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Der Leser hat das Innere der Alhambra flüchtig überschaut und wird nun auch eine allgemeine Vorstellung von dessen Umgebung zu haben wünschen. Der Morgen ist heiter und lieblich; die Sonne hat noch nicht Kraft genug erlangt, die Frische der Nacht zu vernichten; wir wollen auf die Spitze des Thurmes des Comares steigen und Granada und dessen Umgebungen überschauen.
Komm denn, werther Leser und Gefährte, folge meinen Schritten in diese Vorhalle, die mit reichem Bildwerk geschmückt ist und in den Gesandtensaal führt. Wir wollen aber nicht in den Saal treten, sondern uns links zu dieser kleinen Thüre wenden, die sich in der Mauer öffnet. Gieb Acht! hier ist eine steile Wendel-Treppe und nur spärliches Licht; doch auf dieser engen, dunklen, gewundenen Treppe sind die stolzen Herrscher von Granada und ihre Gemahlinnen oft zu den Zinnen des Thurms emporgestiegen, um der Annäherung der christlichen Heere zu achten, oder auf die Kämpfe in der Vega zu schauen. Endlich sind wir an dem Dache oben und können einen Augenblick Athem holen, während wir einen allgemeinen Blick auf das glänzende Panorama von Stadt und Land; von felsigem Gebirg, grünem Thal und fruchtbarer Ebene; von Schloß, Kathedrale, maurischen Thürmen und gothischen Domen; von zerfallenden Ruinen und blühenden Laubgängen werfen.
Laß uns zu den Zinnen treten und unmittelbar niederblicken. Sieh, auf dieser Seite haben wir den ganzen Plan der Alhambra vor uns ausgebreitet und können in ihre Höfe und Gärten niedersehen. Am Füße des Thurms ist der Hof der Alberca mit seinem großen Becken, oder Fischteich, von Blumen umgeben; und dort ist der Löwenhof mit seinem berühmten Brunnen und seinen leichten maurischen Arkaden; und in dem Mittelpunkt des Gebäudes ist der kleine Garten, der Lindaraxa, in dem Herzen des Baues, mit seinen Rosen und Citronen, und seinem Gebüsch von Smaragd Grün begraben.
Jener Gürtel von Zinnen, der mit viereckigen Thürmen besetzt, sich um die ganze Stirn des Hügels zieht, ist die äußere Grenze der Veste. Einige Thürme sind, wie du siehst, verfallen und Rebenstöcke, Feigenbäume und Aloen bedecken ihre großen Trümmer.
Laß uns auf die nördliche Seite des Thurms schauen. Es ist eine schwindliche Höhe; selbst die Grundpfeiler des Thurmes überragen die Bäume an der steilen Hügelseite. Und sieh! ein langer Spalt in der festen Mauer sagt uns, daß der Thurm durch eines jener Erdbeben gespalten worden, welche von Zeit zu Zeit Granada in Schrecken setzten, und die früher oder später, dieses zerfallende Gebäude in einen bloßen Trümmerhaufen verwandeln müssen. Die tiefe, enge Schlucht unter uns, die sich allmählig erweitert, wie sie von dem Gebirg ausläuft, ist das Darro-Thal; du siehst den kleinen Fluß, wie er sich unter belaubten Terrassen und durch Obststücke und Blumengärten fortwindet. Es ist ein in der alten Zeit berühmter Fluß, denn er führte Gold mit sich und sein Sand wird noch dann und wann gereinigt, um das kostbare Metall auszuscheiden. Einige jener weißen Pavillons, welche da und dort aus Baumgängen und Weinlaub herausschimmern, waren ländliche Aufenthaltsorte der Mauren, wo sie sich der Frische ihrer Gärten erfreuten.
Der luftige Palast mit seinen schlanken, weißen Thürmen und langen Arkaden, der sich unter prachtvollen Baumgruppen und hängenden Gärten an jenen Berg lehnt, ist der Generalife, ein Sommerpalast der maurischen Könige, wohin sie sich in den heißen Monaten zurückzogen, um eine luftigere Region als die der Alhambra zu genießen. Der nackte Gipfel der Höhe darüber, wo du einige gestaltlose Ruinen siehst, ist die Gilla del Moro, oder der Sitz des Mauren, so genannt, weil sie der Zufluchtsort des unglücklichen Boabdil während der Zeit einer Empörung war, und er sich hier niedersetzte und trauernd auf seine empörte Stadt niederblickte.
Ein murmelnder Klang des Wassers tönt dann und wann aus dem Thal empor. Er kömmt aus der Wasserleitung jener maurischen Mühle, nahe am Fuße des Hügels. Der Baumgang jenseits ist die Alameda, die Ufer des Darro entlang, ein Lieblingsspaziergang am Abend und der Zusammenkunftsort der Liebenden in Sommernächten, wo man von den Bänken an ihren Lustwegen die Guitarre in späten Stunden hören kann. Jetzt sieht man nur einige lustwandelnde Mönche und eine Gruppe Wasser-Träger vom Avellaros-Brunnen dort.
Du bebst? es ist nichts als ein Habicht, den wir aus seinem Neste aufgeschreckt haben. Dieser alte Thurm ist ein wahres Brutnest für diese gefiederten Schwärmer; in jeder Ritze und Spalte sind eine Menge Schwalben und anderer Vögel, die den ganzen Tag umher flattern, während des Nachts, wenn alle andern Vögel zur Ruhe gegangen sind, die träumerische Eule aus ihrem Versteck hervorkömmt und ihr bedentungsvolles Geheul von den Zinnen hören läßt. Sieh, wie der Habicht, den wir verscheucht haben, unter uns dahin fliegt, die Wipfel der Bäume berührend und sich zu den Ruinen über dem Generalife emporschwingend!
