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Im Schlosse von Dachstein hatte Guébriant eine lange Unterredung mit seinem Koch; denn das Fest, das er zu Ehren des Herzogs von Enghien zu geben vorhatte, sollte seine, des Vertreters von Frankreich, ruhmvolle Stellung in Deutschland versinnbildlichen und einen außergewöhnlichen Eindruck von Ansehen und Überfluß machen. Damit es etwas Neues für den hohen französischen Gast wäre, sagte Guébriant, müsse das Mahl auf deutsche Art hergerichtet sein, mit prächtigen Schaugerichten als zum Beispiel einem Pfau oder einem Wildschweinskopf und irgendeinem fabelhaften Gebirge aus Süßigkeiten. Der Koch schlug eine Auerhahnpastete vor, über welcher der Auerhahn im vollen Federschmuck aufgestellt wäre, ferner was es in der Umgegend an besonderen Erzeugnissen gäbe; auf die Kosten, sagte Guébriant, dürfe es diesmal durchaus nicht ankommen, da es die Ehre Frankreichs gelte.

Die gedeckte Tafel machte allerdings einen pompösen Eindruck; aber als Guébriant dies mit Genugtuung festgestellt hatte, empfand er, daß etwas fehlte, was das allerwichtigste war, nämlich die festliche Stimmung in seinem Gemüte. Er stellte sich an das Fenster und sah gedankenvoll auf die herbstlich bunten Wälder, die, wie das verschlungene Labyrinth einer Zauberin, eines abenteuernden Ritters zu harren schienen, um ihn für immer zu verstricken. Guébriant machte eine Bewegung, als ob er etwas Schweres von der Brust abwerfen müsse, das ihm den Atem hemmte; was war es denn, was ihn so niederdrückte? War es, daß er sich von der stolzen Landgräfin Amalie Elisabeth als zudringlicher Bettler behandeln lassen mußte, weil er sich ohne eine Verstärkung von tausend Hessen zu schwach im Felde fühlte? Daß er schweigen mußte, wenn Deutsche die Untüchtigkeit der französischen Soldaten verhöhnten? War es Empfindlichkeit, daß Mazarin ihn wegen seiner beständigen Forderungen und Klagen tadelte und ihm Herzog Bernhard als Vorbild aufstellte, der die Kosten der Kriegführung im Feindeslande aufzutreiben gewußt hätte? War es das Heimweh? Aber er konnte sich ja nicht einmal fortwünschen, bevor er diesen Deutschen Krieg, in den er nun verstrickt war, rühmlich zu Ende geführt hatte. Man hatte ihn zum Marschall ernannt und ihn mit Drusus verglichen; man schrieb ihm, daß von ihm allein die Ehre des französischen Namens in Deutschland abhänge; mußte er nicht dem in ihn gesetzten Vertrauen um jeden Preis gerecht zu werden suchen?

Sein Blick fiel auf den Rappen, den Herzog Bernhard ihm auf dem Sterbebette vermacht hatte und der eben zur Schwemme geführt wurde. Der wird auch mich, dachte er, zum ehrenvollen Tode tragen und meinem Sarge in die Heimat folgen. Seine Züge hellten sich dabei auf, und seine Brust wurde leichter: dann würde alles, was dunkel und schwer vor ihm lag, überwunden sein, sein Herz und sein Schwert würden ruhen.

Vielleicht, dachte er jetzt, verstimmte ihn auch die Aussicht, den Grafen Rantzau, Enghiens Generalleutnant und Stellvertreter, empfangen und sich im nächsten Jahre mit ihm vertragen, etwa sogar ihm unterordnen zu müssen. Er konnte die Abneigung gegen diesen prahlerischen Holsteiner nicht unterdrücken und sollte ihm doch einer von Paris aus empfangenen Weisung gemäß besondere Ehre erweisen und die vorauszusehenden Mißhelligkeiten mit den deutschen Obersten, die ihn haßten, ausgleichen.

Die Tätigkeit, die die Vorbereitungen zum Empfange erforderten, zerstreute schließlich den Grafen; wichtiger und schwieriger als das Gastmahl war es, eine befriedigende Heeresschau zuwege zu bringen, die er sich doch nicht nehmen lassen wollte. Von den französischen Hilfstruppen, die ihm nach langem Bitten und Drängen endlich zugeschickt worden waren und die mehr einer Bande von Galeerensträflingen als Soldaten geglichen hatten, die er dann auf eigene Kosten leidlich equipiert hatte, war etwa noch der dritte Teil, jetzt einigermaßen eingeübt, vorhanden. Indem er die aufgestellten Bataillone umschritt, war er unsicher, ob sie jetzt wirklich einen soldatischen Anblick gewährten oder ob er voreingenommen sei, und er versuchte sie mit den Augen der Deutschen zu betrachten. Die grauen Uniformen, die er hatte machen lassen, ließen die Leute allerdings etwas schneidermäßig erscheinen; etwas Heroisches umgab diese Legionen nicht. Nie konnte er ohne Erröten daran denken, wie der erste Anblick dieser französischen Truppen, von denen er soviel Aufhebens gemacht hatte, auf die Deutschen gewirkt hatte. Ob das Regiment, das Enghien mitbrachte, besser sein würde? Er machte sich Mut und hielt, wie er schon oft getan hatte, eine Ansprache an den französischen Teil des Heeres, indem er sie ermahnte, sich dem großen Augenblick, der herannahte, gewachsen zu zeigen. Als er die Begeisterung wahrnahm, die er entzündete, lächelte er. Im ganzen war der Anblick seiner Armee stattlich genug, besonders wenn man bedachte, was er damit ausgerichtet hatte.

Enghien zeigte sich denn auch überrascht und befriedigt und rühmte Guébriants Leistungen in kameradschaftlicher Weise. Guébriant sehe nicht wie ein Atlas aus, sagte er, und habe doch den abscheulichen Deutschen Krieg jahrelang allein auf den Schultern getragen. Er, Enghien, begreife nicht, wie einer das ennuyante Leben aushalten könnte, ohne sich zwischendurch in Paris gründlich schadlos zu halten. Man lebe in Deutschland wie die Schatten im Hades, und es gehöre ein besonderer Geschmack dazu, hier den Achilles zu tragieren.

»Es ist nicht mein Geschmack, sondern meine Pflicht«, sagte Guébriant mit wehmütigem Lächeln.

»Sie sind sehr intelligent«, sagte Enghien und setzte hinzu, er könne Guébriant im Vertrauen mitteilen, daß er bei Hofe in großer Gunst stehe und daß er wahrscheinlich im nächsten Frühling nach Paris zurückgerufen werden würde. Guébriants Herz schlug schneller. »Ich hoffe,« sagte er, »daß der nächste Frühling mich noch über der Erde findet.«

Rantzau würdigte die mühsam vorbereitete Truppenparade kaum eines Blickes und redete so, als ob er gekommen wäre, um den Krieg erst einmal in Bewegung zu setzen. Er bemerkte weder die übelwollenden Blicke der deutschen Obersten noch den unter tadelloser Höflichkeit verborgenen Widerwillen Guébriants, sondern behandelte alle mit der gleichen vertraulichen Nichtachtung. Als beim Gastmahl auf die Gesundheit der Landgräfin von Hessen getrunken wurde, erkundigte sich Enghien, ob sie schön sei. Sie solle es vor zwanzig Jahren gewesen sein, sagte Guébriant; jetzt hätten Klugheit und Erfahrung den von der Venus verlassenen Thron eingenommen. »Das gefällt mir!« rief Rantzau. »Mit Schönheit fange ich nichts an. Schön bin ich selbst.« Guébriant betrachtete staunend das rohe, von Narben zerfetzte Gesicht des Mannes, der als der schönste seiner Zeit gepriesen wurde, und sein Stolz bäumte sich, als er daran dachte, daß dies der Vater seines Königs, der Geliebte der Königin sein sollte. Enghien ersparte ihm die Antwort, indem er sagte, es werde sich niemand einfallen lassen, dies zu bestreiten; man duelliere sich wohl um das schöne Gesicht einer Frau, nicht um das eines Mannes.

Rantzau war mit dieser Anspielung auf seine zahlreichen Duelle zufrieden und lachte wohlgefällig. Den einen Arm, den er noch hätte, sagte er, möchte er auch lieber sparen, um Bayern damit abzutun.

Dies Wort griff Oberst Taupadel auf, der Rantzau gegenübersaß, und sagte scharf, wenn Bayern mit einem Arme zu erwürgen wäre, möchte es längst stranguliert sein.

Rantzau lachte gemütlich, während er einen tückischen Blick auf den Sprecher warf. Es komme auf den Arm an, sagte er. Herkules habe schon als Kind eine Schlange damit erdrückt.

Frankreich habe ernstlichere Feinde als Bayern, sagte Guébriant ablenkend.

Sein Herz dürste nun einmal nach Bayernblut, beharrte Rantzau, und es sei gefährlich, ein Gelüsten dieser Bestie nicht zu befriedigen.

Guébriant, der den steigenden Unwillen der deutschen Obersten bemerkte, fiel schnell mit den Worten ein, ein Held wie Rantzau neige natürlich dazu, den Feind zu unterschätzen. Bayern werde ihnen allen noch viel zu schaffen machen. Übrigens hoffe man in Frankreich, soviel er wisse, immer noch, den Kurfürsten zum Bundesgenossen zu gewinnen, und man habe ihn auch als unermüdlichen Kämpfer für die katholische Religion hochzuachten.

Rantzau zuckte die Schultern. »Ich bin ein guter Katholik,« sagte er, »aber kein Pfaff.«

Einer von den evangelischen Obersten sagte mit Bezug darauf, daß Rantzau, ein geborener Protestant, in Frankreich den Glauben gewechselt hatte, die Fledermäuse schlüge man tot, wo man sie träfe, weil sie weder Vögel noch Vierfüßler wären, und Renegaten wären Fledermäuse.

»Über religiöse Fragen erhitze ich mich nicht,« sagte Rantzau kalt, »das geht die Theologen an.«

Damit erklärte sich Enghien einverstanden. »Ein Edelmann zieht den Hut vor der guten Dame Theologie,« sagte er, »aber für nähere Untersuchung ist sie zu schlecht gelüftet.«

Die Deutschen nahmen an solchen Reden Anstoß, wagten sich aber mit ihrer Entrüstung einstweilen nicht hervor; um so grimmiger wurmte der verhaltene Groll.

*

Bei der Belagerung von Rottweil wurde Marschall Guébriant von einer Falkonettkugel am Ellenbogen verwundet und mußte auf einer Bahre in sein Quartier zu Rottmünster getragen werden. Von Fieberfrost und scharfer Novemberkälte zugleich geschüttelt, versuchte er seine Gedanken festzuhalten und die Anwandlungen hilfloser Furcht zu verscheuchen. ›Vergiß nicht,‹ sagte er zu sich, ›daß du ein Ritter und ein Christ bist, und halte dich gut in dem schwersten Kampfe, den du nun kämpfen mußt. Was auch kommen möge, bleibe du selbst und entehre dich nicht durch fruchtloses Gewinsel.‹

Die Wundärzte, die ihn empfingen, erklärten nach der Untersuchung, eine Operation vornehmen zu wollen. Ob es notwendig sei? fragte Guébriant.

