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»Ich hatte einen seiner gewöhnlichen Wuthausbrüche vermuthet, auch gegen mich, und mich darauf vorbereitet, allein ich hatte mich getäuscht. Er saß am Schreibtisch. Als er meine Schriften gelesen, schob er sie sachte von sich, lehnte sich in seinen Stuhl zurück, wendete den Körper und das Gesicht über die Lehne zu mir, der ich an einem nahen andern Tisch stand, und sagte mit der ruhigsten Miene von der Welt: »ich gratulire, Herr Premierlieutenant. Wann gedenken der Herr von Rohr zu reisen?« – Ich war bestürzt; war das Ernst oder Sarkasmus? Stand ich anders bei ihm, als ich gedacht? Doch ich faßte mich schnell und ohne merkliche Pause erwiderte ich: »Gar nicht, Herr Oberst, wenn Sie mir erlauben, daß ich hier bleiben darf.« – »Ah!« machte er. Das war ein unbeschreiblicher Ton, den ich in dieser Weise nur von ihm gehört habe. Er wußte alles mögliche in die Silbe hineinzulegen, Freude, Verwunderung, Zorn, Verächtlichkeit, endlich eine für den Betreffenden oft wahrhaft grausame Gleichgültigkeit. Daran schien es mir diesmal ein wenig zu streifen, und tief verletzt entgegnete ich: »habe ich mich geirrt und bedürfen der Herr Oberst meine Dienste nicht mehr, so bitte ich allerdings um die Erlaubniß, so bald wie möglich meine Geschäfte abgeben und auf meinen neuen Posten eilen zu dürfen.« – Was ich zu hören erwartete, war: »können sich zum Teufel scheeren,« oder auch: »mit Vergnügen, mein Lieber,« – und ich war entschlossen, dann ohne ein weiteres Wort das Zimmer zu verlassen und ihn nicht wieder zu sehen. Doch ich hatte mich zum zweitenmal geirrt.
»Ohne sich in seiner bisherigen Stellung zu bewegen, ohne das Auge von mir zu wenden, dessen scharfer, finsterer Blick bohrend auf mir lag, sprach er: »hatten Sie wirklich im Sinne, Rohr, beim wilden Heiden auszuhalten?« – »So dacht' und wünscht' ich,« versetzte ich gereizt, »unter bewandten Umständen aber –«
»Erstand auf, ganz langsam, und ganz langsam trat er zu mir hin. »Hitzköpfiger Knabe,« sagte er und legte mir die Hand auf den Kopf, denn er war gut um Kopfeshöhe größer als ich, »hitzköpfiger Knabe, muß dich der wilde Heide Ruhe und Manier lehren? Da sieht's schlimm in der Welt aus, oder ich bin ein gut Theil besser, als ich selbst gedacht. Sie sind ein Narr,« fuhr er fort, und da er sah, daß ich darüber doch die Stirn runzelte, setzte er hinzu: »wenn Sie mich fordern wollen, stehe ich auch zu Dienst. Nun aber will ich ausreden. Sie sind ein Narr, sage ich, wie alle Ihres Alters. Ihr bildet euch ein, wenn ihr hier oder da zur ziemlichen Zufriedenheit gearbeitet, müßtet ihr unentbehrlich sein. Das ist keiner; jeder ist zu ersetzen, und, wenn Sie abgingen, würde ich schon jemand anders in Ihre Stelle finden, ob ich auch ein bischen Noth mit ihm hätte, bis er eingeschult wäre. Aber,« und sein Auge ward ordentlich milde, wie ich es selten gesehen, – »aber der alte Heide hat sich an den jungen Rohr gewöhnt, er vertraut ihm, er mag ihn, und das ist was andres. Ein Mensch ist für den andern nicht immer zu ersetzen. Und sehen Sie, Rohr, darum will der alte wilde Gesell den Hitzkopf gern behalten und es thut ihm wohl, daß er dort ähnliche Gedanken findet. Ich werde es mir als persönliche Gnade von Seiner Majestät ausbitten, daß Sie bei mir bleiben,« schloß er plötzlich wieder kalt und dienstmäßig. Ich hatte feuchte Augen, es war die härteste und beglückendste Lection, die ich bisher erhalten.
