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Das Appartement des Professor Bossard im Hotel Terminus. Man merkt es dem Salon an, daß in ihm die Nacht hindurch gearbeitet wurde: überall Kaffeetassen, leere Flaschen, Gläser, Zigarettenasche und dergleichen Spuren geistiger Betätigung.
Der Assistent sitzt in Hemdärmeln vor einer alten Schreibmaschine und tippt ein Drehbuch, das ihm Manuel diktiert; dieser hat sich die Schuhe und den Kragen ausgezogen, scheint aber noch der relativ frischeste zu sein. Der Pianist sitzt auf dem Boden und ordnet einen Haufen Durchschläge; um seine Hose zu schonen, hat er sich ihrer entledigt und sie über den Flügel gehängt. Alle sind fieberhaft tätig, bleich und übermüdet. Nur Bossard schlummert; er sitzt fröstelnd mit hochgeschlagenem Mantelkragen in einem Lehnstuhl im Vordergrunde rechts.
Bossard, Manuel, Pianist, Assistent.
Manuel geht auf und ab und diktiert, wie gesagt, dem Assistenten: – »und die Unbekannte ertrinkt im Wasser, aber sie lächelt dabei«. Darunter: »Trickaufnahme«.
Assistent In Klammern?
Manuel Klar! Trick ist immer in Klammern! Weiter! Rechts: »Das Rauschen des plätschernden Wassers –«
Pianist Halt! Plätschern geht nicht! Das muß musikalisch untermalt werden!
Assistent Du kommst nicht zu kurz!
Pianist Aber ich red doch nur im Interesse des Gesamtkunstwerks!
Manuel Also gut! Zum Assistenten. Schreib: »Plätscherndes Wasser musikalisch untermalt.« Ist ja egal.
Assistent tippt wütend, dann: Schluß! Er reißt die letzten Durchschläge aus der Schreibmaschine und wirft sie dem Pianisten zu. Tu deine Pflicht!
Pianist schüttelt den Kopf: Ein befremdendes Benehmen –
Assistent erhob sich, reckt sich und gähnt hemmungslos unartikuliert; betrachtet plötzlich seine Hände: Mir scheint, ich hab einen Fingerkrampf – Er beschäftigt sich mit seinen Fingern.
Bossard erwacht und fährt sich mit der Hand über die Augen.
Manuel der Durchschläge korrigiert: Guten Morgen, Herr Geheimrat!
Bossard lächelt matt: Ratet mal, was ich geträumt hab –
Pianist Na?
Bossard Es war Frühling und ich fuhr mit der Unbekannten nach Nizza. Sie hat mir alles erzählt, einen wundervollen Film – Wie war denn das nur? Ja, jetzt hab ich es vergessen.
Assistent Macht nichts! Wir sind fertig.
Bossard überrascht: Mit dem Drehbuch?
Pianist Vor zwei Minuten.
Bossard Respekt!
Manuel Unberufen!
Bossard Apropos unberufen: ist sie schon zurück?
Assistent Nein.
Manuel Ein Filmball dauert oft ewig.
Stille.
Bossard Hat denn keiner eine Uhr?
Pianist deutet nach dem Fenster: Draußen ist eine.
Manuel Schauen wir mal nach – Er tritt an das Fenster, öffnet es und prallt zurück, denn die Sonne scheint hell herein. Die Sonne! Es ist schon halbacht!
Alle starren nach der Sonne und sind sehr betreten.
Bossard leise: Gott steh uns bei.
Stille.
Assistent bange: Es muß ihr was passiert sein –
Pianist hat seine Durchschläge geordnet und zieht sich nun rasch eine Hose an: Ich hab es mir gleich gedacht, daß dieser blöde Notausgang –
Manuel unterbricht ihn: Es war der einzige Weg!
Es klopft an die Türe im Hintergrunde. Da ist sie! Er will an die Türe eilen, um sie zu öffnen.
Assistent hält ihn am Arm zurück: Aber! Die klopft doch nicht!
Stille.
Pianist ängstlich: Vielleicht die Polizei?
Bossard scharf: Ausgeschlossen!