»Ja freilich,« antwortete der eine der Ärzte, »sonst könnte der Tod uns häßlich zuvorkommen.«

Guébriant schloß die Augen, öffnete sie wieder und richtete sie mit heimlichem Flehen auf seine Peiniger. »Ist es sehr schmerzhaft?« fragte er.

Je nun, sagte der Arzt, wenn Guébriant stillhielte, ginge es desto schneller und schnitte man weniger daneben.

»Gott wird mir beistehen«, sagte Guébriant mit einem schwachen Versuch zu lächeln. Während die Ärzte ihn nach Kräften bearbeiteten, preßte er die Hände und die Zähne zusammen, um jeden Klagelaut zu unterdrücken, wofür er ein Lob empfing. Die Geduld müsse einem schier dabei ausgehen, meinte der Arzt.

Die Schmerzen wären ja gering, stöhnte der Marschall, vergliche man sie mit denen, die der Heiland am Kreuz erlitten.

»Nun,« sagte der Arzt, »wenn es nur nützt. Aber ich traue nicht recht, es schaut bös aus.«

»Wie Gott will,« sagte Guébriant, worauf er in Ohnmacht fiel.

Am folgenden Tage konnte er trotz des Wundfiebers die Anordnungen für den Fall seines Todes und für die zunächst vorzunehmenden Schritte treffen. Zunächst redete er dem General Rosen zu, welcher sich weigerte, unter Rantzaus Oberbefehl zu kämpfen, dessen Pläne unausführbar wären und dem er die Schuld an einer soeben erlittenen schweren Niederlage zuschrieb. Ehm und die übrigen dächten wie er: von den dänischen Gecken und Prahlhansen machten sie ihre Soldatenehre nicht abhängig.

Guébriant stellte vor, daß Privatgefühle gegen die Sorge um das Gemeinwohl zurückstehen müßten, und erinnerte an den oft von Rosen gebilligten Grundsatz, ein christlicher Edelmann müsse sich auf die schwere Pflicht des Gehorsams so gut wie auf die des Befehlens verstehen.

Halb widerwillig gab Rosen wenigstens für die nächsten Operationen im Felde nach; dafür möge Guébriant ihm versprechen, daß er ihn wegen des unglücklichen Überfalls in Geislingen in Schutz nehmen wolle, wegen dessen seine Feinde ihn verklagten und verleumdeten.

Von einer gewissen allzu großen Sorglosigkeit, sagte Guébriant, sei Rosen in diesem Falle vielleicht nicht ganz freizusprechen; er glaube aber, daß Rosen die Nähe der bayrischen Truppen wirklich nicht hätte ahnen können, und er wolle das nach Paris melden. Dann bat er Rosen, unverbrüchlich beim Könige von Frankreich auszuharren. Ihm, Guébriant, sei es oft gelungen, das wankende Heer bei der Pflicht zu erhalten; diese Aufgabe möchte Rosen übernehmen, wenn er nicht mehr da wäre.

Rosen schnitt verzweifelte Gesichter und fuhr sich wild durch die Haare; endlich sagte er: sich nie von ihm, Guébriant, zu trennen, das wolle er bei seiner Ehre schwören, mehr nicht.

Guébriant seufzte, während zugleich ein Lächeln über sein leidendes Gesicht flog. Nachdem er dem Herzog Friedrich von Württemberg die Verteidigung der nunmehr eroberten Stadt Rottweil empfohlen hatte, schloß er die weltlichen Geschäfte ab. Nun, sagte er, gehöre er ganz Gott an.

Lange und eingehend unterhielt er sich mit seinem Beichtvater. Er habe sich bemüht, sagte er zu diesem, nach den Vorschriften des heiligen Glaubens zu leben, aber er habe es nicht getan. Jetzt, wo er sein Leben vom Ufer des Todes aus überblickte, erkenne er die begangenen Fehler. Er sei nicht frei von Hochmut, Eitelkeit und Neid gewesen.

Daß der Mensch gebrechlich und ihrer keiner unfehlbar sei, sagte der Beichtvater, das wisse Gott. Gott sehe das Herz und den Willen an. Ob Guébriant allen seinen Feinden vergeben habe?

Er wisse es nicht, sagte Guébriant, den Beichtvater ängstlich ansehend. Er könne die Worte wohl sagen, sei aber ungewiß, ob das Herz sie aufrichtig mitfühlte.

Der Beichtvater sprach flüsternd von dem schrecklichen Lose, das des sündenvollen Menschen harre, und daß er keine Ursache hätte, solche zu hassen, wohl aber, sie zu bemitleiden. Was hätten diejenigen davon, die ihn etwa verleumdet, zurückgesetzt, auf unehrliche Weise verfolgt und bekämpft hätten? Der Preis, um den sie sich der Sünde verdungen hätten, wäre nur eine vorgegaukelte Fata Morgana; indem sie danach griffen, stürzten sie in das verdeckte Grab unter ihren Füßen. Leere Träume neckten den Sünder und ließen ihn zuletzt allein in rabenschwarzer Finsternis. Hätte er Ursache, diese Unglücklichen zu hassen? Warum sollte er zögern, wenn er sie am Stabe der göttlichen Gnade der bodenlosen Höllentiefe entreißen könnte?

Guébriant führte die Hand des Geistlichen an seine Lippen und sah ihn mit verklärten Augen an. »Jetzt fühle ich nichts als Liebe für alle meine Mitgeschöpfe«, sagte er. »Beten Sie für mich zu Gott!«

Nachdem er die Sterbesakramente empfangen hatte, verfiel er in einen von stürmischen Traumbildern erfüllten Schlaf. Er glaubte, von seinem Rappen getragen, mitten in der Schlacht zu sein, wie sie in Wirklichkeit einige Tage später vorfiel und zu fast völliger Vernichtung seines Heeres führte. Die, welche sein Sterbebett umgaben, hörten ihn zuweilen in schmerzlicher Erregung rufen: »Meine Armee! Sie ist verloren!« und andere Worte, die darauf schließen ließen, daß er eine unaufhaltsame Flucht vergeblich zu hemmen suchte.

Schon waren Gerüchte von einer schweren Niederlage nach Rottweil gedrungen, als General Rosen an der Spitze der deutschen Reiter anlangte.

Das sei, soviel er wisse, sagte er zum Herzog von Württemberg, der Rest des Heeres; die übrigen wären gefangen oder tot. Das wären die Folgen davon, daß man sich Rantzaus Willen gefügt hätte. Die Auflösung sei so vollständig gewesen, daß er nichts anderes mehr hätte tun können, als für die eigene Rettung und die der ihm übriggebliebenen Truppen zu sorgen. Er wolle schleunig weiter, denn der Feind sei ihm auf den Fersen. Der Herzog werde unter diesen Umständen Rottweil nicht lange halten können.

Er wolle das Mögliche tun, sagte dieser; Rosen solle Guébriants Leiche mitnehmen, damit sie nicht in Feindeshand fiele.

Wenn alles bereit sei, sagte Rosen, wolle er es gern tun; aber warten könne er nicht.

Demnach wurde der Leichnam eilig auf einen Wagen gepackt und von den Fliehenden über die Berge nach Breisach mitgeschleppt, wo ihn Erlach empfing. Von dort zog er langsam und feierlich durch Frankreich und langte am Vorabend des Weihnachtsfestes in Paris an.

*

Kaiser Ferdinand kniete seit einer halben Stunde vor einem Marienbilde in der Thomaskirche in Prag, als die Sonne aufging und ein durch das gegenüberliegende Fenster fallender Lichtstrahl sich wie ein hübscher bunter Vogel auf seine Schulter setzte. Er stand auf, von seinen herzuspringenden Begleitern unterstützt, blickte sich triumphierend um, verneigte und bekreuzte sich noch mehrere Male vor dem Bilde und verließ die Kirche, um zur Burg hinaufzufahren. In seinem Schlafzimmer angekommen, legte er seine Lockenperücke und seinen Oberrock ab, ließ sich einen Schlafrock umhängen und löffelte die Schleimsuppe aus, die ihm gebracht war. Nun schmecke es ihm zum ersten Male seit acht Tagen wieder, sagte er zu seinem Kammerdiener, nachdem er seinen Vorsatz ausgeführt hätte: eine Woche lang nämlich habe er von fünf bis sieben Uhr in sämtlichen Kirchen Prags gebetet.

Ach Gott, rief der Kammerdiener die Hände zusammenschlagend aus, das sei es also gewesen! Sie hätten es in der Dienerschaft alle gemerkt, daß die Majestät ein großes Werk betriebe. Er habe auch wohl gedacht, es möchte ein Gelübde sein; aber eben darauf wäre er nie verfallen.

Der Kaiser nickte und lächelte. Sie sollten aufpassen, sagte er, ob nicht heute oder morgen die Nachricht eines großen Sieges hereinkäme. Als er das letzte Gebet gesprochen hätte, sei seine Brust von einem merklichen Gefühl herrlicher Gewißheit erfüllt worden.

Das könne ja auch nicht anders sein, sagte der Kammerdiener. Nun begreife er auch, warum gerade um sieben Uhr, kurz bevor der Kaiser heraufgefahren wäre, der Himmel sich so absonderlich aufgeführt hätte. Er habe sich unterstanden, dem Herrn Grafen Trauttmansdorff, der eben die Treppe heruntergekommen wäre, zu sagen, er solle doch zum Fenster hinaussehen, ihm komme es so vor, als ob die Sonne eben einen Luftsprung gemacht hätte. Es sei dann zwar nichts mehr davon zu sehen gewesen, er möchte aber seine Seligkeit verschwören, daß die Sonne einen dreimaligen Luftsprung getan und daß das einen großen Tag zu bedeuten hätte.

Am Tage darauf kam Lobkowitz und erzählte, was er durch einen seiner Stallknechte, der um vier Uhr morgens die Pferde zu putzen pflege, gehört hätte. Bauern, die in der Frühe in die Stadt gekommen wären, hätten berichtet, die Dörfer wären voller Flüchtlinge, die sähen so übel aus, daß man nicht das Herz hätte, sie totzuschlagen.

»Was für Flüchtlinge?« fragte der Kaiser und sah Lobkowitz verwirrt an; die Schweden, fuhr er fort, würden sich doch nicht auf Prag retirieren?

Nein, sagte Lobkowitz, wenn das Geschwätz sich als wahr erwiese, so wären es Bayern, und die Zunge hinge ihnen aus dem Halse vor lauter Laufen. Es solle eine große Schlacht um Tabor herum stattgefunden haben. Da es aber leicht bloßes Gerede des hämischen Pöbels sein könnte, habe er Leute ausgeschickt, um sich zu erkundigen, und hoffe, daß sie noch im Laufe des Tages sichere Nachricht brächten.

