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Über den verschneiten Waldhöhen des Fichtelgebirges ballte der Tauwind dunkle Wolken zusammen, riß sie in Eile wieder auseinander, so daß blasses Himmelsblau, ein kurzes Sonnenlicht aufleuchteten, als bräche die Urgewalt des Frühlings herein. Doch die Bewohner dieser einsamen Landschaft wußten: Wirbeltanz warmer Lüfte bedeutete jetzt nur ein Zwischenspiel, das ihnen zeigen wollte, sie würden nicht immer nach Wärme und Licht seufzen müssen. Es hatte schon strengere Winter gegeben, erzählten erfahrene Leute und fügten ihre wie Märlein klingenden Schilderungen von Kriegsgeschrei, dem Geschimmer böser Kometen und dem Einbruch fremder Völkerschaften hinzu.
Die Alten wagten sich im Tauwind nicht aus ihren Hütten; Erfahrung warnte sie, sich dem Aufruhr in der Natur preiszugeben. Doch die Kinder waren dumpfen Kammern entwichen und umringten den Schlitten eines jungen Regierungsbeamten aus Bayreuth.
Das Betteln erlaubt der Herrgott, lehrten die Eltern, und je nach Temperament wurde dreist oder schüchtern von diesem Vorrecht Gebrauch gemacht. Der Assessor Alexander von Egloff war auf die kleinen Überfälle vorbereitet, und er wußte zu den mitgebrachten Kupfermünzen und Süßigkeiten auch freundliche Worte zu geben.
Ewiges Volk, dachte er beim Anblick der Kinderschar, ewiges Deutschland, schien ihm die heimatliche Landschaft zuzurufen.
Ewig? Warum gebrauche ich dies ungeheuerliche, dies allergrößte Wort, fragte sich der Reisende und fand die Antwort: kein menschlicher Geist vermag sich eine Vorstellung zu machen von dem ewigen Wirken Gottes, vom ewigen Bestand des Weltkreises. Wir müssen uns an das Begreifliche, Ergreifbare und Sichtbare halten, denn es ist uns als Symbol für das Unfaßliche geschenkt.
Solange die Erde steht, wird hier deutsche Art leben, und darum haben wir gleich allen Nationen, die ihre Eigenart zu bewahren, ihr Gebiet zu schützen wissen, ein Abbild des Ewigen in Land und Volk, dem wir angehören.
*
Alexander von Egloff hatte seine dienstlichen Arbeiten im Fichtelgebirge abgeschlossen und trat in der Morgenfrühe des Februartags seine Rückfahrt an. Am Ochsenkopf, dem höchsten Berg der Heimat, war noch einmal der Versuch gemacht worden, Gold zu gewinnen; doch die mühselige Ausbeute trug kaum mehr die Löhne der Arbeiter ein.
Der junge Beamte überlegte: man muß den Wald stärker ausnutzen, um den Gebirglern eine leichtere wirtschaftliche Lage zu geben. Man würde die Abfahrtstraßen verbessern, Gespanne einstellen, die das Holz hinaus in waldarme Ebenen beförderten. Er erwog gewissenhaft diese Pläne, dann gab er sich dem Genuß der weiten Fernsicht hin.
Weit über die Höhen um Kulmbach hinweg, konnte man ins Bamberger und Koburger Land schauen, ja sogar im Norden den Thüringer Inselsberg und die Schneekoppe in matter Bläue schimmern sehen.
Wenn es erst hier richtig Frühling ist, also vielleicht im Juni, beschloß Alexander von Egloff, wollen wir alle herauf in unser liebes Gebirge und seine unzähligen Wässerchen, seine Quelläufe und Flüßchen springen sehen. Nun, das hatte noch Zeit. Er lachte vor sich hin, in einigen Stunden erreichte er das gartenreiche Bayreuther Tal mit seiner schönen Stadt und ihrer eigentümlichen Mischung von fürstlichen Baukunstwerken, stattlichen Bürgerhäusern und den winzigen Behausungen des armen Volkes, dessen Lebenskraft und Lebensfreude unversieglich war, wie die Wasser des Gebirges.