»Vierzehn Tage später sagte er kurz zu mir: »bewilligt, Sie bleiben hier.« Weiter ward nicht darüber geredet. Nachdem er aber im Anfang noch ein paar Tage kühl gegen mich gewesen, ward es wieder besser und immer besser von Tag zu Tag. Damals ward ich sein wirklicher Vertrauter und er führte mich in alle Geschäfte ein, die er sonst immer allein besorgt. Ich sollte aber auch bald eine Probe erhalten, wie sehr mir nicht nur mein Chef, sondern auch mein väterlicher Freund vertraute. Denn, eines Abends beorderte er mich zu seiner Begleitung auf eine kleine Reise, und ohne daß ich Weiteres erfahren, stiegen wir um zwei Uhr Nachts in den Wagen und fuhren ab. Es war gegen Ende September, wie ich noch weiß: wir hatten zwei oder drei Tage vorher die Nachricht vom Einzug in Moskau erhalten.
»Wir fuhren nach Böhmen zu seiner Schwester, der Gräfin Halberg. Was ihn jetzt plötzlich dazu bewog, die Schwester wiederzusehen, sein Kind kennen zu lernen, erfuhr ich nicht. Vermuthlich war es indessen die Ueberzeugung, daß er so oder so bald ins Feld müsse und vorher die Seinen doch noch einmal sehen wolle. Im letzten Augenblick war an kein Abkommen zu denken.
»Als wir am zweiten Tage Nachmittags vor das Schloß fuhren, war ein anderer Wagen im Abfahren begriffen und Graf und Gräfin standen vor der Thür. »Hat sich gut konservirt, die alte Frau,« meinte mein Alter, als er seine Schwester erblickte, die in der That noch eine imposante Erscheinung war. Sie sahen uns erwartungsvoll entgegen. Als der Wagen hielt, rief die Gräfin: »Mein Bruder Felix!« und stützte sich leichenblaß und zitternd auf die Schulter ihres Gemahls. Der Oberst sprang hinaus, trat auf sie zu, faßte ihre Hand: »guten Tag, Schwager, guten Tag, Schwester, bin's schon, der Felix, haben uns lange nicht gesehen.« – Sie richtete sich auf, sie zog ihre Hand zurück, ihre Stirn war glatt und die Augen kalt, »Hast du viel Noth mit den Wegen gehabt?« fragte sie auch mit eiskaltem Ton. »Wundern sollt' es mich nicht, du mußt sie ja vergessen haben.« – »Bah, Schwester, ziere dich nicht, schwatze nicht,« entgegnete er munter. »Weißt wohl, daß ich sie oft genug zu dir geritten und gefahren. Hatte dich ja so lieb, daß es den Schwager eifersüchtig machte. Nun?« – »Und du bist so lange von deiner Schwester fortgeblieben,« sagte sie noch immer in ihrer starren Haltung, aber ihr Ton bebte; »ich habe an dich zu denken gelernt wie an einen Todten, und nun soll ich dich noch lebend finden!« – Des Obersten Stirne runzelte sich, er schlug die Arme über den Rücken, das sichere Zeichen eines nahen Sturmes. »Wollen wir's so lassen? Wollen mir lieber tobt bleiben?« fragte er, – die Stimme war klar und rein in ihrer gewöhnlichen Tiefe, aber es war auch nicht ein Hauch mehr von Milde und Freundlichkeit darin.
»Die Dienerschaft hatte sich scheu zurückgezogen, der Wagen aber hielt noch hinter uns, wie wir ihn verlassen. Der Graf und ich standen dabei in ziemlich alberner Resignation; einmischen konnten wir uns nicht, und fort durften wir auch nicht. Es war eine wundersame Scene.
