechtschaft und Herabwürdigung erschienen wäre. Heute zuerst, als ich Euch einreiten sah in die Stadt, der Ihr Ehre und Freiheit wiedergegeben, und sah, wie edel bescheiden Ihr Euer Haupt unter so großem Glück in so großer Jugend neigtet und weder eitel noch trutzig, sondern mit der Miene eines Gesandten Gottes den Dank der von Euch Erlös'ten hinnahmt, da sagte ich bei mir selbst: warum bist du nicht mehr jung, die Liebe dieses Jünglings zu verdienen? Und wie ich die flammende Narbe an Eurem Halse sah, dachte ich: barfuß bis an das heilige Grab wollt' ich pilgern, wenn mir das Glück zu Theil würde, nur einmal meine Lippen auf diese heilige Wunde drücken zu dürfen. Und als ich dann heimging und wohl wußte, was mir geschehen, habe ich eine Blume von der Straße aufgelesen, diese da, bloß weil der Huf Eures Pferdes sie zertreten, und dachte, sie mir unter das Kissen legen zu lassen, wenn man mich einst hinaustrüge zum letzten Schlaf. Und jetzt, da ich dir das gesagt, Attilio, jetzt wiederhole, wenn du das Herz hast, deine bösen Worte, daß diese Hand sich kalt dir entzogen habe!
Da breitete sie die Arme nach ihm aus, der wie ein Verurtheilter, dem auf der Richtstätte Gnade verkündigt ward, in sprachloser Betäubung vor ihr stand, und zog sein Haupt an ihre Brust und beugte sich zu seinem Halse, die Narbe zu küssen, nach der ihre Lippen geschmachtet hatten. Dann aber entwand sie sich ihm wieder und sagte: Was ich thue, mein Freund, thue ich mit völliger Klarheit und wohlbewußt, und keinerlei Reue wird mich je anwandeln, wenn ich auch weiß, daß Viele mein Betragen schelten und verdammen würden, wenn sie es erführen. Ich schenke Euch das einzige Kleinod, das ich besitze, und das ich bisher theurer als mein Leben gehütet habe. Denn sehet, hier auf der Stelle, wo Ihr steht, stand Euer künftiger Schwäher, Herr Lorenzaccio, und bestürmte mich mit Bitten und Versprechungen, die Seine zu werden und wollte mich als seine Gemahlin nach Vicenza führen. Was ich ihm, der ein Feind meiner Stadt und ihr Unterdrücker war, geweigert habe – und mit diesem Dolch habe ich ihn bedrohen müssen, ehe er von seinem wilden Werben abließ, und er trägt noch die Narbe davon an der rechten Hand –: Euch, als dem Retter meiner Stadt, schenke ich es zum Siegespreis und begehre nichts zum Lohn dafür, als daß Ihr mich wieder vergesset, wenn Ihr zum Altar tretet, einer Anderen Treue zu geloben. Und kümmert Euch nichts darum, was dann aus mir werden mag. Mein Geschick ist selig in allem Entsagen und neidenswerth in aller Trübsal, da ich mit der freien Gabe meiner Ehre den besten Mann beschenkt, den meine Augen je gesehen, und ehe der Winter der Jahre diese blonde Scheitel unter seinem Schnee begräbt, einen späten Frühling genossen habe, so schön, wie ich ihn nicht mehr träumen konnte. Diese Augen und Lippen sind dein, Attilio, und dieser unberührte Leib ist dein, und dein ist dieses Herz, das, wenn du von mir geschieden sein wirst, nichts von allem Süßen dieser Welt mehr begehren, sondern wie das Herz einer Wittwe nur noch von dem vergangenen Glück zehren wird, bis es stille steht.
