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»Herr General,« sagte ich, und mir war unbeschreiblich zu Muth, scheu, befangen, angsthaft, »nicht nur die Eltern widersetzen sich Ihrem Sohn, auch die Frau Gräfin Halberg hat ihn eifrig von jedem Gedanken dahin abgemahnt.« – Da wandte er sich langsam zu mir herum, sah mich an mit einem tief glühenden Blick – es war, als ob der Blick aus der tiefsten Tiefe seines vulkanischen Innern hervorbreche – und sprach auch langsam, Wort für Wort: »Da – brauche ich mich allerdings nicht zu erkundigen. Es ist aus. Das Ding ist unmöglich. – Un – möglich!« setzte er noch einmal hinzu.
»Herr General,« sagte ich wieder, – denn ich war die gänzliche Aufklärung dem Freunde schuldig, – und ich gesteh's, das Herz zuckte und die Glieder zitterten mir vor Aufregung, »Herr General, Eugen sprach mir von einem wahrhaft furchtbaren Gedanken, der ihm bei diesem unerklärlichen Widerstande der Eltern, der Tante gekommen. Er meinte, wenn er wüßte, daß Sie jemals in der Familie bekannt gewesen – nicht wahr, Herr General, das ist es wenigstens nicht?« fügte ich in wahrhafter Todesangst bei, obgleich ich das Gegentheil schon wußte, denn der furchtbare Ausdruck seines Gesichts war nicht mißzuverstehen. So sah er mich noch einen Augenblick an, ohne ein Wort; dann schlug er sich mit der Faust vor die Stirn und wandte sich ab.
»Sollte ich bleiben oder gehen? Gehen – er schien mir in einer Stimmung zu sein, die ihn das Leben kosten konnte. Bleiben – aber was konnte ich nützen? Durfte ich es überhaupt wagen? – Ich ging und grübelte in Verzweiflung über den Brief, den ich, meinem gegebenen Wort gemäß, an Eugen schreiben sollte und nicht zu schreiben wußte. Aber nach einer halben Stunde bereits ward ich zum General beschieden. Er war starr und kalt. »Ich habe eben eine Stafette geschickt, Relais parat zu halten,« sprach er. »Benachrichtigen Sie den Oberstlieutenant Görne, daß Sie und ich bis übermorgen nach Reuschwitz gehen: setzen Sie ihn von dem Laufenden in Kenntniß. In drei Stunden geht's fort. Sie kommen doch mit mir, Rohr?« – »Bis in den Tod, Herr General,« versetzte ich. – »Wenn's nur das wäre!« murmelte er und entließ mich. Ich vermochte kaum, seinem Auftrage nachzukommen. Das Furchtbare lähmte mir Körper und Geist, die letzten Worte des eisernen Mannes brachen mir das Herz. Und wenn ich erst an Reuschwitz dachte!
»Wenn man Relais hatte und die Pferde nicht schonte, konnte man allerdings die zwanzig Meilen in acht bis neun Stunden reiten, und so thaten wir diesmal. Da merkt' ich wieder die Riesennatur des Alten. Ich war halb todt, er stieg vom Pferde, als sei nichts Besonderes geschehen, fragte, ob Eugen daheim sei, schickte ihm, da er zu einem Nachbarn hinüber geritten war, einen Boten nach und ging inzwischen im Zimmer rastlos auf und nieder. Als wir den Zurückkehrenden über den Hof reiten hörten, ging der Alte in des Sohnes Zimmer und ließ durch einen Diener Eugen sogleich dahin weisen. Es mochte zehn Uhr Abends sein, als sie dort zusammen kamen. Ich hielt mich aus einer gewissen Angst in der Nähe; aber es drang nicht ein Laut zu mir durch Thür und Wände.