»Da sagte er mit wieder weicher Stimme: »Felicia!« – Und bevor er das Wort noch ausgesprochen, lagen ihre Arme um seinen Hals, sie stand an ihn geschmiegt, in seinen Armen, ihr Kopf hob sich zu dem seinen. »Mein stolzer, mein lieber, mein prächtiger, lieber alter Bruder!« sprach sie mit leuchtenden Augen, mit hinreißender Zärtlichkeit. Und wie er mit den Lippen ihre Haare flüchtig streifte und dann wieder sagte: »Felicia, mein Schwesterlieb!« – da schmiegte sie sich noch fester an ihn, da umfaßte er sie noch fester. Ich habe nie ein paar stolzere, schönere, edlere Menschengestalten gesehen, als dies Geschwisterpaar.
»Wir gingen endlich hinein. Mich stellte er mit den Worten vor: »Herr von Rohr, mein Adjutant, auch Kind im Hause, nicht ganz so gehorsam wie ein Sohn, aber sonst ein leidlicher Gesell. Genirt euch nicht, er gehört zum Hause.« – Dann nahm mich der Graf mit hinaus, um die Geschwister allein zu lassen. Er fragte mich nach dem Obersten, ich sprach, wenn auch immer einigermaßen vorsichtig, die volle Liebe und Bewunderung aus, von der ich für ihn voll war. »Wir haben von seinem Wirken gehört,« meinte er, »auch von seinem jetzt doch gemäßigten Treiben. Das letztere freut mich besonders, denn nur so war eine Wiedervereinigung möglich. Wozu verbergen, was landkundig ist? Er hat seiner Schwester durch seine damalige Barbarei beinah den Tod gegeben: sein späteres Leben, sein unmenschliches Benehmen gegen sein Kind und gegen die einzige Schwester, diese gänzliche Trennung hat ihr fast das Herz gebrochen. Ein paarmal wollte sie zu ihm oder an ihn schreiben: ich litt es nicht. Eugen ist ein braver, schmucker Cavalier, er ist lange nicht hier gewesen. Wie geht's mit dem Obersten? Hat er noch immer nicht die Erlaubniß, Soldat zu werden?«
»Ich berichtete so viel ich wußte; der Graf hörte mir zerstreut zu. »Ich bin in Sorgen,« sprach er endlich wie zur Entschuldigung: »was wird es mit Stephanien, mit seiner Tochter werden? Sie ist auf einige Tage zum Besuch bei einem unserer Nachbarn. Was will er eigentlich? Will er sie mit sich nehmen?« – »Er hat kein Wort über die Tochter geäußert,« gab ich zur Antwort. – »Gott verhüte solche Gedanken,« fuhr er fort. »Es ginge nicht gut ab; meine Frau läßt das Mädchen nicht fort. Sie hat auch wohl ein Recht dazu.«
»Als wir wieder hinein kamen, fanden wir die Geschwister in heiterer Stimmung, nur schien der Oberst unruhig, er ging im Zimmer mit großen Schritten auf und ab. Die Gräfin kam uns entgegen. »Mein Freund,« sagte sie zu ihrem Mann, »ich habe einen Wagen nach D. geschickt, Stephanien zu holen; Felix kann nur bis morgen Abend bleiben.« –»Wollen Sie das Mädchen mitnehmen?« fuhr der Graf heraus. – Der Oberst blieb stehen und sah seinen Schwager stolz an. »In der That, Graf, Sie haben einen seltsamen Glauben von meiner Narrheit. Wohin sollte ich mit ihr in meiner Stellung? – Uebrigens erkenne ich die Rechte meiner Schwester an: siebzehn Jahre geben solche. Das Mädchen zu sehen, wird mir wohl erlaubt sein. Ob ich sie wiedersehe, hängt davon ab, wie sie mir gefällt. Bei der Entscheidung über ihr späteres Schicksal, wenn sie z.B. heirathet, behalte ich mir allerdings auch eine Stimme vor. Meine Schwester und ich werden uns aber schon einigen; wir hatten sonst wenigstens die gleichen Ansichten.« – Die Gräfin wandte sich mit ablenkenden Worten dazwischen, brachte die Rede auf Eugen, zog mich in's Gespräch. Ich erfuhr später von dem Obersten, daß er und der Graf sich nie hatten leiden können. Sie mochten beide Grund haben.