Es klopft noch einmal.
Herein!
Die Vorigen, Huelsen.
Huelsen erscheint zerknittert, durchnäßt, noch immer im Frack, ohne Mantel, ohne Hut; er macht den Eindruck eines gebrochenen Mannes.
Pianist überrascht: Huelsen!
Huelsen zu Bossard: Verzeihen Sie, daß ich störe – Er lächelt schmerzvoll. Könnt ich mal unsere Unbekannte sprechen?
Bossard Leider –
Huelsen fällt ihm ins Wort: Keine Ausreden! Zuhaus ist sie nicht!
Manuel Hier ist sie auch nicht!
Huelsen schreckt zusammen: Jetzt, um halbacht?!
Assistent Weiß der Teufel, wo die steckt!
Bossard War sie auf dem Ball?
Huelsen Ja.
Manuel Ging es glatt?
Huelsen grimmig: Sehr glatt.
Huelsen Mit der Freikarte eines »Herrn«, der obendrein sein Ehrenwort brach – Es ist grauenhaft!
Bossard bange: Ist ihr etwas passiert?
Huelsen Wie mans nimmt! Die ist bei einem Kavalier!
Stille.
Bossard Ausgeschlossen.
Huelsen Das war auch meine Meinung. Noch gestern!
Bossard Aber die geht doch zu keinem Kavalier, die nicht!
Huelsen Auch nicht zum Marquis de Bresançon?
Bossard Wer ist das?
Huelsen Ein Sonderling. Und ein Jugendfreund Sempers –
Stille.
Bossard Herr Doktor! Ich kenne unsere Unbekannte, und es ist meine feste Überzeugung, daß sie niemals –
Huelsen unterbricht ihn: Auch nicht aus Berufsgründen?
Bossard Nein, auch dann nicht. Ausgeschlossen!
Huelsen Ich danke Ihnen, Herr Bossard – Er lächelt verlegen, denn er fühlt sich beschämt. Könnt ich vielleicht einen Schluck Kaffee?
Pianist Mit oder ohne Zucker?
Huelsen Ohne, bitte!
Assistent wollte einschenken: Kein Tropfen mehr da! Eine Zigarette hätt ich noch –
Huelsen Danke! Bin leider Nichtraucher.
Es klopft an die Türe im Hintergrunde.
Da ist sie! Er will an die Türe eilen, um sie zu öffnen.
Manuel hält ihn am Arm zurück: Aber! Die klopft doch nicht!
Huelsen Sie haben recht.
Die Vorigen, Zimmerkellner.
Zimmerkellner tritt ein: Herr Generaldirektor Semper wünschen Herrn Professor Bossard!
Bossard Schon?! Sofort, einen Augenblick! Zu seinen Kollegen. Rasch! Räumt zusammen! Er hilft auch mit, hastig Ordnung zu machen; zu Manuel. Fenster auf, frische Luft!
Huelsen zu Bossard; leise: Wird das Spiel fortgesetzt?
Bossard ebenso: Werden sehen! Er entledigt sich rasch seines Mantels und wirft ihn dem Assistenten zu.
Huelsen warnend: Ich schweige, aber ich tu nicht mit.
Bossard Schweigen genügt! Zu seinen Kollegen. Fertig?
Manuel bereits in der Türe links: Fertig! Ab mit dem Assistenten und Pianisten, beladen mit Kaffeetassen, leeren Flaschen und Gläsern, Schreibmaschine, Durchschlägen und Bossards Mantel.
Bossard zum Zimmerkellner, der erstaunt, jedoch beherrscht, die Betriebsamkeit mitansah: Ich lasse bitten!
Zimmerkellner ab durch die Türe im Hintergrunde und läßt Semper ein.
Bossard, Huelsen, Semper.
Semper tritt ein: Willkommen, willkommen! Professor, Sie sind ein Genie! Er erblickt Huelsen. Auch schon da? Und noch immer in grande toilette? Das lebt sich! Zu Bossard. Wie gehts unserem lieben Besessenen?
Bossard lächelt zweideutig: Er hats überstanden.