Darauf führte sie ihn zu dem Sessel, der am Fenster stand, und knieete vor ihm nieder, und er nahm ihr Haupt in beide Hände und wurde nicht satt, sie anzuschauen und Mund und Stirn und Wangen zu küssen, und der Mond war längst untergegangen, als sie noch in tausend Freuden bei einander waren. Als aber fern über das Feld der erste Hahnenschrei erwachte, drängte sie ihn selbst, aus ihren Armen zu scheiden, damit er im Hause seiner Eltern nicht vermißt würde. Sie hatten verabredet, daß er die nächste Nacht und alle folgenden wiederkommen sollte, und die Zeichen, auf die sie ihm die Thür öffnen würde, und so nahm er Abschied wie ein Trunkener vom Gelage, und im Uebermuth seines Glückes verschmähte er es, die Wendelstiege hinabzugehen, obwohl die Gasse noch menschenleer war, sondern schwang sich ins Fenster und klomm, auf die Zweige des Feigenbaumes den Fuß stützend, draußen an der Mauer hinab, unten noch verweilend, um ihr tausend Liebesworte hinaufzurufen und Blumen, die am Rande des Stadtgrabens wuchsen, in einen Strauß gebunden dem geliebten Weibe ins Fenster zu werfen, bis sie, das Auge eines Spähers fürchtend, vom Gesims zurücktrat. Da riß er sich von der Stätte los und strich so behutsam an der Stadtmauer hin, daß er unbemerkt an das Thor gelangte. Die schlaftrunkenen Wächter erkannten ihn nicht, und Niemand zu Hause hatte ihn vermißt, also daß er frohlockend in seine Kammer trat und sich auf sein Lager warf, um den versäumten Schlaf dieser Nacht durch eine kurze Morgenruhe nachzuholen.
Mit gleicher Klugheit und Heimlichkeit wußten sie es auch die folgenden Nächte anzustellen, also daß Niemand in der ganzen Stadt eine Ahnung von ihrem Verständniß hatte, bis auf die Amme, die Catalina, die aber so wenig plauderte, wie der Feigenbaum am Fenster. Denn das Glück und die Ehre ihrer Herrin lagen ihr über Alles am Herzen, und nicht die härtesten Folterqualen hätten ihr den Namen des Jünglings von der Zunge gerissen. Eines aber bekümmerte sie schwer, daß ihre Gebieterin fest bei ihrem Sinne blieb: es müsse Alles aus und vorbei sein, sobald die Braut, Emilia Scarpa, mit Attilio den Ring gewechselt hätte. Was bildet Ihr Euch nur ein? sagte sie. Meint Ihr, daß Ihr es ruhig werdet mitansehen können, wenn sich nun eine Andere mit der Blume schmückt, die Ihr an der Brust getragen? So wahr ich Euch liebe, Frau, mehr als die Frucht meines eigenen Leibes, Ihr geht darüber zu Grunde; das Herz bricht Euch auseinander, wie ein Apfel, den man mit einem Messer in der Mitte durchschneidet. – Amme, sagte die Blonde, du könntest Recht behalten. Aber was liegt daran? Besser, ich gehe zu Grunde, als der, den ich liebe, und diese theure Stadt, die unser Beider Mutter ist. – Was Ihr nur für Thorheit redet! versetzte die Alte. Wenn er Euch so liebt, wie er sagt und Ihr glaubt, so kann auch er es nicht überleben, und so bringt Ihr mit Eurem Starrsinn zwei Menschen ins Elend. Die Stadt aber, jetzt, da ein solcher Held sie beschützt, würde die Feindschaft von drei Städten herausfordern können, die noch mächtiger wären, als Vicenza. – Solches und Aehnliches sagte auch Attilio und sagte es immer eindringlicher, je näher die Zeit heranrückte, wo er auf ewig Abschied nehmen sollte von den geliebtesten Augen. Er hoffte noch immer, wie er vom ersten Tage an gehofft hatte, ihren Widerstand gegen seine Wünsche zu besiegen, und war entschlossen, ihr Alles zum Opfer zu bringen. Gianna dagegen, der bitterer als Tod und Trennung der Gedanke war, daß ihres Geliebten Herz gegen sie erkalten und er es dereinst bereuen könnte, sein junges Leben an ihr welkes geknüpft zu haben, suchte, so oft er mit neuen Bitten in sie drang, durch einen Scherz über ihr Alter und den Wankelmuth der Männer seinen Ungestüm zu beschwichtigen und die gegenwärtige Stunde ihm so süß zu machen, daß er alles Herbe der Zukunft darüber vergaß.