In die väterliche Wohnung, die im italienischen Flügel des Neuen Schlosses lag, zurückgekehrt, kleidete er sich eilig um. Denn es waren Gäste geladen, und bald hatten sich in einem wohldurchwärmten kleinen Saal vier junge Leute zu lebhaftem Gespräch versammelt.
Alexander und seine Schwester Ulrike, sowie der Leutnant von Pöllnitz, richteten die Blicke auf die schöne Polin Gräfin Marya von Lagienska.
»Weißt du, liebste Marya«, sagte Ulrike von Egloff, »Minna von Barnhelm bedeutet für unsere Zuhörer eine Art Anstrengung. Ich will von Herzen gern deine heitere Kammerjungfer darstellen, wenn es denn sein muß, doch ich denke gleich Alexander, die ›Geschwister‹ von Goethe sind das geeignetere Stück –«
»Gut, wenn ihr wollt.« Die Polin griff nach dem Pappband und lachte: »Eine weibliche Person, zwei Herren und ein Briefträger. Ich werde mich also in einen Briefträger verwandeln.«
Ausrufe der Abwehr flogen wie Raketen hoch. Über den temperamentvollen Mund der Polin kam ein Lächeln: »Unsere, Papas und Ihre Freunde finden viel mehr Spaß an Minna von Barnhelm. Soldatenglück ist jetzt die Parole.« Sie wandte sich dem schmalen, blonden Alexander von Egloff zu: »Ich mag Sie nicht als braven Kaufmann sehen, Alexander, und auch Sie, Pöllnitz, brauchen eine andere Rolle.« Alexanders helles Gesicht errötete, Pöllnitz lachte: »Wir wollen doch Theater spielen, Gnädigste, unsere Talente für Verwandlungen beweisen.«
So ging es noch ein wenig hin und her, und Alexander von Egloff beschloß schon, auf das ihm so liebe Werk Goethes zu verzichten, als es leise an die Türe klopfte und eine stattlich-behäbige Gestalt mit weichen, heiteren Zügen eintrat: der Dichter Jean Paul. Der Zweiundvierzig jährige grüßte sehr höflich, lächelte den jungen Damen zu und erklärte, seine Gattin sei zu der verehrten Tante des Hauses befohlen, da habe er sich erlaubt, hier bei der Jugend anzuklopfen.
Die kleine Versammlung begrüßte in Herzlichkeit den Gast. »Haben Sie Ihr Eichhörnchen mit, Herr Legationsrat?« fragte Ulrike.
Die schöne Polin rief mit ihrer singenden Stimme: »Der Dichter hat die ewige Jugend und kokettiert mit den paar Jahren, die er uns voraus ist. Verehrter Jean Paul, Sie kommen unter Theaterleute, die nicht wissen, was sie spielen sollen.«
Er nahm den gebotenen Platz, tastete nach seiner Weste, ob sie auch nicht verschoben war, und erwiderte: »Es ist Faschingszeit. Sollten da nicht unsere freiwilligen Schauspieler sich eine unbekannte Maskerade anlegen und etwas improvisieren?«
Ulrike von Egloff klatschte Beifall und flüsterte dem Dichter zu, da würde sich aus seinen Werken wohl ein altes Weiblein für sie finden –
Baron Egloff, der Vater, bat jetzt ins Nebenzimmer.
Außer dem Grafen Lagienski und Jean Paul mit Gattin waren der Stadtpfarrer und ein Professor geladen. Die Großtante, verwitwete Reichsgräfin von Giech, führte das Gespräch und begann, wie immer, von ihren Erinnerungen an die große Markgräfin Wilhelmine zu erzählen. Gräfin Giech war eine ihrer letzten Hofdamen gewesen. Sie wußte, wie sehr Wilhelmine ihren großen Bruder Friedrich bewundert hatte, und wie oft sie bedachte, daß die Fürstentümer Bayreuth und Ansbach, als ohne männlichen Erben, einst an die preußische Krone zurückfallen würden.
Ein kleines Schweigen entstand. Erst als Bärbel, die halbwüchsige Waise eines Waldhüters, das von ihrer Mutter gebackene Nußbrot herumgereicht hatte und wieder verschwunden war, griff man das Thema erneut auf. Gerüchte liefen, König Friedrich Wilhelm III. würde von Napoleon gedrängt, die hohenzollernschen Stammlande in Franken ihm, dem Kaiser Napoleon, zur Disposition zu stellen, um dafür Braunschweig-Hannover einzutauschen, ein Land, auf das doch der Bonaparte keinerlei Anrecht besaß.