Semper Bravo! Professor, Sie sind ein wissenschaftliches Wunderwerk und Ihr Gespenst spielt alle an die Wand! Grad hab ich mir die Probeaufnahmen vorführen lassen – phantastisch! Ein Naturtalent! Sogar der Vorführer ist zu mir gelaufen gekommen, wer das Mädel ist! Aber ich hab keinen Namen genannt! Er lacht.
Bossard Ich bin glücklich –
Semper unterbricht ihn: Und ich bin begeistert! Habens nicht übrigens ein Exposé über die wahre Geschicht, nur ein paar Zeilen? Ein Drehbuch –
Bossard Leider!
Semper Wissens, man müßte die Aufnahmen versuchen, es war ein kühner Vorstoß in das Reich der vierten Dimension! Nicht auszudenken! Das laß ich von einem blöden Routinier bearbeiten und schon steht die Welt kopf!
Bossard gibt sich einen Ruck: Herr Generaldirektor! Es dürfte nun an der Zeit sein, daß ich Ihnen eine feierliche Erklärung –
Semper unterbricht ihn und läßt ihn im folgenden nicht mehr zu Wort kommen: Sie meinen den Vertrag? Keine Sorge! Sie werden einen Grandseigneur kennen lernen! Aber – Er zieht ihn etwas näher an sich und wirft einen verstohlenen Blick auf Huelsen; gedämpft. Aber jetzt hätt ich noch etwas Privates, Intimes –
Bossard leise: Dreht sichs um ihn?
Semper leise: Im Gegenteil, es dreht sich um mich! Professor, Sie wären der einzige Mediziner, zu dem ich Vertrauen hätt – als Patient.
Bossard perplex: Patient?
Semper blickt wieder auf Huelsen: Leise, leise! Nur nichts vor den Angestellten, sonst weiß es morgen die ganze Branche! Kommens ins Nebenzimmer, ich möcht Ihnen was zeigen an mir –
Bossard verzweifelt: Aber ich bin doch kein Arzt –
Semper unterbricht ihn abermals: Nicht so bescheiden, Professor! Ich bin im Bilde und hab mich erkundigt! Bossard verschlägts die Sprache. Grad heut Nacht hat mir eine Dame aus Argentinien von Ihnen erzählt, von Ihren unglaublichen Heilerfolgen! Sie kennt Sie genau!
Semper Wen denn sonst?! Sie haben doch mit Ihrer Kunst einem Ihrer Onkel das Leben gerettet, einem alten Farmer, der sich zwanzig Jahr lang eingebildet hat, daß er ein Lama ist –
Bossard irr: Ein was?
Semper Ein Lama. Auf den Steppen, auf den Pampas! Professor, ich beschwör Sie. Ich hab keine Ruh, bevor Sie mich nicht untersucht haben! Ich hab eh nie Zeit – Kommens! Er drängt den total verwirrten Bossard mit sich durch die Türe links.
Huelsen, Unbekannte.
Unbekannte tritt rasch ein durch die Türe im Hintergrunde, erblickt Huelsen, der Semper besorgt-neugierig nachsieht, und schreit leise auf.
Hülsen wendet sich ihr ruckartig zu: Endlich! Wo warst du?!
Unbekannte schreit: Schrei mich nicht an!
Huelsen schreit: Wer schreit?!
Die Beiden fixieren sich.
Unbekannte trotzig: Ich war auf dem Ball.
Huelsen Bis jetzt?
Unbekannte Nein.
Huelsen Sondern?
Unbekannte Ich war zuhaus.
Huelsen Das ist nicht wahr.
Unbekannte horcht auf: Du glaubst mir nicht?
Hülsen Frech auch noch.
Unbekannte braust auf: Ich laß mich nicht beleidigen, hörst du?! Ich hab dich noch nie belogen, mit keiner einzigen Kleinigkeit seit wir uns kennen, und vorher auch nicht, du oberflächlicher Pedant, du hast also gar kein Recht –
Die Vorigen, Assistent.
Assistent erscheint in der Türe links und fällt der Unbekannten ins Wort; er herrscht sie unterdrückt an: Ruhe! Bist du verrückt?! Brüllt herum und drinnen ist er selbst!