Mittlerweile wurden in beiden Häusern, der Buonfigli, wie der Scarpa, die Vorbereitungen zur Hochzeit eifrig betrieben, und in der neunten Woche nach dem ersten festlichen Empfang des Bräutigams fand die nicht minder glänzende Einholung der Braut von Seiten der Trevisaner statt. Wenn aber unter den Zuschauern, wegen der nunmehr besiegelten und verbrieften Eintracht zwischen den Nachbarstädten, die Freude vielleicht noch größer war, auch erhöht durch den Anblick der jungen, reichgeschmückten Braut und ihres Geleites von sechszehn Brautjungfern, alle auf weißen Zeltern und in den köstlichsten Gewändern, so waren zwei in dem Festzuge, denen es schwer wurde, Grimm und Gram zu verbergen: und der Eine war der Bräutigam selbst, der lieber eine Schlange angerührt hätte, als seine Braut, der Andere Herr Lorenzaccio, sein künftiger Schwäher, der heimlich knirschte, wenn er bedachte, daß er jetzt neben dem jüngeren Rivalen eine demüthige Figur spielen und dazu lächeln sollte, und der den Schwäher und seine ganze Sippschaft am liebsten mit den Zähnen geküßt hätte. Und noch ein drittes Herz blieb für die Festfreude dieses Tages verschlossen, das schlug in dem Busen der blonden Gianna; denn sie wußte, die Nacht, die diesem Tage folgte, würde die letzte ihres Glückes sein. Auch hatte sie sich nicht, wie bei jenem ersten Einzuge, bemüht, einen Sitz auf der Tribüne vor dem Stadthause zu erlangen, sondern war zu Hause geblieben, als Attilio an der Seite der Fremden durch die Straße ritt und wieder ein Blumenregen über das Paar herniederrauschte. Am Nachmittag aber, während alles Volk hinausströmte nach der Wiese vor der Stadt, wo in prächtig geschmückten Schranken ein Lanzenrennen sollte abgehalten werden, saß sie zu Hause in schweren Gedanken, und die Thränen stürzten ihr so häufig aus den Augen, daß sie vom hellen Tage nichts mehr sah. O mein armes Herz! seufzte sie. Nun ist die Zeit da, wo du zeigen solltest, daß du stark genug seiest, deinem einzigen Glück zu entsagen, und nun bist du so schwach, daß du hinschmelzen möchtest in deinen Thränen. Du hast etwas übernommen, was du nicht ausführen kannst! Du wußtest freilich damals noch nicht, daß Liebe ein Wein ist, der immer durstiger macht, je mehr man davon trinkt. Nun wird dir der Becher deiner Seligkeit zu Gift, das dich langsam aufzehrt, und kein Arzt der Welt und nicht die Hülfe aller Heiligen können dich erretten! – Indem so kam die Catalina herein und redete ihr zu, mit hinaus zu gehen, um wenigstens, wenn sie wirklich von ihrem Freunde scheiden wolle, ihn noch einmal im Glanze seiner ritterlichen Kraft und Schönheit und als Sieger über alle Männer zu bewundern. Denn heimlich hoffte sie noch immer, es werde sich ein Wunder begeben und ihre Herrin anderen Sinnes machen. Also kleidete sie die Trauernde, die mit sich machen ließ, wie ein Kind, mit aller Sorgfalt an und führte sie, die kein Wort sprach, zum Hause hinaus nach dem Blachfeld, das schon von Menschen wimmelte und vom Gewieher der