Eine Bittschrift an den König – dies war den älteren Herrschaften der Leitgedanke des Abends. Für die Jugend kam ein Klavierspieler, ein drittes Tanzpaar war noch angesagt. Walzerklänge ferne im Saal würden die Gedanken der Schreibenden nicht stören.
Zur Musik gesellte sich das Klirren von Fensterscheiben. Der Februar neigte sich seinem Ende zu, brachte in aufrührerischen Stürmen das wilde Erwachen der Natur. Die Versammelten sprachen das Wort »Tauwind« wie eine frohe Losung aus …
Jean Paul erinnerte wieder, man wolle doch den Brief an den König Friedrich Wilhelm III. entwerfen. Zu betonen, wie tief verwurzelt die Anhänglichkeit von Volk, Bürger- und Beamtentum und nicht zuletzt des Regiments der Bayreuther Dragoner an das angestammte Herrscherhaus sei, darauf käme es an.
»Sie werden unterzeichnen, Graf Lagienski?« fragte Baron Egloff. Er fühlte Mißtrauen gegen den polnischen Herrn, ohne andere als Gefühlsgründe dafür angeben zu können. Er wünschte, es sei bei kühler Höflichkeit zwischen dem Polen und seinem Hause geblieben. Doch Graf Lagienski war preußischer Beamter von hohem Rang, und man konnte sich seiner freundschaftlichen Annäherung nicht entziehen.
Etwas umständlich antwortete Lagienski: »Natürlich unterschreibe ich den Brief. Ich bin doch im Auftrag Seiner Majestät aus Warschau hierhergekommen, um die Erzlager im Fichtelgebirge auf Grund der Forschungen Alexanders von Humboldt einer planmäßigen Ausbeutung zu unterziehen. Ich liebe dieses wunderliche Land, und meine Tochter liebt den Park, die Wasser, die Bauten von Eremitage. Wäre ich der König von Preußen, so blieben sie mein Besitz.«
Der Pole, brünett, noch nicht fünfzig Jahre alt, hob lächelnd die Hakennase mit den beweglichen Flügeln:
»Vielleicht wäre es besser, zur Kaiserin Josephine zu reisen und ihr begreiflich zu machen, es gibt für Kaiser Napoleon andere Erwerbungen als die hohenzollernschen Stammlande. Er könnte durch Besitzergreifung von Lettland, Livland und Kurland das Baltische Meer erreichen, dann die schwedischen und dänischen Hafenbefestigungen einnehmen und eine neue, vorteilhafte Konstellation zu England haben –«
»Ein kühner Plan«, rief Baron Egloff aus, fügte aber gleich hinzu, die Zeit dränge, auch sei Bonaparte nicht in Paris, und man höre, die Kaiserin Josephine wäre etwas unzuverlässig und habe auch nicht mehr den alten Einfluß.
Der Pole antwortete mit weicher Stimme: »Die Anmut der Kaiserin Josephine wirft einen zauberhaften Reiz über ihre kleinen Gesellschaften, ja selbst über die großen kalten Empfänge des Kaisers. Doch Sie haben vielleicht recht. Josephine kennt Deutschland nicht, der König aber kennt sein Frankenland. Schreiben Sie ihm knapp und bündig.«
Jeder der Anwesenden erhielt Blatt und Stift, um markante Worte niederzuschreiben. Wenn Jean Paul Friedrich Richter dann dem Brief in einer späteren Abendstunde noch den letzten Schliff gab, konnten sie alle unterzeichnen und Baron Egloff den Boten in aller Frühe abfertigen.
