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Auf dem Filmball. In der Bar, dort wo der Bartisch den ganzen Hintergrund einnimmt. Der Mixer heißt Robert und hat eine pergamentene Haut, ist ein wenig gebückt, doch immer noch rasch und gewandt, trotz eines langen nächtlichen Lebens. Während des ganzen Aktes hört man aus dem Ballsaal gedämpft die Tanzmusik.
Robert, Marquis.
Marquis kommt von links, Robert hört ihn garnicht kommen, so sehr ist er in eine Zeitung vertieft.
Marquis setzt sich an die Bar: Robert!
Robert erblickt ihn erst jetzt und erschrickt sehr: Oh pardon, Herr Marquis, ich hab Sie garnicht kommen hören –
Marquis Was ist denn das heut für ein Tumult? Musik?
Robert serviert dem Marquis das »Gabelfrühstück«, von dem der alte Bientôt sprach: Leider. Filmball, Herr Marquis –
Marquis peinlich berührt: Film?
Robert Ja, im ganzen Hotel. In der Halle, im Saal, im Restaurant – aber bei uns in der Bar bleibts vorerst noch still. Jetzt müssen die Prominenten noch hübsch artig ihre Plätze einnehmen, damit man ihr »Privatleben« betrachten kann, wie sie essen und trinken – das Volk ist halt neugierig! Bei uns in der Bar wirds erst später lebendig. Nach Mitternacht.
Marquis sieht auf seine Uhr: Also in zwanzig Minuten.
Die Vorigen, Adolf.
Adolf der zweite Mixer, ein junger Mann, kommt von links; zu Robert: Im zweiten Rang gabs gerade eine kleine Sensation; ein Mädel wollt durch den Notausgang herein, aber man hat sie hinausexpediert. Ziemlich unsanft sogar.
Marquis ist unangenehm berührt.
Sie wollt den Feuerwehrmann hintergehen, angeblich raffiniert. Der Feuerwehrmann ist noch ganz außer sich.
Robert War die hübsch?
Adolf Wie alle. Wahrscheinlich eine Statistin – Er stockt und starrt fasziniert nach rechts. Hoppla!
Die Vorigen, Unbekannte.
Unbekannte kommt rasch und scheu; sie ist in einer billigen Balltoilette und man merkt es ihr noch an, daß sie vor kurzer Zeit unsanft hinausexpediert wurde, denn ihr Kleid ist an der einen Seite weiß von der Wand; sie sieht, daß man sie interessiert betrachtet und hält; unsicher: Bitte, – wo sitzt Generaldirektor Semper? Ich suche die Pandoraloge.
Adolf Ihr Kleid ist weiß. Da! Er zeigt es ihr an sich.
Unbekannte Oh! Sie klopft das Weiße rasch ab. Hoffentlich gibts keinen Fleck! Sie lächelt verlegen. Ist schon raus!
Adolf Apropos raus: ein Notausgang darf nur bei Lebensgefahr benutzt werden.
Unbekannte schreckt zusammen.
Bei Lebensgefahr!
Unbekannte wird immer unsicherer: Das weiß ich –
Adolf Na also! Ein Notausgang ist zum Hinauslaufen da, aber nicht zum Hineinschleichen.
Unbekannte fast dem Weinen nahe: Ich verstehe Sie nicht –
Adolf Noch immer nicht? Kommen Sie, Fräulein, und bitte ohne unliebsames Aufsehen! Er will zu ihr hin, um sie hinauszubegleiten; zu Robert. Ich bring sie nur raus –
Marquis Halt! Die Karte der Dame habe ich bei mir. Darf ich bitten – Er überreicht Adolf diskret eine Banknote.
Adolf verbeugt sich und geht wieder an seinen Platz.
Unbekannte schaut den Marquis, der ihr erst jetzt auffällt, groß an: Ich danke –
Marquis Wieso? Ich hatte doch nur Ihre Karte bei mir.