Rosse und Trompetenklang erdröhnte. Da sahen sie, unter der Menge stehend, oben auf dem Gerüste zwischen ihrem Vater und dem Oheim ihres Bräutigams die Braut sitzen und hörten, was die Leute von ihr redeten, und Einigen gefiel sie über die Maßen, Andere fanden dies und das an ihr zu tadeln, wie denn Jeder sein Wohlgefallen auf etwas Anderes richtet. Die blonde Gianna sagte kein Wort, und was sie sich dachte, hat Niemand je erfahren. Nur daß sie einmal von hoher Röthe übergossen wurde, als zwei junge Bursche, da sie eben vorbeiwandelte, laut genug zu einander sagten: Zehn Emilien gäbe ich hin für Eine Gianna la Bionda! – und dann der Andere: Treviso behält den Preis auch in Frauenschöne, wie in den Waffen! – und dabei richteten sich Vieler Augen auf die schöne Stickerin, deren Glut aber plötzlich in ein tödtliches Blaß sich verwandelte. Denn eben ritt Herr Attilio in die Schranken, ganz in Waffen, nur den Hals, statt mit eherner Halsberge, die die Franzosen Barbière nennen, mit einem leichten ledernen Umhang geschützt, der an dem Turnierhelm befestigt war. Das Visir war zurückgeschlagen, also daß Alle sahen, wie bleich er war und mit wie ernsten Blicken er in die Runde schaute; und Viele wunderten sich darob, da er doch ein so freudiger junger Held war und noch dazu ein Bräutigam. Er ritt aber an das Gerüst heran, auf dem seine Verlobte saß, neigte das Haupt vor ihr und ließ sich eine Schärpe, die sie trug, an den Helm knüpfen, zum Zeichen, daß er ihr Ritter sein wollte.
Da bliesen die Trompeter, und von der andern Seite ritt Herr Lorenzaccio in die Schranken, schon mit geschlossenem Visir, aber Alle erkannten ihn an seinem Feldzeichen und der Rüstung und wünschten von Herzen, ihn durch den starken Arm seines Schwähers in den Sand gestreckt zu sehen. Es war aber anders beschlossen im Rathe der Vorsehung. Denn kaum hatten die Herolde mit ihren Stäben das Zeichen gegeben und die Trompeter Fanfare geblasen, so sprengten die beiden Ritter gegen einander mit eingelegten Lanzen, und ihre Rosse wirbelten eine so gewaltige Staubwolke in die Höhe, daß den Zuschauern der Anblick des ersten Zusammenstoßes entzogen ward. Man hörte nur den Schall der ehernen Lanzenspitzen auf Schild und Panzer, und dann war eine plötzliche Stille. Als aber die Staubwolke verflog, sah man mit Entsetzen Attilio, noch in den Bügeln, aber auf den Sattel seines guten Rosses, das unbeweglich stand, rücklings hingestreckt, und ein Blutstrom quoll aus seinem Halse, dessen wehrlose Blöße der tückischen Waffe seines Feindes ein willkommenes Ziel gewesen war. Der Sieger hielt ihm gegenüber, hatte das Visir aufgeschlagen, als wollte er deutlicher sehen, ob sein Rachewerk vollbracht sei, und nachdem er den Gegner mit einem hämischen Abschiedsblick gemessen hatte, schloß er den Helm wieder, gab seinem Roß die Sporen und ritt in langsamem Trabe, Niemand grüßend, aus den Schranken hinaus durch das von Entsetzen versteinerte Volk, das noch nicht seinen Augen trauen wollte.