Es müsse durchaus ein Irrtum sein, sagte der Kaiser ratlos, da er so sichere Zeichen von der Heiligen Jungfrau gehabt hätte. Im Vertrauen auf sein Gelübde habe er den Generalen den Befehl gegeben, die Schlacht zu wagen und den Feind zu besiegen. Oder ob vielleicht das Verzeichnis der Prager Kirchen unrichtig gewesen sei? sagte er, plötzlich erschreckend. Dann hätte er nicht alle Kirchen durchgebetet?

Lobkowitz sprach seine Überzeugung aus, daß es mit dem Verzeichnis seine Richtigkeit hätte. Man sei mit dem Götz doch übel beraten, und der Werth sei zwar tapfer, am Verstande, eine Schlacht zu dirigieren, fehle es aber. Er könne nicht ohne Seufzen an den Erzherzog Leopold Wilhelm und den Fürsten Piccolomini denken.

Man wisse doch aber, meinte der Kaiser, wie es vor drei Jahren bei Leipzig zugegangen wäre.

Damals sei vieles zusammengekommen, sagte Lobkowitz; wider die Launen der Fortuna könne einmal niemand.

Es komme alles auf die Gnade Gottes und die Fürbitte der Heiligen Jungfrau an, sagte der Kaiser, sich Mut zusprechend, und er könne sich nicht denken, warum Gott die Heilige Jungfrau nicht erhörte, ebensowenig, warum die Heilige Jungfrau sein Gebet verworfen haben sollte.

Der Abend brachte Bestätigung der schlimmsten Gerüchte. Es sei allerdings ein großer Sieg erfochten worden, meldete Lobkowitz dem Kaiser, Hatzfeld habe die Schweden in die Flucht geschlagen, daß es eine Lust gewesen sei, aber der tolle Götz habe seinen Flügel unsinnig aufgestellt und zusammenhauen lassen, den Eigensinn auch gleich selbst mit dem Leben bezahlt, und der Werth habe wie immer seine Weise für sich blasen wollen, wobei denn freilich ein abscheuliches Konzert herauskommen müsse. Dagegen habe denn Hatzfeld nichts ausrichten können und sei leider gefangen, werde wohl demnächst von sich hören lassen.

Des Kaisers Gesicht wurde fahl und schlaff, die Unterlippe hing ihm lang herunter, und seine matten Augen verschleierten sich, so daß Lobkowitz und der alte Schlick in große Verlegenheit gerieten.

Es sei am Ende das Ärgste nicht, sagte Lobkowitz, daß sie des Götz ledig wären, den der Kurfürst von Bayern besser im Gefängnis gelassen oder vollends justifiziert hätte; dann wäre er schon seit sechs Jahren tot.

Ja, man habe jetzt statt dreier Generale einen, fügte Schlick hinzu, damit sei schon etwas gewonnen. Übrigens werde Gott, der stets den Feinden des hohen Erzhauses zur rechten Zeit den Garaus gemacht hätte, mit dem lahmen Torstensson auch nicht lange mehr feiern. Er sei schon so voll Gicht, daß er nicht mehr gehen und stehen könne, lasse sich nur für die Schlacht aufs Pferd binden.

Zuallererst, sagte Lobkowitz, müsse man jetzt daran denken, des Kaisers hohe Person in Sicherheit zu bringen. Er möge geruhen, Befehl zu geben, daß man schleunig nach Wien aufbräche.

Der Kaiser hob langsam den Kopf und sah Lobkowitz tieftraurig an. Sein Kopf war schwer und wirr von qualvollen Gedanken. Führte denn die Heilige Jungfrau ihn irre? Verspottete sie ihn? Was war die Ursache, daß sie, der er sein Leben lang gedient hatte, ihn solchen Schimpf erleiden, die schwedischen Ketzer über ihn triumphieren ließ? Mißbilligte es Gott vielleicht, daß er mit dem katholischen König von Frankreich Krieg führte? Aber Frankreich hatte ihn doch angegriffen! Frankreich hatte von jeher die Ketzer gegen ihn aufgehetzt!

Die Majestät habe gewiß wieder ihre Magenschmerzen, sagte Lobkowitz nach einer Pause; ob er nicht vor der Reise noch schnell purgieren wolle?

Es schien nicht, als ob Ferdinand verstanden hätte; er sah Lobkowitz starr an und sagte: Musik! er wolle Musik! worauf ein italienischer Kammerdiener, der zur Laute singen konnte, gerufen wurde und dem Kaiser Musik machte, bis er soweit war, daß er sich zur Abreise herrichten lassen konnte.

In Wien hatte Lobkowitz einen glücklichen Einfall, um den niedergeschlagenen Kaiser zu trösten: er erinnerte ihn daran, daß er die Errichtung der Mariensäule, die er gelobt hatte, beschleunigen und dadurch die Jungfrau sich geneigter machen könne. Durch diese Aussicht neu belebt, ließ der Kaiser sofort den Direktor der dazu eingesetzten Kommission kommen, trieb ihn zu größerem Eifer an und sprach auch selbst mit dem italienischen Baumeister, dem das Werk übertragen war. Die Heilige Jungfrau, erklärte er diesem, solle von dicken Wolken und Engeln getragen werden, daß es einen ordentlichen Haufen gäbe; mit den trockenen altmodischen Figuren könne er sich nicht genügen lassen.

Daran solle es nicht fehlen, sagte der Italiener verständnisvoll, die Madonna könne auch einen fliegenden Mantel mit vielen Bäuschen bekommen, daß er auch Wolken gliche, die Säule könne er verdreht machen, und ein Springbrunnen könne auch dabei sein.

Von dem Springbrunnen wollte der Kaiser nichts wissen, das verteuere die Sache nur; aber ein Höllendrachen solle zu Füßen der Jungfrau die giftige Seele aushauchen, der könne sich stark ringeln und überschlagen und solle zugleich ein Symbolum für die Irrgläubigen aller Zeiten sein.

*

In der Herberge des Grafen Johann Ludwig von Nassau-Hadamar, kaiserlichen Gesandten am Friedenskongreß zu Münster, saßen der herzoglich braunschweigische Gesandte, Doktor Lampadius, und mehrere andere Herren, um zu beraten, ob und in welcher Weise sie sich an der Einholung des französischen Hauptgesandten, des Herzogs von Longueville, beteiligen wollten. Dieser lag seit einiger Zeit vor Münster, weigerte sich aber einzuziehen, wenn ihm nicht der Titel Altesse zugestanden würde, auf den er, aus königlichem Blut entsprossen, Anspruch habe.

Der Graf von Nassau sagte, die Augen tiefsinnig in einen Winkel bohrend, es sei seine Meinung, diese Titulatur könne dem Herzog ohne schädliche Konsequenzen nicht zugebilligt werden. Altesse entspreche nämlich dem italienischen Altezza und gebühre nur regierenden fürstlichen Häuptern, unter die der Herzog von Longueville nun einmal durchaus nicht zu rechnen sei.

Ja, die französische Vanigloriosität, sagte Doktor Lampadius lächelnd, treibe wunderliche Blüten hervor; allein man setze billigerweise zuweilen das utile und die Opportunität dem Buchstaben voran, wie man ja auch beim Honigmachen wohl die Körbe mit einem guten Geruch bestriche, damit die Bienen sich nur niederließen und ihr fleißiges Werk begönnen.

Ja, sagte der Graf von Nassau, wenn es ohne Präjudiz geschehen könnte, so wolle er auch nicht absolut dawider sein.

Das sei doch auch eine bedenkliche Sache, sagte der Frankfurter Gesandte, daß der König von Frankreich an die Kurfürsten und andere Stände, zum Beispiel an seine regierenden Herren, Einladungen zur Friedensversammlung habe ausgehen lassen. Man wisse seinerorts nicht, was man dazu sagen und wie man sich dazu verhalten solle.

Wie? rief der Graf von Nassau. Davon sei ihm noch nichts bekannt. Das habe ja das Aussehen, als ob es der kaiserlichen Majestät zum Despekt gereichen sollte!

Es sei eine abscheuliche Extravaganz, sagte Doktor Lampadius. Man wisse bald nicht mehr, wo Kopf und wo Schwanz sei und wo man seine Reverenz anzubringen hätte.

Ob denn die Stände, fragte der Graf von Nassau, auf dergleichen Ungebührlichkeit geantwortet oder wenigstens bei der Antwort die Impertinenz deutlich angezogen hätten?

Was seine Regierung anbelange, erwiderte der Frankfurter Gesandte, so wisse er nicht, ob sie sich von ihrer Perplexität schon erholt hätten.

Wenn nur, seufzte der Graf von Nassau, Seine Exzellenz der Graf von Trauttmansdorff einmal anrücken möchte! Die Last erdrücke ihn fast, und er wisse nicht mehr, wie er sich durch die vielfältigen Ansprüche, Übergriffe und Verstöße durchwinden solle, ohne daß dem kaiserlichen Ansehen irgendwie und irgendwo Abbruch geschähe. Das Säkulum sei ja leider, er müsse es sagen, so stolz und verwegen, daß keiner sich mehr dem schuldigen Respekt unterziehen wollte, der ihm obläge.

Allerdings, sagte Doktor Lampadius; so wollten die kurfürstlichen Gesandten um jeden Preis als Exzellenzen angesehen und traktiert werden. Das habe scharfe Gedanken in fürstlichen Kreisen gemacht. Man habe sich da mit der Ansicht getragen, es sollten vielmehr die kurfürstlichen Buckel abgehobelt werden, daß es eine ordentliche platte Ebene gäbe.

Das gehe doch aber gegen die Güldene Bulle, wandte der Graf von Nassau die Stirne faltend ein, und die Güldene Bulle könne man so wenig aus der Welt schaffen, wie man die Sonne vom Himmel reißen könne.

Er gehöre auch nicht zu den ungestümen, titanischen Köpfen, sagte Doktor Lampadius, sondern sei für die Stabilität; denn es sei nun einmal so, daß das Dach einstürzte, wenn man die Mauern wegrisse. Darum sei seine Ansicht, die Kurfürsten sollten sich mit der altbewährten, vielfach beglaubigten Titulatur begnügen, weil, wer zu hoch steigen wolle, öfters zu Falle käme.

Der fürstlich fuldasche Gesandte erlaubte sich zu bemerken, der hochselige Kaiser Ferdinand II. habe vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen, indem er dem Kurfürsten von Sachsen die Durchlauchtigkeit bewilligt habe; damit sei der unersättlichen Ambition Tür und Tor geöffnet.

Bei diesem Punkte waren die Herren angelangt, als ein kurfürstlich mainzischer Gesandter erschien und nach geschehenen Komplimenten auf sein Anliegen kam, nämlich daß die schwedische Gesandtschaft zu Osnabrück ein Libell verfaßt und im Druck habe erscheinen lassen, in dem sie sich injuriös über die münstersche Versammlung ausgesprochen hätten. Sie hätten darin von den Anstrengungen gesprochen, die die Herren Schweden zur Wiedererlangung des kostbaren Friedens gemacht hätten, auch allerlei Dokumente zum Beweise vorgebracht, sodann höhnisch auf die Reichsstände gestichelt, die es zumeist anginge, die aber zur Effektuierung nichts tun wollten. Über die zu Münster hätten sie noch insbesondere gesagt, daß sie sine modo et methodo vorgingen und daß trotz aller Aufforderungen noch nicht so viel Gesandte beisammen wären, um nur ein vollzähliges Kollegium auszumachen.

