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Als Heinz Marquardt eines Morgens um 9 Uhr erwachte, wie gewöhnlich, brachte seine Wirtin ihm ein Schreiben der Staatsanwaltschaft. Neugierig öffnete er es und fand darin, daß eine Anklage gegen ihn wegen Beamtenbeleidigung, begangen durch die Presse, erhoben war.
Das schien ihm sehr drollig! In der Anklageschrift war auch der wörtlich abgeschriebene Artikel aus den »Berliner Nachrichten« enthalten, in dem Marquardts Unterredung mit dem Untersuchungsrichter Dr. Birkner einer scharfen Kritik unterzogen worden war. »Mannstein und Genossen« hieß die Strafsache, und Mannstein war der verantwortliche Lokalredakteur.
Also jetzt wollten sie ihn wohl noch bestrafen dafür, daß er an Maaßens Schuld nicht glaubte? Marquardt lachte hell auf und sprang aus dem Bett. Darum waren wohl auch die wiederholten Vorladungen an ihn ergangen, denen er ebensowenig Folge gegeben hatte, wie den Zeugenvorladungen zur Hauptverhandlung gegen Maaß, weil er in dieser Sache mit der Polizei nichts, aber auch gar nichts zu tun haben wollte!
Uebrigens hatte er heute durchaus keine Zeit, viel über diese Dinge nachzudenken, heute war Trudes Geburtstag, und den wollte er feiern, wie sie beide zusammen ihn gefeiert hatten!
Draußen im Walde!
So zog er seinen besten Rock an, trank schnell Kaffee und fuhr hinaus nach dem Grunewald.
Die Sonne schien und die Wipfel rauschten im sanften Wehen. Busch und Baum prangten im goldgrünen Lenzesschleier, und die Vögel sangen die Liebesmelodien, bei denen Trude und Heinz sich einst geküßt hatten.
Ein Fink war vom Baum herabgeflogen auf den Waldboden und hüpfte ganz nahe heran. Marquardt rührte kein Glied, um das Tierchen nicht zu verscheuchen! ...
Auf einmal flog der Fink trotzdem auf.
Und gleich darauf hörte auch Marquardt Menschenstimmen.
Ein Gefühl, über das er sich keine Rechenschaft ablegte, zwang ihn, sich ganz still zu verhalten.
Die Stimmen wurden lauter.
Er sah Gestalten zwischen den Bäumen, noch fern, aber näherkommend.
Und auf einmal bemächtigte sich des einsamen Mannes eine ungeheure Spannung: im Ungreifbaren, Ahnungsvollen bewegte es sich heran, stetig und unaufhaltsam, wie das Schicksal selber.
Da stimmten zwei der sich Nahenden ein Lied an, ein freches, gemeines Lied, das den Frieden und die Schönheit dieses blühenden Frühlingstages wie mit Kot bespritzte.
Die Stimmen kamen wieder ab ...
Heinz Marquardt erhob sich. Geduckt, wie ein Raubtier, schlich er jenen nach.
Sie hatten sich bereits gewandt, in den Wald hinein, der hier hügelig war und mit seinen auf- und abrollenden Bodenwellen die laute Gesellschaft ganz verbarg.
Aber schnell und lautlos, von Deckung zu Deckung springend, wie der Jäger, der sich an das Wild anpürscht, erreichte Heinz Marquardt die aus vielleicht zehn Köpfen bestehende Gesellschaft.
Es waren durchweg Männer. Junge, kräftige, gut gekleidete Leute, die laut lachend und schreiend, zwischen den Bäumen hin und her sprangen und mit irgend etwas ihren Scherz trieben.
Heinz Marquardt hatte sich zu lange und zu eingehend mit den untersten Klassen und besonders mit den außerhalb der Gesellschaft stehenden beschäftigt, um nicht sofort zu sehen, daß es eine Rotte von Zuhältern war, die sich hier draußen amüsierten.
Und jetzt sah er, hinter einem Wacholderbusch stehend, auch, was ihrer Heiterkeit immer neue Nahrung gab.
