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Das Häuschen des Totengräbers von Ruffach lag in die niedrige Mauer des Kirchhofs hineingebaut auf einer Anhöhe am Rande der Stadt. Kleine schwarze Wolken liefen wie galoppierende Hunde, von der Peitsche des eisigen Nordwindes getrieben, über den kahlen Hügel, auf dem der Galgen stand, über das Stadttor, über die Gräber und weiterhin über den Fluß, auf dem eine plumpe, krötenhafte steinerne Brücke saß.

Der Totengräber erwachte und richtete sich schlaftrunken auf, um sich klar zu werden, was für ein Geräusch ihn gestört hätte. Erst war alles still, dann hörte er das Fauchen des Windes, der näher und näher kam, dann das Klappern eines an die Mauer schlagenden Fensterladens und dann Schritte auf dem gefrorenen Boden des Kirchhofs. Er ergriff ein Beil, das neben ihm an der Wand hing, warf einen Mantel um und sah, an das Fenster tretend, ein paar menschliche Gestalten, die sich vorsichtig auf allen vieren an der Mauer entlang schlichen, über die sie augenscheinlich hereingeklettert waren. Für Soldaten hielt er sie nicht, die wären wohl dreister gewesen; es mochten Marodebrüder oder Zigeuner sein, die Leichen ausgraben und berauben wollten.

Wie ihm durch den Kopf ging, daß sie sich etwas Wertvolles aneignen könnten, das ihm gewissermaßen entginge, verschwand seine Furcht, er eilte aus der Tür und stand plötzlich vor ihnen. Soviel er sehen konnte, hatten sie keinerlei Waffen außer Stöcken, was auch die Angst, die er ihnen augenscheinlich einflößte, zu bestätigen schien. Zwei blieben auf den Knien vor ihm liegen, hoben flehend und abwehrend die Hände und wimmerten, sie hätten seit vielen Tagen nur Gras und Erde gegessen, er solle sie um Gottes willen einen frischen Leichnam ausgraben lassen, damit sie ihren Hunger stillen könnten.

»Pfui,« sagte der Totengräber, »das ist häßlich. Seid ihr Werwölfe?«

Er wollte, sie wären Wölfe, sagte einer, so wären sie nicht so verstoßen. Die Soldaten hätten ihr Dorf abgebrannt, sie hätten sich weitergebettelt, aber überall wären Häuser und Hände leer. Da hätten sie sich entschlossen, bei den Würmern anzuklopfen; ihre Frauen und Kinder warteten draußen im Straßengraben.

Wenn es herauskäme, würden sie bestraft, sagte der Totengräber, und deutete nach dem Hügel, auf dem der Galgen stand und wie ein Wegweiser in die wilde Mitternacht deutete; man konnte sehen, daß etwas daran hing und im Winde schwankte. Erst vor ein paar Wochen, sagte er, sei eine Frau aufs Rad geflochten worden, weil sie einen Soldaten, den sie im Quartier gehabt, geschlachtet und mit ihren Kindern verzehrt hätte.

Hungers zu sterben sei viel ärger, sagte der eine der Männer, weil es länger dauere. Das sei überhaupt ihre Sache, er solle sich in sein Haus einschließen, so werde niemand erfahren, daß er darum gewußt habe. Der Totengräber zögerte; aber ein unbehüteter Blick, der aus den Augen des Mannes auf ihn fiel, warnte ihn, sich der Bande nicht auszusetzen, sie hätten ihn vielleicht trotz seines Beiles mit ihren Knütteln totgeschlagen. Wenn sie es durchaus wagen wollten, sagte er, so wolle er Erbarmen haben. Es sei an dem Tage der reichste Kaufmann in der Stadt gestorben, den die Soldaten vor Wochen als Geisel mitgenommen hätten. Die Stadt und Verwandtschaft hätten ihn endlich mit einer erklecklichen Summe ausgelöst, aber das üble Traktament mit Hunger und Kälte habe ihm so zugesetzt, daß er bald nach seiner Rückkehr gestorben sei. Sei früher ein stattlicher Mann gewesen, habe aber sich selbst nicht mehr gleich gesehen.

Während die Leute gruben, stand der Totengräber dabei, unschlüssig, ob er sich in sein Haus zurückziehen oder den Ausgang erwarten sollte. Es wäre billig, sagte er, daß sie das Totenhemd, mit dem der Mann bekleidet gewesen wäre, ihm gäben, da sie ihm ja alles verdankten. Die Männer, die unterdessen den Sarg geöffnet und den Leichnam herausgerissen hatten, packten ihn und wollten sich davonmachen. Sie hätten allein gearbeitet, brummten sie, so komme ihnen auch der Ertrag allein zu. Würden sie gefaßt, so würde er es auch nicht mitgetan haben wollen. Was ihnen einfiele? rief der Totengräber, sie liefen fort, ohne das Grab wieder zu verschütten, und er solle umsonst ihren Dreck nachräumen? Er sprang ihnen nach, packte den einen herunterhängenden Arm des Toten und bemühte sich, die beiden Ringe abzuziehen, die ihm am vierten Finger saßen. Der eine der Männer versetzte ihm einen Stoß, daß er rücklings auf den Boden fiel; aber er raffte sich auf und schrie zornig, er werde das Glöckchen auf seinem Dache läuten, daß die Stadt aufwachte und sie ihren Lohn bekämen. Nun fielen sie über ihn her, und es gelang ihnen, ihm das Beil zu entwinden. Sie könnten ihm leicht den Garaus machen, sagten sie, und sich mit seinem Fleisch den leeren Bauch füllen; aber aus christlicher Liebe wollten sie ihn am Leben lassen und ihm sogar den einen der goldenen Ringe überlassen. Dagegen verpflichtete er sich, das Grab wieder zuzuschütten und sie unterdessen in seinem Hause ihr Mahl zurichten und verzehren zu lassen, wo sie am ehesten ungestört bleiben würden.

*

Bernhard von Weimar nahm seinen Helm ab und reichte ihn einem seiner Pagen mit der Bitte, er solle ihm aus dem Bache, der zwischen den Hügeln hinunterlief, Wasser schöpfen. Während er trank, kamen ein paar Offiziere herangeritten und riefen von weitem, der Werth sei auch gefangen, nun wären alle Vögel in der Schlinge. Bernhard erkundigte sich nach den Einzelheiten und sagte dann, es komme ihm wie ein Traum vor, ein solcher Sieg nach dem kürzlich erlittenen Unglück, wo er schon alles verloren gegeben hätte. Es sei wirklich, als habe Gott die Feinde mit Blindheit geschlagen. Sie wären in guter, gesicherter Stellung gewesen, hätten die Bauern im Schwarzwald kampfbereit zur Stelle gehabt, die ihnen Flanken und Rücken hätten frei halten können, so daß er den Überfall für ein fast desperates Stück gehalten hätte, zumal nach dem erlittenen großen Verlust.

Oberst Hatstein erwiderte, es wäre auch sicherlich Verrat im Spiele gewesen. Der Fürstenberg hätte nicht recht sekundieren wollen, möchte französisches Geld dahinterstecken.

Sie ritten jetzt über ein welliges, von kurzen Tannenhecken durchschnittenes Gelände, wo als eine Spur des heftigen Kampfes, der hier stattgefunden hatte, Tote und Verwundete lagen. Am Rande des Baches, wohin er sich geschleppt haben mochte, wand sich ein Mann mit der weimarischen Feldbinde am Arme in Todeskrämpfen. Warum kein Prediger zur Stelle sei? fragte Bernhard, die Brauen runzelnd, und sprang vom Pferde, um dem Unglücklichen selbst beizustehen. Er kniete neben ihm nieder, stützte seinen Kopf und wollte ihm zu trinken geben; aber der schüttelte den Kopf und sah den Herzog mit einem Blick an, der zu sagen schien, das diene ihm nicht mehr. Bernhard fragte, sich über ihn beugend, ob er fest im lutherischen Glauben sei und ob er seine Sünden bereue? Für den Glauben habe er gekämpft, ein Söldner des gerechten Gottes gegen den Antichristen, der Herr der Heeresscharen werde ihm die ewige Seligkeit zum Lohne geben. Während der Sterbende die brechenden Augen auf das über ihn geneigte Gesicht heftete, betete Bernhard mit fester Stimme: »Daß aber die Toten auferstehen, hat auch Moses gedeutet. Gott aber ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen Gott; denn sie leben ihm alle.«

Die Offiziere standen entblößten und gesenkten Hauptes dabei und warteten, bis der Soldat verschieden war.

»Es ist viel gutes Soldatenblut geflossen,« sagte Bernhard, als sie wieder unterwegs waren, »aber ich will sorgen, daß es nicht umsonst für das Vaterland gewesen sei.« Er verfiel in ernste Gedanken, die niemand zu stören wagte. Nun es wieder aufwärtsginge, dachte er, und er den Fuß im Elsaß hätte, würde Richelieu alles aufbieten, um ihm die Beute zu entreißen. Dabei würde er sich auf den Vertrag stützen, den er, Bernhard, hatte eingehen müssen; ob mit Recht oder Unrecht, danach würde er nicht fragen. Dieser zweite Kampf würde nicht weniger erbittert sein als der, in dem er eben gesiegt hatte; er würde unablässig wachsam, unablässig auf der Hut sein müssen, sonst würde seine Arbeit Deutschland zum Fluch statt zum Segen werden. Es überlief sein Herz bitter, wenn er daran dachte, wie die Franzosen seine Schritte begleiteten, um wie die Harpyien der Sage auf das Mahl, das ihn ernähren sollte, herunterzustoßen und es selbst zu verschlingen. Nicht seine Schuld sei es, sagte er sich, wenn sein Streben mißglückte, sondern die seiner Blutsverwandten und Mitfürsten, die ihn im Stiche ließen, beschränkte Sicherheit dem Strudel des Krieges vorziehend.

Am folgenden Morgen wurde ein Dankgottesdienst auf dem Schlachtfelde abgehalten. Es war ein milder Tag; die Luft schmeichelte sich gelind wie der Pelz junger Tiere über die rötlichbraunen Spitzen der Wälder, über das zertretene Gras, über die Türme von Rheinfelden und die knienden Soldaten. Nach der Predigt stimmte der Geistliche an: ›Ein feste Burg ist unser Gott‹, und alle sangen mit; die Töne marschierten wie eiserne Krieger gegen das Mordfeuer einer feindlichen Batterie.