Das sei ja leider nur allzu wahr, sagte der Frankfurter Gesandte, daß sich so viele von den geehrten Herren Ständen noch immer nicht blicken ließen. Sie wären aber erhaltenen Briefen zufolge, sagte der Graf von Nassau, bereits in motu und einige sogar in procinctu.

»Eile mit Weile!« sagte der fuldasche Gesandte. »Gut Ding will Weile haben, und Rom ist nicht an einem Tage erbaut worden.« Die Herren Schweden könnten ihren Sack nicht schnell genug füllen, wollten alles auf gustavische Weise, holterdiepolter, exequieren und sollten doch bedenken, was für einen bösen Fall der verstorbene König bei seinem Ungestüm getan hätte.

Es möchte doch aber angezeigt sein, sagte Doktor Lampadius, daß man den Lästerern in aller Gelindigkeit übers Maul führe und sie eines Besseren belehrte. Daher nehme er sich ganz unvorgreiflich die Freimütigkeit heraus, zu erinnern, ob nicht demnächst effective vorgegangen, das heißt, irgendeine Sache realiter angegriffen werden könnte.

Man könne etwa darüber eins werden, schlug der Graf von Nassau vor, wie es mit der Einholung des Herzogs von Longueville gehalten werden solle.

Der hessen-darmstädtische und der hessen-kasselsche Gesandte würden schwerlich unter einen Hut zu bringen sein, meinte der Frankfurter. Das hessische Unwesen schlage ja wieder in hellen Flammen aus, nachdem man es kaum gedämpft geglaubt hätte.

Sie wären über das corpus delicti wieder auf einen neuen Zankapfel geraten, sagte Doktor Lampadius lächelnd. Marburg werde die hessische Witwe wohl nicht wieder aus den Händen lassen; er wolle das zwar nicht billigen, aber ihm komme vor, als sei ihr von darmstädtischer Seite doch zuviel geschehen.

Der Graf von Nassau wollte das dahingestellt sein lassen, war aber der Ansicht, die Landgräfin habe das Völkerrecht gar zu sehr beiseite gesetzt und nach Art der Schnapphähne um sich gegriffen.

Nach allerlei Weiterungen kam es zu dem Beschlusse, den Herzog von Longueville feierlich einzuholen, wovon sich nur der venezianische Gesandte ausschloß, da er vor den Kurfürsten zu fahren beanspruchte, was als eine Absurdität abgelehnt wurde.

Deswegen hielt er in italienischer Sprache eine lebhafte Rede, in der er das unerreichte Alter seiner Republik herausstrich und viele Fälle aufzählte, in denen venezianische Gesandte den Vorrang vor sämtlichen anderen Gesandten gehabt hätten.

Nachdem die Anwesenden seine Rede stillschweigend angehört hatten, erinnerten sie ihn daran, daß sie nicht Italienisch verständen, worauf er seine weißen Zähne zeigte und die Oration auf lateinisch wiederholte.

Ob dergleichen in Italien für Lateinisch angesehen würde? flüsterte Doktor Lampadius seinem Nachbar zu; er halte es für Kauderwelsch. Der lachte bis zu Tränen und antwortete, ob es Tatarisch oder Chinesisch sei, die Prätentionen des Gesandten wären durchaus venezianisch.

Nichtsdestoweniger wurde der Herzog von Longueville von den übrigen Gesandten eingeholt, die allerdings an dem Gepränge, das er entfaltete, großen Anstoß nahmen. Es dauerte über eine Stunde, bis alle Vorreiter, Reiter, Kutschen, Leibwachen, Lakaien, Trompeter und was mehr vorbeipassiert waren, und die Augen wurden von seidenen und damastenen Decken, goldenen und silbernen Wappen, karminroten und azurblauen Farben fast geblendet.

*

Durch das Dorf Bruck im Thüringischen humpelte an spätem Abend eine Reisekutsche, schleppte sich mühsam von der Stelle und hielt plötzlich, nicht weit von der Kirche, mit einem Ruck an. Nach einer Weile wurde der Schlag geöffnet, und ein eulenhaftes Gesicht mit einer Nachtmütze erschien und fragte, mißtrauisch herumschnuppernd, was vorgefallen sei? Er sei Abgesandter zum Friedenskongreß, mit Paß und Salvakondukt versehen, wer ihm nur ein Haar auf dem Haupte anrühre, würde das atroce crimen und Majestätsinjurie an Rad und Galgen zu bereuen haben. Der Kutscher war indessen von seinem Sitz heruntergestiegen und sagte, als der Herr seine Ansprache beendet hatte, es wären keine Räuber da; aber die Kutsche sitze im Schlamme fest.

So solle er sie wieder herausholen, rief der Herr zornig.

Die berittenen Begleiter der Kutsche versammelten sich nun gleichfalls, betrachteten den Schaden und stellten fest, daß die Kutsche ein Stück weit durch den ärgsten Morast geschoben werden müsse, da sie sonst sogleich wieder festsitzen würde. Ein paar Bauern wurden geholt, um zu helfen, und der Leutnant, der die Reiter anführte, schlug dem Herrn vor, inzwischen einen Imbiß im Wirtshause einzunehmen.

Es scheine nur ein schlechtes Dörflein zu sein, sagte dieser, er wolle lieber am Flecke verweilen, bis er wieder einsitzen könnte. Während der Diener ihm die Pantoffeln abzog und in die Stiefel half und der Leutnant ihn wegen seines ungewöhnlichen, beinahe römischen Heroismus bewunderte, wurde plötzlich ein langgezogenes Singen von einer hohen, hellen Knabenstimme hörbar. »Was ist das? Was für ein Mäuslein pfeift da so lieblich?« fragte einer von den Reitern.

Es scheine aus der Kirche zu kommen, sagte der Leutnant, indem er die struppigen, tropfenden Zweige auseinanderbog und nach der niedrigen Kirche hinübersah.

Die Bauern, die gefragt wurden, ob Gottesdienst wäre, schüttelten den Kopf und sagten, die Kirche sei dunkel, und die Leute im Dorfe schliefen schon; sie wüßten nicht, was es wäre.

Es klinge so, sagte der Gesandte, als komme es vom Himmel herunter, und vielleicht wäre es ein himmlisches Trostlied, das ihm von Engeln dargebracht würde; er wolle an dieser Stelle zur Erinnerung an seine wunderbare göttliche Errettung eine Kapelle errichten lassen.

Als die Gesellschaft sich weiterbewegt hatte, unterhielten sich die Dorfleute, zu denen sich auch Pfarrer und Küster gesellten, weiter über das Singen, welches ihnen trotz der Vermutung des fremden Reisenden eher aus der Kirche als vom Himmel zu dringen schien. Die Untersuchung ergab indessen, daß es von einem aussätzigen Knaben ausging, der von seinen Eltern wegen der gefürchteten Krankheit aus dem Hause gestoßen war und in einer verödeten Hundehütte Zuflucht gesucht hatte. Auf Befragen, wozu sich die Gänsehirtin des Dorfes, eine alte Frau, entschloß, behauptete der Knabe, sich nicht aus seiner Hütte entfernt zu haben, doch ging andererseits aus seinen unklaren Reden hervor, daß er den Eindruck einer prächtigen und feierlichen Umgebung empfangen hatte.

Der Küster sagte, daß der Gesang aus der Kirche herausgekommen sei, wohin der Knabe also offenbar durch ein göttliches Wunder im Schlafe versetzt worden sei; es gehe ja auch schon das nicht natürlich zu, daß ein Kind, welches von niederer Herkunft, übel aufgezogen und ganz ungelehrt sei, so herrliche, fromme und gar lateinische Gesänge von sich gäbe. Wirklich sang der Knabe nur in einem nachtwandlerischen Zustande und wußte im Wachen nicht nur nichts davon, sondern brachte überhaupt kaum ein paar leidliche Töne zusammen.

Die alte Gänsehirtin erbot sich, den heiligen Knaben bei sich aufzunehmen; es wurde ihm ein reinliches Bett hergerichtet, und er empfing nun fast täglich Besuch, namentlich von dem Amtmann des Dorfes, von mehreren auswärtigen Geistlichen und einem frommen Grafen, der ein besonderes Interesse für Wunder, Mißgeburten, Gesichte und andere unerklärliche Phänomene hatte.

Eines Tages saßen zwei Pfarrer, ein Arzt und der fromme Graf zusammen am Lager des schlafenden Knaben, um etwaige Äußerungen desselben aufzufangen, die Aufschluß über Gottes Absichten in betreff dieses Wunders geben könnten. Für ein sichtbares Wunder halte er es, bemerkte der Arzt, daß der Knabe fünf Tage lang in der Hundehütte ohne Nahrung gelebt hätte; wenigstens verhalte es sich so nach seiner Aussage.

Nicht so ganz, sagte der eine Pfarrer; er habe ausgesagt, daß Engel gekommen wären und ihm wunderliebliche Speisen gebracht hätten.

Das möchte doch als ein Traum zu betrachten sein, sagte der Arzt.

Warum? entgegnete der Pfarrer; es sei doch aus der Bibel bekannt, daß Elias in der Wüste von Raben gespeist worden sei.

Bibel! Bibel! sagte der Arzt, ungeduldig die Schultern zuckend; die solle man nicht anziehen, um gegenwärtige Ereignisse zu erklären. Übrigens wären die englischen Speisen offenbar nicht nahrhaft gewesen, denn der Knabe sei nichts als Haut und Knochen.

Ihm scheine es das beste zu sein, sagte der Graf, sich ins Mittel legend, daß man den Knaben nochmals befragte, was für Speisen die Engel ihm vorgesetzt hätten. Wenn er dann in Verlegenheit geriete, dürfe man billig einigem Zweifel Raum geben.

Inzwischen, bis der Knabe erwacht sei, schritt man dazu, ihn zum Weissagen zu veranlassen, und begann mit der Frage, ob der liebe Friede das geplagte Deutsche Reich bald beglücken werde?

Noch nicht, antwortete der Knabe; es müsse noch viel Blut fließen, so viel, bis die Erde davon tropfte und ausgerungen werden könnte wie ein gewaschenes Hemd.

Ob denn, wenn der Friede einmal käme, die evangelische Kirche triumphieren würde? fragte der eine Pfarrer.

Wenn einmal Frieden wäre, antwortete der Knabe, dann würden die evangelische und die katholische Kirche friedlich wie zwei Schwestern nebeneinander regieren.

Der Pfarrer fuhr enttäuscht und bestürzt zurück. O weh, sagte er, wo bliebe da der Friede, wenn man mit Papisten regieren sollte, denen die Hände nicht fest gebunden wären!