»Mittlerweile ward es Abend und wir gingen zu Tisch. Da, als wir beinahe abgegessen hatten, ward plötzlich die Thüre des Gemachs aufgerissen, ein junges Mädchen flog herein, so schnell, daß der Mantel oder ein dunkler großer Shawl, den sie getragen, rückwärts von ihren Schultern sank, wie eine schwere Wolke vom leichten Himmelsraum. Und Gott weiß, sie selbst tauchte himmelleicht und luftig draus hervor, fuhr auf die Gräfin zu, eine große, elfenleichte, palmenschlanke Gestalt, und ohne sich umzusehen rief sie: »Tante, was ist's? Ist's ein Unglück? Freunde da aus Preußen? Nachrichten von dem Papa, Tante? Der Franz wußte ja gar nichts!« – Ich sah nach dem Obersten; er saß ein wenig vornübergebeugt, die Fäuste auf das Tischtuch gestemmt, als habe er aufspringen wollen, wie erstarrt, mit unbeweglichen Augen, einem finstern Blick, und dabei Stirn und Wangen bedeckt von einer leichenhaften Blässe, die um so mehr erschreckte, da er sonst sehr roth zu sein pflegte.
»Die Gräfin hatte das Mädchen nach einem Kuß auf die Stirn mit sich aufgezogen und drehte sie gegen den Alten, dessen Augen mechanisch jeder ihrer Bewegungen folgten. »Stephanie, mein theures Kind – sieh dahin,« sprach die Tante mit einer kaum noch vernehmbaren Stimme, »sieh ihn dir an – wer, denkst du, ist das?« – Sie richtete sich auf – sie sah ihn an – man sah's jetzt, ihre Augen hatten eine wunderbare Aehnlichkeit mit denen des Vaters, obgleich sonst nicht ein Zug in ihrem Gesicht dem seinen glich. Da hob sie die Hände auf und preßte sie zusammen vor die Brust und sagte mit einem unbeschreiblichen, sicheren, triumphirenden, stolzen Ton ganz laut und langsam: »das ist mein Papa, so sieht keiner aus, als mein Papa!« Und da flog sie auch schon auf ihn zu, der kerzengrad vom Stuhl fuhr, und warf ihm die Arme um den Hals und legte – nein, warf auch den kleinen Kopf an seine Brust und jubelte: »Papa, goldener Papa, kommst du zu deiner wilden Heidin? Hast du mich lieb, Papa? Sie sagten mir, du könnt'st mich nicht leiden, aber das ist nicht wahr, es geht ja nicht, du kennst mich ja gar nicht! Und glaub' nur, ich bin auch gut, und ich will dich unmenschlich – o unmenschlich lieb haben!« Und dazwischen hob sie den Kopf und küßte, wohin ihre Lippen reichten, und sah ihn an mit blitzenden Augen, und legte den Kopf wieder an die Brust zurück.
»Und sie arbeitete diese Brust, als wollte sie zerspringen, er fuhr sich ein paarmal mit der Hand an die Kehle, als müsse er ersticken, aber seine Augen gingen nicht mit einem Blick von dem holdseligen Geschöpf da vor ihm. Aber als sie nun schwieg, da richtete er sich in seiner ganzen stolzen Höhe auf und hielt sie mit dem linken Arm umfaßt, um und um die schlanke Figur, und streckte über des sitzenden Grafen, Kopf der Schwester die Rechte hin und sprach: »Alle Donner Gottes, Schwester, ich muß wohl sagen wie sie: das ist mein Kind, so ist keine als mein eigenes Kind!« – Da brach das junge Wesen in leidenschaftliches Weinen aus.
