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9

Doktor Splittericht war der Tochter des Konsuls bis zum Eingang der Diana-Säle nachgegangen und hatte sich nach einer kleinen Pause weiter vorgewagt. Er verhandelte eben mit dem Mann im schwarzen Pierrotkittel wegen des Eintritts, den dieser ihm nicht ohne Maske und Maskenkleid gestatten wollte. Überhaupt dürfte Splittericht – der sich als Artist Lange vorgestellt hatte – nicht so ohne weiteres hinein! Er sollte doch mal seine Einladung zeigen!

Der Pierrot wurde in seiner Haltung drohend, und der Doktor-Kommissar überlegte, ob er wohl den Polizeiausweis vorzeigen solle, den – eine besondere Vergünstigung! – Oberregierungsrat Henderson ihm gegeben hatte.

Aber da tat sich die Saaltür wieder auf, ein paar junge Leute in Frack und weißer Weste kamen heraus, und kaum hatte der eine von ihnen den ehemaligen Kriminalinspektor erkannt, als er mit ausgestreckten Händen auf ihn zuschritt:

»Wollen Sie uns besuchen, lieber Herr Doktor? Aber das ist ja reizend! Wenn Sie jetzt auch nicht mehr bei der Polente sind! Im Gegenteil, so sind Sie uns doppelt willkommen!«

Und er wandte sich zu dem Pierrot, dei mit offenem Munde dabeistand:

»Jawoll, Maxe, der hier, der war ja unser Allerfeinster! Wen der kriegen wollte, den hat er auch gekriegt! Und immer nobel und anständig. Mir hat er selbst drei Jährchen aufgepackt, aber darum keine Feindschaft! Ich trete doch für Sie ein, Herr Doktor ... Orlando und Konfektions-Willi sind auch hier und gewiß noch 'ne ganze Menge, die Sie kennen.«

Wieder und wieder drückte der Mann der Unterwelt, der nebenbei ein prominentes Mitglied des Klubs »Süd-Ost« war, der heute hier tagte, dem Doktor-Kommissar die Hand, stellte ihn vor und empfahl ihn seinen Kollegen.

»Aber ich bitte«, sagte Doktor Splittericht, »lassen Sie mich vorläufig ein wenig incognito bleiben. Ich wäre Ihnen auch sehr dankbar, wenn Sie mir eine Maske und ein Kostüm leihen könnten, wenn's auch nur ein ganz einfaches ist.«

»Aber ja, sofort, das sollen Sie gleich haben«, nickte das »Frettchen«, jener untersetzte, bei den Unterweltlern berühmte Geldschrankknacker, der den Detektiv eben so herzlich begrüßt hatte.

Und sein Begleiter, den sie Matrosen-Emil nannten, weil er früher mal auf einem Haveldampfer Schiffsjunge gewesen war, griff in seine Fracktasche, holte die eigene Larve hervor und reichte sie Splittericht.

Der Doktor mußte innerlich lachen über diese seltsame Welt, die ihn, je mehr er sich in ihr umsah, um so komischer anmutete. Es dauerte nur zwei Minuten, dann hatte er eine Mönchskutte über seinem Lohndienerfrack, die schwarze Larve verschloß das Gesicht bis zu den Lippen, und als er nun mit seinem Bekannten den Saal betrat, da schien er, in Bewegung und Gelächter ausgelassen wie die anderen, hier nur sein Vergnügen zu suchen. Rechts hinter dem Eingang, in einer breiten und tiefen Nische war das Restaurationsbüfett, von den Rittern der Unterwelt umlagert. Dort trank Splittericht mit den lustigen Gesellen, die es durchaus nicht gestatteten, daß er selbst einen Groschen bezahlte, zunächst den Begrüßungsschluck.

Dann ging er allein zwischen den Tischen hindurch, die um die Tanzflächen herum den Saal füllten, mischte sich unter die dem Tanze Zuschauenden und tanzte mit einer Frau, die er durch die Zartheit seines Wesens und die fast ehrfurchtsvolle Behandlung bezauberte.

»Ist hier nicht vor einiger Zeit eine Dame, wahrscheinlich mit einem Herrn, durchgekommen, die einen Fehpelz trug?«

»Ja«, sagte die Kleine im rosa Babykostüm und versuchte Splitterichts Maske zu lüften. »Sie sind wohl ein verwunschener Prinz?«

Splittericht hielt die hübsche Hand fest:

»Und haben Sie gesehen, wo die Dame hinging?«

Die Kleine zeigte hinauf nach der Etage, wo offene und mit Samtvorhängen geschlossene Logen die Pärchen zum Stelldichein luden.