Unbekannte Trotzdem. Sie fühlt sich verpflichtet, ihm eine Erklärung abzugeben. Ich suche nämlich einen Menschen, den ich um etwas bitten muß. Aber – Sie sieht sich um – vielleicht ist er schon da – Sie stockt, da sich ihre Blicke treffen.
Marquis Möglich.
Pause.
Unbekannte reißt sich von seinem Blick los: Ich schau nur nach! Rasch ab nach links.
Die Vorigen, ohne Unbekannte.
Marquis erhebt sich langsam; zu Robert: Ich komm gleich wieder – Er geht nach links.
Adolf zu Robert; ironisch: Er sieht nur nach.
Marquis hörte die Bemerkung, hält und wendet sich an Adolf: Gewiß. Ich sehe nur nach, ob jener Dame drinnen im Saal noch abermals ein geistvoller Vortrag über das Aufgabengebiet offiziöser Notausgänge gehalten wird – Er lächelt und ab nach links.
Robert, Adolf.
Robert Da hast du's! Ein Kavalier der alten Schule.
Adolf Imponiert mir nicht.
Die Vorigen. Huelsen.
Huelsen kommt rasch von links: Dürft ich mal telefonieren?
Robert Bitte!
Huelsen Danke! Am Apparat. Hallo! – Ja, hier Doktor Huelsen. Bitte Herrn Generaldirektor Semper persönlich – Wie? Schon unterwegs? Danke! Er hängt ein, will nach rechts und trifft perplex die Unbekannte, die soeben suchend von rechts kommt.
Die Vorigen, Unbekannte. Während der folgenden Szene können Huelsen und die Unbekannte von den beiden Mixern nicht gesehen werden, infolge der Architektur des Raumes.
Unbekannte Endlich! Bist grad erst gekommen?
Huelsen unnahbar: Ja.
Unbekannte atmet kurz auf: Du hast also noch nicht mit Semper –
Huelsen fällt ihr ins Wort: Doch! Ich habe mit Semper sofort, noch vom Hotel aus, telefoniert, daß alles ein glatter Betrug ist!
Unbekannte entsetzt: Peter! Dann ist alles aus!
Huelsen Ich hab es ihm auseinandergesetzt, klipp und klar und konsequent – aber er hat es mir nicht geglaubt.
Unbekannte Wie bitte?!
Huelsen Wen die Götter vernichten wollen, bei dem beginnts im Hirn.
Unbekannte lächelt glücklich: Mir scheint, mich wollen die Götter beschützen –
Huelsen Bild dir es nur ein!
Unbekannte Oh Gott, bin ich froh!
Huelsen Keine Ursache. Ich lasse nicht locker.
Unbekannte Er hat es dir nicht geglaubt – Armer Peter!
Huelsen Lach mich nur aus! Auf diese Art zerstörst du auch noch den letzten Rest: die Erinnerung.
Unbekannte Du siehst mich in einem falschen Licht.
Huelsen Nein. Ich sehe dich klar im Schein einer dunkelgrünen Birne. Dieser jämmerliche Zauber, diese plumpe Jahrmarktsregie!
Unbekannte Die Regie war von mir.
Huelsen Das auch noch. Ich hoffte heimlich, du seiest nur eine Verführte – derweil: eigene Regie!
Unbekannte Was du jetzt denkst, ist falsch!
Huelsen Es genügt! Zwar seh ich noch nicht klar, was ihr mit diesem Betrug bezwecken wollt –
Unbekannte unterbricht ihn: Dann will ich es dir erzählen: der Bossard, der Theodor und das »Medium«, es heißt Maikowski, und ich, wir sind arme Schauspieler, und der Klavierspieler ist ein armer Klavierspieler –
Huelsen fällt ihr ins Wort: Zur Sache!