Die alte Gräfin Giech schrieb mit steifen, festen Zügen: »Hier zu Bayreuth wurde der Orden ›de la Sincérité‹ gegründet. Hier zu Bayreuth waren wir glücklich, der allergnädigsten Frau Schwester des großen Königs zu dienen. Wir beten zu Gott, daß unser teurer König, unsere vielgeliebte Königin Luise uns nicht verlassen.«
Und sie setzte ihren Namen darunter: »Charlotte Amalia Reichsgräfin zu Giech, geb. Baronesse von Egloff, einstmals Hoffräulein I. K. H. der Frau Markgräfin von Bayreuth, geb. Prinzessin von Preußen.«
Frau Caroline Richter, die Gattin Jean Pauls und Tochter eines königlichen Beamten in Berlin, bezweifelte, ob ihre Worte etwas gelten möchten. Die Fürsten lieben nicht immer das, was ihnen am treuesten anhängt. Der König von Preußen könnte wohl auch nicht auf Sieg hoffen, wenn er jetzt wegen Ansbach-Bayreuth gegen Napoleon zu den Waffen griffe. Jean Paul sah über die eifrig Schreibenden hin, er dachte an sein altes Wunsiedel, an Hof, und jählings kamen ihm die Tränen. Aus Sehnsucht nach Bayreuth, seinen Schlössern und Parks war er vor vier Jahren hierhergezogen ins Markgräfliche, in die Heimat. Ein fremder Eroberer sollte das Land bekommen und vielleicht einem Schützling zuwerfen? Rasch griff er selbst nach einem Blatt Papier.
Aus dem großen Nebenraum drang gedämpfte Tanzmusik, klang der Gleitschritt der jungen Paare. Alexander von Egloffs Gesicht war dem der schönen Polin nahe. Er flüsterte, ob sie morgen eine Schlittenfahrt mit ihm machen möchte?
Die Polin lächelte seltsam: »Mein Vater erwartet diesen Abend einen Kurier. Bei solchen Gelegenheiten muß ich mit bei Tisch sein.«
»Dann übermorgen?« bat der schmale, blonde Tänzer.
Sie schüttelte die dunklen, nach der Mode verschnittenen Locken. »Geht denn im Tauwind noch eine Schlittenfahrt?«
Er preßte ihre Hand fester: »Oh, Sie ahnen gar nicht, Marya, wieviel Schnee hier in den Wäldern der Tauwind ablösen muß!« Er flüsterte: »Wann kommt endlich der Tauwind über Ihr Herz?«
»Sie wünschen mir ein weinendes Herz, Alexander? Nein, nein, diese Zeit will starke, vielleicht sogar harte Herzen.«
Sie hörte auf zu tanzen, nahm Egloffs Arm, ging mit ihm an der Fensterwand des Saales entlang und flüsterte: »Denken Sie, vor einigen Tagen traf ich Zigeuner am Rand von Eremitage. Sie sagten, sie seien auf der Fahrt ins Elsaß, wie es um diese Jahreszeit viele deutsche Schäfer mit ihren Herden sind. Es gab bei den Zigeunern ein Rudel Kinder und eine Schar von Müttern und Großmüttern. Sie hatten einen schwarzblauen Teint, und eine war darunter, die ein großes Wissen besaß –«
»Sie ließen sich mit den Zigeunerinnen ein, Marya? Wissen Sie denn nicht, daß diese Weiber oft Krankheiten verschleppen?«
Sie lachte: »Sie meinen doch nicht, ich hätte die Atmosphäre ihrer Wagen kennengelernt? Nein, das Gespräch fand in freier Schneeluft statt. Und von ferne fiedelte ein junger Mensch dazu. Es war die alte polnische Königshymne.«
Er flüsterte: »Und Marya fühlte sich für Augenblicke als Königin von Polen – gab dem Zigeunerweib ein Goldstück? Das will besagen, daß Ihnen daraufhin eine strahlende Zukunft geweissagt ward.«
Sie verneinte durch eine kurze Handbewegung: »Ich habe nicht um mein persönliches Geschick gefragt, sondern ich begehrte zu wissen, wie lange Kaiser Napoleon die Welt noch in Unruhe halten wird.«
Egloff atmete auf. Sie fragte also nicht um das Schicksal Polens. Sie dachte an die Welt!
»Und was sagte die Zigeunerin?«
Gräfin Lagienska streckte ihre schlanken Hände vor sich hin, breitete fächerartig die Finger aus: »So ähnlich machte es die Zigeunerin. Sie sagte dazu: Noch so viele Jahre. Ich schrieb es mir auf. Das soll Sie trösten, Alexander, denn die Landstriche, die Kaiser Napoleon jetzt verschenkt, finden wohl nach den zehn Jahren wieder zurück. Aber was machen Sie in den zehn Jahren? Preußen sollte sich mit Zar Alexander ganz verbünden. Zar Alexander ist biegsam, wie alle Phantasten und Mystiker. Zar Alexander ist –«
In diesem Augenblick hörte Alexander von Egloff Pferdegetrappel –
»Der Kurier?« fragte er.