»Mitternacht war bereits vorüber, als der General wieder herauskam in starrer, fester Haltung, die scharfen Querfalten auf der Stirne wie erstarrt in Härte und Trotz, den Mund zusammengepreßt. Wie er meinen bittenden, fragenden Blick bemerkte, sagte er: »Es ist in Ordnung, der wackere Knabe hat sich gefaßt und es ertragen wie ein Mann. Mein wackerer – edler Junge!« – Dann hieß er mich ihm folgen und in seinem Zimmer stellte er sich fest vor mich hin, legte die Arme über den Rücken und seine Blicke, wenn ich so sagen darf, mit einer solchen Finsterkeit auf mich, daß mir bei dem Dinge gar nicht wohl zu Muth ward. »Sie haben meinen Knaben lieb,« sprach er endlich. »Allein er verdient es auch. Er hat Ihnen heut in seiner Noth einen Dienst erwiesen, den kaum Einer außer ihm zu leisten vermocht. – Sie lieben meine Tochter, Herr von Rohr?« Ich fuhr zusammen; ohne mich zu schämen, gestehe ich, daß in dem unendlichen Leid dieses Tages meiner eigenen Gefühle von mir nicht gedacht worden war. »Na, lassen Sie den Kopf nicht hängen,« fuhr er fort. »Da durch meine Schuld ein paar Menschen elend werden, will ich kein zweites Paar dazu haben. Sie wissen, ich habe Sie lieb, Rohr, wie der alte Heide es versteht. Aber ob ich dazu so ohne Weiteres ja gesagt, weiß ich nicht. Gehen Sie hin und danken Sie Eugen: er hat Ihre Sache gewonnen. Wenn das Mädchen so will, hab' ich nichts dawider.«
»Mein Gefühl übermannte mich, die Thränen drangen mir in die Augen. In solcher Stunde, in solchem Leid hatte er meiner gedacht! – Der General verstand mich. »Ja,« meinte er, »es ist auch mein Junge, ein Knabe so edel und brav, wie ich alter Sünder ihn nicht verdient habe. – Er wird die Mittheilung Ihrer Angelegenheit an Stephanie übernehmen,« sprach er weiter. »Sie können morgen ein paar Worte schreiben und einlegen. Aber seid vorsichtig! Die Tante muß geschont werden, sie hat ihre Rechte, und das wird noch ein schwerer Kampf werden. Und nun, gute Nacht, mein Sohn,« schloß er herzlich. »Gehen Sie hin und schlafen Sie aus. Lassen Sie Eugen und mich. Wir haben's am besten jeder für sich allein.« – Ich ging, denken Sie selbst in welcher Stimmung: ich habe mich nie so seltsam gefühlt, so traurig und so voll Jubel.
»Erst am folgenden Mittage traf ich bei einem Gange durch den Park auf Eugen; er war anscheinend ruhig und gefaßt. Mit einem milden Lächeln reichte er mir die Hand, drückte die meine und sagte: »Glück zu, Freund! Hast du geschrieben, so gib es mir vor eurer Abreise, ich will heut Abend noch den Brief an die Schwester schließen und werde ihr eine baldige Antwort an's Herz legen. Warten ist hart und Wartenlassen grausam. Du brauchst aber nicht zu sorgen, du glücklicher Mensch!« – Dann zog er meinen Arm durch den seinen und schritt mit mir den Buchengang entlang, der zum Fluß führte. Dabei sprach er über allerlei, wie sonst, erkundigte sich nach Bureau- und Garnisonsneuigkeiten und was dergleichen mehr war. Ich konnte das nicht langer aushalten und blieb stehen. »Höre, Eugen,« sprach ich bittend, »sei nicht so kalt und schroff gegen dich selbst. Rede mit mir. Ich könnte zu dir wie ein Kind zum Vater sagen: bitte, bitte!«
»Es fuhr wie ein leichter Flor über sein schönes, jetzt aber ein wenig abgespanntes Gesicht; er schüttelte leise den Kopf und indem er weiter ging, versetzte er: »laß es gut sein, Rohr. Was soll ich mit dir darüber reden? Wir haben es ja neulich schon vorahnend durchgesprochen; das bleibt nun am besten, wie es ist, – vorbei.« – »Du gehst nicht hinüber?