Bernhard dachte an viele Stunden seiner Kindheit, wenn seine verstorbene Mutter, von mancherlei Unbill bedrängt, namentlich durch seinen mißtrauischen und herrschsüchtigen Oheim und Vormund Johann Georg, als schöpfe sie Kraft daraus, dies Lied angestimmt und wie die starke, dunkle Stimme seine schwache, schwankende mit getragen hatte. Er glaubte die geistgewordene zu vernehmen, wie sie aus Gottes Herzen hervorquellend sich wiederum mit der des begnadeten Sohnes vereinte, und Tränen des Entzückens stiegen in seine Augen.

Zu dem Bankett, durch welches der Sieg gefeiert wurde, waren auch mit Ausnahme Speerreuters, der als Überläufer behandelt wurde, die gefangenen Offiziere geladen. Savelli erhielt seinem Range und Stande gemäß den Ehrenplatz an Bernhards Seite, Johann von Werth und Adrian Enkevort saßen ihnen gegenüber. Auf Bernhards höfliche Erkundigung, ob die Herren mit Unterkunft und Verpflegung zufrieden wären, antwortete Savelli, wenn sie nur an ihre eigene Bequemlichkeit dächten, könnten sie sich nichts Besseres wünschen, als zeitlebens Bernhards Gefangene zu sein, ganz abgesehen davon, daß selbst versuchte Soldaten von einem solchen Helden noch lernen könnten.

Diesmal hätten sie hauptsächlich lernen können, Glück zu haben, sagte Bernhard liebenswürdig; er habe selbst auf solchen Sieg nicht gerechnet.

Johann von Werth, der unmutigen Gesichts auf seinen Teller gestarrt hatte, warf einen grimmigen Blick auf Savelli und sagte, das wolle er wohl glauben; aber was der Herzog Glück nenne, heiße auf ihrer Seite Lotterei.

O nicht doch, sagte Savelli spöttisch, Werth sei zu hart gegen sich.

Ja, hart sei er gegen sich, fiel dieser rasch ein, aber anders, als Savelli meine. Als er zu Augsburg das Handbrieflein des Kaisers erhalten habe, der Herzog von Weimar ziele auf die österreichischen Vorlande, da habe er sich gerade die Kugel herausschneiden lassen, die ihm noch vom vergangenen Jahre her hinter dem Ohre gesteckt habe. Der vortreffliche Wundarzt habe gesagt, er dürfe beileibe nicht zum Heere gehn, bevor die Wunde ausgeheilt sei, sonst könne der Brand hineinschlagen und gar ein tödliches Ende erfolgen; aber er habe geantwortet, solange er Leben habe, wolle er es für den Kaiser einsetzen, die Bank halte Gott. Herzog Bernhards Diskretion und Tapferkeit in Ehren, hätte man seinerzeit auf ihn, Johann von Werth, gehört und ihn den Lauffenburger Paß verstärken lassen, so würde ihn der Herzog nicht haben nehmen können; aber man habe leider dem Grafen von Fürstenberg nachgegeben, der nicht gewollt habe, daß ihm ein braver deutscher Mann auf die Finger sähe. Wie sie dann die schöne Viktoria davongetragen hätten, das sei ja jedermann bekannt, und wie der Herzog von Savelli sich nach Rheinfelden gesetzt habe, als sei der Braten nun gar und brauche nur gefressen zu werden. Savelli werde sich wohl erinnern, wie er, Johann von Werth, noch am Vorabend gewarnt und das Unglück vorausgemalt habe; da ihm aber nur eine spitze Antwort zuteil geworden wäre, habe er das Maul zugeklappt und geschwiegen.

Nun, wenn Werth an die Sache rühre, sagte Savelli scharf, so wolle er jetzt bemerken, daß, wenn Werth sein Bedenken gebührlich vorgebracht hätte, er einen Kriegsrat berufen haben würde, um die Sache zu untersuchen. Das habe Werth aber nicht getan, sondern ohne Begründung gegen seine Anordnungen gemurrt, was er natürlich nicht beachtet habe; denn wenn er Werths Widerspruch und Brummen immer regardieren wollte, so würde er nicht einen Schritt vor den andern setzen können. Werth stemme sich gegen alles, verderbe alles durch seinen Ungehorsam, und dem Rechte nach hätte er, Savelli, schon ganz anders mit ihm verfahren dürfen. Werth sei ohnehin beim Kurfürsten nicht gut angeschrieben, weil er nur seinem eigenen störrischen Willen nachginge und den Krieg wie ein Freibeuter mit Streif- und Raubzügen betriebe.

Wenigstens sei er noch nie davongelaufen, rief Werth. Herzog Bernhard selbst solle bezeugen, ob er je seinen Rücken gesehen hätte.

Nein, niemals, lachte Bernhard, außer bei der gestrigen Affäre.

Auch Savelli lächelte. Er habe geglaubt, sagte er, Kavaliere machten ihre Streitigkeiten untereinander mit dem Schwerte aus, nicht in Gesellschaft mit der Zunge.

Die Mahnung lasse er sich gefallen, rief Werth aufspringend laut und hitzig, er sei auf der Stelle bereit, die Sache auszutragen.

Nicht ohne Spott sagte Bernhard, er müsse die Herren erinnern, daß sie augenblicklich keine Schwerter hätten, und was ihn betreffe, so sei er froh, die Ursache zu sein, die zwei so ausgezeichnete Generale verhinderte, ihr Blut zu vergießen. Werth setzte sich wieder, und das Mahl nahm seinen Fortgang; aber der Wein brachte keine Fröhlichkeit, sondern erhitzte nur die vorhandene Wut und Rachsucht.

*

Savelli hatte sich von Herzog Bernhard erbeten, in Lauffenburg bleiben zu dürfen, wo er einige Beziehungen hatte, und benutzte diese, um zu entfliehen. Die beteiligten Personen, mehrere Priester und eine Frau, ließ Bernhard aufhängen; sonst, sagte er, würden die in Paris ausgestreuten Verleumdungen, als unterhandle er mit dem Kaiser und sei die Flucht mit seiner Bewilligung geschehen, Nahrung erhalten.

Daß es des Kaisers Wunsch war, sich mit Bernhard zu vergleichen, ging aus einem Brief hervor, den Savelli aus Heilbronn, wohin er sich gewandt hatte, an den Herzog richtete. Es liege einmal in der menschlichen Natur, die Freiheit zu lieben, begann Savelli, damit werde Bernhard es gewiß entschuldigen, daß er sich der Gefangenschaft entzogen habe. Er wolle sich der erlangten Freiheit zu Bernhards Wohl bedienen, indem er den Frieden zwischen ihm und dem Kaiser vermittelte. Weiter schrieb er, wie schade es sei, daß ein solcher Held seinem Vaterlande entfremdet würde, und daß der Kaiser, wenn Bernhard geneigt sei, ihn, Savelli, mit der Fortführung der Verhandlung betrauen würde.

Bernhard war entrüstet, daß der meineidige Italiener an ihn zu gelangen wagte, und davon absehend, wie hätte er eben jetzt an Frieden denken können, da das Glück sich ihm wieder zugewandt hatte? Allerdings wurde er bald inne, daß die Eroberung von Breisach große Schwierigkeiten haben würde; denn er verfügte über zuwenig Truppen, als daß er die Zufuhr von Vorräten durchaus hätte verhindern können. Obwohl er die Schwarzwaldpässe besetzt hatte, gelang es Götz, auf Umwegen das Kinzigtal zu erreichen und Lebensmittel in die Festung zu werfen, wodurch die Aussicht, sie durch Hunger zu schneller Übergabe zu zwingen, schwand. Ungeduldig und niedergeschlagen verweilte Bernhard in Neuenburg, als ihm in der Ankunft Erlachs Trost aufging. Dieser hatte, als die evangelische Eidgenossenschaft sich Österreich näherte, seine Staatsämter niedergelegt, um sich Bernhard ganz anzuschließen, da die jesuitische Politik seiner Heimat sich, wie er sagte, mit seinem Gewissen nicht vertrüge.

Bernhard empfing ihn froh und dankbar; solange er lebe, versicherte er, solle Erlach dies heldenmütige Opfer nicht bereuen. Was er besitze und vermöge, gehöre dem tapferen, treuen Offizier, der sein Glück auf ihn baue. Er stehe schon auf der Schwelle seines Traumes; wenn Frankreich nur einmal die oft wiederholte Zusage erfüllte und ihn vertragsgemäß unterstützte, so wäre das Elsaß sein.

Erlach, seinen großen Mund schief ziehend, bedachte sich. Bernhard wisse ja Bescheid, sagte er, er sei für Frankreich, weil Frankreich wider Österreich sei, übrigens könne er es nicht gut mit den Franzosen und dürfe es nicht auf sich nehmen, etwas bei ihnen auszurichten, er sei zu grob und zu gerade, verstehe sich nicht auf die Gaukelei und Gleisnerei, die dort im Schwange sei.

Dagegen wandte Bernhard ein, als Berner stehe Erlach bei den Franzosen in hohem Ansehen, niemand würde ihn leicht vor den Kopf stoßen. Dazu komme, daß er, Bernhard, nur Erlach vertraue, sich nur ihm ganz eröffnen würde und daß Erlach deshalb, weil er genau wisse, worauf es ankäme, mehr als ein anderer ausrichten könnte.

So von Bernhard gedrängt, erklärte sich Erlach bereit, in seinem Auftrage nach Frankreich zu gehen, und ließ sich neben der schriftlichen Instruktion durch Bernhard mündlich von allen seinen Absichten und Wünschen unterrichten.

Es sei nicht damit getan, erklärte Bernhard, daß ihm französische Truppen geschickt würden; darauf komme es an, daß die Hilfsvölker seinem Oberbefehl unterstellt würden. Kämen sie unter einem Anführer von hoher Geburt und Stellung, der sich ihm nicht unterordnete, so erschwerte das seine Operationen, hauptsächlich aber könnte Frankreich dadurch selbständigen Anteil an seinen Eroberungen gewinnen, wodurch alle seine Pläne vernichtet würden.

Erlach nickte. Aus dem Grunde würden sie eben darauf bestehen, meinte er.

Es sei von äußerster Wichtigkeit, sagte der Herzog. Er durchschaue vollkommen, worauf sie hinaus wollten. Sie dächten ihn als einen Söldnerführer mit einem Trinkgeld zu verabschieden.

»Ja, mit einem gepulverten, das man in den Wein schüttet,« sagte Erlach lachend und sich die Hände reibend, »oder mit einem spitzen, das ein Bandit überbringt.«

Bernhard sah ihn groß an. »Sie möchten wohl,« sagte er, »aber das trauen sie sich nicht.«

Erlach lachte noch immer. »Nein, das sind Possen«, sagte er. Welsche Praktiken wären das, in Frankreich glaubten sie alles mit ihrer Pfiffigkeit und Überlegenheit auszurichten. Wie denn nun eigentlich Bernhards Vertrag laute?