»Vielleicht? Der Dienerschaft wurde gesagt, wo Papa diesen Abend zu finden sei.«
Sie preßte plötzlich die Hände auf das Herz: »Nachricht aus Warschau – aus Polen! Mir ist, wie es Ihnen wäre, wenn Sie irgendwo, fern, Nachricht aus Bayreuth bekämen.«
In sein Herz fiel Erschrecken. Er gestand dieser Frau nicht den Patriotismus zu, der ihm bei jedem Mann Selbstverständlichkeit bedeutete.
Er straffte seine schmale Gestalt: »Sie sind doch nun bei uns zu Hause, Marya. Sie gehören zu uns. Mein Vaterland –«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Werden Sie doch nicht immer gleich ernsthaft, Alexander. En avant, wir tanzen eine Runde durch die Welt.«
Es kam nicht dazu. Lauter Stimmenklang aus dem Nebenraum hinderte den jungen Egloff, seine Wünsche noch deutlicher auszusprechen. Die anderen Tanzpaare drängten heran, denn die Flügeltüren öffneten sich, und Vater Egloff erschien an der Seite eines hochgewachsenen dunklen Herrn im polnischen Schnürrock.
»Ein willkommner Gast, Graf Ladislaus von Smirnow aus Warschau«, stellte der Hausherr vor.
Die Polin streckte lächelnd die Hand aus. »Ladislaus, welche Überraschung!«
Er küßte ihre Hände, seine Stimme war seltsam weich: »Ich bin entzückt, Onkel und dich so wohl zu finden, Marya.«
Alexander von Egloff begrüßte den Fremden steif und kühl.
Die Polin stand dicht neben ihrem Vetter: »Du wirst viel zu berichten haben, kannst du bleiben?«
Er gab ebenso leise zurück: »Ja, Marya. Ich reise deshalb die Nächte hindurch. Ich muß nach Paris.«
Graf Lagienski, sein Gast und seine Tochter verweilten noch einige schickliche Minuten, dann bat Lagienski um seinen Schlitten.
Alexander von Egloff empfand Haß gegen den eleganten jungen Polen. Was wollte der Mensch hier? Niemand konnte es überhören, wie vertraulich sein Ton zu Marya war, niemand konnte seine glänzenden Blicke übersehen. Hier im Bayreuthschen pflegten junge Verwandte wohl auf dem Neckfuß miteinander zu stehen, der Pole aber trat wie ein Troubadour auf.
Sein Pferd stand noch gesattelt. Bis der Graf Lagienski sich verabschiedet und seine Unterschrift zu dem Brief an den König von Preußen geleistet hatte, war auch Egloffs Pferd bereit. Er sagte kurz:
»Es ist bei uns Sitte, Gäste heimzugeleiten.«
Der Weg ging im Mondlicht der Vorfrühlingsnacht hinaus aus der Stadt, erreichte die herrliche Allee, den Königsweg. Wie oft war Alexander von Egloff hier nach der Villa Philippsruh, einer Vorbotin von Eremitage, geritten, wo Graf Lagienski wohnte.
Die Bäume rauschten auf – »Tauwind«, rief Marya lachend zu Alexander hinüber.
»Wir haben heute nicht genug getanzt«, antwortete er.
Graf Smirnow, überzeugt, daß der etwas steife bayreuthsche Herr gewiß nicht Polnisch verstand, ließ die Höflichkeit fallen und redete zu Marya in ihrer Muttersprache. Sie lachte ihr dunkles, quellendes Lachen.