« fragte ich. – Er schüttelte wieder den Kopf. »Nein, wozu auch? Die Romanschreiber mögen so was sehr charmant beschreiben, erhabene Gefühle, herzbrechende Scenen daraus abzeichnen. Ich – treffe es hier im Leben anders. Ein Begegnen mit ihr würde ich nicht vermeiden können, ohne ihr das Herz zu brechen. Eine Zusammenkunft, ein Abschied könnte auch nur zu demselben Ende führen. Man streift dergleichen Gefühle nicht ab und geht nicht zu andern über, wie man ein Kleid auszieht und ein anderes anlegt. Und Rohr – sollte ich hiervon sagen? Sollte ich in ihr Leben neben der Entsagung noch das Elend bringen, da verachten zu müssen, wo sie bisher geachtet und geliebt? – Es bleibt nur Eins übrig,« fuhr er fort, anscheinend ebenso gefaßt, aber ich merkte doch, wie seine Kraft dabei schwach ward – die Stimme bebte und auch die Lippen zitterten: »es bleibt nur Eins. Ich verschwinde vor ihr. Sie mag sich von mir für vergessen, verlassen halten. Man wird leichter mit einem Menschen fertig, wenn man ihn schlecht, treulos, des Schmerzes, des Andenkens nicht werth glaubt. Sei es so. Ich kann zu dem Uebrigen auch das noch nehmen, es geht in Einem hin. Sie hat es doch leichter. Aber –« er blieb stehen und warf das Gesicht mit einem Lächeln zur Höh, das seine Züge auf das furchtbarste verzerrte, ich weiß nicht, war es mehr Hohn oder mehr Verzweiflung, oder beides in gleichem Maße. »Aber – ich –«. Er brach ab und ging wieder weiter. »Wüßt' ich nur recht – furchtbar viel zu thun!« sprach er nach einigen Schritten, »so daß ich drunter zusammenbräche, – denn brechen würde ich doch nicht, aber ich würde über das eine des andern weniger denken können. Und Gott gebe, daß wir den Krieg erhalten. Das war's! Kommt er nicht bald, so geh ich auf und davon, dahin, wo es donnert.« – »Das wirst du dem General nicht zu leide thun,« bemerkte ich ernst dazwischen. – Er sah mich überrascht, mit einem seltsamen Blick an. »In der That!« sagte er bitter, und setzte dann hinzu: »was das zu leide thun betrifft, das, denke ich, lassen wir ruhen. Es ist wett. – Und nun zu dir und Stephanien, das ist ein besserer Stoff: daran kann man sich doch noch freuen.«
»Das war unser Gespräch, das Weitere gehört nicht hieher. Um Abend brachen wir, der General und ich, auf und waren am Morgen wieder in G. – Der Alte war kalt und starr wie Eis, unnahbar für jedermann, selbst mit mir sprach er nur Dienstliches und auf das aller kürzeste. Und wo er einmal auf Widerstand traf, auf – wie er es nannte: Faulheit, da brauste er in einem Zorn, in einer Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit auf, die ich beinah seit einem Jahr, und zumal seit er die Tochter wiedergefunden, nicht mehr so an ihm bemerkt hatte. Damals ward mir ein Grundzug dieses eigenthümlichen Charakters klar. Je nachdem er mit sich selbst zufrieden war oder sich im Unrecht, in einer Schuld wußte, ward er, ohne es selbst zu wissen, milde oder rauh; und seine Natur war eine viel zu ursprüngliche, eine viel zu gewaltige und gewaltsame, als daß er ihre Ausbrüche und Erscheinungen durch Verstand hätte zügeln können; im Gegentheil ging die Natur mit dem Verstande davon.
»Wie die Angelegenheit, die jetzt sein und seines Sohnes Leben bewegte und ruinirte, sich eigentlich gemacht, wie das so gekommen und von ihm so gänzlich hatte vergessen werden können, darüber habe ich theils wenig erfahren, theils wenig zu sagen. Er hatte die Familie in einem Bade kennen lernen und wie oft – auch hier keinen Widerstand gegen seine siegreiche Persönlichkeit gefunden. Freilich hatte die Sache diesmal keinen so stillen und gleichgültigen Verlauf genommen wie bei den meisten seiner andern Verbindungen. Im Gegentheil ward eine Trennung jener Ehe nur durch ganz besondere Rücksichten mit Mühe verhütet, ein Duell hatte im Geheimen stattgefunden. Allein das alles war nichts, was in seinem Leben alleingestanden, und nichts, an das er sich besonders hätte erinnern müssen. Darauf verschwand die Familie und er spürte ihr nicht nach; seine Frau starb, die folgenden wilden Jahre nahmen ihn ganz ein, er hörte nichts von der Schwester, von Böhmen; und wo er wirklich den Namen einmal gehört, fiel er ihm nicht auf; es gab mehrere Familien, die ihn trugen, und die ganze Geschichte war ihm viel zu gleichgültig, ging ihn längst nichts mehr an.
