Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

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Bemerkungen

[August 1782]

1. Bändgen

Ich begreife sehr wohl, warum manche ihren Körper so wenig den Befehlen der Weisheit untertänig machen können. Der, dessen Herz bei jedem neuen Vorfall zu pochen anfängt, wird über dasselbe anfangs wenig mit seiner Weisheit vermögen. Denn das Bestreben, den Fehler zu vermeiden, bringt ihn hervor.

Es ist der Wahrheit nicht zuträglich, wenn ein großer Kopf mit einem dummen Gegner streitet. Da jener diesen für zu gering ansieht, so wird er ihm auch da nicht Recht lassen, wo er's hat.

Wenn der Feige vor andern sich an seinem Feinde zu rächen drohet oder schon gerächt zu haben lüget, so folget er hierin weniger seinem Stolze, für tapfer zu gelten, als seinem Zorne, zu dessen Auslassung der ganze Körper kein anderes Glied als die Zunge anbietet, und der sich mutig zu machen sucht, indem er's scheinen will.

Man hat nicht bei jeder Person denselben Witz. Es gibt Leute, bei denen es unmöglich ist, witzig zu sein. Ein Witziger ist es selten bei einem Witzigen, am wenigsten bei höheren Personen.

Man lobt den andern lieber in Briefen als ins Gesicht.

Wer nicht den Mut hat, auf seine eigne Art närrisch zu sein, hat ihn schwerlich, auf seine eigne klug zu sein.

Der Skeptiker liebt den Orthodoxen mehr als den Heterodoxen.

Nur recht berühmte Leute kann man leicht fein loben.

Das System, das ein großer Mann erfunden, können kleine nicht verteidigen; auch zum letzteren gehört ein großer.

Wir suchen der Nachwelt bekannt zu werden und grämen uns doch nicht, es der Vorwelt nicht zu sein.

Der Professor schreibt seine Lektionszettel flüchtig, weil er seine Unabhängigkeit von Studenten zeigen will.

Der lügt am sichersten, der die Wahrheit nur verfälscht und keine ganze Lüge erdichten darf; bei jedem nimmt er ein andres Stück Wahrheit weg und setzt eine andre Lüge hinzu.

Die Nacht ist so zu Träumen eingerichtet, daß man auch wachend in Träume gerückt wird; man wird von ihr traumtrunken.

Jeder Mensch hat seine Lieblingsausdrücke, das Schöne zu loben.

Die Satire bessert selten. Darum sei sie nicht bloß lächelnd, sondern bitter, um die Toren, die sie nicht bessern kann, wenigstens zu bestrafen.

Kritik lernt man mehr von eignen Arbeiten als von Kunstrichtern.

Die Schriftsteller, welche ihre Schriften mit der Feile in der Hand verfertigen, werden im gemeinen Leben wenig oder schlecht sprechen. Sie sind zu sehr gewohnt, gut zu sprechen, um geschwind zu sprechen.

Ein Autor sollte unter die Schönheiten, die nur Kenner fühlen, immer solche mit mischen, die auch der schlechte Leser fühlt.

Man erwartet in den Anmerkungen eines Buches schlechtern Stil.

Vor Frauenzimmern darf man bloß Männer loben.

In einer schlechten Kleidung gelingt das Artigtun weniger als in einer guten.

Der gefällt nicht, der fürchtet, nicht zu gefallen; denn die Ungezwungenheit, die allen übrigen Schönheiten des Umgangs erst ihren Wert und oft ihr Dasein gibt, verschwindet mit der Furcht.

Eine witzige Schmeichelei verzeiht sogar der Bescheidenste.

Bei der Geliebten nur darf man von sich reden.

Die Verstellung hilft unter Leuten, denen wir ähnlich sind, nichts.

Welcher Unterschied, ob wir mit dem abgenommenen Hute einen Halbzirkel beschreiben oder ihn senkrecht bis zur Brust herunternehmen.

Wenn der andre sich mit allen seinen Fehlern, die er noch besser kennt als ich, erträgt, warum sollte ich ihn nicht ertragen?