Den Friedhässigen würden allerdings die Hände gebunden werden, sagte der Knabe, daß sie von Übergriffen und Händelsuchen lassen müßten.

Der Pfarrer schüttelte unzufrieden den Kopf. Die Katze lasse das Mausen nicht, sagte er, und Wölfe blieben Wölfe, wenn sie auch einen Schafspelz anzögen.

Der Knabe habe es doch aber geweissagt, wandte der Graf ein; es werde das beste sein, daß man sich vorderhand brüderlich einrichtete.

Vorderhand! rief der Pfarrer. Gott habe kein Wohlgefallen an solchen Ausflüchten. Dann würde man das kalvinistische Unkraut etwa auch erleiden sollen!

Der Graf machte den Vorschlag, den Knaben wegen der Kalvinisten noch einmal besonders zu befragen, welcher antwortete, nein, es sollten nur Katholiken und Evangelische, sonst aber niemand geduldet werden. Alle andern Religionen würden ausgereutet und abgeschafft werden.

Hiermit waren die beiden Pfarrer ausnehmend zufrieden und sagten, wenn nur die verfluchten Sektierer abgeschafft würden, möchte eine leidliche Toleranz wohl hingehen; hingegen sagte der Arzt, er sehe nicht ein, wie es auf diese Art überhaupt zum Frieden kommen sollte, da die Landgräfin von Hessen mit Recht erklärt hätte, sie wolle die Waffen nicht niederlegen, außer wenn die Reformierten in den Frieden einbegriffen würden.

Mit Recht? wiederholte der eine Pfarrer höhnisch, und der Graf sagte lächelnd, man dürfe die Höflichkeit gegen die Damen nicht zu weit treiben.

Solange die kalvinistischen Brandstifter sich frei im Reiche zeigen dürften, fügte der andere Pfarrer hinzu, werde man sich des teuer erkauften Friedens wenig erfreuen können.

Sie wären aber einmal da, sagte der Arzt gereizt.

Ja, die Pest wäre auch zuweilen da, lächelte der Graf; ob man sie deswegen dulden sollte?

Warum der Arzt sich überhaupt der Kalvinisten annähme? fragte der Pfarrer.

Er sei gut lutherisch, beteuerte der Arzt, aber es gehörten hohe und siegreiche Häupter zu den Reformierten, wie zum Beispiel auch der Kurfürst von Brandenburg.

Darauf solle er sich nur nicht steifen, rief der Pfarrer, mit den Stolzen räumte Gott am ersten auf, wenn er sich ihrer auch eine Zeitlang als Geißel bediente.

Es entstand ein heftiger Auftritt unter den Männern, dem der Knabe verstohlen aus furchtsamen, tückischen Augen zusah und den zu beendigen der Weisheit des frommen Grafen nur mit Mühe gelang.

*

Der kursächsische Prediger Doktor Hülsmann verabschiedete sich vom Kurfürsten und der Kurfürstin, bevor er sich nach Thorn zu dem Religionsfriedensgespräch begab, das der König von Polen zum Zweck einer friedlichen Verständigung der drei christlichen Konfessionen einberufen hatte, und trug das lutherische Glaubensbekenntnis vor, das er einzureichen gedachte. Der Kurfürst nickte befriedigt und sagte, daß er die Schrift gut und recht und in allen Stücken mit dem lutherischen Katechismus übereinstimmend finde. Hülsmann könne aber noch betonen, daß die Protestanten den wahren, gereinigten katholischen Glauben hätten, während die Papisten heidnischer Abgötterei verfallen wären und sich allerhöchstens römisch-katholisch nennen dürften.

Der Kurfürst ging nämlich damit um, einen Neutralitätsvertrag mit Schweden abzuschließen, und sprach sich seitdem feindselig gegen den Kaiser und die Katholiken aus.

Hülsmann sei hoffentlich gut gewappnet, setzte er hinzu; denn der Doktor Bergius werde seine vorlaute, flinke Zunge wieder tüchtig geschmiert haben.

Der kurfürstlich brandenburgische Hofprediger Bergius war wegen seiner Beredsamkeit bei Disputationen sehr gefürchtet und hatte im Jahre 1631, als Johann Georg bei Gelegenheit des Leipziger Konvents ein theologisches Gespräch veranstaltete, den Doktor Hoë heftig angegriffen, auch hernach mehrere Streitschriften mit ihm gewechselt.

Wenn der Hoë nicht darüber hingestorben wäre, sagte der Kurfürst, hätte er den Bergius sicherlich aus dem Felde geschlagen; denn wenn es darauf angekommen wäre, habe der Hoë ein Maul wie eine Metzgerfaust gehabt, womit man Ochsen niederschlagen könnte.

Der Bergius habe dem Hoë zu Leipzig aber scharf zugesetzt, bemerkte die Kurfürstin; der Hoë habe sich zwar nach seiner Art in die Brust geworfen, mit Gründen aber nicht mehr verantworten können.

Ja, darum sollte man sich eigentlich mit den kalvinistischen Windhunden gar nicht einlassen, sagte der Kurfürst. Er habe es damals auch nur getan, um sie vor aller Welt bloßzustellen und den Schaden Josephs aufzudecken. Vom König von Polen sei es aber ein alberner Vorwitz, der könne nicht einmal seinen unbotmäßigen Adel im Zaume halten, und was Glaubenssachen anbelange, so könne er wohl seinen Rosenkranz herunterbeten, aber von Auslegung der Heiligen Schrift verstehe er nichts.

Es verlaute, sagte Doktor Hülsmann mit nachsichtigem Lächeln, der König habe sich seit einigen Wochen ernstlich in die Materie vertieft. Daß gerade der König von Polen sich der Glaubenssachen annehme, sei allerdings lächerlich genug, wo ja Polen ein Schlupfwinkel für allerhand Ketzer sei, so zum Beispiel der greulichen, gottlosen Sozinianer, und gründlich ausgeräuchert werden müsse.

Der Kurfürst erkundigte sich, was für eine Bewandtnis es mit den Sozinianern habe, worauf Hülsmann erklärte, es hapere bedenklich mit der Dreifaltigkeit, und wenn man nicht an die drei Personen glaube, so solle man mit seinem ruchlosen Atheismus lieber gleich offen herausfahren.

Der König von Polen sei wohl toll und voll, solchen Giftsamen über sein eigenes Land auszustreuen? sagte der Kurfürst. Das sei eine häßliche Nachbarschaft für den Kurfürsten von Brandenburg.

Es lasse sich bereits spüren, sagte Hülsmann. Mit dem Kalvinismus hebe es gemeiniglich an, und dem Symptom pflege die ganze Pest ungesäumt nachzufolgen.

Die Kurfürstin wünschte dem Doktor ein glückliches Überstehen der mühseligen Reise und des gefährlichen Aufenthaltes. Sie habe schon mehrere Nächte von Heuschrecken geträumt und sei deshalb in großen Sorgen. Es könne ja leicht ein allgemeiner Aufruhr bei dem Religionsfriedensgespräch entstehen, und etwa würden die frommen Lutheraner ein Opfer der abscheulichen Jesuiten werden.

Dergleichen sei allerdings zu befürchten, sagte Doktor Hülsmann, er habe aber Briefe aus Danzig und Elbing erhalten, daß diese Städte etliche Hundert Bewaffneter bereitzuhalten vorhätten, damit man sich bei einem etwa ausbrechenden Krawall ihrer bedienen könnte. Infolgedessen sei er ganz ruhig, besonders auch im Vertrauen auf seine Unschuld und Gottes Gerechtigkeit, der seine Kirche nicht werde untergehen lassen. Er habe ja auch kurfürstlich sächsische, königlich polnische und kurfürstlich brandenburgische Geleitsbriefe und sei zum Überfluß mit Waffen versehen, von denen die beste das liebe Gebet wäre.

Die erste Sitzung wurde von dem Vorsitzenden, Reichskanzler Ossolinsky, mit einer Rede eröffnet, in der er den König von Polen als Urheber der Versammlung pries und seine Absichten im einzelnen auseinandersetzte. In der Meinung, daß beim Disputieren nichts anderes herauskomme, als daß man sich gegenseitig die Haare ausraufe, wolle der König durchaus kein Disputieren leiden. Es solle vielmehr ein jeglicher die Glaubenssätze seines Bekenntnisses klar und deutlich auseinandersetzen, damit alle begriffen, worin sie eigentlich miteinander übereinstimmten oder voneinander abwichen. Käme man darüber einmal zur Einsicht, so würde eine gegenseitige Verständigung gewiß leicht herbeigeführt werden können.

Nachdem noch einige Tage über den Modus beratschlagt worden war, legten die Katholiken den Lutheranern gewisse Fragepunkte vor, hauptsächlich, ob sie alle Schriften des Doktor Martin Luther für maßgebend hielten. Da die Evangelischen ohne Besinnen antworteten, das täten sie, fragten die Katholiken weiter, ob sie denn den Papst auch für den Antichrist hielten, worauf die Evangelischen antworteten, das täten sie freilich, und das sei er auch. Gegen diese Erklärung protestierten die Katholiken, wogegen die Evangelischen reprotestierten, was nicht ohne Getümmel vor sich ging.

Inzwischen hatten die Reformierten, die bis dahin wenig berücksichtigt waren, auch eine Konfession verfertigt und eingereicht, in welcher sie unter anderem sagten, daß ihre Richtschnur die volle, sonnenklare Wahrheit wäre und daß diejenigen, welche sie nicht dulden wollten, sondern sie mit Feuer und Schwert verfolgten, nicht für Christen, vielmehr für Antichristen zu halten wären.

Diesen Angriff betrachteten die Katholiken als auf sie gemünzt und protestierten dagegen, während die Evangelischen, obwohl sie manches an dem Bekenntnis der Reformierten auszusetzen hatten, sie doch wegen dieses furchtlosen Aufpochens lobten.

Der Vorsitzende der Katholiken, ein Jesuit, hielt nun eine Rede, die nach Ansicht der Evangelischen nach außen verzuckert, aber innerlich voll Galle war, in welcher er ausführte, es sei der Wille des Königs, daß man sich aller Sticheleien enthalte und nur die christliche Liebe und den ersehnten Frieden im Auge habe; daß er und seine Glaubensgenossen infolgedessen dem widrigen Gegenteil bis jetzt eitel Liebe entgegengebracht hätten und wie Lämmer gewesen wären, die mit einfältigem, gutherzigem Blöken ihre Blümlein geweidet hätten; daß aber auch Lämmer, wenn sie von bissigen Hunden angebellt würden, aus ihrer üblichen Sanftmut aufgereizt werden müßten.

Die Evangelischen verwahrten sich dagegen, daß sie mit bellenden Hunden verglichen würden.

Von Hunden wolle er nichts sagen, erwiderte der Jesuit; aber gebellt hätten sie, das könne jedermann bezeugen.

Die Reformierten protestierten gegen den Ausdruck und sagten, das sei nur Empfindlichkeit, indem die Katholiken die pure Wahrheit, die in ihrem Bekenntnis enthalten wäre, nicht zu widerlegen wüßten.