»Aber sie hat einen bei sich gehabt!«

»So? Eine Maske?«

»Ja, so'n gelben Domino.«

Splittericht nahm einem vorbeieilenden Kellner zwei Gläser roten Sekt vom Tablett und trank mit seiner Dame; dann bat er, daß sie ihn entließe.

»Ich muß den Kavalier dieser Dame im Pelz sprechen.«

Sie drohte mit dem Finger:

»Aber ja keinen Stunk machen ... Ist hier streng verboten. Wer hier 'ne Lippe riskiert, fliegt in hohem Bogen!«

Der Doktor-Kommissar lachte und entwich der Niedlichen, die ihm ein Scherzwort nachrief, das er nicht mehr verstand. Er schlenderte um den Saal herum, blieb hier und da stehen, die Masken betrachtend oder mit einem hübschen Mädchen plaudernd. Dann stieg er die Treppe zur Galerie hinauf und fand leicht den Kellner, den er leise um eine leere Loge bat, möglichst neben der, in welcher jene Dame mit dem Fehpelz säße. Da diese Bitte sich mit einem dargereichten Zwanzigmarkschein verband, wurde sie prompt erfüllt. Der Doktor-Kommissar hatte, was er selbst immer als die vornehmste Eigenschaft eines Detektivs bezeichnete, er hatte Glück. Die linke Loge neben den Gesuchten war leer. Splittericht schob sich durch den verstaubten Samtvorhang. Er vernahm von nebenan eine verschleierte, vorsichtig gedämpfte Stimme:

»Du kannst machen, was du willst, Marion, du wirst mich niemals abschütteln. Im Anfang habe ich dich eingesponnen, weil ich dich brauchte, weil ich Geld von dir haben wollte. Und du hast mir gegeben und immer wieder gegeben. Aber das rechne ich für nichts, ihr habt so viel, daß euch das nichts ausmacht, du und dein Vater! ... Damals warst du mir noch nichts, nicht mehr als jede andere Frau. Aber heute liebe ich dich. Ich will dich haben, und wenn ich dafür einen Menschen umbringen müßte ...«

Marion lief es kalt über den Rücken. Sie fühlte in diesem Augenblick: dieser Mensch da würde imstande sein, seine Worte wahrzumachen. Und sie dachte mit einer unendlichen Zärtlichkeit an den, den sie liebte. Die Angst, die sie hierhergetrieben, die sie in die Nähe dieses Elenden hatte eilen lassen, dieses grauenhafte Gefühl der Abhängigkeit, des Gefesseltseins an einen Unhold lähmte ihr Herz und ließ sie fast verzagen.

Splittericht hörte Marion flüstern. Dann sagte der Mann wieder:

»Ich werde wahrscheinlich morgen schon bei euch sein. Und ich sage dir heute: Ich will den Wieland, deinen Verlobten, den will ich nicht sehen. Wenn wir beide zusammenkommen, er und ich, gibt das nichts Gutes!«

Da raffte Marion sich zum Widerstand auf. Ihre Liebe zu Stefan und die Empörung, daß sie ihn verleugnen sollte, gaben ihr Mut:

»Vergessen Sie nicht, daß ich Sie jeden Tag anzeigen kann – wegen Erpressung!«

Er lachte heiser:

»Damit du erst recht in die Zeitungen kommst! Und unser kleines Abenteuer in Daxlau überall bekannt wird!«

Marion stieg ein Schluchzen in die Kehle, aber sie kämpfte es nieder:

»Ich habe jetzt einen Mann kennengelernt!« – sie dachte an Splittericht –, »der wird mir beistehen und wird mich vor Ihnen schüren, Sie erbärmlicher Mensch!«

Sein Lachen kam wie aus der Tiefe:

»Wohl ein Detektiv?«

Marion erschrak. Wußte dieser Abscheuliche denn alles? Konnte er denn wirklich in ihrem Herzen lesen?! ... Eine tiefe Mutlosigkeit überkam sie vor solcher Überlegenheit. Dennoch sagte sie, sich zum Letzten aufraffend: »Sie werden es bald sehen!«

Er schien zu überlegen – dann noch verhaltener:

»Da ist es wohl das beste, ich nehme dich überhaupt hier fort ... und ... sage dir ... heute nacht ... ohne Widerrede ... Bahnhof ...«

Splittericht spannte sein Gehör aufs äußerste an, aber er verstand nur noch die einzelnen Worte.

Dann hörte er Stühle rücken, hörte flüstern. Und leichte und schwere Schritte draußen auf dem Gang.

Er wartete ein wenig, spähte vorsichtig durch die Gardine seiner Loge auf den Korridor hinaus und sah die beiden am Ende des Ganges bei der Treppe verschwinden.


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