Bernhard klagte, daß auch in dem neuen Vertrage Zweideutigkeiten unterliefen, weil Frankreich sich eine Tür für seine Gelüste offenlassen wollte. Das Elsaß sei ihm zwar klar zugesprochen; aber sie wollten Breisach nicht zum Elsaß rechnen, und ohne Breisach könne er doch das Elsaß nicht halten.

Wenn er es nur erst hätte, so zweifle er nicht, sagte Erlach, daß Bernhard es festhalten würde.

Das müsse er aber auch, sagte Bernhard, der aufgestanden war und unruhig auf und ab ging. Ehe man ihm nachsagte, daß er das uralte Deutsche Reich zerstückt und an die Fremden verkauft hätte, lieber wollte er die himmlische Seligkeit verscherzen.

Nun, nun, beruhigte Erlach, so habe er es ja nicht gemeint.

Bernhard indessen redete in seiner Erregung weiter: So hätte er die Hände davon lassen müssen! So wäre das Elsaß ja besser bei Österreich geblieben.

Das wolle er denn doch nicht sagen, meinte Erlach langsam; die spanische Teufelei und Schlamperei sei doch die ärgste.

Bernhard schüttelte heftig den Kopf, während er fortfuhr, auf und ab zu gehen. Das lasse er dahingestellt sein, sagte er; er wolle nicht Verräter bei den Deutschen heißen. Er müsse und müsse das Elsaß festhalten. Wenn er es sich jetzt entreißen ließe, wäre es auf ewig verloren. Erlach müsse ihm helfen, wenn er sein Freund sei.

Was er könne, wolle er für Bernhard tun, versprach Erlach, er wünschte nur, daß er besser dazu taugte. Die evangelischen Eidgenossen könnten sich keinen lieberen Nachbar wünschen als einen so redlichen deutschen Fürsten wie Bernhard.

»Ja, mein Herz ist redlich und deutsch,« sagte Bernhard, indem er sich die Stirn trocknete, »das schwöre ich bei Gott.«

So werde Gott ihm auch beistehen, sagte Erlach.

Erst im Juni erhielt Bernhard Nachrichten von Erlach aus Paris, die nicht günstig lauteten. Es lasse sich alles übel an, hieß es im Brief, an Höflichkeit fehle es nicht, sei aber nichts dahinter. Daß sie Truppen unter seinen Oberbefehl stellen würden, müsse sich Bernhard aus dem Sinne schlagen, sie spreizten sich gänzlich dagegen unter dem Vorwande, die Franzosen vertrügen sich nicht mit den Deutschen, welche zu grob und ungesittet wären. Auch beständen sie durchaus darauf, die Hand auf Breisach zu legen, freilich nur bis zum Friedensschluß, wo sie alles zurückgeben wollten; aber es wisse wohl jeder, wie das zu verstehen sei. Die Jesuiten hätten zur Zeit das Oberwasser in Frankreich, er spiele eine schlechte Figur dazwischen, wolle jedoch ausharren. Das Jahrgeld, das sie ihm hätten anhängen wollen, habe er unter Vorwänden mit guter Miene ausgeschlagen.

Verdüstert durch diese Mitteilungen, befand sich Bernhard in seinem Quartier zu Neuenburg, als ihm ein Mann gemeldet wurde, der um Audienz nachsuche; er gebe vor, Hoffmann zu heißen und an den Herzog von dessen Brüdern mit wichtigen Aufträgen abgesendet zu sein.

Das hätte er freilich nicht erwartet, sagte Bernhard, dem das Blut ins Gesicht schoß; es wisse jeder, daß er nichts mit seinen Brüdern gemein habe.

Ob er das dem Hoffmann sagen solle? fragte der meldende Offizier.

Ja, sagte Bernhard, eine Audienz könne er ihm nicht gewähren. Aber, fügte er hinzu, er solle wohl gehalten werden, nicht geringer als die Gesandten von Frankreich oder von Schweden. Und wenn er etwas Schriftliches für ihn hätte, so solle er es abgeben.

Das hatte Hoffmann in der Tat, und Bernhard schickte sich noch am selben Abend an, es zu lesen.

Sie könnten es noch immer nicht glauben, so etwa schrieben die weimarschen Herzöge, daß die alte brüderliche Liebe gänzlich zwischen ihnen zerrissen sein sollte. Mit Schmerzen empfänden sie es, daß ihr eigner Bruder es sei, der den edlen, vielerwünschten Frieden, nachdem man ihn schon am Zipfel zu fassen geglaubt, wieder aus dem Vaterlande verscheuchte. Ach, wenn er sich doch die allgemeine Not wollte zu Herzen gehen lassen! Sie hätten ihr kleines Land glücklich aus der Drangsal gesteuert, nun aber, da sie zu seiner Erhaltung um die Belehnung zu gesamter Hand beim Kaiser nachgesucht hätten, erhebe sich als Hindernis, daß er gegen den Kaiser in Waffen stehe. Er sollte doch den unnatürlichen Dienst bei den Feinden des Reichs aufgeben und sich dem Vaterlande wieder zuwenden.

Als er das lange Schreiben gelesen hatte, stützte Bernhard den Kopf in die Hand und starrte in die still brennenden Wachskerzen, die vor ihm auf dem Tische standen, während Jelängerjeliebergerüche ins offene Fenster stiegen. Wohl mochten sie seiner denken in der Heimat, hatte er ihrer doch auch nicht vergessen trotz ihrer Untreue! Einst hatten sie sich heilig untereinander verschworen, das Schwert nicht ruhen zu lassen, bis sie Freiheit und Glauben und Vaterland gerettet hätten; was für hohe Träume hatten sie miteinander geträumt! Aus Eifersucht, weil er ihm die erste Stelle im Heer nicht gönnte, hatte Wilhelm ihm Steine auf den Weg geworfen; und wie bald hatte er doch verzagt, wie bald sich aller heroischen Hoffnungen begeben! Sie hatten beide den Stoff zum Feldherrn nicht in sich, weder Wilhelm noch Ernst, der Gute, Redliche; aber wenn er sie deswegen nicht mißachtete, warum mißgönnten sie ihm den Ruhm, das verlassene Banner hochzuhalten? Warum wollten sie ihn in die Sümpfe ihres Friedens hineinziehen?

Als ob ihn nicht auch nach Frieden verlangte! Ach, wenn er die Qual und das Fieber einmal von sich werfen könnte! Wenn er einmal mit festem, einigem Herzen schlafen könnte!

In seinen Augen, die das Wachs von den Kerzen hinuntertropfen sahen, standen Tränen. Seit jenem heiligfrohen Ostermorgen vor vier Jahren hatte er Weimar nicht mehr gesehen; was für Enttäuschungen, Entbehrungen und Erniedrigungen, was für eine lange, schwarze Nacht hatte er seitdem durchkämpfen müssen, deren Ende er noch nicht sah! Was würde er geben in diesem Augenblick um einen Bruderhändedruck!

Rascher und reichlicher stürzten die Tränen aus seinen Augen. Es wäre doch gut, dachte er, daß sie den Hoffmann zu ihm geschickt hätten. Es war wie ein Veilchenhauch aus seinem Kindergarten in dieser kalten, wilden, grausamen Einsamkeit. Und vor allen Dingen gaben ihm seine Brüder Gelegenheit, sich vor ihnen und aller Welt zu rechtfertigen. Sie und viele mit ihnen mochten denken, daß er um eines französischen Jahrgeldes wegen oder aus Lust an zügellosen Abenteuern im Kriege verharrte, daß er aus kindischem Trotz und Eigensinn des Kaisers Gnade zurückstieße. Das konnte er ihnen nun ausreden; denn es war ihm nicht gleichgültig, was sie daheim von ihm dachten. Um des deutschen Vaterlandes willen kämpfte und litt er; so sollten die Deutschen seinem Namen nicht fluchen.

In den nächsten Tagen beschied er Hoffmann, der über die Sinnesänderung hocherfreut war, zu sich. Nachdem er ihn im Beisein mehrerer hoher Offiziere empfangen hatte, lud er ihn allein zu seinem Abendessen ein. »Er ist grau geworden, seit ich Ihn nicht gesehen habe«, begann der Herzog freundlich das Gespräch. »Das Alter und die Sorgen!« erwiderte Hoffmann. »Mein Rücken ist krumm und der von Euer Fürstlichen Gnaden ist stark und gerade geworden.«

»Wer weiß?« sagte Bernhard. Vielleicht würde Hoffmann ihn dennoch überleben. Krieg und Tod säßen auf einem Pferd.

»Wollen Euer Fürstliche Gnaden denn ewig Krieg führen?« fragte Hoffmann.

»Wenn ich ihn mit Ehren enden könnte,« sagte Bernhard, »so täte ich's noch heute.«

»Ach, in Ehren!« sagte Hoffmann, nachdem Bernhard ihm erlaubt hatte, frei zu reden. Ja, die Göttin Bellona würde gewiß einen Lorbeer um seinen Helm winden. Aber ob nicht Hafer und Weizen, von treuen deutschen Bauern gesät, ihn reicher machen würde als das welsche Reis, das doch einmal dorren müßte?

Lorbeerblätter! antwortete Bernhard; ja, das wäre freilich eine unfruchtbare Beute, und man dürfe ihn wohl einen hochfahrenden Narren schelten, wenn er der nachjagte. Um solcher willen würde er nicht Ruhe und Familie, ja seinen ehrlichen Namen geopfert haben. Es gehe ja um den reinen Glauben, um die Freiheit des Reiches, um die Größe seines Hauses! Ob denn die Brüder vergessen hätten, warum er Krieg führte?

Sie wären deswegen besorgt, sagte Hoffmann, weil Bernhard in französischem Dienst stehe und Frankreich eine katholische Macht sei. Es liefen ja auch täglich Zeitungen ein, wie die frommen Bekenner des Evangeliums in Frankreich mißhandelt würden.

Er in französischem Dienst! fuhr Bernhard auf. Er, ein freier Reichsfürst, der uralten sächsischen Kurfürsten Enkel! Nein, er stehe so wenig im Dienst König Ludwigs, wie er je in Gustav Adolfs Dienst gestanden hätte. Er sei frei, frei wie irgendein Monarch der Erde! Warum sollte er dem König von Frankreich nicht einmal einen Reiterdienst tun? Dasselbe hätten ehemals der Pfalzgraf und der Fürst von Anhalt getan. Französisches Geld gegen deutsches Blut, das sei der Handel. Schmählich genug, daß man es im Auslande müsse suchen gehen! Daß die deutschen Fürsten es lieber für Wohlleben und schöne Kleider verpraßten.

