Washington Irving
Die Alhambra
Washington Irving

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gedanken über die maurische Herrschaft in Spanien.

Einer meiner Lieblingsplätze ist der Balkon des mittlern Fensters des Saales der Gesandten, in dem stolzen Thurme des Comares. Ich hatte mich eben dort niedergesetzt und mich des Schlusses eines langen glänzenden Tages gefreut. Wie die Sonne hinter die blauen Berge von Alhama niedersank, sandte sie einen Glanzstrom das Darro-Thal hinauf, welcher eine melancholische Pracht über die röthlichen Thürme der Alhambra verbreitete, während die Vega, mit einem leichten schwüligen Dunst, der die Strahlen der Abendsonne auffing, bedeckt, in der Ferne wie ein goldener See dalag. Kein Lufthauch störte die Stille der Stunde; und obgleich dann und wann der schwache Klang von Musik und Lust aus den Gärten des Darro aufstieg, machte dies die Grabesstille des Gebäudes, das mich überschattete, nur noch eindringlicher. Es war eine jener Stunden und Scenen, denen das Gedächtniß eine fast magische Gewalt anheim gibt, und seine zurückblickenden Strahlen, wie die Abendsonne, die diese zerbröckelnden Thürme überglänzt, zurücksendet, um die Herrlichkeiten der vergangenen Zeit zu beleuchten.

Wie ich die Wirkung des sinkenden Tageslichtes auf diese maurischen Gebäude betrachtete, wurde ich zur Erwägung des leichten, zierlichen und üppigen Charakters der in seiner ganzen innern Architektur vorherrschend ist, und zu einer Vergleichung mit der großartigen aber düstern Feierlichkeit der gothischen, von den spanischen Herrschern aufgeführten Gebäude veranlaßt. Selbst der architektonische Styl zeigt die entgegengesetzten und unvereinbaren Naturen der zwei kriegerischen Völker, die sich so lange hier die Herrschaft über die Halbinsel streitig machten. Ich verfiel allmählig in ernstes Nachdenken über das sonderbare Schicksal der arabischen oder maurischen Spanier, deren ganzes Daseyn wie eine vorübergegangene Erzählung klingt und gewiß eine der seltsamsten, und doch glänzendsten Episoden in der Geschichte abgibt. Mächtig und dauerhaft, wie ihre Herrschaft war, wissen wir doch kaum, wie wir sie nennen sollen. Sie sind gewissermaßen eine Nation ohne rechtmäßiges Land und ohne einen Namen. Eine ferne Welle der großen arabischen Ueberschwemmung, auf den Strand Europa's geworfen, schien sie den ganzen Ungestümm des ersten Ausbruchs der Strömung zu haben. Ihre Siegerbahn, von Gibraltar's Felsen bis zu den Klippen der Pyrenäen war so rasch und glänzend, wie die mohamedanischen Siege in Syrien und Aegypten. Ja, wäre ihnen auf den Ebenen von Tours nicht Einhalt gethan worden, so wäre ganz Frankreich, ganz Europa mit derselben Leichtigkeit überwältigt worden, wie die Reiche des Osten, und der Halbmond würde heute auf den Tempeln in Paris und London glänzen.

Innerhalb der Grenzen der Pyrenäen zurückgeworfen, gaben die vereinigten Horden Asiens und Afrika's, aus denen dieser große Einfall bestand, den mohamedanischen Grundsatz der Eroberung auf und suchten in Spanien eine friedliche und dauernde Herrschaft zu gründen. Als Eroberer hatten sie eben so viel Heldenmuth als Mäßigung, und in beidem übertrafen sie eine Zeitlang alle Nationen, mit denen sie kämpften. Von ihrer Heimath getrennt, liebten sie das Land, das ihnen, wie sie glaubten, Allah gegeben hatte, und waren bemüht, es mit allem zu verschönern, was zur Glückseligkeit des Menschen beitragen kann. Indem sie ihre Macht auf ein System weiser und billiger Gesetze gründeten, Künste und Wissenschaften eifrig pflegten, Ackerbau, Manufacturen und Handel förderten, bildeten sie allmählig ein Reich, dem an glücklichem Gedeihen keines der Reiche der Christenheit gleichkam; und indem sie sich mit der Anmuth und Verfeinerung, welche das arabische Reich im Osten auszeichnete, umgaben, verbreiteten sie das Licht des orientalischen Wissens in den westlichen Regionen des umnachteten Europa's.