Abgesehen davon, sagte der Jesuit, daß der König alles und jedes Disputieren durchaus untersagt hätte, so brauchten sie sich nicht mit Widerlegen vermeintlicher Wahrheit zu befassen, da sie im Besitz der Offenbarung Gottes wären, und also jeder, der von ihnen abwiche, sich wider Gott setzte.

Hieran knüpften die Katholiken die Erklärung, daß die Evangelischen und Ketzer überhaupt sich sehr irrten, wenn sie etwa glaubten, sie, die Katholiken, würden auch nur das geringste von ihrem allein wahren, allein seligmachenden Glauben ablassen. Nein, nichts, nichts, nichts würden sie ablassen, möchte die Welt darüber in Stücke gehen.

So hätten er und seine Glaubensgenossen, sagte Doktor Hülsmann, sich die Unkosten der Reise freilich ersparen können; denn daß sie, die Evangelischen, die das einzige Wort Gottes zur Quelle ihres Glaubens hätten, diesen nicht antasten ließen, das brauche er wohl nicht zu sagen, wolle es aber doch sagen, damit es gesagt sei und kein Mißverständnis entstehen könne. »Verbum dei manet in aeternum«, schloß er, indem er herausfordernd um sich sah, seine Blicke wie einen Fehdehandschuh im Kreise umherschleudernd.

Unter den Katholiken saß ein winziger, zusammengekrümmter Mann mit einem großen Kopf, der aussah, als sei er irgendwo ausgegraben und ihm lose zwischen die Schultern geklemmt worden, so daß er bei einer unvorsichtigen Bewegung herunter- und auf den Tisch kollern könnte. Dieser, der mit blinzelnden Augen dagesessen hatte, während Doktor Hülsmann seine tapfere Rede hielt, fiel mit hoher Stimme ein: ›Verbum dei manet in aeternum!‹, das sei eine kecke Rede, von der man füglich hätte wünschen mögen, daß sie an diesem Orte nicht laut würde. In was für einer Meinung die Protestanten sie im Munde führten, sei bekannt genug, er wolle nur daran erinnern, daß zu Kaiser Karls V. Zeit die rebellischen Stände sie als Devise in ihren Fahnen geführt hatten.

So, so! rief Doktor Hülsmann, er wolle es seinem Herrn, dem Kurfürsten von Sachsen, melden, daß seine hochseligen Vorfahren hier als Rebellen schimpfiert würden; der Kurfürst werde dergleichen kalumniöse Insinuationen sicherlich nicht auf sich sitzen lassen.

Die Verstimmung ließ sich so gefährlich an, daß der weltliche Vorsitzende zum König eilte, der in der Nähe von Thorn der Jagd oblag, um sich nötigenfalls ins Mittel legen zu können. Er kam nach einigen Tagen mit der Meldung zurück, der König, dem das Friedensgespräch sehr am Herzen liege, habe mehrere hochweise Verordnungen getroffen, um dem anwachsenden Übel zu steuern: erstens sollten die Sitzungen künftig in einem kleinen Gemach stattfinden, damit nur wenige daran teilnehmen könnten; zweitens solle nichts zu Protokoll genommen werden, was dem einen oder anderen Teile zu Schimpf und Schaden gereichen könnte; drittens solle der Vorsitzende nochmals zur christlichen Liebe ermahnen und was dergleichen mehr war.

Förderlicher für die Verhinderung ernstlicher Ausschreitungen war es, daß die der Versammlung gesetzte Zeit allmählich ablief. Bereits waren mehrere Teilnehmer abgereist, als eine Druckschrift eines Danziger Pfarrers namens Nikolai einlief mit Vorschlägen über die zu erhoffende Vereinigung der papistischen, lutherischen, kalvinistischen und sozinianischen Sekten und Rückkehr zur alten Fischereinfalt. Dem Vorsitzenden, der den Titel der Schrift vorlas, fiel das Papier aus der Hand, und er sagte, das könne nur ein Narr geschrieben haben, den man hoffentlich bald einfinge und ins Narrenhaus sperrte. Die Lutheraner, als des Verfassers Glaubensgenossen, erbleichten und sprachen ihre Absicht aus, die Stadt Danzig zu mahnen, daß sie einen solchen Bösewicht und Schandfleck nicht im Amte ließe, sondern gebührend bestrafte, der die gereinigte, apostolische Kirche eine Sekte zu nennen sich unterfinge. Auch die Reformierten verwahrten sich gegen das Lästermaul, das sie mit den Sozinianern in einen Topf würfe, und setzten sofort eine Liste der Punkte auf, in denen sie von den Sozinianern abwichen, und welche überhaupt irrig und verwerflich wären.

Bei den lutherischen Pfarrern Danzigs erregte das Irenicum, so war die Friedensschrift betitelt, nicht geringeren Abscheu, und die Stadt, die nicht sogleich zu scharfen Mitteln greifen wollte, hatte jahrelang mit dem widerspenstigen Nikolai zu schaffen, bis er sich endlich zu einem Widerruf bequemte.

*

Auf dem Wege nach Preßburg belehrte der Kaiser seinen Sohn, wie er sich in Ungarn zu verhalten habe, um die Krönung zu erlangen; man müsse da zur Zeit etwas gemach auftreten und namentlich mit den protestantischen Ständen ein wenig dissimulieren. Ein Regent müsse die Gelindigkeit mit der Strenge abwechseln lassen, mittendurch führe nicht immer am schnellsten zum Ziele.

Der junge Prinz bat seinen Vater, sich seinetwegen keine Sorgen zu machen und die Predigt lieber sich selbst zu halten.

Ja, sagte der Kaiser, es sei wahr, er möchte diese trotzigen Leute am liebsten beim Ohrzipfel nehmen, daß ihnen der Kopf wackelte; aber er habe nun schon gelernt, an sich zu halten und den rechten Augenblick zu erwarten, sein Sohn wisse noch nicht, wie schwer das sei. Andererseits dürfe er auch nicht zu bescheiden auftreten, da er doch jetzt König von Böhmen sei.

Der junge Prinz lächelte überlegen, konnte es aber doch nicht hindern, daß der ausnehmende Pomp, den die ungarischen Magnaten beim Empfang zur Schau trugen, ihm die Fassung raubte. Sein Gesicht wurde immer länger und bleicher, die Schatten unter seinen blassen Augen wurden dunkler, und schließlich fühlte er sich so unwohl, daß er sich zu Bette legen mußte.

Er habe das vorausgesehen, sagte der Kaiser, der sich in Person nach dem Befinden des Erkrankten erkundigte; sein Sohn habe zuviel von den fetten ungarischen Speisen zu sich genommen.

Sein Vater müsse Gesichte gehabt haben, sagte der junge Prinz empfindlich; er habe nur zum Schein ein wenig in den Speisen gestochert, könne das schwarze, triefende Zeug nicht einmal ansehen. Es sei die ungarische Luft, die er durchaus nicht vertragen könne.

Zu den Ärzten sagte der erschrockene Kaiser, er mache sich Gedanken, daß der Prinz seiner Mutter nachschlage, wie er ihr ja auch an Gesicht und Gestalt gleiche; dieselbe sei von schwacher Gesundheit gewesen und vor einigen Wochen gestorben.

Die Ärzte erwiderten, der Prinz sei stark wie ein Eichbaum und gleiche seinem erlauchten Großvater, dem hochseligen Kaiser Ferdinand, was auch der Beichtvater bestätigte unter der Voraussetzung, daß das seraphische Gemüt der hochseligen Kaiserin auf den Prinzen übergegangen sei. Übrigens, meinte der Beichtvater, leide der Prinz wohl wirklich an einer Neigung, sich den Magen zu überladen.

Nachdem das Unwohlsein vorübergegangen war, äußerte sich der Prinz unverhohlen gegen seinen Vater, das Prunken der ungarischen Magnaten sei unleidlich, und es sei gar nicht zu verwundern, daß sie ihre rechtmäßige Herrschaft verachteten, wenn diese gar so schäbig daherkäme.

Ja, sagte der Kaiser, der Esterházy habe goldene Sporen gehabt, und sein Pferd, er habe es deutlich gesehen, sei mit echtem Silber beschlagen gewesen.

Auch die Reiterburschen, sagte der Prinz grämlich, hätten silbernes Sattelzeug gehabt. Er besitze keinen solchen Schmuck, wie hier die Pferde trügen.

Nun, sagte der Kaiser mitleidig tröstend, sie hätten ihm ja zwanzig schön geschirrte Pferde verehrt. Übrigens solle Ferdinand, der Sohn, ja nicht glauben, daß sie bei sich zu Hause ebenso aufzögen; da hätten sie kaum einen sauberen Nachtkittel, und ihre Weiber müßten sich alle Morgen lausen lassen. Ihre Bauern wohnten in Hundehütten und fräßen aus Hundeschüsseln, und aus solchem Gesindel bestehe ihre ganze Dienerschaft; wenn Gäste kämen, holten sie schleunig ein paar vom Misthaufen herunter und steckten sie ungewaschen in eine Livree, der Gestank dränge aber hindurch.

Darüber mußte der Prinz lachen. Schließlich, sagte er, wären sie doch König, und die Zeit käme wohl, wo er es sie spüren lassen könnte.

Die Krönung konnte indessen nicht so schnell bewerkstelligt werden, wie Ferdinand III. erwartet hatte, weil die ungarischen Stände mit dem Frieden, den der Kaiser mit Rakoczy, dem Fürsten von Siebenbürgen, vereinbart hatte, nicht einverstanden waren und ihn nicht ratifizieren wollten. Die katholischen Stände waren darüber entrüstet, daß in einigen der von Rakoczy eroberten Städte den Protestanten gewisse Kirchen eingeräumt werden sollten; diese beklagten sich, weil ein Teil der Kirchen ihren Glaubensgenossen bereits wieder gewaltsam entrissen worden wäre.

Als es bei einer Reichstagssitzung beinah zu einer Defenestration gekommen wäre, begab sich der alte Slawata zum Kaiser und bat ihn, in Erwägung zu ziehen, ob er sich nicht durch den Friedensvertrag an Gott versündige. Sei die Defenestration erst einmal da, würden Rebellion, Krieg und Untergang der Welt bald nachfolgen.

Es sei ja aber niemand de facto zum Fenster hinausgeworfen worden, wandte der Kaiser ein.

Bei den Köpfen hätten sie sich aber bereits gehabt, sagte Slawata.

Das habe nichts auf sich, sagte Lobkowitz, daß sie untereinander rauften; wenn sie nur ihrem König gehorchten.

Wie man von Gehorsam reden könne, seufzte Slawata, wenn Jesuiten ausgetrieben und den Ketzern Kirchen ausgeliefert würden. Das heiße ja Beelzebub ein Pförtlein auftun.

Der Kaiser entgegnete ein wenig ungeduldig, sein Beichtvater habe ihm selbst zu dem Friedensvertrage geraten; ginge er nicht darauf ein, so würde der Rakoczy mit dem Schweden gemeine Sache machen und würde man unversehens den Türken im Lande haben.