Was seinen fürstlichen Bruder, Herzog Wilhelm, betreffe, sagte Hoffmann, so könne er für gewiß bezeugen, daß derselbe oft den Wein auf seinem Tische nicht bezahlen könnte.

Traurig genug! rief Bernhard. Um solches Betteldasein verkaufe er sein Gewissen! Um mit Zagen verschuldetes Brot essen zu können, sehe er zu, wie der Kaiser seinen Glaubensgenossen das papistische Joch aufzwänge! Bleibe ruhig, wenn ganz Schwabenland in die Babylonische Gefangenschaft müsse! Er, Bernhard, wolle nicht ruhen, bis das getretene Deutschland sein Haupt wieder frei erheben könne!

Ach, und wenn sie nun allesamt darüber zur Grube führen? seufzte Hoffmann.

»Nur noch wenige Schritte!« rief Bernhard mit blitzenden Augen. »Nur noch ein Schritt fehlt! Habe ich erst meinen Fuß auf Breisach gesetzt, so ist es errungen; und das Jahr soll nicht vergehen, bis es errungen ist.«

Das wäre freilich eine große Sache, sagte Hoffmann, die Brauen hochziehend. Aber leider sei ja das Elsaß schon an Frankreich verhandelt; es würde sich Breisach nicht gutwillig nehmen lassen.

»Mit gutem oder bösem Willen,« sagte Bernhard, »es muß. Wo mein Schwert herrscht, bin ich Herr.«

Hoffmann betrachtete Bernhard gerührt und bewundernd. Da er ihn als Buben gesehen hätte, sagte er, ein wenig plump und verschlossen und ohne Äquilibrium, hätte er nicht gedacht, daß ein solcher Held aus ihm werden würde. Einem solchen Fürsten gegenüber dürfe er das Maul nicht auftun.

Bernhard reichte ihm die Hand und sagte, ein so treuer und redlicher Diener seines Hauses solle ungescheut seines Herzens Meinung aussprechen. Er sei nur falsch unterrichtet, nicht bös gesinnt, das wisse Bernhard wohl. Man sehe ihn, Bernhard, im Reich für einen Freibeuter und Friedensstörer an. Er sei der letzte evangelische Fürst, der gegen die päpstliche Tyrannei fechte, und habe als solcher einen harten Stand. Aber Gott habe den kleinen David gegen Goliath stark gemacht, darum verzage er nicht. Wenn er Breisach hätte, stehe er fester da als zuvor König Gustav Adolf in Mainz.

Mit Gustav Adolfs Lauf solle Bernhard den seinigen nicht vergleichen, bat Hoffmann, das sei ein übles Omen.

»Wir stehen in Gottes Hand«, sagte Bernhard. Hoffmann nickte. Er sähe nun wohl ein, sagte er, daß es allzu verwegen sei, des Herzogs hohen Gedanken folgen zu wollen. Doch sei ihm bange ums Herz. Das arme Deutschland sei ja in Grund und Boden gestampft; was hülfe dem Volke Glauben und Freiheit, wenn es Hungers sterben müßte?

Das Wort Gottes sei der beste Frühling, erwiderte Bernhard; das werde schon neue Saaten keimen lassen.

*

Wie umständlich der Arzt auch dem Professor Besold in Ingolstadt klargemacht hatte, daß er sterben müsse, wollte er es doch nicht glauben. Wenn er nur dasselbe Pülverlein bekommen könnte, sagte er zu seiner Frau, das ihm früher so gut getan hätte, so würde er gleich gesund werden; aber das aus der Mohrenapotheke sei nicht das richtige.

Nun, erwiderte die Frau, sie wolle jetzt einmal in die Löwenapotheke gehen, vielleicht wäre es da aufzutreiben.

Und dann solle sie den Doktor nicht wieder zu ihm hereinlassen, fuhr Besold fort, so viel Dummheit müsse einen ja krank machen. Der habe gewiß einen Vertrag mit dem Totengräber.

In Stuttgart und Tübingen wären die Leute freilich anders, seufzte die Frau.

Besold spürte die Anzüglichkeit in ihrem Tone und war peinlich dadurch berührt. An die schwäbische Dummheit wären sie einmal gewöhnt gewesen, sagte er. Und nun möchte sie doch schnell in die Löwenapotheke gehn und das Pülverlein holen, fügte er hinzu.

Als er die gute, trauliche Gestalt durch die Tür verschwinden sah, wollte er ihr nachrufen, daß sie lieber bei ihm bleiben sollte, denn es schwamm ihm plötzlich dunkel vor den Augen; aber er brachte die Stimme nicht heraus, und gleich nachher erschien statt ihrer ein Jesuitenpater auf der Schwelle, der ihn, seit er krank war, häufig besuchte.

Nun, fragte der Pater, indem er sich an Besolds Bett setzte, ob Besold wohl vorbereitet auf den Himmel sei? Jetzt könne er sich in Muße das hochzeitliche Gewand anlegen, in dem er zur ewigen Freude eingehen sollte.

Ein Christ, sagte Besold mit etwas ungeduldiger Schärfe im Ton, müsse jederzeit vorbereitet sein. Im Grunde bedürfe es mehr Vorbereitung zum Leben als zum Tode.

Ja, sagte der Jesuit, das sei ein wahres und tiefsinniges Wort, wie man es von einem solchen Gelehrten und Weisen erwarten könne. Es laufe aber auch ein klein wenig Täuschung mit unter, indem man sich nach menschlicher Bequemlichkeit das Sterben zu obenhin ausmalte. Man müsse doch vorher sein Haus bestellt haben.

Natürlich, sagte Besold, das sei alles in Ordnung, sein Testament habe er längst gemacht.

So, also mit Brot und Kleidung und fleischlicher Wohlfahrt habe er seine Frau versehen, sagte der Pater; wie er denn aber für ihre Seele gesorgt habe? Ob ihm dabei kein häßlicher Widerspruch auffiele, wenn ihr Leib schwelgte und ihre arme Seele verschimpfen und verteufeln müsse? Als einem rechten christlichen Ehemanne müsse es ihm sauer werden, abzufahren, solange er ihre Seele in der pestilenzischen Höllenfinsternis wisse.

Was er denn anstellen sollte? seufzte Besold. Die Frau sei die beste, treueste Haut von der Welt, aber von unbesiegbarer Hartnäckigkeit in Glaubenssachen. Sie habe den Irrtum mit der Muttermilch eingesogen; das sitze viel fester als alle Weisheit und Vernunft, die er ihr jetzt predigen könnte.

Der Jesuit schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: Ei, ei, das könne er doch nicht glauben. Ein Ehemann habe doch Gewalt über die Frau. Wenn ein Mann nur wolle, könne er ein Weiberköpflein regieren. Zumal Besold könne doch seine Frau daran mahnen, daß nach dreißig Jahren unfruchtbarer Ehe der Herr ihnen wunderbarerweise ein Kindlein geschenkt hätte, als Besold in den Schoß der Kirche zurückgekehrt sei, und daß, wenn sie in ihrem Trotz verharrte, es ihr zur Strafe und Belehrung wohl wieder genommen werden könnte. Ferner, wenn er ihr recht beweglich erklärte, daß er nicht ruhig sterben könne, bis sie im Arm der Kirche wohl aufgehoben sei, würde sie sich doch bequemen, wenn sie nicht ganz und gar von Stein wäre.

Sie steife sich auf ihren vermeintlichen Gott, entgegnete Besold, und bilde sich ein, er habe ihr das Kindlein zum Troste wegen seines Abfalls geschenkt. Außerdem sei es noch gar nicht so weit, er fühle sich heute besser, das ingolstädtische Klima gehe ihm nur nicht ein, wäre er nur nach Italien gegangen, so würde er frisch und munter sein. Sein Sinn sei noch nicht aufs Sterben gestellt.

Der Angstschweiß stand Besold auf der Stirn, und seine Frau erschien ihm wie ein aus äußerster Not errettender Engel, als sie mit dem Pulver aus der Apotheke zurückkam. Sie warf einen mißfälligen Blick auf den Pater und sagte zu ihm, ihr Mann müsse jetzt eine Arznei einnehmen, schwitzen und schlafen, er solle ihn gefälligst dabei allein lassen; worauf jener sich lächelnd empfahl, ohne daß der Professor ihn zurückzuhalten suchte. Geduldig ließ er sich das Gemisch von ihr einflößen, faßte wehmütig ihre Hand und bat sie, bei ihm zu bleiben und ihn freundlich anzuhören.

Sie hätten nun über ein Menschenalter friedlich und glücklich miteinander gehaust und es stets treu und redlich miteinander gemeint, sie möchte nun auch seinen letzten Wunsch erfüllen und sich zur alten, wahren Mutterkirche bekehren lassen.

Ach, davon solle er doch schweigen, sagte die Frau, der die Tränen in den Augen standen; es sei doch genug, daß sie ihm seinen Abfall nicht nachgetragen habe. Er wisse es wohl, wie es ihr das Herz gebrochen habe, als alle ehrlichen Leute in Tübingen und Schwaben ihn verachtet und verflucht hätten wegen seiner Abtrünnigkeit und Falschheit. Sie habe doch in der alten Weise an ihm gehangen und ihren Schmerz für sich hinuntergeschluckt; mehr werde er in Ewigkeit nicht von ihr erreichen und solle es auch nicht verlangen.

Und was er litte, fiel Besold ein, wenn er dächte, daß die vermaledeiten Lutherpfaffen ihr Gewissen beherrschten und sie nach seinem Tode wohl gar zwängen, ihn zu verfluchen!

Mit einem solchen, der das von ihr verlangte, würde sie nie etwas zu tun haben, entgegnete die Frau; er müsse sie gut genug kennen, um das zu wissen.

Wie er an seine Gegner in Schwaben dachte, erhitzte sich Besold und drang mit noch einmal aufflackernden Kräften auf seine Frau ein.

Wenn sie dächte, sagte sie mit gefalteten Händen und unter strömenden Tränen, daß sie, nachdem er sie verlassen haben würde, auch ihren alten Herrgott nicht mehr haben sollte, der sie treu durch ihr ganzes Leben geführt hätte, so müsse sie ganz verzweifeln und hätte im Himmel wie auf Erden keine Heimat mehr.

Besold bat sie um Gottes willen, nicht zu weinen; er könne sie durchaus nicht weinen sehen, das wisse sie ja. Nein, er wolle ihr nicht noch mehr Schmerz bereiten, sie habe ihm ja schon so viel zuliebe getan. Wenn sie es nicht freiwillig könne, so wolle er sie nicht bedrängen. Mit Gott habe es ja auch ein ganz anderes Wesen, als sie alle dächten, es habe der eine diesen und der andere einen anderen Gott, und über allem, was man erkennte und glaubte, sei Gott immer der eine und derselbe. Das Herz tue ihm weh, daß sie im Bekenntnis nicht wie in allem anderen beieinander wären; er wolle sich aber darein finden, sofern sie ihm nur verspräche, wenn er denn sterben müßte, seiner eingedenk zu sein und das Kind so aufzuziehen, daß es ihn lieb behielte.