Unbekannte Wer?
Assistent Semper!
Unbekannte zuckt erschrocken zusammen und schlägt sich mit der Hand auf den Mund.
Huelsen zur Unbekannten: »Pedant«, hast du gesagt –
Unbekannte unterbricht ihn: Ruhe! Zum Assistenten. Und?
Assistent Du hast gesiegt. Er sprudelt direkt vor Begeisterung!
Unbekannte Ist ja herrlich!
Huelsen zur Unbekannten: »Oberflächlicher Pedant«, hast du gesagt!
Unbekannte Beherrsch dich bitte!
Huelsen Was liebst du denn eigentlich an mir?!
Unbekannte Nichts.
Assistent Ruhe!
Huelsen hält dicht vor der Unbekannten und fixiert sie wütend.
Unbekannte blickt ihn groß an: Absolut nichts.
Huelsen Jetzt wirds mir zu dumm! Er umarmt sie plötzlich und gibt ihr einen langen Kuß, und sie umarmt ihn auch.
Assistent wendet sich diskret ab.
Die Vorigen, Manuel, Pianist.
Manuel und Pianist treten durch die Türe im Hintergrunde ein, erblicken das sich küssende Liebespaar, halten und grinsen sich zu.
Assistent sehr erstaunt: Wie kommt denn ihr von dort?
Das Liebespaar fährt auseinander.
Pianist Durch den Lichthof, über ein Glasdach. Zum Liebespaar. Wir mußten uns nämlich ins Bad zurückziehen, wegen Semper, aber das Bad war so eng – Er deutet es an – und drum sind wir durchs Fenster habedieehre!
Huelsen Hat Bossard schon alles gebeichtet?
Manuel Nein. Er untersucht ihn grad.
Unbekannte Wie bitte?!
Assistent Semper liegt auf dem Diwan und Bossard klopft ihn ab – Er feixt.
Unbekannte Himmel, ihr Trottel! Warum macht denn Alfred solche Faxen?!
Manuel Weil ihn der Semper nicht zu Wort kommen läßt!
Pianist Wir haben alles gehört. Zu Huelsen. Ihr Chef hat Angst, daß er verrückt wird. Speziell Tobsucht.
Unbekannte Das könnt ich brauchen!
Huelsen winkt ab: Er ist ein Hypochonder!
Manuel Lassen wir die Medizin! Voilà, das Drehbuch, fix und fertig! Er überreicht der Unbekannten das Drehbuch, das er bei sich hat, und verbeugt sich: »Die Unbekannte der Seine« –
Unbekannte nimmt es ihm ab: Danke.
Assistent Ich hab es getippt.
Pianist Wir haben geschuftet bis halb acht.
Unbekannte lächelt: Fleißig, sehr fleißig – Sie betrachtet in Gedanken versunken den Titel.
Manuel Wir habens nach deinem Originalexposé –
Unbekannte fällt ihm ins Wort: Mein Exposé ist miserabel. Zu Huelsen. Du hast recht – Sie lächelt.
Die Vorigen, Semper, Bossard.
Semper erscheint mit dem Rücken in der Türe links und spricht zu Bossard, der ihm folgt; er ist in Hemdärmeln, hält den Rock unter dem Arm und versucht gerade nervös seine Manschettenknöpfe zuzudrücken: Sie glauben, es ist nichts Schlimmes?
Bossard Ausgeschlossen! Es ist zwar ein gewisser Hang vorhanden zu paranoiden Wahnvorstellungen bei manisch-depressiver Grundtendenz – doch ohne Sorge!
Semper atmet tief auf: Bin ich erleichtert! Direkt neugeboren! Er entdeckt die Unbekannte. Oh Pardon, eine Dame! Er zieht sich rasch den Rock an und erkennt sie. Ach, wir kennen uns ja! – Meine Verehrung, Gnädigste! Er küßt ihre Hand. Wie kommen Sie her?
Unbekannte stottert: Ich –
Semper schlägt sich auf die Stirne: Aber wo bin ich denn?! Zu Bossard. Die junge Dame kennt Sie doch aus Rio!