Unbekannte So laß mich doch einleiten! Also, wir 5 Arme mußten mitansehen, daß wir nicht vorkommen, geschweige denn drankommen, und da haben wir uns diese spiritistische Seance ausgedacht und einstudiert, nur damit uns dein Semper endlich mal zu sehen bekommt! Endlich wollten wir mal zeigen dürfen, was wir künstlerisch leisten können – und wenn deinem Semper morgen früh meine Probeaufnahme als Gespenst gefällt, dann haben wir auf der ganzen Linie gesiegt!
Huelsen Ich kann diesen Blödsinn nicht hören! Ein Großfilm mit einem Gespenst als Star! Ja, glaubt ihr denn auch nur einen Augenblick, daß du als Geist unter Jupiterlampen?!
Unbekannte Ich bin doch nicht hirnverbrannt! Wir wollten doch deinen Semper nur von unseren schauspielerischen Fähigkeiten überzeugen, wir sprachen ihm sozusagen nur vor, allerdings ins Leben transponiert!
Huelsen Dieser Ausdruck ist nicht von dir!
Unbekannte Der ist von Bossard.
Huelsen Ach! Du lernst von dem alten Statisten?
Unbekannte Der alte Statist hat fünf Semester Universität!
Huelsen Gratuliere. Weiter!
Unbekannte Kommandier mir nicht! Also, wir haben uns im Terminus eingemietet, wie wir das Appartement bezahlen werden, ist mir zwar noch etwas unklar –
Huelsen fällt ihr ins Wort: Nett, sehr nett!
Unbekannte Ob nett oder nicht nett: man kann doch nicht verkümmern! Ich nicht! Und wenn dein Semper –
Huelsen fällt ihr abermals ins Wort: Warum sagst du immer »dein« Semper?
Unbekannte trotzig: Du kennst ihn doch gut!
Huelsen Stimmt! »Mein« Semper ist ein ungebildeter Enthusiast. Wenn der euren Spiritismus erfährt, dann spielt ihr garantiert keine Rolle! Er verzeiht alles, nur keine persönliche Blamage!
Unbekannte Überlaß das mir!
Huelsen Denk nur ja nicht, daß dir alles gelingt!
Unbekannte Alter Pessimist!
Huelsen Dein hemmungsloses Vertrauen zum eigenen Glück wird dich nochmal ins Unglück stürzen!
Unbekannte Alte Unke! Qua, qua, qua!
Huelsen Quak nur zu! Ohne Zweifel: Was du da treibst, ist und bleibt Betrug!
Unbekannte Deine Schuld!
Huelsen perplex: Wie bitte?
Unbekannte Klar. Warum protegierst du mich nicht ein bisserl? Weil du nicht willst! Weil du ganz unpraktische Ehrbegriffe hast! Wer hat denn das erste Exposé eingereicht? Ich! Aber du hast es nicht einmal weitergeleitet!
Huelsen Ist ja garnicht wahr! Alles hab ich versucht, aber alles ist aussichtslos! Und außerdem ist das Exposé miserabel!
Unbekannte So gut, wie dein Roman, ist es immer noch!
Huelsen schlägt sich auf die Stirne: Richtig! Jetzt kommt die Hauptsache! Du hast die Stirne besessen, den Satz mit den grünen Augen zu einer elenden Scharlatanerie zu mißbrauchen! Was ich schreibe, ist meine Seele, und du hast meine Seele degradiert! Ach, das hab ich ja jetzt ganz vergessen! Wie gut, daß es mir eingefallen ist!
Unbekannte Ich bitte dich, sei nicht so eitel!
Huelsen fixiert sie: Der Abgrund wird immer tiefer.
Unbekannte Und warum? Warum sagst du es nicht deinem Semper, daß du eine junge, begabte Schauspielerin kennst –
Huelsen unterbricht sie: Hab ich doch schon! Aber ich kann dieses plebejische Lächeln nicht sehen, dieses vertrauliche Zuzwinkern – ich kann es nicht vertragen, wie du vor mir selbst erniedrigt wirst!
Unbekannte Du überläßt also alles mir? Ich soll mich selber erniedrigen, was?!
Pause.