Nach Besolds Tode beschlossen die Jesuiten, die Witwe auf dem Wege der List zu bekehren, da sie der Überredung nun einmal nicht hatte nachgeben wollen. Sie erkundeten, zu welcher Zeit die trostlose Frau das Grab ihres Mannes zu besuchen pflegte, und veranstalteten mittels eines hinter dem hohen Grabstein versteckten jungen Burschen einen Spuk, den die frühe Dämmerung des Septemberabends begünstigte. Die Trauernde vernahm, als sie weinend und betend neben dem Hügel kniete, einen langgedehnten Seufzer, der aus einem in Qualen sich windenden Herzen zu kommen schien. Sie schrak zusammen und sah sich um; neben ihr war die kahle Mauer der Kirche, eine schreckhafte Masse, wie wenn ein urweltliches Ungeheuer auf dem Bauche läge und versteinerte, auf der anderen Seite Denkmäler, an denen Kränze und trübe brennende Lämpchen hingen. Kein Blatt wisperte und kein Fußtritt raschelte, nur der gespenstische Seufzer hauchte durch die fröstelnde Öde.

Mit klopfendem Herzen horchte sie und vernahm nun deutlich ihren hingeseufzten Namen, was ihre Ahnung bestätigte, daß das Zeichen ihr gölte und von ihrem Manne käme. Sie raffte sich entsetzt auf und eilte nach Hause; aber am anderen Tage überwog die Sehnsucht, mit dem Verstorbenen in Verbindung zu treten, den Schrecken, und sie suchte den Kirchhof zur selben Stunde wieder auf, wo denn auch die überirdische Anrufung sich wiederholte.

Da die Frau in Ingolstadt weder Verwandtschaft noch Bekanntschaft hatte, konnte sie es nicht unterlassen, ihr Erlebnis dem Jesuitenpater anzuvertrauen, der ihren Mann so oft besucht hatte und nach seinem Tode häufig zu ihr kam, um ihr mit Trost, Rat und Tat beizustehen. Daß das Seufzen und Anrufen, äußerte sich dieser, von ihrem Manne herrühre, leide kaum einen Zweifel. Man habe schon oft ähnliches erlebt, wie denn erst kürzlich das Grab eines gewissen Mannes stets von einem schwarzen Vogel umkreist worden sei, bis die Witwe den Einfall gehabt hätte, eine Schuld zu zahlen, mit der der Verstorbene im Rückstande gewesen wäre; seitdem habe sich das verdächtige Vögelein nicht mehr blicken lassen. Sie solle doch gehörig nachdenken, ob etwas auf dem Gewissen ihres Mannes läge, weswegen er keine Ruhe im Grabe finden könnte. Die Frau dachte daran, daß Besold wohl wegen seines Abfalls Ursache zur Reue hätte und weil er den österreichischen soviel schwäbisches Klostergut in die Hände gespielt hatte; aber gleichzeitig lag ihr das letzte lange Gespräch mit ihm im Sinn, als er so traurig und herzlich gesagt hatte, er wolle sie nicht ferner quälen, wenn sie ihn nur lieb behielte. Es wollte ihr jetzt scheinen, als sei sie hartherzig gewesen, daß sie ihn ohne Trost und sichere Aussicht auf dereinstige Wiedervereinigung hatte sterben lassen. Ach, und was sollte ihr selbst die himmlische Seligkeit nützen, wenn sie dieselbe getrennt von ihrem lieben Manne genießen sollte? Hatte nicht Gott selbst den Ehefrauen geboten, ihre Herren über alles zu lieben und ihnen in allen Dingen nachzufolgen?

Die Unterweisung des katholischen Priesters, um die sie nun nachsuchte, leuchtete ihr zwar nicht sonderlich ein; aber gerade die Größe des Opfers lockte sie, weil sie um so mehr Erfolg zu verheißen schien, und so vollzog sie nach einiger Zeit den Übertritt, womit das seltsame Seufzen am Grabe denn auch ein Ende nahm.

*

In seinem Quartier in Pontarlier saß Guébriant am Fenster und las eine soeben erhaltene Instruktion, nach welcher er schleunig dazu schreiten sollte, Herzog Bernhard zur Übergabe Breisachs an Frankreich zu veranlassen; immerhin so, daß seine Empfindlichkeit möglichst geschont und seine Anhänglichkeit an den König erhalten bliebe. Als der Graf gelesen hatte, schob er das Schreiben in ein Taschenbuch und seufzte; dann zog er einen kleinen Handspiegel aus der Tasche, ordnete seine Locken und zupfte gedankenlos an dem schwarzen Pflästerchen, das er über einer vor Jahren empfangenen Wunde auf der Wange trug. Der Auftrag war ihm außerordentlich zuwider; denn er wußte gewiß, daß er Bernhard dadurch reizen, und ahnte, daß er ihn nicht würde beeinflussen können. Hatte Bernhard sich auch nie deutlich darüber ausgesprochen, so stand es doch über jedem Zweifel, daß er Breisach für sich selbst erobert hatte; so kämpfte niemand um eine Braut, die er für einen andern freite. Guébriant dachte an den vergangenen Herbst zurück, als an den Schanzen gebaut und um die Schanzen gestritten wurde, Bernhard fieberkrank in Kolmar lag und von dort aus das große Werk mit seinem leidenschaftlich gespannten Geist beherrschte. Während sein Körper jämmerlich hingestreckt mit dem Tode rang, stand sein Wille wie ein Adler über dem furchtbaren Bollwerk, das er sich unterwerfen wollte. An jenen Oktobertag dachte Guébriant, als die zu einem unerwarteten Überfall vereinigte kaiserliche Macht heranrückte, die vordersten Schanzen eroberte und schon die große Schiffbrücke bedrohte, mit welcher der Zugang zur Festung in die Hände des Feindes gefallen wäre: wie er, von der Not des Augenblicks ergriffen, in seine Truppen drang, zur Verteidigung der Brücke anzurücken, wie sie sich weigerten, wie er mahnte und drohte, seine Offiziere bestürmte, und wie plötzlich Bernhard in ihrer Mitte erschien, alles mit sich reißend auf die Brücke sprengte und unerschüttert zwischen geschlachteten Opfern den Sieg auf seine Seite riß. Unvergeßlich stand sein Bild vor ihm, wie er ihn an jenem Abend begrüßte: sein Gesicht war fahl, sein Auge wie von schwarzen Flören umwunden, das lange Haar klebte ihm an den Schläfen, und die Hand, mit der er das Spitzentuch an die Stirn führte, um sie zu trocknen, zitterte. Was er selbst Wunderbares geleistet hatte, schien er kaum zu wissen, anstatt dessen rühmte er Guébriants Tapferkeit und die Bundestreue, mit der er seine widerstrebenden Völker zur Schlacht geführt hatte.

Ein Gefühl der Befriedigung kam allmählich über Guébriant; er hatte sich in der Tat so gegen Bernhard benommen, wie ein Edelmann sollte, und wenn Bernhard war, wie er ihn einschätzte, mußte er ihm ebenso begegnen. Bernhards verborgene Absichten durchschauend, die den gerechten Wünschen seines Königs entgegengesetzt waren, hatte er ihn doch stets mit Hintansetzung seiner eigenen Bequemlichkeit unterstützt und wie einen ergebenen Anhänger Frankreichs behandelt. Seine Feldherrngröße hatte er bewundert, ohne Neid zu empfinden oder sich durch Eitelkeit täuschen zu lassen; er hatte gezeigt, daß er, von allen zufälligen Umständen absehend, den Menschen schätzen konnte. Wenn nun der Augenblick da war, wo er in der Beschränkung seines Amtes auftreten und die Pflicht eines Vasallen des Königs ausüben mußte, würde Bernhard so kleinlich sein, ihn deshalb weniger hoch zu achten? Er richtete sich gerade auf und entschloß sich, ohne Zögern fest in die Dornen zu greifen; hatte er doch gewußt, als er den Rhein überschritt, daß dies ein stygischer Fluß für ihn war, der ihn, vielleicht für immer, von Frankreich, dem Heimatlande der Sonne und der Freude, abschnitt.

Der Herzog saß, als Guébriant bei ihm eintrat, in seinen Mantel gehüllt an einem Tisch und schrieb. Die Sonne sei noch gar zu winterlich, sagte er, es fröstele ihn durch und durch. Aber auch Guébriant sehe leidend aus; ob er von seiner Krankheit noch nicht ganz wiederhergestellt sei?

Davon wollten sie nicht reden, antwortete Guébriant; er hoffe es bald überwunden zu haben und schäme sich, wenn er sähe, wie unermüdlich Bernhard trotz seiner angegriffenen Gesundheit wäre. Es erscheine ein Wunder, wenn man den erbärmlichen Zustand Breisachs nach der Eroberung gesehen hätte, wie es sich jetzt wieder regte und schöner aufblühte. Das sei die Frucht von Bernhards einsichtigen Mühen. Was dabei störe und betrübe, sei nur der Gedanke, der aufgewandte Fleiß könne am Ende noch dem Feinde zum Vorteil gereichen.

Was Guébriant damit sagen wolle? fragte Bernhard, die Stirne runzelnd. Ob er ihn nicht Manns genug erachte, Erobertes festzuhalten?

O ja, das traue er ihm wohl zu, sagte Guébriant mit einem leisen Anflug von Spott. Aber der Mensch und zumal der Soldat stehe in Gottes Hand. Sollte Bernhard ein Unglück zustoßen, was Gott verhüten möge, so sei keine Vorsorge getroffen, daß Frankreich das Elsaß schützen könnte. Ohne Frage würde der Habsburger in solchem Falle Breisach sofort wieder an sich zu bringen suchen. Wer es dann verteidigen sollte?

Er habe das Vertrauen zu Gott, sagte Bernhard, daß er ihn zum Wohle Deutschlands und des Evangeliums noch einige Zeit werde leben lassen. Sollte er ihn aber abrufen, so liege die Pflicht, Breisach zu schützen, seinen Erben ob.

Nach einer Pause, während welcher Bernhard von Guébriant abgewendet aus dem Fenster sah, begann dieser, er könne sich dem Eindruck nicht verschließen, daß Bernhard dem Könige weniger ergeben sei als früher, und es würde ihn außerordentlich schmerzen, wenn Bernhard die Bande zu lösen beabsichtige, die ihn an Frankreich knüpften. Ob Bernhard vergessen habe, wieviel Dienste der König ihm geleistet, wieviel Opfer ihm gebracht hätte?