Bossard verzweifelt: Aus wo?
Semper Aus Rio de Janeiro! Sie verkehrten ja im Haus ihrer Eltern! Sehen S', wie vergeßlich ich bin!
Bossard fixiert irr die Unbekannte, die ihm heimlich zuwinkt. Es klopft an die Türe im Hintergrunde.
Semper Herein!
Die Vorigen, Mayberg, Hell, Simone. Die drei Eintretenden sind noch in Balltoilette und mehr oder minder alkoholisiert; sie haben bis jetzt gebummelt und führen Luftballons und Scherzartikel mit sich; sie leuchten vor Schadenfreude.
Simone Direktorchen, Direktorchen!
Mayberg Wir hörten im Büro, Sie wären im Terminus zu erreichen –
Hell unterbricht sie sehr böse: Aber nur wenn etwas Lebenswichtiges, bitt ich mir aus!
Hell Ist es auch!
Simone trällert: Ein Skandal, ein Skandal! Sie bläst auf einer Kindertrompete.
Semper außer sich: Ein Skandal ist es, wie ihr euch da benehmt! Ihr seid nicht bei uns, Gesellschaft!
Mayberg zu Bossard: Verzeihung, daß wir unzeremoniell eindringen, aber es steht tatsächlich zu viel auf dem Spiel – Zu Semper. Wir bummelten noch nach dem Ball und erstanden uns soeben ein Morgenblatt. Haben Sie schon das »Journal« gelesen?
Semper Nein! Ich hatte weißgott Wichtigeres zu tun!
Simone Es dürfte Sie trotzdem weißgott interessieren!
Mayberg hält Semper das »Journal« vor die Nase: Hier! Hier das Photo, wir stehen alle an der Bar –
Simone fällt ihm ins Wort und deutet auf die Unbekannte: Wo jene sich vorgedrängt hat!
Semper zu Simone: Aber ich muß schon bitten!
Hell Bitten Sie nicht, Herr General! Das Mädel ist eine kleine Schauspielerin! Er winkt der Unbekannten zu. Pa, Putzi!
Simone lacht höhnisch.
Semper braust auf: Ihr seid wohl alle besoffen?!
Mayberg Ich bin nüchtern! Lesen Sie das Interview unter dem Photo!
Semper wirft unwillkürlich einen Blick auf das Interview, stutzt, fängt an zu lesen und bekommt immer größere Augen: Was?!
Simone Eine Unbekannte spielt die Unbekannte – Sie grinst schadenfroh. Eine Statistin!
Unbekannte zu Simone: Ich bin keine Statistin, Sie! Ich bin eine Seminaristin und war schon ein Jahr engagiert als erste Kraft!
Semper total verwirrt: Was ist los, was ist los? Zu Bossard. Professor, jetzt werd ich verrückt!
Unbekannte ergreift mit plötzlichem Entschluß Semper energisch am Arm: Kommen Sie! Ich werd Ihnen alles erklären, alles! Aber nicht hier, nicht vor diesen Menschen! Kommen Sie! Ab mit ihm durch die Türe links.
Die Vorigen, ohne Unbekannte und Semper.
Hell spöttisch: Sie möcht ihn umgarnen –
Huelsen will aufbrausen, beherrscht sich jedoch.
Mayberg Jetzt kommt die Quittung!
Simone zum Pianisten: Ach! Sind Sie nicht jener musikalische Jüngling, der zwei Filme mit mir machen wollte?
Pianist Erraten, Frau Simone!
Simone Sie haben mir die Türen eingerannt!
Pianist Mit Recht! Weil ich Ihnen einen Film vorgeschlagen habe, den Sie dann gemacht haben, allerdings mit einem andern Tonkünstler!
Simone Lüge, Lüge, Lüge!
Mayberg zu Huelsen: Doktor! Was sind denn das überhaupt für Menschen?!
Huelsen versucht zu retten: Professor Bossard –
Bossard unterbricht ihn verzweifelt, weil »Eh alles aus ist«: Nein! Zu Mayberg. Herr Regisseur! Ich war der Oberkellner in »Flammende Begierde«.