Philippsruh war erreicht. Marya sprang aus dem Schlitten, reichte Egloff die Hand und sagte heiter:
»Sie müssen sofort zurück, Alexander. Denn Ihr Vater wartet wegen des Briefs an den König.«
Sie nahm ihre kleine Schleppe über den Arm, und Egloff sah sich entlassen – –
*
Der Dichter Jean Paul hatte den Brief an das Königspaar noch in Gegenwart des Grafen Lagienski ausgefertigt. Nun wanderte er mit seiner Gattin durch die Stadt. Es lockte die beiden ein kleiner Umweg, denn der Himmel bot ein erregendes Schauspiel. Über Mond und Sterne hin jagten Wolkenfetzen – sie wehten wie schwarze Fahnen im Sturm.
»Das gibt ein unruhvolles Jahr«, sagte leise Frau Caroline. Und als Jean Paul nicht antwortete, fuhr sie fort: »Du liebst dein altes Bayreuther Land. Aber eine andere Herrschaft, wenn sie von der Vorsehung bestimmt ist, würde vielleicht dies Land von seiner Armut erlösen.« Sie erschrak vor den eigenen Worten und sprach schnell etwas Heiteres, damit ihren Gatten nicht die so oft aufsteigende Erinnerung an seinen Bruder überfiele, der einst von dem armseligen Tisch seiner verwitweten Mutter aufsprang, ohne ein Wort das Haus verließ und sich in die Saale stürzte –
»Bald kommt dein Geburtstagsmonat, Lieber«, lächelte die Frau, »und du hast dein Gärtlein und deine Heimat.«
Er nickte. »Die Märzgeborenen folgen der aufsteigenden Sonne. Über Schillers Dasein stand der Skorpion.«
Die Gattin wußte, wenn er von Schiller sprach, so meinte er fast immer Frau Charlotte von Kalb. Daher erwiderte sie:
»Sieh, um die Menschen in Weimar ist auch keine Mauer geschaffen gegen das Schicksal. Sie sind dort einander alle so nahe und nehmen jeden Affekt als ein Weltereignis.«
Ein Reiter kam ihnen entgegen. Die Hufe des Pferdes warfen nassen Schnee auf den Weg an den Häusern entlang. Es war Alexander von Egloff, der vorüberritt, ohne das Paar zu erkennen. Er saß gebeugt, in Gedanken versunken.
»Die Polen spielen hier eine Rolle, die wir nicht durchschauen«, sagte Jean Paul. »Egloffs glauben, es seien redliche Menschen. Ob sie recht haben?« –
Alexander fand seinen Vater wartend. Baron Egloff, noch nicht sechzig, mit blauen Augen und blondweiß gemischtem vollem Haar, saß über dem Brief nach Berlin. Er hob den Kopf, als sein Sohn eintrat, nahm die Lesebrille ab und bat: »Begleite doch meinen Oberjäger morgen bis Hof und sorge dort dafür, daß die Post ihm weiterhin Pferde stellt.«
Alexander erschrak. Jetzt gerade sollte er fort? Jetzt, da ihm in dem Polen ein Rivale erwachsen war?
»Könnte man nicht den Legationsrat – ich meine den Dichter Jean Paul – bitten, nach Berlin zu fahren und den Brief zu übergeben? Die Königin hatte Wohlgefallen an seinen Versen, die er zu dem Theaterstück auf der Luisenburg lieferte.«
Der Vater überlegte. Da kam Ulrike ins Zimmer geschlüpft, dunkel, zierlich, mit unbewußtem Scharm.
»Ich habe einen anderen Plan«, sagte sie, »darf ich ihn enthüllen?«
Sie holte gestopfte Tonpfeifen und Feuerzeug herbei: »Beim Rauchen haben Männer ein milderes Urteil.«
Während die Herren ihre Pfeifen anzündeten, stand sie am Fenster, sah über ein Stück Nachthimmel hin, hörte auf das Rauschen der alten Bäume des Hofgartens. Sie dachte an ihren Jugendgespielen Heinrich Hügel, den Enkel des Hofgärtners, der ihr seit Kinderjahren den Park so lieb gemacht hatte. Er war Student in Erlangen, sollte aber bald auf Ferien nach Hause kommen. Es war ihr, als grüßte sie durch die Nacht sein junges kühnes Gesicht: er würde immer kämpfen und mit seiner Person eintreten!
Sie wandte sich zu Vater und Bruder, sagte fest und bestimmt: »Ihr werdet selbst nach Berlin reisen und vor den König treten. Es geht um Sein oder Nichtsein – es geht um die Ehre!«