Nein, sagte Bernhard, noch auch diejenigen, die er gebracht hätte.

Ob er glaube, fuhr Guébriant fort, inskünftig der Hilfe des Königs entraten zu können?

Nein, er glaube es nicht, sagte Bernhard einlenkend, und habe auch nicht im Sinn, sich von dem Könige zu trennen, hoffe vielmehr, daß die erfochtenen Siege die bestehende Verbindung befestigen würden. Dem Könige solle sein Kampf um die Freigrafschaft zugute kommen. Gäbe er diese in die Hand des Königs, so rechne er darauf, daß der König dagegen ihm das Elsaß, auf das er Anspruch hätte, nicht antastete.

Der König denke nicht daran, Bernhards Rechte verkürzen zu wollen, sagte Guébriant, und nach dem Vertrage sei sein Recht auf die Einkünfte aus dem Elsaß unzweifelhaft. Anders verhalte es sich, wie er berichtet sei, mit den Hoheitsrechten und mit der Festung Breisach, die nicht im Elsaß begriffen sei.

Wäre das Recht des Vertrages zweifelhaft, warf Bernhard rasch ein, so hätte er doch das Recht der Eroberung. Was er mit seinem Heer eroberte, wolle er mit seinem Heer festhalten.

Guébriants hübsches, feingeformtes Gesicht errötete. »Das Heer ist dessen, der es bezahlt«, sagte er in höflichem Tone.

Bernhard fuhr zornig in die Höhe. Nicht auf das Heer komme es an, sondern auf des Heeres Herrn, und der sei frei, ein Fürst des Reichs, der von niemandem, nicht einmal vom Kaiser, Befehle annähme.

Ein Ausdruck ablehnender Mißbilligung glitt über Guébriants Gesicht, aber seine Haltung und Rede blieben unverändert verbindlich. Niemand erkenne freudiger an, was für ein Held Bernhard sei, als der König, sagte er. Der König beklage es lebhaft, daß Bernhard nicht nach Paris gekommen sei, denn er hätte ihm seine Freundschaft zu beweisen gewünscht. Dem König liege es am Herzen, Bernhards Wohl zu befördern. Er könne nicht begreifen, warum Bernhard, der Erbe der alten sächsischen Kurfürsten, sich mit Lorbeerkränzen begnügen wollte, da er doch das älteste, das heiligste Diadem der Christenheit auf sein Haupt setzen könnte.

Bernhard legte sein blasses Gesicht in die Hände. »Sie vergessen,« sagte er, »daß ich evangelisch bin.«

Ach nein, sagte Guébriant, er müsse oft daran denken. Der König habe mit Schmerz erfahren, wie hart Bernhard gegen die Katholiken in Breisach verfahren sei. Viele Bürger, die schuldlos ihrer Ämter entsetzt wären, hätten sich mit bitterer Klage an den König als an ihren natürlichen Beschützer gewendet. Schon um der Religion willen, zu deren Schutz der König nach uraltem Herkommen verpflichtet sei, müsse er eine Obhut über Breisach und das Elsaß beanspruchen. Wäre der Dank zu groß dafür, daß der König Bernhard den Weg zur erhabensten Höhe im Reich zu ebnen geneigt sei?

Das wäre ein trauriger Kaiser, sagte Bernhard bitter, der damit anfinge, das Reich zu verhandeln.

Es sei niemals unziemlich, entgegnete Guébriant, Verträge einzuhalten und Freundschaft mit Freundschaft zu erwidern.

In Bernhards Gesicht zuckte es, und seine Finger spielten krampfhaft mit seiner Feder. »Es gibt keinen Vertrag und keine Freundschaft,« stieß er hervor, »in deren Namen ein Fürst seine Ehre opfern müßte.«

Guébriant trat einen Schritt zurück, und seine Nasenflügel weiteten sich in verhaltenem Befremden, das an Verachtung streifte. Auf seiner Zunge lag die Frage, ob denn das fürstliche Ehre sei, Geld anzunehmen und die bedungene Ware nicht zu liefern? Allein er schwieg, indem er erwog, daß er seinem Könige einen schlechten Dienst leisten würde, wenn er ihm Bernhard ganz entfremdete, und daß er deshalb jetzt nicht weiter in ihn dringen dürfe. Nach seinem Dafürhalten war es nicht ausgeschlossen, daß Bernhard, lieber als daß er das Elsaß an Frankreich auslieferte, sich den Schweden in die Arme würfe oder gar mit dem Kaiser aussöhnte. Es entging ihm nicht, wie viele Verbindungen Bernhard heimlich unterhielt: er stand mit der Landgräfin von Hessen, mit deren General Melander, mit der pfälzischen Familie, mit Arnim in Briefwechsel und plante mit ihnen neue Kombinationen. Ja, es war zu merken, daß er nicht mehr der geschlagene, flüchtige, arme Soldatenführer, sondern daß er mit französischem Gelde ein glücklicher Eroberer geworden war. Auch Gustav Adolf hatte einmal einem französischen Gesandten plump ins Gesicht gesagt, er solle seinen Herrn daran erinnern, daß er König und daß er siegreich sei; und die damals gemachten Erfahrungen wiederholten sich nun mit dem Herzog von Weimar: das französische Gold lockte die Barbaren und machte sie geschmeidig, solange sie seiner bedurften; waren sie dadurch mächtig geworden, so kehrten sie sich zähnefletschend gegen den lästigen Gläubiger.

Dennoch konnte Guébriant dem Herzoge nicht zürnen. Wie zwei heimatlos irrende Geister, die unendlichen Gram empfinden und einflößen, hatten ihn die aus seinem kranken Gesicht herausbrennenden Augen angesehen. Der Unglückliche hatte sich verstrickt, und die Bande würgten ihn, je mehr er daran zerrte. Wie konnte er ihn dahin bringen, einzusehen, daß ihn nicht nur die wahre Pflicht, sondern auch der wahre Vorteil mit Frankreich einten? Warum zögerte er, sich dem Könige ganz hinzugeben, dem mächtigsten und erlauchtesten Monarchen der Erde? Warum begriff er nicht, daß es rühmlicher für ihn wäre, dieses Monarchen Diener zu sein als der ungebundenste Fürst dieses wüsten, versoffenen, verschlemmten Reiches?

*

Im Dorfe Grünwald an der Isar brachen Soldaten ein Häuschen ab, dessen Bewohner an der Pest gestorben waren, schleppten Bretter und Balken an den Rand eines Feldes, wobei ihnen die Bauern behilflich sein mußten, und zündeten Feuer an, um sich zu wärmen; denn es war ein kühler Abend. Der grauweiße Frühlingshimmel flog über der Hochebene wie das geblähte Segel eines vom Winde getriebenen Schiffes; weithin ragte nichts aus der stillen Fläche als der spitze, ein wenig schiefe Kirchturm des Ortes und die schwebenden Kuppeln der noch unbelaubten Linden. In einer Gruppe von Lagernden wurden Igel am Spieße gebraten und die Kinder gelobt, die die Tiere gefangen hatten; auch Rüben hatten sie noch gefunden, aber sie hatten weit, fast bis an die Grenze der Stadt München, danach suchen müssen. Es wäre gut, sagte eine Frau, daß es morgen weiterginge, sonst würden sie hier Erde fressen müssen, obwohl sie doch keineswegs nackt und bloß wären. Sie zum Beispiel besäße wertvolle, mit Edelsteinen besetzte Ohrringe und silberne Beschläge, die ihr Mann in Landsberg von einem Buche losgerissen hätte. Sie hätten damals wegen des Buches gezankt; denn aus Lust an den Bildern, die darin gewesen wären, hätte sie es gern mitnehmen wollen; aber später, als sie kein Pferd mehr gehabt hätten und sie den schweren Band selbst würde haben schleppen müssen, sei sie zufrieden gewesen, daß er es weggeworfen hätte.

Mit Büchern sei es ihm auch einmal übel ergangen, erzählte ein Soldat, nämlich in Memmingen, wo er mit anderen ein Kloster geplündert hätte. Seine Kameraden wären zuerst in die Keller und Vorratskammern gelaufen, er dagegen sei in die Bibliothek geraten; denn weil er ein Lehrersbub sei und auch lesen könne, habe er eine Vorliebe für das Bücherwesen. Wie er das eine und andere Buch aufgemacht hätte, sei ihm eins mit schönen Heiligengeschichten vorgekommen, darin habe er zu lesen angefangen und Ort und Stunde vergessen, bis die Zeit um gewesen sei und die Soldaten zusammengetrommelt worden wären. Da habe er das schwere Buch aufgepackt, um seiner Frau wenigstens etwas mitzubringen, und habe es lange mitgeschleppt, bis sie einmal bei der großen Kälte ein Feuer damit gemacht hätten. Seine Frau habe dazumal nicht wenig geschimpft wegen der Eselsbeute.

Er brächte auch immer das Geringste, sagte die Frau grollend. Sie habe es sich lustiger gedacht, ein Soldatenweib zu sein. Niemals habe sie Ketten und Ohrringe, wie andere, zu sehen bekommen.

Dafür brächte er ihr auch keine Schläge heim, entschuldigte sich der Mann. Ja, dann wäre es kein Wunder, wenn seine Frau ein loses Maul hätte, lachte ein anderer, sie würde ihm auch schwerlich treu bleiben. Weiber wollten geprügelt sein, eine schwere Faust tue einem Weib wohler als ein schönes Gesicht. Überhaupt könne ohne Prügel keine Ordnung und kein großes Werk bestehen, das habe er eingesehen, als er unter dem Gallas gedient hätte, und sei auch deshalb davongelaufen. Da habe jeder getan, was ihm beliebt hätte, gesoffen, gehurt, gespielt, gehext, und der Profos habe alles mitgemacht. Einmal wären sie in der Nähe von Amberg zu zwanzig als Salvaguardia in ein adliges Haus geschickt, wo sie auch gut empfangen und bewirtet worden wären. Um Mitternacht, als alles in den Betten gewesen wäre, hätten sie das Schloß ausgeplündert und dann in Brand gesteckt, daß es mit Mann und Maus zu Asche verbrannt wäre. Es wäre eigentlich ein Schelmenstück gewesen und hätte ihn gereut, als er das Geschrei der brennenden Kinder gehört hätte; aber er habe sich's nicht merken lassen dürfen. Die Hauptleute hätten ihren Anteil erhalten, und so sei die Missetat unbestraft geblieben. Er habe ein kleines goldenes Kruzifix bekommen und trage es seitdem auf der Brust zur Buße.