»Von meinen eigenen Angelegenheiten habe ich nicht zu erzählen: es genügt, wenn ich mittheile, daß meine Werbung angenommen ward und daß ich mich, trotz dieser besonderen, einstweilen noch vielfach gestörten und überaus vorsichtig zu behandelnden Verhältnisse so glücklich fühlte wie je ein Mensch. Es erschloß sich mir in Stephanien schon durch diese ersten, doch noch schüchternen Briefe nicht nur das holde, lustige, frische und sanfte junge Mädchen, wie ich sie persönlich kennen gelernt, es trat mir auch ein holdseliges Weib entgegen mit einer reichen und tiefen Seele, mit warmem Herzen und klarem Kopf, mit allem was man an einem geliebten Wesen ersehnt und verehrt. – Natürlich wußte die Gräfin Halberg bisher nichts davon. Ich sollte nach dem Willen des Generals Hauptmann werden, mich in dem nothwendig bevorstehenden Kriege auszeichnen, dann mir auch von der Tante die Braut erringen; Stephanie war ja auch eben erst siebzehn Jahre. – Bis dahin war Eugen Vermittler. Den ersten Brief schickte er mir, den zweiten brachte er selbst – es war an dem Tage, wo wir des Königs Reise nach und Ankunft in Breslau zugleich erfuhren. Als er mir den dritten von Prag auch wieder selbst brachte und wir auf meinem Zimmer noch im Gespräch waren, ward ich ab und zum General berufen: Eugen folgte mir, da er den Vater noch nicht begrüßt. Der General kam uns entgegen, hoch aufgerichtet, mit stolzem Blick reicht' er uns ein Blatt. »Gott sei Dank,« sprach er, »das Zögern ist zu Ende. Da sind wir endlich.« Es war der Aufruf zur Bildung von freiwilligen Jägerschaaren. Wir lasen einer über des andern Schulter.
»Hurrah, hurrah!« brach Eugen wild aus und riß mich an sich, so daß ich kaum das Gleichgewicht behalten konnte, »hurrah, Robert, da ist's, Gott sei Dank! Und so also, Vater,« fuhr er fort und ließ mich wieder plötzlich los und trat mit erhobenem Kopf, mit funkelndem Blick zum Alten, der bei dem Ausruf des Sohnes auffahrend, jetzt mit finster gerunzelter Stirn des Weitern zu harren schien, »und so also, Vater, – nun ist's doch endlich recht? Ich melde mich als dein erster Freiwilliger.« – Es flammte in den. braunen Augen des Generals wie ein jähes Wetterleuchten, doch er faßte sich augenscheinlich gewaltsam, schlug die Arme fest über die mächtige Brust und sprach mit einer Stimme, die ruhig sein sollte: »was fällt dir ein, Junge? Was geht der Aufruf dich an? Du bist der einzige Sohn deines Vaters und in dessen Abwesenheit und zumal im Kriege – wenn wir ihn kriegen – auf den Gütern unentbehrlich. Da kannst du ebensoviel wirken, wie wir im Felde. Genug aber, du weißt meinen Willen.«
»Es war ein furchtbarer Rückschlag in den Enthusiasmus des armen Jungen. Er stand auch eine Weile leichenblaß und zitternd. Dann sagte er endlich mühsam: »Vater – das kann nicht dein Ernst sein. Das scherzest du. Aber ich fleh' dich an – quäle mich nicht, sei barmherzig und sage ja!« – »Das werd' ich bleiben lassen,« versetzte er. »Du weißt meinen Willen längst und daß er fest ist wie die Berge. Genug davon.« – »Vater,« flehte er wieder, »sei barmherzig, du weißt, daß auf solch ein Ereigniß sich meine ganze Lebensaussicht gründet!« – »Schnack!« rief der General zornig, »bleib mir mit dem Zeug vom Leibe, wir haben andres zu thun. Und nun kehrt – marsch, da ist die Thür!