Huelsen fixiert sie: Wie kommst du hier eigentlich herein?
Unbekannte trotzig: Sag ich nicht.
Huelsen Woher hast du die Karte, das Geld?
Unbekannte frech aus Unsicherheit: Na und du?
Huelsen Ich hab doch Freikarte!
Unbekannte Ich auch.
Pause.
Huelsen Woher?
Unbekannte Da du mir nie Freikarten verschaffst, hat mir ein Herr eine Karte geschenkt.
Huelsen Wer?
Unbekannte Irgendein Herr.
Pause.
Unbekannte Was denkst du jetzt?
Huelsen Ja. Er läßt sie stehen und ab nach links.
Unbekannte sieht ihm nach; dann leise: Ach so. Sie dreht sich ruckartig um und will rasch nach rechts ab, stößt jedoch dabei mit Semper zusammen, der gerade erscheint; sie erkennt ihn. Heiliger Himmel! Sie läuft an ihm vorbei; ab.
Robert, Adolf, Semper.
Semper sieht ihr nach und ordnet seine Frackbrust; er ist sehr aufgeräumt: Was ist? Überfährt einen am hellichten Tag! Bin ich ein Passant?! Er ruft der Unbekannten nach. Fräulein! Sie haben kein Schlußlicht! Er tritt an die Bar; zu Robert, der im 7. Auftritt Rechnungen ordnete, während Adolf Zeitung las. Einen Kognak!
Robert Habe die Ehre, Herr Generaldirektor!
Adolf legt rasch die Zeitung beiseite und bedient Semper.
Semper Grüß Sie Gott, Robert! Einen doppelten Kognak! Ich hab das größte Erlebnis meines Lebens hinter mir!
Robert Werden Sie heiraten?
Semper Unberufen im Gegenteil! Ich leb doch schon sechs Jahr in Scheidung und seit wann sind Advokaten Erlebnisse?! Das sind Sorgen, Misere, Nervosität! Aber heut! Wenn Gott will, hab ich heut Nacht den leuchtendsten Stern entdeckt!
Adolf Eine neue Frau?
Semper blickt empor: Einen Engel! Ein absolut einmaliges Talent – Kasse, Kasse! Morgen laß ich mir in aller Früh die Probeaufnahmen vorführen, unberufen! Robert, haltens mir den Daumen!
Robert Zu Befehl, Herr Generaldirektor!
Semper leert hastig das Glas.
Die Vorigen, Marquis.
Marquis erscheint links, erblickt Semper und beobachtet ihn interessiert.
Semper zu den Mixern: Hört mal her, ihr zwei Begabungen! Glaubt ihr an Gespenster?
Adolf An was?
Semper An Gespenster. Geister. Spuk.
Robert Nein.
Adolf Ich auch nicht.
Semper Ich aber ja! Und zwar seit heut! Noch einen doppelten Kognak!
Adolf schenkt ein: Bitte, Herr Semper –
Marquis Ach! Er erkennt ihn plötzlich. Herr Semper!
Semper dreht sich ihm unfreundlich zu: Sie wünschen?
Marquis Schauen Sie mich mal an.
Semper betrachtet ihn mißbilligend.
Marquis lächelt. Robert hat mich sogleich erkannt –
Semper frostig: Na und? – Er stockt und erkennt ihn. Großer Gott! Der Marquis! Der Herr Marquis de Bresançon! Ich dacht, Sie wären schon längst tot! Ist das aber eine Freud!
Marquis Ich gratuliere übrigens: Generaldirektor ist allerhand!
Semper Nicht auszudenken! Eine Karriere, eine schwindelerregende! Er lacht; dann zu den Mixern. Hört mal her: was glaubt ihr, woher wir zwei uns kennen?
Robert Aus Australien?
Semper Sie sind verrückt! Was soll ich in Australien? Bin ich ein Beduine? Nein! Der Herr Marquis de Bresançon und Alexander Semper kennen sich aus dem Atelier Swoboda.