Der Rakoczy stehe sowieso schon mit Torstensson in Unterhandlung, fügte Lobkowitz hinzu, er wisse es genau; der Friedensschluß fange an ihn zu reuen, nachdem den Evangelischen das Versprechen nicht gehalten würde. Er, Lobkowitz, sei gewiß ein frommer Katholik, aber ein Staatsmann müsse wissen, daß man keine Mauer mit dem Kopfe einrennen könnte.

Der Kaiser stimmte bei, indem er zugleich Slawata seiner unerschütterlichen Gnade versicherte. Das sei alles nur vorläufig, sagte er, Gott werde ihn ohne Zweifel noch von den Schweden befreien, er habe seine Absicht ja deutlich gezeigt, indem er den Gustav Adolf und den Wallenstein rechtzeitig auf die Seite geräumt hätte.

Slawata beteuerte, daß ihn nur die Sorge um den Kaiser und sein Haus antreibe, und warnte nochmals vor Verträgen mit den Ketzern. Durch dergleichen höllisches Paktieren hätten die hochseligen Kaiser Rudolf und Matthias sich in Ruin gebracht und die ewige Seligkeit hasardiert.

Es hielt sich damals in Preßburg der Pater Gladitsch aus Magdeburg auf, der sich wunderbarer Gewalt über die Seelen der Verstorbenen rühmte, so daß er sie dazu bewegen konnte, über ihren Zustand im Jenseits Rechenschaft abzulegen. Diese Kraft sowie das Recht, sie auszuüben, waren ihm nach seiner Angabe von der Jungfrau Maria ausdrücklich verliehen, was denn seinen Produktionen die himmlische Beglaubigung aufprägte und keinen Zweifel aufkommen ließ. Die Beschwörungen wurden in der Weise ausgeführt, daß Gladitsch in einer gewissen Kirche vor einem Marienaltar betete, worauf nach kürzerer oder längerer Zeit die Seele, auf welche es abgesehen war, sich kundtat, sei es durch ein freundliches weißes Licht, das über dem Altar erglomm, durch eine Taube oder Blume, die plötzlich in Erscheinung trat, oder andererseits durch Verdunkelung, Seufzen, Heulen und ähnliche verfängliche Zeichen. Unter großem Zulauf des Hofes gab er mehrere Vorstellungen, bei denen er die Seelen des heiligen Konstantin, der heiligen Kunigunde und anderer bewährter Personen mit bestem Erfolg zitierte.

Ganz besonders befreundete sich der alte Slawata mit Gladitsch und offenbarte ihm, daß der Pater imstande sei, ihm einen wichtigen Dienst zu leisten, indem er ihm ein urkundliches Zeugnis aus dem Jenseits über gewisse Individuen verschaffte, deren Gottlosigkeit er, Slawata, zu ihren Lebzeiten durchschaut, aber nicht unwiderleglich hätte beweisen können. Es würde auch, meinte er, vielen den Glauben stärken, wenn sich öffentlich zweifellos erhärten ließe, daß Gott sich gewissermaßen auf seine, Slawatas, Seite geschlagen und die Gegenpartei verworfen hätte. Die beiden Personen, auf die es Slawata vorzüglich ankam, waren Wallenstein und der alte, vor sechs Jahren verstorbene Graf Thurn, deren jenseitige Verhältnisse Gladitsch nunmehr in einer feierlichen Sitzung festzustellen versuchte.

Er begann mit der Seele des alten Thurn und hatte kaum einige Gebete gesprochen, als sein Auge auf eine Fledermaus fiel, die, vorher von niemandem gesehen, an einer hinter dem Altar befindlichen Säule hing. Es werde sich wohl jeder denken können, sagte er, mit dem Finger darauf hinweisend, was dies zweideutige Wesen und vermummte Teufelein zu bedeuten habe, worauf er zu Wallenstein überging, der aber länger mit der Kundgebung zögerte. Fast wollten den Pater die Kräfte verlassen, und er erklärte, die Seele müsse sich – was aber Gott verhüten möge – in der untersten Hölle befinden, daß seine Beschwörung sie nicht anpackte, da endlich zeigten sich an der Wand des Altars ein paar dicke Blutstropfen, von welchen ein schwefliger Gestank ausging, dem vergleichbar, welchen des Friedländers justifizierter Leichnam, nach der Aussage von Augenzeugen, im Augenblick des Todes von sich gegeben hatte.

Der Kaiser äußerte sich gegen Slawata, es diene ihm sehr zur Beruhigung, daß die Wallensteinische höllische Bosheit nun offenkundig geworden sei; denn es gäbe doch hämische Leute, die immer noch zweifelten, ob er den Tod verdient habe, was der kaiserlichen Ehre verkleinerlich wäre.

Inzwischen verschärfte sich die feindselige Stimmung zwischen den katholischen und protestantischen Ständen so, daß der Kaiser, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, abreiste. Erst im Juni des folgenden Jahres waren die schwebenden Streitfragen beigelegt, und die Krönung konnte vollzogen werden.

*

Am Jüngsten Tage wolle er es mit dem Kurfürsten von Bayern vor Gottes Richterstuhl ausmachen, sagte Johann von Werth. Da wolle er ihm seine Schelmerei und Verräterei um die Ohren schlagen, damit sie Gott offenbar würde. Und wenn er die ewige Seligkeit darüber verlöre, einmal müsse er die volle Brust erleichtern.

Ja, ein häßliches Stück sei es vom Kurfürsten, ein rechtes Judasstück, sagte der Generalwachtmeister Johann von Sporck, einen so gnädigen Kaiser zu verraten. Der Teufel müsse seinen Schwanz darin haben.

Der Teufel sei der Kurfürst selber, sagte Oberstwachtmeister Graf Salm; dem Himmel solle Dank sein, daß man das Schwänzlein noch rechtzeitig hätte hervorgucken sehen. Die Herren sollten bedenken, daß der Kaiser sich eigentlich um des Kurfürsten willen den Krieg auf den Hals gezogen hätte; so röchen sie den Schwefel erst recht. Zu Gustav Adolfs Lebzeiten habe der Kurfürst ja auch stets mit den Franzosen gemischt und gekartet; aber das fromme, unschuldige Kaiserherz habe dergleichen bayrische Tücke nicht gemerkt oder glauben wollen und habe sich aus lauterer Bundestreue stets neue Feindschaften über den Hals gezogen.

Er wäre auch viel zu treuherzig gewesen, sagte Johann von Werth, um solches für möglich zu halten, sonst hätte er diesen Dienst längst aufgegeben, bei dem ohnehin nichts als Undank für ihn herausschaute. Der Kurfürst habe ihn nie leiden mögen, vielleicht weil er sein gut kaiserliches Herz verspürt hätte.

Freilich, freilich, sagte Salm, es sei ja eine Schande und öffentlicher Despekt gewesen, daß der Kurfürst ihm, dem ältesten und verdientesten General, wiederum einen anderen vorgezogen hätte. Der Kaiser gehe anders mit seinen treuen Dienern um.

Er wisse wohl, wie es zusammenhänge, sagte Werth, die hochgeborenen Herren wollten sich nicht unter ihn stellen, weil er seine Kindheit nicht in einer gekrönten Wiege, sondern in Schweineställen zugebracht hätte. Aber er hätte nie vermeint, daß der Kurfürst den neidischen Gecken sein Ohr leihen würde.

Sporck, der meistens schwieg, lachte aus vollem Halse. Als ob der Heiland nicht im Stalle geboren wäre! Das bedächten die Maulchristen nicht, die bei Hofe und in der Kirche scharwenzelten.

Ihm wolle es so scheinen, sagte Graf Salm, als habe Gott selbst dies herbeigeführt, damit Werths Verdienst endlich nach Gebühr ans Licht gezogen würde, indem er sich ganz auf des Kaisers Seite schlüge. Wenn Werth ihm die Vollmacht gäbe, wolle er sich heimlich ins kaiserliche Lager stehlen und den Handel einleiten.

Johann von Werth ging mit großen Schritten in dem niedrigen Zimmer seines Landshuter Quartiers auf und ab. Wenn er den Kurfürsten nicht gewarnt hätte! grollte er. Noch in seinem Neujahrsglückwunschschreiben habe er ihm die Zweizüngigkeit und Untreue der Franzosen zu Gemüte geführt; er, der Kurfürst, sei ihm aber in seinem Danksagungsbrieflein nur spitzig und fürwitzig übers Maul gefahren. Er habe sich damals schon schwarze Gedanken gemacht, wenn er sich auch solcher Falschheit nicht versehen hätte. Unfürstlich und unchristlich zumal sei es, einen armen Diener in solche Lage zu bringen, wo er seine Ehre nicht heil davonbringen könne. Wie er sich auch anstellte, entweder vom Kaiser oder vom Kurfürsten werde er sich als Verräter müssen traktieren lassen.

In derselben Angelegenheit erschien jetzt ein Jesuit, als Diener gekleidet, um keinen Verdacht zu erregen. Johann von Werth küßte dem Erwarteten die Hand, suchte es ihm so bequem wie möglich zu machen und dankte ihm für sein Kommen, da er Erlösung aus seinen Zweifeln von ihm erhoffe. Er wisse nicht ein noch aus, sei zwar entschlossen, dem Kaiser die Treue zu halten, möchte aber als guter Christ und redlicher Soldat sein Gewissen aus der Schlinge ziehen.

Der Jesuit faltete die Hände und sah Johann von Werth lächelnd ins Gesicht. Ja, wo denn da ein Problem oder Dilemma sei? fragte er. Er habe kaum je einen so leichten Kasus gesehen! Der Kurfürst habe sich treulos an seinem kaiserlichen Herrn vergangen, indem er mit dem Feinde des Kaisers, den Franzosen, hinterrücks Frieden geschlossen habe, und der Kaiser habe ihn, Werth, nebst allen anderen im kaiserlich bayrischen Heere stehenden Offizieren abberufen. Wer ein ehrliebender Deutscher sei, müsse dem Rufe gehorchen.

Das sei wohl war, sagte Werth; aber die Offiziere hätten das Abberufungsschreiben alle pflichtschuldigst dem Kurfürsten eingesandt, und ihn habe der Kurfürst schon argwöhnisch angelassen, weil er das seinige so lange zurückbehalten hätte.

Das wolle er nicht glauben! sagte der Jesuit mit einem fast erschrockenen Blick auf Werth, daß die Herren sich beim Kurfürsten den Permiß einholten, ihrem Kaiser zu gehorchen! Ob Werth etwa bezweifle, daß der Kaiser sein oberster Herr sei?

Da sei Gott vor, antwortete Werth kleinlaut; aber er habe doch auch dem Kurfürsten den Eid geleistet, der Kurfürst habe ihn bezahlt, und er habe die ganzen Jahre hindurch Ordre vom Kurfürsten erhalten.

Der gemeine Soldat erhalte auch Ordre von seinem Obersten, entgegnete der Jesuit, und doch sei er dem General als dem höchsten Haupte unterworfen. Wenn aber Werths Gewissen so subtil sei, könne er auch von dem Eide, den er dem Kurfürsten geleistet, entbunden werden.