« – Eugen richtete sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf, auch er ward roth und die Augen begannen trotziger zu blicken. Doch er redete noch gemäßigt: »Vater, willst du, daß ich allein daheim bleibe, wo alle gehen? Soll ich mit Fingern auf mich zeigen lassen?« – »Ah!« rief der Alte und über seine Stirne flammte es von Sekunde zu Sekunde röther, »möchte den sehen, der's wagte! Möchte den sehen, der sich rührt, wo ich befehle!« – »Vater, es gehen alle, ich weiß – ich fühle das; es bleibt keiner daheim, als Greise und Krüppel –«. – »Und du!« unterbrach ihn der Vater aufbrausend. »Und du, sag' ich dir! Du bleibst, ich will meinen Sohn, den Sohn des wilden Heiden nicht am ersten Marsch erlahmen sehen.« – »Nun,« sprach Eugen jetzt auch heftig, »ich denke ein Mann zu sein wie Einer; was Einer kann, kann auch ich. Ich kann meinen Säbel brauchen und mein Pferd führen.«
»Der General ließ die Arme von der Brust sinken und stützte sich rückwärts mit den Fäusten auf den Tisch, an dem er stand; seine Stellung drückte, wenn man so sagen kann, Verachtung aus, jeder Zug seines Gesichts sprach von Hohn, der Hohn bebte in seiner Stimme: »Du ein Reiter – Schwächling! Du ein Husar – es ist zum Todtbleiben, wenn man bloß dran denkt! Armer Kerl, kaum eine Husarenbraut bist du, mein weicher Knabe, du sanftes, mildes Püppchen! – Ach Millionendonner Gottes, was ist's für ein Einfall! Wenn du erst Husar wirst – na dann prost die Mahlzeit! – Geh nach Haus, armer Knabe, pflüge deinen Acker, fahre deine Lieferungen und wiege dein Herzchen, da du keine Kinder zu wiegen hast. – Und nun bei allen siebzehntausend Teufeln der Hölle,« brach er vom Hohn jäh in die rasendste Heftigkeit überspringend aus und fuhr in die Höhe und warf die Fäuste in die Luft und wieder nieder, – »nun Bursch, ist des Redens ein Ende! Reiz' mich nicht! Du kennst mich noch nicht! Wenn der alte Heide zu Platz kommt, hört's auf mit des Herrgotts Regiment! Fort – pack dich! Und rühr' dich nicht wider meinen Willen oder ich zerbrech' dich wie ein Rohr, ich zertrete dich wie einen Wurm! Mir trotzen, mir! Mir! Ah!« –
»Ich riß Eugen aus dem Zimmer. Ich hatte früher nicht recht den Ausdruck begriffen, den ich wohl hie und da vernommen, wenn ein neues Gerücht von einer besondern Wildheit des alten Generals im Lande umlief –: »der wilde Heide ist los;« – jetzt wußte ich es.
»Bei dem scharfen, thörichten Hohn des Vaters war Eugen bald roth, bald blaß geworden; bei dem darauf folgenden Ausbruch war er leichenblaß, allein in seinen Augen brannte es so düster und auf seiner Stirn so drohend, um den Mund so entschlossen bis auf's Aeußerste, daß ich nicht zu entscheiden wußte, ob das verzerrte Gesicht des Alten oder das starre Eugens das gefährlichste war. Es überkam mich ein Grausen vor dem nächsten Moment, und darum riß ich den Sohn hinaus. »Siehst du?« fragte er nach einer Pause, wo er sich zu fassen gesucht. »Hab' ich dir das nicht vorausgesagt?« – »Gott befohlen, Eugen,« erwiderte ich so ruhig wie möglich. »Geh nach Reuschwitz und, wenn du meinem Rath folgst, so bleibst du einstweilen ruhig da; es drängt nichts. Wenn es ernster wird, bleibt dir immer Zeit und freier Wille. Und dann thue, was du mußt.« – »Das ist nur Eins,« sprach er ruhig. – »Gewiß,« versetzte ich. »Laß es mich erfahren, wenn du gehst. Und nun adieu und Gott behüte dich, wenn wir uns vor dem Kriege nicht wiedersehen.« – Wir nahmen stumm Abschied. Ich ging in's Bureau; eine halbe Stunde nachher sah ich ihn aus dem Hofe reiten.