Marquis Aber Semper!
Semper Swoboda! Das ist ein reeller Begriff! Damals war ich dort Zuschneider und hab dem Herrn Marquis seine Hosen genäht.
Marquis Lieber Freund, zuvor galt meine Bewunderung Ihrer Karriere, aber jetzt verehre ich Sie; man findet selten einen Generaldirektor, der es selbst erzählt, daß er Hosen genäht hat.
Semper Ich kann es mir leisten! Ich werd nur wild, wenn mir einer sagt, daß ich Hosen verkauft hab! Ich hab immer gearbeitet!
Adolf Hoch der Herr Generaldirektor!
Semper Ausreden lassen! Ich hab aber nie gern gearbeitet! Auf das werte Wohl, Herr Marquis!
Marquis Prost, Semper!
Semper blickt empor: Wo ist die Zeit! Damals war die ganze Filmerei noch garnicht erfunden!
Marquis lächelt: Nana! So alt bin ich noch nicht!
Semper Auf alle Fälle stak damals der Film erst in den Kinderschuhen, denn wie ich dazu kam, kam er in die Flegeljahr. Jetzt mutiert er grad, und das nennt man Tonfilm – Er erhebt sich. Kommens, Marquis, ein bisserl in den Saal, ich muß mich dem Volk zeigen.
Marquis zu Robert: Bin gleich wieder da. Er folgt Semper.
Semper hält plötzlich und dreht sich dem Marquis zu; leise: Marquis, Sie sind doch ein Mann von Wort – und ich muß mit jemand darüber reden, es drückt mir die Luft ab! Sie werden aber schweigen?
Marquis lächelt: Gewiß.
Semper sieht sich forschend um, ob auch niemand zuhört; sehr leise: Sie haben doch schon was von der »Unbekannten der Seine« gehört, oder?
Marquis zuckt etwas zusammen: Ja.
Semper Von der Totenmaske?
Marquis Natürlich. Wieso?
Semper Ich plane jenes tote Mädel als Film.
Marquis erleichtert: Interessant.
Semper Und ich bin der wahren Geschichte auf der Spur. Was sagen Sie jetzt?
Marquis starrt ihn entsetzt an; tonlos: Nichts.
Semper Da kann man auch nichts sagen!
Marquis bekämpft seine Erregung; lauernd: Wie – sagen Sie: wie sind Sie dahinter gekommen?
Semper Geheimnis!
Marquis So reden Sie doch!
Semper Warum denn so aufgeregt? Soll ich mein Ehrenwort brechen?
Marquis beherrscht sich: Nein.
Semper Nach Ihnen, Marquis! Ab mit ihm nach links.
Robert, Adolf, Huelsen, Unbekannte, Filmballpublikum. Es ist nun nach Mitternacht und aus dem Saal kommen Herren und Damen; sie nehmen an der Bar Platz, während Huelsen und die Unbekannte rechts erscheinen; er führt sie an der Hand.
Huelsen gedämpft: Begreifst du es nun, daß ich dich beleidigen mußte, weil ich prinzipiell derartige Methoden ablehne?
Unbekannte Mit dem Prinzip kommt man nicht weiter.
Huelsen Richtig! Nachdem du mir deinen Notausgang erklärt hast, bekomm ich eine völlig neue Einstellung zur Aktivität. Ich schäme mich vor dir.
Unbekannte gibt ihm plötzlich einen langen Kuß und er umarmt sie; dann: Du bist ein anständiger Mensch.
Huelsen Aber!
Unbekannte Und ich werd dich auch nicht mehr quälen, daß du mich protegierst –
Huelsen Und ich werde alles widerrufen, was ich dem Semper telefoniert hab und werde schweigen – Ja, ich war wirklich verwirrt! Was ist doch die Pflicht für ein abstrakter, zweideutiger Begriff! Sind wir nicht vielmehr verpflichtet, solch eine Begabung zu fördern, als auf einer pflichtgemäßen Methode herumzureiten, die nur zu einem Abgrund führt – zu einem Abgrund, der zwei Menschen trennt. Wie lächerlich, wie albern! Jetzt seh ich erst, wie falsch mein letztes Romankapitel ist – ich werd es ändern! Komm, laß diese Leute hier, ich les es dir bei mir zuhaus vor.