Inzwischen waren Attilio's Knappen und die Turnierwärter hinzugeeilt, hatten den schwer Stöhnenden vom Sattel gehoben und mitten im Sande auf eine Decke hingelegt. Und da sie alsbald ein lautes Jammern erhoben, löste sich rings jegliche Ordnung; das Volk stieg ungestüm über die Schranken herein; die auf der Tribüne saßen, verließen in Hast ihre Plätze, und kaum vermochten die Herolde durch Schelten und Stoßen mit ihren Stäben so viel Raum um den Sterbenden zu schaffen, daß seine Eltern und Angehörigen und die Braut selbst zu ihm hingelangen konnten. Er aber lag still, mit geschlossenen Augen, und während Einige wehklagten, Andere die Tücke des Lorenzaccio verwünschten, Andere nach einem Wundarzt und wieder Andere nach einem Priester riefen, um dem verscheidenden Helden den letzten Trost mit auf die Fahrt zu geben, kam von seinen blasssen Lippen kein Laut des Schmerzes oder der Klage, daß er so früh den himmlischen Heerschaaren hinzugesellt werden sollte. Vielleicht schien ihm dieses herbe Loos als eine Erlösung aus verhaßten Banden willkommen zu sein, und als er seinen Namen rufen hörte und die Stimme seiner Braut erkannte, versuchte er das Haupt zu schütteln, wie um zu sagen, daß er seinen letzten Athem ohne eine Lüge verhauchen wolle. Auf einmal aber wich das Volk, das im engen Kreise die Jammerscene umstand, mit staunendem Gemurmel auseinander; denn man sah die blonde Giovanna, bleich wie ein Gespenst, aber mit einem Anstande, als ob sie soeben mit der Dornenkrone des Schmerzes zur Königin über alle Weiber gekrönt worden wäre, durch die Menge heranschreiten und in den Kreis eintreten. Gehet hier fort, sagte sie, den Arm gegen die Braut ausstreckend; dieser Sterbende gehört mir, und wie ich im Leben mit Leib und Seele die Seine war, so will ich auch im Tode bei ihm sein, und keine Fremde soll mir nur einen Hauch von ihm entwenden! – Darauf knieete sie bei ihrem Geliebten nieder und hob sein gebrochenes Haupt sanft in ihren Schooß, daß das Blut ihr Festgewand überströmte. Attilio, sagte sie, erkennst Du mich? – Alsbald öffnete er die Augen und seufzte: O meine Gianna, es ist vorbei! Der Tod hat nicht gewollt, daß ich einer Anderen meine Treue gelobte, die doch nur dir gehörte. Ich sterbe, mein Weib. Küsse mich mit dem letzten Kusse und nimm meine Seele hin in deinen Armen!
Da neigte sie sich zu seinen Lippen herab, und als sie seinen Mund berührt hatte, brach ihm das Auge, und sein Haupt sank zurück in ihren Schooß. Es war aber das Mitleid mit dem edlen Paar so übermächtig bei Allen, die diese Scene umstanden, daß Niemand, auch nicht von den Scarpa's, sich getraute, den Abschied der Liebenden zu stören. Vielmehr, als man sich nun anschickte, auf einer Bahre den entseelten Leib des jungen Helden in die Stadt zu tragen, theilte sich das Volk, und die Einen gingen hinter dem Todten, die Anderen folgten dem Zuge, der seine Geliebte in ihr Haus trug; denn sie war in Ohnmacht umgesunken neben ihrem todten Freunde. Und nur die junge Emilia mit ihrer Mutter kehrte noch in derselbigen Nacht nach Vicenza zurück. Ihr Vater, Herr Tullio Scarpa, blieb im Hause der Buonfigli, um der Bestattung Attilio's beizuwohnen, zwiefach trauernd, über das Unglück der Tochter und die Schmach des Sohnes.