»Als ich später mit Arbeiten zum General mußte, fand ich ihn zwar still, aber in der mürrisch'sten Laune von der Welt. Mit einem gemurmelten Fluch gewährte er die Unterschriften, mit einem lauten warf er mir eine aufgesetzte Ordre als unbrauchbar zurück und ließ sich mit einem noch lautern dazu herab, mir seinen Willen auseinanderzusetzen. Zuletzt hieß er mich wild zum Teufel gehen. Ich nahm das alles ruhig hin; die Umstände machten es erklärlich, und ich war in meinem Glück und gegen den Vater meiner Braut auch milder geworden. Auf seine letzte Weisung ging ich; allein in der Thüre wandte ich mich um und sagte: »Ich soll Ihnen Ihres Sohnes Abschied sagen, Herr General. Er ist abgereist.« – »Wohin?« donnerte er auffahrend. – »Nach Reuschwitz, so viel ich weiß,« entgegnete ich kalt. – »Ah! – dacht's mir. Wollt's ihm auch gerathen haben!« gab er zur Antwort, und ich ging.
»Nachher erfuhr ich aber, daß er ihm trotz seiner geheuchelten Sicherheit nicht nur jemand nachgeschickt, um ihn zu beobachten, sondern daß er sich auch an einen ihm bekannten Flügeladjutanten, an den Kriegsminister und wer weiß an wen noch gewendet und Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hatte, um Eugen den Eintritt in die Armee unmöglich zu machen. Man war auch auf sein Anliegen eingegangen und hatte alles zu thun versprochen, was geschehen könnte. Man hatte freilich Grund genug, einen solchen zwar wunderlichen, aber doch kleinen Wunsch des »wilden Heiden« zu erfüllen. Denn der Alte war unersetzbar, und man wußte, daß er kurz angebunden war.
»Am einundzwanzigsten März, – wir wollten eben den längst vorausgegangenen Truppen gleichfalls folgen, – erhielt ich einen kurzen Abschiedsgruß von Eugen. Auf die Aufrufe vom siebzehnten wollte er aufbrechen. Wohin, schrieb er nicht. Dem Vater, bat er, möge ich es verschweigen, bis er es von anderer Seite erfahre. – Das währte freilich nicht lange. Denn da der General ihn zum Abschied bereits in G. erwartet hatte, beschloß er nun, da er nicht kam, ärgerlich, vom Marsch aus auf ein paar Stunden nach dem nicht zu entfernten Gut hinüberzureiten und ihm »den Kopf zu waschen« für seine »Lieblosigkeit,« wie er's nannte. An die damalige Scene dachte er nicht grade besonders, und daß Eugen einen Willen gegen ihn haben könne, fiel ihm jetzt gar nicht mehr ein.
»Das Loos, ihn zu begleiten, traf natürlich wieder mich. Unterwegs wagte ich – ich hielt das für meine Pflicht – eine vorbereitende, vorsichtige Andeutung; aber er brauste dermaßen auf, daß ich sogleich abbrach und einlenkte. Ich hatte ja auch meinen Zweck doch erreicht und ihn aus seiner Sicherheit gebracht. Als er vor der Schloßthür auf die Rampe sprengte, war sein erstes Wort an den herbeistürzenden Diener: »Mein Sohn zu Hause?« Und als der alte Mann bestürzt entgegnete: »Aber nein, Herr Baron, der junge gnädige Herr sind ja bereits am Dienstag auf den schwarzen Engländer gesessen und in's Feld gezogen!« – da veränderte sich sein Gesicht so furchtbar und er schwankte im Sattel, daß ich entsetzt vom Pferde sprang und gerade noch Zeit hatte, an seine Seite zu eilen, damit er nicht auf das Pflaster niederstürzte. Als er aus der stundenlangen Ohnmacht wieder zu sich selbst kam, erfolgte ein Ausbruch seiner Heftigkeit, wie ich ihn noch nie erlebt. Davon will ich schweigen. Am Abend jagten wir zu den Truppen zurück und dann begannen die eifrigsten Nachforschungen. Sie blieben vergebens, wie man das auch wohl nicht anders erwarten konnte.