»Aber nun hätten Sie ihn sehen sollen, wie er sie an sich nahm, sich niedersetzte, sie auf seinen Schooß zog, sie herzte und küßte, ihr die herzlichsten, die thöricht'sten Namen gab, sie streichelte und an sich preßte, das Köpfchen aufhob und ihr in die Augen sah. Und einmal nach einem solchen Blick wandte er die Augen mit fast schwermüthigem Lächeln zur Gräfin und sagte: »es ist Eugenie, wie sie mein Liebstes im Himmel und auf Erden war, wie sie leibt und lebt, – und als sie da vorhin herein kam, meint' ich ein Gespenst zu sehen. So ist sie die Mutter! Nur daß diese hier eine wilde Heidin ist, wie sie selbst sagt.« – Stephanie hatte inzwischen längst zu weinen aufgehört, sie lachte und jubelte und plauderte und gab die Zärtlichkeit des Alten mit Zinsen zurück. Und dazwischen jubelte sie auf: »Papa, was bist du schön!« oder »Papa, was bist du stolz!« und auch: »Papa, ich bin verliebt in dich, du bist aber zu prächtig!« – Und dann faßte sie mit beiden Händen seinen grauen Kopf mit zärtlicher Heftigkeit und legte ihre Stirn an seine, so ihm in die Augen zu sehen. Und dann fuhr sie wieder auf, zu der Tante, plauderte mit uns andern und sprang wieder zurück auf des Vaters Schooß. Etwas Lieblicheres und doch zugleich Wilderes hab ich nie gesehen.
»So ging es fort. Der Graf schien sich zu ärgern, er war still: auch die Gräfin sprach einmal mahnend: »aber Stephanie, Kind, ich kenne dich ja gar nicht so ausgelassen!« – Und da antwortete das glückliche Wesen lustig: »wie sollt'st du auch, Tante? Ich hab' ja noch nie einen Papa bei mir gehabt!« – Als wir uns endlich erhoben – denn mir waren bei alledem noch immer am Speisetisch geblieben – nahm der Oberst das schlanke, zierliche weiche Mädchen mit einem raschen Schwung wie ein Kind auf den Arm und ging so mit ihr durch's Zimmer. »Einmal muß ich dich doch auf den Armen tragen,« redete er dabei, »hab' dich ja niemals darauf gehabt, da es Zeit war.« – Und sie erwiderte: »thu's nur, Papa, es ist auch so warm und weich drin, und so sicher! Du glaubst gar nicht, wie gut das thut.« – Als er sie dann wieder hinabspringen ließ, stellte sie sich vor ihn hin, legte ihm die Hände auf die Schultern und sagte ernsthaft: »sieh, Papa, eigentlich ist es doch auch wieder gut, daß es grade so gekommen; du kriegst nun kein kleines dummes Kind, sondern ein großes Mädchen, das Ordre parirt und dich nicht mehr böse macht. Und dich – dich hab ich nun mit einemmal, funkelnagelneu, wie du bist, ganz und gar, und kann dich mit einemmal so unmenschlich lieb haben!«
»Ich könnte Ihnen bis morgen früh von all diesen Dingen erzählen,« fuhr Rohr nach einer Pause fort. »Trotz all des Kindischen war auch etwas Berauschendes, Bezauberndes ohne Gleichen in dieser Weise, in diesen Scenen, diesen Blicken und Worten. Als wir ziemlich spät in unser Schlafzimmer kamen – der Oberst hatte sich ein gemeinschaftliches erbeten, wie wir es stets auf unsern Reisen hatten, – setzte er sich wie zerbrochen auf einen Stuhl und sprach: »Gott's Sackerlot, was ist's für ein Kind! Ich bin wie kreuzlahm, so ist's mir in den Leib geschossen.« Und darauf plauderte er nicht mehr mit mir wie gewöhnlich, sondern machte sich schnell und schweigend in's Bett, löschte das Licht aus und wünschte mir kurz gute Nacht. Mir war das lieb, denn auch ich fühlte mich abgespannt.