Mayberg starrt ihn an.
Der Oberstleutnant in »Des Königs Husaren«.
Mayberg wie zuvor: Erinner mich nicht –
Bossard fast gekränkt: Tatsächlich? – Und hier bin ich Professor Bossard.
Manuel dem Weinen nah: Punkt. Stille.
Mayberg begreift plötzlich; zu seinen Freunden: Meine Herrschaften, wir befinden uns unter Hochstaplern –
Enormer Krach im Nebenzimmer, als würde wer einen ganzen Schrank Gläser und Teller und Flaschen an die Wand schmeißen, Stühle und Tische umwerfen; es klirrt und kracht wüst.
Hell Da hat er seinen Tobsuchtsanfall!
Simone feixt: Die Seminaristin betört ihn gerade –
Huelsen fährt die Simone an: Irrtum!
Mayberg Armer, kranker Semper!
Simone zu Bossard und Kollegen: Euch bring ich noch alle ins Zuchthaus!
Die Vorigen, Semper.
Semper erscheint leichenblaß in der Türe links, die er ängstlich-rasch hinter sich schließt; der Krach im Nebenzimmer flaut ab. Alle starren Semper überwältigt an.
Semper atmet auf: Großer Gott – ein Temperament! Zur Simone. Neben jener sind Sie ein Waisenkind! Die argumentiert mit dem Mobiliar!
Mayberg Semper! Hier gehts nicht mit rechten Dingen zu!
Semper unwillig: Große Neuigkeiten erzählen Sie mir da! Zu Bossard. Also, Sie sind ein Statist? Mit fünf Semestern Fakultät?
Bossard Zu mehr reichte es nicht.
Hell Der Verstand?
Bossard zu Hell: Das Geld.
Semper Richtig, das liebe Geld! Ewig schad, denn Sie verstehen was von der Medizin – Er fährt ihn plötzlich wütend an. Sie Betrüger, Sie!
Semper zu Hell: Kusch!
Simone Nana, Direktorchen!
Semper Auch kusch.
Simone Eine Schmach!
Semper zuckt die Schultern: Wie mans nimmt! Personen, die schielen, haben überhaupt kein Recht, schadenfroh zu sein!
Simone Wer schielt?!
Semper Was weiß ich!
Mayberg Aber Semper! Sie demaskieren sich ja – Er deutet auf Bossard und dessen Kollegen. Diese Blamage!
Semper Ich blamier mich nie! Einen Moment! Wie zu sich selbst. Kalkulation, innere Kalkulation – Er überlegt kurz, dann zieht ein verschmitzter Zug über sein Gesicht, er geht an die Türe links, öffnet sie und ruft ins Nebenzimmer.
Fräulein, kommens heraus!
Die Vorigen, Unbekannte.
Unbekannte erscheint bleich und verweint, sie hält noch das Taschentuch in der Hand und zögert einzutreten.
Semper Hereinspaziert, hereinspaziert! Warum denn so schüchtern?! Schmeißt zuvor noch mit Tellern nach mir –
Unbekannte unterbricht ihn: Nicht nach Ihnen, nur nach der Wand.
Semper Dann heiß ich Wand! Nur näher, Fräulein, wir beißen nicht!
Unbekannte tonlos: Sie können ruhig beißen. Ich weiß, wir haben verloren –
Semper Einen Moment! Zu Mayberg und Gefolge. Meine Herrschaften! Einen Alexander Semper kann man nicht blamieren! Absurd! Ich habs doch schon gestern Abend erkannt, was hier gespielt wird – diesen ganzen Spuk! Aber ich habe nichts gesagt, denn ich wollt dahinterkommen, ob diese unentdeckten Leut schauspielerische Genies sind oder auch nicht! Die Herren Regisseure entdecken ja nichts mehr und die Primadonnen werden alt, da muß sich eben der Generaldirektor persönlich bemühen! Hingegen – Er wendet sich an die Unbekannte und ihre Kollegen – exorbitant seid ihr auch nicht, ihr Unentdeckten! Ich bin bitter enttäuscht! Künstlerisch kann ich von euch überhaupt nichts gebrauchen, höchstens, daß ich einen einzigen engagieren möcht! Nämlich jenen, der sich diesen Spuk da ausgedacht hat – den engagier ich auf der Stell! Als Reklamechef!