Durch ein immer lauteres »Miau« wurden seine Blicke auf eine Katze gelenkt, deren Bewegungsfähigkeit irgendwie gehemmt sein mußte, da sie bei jedem Versuch, auf einen Baum zu klettern oder auszureißen, von irgendeinem aus der Bande gefaßt und wieder herabgerissen wurde.
Jetzt mußte sie einen gekratzt haben, denn ein Fluchen wurde hörbar, und die anderen verhöhnten unter lautem Gejohle den Verletzten.
Marquardt stand stocksteif hinter seinem Wacholderbusch, denn auf der Jagd nach der Katze, die sich anstrengte, ihren Peinigern zu entfliehen, waren mehrere bis ganz dicht in seine Nähe gekommen.
Er zog seinen Revolver, weil er glaubte, daß ihn diese Menschen nur zu sehen brauchten, um sofort auch mit ihm anzubinden.
Aber sie ergriffen die Katze, der, wie Heinz jetzt sehen konnte, die Hinterbeine mit einem Strick zusammengebunden waren, und kehrten wieder um.
Mit größter Vorsicht, aber unbeirrt durch irgendwelche Angst, folgte ihnen der Witwer.
Nun wurde es dem einen, der wohl abermals eine Kratzwunde erhalten hatte, zuviel, er faßte den Strick und schlug die Katze, ein starkes, gestreiftes Exemplar, mehrmals gegen den Stamm einer Föhre.
Aber das zähe Leben des Tieres bot dem Trotz. Der Strick zerriß und die Katze kroch weiter.
Das schien die Wut und die Mordlust in diesen Lotterbuben vollends zu entfachen, mit ihren Stöcken und Messern fielen sie über die mißhandelte Kreatur her und machten ihr, schreiend und zotige Witze reißend, vollends den Garaus.
Heinz Marquardt widerte das an. Er hatte sich abgekehrt und wartete, bis der letzte Schmerzenslaut des armen Katers verhallte. Dann folgte er der offenbar nicht mehr nüchternen Gesellschaft, die jetzt untereinander Streit zu suchen anfing.
Einer hatte den anderen gegen einen Baum geworfen, der antwortete mit einem Faustschlag und sofort bildeten sich zwei Parteien, die aufeinander losgingen.
Besonders ein langer, hagerer Mensch mit geschmeidigen Bewegungen – die Gesichter konnte Heinz, der jetzt wieder weiter von ihnen abstand, nicht gut erkennen – geberdete sich wie ein Rasender. Er schlug sich mit zweien, und wie ihn der eine auf den Erdboden niederriß, war er wie eine hochschnellende Feder wieder auf den Beinen.
»Feste, Heiland, feste!« schrie ein Dicker, der sich abseits hielt und der gleich darauf von einem Heranspringenden eine mächtige Backpfeife bekam.
Heiland??
Marquardt wäre am liebsten dazwischen gesprungen, um zu erfahren, ob das der Heiland war, der seinerzeit die Ernestine Augst beschützte.
Indem glitt im raschesten Lauf ein großer, breitschultriger Mensch mit schwarzem Haar, der den Hut verloren hatte, zwischen den Stämmen hindurch.
Nur einen Augenblick hatte Marquardt ihn gesehen, aber das genügte, es war jener Mensch, den er damals in der Nacht vor dem Fenster der »Baronesse« in der Maaßenstraße hatte stehen sehen! ... Das war er! ...
Nun lief ein Teil, wohl die Schläge gekriegt hatten, auf dem Wege nach Paulsborn zu.
Die anderen blieben.
Und Marquardt, der nicht recht gesehen hatte, wer gelaufen war, stand unschlüssig und wollte ihnen eben nachgehen, als die Zurückgebliebenen sich ebenfalls in Trab setzten.
Sie kamen an ihm vorbei, sahen ihn und schienen, da einer den anderen aufmerksam machte, schon anhalten zu wollen, rannten aber dann doch weiter, ohne sich um Heinz zu bekümmern.
Der ging, bis sie außer Sichtweite waren, langsam seines Weges, dann folgte er ihnen, so schnell er konnte.