Die Städte des arabischen Spaniens wurden der Aufenthalt christlicher Künstler, um sich in den nützlichen Künsten zu unterrichten. Die Universitäten von Toledo, Cordova, Sevilla und Granada wurden von dem bleichen Wißbegierigen anderer Länder besucht, um die Wissenschaft der Araber und ihre gehäuften Schätze des Alterthums kennen zu lernen: die Freunde des heiteren Wissens begaben sich nach Cordova und Granada, um morgenländische Poesie und Musik einzusaugen; und die stahlgekleideten Krieger des Nordens eilten dahin, sich in den anmuthsvollen Uebungen und den zierlichen Sitten des Ritterthums zu vervollkommnen.

Wenn die mohamedanischen Denkmäler in Spanien, wenn die Moschee von Cordova, der Alcazar von Sevilla, und die Alhambra von Granada noch Inschriften haben, welche die Macht und Dauer ihrer Herrschaft ruhmredig erheben – darf diese Ruhmredigkeit als anmaßend und eitel belacht werden? Geschlechter um Geschlechter, Jahrhunderte um Jahrhunderte waren vorübergegangen und stets behielten sie Besitz von dem Land. Eine längere Periode war verflossen, als die, seit England von dem normanischen Eroberer unterjocht worden, und die Nachkommen von Musa und Tirac mochten eben so wenig ahnen, daß sie auf demselben Weg, den ihre triumphirenden Vorfahren durchschritten, in die Verbannung getrieben würden, als die Nachkommen von Rollo und Wilhelm und ihrer alten Genossen sich es träumen lassen, an die Küste der Normandie zurückgeworfen zu werden.

Bei all dem war dennoch das mohamedanische Reich in Spanien eine schöne ausländische Pflanze, welche keine dauernde Wurzel in den Boden schlug, den sie verschönerte. Von allen ihren Nachbarn im Westen durch unüberschreitbare Schranken des Glaubens und der Sitten geschieden, und durch Seen und Meere von ihrem Stamme im Osten getrennt, waren sie ein isolirtes Volk. Ihr ganzes Daseyn war ein verlängerter, obschon stattlicher und ritterlicher Kampf um einen Anhaltspunkt in einem eroberten Lande.

Sie waren die Vorposten und Grenzen des Islamismus. Die Halbinsel war das große Schlachtfeld, wo die gothischen Eroberer des Nordens und die moslemitischen Eroberer des Ostens auf einander stießen und um die Herrschaft kämpften; und der feurige Muth der Araber wurde zuletzt durch die hartnäckige und ausdauernde Tapferkeit der Gothen besiegt.

Nie war die Vernichtung eines Volkes vollständiger, als die der maurischen Spanier. Wo sind sie? fragt die Gestade der Barbarei und ihre öden Plätze! Der verbannte Rest ihres einst mächtigen Reichs verschwand unter den wilden Völkern Afrika's und hörte auf, eine Nation zu seyn. Sie haben nicht einmal einen bestimmten Namen zurückgelassen, obgleich sie fast acht Jahrhunderte hindurch ein bestimmtes Volk waren. Das Land, das sie als Heimath angenommen, das sie Jahrhunderte lang besessen, weigert sich, sie anzuerkennen, es wäre dann als Eindringlinge und unrechtmäßige Besitzer. Wenige zertrümmerte Denkmäler sind alles, was übrig geblieben ist, um von ihrer Macht und Herrschaft Zeugniß zu geben, wie einsame Felsen, welche fern in dem Innern zurückgeblieben sind, von der Ausdehnung irgend einer großen Ueberschwemmung Zeugniß geben. So die Alhambra. Ein moslemitisches Gelände inmitten eines christlichen Landes; ein orientalischer Palast inmitten der gothischen Bauten des Westen; ein zierliches Andenken an ein tapferes, verständiges und anmuthreiches Volk, das eroberte, herrschte und verschwand.


 << zurück weiter >>