Manuel Das ist kein der, sondern eine die – Er deutet auf die Unbekannte.
Unbekannte Und diese die ist kein Reklamechef, sondern nur eine Schauspielerin und sonst nichts!
Semper Schön! Sie sollen auch eine Rolle spielen!
Unbekannte Und meine Kollegen?
Semper Aber ich kann doch nicht lauter Unbekannte –
Unbekannte fällt ihm ins Wort: Alle oder keiner, respektive keine!
Semper Sind wir in Rußland?
Es klopft an die Türe im Hintergrund.
Simone melodisch: Herein!
Die Vorigen, Zimmerkellner.
Zimmerkellner tritt ein und meldet: Herr Marquis de Bresançon!
Semper überrascht: Was hör ich?!
Unbekannte Wir lassen bitten!
Zimmerkellner verbeugt sich, läßt Marquis ein und ab.
Die Vorigen, Marquis, ohne Zimmerkellner.
Marquis überrascht: Semper!
Semper Was verschafft mir die Ehre?
Marquis Ich wollte eigentlich Professor Bossard –
Semper unterbricht ihn: »Professor«?!
Marquis Ich weiß alles.
Semper glotzt ihn perplex an.
Unbekannte heimlich zu Bossard: Er zahlt das Appartement!
Bossard glotzt sie perplex an.
Marquis zu Semper: Es trifft sich gut, daß ich Sie treffe, denn immerhin erspart es mir einen Weg und man weiß nie, wie lang es noch dauert –
Semper Was?
Marquis lächelt: Das Leben. – Er deutet auf die Unbekannte. Die junge Dame und ich, wir haben uns über einen Film unterhalten, den ich unter bestimmten Voraussetzungen finanzieren würde – Er wirft dem erstaunten Huelsen einen Blick zu. Auf meinen Wunsch hin sollten die Vorverhandlungen streng geheim geführt werden.
Semper giftig: Vielleicht gar Fräulein »Unbekannte der Seine«?
Marquis Irrtum! Da wir nichts von ihr wissen –
Semper unterbricht ihn: Das ist kein Grund!
Assistent Ich weiß, warum sie ins Wasser ging!
Marquis lächelt: Ich allerdings noch nicht. Zumindest nicht an Hand persönlicher Erfahrung –
Pianist Wieso persönlich? Wer hat sie denn gekannt?
Marquis etwas verlegen: Niemand.
Unbekannte Oder alle.
Alle horchen auf.
Unbekannte einfach. Ich weiß, sie ist erst im Tod so schön geworden – drum kann sie keiner erkennen.
Stille.
Semper zum Marquis: Sie wollen finanzieren?
Marquis Gewiß.
Unbekannte Die Geschichte eines Mädchens, das auszog, um das Gruseln zu lernen –
Marquis Und das sich durchsetzt im Leben. Ohne Furcht! Vielleicht eine junge Studentin, eine Chemikerin –
Huelsen fällt ihm ins Wort: Das ist mein Roman!
Unbekannte zu Huelsen: Ich habe ihn erzählt! Schreib ihn als Film! Wer liest schon heut ein Buch?
Huelsen Wenn ich den Film so schreiben darf, wie mein Buch –
Marquis Sie dürfen!
Semper Bravo!
Unbekannte deutet auf ihre Kollegen: Und wir spielen alle mit!
Marquis lächelt: Ich bitte sogar darum!
Semper Er finanziert!
Marquis Unter einer Bedingung! Daß Sie nämlich unsere »Unbekannte« nicht verfilmen. Lassen wir die Toten ruhen –
Er lächelt abermals.
Semper überlegt kurz: Gemacht. Für sich. Ein Sonderling!
Simone empört zu Semper: Na und wir?! Sie deutet auf ihr Gefolge.
Semper Einen Moment! Ihr schreibt den neuen Boxerfilm für Traverson! Ich hab auch schon den Titel: »Der Unbekannte der Seine«!