Laß uns diese Seite des Thurmes verlassen und unsere Augen nach Westen wenden. Du siehst hier in der Ferne eine Reihe von Bergen, welche die Vega begrenzen, diese alte Scheidewand des arabischen Granada und des Landes der Christen. Unter jenen Höhen bemerkst du noch jetzt kriegerische Städte, deren graue Mauern und Zinnen mit dem Felsen, auf den sie gebaut sind, eins zu seyn scheinen; während da und dort eine einsame Atalaya, oder Warte, auf einem erhabenen Punkt gebaut, gleichsam aus dem Himmel in die Thäler nach allen Seiten niederschaut. Von den Schluchten dieser Berge, durch den Paß von Lope stiegen die christlichen Heere in die Vega nieder. Um den Fuß jenes grauen und nackten Berges, der fast gesondert von den übrigen dasteht und sein kühnes, felsiges Vorgebirg in die Brust der Ebene herausdehnt, kamen die eindringenden Schwadronen stäubend, mit fliegenden Fahnen und dem Klang von Trommeln und Trompeten. Wie anders ist jetzt die Scene. Statt der glänzenden Reihe gepanzerter Krieger sehen wir den geduldigen Zug des mühevollen Maulthiertreibers sich langsam den Saum des Berges entlang bewegen. Hinter jenem Vorgebirg ist die merkwürdige Puente (Brücke) de Pinos, berühmt wegen manches blutigen Kampfes zwischen Mauren und Christen; aber noch berühmter als der Ort, wo Columbus von den Boten der Königin Isabelle eingeholt und zurückgerufen ward, als er im Begriff war, in Verzweiflung abzureisen, um seinen Entdeckungsplan an den Hof von Frankreich zu bringen.
Sieh einen zweiten in der Geschichte des Entdeckers berühmten Platz. Jene Linie von Mauern und Thürmen, die in der Morgensonne glänzen, ganz in der Mitte der Vega, ist die Stadt Santa Fe, während der Belagerung von Granada von den katholischen Herrschern erbaut, nachdem ein Brand ihr Lager zerstört hatte. In diese Mauern wurde Columbus von der heldenmüthigen Königin zurückgerufen; und innerhalb derselben wurde der Vertrag abgeschlossen, welcher zur Entdeckung der westlichen Erde führte.
Hier, nach Süden hin, schwelgt das Auge in den üppigen Reizen der Vega; eine blühende Wildniß von Bäumen und Gärten und fruchtbaren Obststücken, durch welche der Xenil sich in Silberringen windet und wo er unzählbare Wassergräben unterhält, die durch alte maurische Kanäle gefüllt werden und die Landschaft in ein stetes Grün kleiden. Hier sind die theuern Lauben und Gärten und ländlichen Wohnungen, für welche die Mauren mit solcher verzweifelten Tapferkeit fochten. Selbst die Pachthäuser und Hütten, welche nun von den Bauern bewohnt werden, zeigen Spuren von Arabesken und andern geschmackvollen Verzierungen, welche beweisen, daß sie in den Tagen der Araber zierliche Wohnungen gewesen waren.
Jenseit des umlaubten Landstrichs der Vega, nach Süden, siehst du eine Reihe öder Hügel, an denen sich ein langer Zug von Maulthieren langsam hinab bewegt.
Von dem Gipfel eines dieser Hügel warf der unglückliche Boabdil seinen letzten Blick nach Granada zurück und machte seinem Seelenkampfe Luft. Es ist der Platz, berühmt in Lied und Geschichte, »der letzte Seufzer des Mauren,« genannt.
Hebe nun dein Auge zu dem schneeigen Gipfel jener Gebirgsmasse, die wie eine weiße Sommerwolke in dem blauen Himmel glänzt. Es ist die Sierra Nevada, der Stolz und die Freude Granada's; die Quelle seiner kühlenden Winde und ewigen Grüne, seiner strömenden Brunnen und unerschöpflichen Bäche. Diese herrliche Gebirgsmasse gibt Granada jene Verbindung von Wonnen, die in einer Stadt des Südens so selten sind: die frische Vegetation und die gemäßigten Lüfte des nördlichen Klimas mit der belebenden Kraft einer tropischen Sonne und dem wolkenlosen Azur eines südlichen Himmels. Dieser luftige Schnee-Schatz ist es, der, nach dem Verhältnisse der steigenden Sommerhitze schmelzend, durch jede Schlucht und Spalte der Apuxarras Bäche und Ströme niedersendet und smaragdnes Grün und Fruchtbarkeit in einer ganzen Kette glücklicher und abgeschlossener Thäler verbreitet.
Man darf diese Berge wohl die Glorie von Granada nennen. Sie beherrschen die ganze Ausdehnung von Andalusien und können von seinen fernsten Theilen gesehen werden. Der Maulthiertreiber begrüßt sie, wann er ihre eisige Spitzen auf dem heißen Boden der Ebene erblickt; und der spanische Matrose sieht auf dem Deck einer Barke, fern, fern auf dem blauen Schooße des mittelländischen Meeres mit sinnigem Auge auf sie, denkt an das ergötzliche Granada und singt mit leiser Stimme eine alte Romanze von den Mauren.
Doch genug – die Sonne steht hoch über den Bergen und ergießt ihre vollen Strahlen auf unsere Häupter. Schon ist das hohe Dach des Thurmes heiß unter unsern Füßen: laß uns es verlassen, niedersteigen und unter den Arkaden an der Löwenquelle uns erfrischen.