Ja, jetzt treibe man's liederlich, sagte ein alter weißhaariger Mann. Er sei vor vierzig Jahren unter Schwarzenberg in den Türkenkriegen gewesen, da sei es anders zugegangen. Wenn einer des Abends um acht Uhr nach der Trommel nicht im Lager gewesen sei, so habe der Profos ihn aufgeknüpft, ohne weiter zu fragen. Der Profos sei ein krummes, mageres Männlein, aber stark gewesen; er habe sich auf die Schwarze Kunst verstanden, Mittel gegen alle Schmerzen und Wunden gewußt und seinen Lieblingen umsonst davon ausgeteilt. Er habe weit über hundert Jahre auf dem Buckel gehabt und die großen Schweizerkriege unter dem alten Kaiser Maximilian mitgemacht, wovon er ganze Nächte lang wunderliche Geschichten erzählt hätte. Dieser Profos habe eine gewaltige Hakennase mit weiten Nasenlöchern gehabt, in denen habe er eine Spinne gezogen, die sei ganz zahm gewesen, und wenn er eine Fliege oder Mücke auf die Backe gesetzt hätte, sei sie aus ihrer Höhle gekrochen, um das Futter zu holen. In den Mußestunden habe er Salben und Tränke und Amulette zubereitet, wozu er auch Menschenknochen und Menschenhaut gebraucht hätte, und wenn sein Kram ihm ausgegangen wäre, habe er frisch ein paar Kerle herausgegriffen und aufgehängt; man habe ihn aber zu sehr gefürchtet und geliebt, um sich gegen ihn aufzulehnen.

Es gäbe auch jetzt noch solche, die sich das Leben verlängern könnten, sagte ein Soldat; aber es gehe gefährlich und in Teufels Namen dabei zu, sei auch wider Gottes Gebot. Er wurde bestürmt, sich näher darüber auszulassen, als die Aufmerksamkeit durch einen Bauer abgelenkt wurde, der sich durch das Lager schlich. Man ergriff ihn und fragte ihn, wohin er wolle? Er sei vom Pfluge weggelaufen, das gehe nicht an, er müsse arbeiten, bis das Feld umgeackert sei.

Der andere sei umgefallen und habe Krämpfe bekommen, sagte der Bauer, werde jetzt schon hin sein. Er allein könne es nicht schaffen, da er ja auch kein Vieh hätte.

So solle er wenigstens den Toten forttragen, sagten die Soldaten.

Das sei des Totengräbers Sache, erwiderte der Bauer, er rühre keine Pestleiche an.

Einer fragte lachend, warum er so heikel sei? Wenn er sich auf die Erde legte, würden die Würmer gewiß auch an ihn gehen.

Nun freilich, sagte eine mitleidige Frau, ob sie nicht sähen, daß der arme Mensch verhungert sei? Man solle ihm einen Schluck Bier und eine Rübe geben, so werde er wieder arbeiten können.

Während der Bauer verschlang, was ihm gereicht wurde, schalt ein Soldat, wenn die Lumpenhunde merkten, daß sie noch etwas hätten, würden sie der Bettler nicht loswerden. Übrigens könne es ihnen gleich sein, ob das Feld gepflügt würde oder nicht, da sie abzögen; etwa käme es sogar noch dem Feinde zugute.

Der Ort war so verpestet und verarmt, daß, als nach einigen Tagen das Regiment aufbrach, auch die Kränksten sich mitschleppten, um nicht im Dorfe dem Hunger oder der Seuche anheimzufallen. Nur einer, dem im Winter beide Füße abgefroren waren, mußte in seinem Quartier bleiben, einer winzigen Hütte, deren Besitzer vor Monaten gestorben war. Die Witwe, eine hagere, gebückte, schweigsame Frau, hatte ihm das Bett ihres Mannes überlassen und ihn, so gut sie konnte, verpflegt, wofür er sich dankbar erwies, indem er ihr nach Kräften, an zwei Krücken hinkend, bei der Arbeit half, auch ihren Kindern etwas Lesen und Schreiben beibrachte. Nachdem das Regiment fort und kein Arzt und keinerlei Unterstützung mehr zur Hand war, starb er zum Kummer der Frau, die einen gutmütigen Gehilfen an ihm verloren hatte. In Abwesenheit der Kinder zerhackte sie den Leichnam, machte ein Feuer und briet ein Stück, um es mit den ausgehungerten Kindern zu verzehren, wenn sie heimkämen. Das übrige vergrub sie schweren Herzens unter der Regentonne.

*

Um die Mitte des Juni kam Herzog Bernhard nach Pontarlier, um die endgültige Unterredung mit Guébriant zu haben, die doch einmal stattfinden mußte. Erlach schrieb ihm aus Paris, daß seine Sendung nicht nach Wunsch verlaufe. Man bestehe auf der Oberhoheit über Breisach sowohl wie über alle von Bernhard noch zu machenden Eroberungen in Deutschland; davon werde alles abhängig gemacht. Bernhards Absicht, über den Rhein und an die Donau zu gehen, finde keinen Beifall, man habe nicht dazu Geld hergegeben. Er, Erlach, habe sich nur mit der Ausflucht helfen können, daß er über die betreffenden Punkte nicht instruiert sei. Für seine Person werde er mit Liebenswürdigkeit überhäuft und habe keinen Vorwand mehr gefunden, die Pension, die ihm aufgedrungen werde, zurückzuweisen. Daß Bernhard nicht nach Paris gekommen sei, habe Enttäuschung und Argwohn erregt. Guébriant sei neuerdings beauftragt, Bernhard dahin zu beeinflussen, daß er ihn, Guébriant, als Gouverneur nach Breisach setze, indem man darauf rechne, er könne es seinem Waffengenossen und Freunde nicht abschlagen; doch habe Guébriant Befehl, es nicht zum Bruche kommen zu lassen.

Auch von Hugo Grotius, dem Vertreter der schwedischen Interessen in Paris, erhielt Bernhard einen Hinweis auf die eigennützigen und verderblichen Absichten der französischen Regierung. Es sei ein Glück, schrieb dieser, daß Bernhard nicht nach Paris gekommen sei; wenn der französische Weihrauch ihn nicht betäubt hätte, so hätte leicht ein französischer Dolch der Schere der Parze zuvorkommen können. Nicht nur das Deutsche Reich, die ganze evangelische Christenheit blicke hoffend und vertrauend auf ihn; er sei berufen, den großen Gustav Adolf zu rächen und die Freiheit des Nordens auf sicheren Fels zu gründen.

So war denn für Bernhard der Augenblick gekommen, wo er die Maske abziehen und seinem gefährlichen Beschützer das freie Gesicht zeigen mußte. Jener hatte die Löwenaugen schon blitzen gesehen und sich doch immer noch so angestellt, als liefe ihm ein treuer Jagdhund nach. Die Enthüllung wäre beglückend gewesen, wenn Bernhard Frankreichs nicht bedurft hätte; aber gerade jetzt, wo er einen großen entscheidenden Schlag wagen, Regensburg zurückerobern, den Kaiser herausfordern wollte, brauchte er französisches Geld.

Noch nie war er so erbittert gegen die evangelischen Fürsten gewesen, die nach seiner Meinung an diesem Verhängnis die Schuld trugen. Wäre er wenigstens Hessens und Lüneburgs sicher gewesen, so hätte er vielleicht Frankreich entbehren können. Sowie er in Pontarlier angekommen war, beglückwünschte er Banér wegen seines bei Chemnitz erfochtenen Sieges und fuhr dann fort: Er habe Banérs Vorwurf wohl verstanden, als habe er ihn im vergangenen Jahre nicht unterstützt und den Feind auf ihn abgewälzt; aber sein Gewissen spreche ihn frei, und wenn Banér bekannt wäre, mit was für Fratzen er sich hätte schlagen müssen, würde er vielmehr Mitleiden mit ihm tragen. Jetzt wolle er aller Welt sein aufrichtiges Gemüt zeigen, sein Herz schlage voll Ungeduld, mit Banér vereint etwas Entscheidendes zu unternehmen.

Dann schrieb er an die Landgräfin von Hessen: Die letzten von ihr empfangenen Nachrichten hätten ihn enttäuscht. Auf sie, die aus der Sündflut dieses Kriegs stets unerschüttert wie der heilige Berg Ararat gestiegen wäre, hätte er zuversichtlich gebaut; sollte es nun dahin gekommen sein, daß die Klagen der Feigen und Falschen, die nur ihr Privatwohl bedächten, ihr Herz erweicht hatten? Er begreife der Landesfürstin Sorge um ihr Land, das viel gelitten und geopfert hätte; es sei jedoch des Christen Natur, lieber alles Irdische als das höchste Gut verlieren zu wollen. Um Gottes und des Vaterlandes willen bitte er sie, sich nicht jetzt aus dem Kampfe zurückzuziehen, nun der Siegespreis endlich winke.

Er bedachte sich, ob er einige Worte hinzufügen sollte, die auf eine etwaige eheliche Verbindung zwischen ihm und der seit zwei Jahren verwitweten Landgräfin Bezug hätten; aber nachdem er eine Weile unschlüssig auf das Papier gestarrt hatte, faltete er es zusammen und petschierte es, ohne die Angelegenheit berührt zu haben.

Melander, dem hessischen General, dankte er für Versicherungen der Verehrung und Dienstfertigkeit. Auch er, Bernhard, hege Bewunderung für Melanders Taten und verspreche sich Großes von ihrem Zusammenwirken. Was Melander von einer dritten Partei im Reiche für Gedanken habe, komme ihm tiefsinnig und wichtig vor, nur halte er dafür, daß es noch verfrüht sein würde, sich auf Defension zu beschränken. Derlei Vermittelung könne leicht auf einen neuen Prager Frieden hinauslaufen, wodurch dann das Vaterland dem gemeinen Feinde in die Hände gespielt würde. Erst müsse das edle Kleinod der Freiheit erkämpft sein, dann werde der Friede von selber folgen, wie alles Leben dem Lichte nachstrebte.

Noch schrieb er an die Kurfürstin-Witwe Elisabeth von der Pfalz im Haag, damit sie ihren Bruder, den König von England, zu einer Geldhilfe vermöchte. Wenn sein Feldzug glückte, so schrieb er dem Kurprinzen Karl Ludwig, hoffe er ihn in sein Land wieder einsetzen zu können und würde dafür die Abtretung größerer pfälzischer Gebietsteile fordern, die sein neues Reich am Rhein abrunden sollten.