Unbekannte Morgen.
Huelsen stutzt.
Nicht böse sein, bitte – aber ich muß hier noch jemand kennenlernen.
Huelsen wird wieder mißtrauisch: Wen?
Unbekannte lächelt: »Deinen« Semper.
Huelsen erschrocken: Semper?
Unbekannte wie zuvor: Nur keine Angst! Jetzt protegiert sich die Unbekannte selbst – Sie nickt ihm zu und ab nach rechts.
Huelsen sieht ihr nach: »Angst«? Ich bin doch nicht feig? Er setzt sich verärgert an die Bar. Einen Kognak! Einen doppelten Kognak!
Die Vorigen, Semper, Marquis, Unbekannte.
Unbekannte kommt in Sempers Gesellschaft mit dem Marquis von links.
Huelsen ist sehr überrascht.
Semper erblickt Huelsen: Was seh ich? Zu Huelsen. Mein Herr Sekretär sind auch da? Für Sie wärs besser zuhaus im Bett und kalte Umschläg um die Füß! Er hat mit dem Marquis und der Unbekannten am Bartisch Platz genommen, zu Huelsen. Was starren Sie, Doktor! Habens einen Starrkrampf?! Kommens lieber her!
Huelsen folgt.
Semper zum Marquis. Darf ich vorstellen: mein Privatsekretär, Doktor Huelsen, ein sehr ein feingeistiger Mensch. Sie dürfen nicht denken, daß wir beim Film keine literarischen Ambitionen haben!
Marquis verbeugt sich vor Huelsen.
Semper zur Unbekannten. Gestatten, meine Dame: Doktor Huelsen –
Huelsen kann sich nicht mehr halten und unterbricht ihn: Wir kennen uns schon.
Semper überrascht: Woher?
Unbekannte faßt sich: Flüchtig! Von einem literarischen Tee.
Huelsen Wie bitte?!
Unbekannte bestimmt: Von einem literarischen Tee bei der Baronesse Kalkowska.
Huelsen Das ist zuviel!
Unbekannte rasch: Wie bitte?!
Semper zur Unbekannten: Pardon, aber er ist heut ein bisserl wirr! Er zieht Huelsen mit sich bei Seite. Jetzt gibts nur zweierlei: entweder krieg ich einen Anfall oder Sie! Aber ich kann besser toben, mach ich Sie aufmerksam! Kein Wort! Mit einem Besessenen kann man nicht plauschen, ich hab noch genug von Ihrer Telephoniererei zuvor! Mein Erlebnis soll ein Schwindel gewesen sein?! Mich kann man nicht betrügen, höchstens betrüg ich, Sie Anfänger! Sehens die junge Dame vom Marquis, die hat mir alles genau erzählt! Sie kennt Rio de Janeiro und kennt natürlich auch Professor Bossard! Er verkehrte im Haus Ihrer Eltern. Natürlich hab ich kein Sterbenswörtlein über unsere Seance gesagt, Ehrenwort ist auch bei mir ein Ehrenwort! So, und jetzt gehens mit Gott! Habe die Ehre und gute Besserung! Adieu! Er läßt ihn stehen.
Huelsen Ja, gute Nacht – Ab nach links. Unbekannte wirft ihm einen kurzen, besorgten Blick nach.
Die Vorigen, ohne Huelsen, Bildreporter, Gehilfe.
Bildreporter erscheint mit seinem Gehilfen von rechts und hält freudig überrascht vor dem Bartisch: Einen Augenblick, meine Herrschaften! Ach, unser Generaldirektor! – Bitte, bitte, nur noch eine einzige Aufnahme für das »Journal«!