»Am folgenden Tage fing es so wieder an, wie es Abends aufgehört. Es war ein aufreibendes Treiben, und als Stephanie einmal das Zimmer verlassen, bemerkte der Alte auch, es sei Zeit zur Reise, so halte er's nicht aus. »Die bringt mich sonst auch um's Leben, wie sie ihre Mutter darum gebracht hat,« meinte er in seinem rücksichtslosen Sarkasmus, der ihm, zumal in den letzten Jahren, zur andern Natur geworden und es für jeden fast unmöglich machte, mit ihm umzugehen, wenn man es nicht über sich vermochte, den Ausspruch als einen Einfall zu nehmen, der nur selten so ernst gemeint war, wie er klang. – »Bruder Felix,« sagte damals die Gräfin zürnend, »wenn das dein Kind hörte!« – »Sie hört's aber nicht,« gab er gut gelaunt zur Antwort, »obgleich sie auch nicht dran sterben würde. Denn die hat Leben in sich, um zwanzig umzubringen, sie ist ein ächter und rechter Zweig des alten Stammes. Hrrr – da kommt sie!« –
»Und als sie in's Zimmer trat – ihn ansah und aufzuckend zu ihm hinflog, sich auf seinen Schooß schmiegte – das war so liebreizend – das war so wild, beides! Und sie sprach zu ihm: »sieh, du wilder Papa, wenn du mich so ansiehst, sind deine Blicke wie Schlingen, sie ziehen mich heran, ob ich will oder nicht. Papa, du bist gefährlich!« – Er lachte. »Du bist eine wilde Katze. An dir ist ein Junge verdorben, und ein Adjutant für den wilden Heiden. So einen könnt' ich brauchen, und muß mich nun mit dem da herumschlagen,« fuhr er fort und deutete auf mich, der ich allerdings still genug war, denn was sollte ich dabei auch thun? – »Sieh ihn dir an, Kind, ist der so, wie du ihn dir als jungen Offizier und noch dazu bei mir gedacht hast? Er ist ein wahres Mädchen gegen dich!« – Sie ward roth, aber, sie lachte. Sie verstand den Wink auf meine Kosten freilich; allein bei dieser leichtherzigen, warmblütigen Natur blieb er ohne nachhaltige Wirkung. In ihrer bisherigen vornehmen, gesetzten Umgebung war sie vielleicht nie so hervorgetreten, kannte sich vielleicht selbst nicht so. Ein Vogel, der noch aus dem Nest ins Zimmer, ins Bauer kommt – was weiß der von der Freiheit? Aber wenn er einmal hinauskommt, in den Sonnenschein, in die Luft, da wogt in ihm auf, was bisher geschlummert, das eigenste Leben, da regt er die Flügel und hebt seinen Gesang und wirft sich rückhaltlos hinein in die Weite des Himmels.«
Wie der alte Herr jetzt eine Pause machte in seiner Erzählung, sahen wir bald ihn, bald einander schweigend und verwundert an. Denn wie lebhaft uns auch das vom ihm so lebendig, so warm Geschilderte berührte, noch mehr erfaßte uns seine eigene Weise dabei. Wer hätte das gedacht, das in ihm geahnt! Aber freilich, die sogenannte Menschenkenntniß und – Menschenbeurtheilung steht auf verzweifelt schwachen Füßen; es sieht doch keiner dem andern ab, was so recht in ihm steckt.
»Verzeihen Sie mir,« fuhr er jetzt fort. »Ich bin weitläufiger geworden als nöthig! allein die Erinnerung riß mich fort – es sind das gar zu liebliche Bilder, wie es deren in keinem Leben viele gibt. Nun will ich rascher fortfahren. Genug, so ging der Tag hin, aufreibend, und als wir Abends nach einer wahrhaft verzweiflungsvollen Scene endlich im Wagen saßen, sprach der Oberst stundenlang kein Wort. Nur einmal gegen Morgen fragte er: »was sagen Sie dazu, Rohr?« – Und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Donner Gottes, wenn sie das Wesen, diese Leidenschaft denn nun doch einmal von mir hat und ich in Proportion auch so gewesen bin, da trag' ich allerdings meinen Namen mit Unehren. Er reicht nicht hinan! – Na, hinkommen werd' ich für's Erste nicht wieder.«