Die Feder lief nicht schnell genug für das Ungestüm von Bernhards Wünschen und Hoffen. Die Höhe des Sommers war bald erreicht, es mußte schnell gehandelt werden, wenn die Aufgabe dieses Jahres erfüllt werden sollte. In vier Wochen mußte der Rhein überschritten, womöglich die Vereinigung mit Banér vollzogen sein. Banér war herrisch, unlenksam, hochfahrend; aber solange ihr Wille auf das gleiche Ziel gerichtet war, würde das nicht stören. Dann würde er die alte Spur wieder betreten, die unheilvolle, die er als ein verhüllter Bettler, vom siegreichen Feinde aus dem Reiche gedrängt, gezeichnet hatte; aber jene auch, auf der er Regensburg erobert hatte.

Es schien ihm, als wäre er damals, vor sechs Jahren, noch jung und unerfahren gewesen. Wohl hatte er schon Entbehrungen, Enttäuschungen und Verluste erlitten gehabt; aber es war Frieden in seiner Brust gewesen.

Die Stunde war da, wo er diesen Frieden wiedergewinnen würde; ging er beherzt in den letzten schweren Kampf, so würde Gott ihm beistehen. Allen Angriffen, Vorwürfen und höflich eingekleideten Drohungen Guébriants setzte er die Erklärung entgegen, daß er das Elsaß mit Breisach als unbeschränktes Eigentum betrachte und sich auch in der testamentarischen Verfügung über die Nachfolge nicht binden lassen werde. Dazu verlangte er noch eine beträchtliche Erhöhung der französischen Hilfsgelder. Zwar beteuerte er mündlich und schriftlich gegen Guébriant seine treue Anhänglichkeit an den französischen König, doch verstand dieser des Herzogs Willen deutlich und meldete die wesentliche Veränderung in Bernhards Worten und Ton nach Hause. Richelieu geriet in Verlegenheit und vermochte nicht sofort einen Entschluß zu fassen. Verzichten wollte er nicht auf den Kampfpreis; aber war es klug, jetzt einen Bruch herbeizuführen, wo Bernhard siegreich und vergleichsweise mächtig war, wo er, wie man in Paris wohl wußte, Verbindungen mit Schweden und verschiedenen evangelischen Fürsten angeknüpft hatte? Ging man hingegen auf seine Forderungen ein, was würde die Folge davon sein? Würde die Vorsehung Frankreich ein zweites Mal im rechten Augenblick von einem undankbaren Schützling befreien?

*

Als Bernhard am 8. Juli neben Guébriant in Pfirt einritt, begrüßte ihn die ausschweifende Verehrung des Volkes. Ein festlich gekleidetes Kind überreichte ihm einen Becher mit Wein, empfahl die Stadt seiner Huld und nannte ihn einen Gottgesandten. Wohin er kam, lagen Menschen auf den Knien, hoben die Hände zu ihm empor, lobpriesen seine Taten oder flehten ihn um Schonung vor der soldatischen Ausgelassenheit an. Es gefalle ihm nicht, daß sie vor ihm knieten, bemerkte Bernhard gegen Guébriant; und indem er das aussprach, fiel ihm plötzlich ein, wie er neben Gustav Adolf durch das Tor von Naumburg geritten war und wie der König zu ihm gesagt hatte, er besorge, die übermäßige Verehrung des Volkes zeige seinen nahen Tod an. Er erinnerte sich, mit welcher Empfindung er den glorreichen Fremdling betrachtet und wie er gedacht hatte, es müsse leicht sein zu sterben, wenn man sich einmal am Ruhm gesättigt hätte.

Bernhard senkte den Kopf und verfiel in Gedanken. Hatte er Ursache, sich mit Gustav Adolf zu vergleichen? Daß Gott dem nordischen König Halt geboten hatte, war Weisheit und Voraussicht gewesen; denn ein grauenvoller Kampf hätte sich entspinnen müssen zwischen den Befreiten und dem Befreier, wenn dieser das Tyrannenhaupt enthüllte. Mit ihm war es etwas anderes: er wollte sein Vaterland nicht unterjochen, sondern es frei und groß machen. Was könnte Gott veranlassen, ihn abzurufen, bevor er das heilige Werk vollendet hätte?

Rosen, einer von des Herzogs Adjutanten, drängte sich an ihn und flüsterte ihm zu, die Pest herrsche in dem verdammten Neste, Bernhard solle es um Gottes willen schleunig verlassen. Nähme er hier Quartier, so würde sich die Seuche dem einen oder andern anhängen und wäre dann schwer wieder loszuwerden.

Das würde allerdings um so verdrießlicher sein, sagte Bernhard, als das Heer in so gutem Stande wäre, wie er es kaum je gehabt hätte. Es solle nachdrücklicher Befehl erlassen werden, daß die Truppen innerhalb der Stadt nicht rasteten; er habe ohnehin Eile, weiterzukommen.

Von Pfirt aus ging das Heer auf geradem Wege nach Neuenburg, um dort den Rhein zu überschreiten, Bernhard mit kleinem Gefolge nach Hüningen, wo er die Schanzen besichtigen wollte.

Da es seit einigen Wochen nicht geregnet hatte, war die Landstraße sehr trocken; die Blätter der Apfelbäume, die sie besäumten, waren grauweiß vom Staube. Unablässig schlugen die Pferde mit den Schweifen nach den Bremsen, die sie umflogen oder auf ihrer zuckenden Haut saßen.

Es weissage nichts Gutes, von Verstorbenen zu träumen, sagte Bernhard plötzlich zum Rittmeister von Starschedel.

Er sei kein Traumausleger, antwortete dieser; aber freilich halte er es auch immer mit den Lebenden. Von wem der Herzog denn geträumt habe?

Von dem hochseligen König von Schweden, sagte Bernhard; aber es möchte wohl auch davon kommen, daß er kürzlich an ihn gedacht hätte.

Starschedel sagte, der Traum sei doch eher als eine Glücksverheißung anzusehen. Die Erscheinung des großen Königs, dessen Nachfolger Bernhard sei, deute auf Sieg und Ruhm.

Der Traum sei verworren gewesen, erzählte Bernhard; dessen entsinne er sich jedoch genau, daß der König ihm eine Krone hingehalten und daß er danach gegriffen hätte, es sei aber ein tiefes Wasser zwischen ihnen geflossen.

Das sei der Rhein, wo sie jetzt hinüberwollten, sagte Starschedel.

Bernhard schwieg. Der Gedanke an Wasser, sagte er nach einer Weile, habe ihn durstig gemacht. Wenn er den Rhein in einem Becher hätte, möchte er ihn austrinken.

Da ließe sich Rat schaffen, sagte Starschedel; es zeigten sich eben ein paar Dächer, er wolle um Wein schicken.

Nein, nein, sagte Bernhard, er wolle Wasser haben; es grause ihm vor Wein bei der Hitze.

Als das Wasser gebracht wurde, setzte es Bernhard hastig an den Mund; aber nachdem er einen Schluck getrunken hatte, schüttelte es ihn, und er goß es rasch auf die Erde.

Starschedel fragte erschrocken, was es mit dem Wasser auf sich habe? Es sei aus einem Brunnen geschöpft.

Nur warm und widerlich habe es geschmeckt, sagte Bernhard; sonst sei gewiß nichts Unrechtes darin gewesen.

Starschedel lachte. Es habe es ihm auch kein Jesuit oder Franzose kredenzt, sagte er.

Ja, sagte Bernhard nachdenklich, ein so hohes Haupt sei er nun wohl schon, daß es einem Banditen gut bezahlt würde.

Während sie weiter durch die eintönig siedende Ebene ritten, flogen wunderliche Bilder an Bernhard vorüber. Er sah sich vor dem Regensburger Dome, wie Bürgermeister, Räte und Zunftherren mit wehmütig frohen Gesichtern auf ihn zukamen und ihm von den vergangenen Leiden erzählten, sah, wie das Portal sich unter dem Summen der Orgel öffnete und wie das palmenschwingende Volk zurückwich, damit er einzöge. Plötzlich war er nicht mehr in Regensburg, sondern er sah die steifen, vornehmen Häuser Frankfurts, wie sie sich das letztemal seinem gequälten Herzen eingeprägt hatten. Nun ging er auf Teppichen, die den Weg vom Römer zum Dome bedeckten, und die Kurfürsten schritten hinter ihm her, unter ihnen, verdrossen und neidisch, sein Oheim Johann Georg. Er war sich bewußt, daß dies alles Träume waren, die er nur, weil die Hitze ihn lähmte, nicht verscheuchen konnte. Sie schwebte neben ihm und warf im Fluge ihr singendes Schiffchen um ihn, bis ein buntes Gespinst um ihn gewoben war, aus dem er sich nicht befreien konnte. Und wäre es denn so wunderbar gewesen? Oder was wäre ein Wunder bei Gott? Warum sollte es ihm nicht bestimmt sein, die Zeiten Ottos des Großen zu erneuern? Ja, es würde dieser altheilige Name neben dem seinigen erbleichen; denn er würde der Kaiser sein, der die wahre, gereinigte Kirche zur Weltkirche machte, der erste Kaiser, der Gott von Angesicht zu Angesicht sähe.

Ein Schauder überlief ihn, als Starschedel ihn anredete und er plötzlich wieder die grauen, hängenden Bäume und die weiße, dicke Luft sah. Beinah fröstelte ihn; die Hitze schien sich ganz in sein Herz gezogen zu haben und dort sein Blut zu Gift zu kochen.

Bernhard sehe schlecht aus, sagte Starschedel; ob er seine Tropfen nehmen wolle?

Einer seiner Fieberanfälle sei im Anzuge, erwiderte Bernhard, in Hüningen wolle er sich sofort zu Bette legen.

Dort wurde der Zustand des Herzogs so bedenklich, daß die Ärzte erklärten, er müsse nach Breisach geschafft werden, wo er bessere Pflege haben könnte; untereinander äußerten sie sich, es sei keine Hoffnung, er habe wohl die Pest aus Pfirt mitgebracht. Als das Schiff, das ihn den Rhein hinuntertrug, in Neuenburg ankam, wo er bleiben mußte, da Gefahr bestand, daß er sonst unterwegs stürbe, zogen seine Truppen gerade über die Rheinbrücke auf das rechte Ufer. Bernhard, der sie sah, versuchte sich vorzustellen, daß er mit diesen ziehenden Massen etwas sehr Wichtiges zu verrichten hätte, daß er ihnen etwas auftragen, ihnen schleunig folgen müsse; aber sie gingen zu schnell, sie gingen weiter und weiter, sanken tiefer und tiefer, mit verklingenden Trommeln und Pfeifen verschwanden sie in Höhlen und Abgründen. Er blieb allein in der Ewigkeit mit Gott, dem über ihn Geneigten, rings um ihn und grenzenlos nach allen Seiten Ergossenen.

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