Ja, wenn das möglich wäre! sagte Werth aufatmend. Dann würde ihm wieder leicht ums Herz werden!

Werth könne gewiß sein, sagte der Jesuit, daß er nicht nur keine Sünde auf sich lüde, indem er dem Kaiser die Armee zuführte, sondern seine Pflicht erfüllte und durch den Nutzen, der damit dem Erzhause und der Kirche geschähe, sich unsterbliches Verdienst erwürbe.

Johann von Werth verfiel wiederum in Nachsinnen. Die ehrwürdigen Väter, sagte er, könnten und würden doch aber nicht das ganze Heer vom Eide entbinden?

Freilich nicht, erwiderte der Jesuit unbefangen, das würde ja auch überflüssige Mühe sein. Der Untergebene brauche nicht für sich zu entscheiden, der hänge von seinem Oberfeldherrn ab; wo bliebe da die Ordnung, wenn jeder Wachtmeister und gemeine Soldat seinem unberatenen Gewissen nachlaufen wollte? Es habe ja auch jeder Mann, vom obersten bis zum niedrigsten, so viel Zutrauen und Anhänglichkeit für Werths Person, daß sie ohnedies alles in seine Hand legen würden. Der Kaiser sei darüber auch ganz beruhigt und habe sich mehrmals geäußert, wenn er nur den guten, frommen Werth hätte, so sei er der ganzen Armee gewiß. Werth tue ein gutes Werk, wenn er so viele arglose Christenseelen verhindere, mit dem bayrischen Luzifer zur Hölle zu fahren.

Erleichterten Gemüts begab sich Johann von Werth nun an die sorgfältige Vorbereitung seines Vorhabens, reiste nach München, wohin der Kurfürst, seinen Schlupfwinkel Wasserburg aufgebend, sich wieder begeben hatte, und benahm ihn und seine Räte jedes Argwohns, den sein Benehmen ihnen eingeflößt hatte. Als er kurz darauf den Befehl des Kurfürsten erhielt, die Regimenter an die böhmische Grenze vorrücken zu lassen, weil diese durch die Schweden bedroht wäre, beschloß er, die Gelegenheit zur Ausführung des geplanten Übertritts zu benutzen. Er fertigte Befehle an die verschiedenen Regimenter aus, nach Deggendorf, Eichstädt, Weiden zu ziehen, und benachrichtigte die kaiserlichen Offiziere, die schon früher angewiesen waren, im gegebenen Augenblick die zu ihnen stoßenden bayrischen Truppen aufzunehmen. Nachdem dies geschehen war, besprach er mit Sporck, ob es rätlich sei, noch mehr Offiziere in das Geheimnis zu ziehen. Sporck meinte, das würde nur Umstände und Weiterungen verursachen, weil doch der eine oder andere sich mit Widerspruch mausig machen würde, wenn man die Sache seinem Urteil unterbreitete. Frage man nicht lange, so zottelten sie wie die Schafe dem Hammel nach.

Seines eigenen Regiments sei er vollkommen sicher, sagte Johann von Werth. Herzog Ulrich von Württemberg sei ihm wie ein leiblicher Bruder zugetan, sie hätten Glück und Gefahr in unzähligen Treffen geteilt und wären unverbrüchlich verbunden. Der Herzog wiederum habe viel Einfluß auf den Walbot und den Druckmüller, so könne es da nicht fehlen.

Diesen evangelischen Herren, meinte Sporck, wäre ohnehin nichts an der Person des Kurfürsten gelegen; sie dienten ihm nur, weil wegen des vorhandenen Geldes das Kriegswesen nirgends so scharf getrieben würde wie in Bayern.

Werth tat einen langen Zug aus seinem Bierkruge und wischte sich den Schweiß von der Stirne; es war Ende Juni, und seit einigen Tagen herrschte drückende Hitze. Über der Trausnitz hatte sich der Himmel verdunkelt, als wolle es Nacht werden.

»Der Schweiß läuft von mir ab wie der Regen aus einer Dachtraufe«, sagte Sporck. »Hoffentlich wird bald ein Wetter aus der Wolke schlagen.«

»Das steht in Gottes Hand«, sagte Werth. Er könne nichts anderes denken, als wie er sich am Kurfürsten rächen könnte. Wäre er, Werth, weniger treuherzig gewesen, hätte er dieses Fürsten unredliche Gesinnung längst durchschaut. Weil jener sein redliches Herz erkannt hätte, deswegen habe er ihn stets zurückgesetzt.

In diesem Augenblick fuhren beide Männer auf und bogen sich aus dem offenen Fenster, weil sie das Klappern eines herangaloppierenden Pferdes vernahmen. »Es wird doch nichts vor der Zeit ausgekommen sein?« sagte Werth unruhig. »Der Teufel hol es, daß von dreien immer einer ein Verräter ist!«

Indessen erwies sich der Reiter als ein Eilbote aus München mit einem Brief des Kurfürsten, in welchem er seinen Befehl, den Schutz der Grenzen betreffend, zurücknahm.

Johann von Werth fertigte den Mann rasch ab und zerriß dann das erhaltene Schreiben in Fetzen, zerrieb sie zwischen den Händen, warf sie zur Erde und trat mit den Füßen darauf herum. Nun tue Eile not, sagte er, die ganze Armee müsse sich sofort in Bewegung setzen. Es fehle nur noch die Unterschrift des Generalwachtmeisters von Holz, der die Befehle an das Fußvolk ausgeben müsse. Der Holz sei ihm kürzlich etwas verdächtig vorgekommen. Ob Sporck nichts bemerkt habe?

Sporck lachte kurz auf. Der Holz sei von jeher eine verdrossene Bestie gewesen, wie die Ketzer meistens wären. Weiter habe das nichts zu bedeuten.

So? sagte Werth. Er habe ihm, dem Holz, einmal einen Faustschlag versetzen wollen, weil er sich geweigert hätte, die Franzosen Hurensöhne zu nennen.

Werth solle ihm nur die Zähne zeigen, riet Sporck, er sei ein aufgeblasener Besserwisser.

Werth war nicht ganz überzeugt und empfing Holz, der sich am folgenden Morgen einfand, nicht unverlegen mit polternder Vertraulichkeit. Er brauche nur noch seine Unterschrift unter ein paar Wische, sagte er, nachdem er ihm zugetrunken hatte, damit das Fußvolk verabredetermaßen aufbräche.

Er wisse nichts von der Verabredung, sagte Holz; ob ein Befehl des Kurfürsten vorhanden sei?

Das müsse ihm doch bekannt sein, sagte Werth unwillig, daß die Grenze wegen der Schweden besetzt werden solle!

Er habe keinen dergleichen Befehl vom Kurfürsten gesehen, beharrte Holz. Werth solle ihm denselben zeigen.

Er habe Befehle vom Kaiser, sagte Werth laut und heftig, das sei genug für einen ehrlichen deutschen Kavalier.

Bei aller schuldigen Ehrfurcht vor dem Kaiser, entgegnete Holz, dürfe er doch, da er dem Kurfürsten den Eid geleistet, nichts ohne kurfürstlichen Befehl tun.

»So!« rief Werth zornig; »da könnte der Kurfürst dich auch gegen den Kaiser schicken?«

Einer solchen Unbescheidenheit glaube er sich vom Kurfürsten nicht versehen zu müssen, sagte Holz zögernd.

Dunkelrot vor Wut im Gesicht sprang Werth auf und stellte sich dicht vor den Generalwachtmeister. »Solltest du nicht wissen,« schrie er, »daß der Kurfürst zum Schelm am Kaiser geworden ist und mit dem Reichsfeind paktiert hat?«

Es stehe einem ehrlichen Soldaten nicht zu, an seines Herrn Handlungen zu mäkeln, sagte Holz, indem er vorsichtig ein paar Schritte zurücktrat.

»Wenn du ein solcher Hund bist,« schrie Werth, »so gehorche und schreib!« Holz zögerte einen Augenblick, dann setzte er unter die ausgefertigten Befehle, die auf dem Tische lagen, seinen Namen, ohne die Augen aufzuschlagen. Als er damit fertig war, bot Werth ihm die Hand und sagte begütigend, Holz solle ihm verzeihen, daß er ihm so grob übers Maul gefahren wäre. Er wisse aus Erfahrung, daß Holz ein wackerer Kamerad und redlicher Edelmann sei. Sie hätten es ja oft miteinander beklagt, daß der Kurfürst sich von den übermütigen Franzosen anschmieren ließe. Der Generalwachtmeister schob seine Hand wie ein Stück Holz in die dargebotene Werths und antwortete nicht. Werth möge ihn beurlauben, sagte er, er wolle schleunig in sein Quartier zurück, um das Nötige für den Aufbruch zu veranlassen.

Im nächsten Orte fand Holz die Obersten Gehling, Walbot und Druckmüller, die ihn erwarteten und begierig fragten, was vorgefallen sei. Es gelte schnell einen Entschluß zu fassen, sagte Holz, der nach hastigem Ritt außer Atem vom Pferde sprang, Werth wolle die ganze Armee dem Kaiser in die Hände spielen. Der ausführliche Bericht des Generalwachtmeisters versetzte die Obersten in große Erregung: für einen eidbrüchigen Verräter hätten sie Werth doch nicht angesehen, sagten sie. Der sei ja ärger als der Wallenstein! Das sei der Dank, daß der Kurfürst ihn aus dem Dreck geholt und zu etwas gemacht hätte!

Er wolle des Kurfürsten Verhalten gegen den Kaiser nicht durchaus billigen, sagte Holz, aber das entschuldige den Werth nicht. Man dürfe nicht glauben, daß es ihm um den Kaiser zu tun sei, er sei nur empfindlich, weil der Kurfürst ihn nicht zum Feldmarschall gemacht hätte. Er wisse es ganz gewiß durch Herzog Ulrich von Württemberg, daß die Ernennung Gronsfelds den Ausschlag gegeben hätte. Ob der Herzog noch nicht eingetroffen sei?

Er habe, hieß es, einen eigenhändigen Brief geschickt, es sei ihm herzlich leid um den General von Werth, mit dem er immer freundbrüderlich zusammengehalten hätte; aber als ein Soldat von Ehre könne er doch den Kurfürsten nicht verraten. Sei also einverstanden, daß man dem Kurfürsten insgeheim eine Warnung zukommen ließe, werde auch keinesfalls sein Volk über die Donau gehen lassen, und wenn Blut fließen müsse, so werde er seins nicht schonen.

Was das betreffe, sagte Holz, so sei er fest entschlossen, es im Notfall auf einen Kampf ankommen zu lassen. Seiner Truppen sei er ganz sicher, die scherten sich nicht um den Kaiser, wären gut bayrisch.

Von ihnen als Protestanten sei es am wenigsten zu erwarten, sagten die anderen Obersten, daß sie dem Kaiser Vorschub leisteten. Wenn er sähe, daß der Kurfürst ernstlich zum Frieden geneigt wäre, würde er vielleicht endlich auch nachgeben.

* * *

 


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