Als man aber am dritten Tage den theuren Todten zu Grabe trug, in der Kapelle der Madonna degli Angeli, da sah man dicht hinter dem Sarge, vor allen Verwandten, die hohe Gestalt der Giovanna schreiten, im Wittwenschleier und ganz schwarzen Gewändern. Als sie den Schleier zurückschlug, um die Stirn des Todten zu küssen, zeigte sich mit Staunen alles Volk das Wunder, das geschehen war. Denn das Gold ihres Haares, das weithin zu leuchten pflegte, war in wenigen Nächten ein fahles Silber geworden und ihre Züge welk und verblichen, wie einer Greisin.
Und Viele meinten, sie werde nun auch das Leben nicht lange mehr ertragen, sondern ihrem Geliebten nachsterben. Dennoch lebte sie noch drei Jahre, während deren sie die Wittwentracht nicht ablegte, auch nirgend gesehen wurde, wo es laut oder festlich zuging. Im Stillen aber war sie fleißig an einem Werk, das sie in die Kapelle der Madonna degli Angeli gelobt hatte, einer großen Fahne, auf der der Erzengel Michael abgebildet war, in einer weißen Rüstung, wie er den Drachen erlegt. Und man sagt, das Panzerhemd des Engels habe sie mit ihren eigenen weißen Haaren gestickt. Und diese Fahne wurde neben jenem ersten Banner in der Kapelle aufgestellt, wo das Grab Attilio's war. Das vollbracht, währte es nicht mehr lange, so trug man auch die Stickerin zur Ruhe und gewährte ihre letzte Bitte, zu Füßen ihres Geliebten bestattet zu werden. Dahin wandelten noch lange Einheimische und Fremde und betrachteten die kunstreiche Arbeit der beiden Fahnen und erzählten sich die Geschichte von Gianna la Bionda, die ihrem Geliebten Alles, was sie besaß, mit in die Gruft gab, auch ihre Ehre, obwohl es ihr ein Leichtes gewesen wäre, sie unangetastet zu erhalten, wenn sie geschwiegen hätte. – –
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Als der Vorleser geendet hatte, blieb es noch eine Weile still in dem Gartensaal, und der Regen, dessen leises Rauschen die ganze Erzählung melancholisch begleitet hatte, behielt allein das Wort.
Endlich sagte der junge Doctor am Schachtisch: Die Geschichte hat etwas von dem Goldton der venetianischen Schule. Das bringen die Palettenkünste der Modernen nicht mehr zu Stande. Obwohl es mir hie und da vorgekommen ist, als ob der Copist stark hineingemalt hätte.
Der Copist! rief Der auf dem Sopha und warf seine Cigarre weg. Man sieht, daß du Eminus noch nicht kennst. Er hat uns nur zum Besten gehabt und nichts Anderes beabsichtigt, als einmal ein Bild mit ganzen Farben neben unsere gebrochenen Färbchen zu stellen. Was gilt die Wette, daß diese Chronik aus San Niccolo noch weit jünger ist, als der berüchtigte Ossian des Macpherson?
Eminus schien diese Reden ganz zu überhören. Und was halten Sie von der Sittlichkeit dieser Geschichte? fragte er, zu Frau Eugenie gewendet.
Die Angeredete sann einen Augenblick nach, dann sagte sie: Ich weiß nicht, ob man überhaupt davon reden kann, einen so merkwürdigen Fall als Muster und Vorbild aufzustellen. Und haben nicht auch andere Zeiten andere Sitten und andere Völker ein anderes Gemüth? Ich gestehe, daß eine leidenschaftliche Hingabe, die nicht auf ewige Treue rechnet, mir immer gegen das Gefühl gehen wird, und daß ich erst durch das tragische Ende mit dem befremdlichen Anfang ausgesöhnt worden bin. Und doch, wenn diese blonde Giovanna meine Schwester gewesen wäre, ich würde mich nicht besonnen haben, in dem Leichenzuge Hand in Hand mit ihr hinter Attilio's Sarge herzugehen.
Ein besseres Sittenzeugniß konnten Sie ihr nicht ausstellen, erwiederte der Erzähler. Erlauben Sie, daß ich Ihnen dafür die Hand küsse.
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