Semper gruppiert sich mit der Unbekannten an der Bar und lächelt in den Apparat.
Bildreporter visiert. So ist es fein! Zum Marquis. Bitte, etwas näher!
Marquis Ich gehör nicht dazu.
Bildreporter Pardon! Zu der Gruppe. Achtung! Unbekannte erhebt im letzten Moment ein Sektglas.
Gehilfe läßt das Blitzlicht aufflammen.
Danke!
Semper verläßt während der folgenden Szene die Bar.
Robert, Adolf, Marquis, Unbekannte, Bildreporter, Gehilfe.
Bildreporter zur Unbekannten: Verzeihen Sie, bitte: dürft ich um Ihren werten Namen bitten – für das »Journal«.
Unbekannte überlegt; lächelt dann: Mein Name spielt keine Rolle. Ich spiele nämlich nur die Hauptrolle im nächsten Großfilm der Pandora.
Bildreporter begreift nicht ganz; automatisch: Titel?
Unbekannte Die Unbekannte der Seine.
Bildreporter Ach!
Marquis horcht auf.
Bildreporter lächelt überlegen. Verstehe! Ein genialer Reklametrick! Die Unbekannte spielt die Unbekannte!
Unbekannte Und zwar an Hand der wahren Begebenheit –
Bildreporter Aber die kennt doch niemand!
Unbekannte Doch. Wir wissen bereits alles.
Bildreporter Hochinteressant!
Unbekannte Mehr darf ich nicht sagen.
Bildreporter Genügt überaus. Gnädigste! Heißen Dank!
Er verbeugt sich tief und rasch ab mit seinem Gehilfen nach links.
Robert, Adolf, Marquis, Unbekannte.
Unbekannte wendet sich wieder der Bar zu.
Marquis hat sich erhoben, steht nun vor ihr und fixiert sie.
Unbekannte hält vor ihm.
Marquis sehr erregt, doch beherrscht: Ich hörte soeben, daß Sie die wahre Geschichte der Unbekannten kennen.
Unbekannte Ja.
Marquis Also kennt sie Semper von Ihnen?
Unbekannte Ja.
Pause.
Marquis leise: Woher kennen Sie den Tatbestand?
Unbekannte lächelt: Sag ich nicht.
Marquis Weiß Semper alles?
Unbekannte Nein. Das Wichtigste noch keineswegs, das kommt erst noch – Sie lächelt wieder.
Pause.
Marquis faßt sich ans Herz: Was wünschen Sie von mir?
Marquis fährt sie unterdrückt an: So sprechen Sie doch!
Unbekannte starrt ihn an.
Marquis beherrscht sich und nickt ihr fast ironisch zu. Vorhin, als ich Sie im Saal herumirren sah, da hatte ich Mitleid mit Ihnen –
Unbekannte verlegen: Oh bitte!
Marquis ändert wieder den Ton; sachlich: Ich lege Wert darauf, daß diese Angelegenheit sofort, noch heute Nacht, bereinigt wird. Er sieht sich um. Aber hier ist wohl nicht der Platz. Darf ich Sie zu mir bitten, die Adresse wird Ihnen wohl bekannt sein, trotzdem – Er überreicht ihr seine Karte. Hier!
Unbekannte nimmt die Karte, liest sie und sieht ihn wieder groß an; fast ängstlich: Zu Ihnen?
Marquis Fahren Sie vor, ich komme gleich nach.
Unbekannte zögert.
So gehen Sie doch schon!
Unbekannte ab nach rechts, als würde sie träumen.
Robert, Adolf, Marquis.
Marquis sieht ihr in Gedanken versunken nach; dann zu Robert: Könnt ich telephonieren?
Robert Bitte, Herr Marquis!
Marquis am Apparat; leise: Hallo. – Ja, ich bin es. Hören Sie, es wird eine junge Frau kommen, sie soll warten. Und wecken Sie den alten Bientôt. Er hängt ein; tonlos. Zahlen –