In unsern Gesprächen verweilen wir bei einem witzigen Gedanken und bestreiten den ernsthaften, anstatt es umzukehren.

Ein einziger Geruch weckt ganze Gruppen von alten Empfindungen wieder auf; wirkt mehr auf die Phantasie als selbst das Auge.

Man freuet sich über die Standhaftigkeit des Missetäters, weil er dadurch unser Gefühl der Unterwürfigkeit unter die Obrigkeit mildert.

Man verteidiget oft eine Sache mit schwachen Gründen, weil man die stärksten sich nicht zu sagen getraut.

Mit zu großer Traurigkeit sympathisieren wir leichter als mit zu großer Freude, die Sympathie wächst mit jener, nicht mit dieser.

Ganz anders und besser versteht und goutiert man einen Autor, wenn man ihn über eine Sache lieset, über deren Aufklärung man eben jetzt verlegen ist.

Den Unmut über unsre Fehler lassen wir an der Art aus, mit der der Freund sie uns entdeckte. Geschah es frei, so zürnen wir über seine Unbescheidenheit, Plumpheit und Grobheit; geschah es fein, über seine Verstellung.

Man ist neugierig, die Stellen im Buche zu lesen, die ein andrer unterstrichen hat.

Der Mensch gehet allezeit, wenn er sich noch so lange gegen eine Meinung gesträubt, endlich zu ihr mit Leidenschaft über.

Man läßt sich herunter zu denen, die man liebt, wenn sie klein sind, bis auf einen gewissen Grad, zu dem man sich nie aus Liebe gegen Größere herablassen würde, und Sokrates ritt wohl mit seinen Kindern, aber nicht mit Größern auf dem Steckenpferd.

Wenn man die Verteidigung nicht widerlegen kann, tadelt man die Art derselben.

Ein Dummer mit Lebhaftigkeit ist das lächerlichste Geschöpf.

Wenn einer alle die Hindernisse überdenkt, die sein ganzes Leben durch seine Entwicklung bestritten hatten, so ruft er aus: »Was hätt ich nicht werden können!«

Es ist falsch, daß gewisse Laster einen großen Geist beweisen. Nicht das Laster selbst, sondern die Mittel, durch die man es ausübt, bestätigen die Größe.

Wenn Seneca sagt, Gott könne nichts lieber sehen als einen tugendhaften Mann im Widerstande gegen das Unglück, so setzte ich hinzu: als einen im Genusse einer erlaubten Freude.

Es ärgert einen, wenn man ihm die zu lesende Zeitung voraussagt.

Man kann gegen ein Laster mit dem größten Nachdruck predigen und es doch ausüben, ohne zu heucheln.

Es gibt Leute, die, um tugendhaft zu sein, erst Gelegenheit brauchen.

Die Republik zeugt und ermordet große Männer; die Monarchie tut das erstere nicht; jene lässet sie große Taten tun und belohnet mit Undank, diese verbeut große Taten.

Niemand denkt über den verschiedenen Wert großer Autoren verschiedener als große selbst.

Eine Frau kann einem Achtung für ihr Geschlecht einflößen, aber mehrere auf einmal vermindern sie.

Manche können nur fremde Meinungen, nicht ihre eignen berichtigen.

Wenn man von gewissen Sekten etc. höret: glaubt man, sie wären unsinnig, so etwas zu glauben. Aber wenn man mit ihnen bekannt wird: findet man wenigstens Zusammenhang in ihren Irrtümern.

Zuviel Enthusiasmus in der Tugend macht auf den folgenden Augenblick desto kälter und schadet also.

Wenn ich in der Jugend jemand seine Nase mit Geräusch reinigen sah, hoffte ich es einst auch tun zu können und beneidete ihn.

Bei den gemeinen Leuten ist man vornehm delikat, bei den Vornehmen zynisch.

Die Personen können sich am leichtesten verstellen, die vorher gut waren; wie Schauspieler die Rollen, die ihrer natürlichen am nächsten kommen, gut spielen.

In der Einsamkeit wird der gute Teil des Menschen, in der Menge der schlechte vergrößert; jener bekommt dort die Waffen, dieser fühlt sie hier. In der Gesellschaft lernt man die Tugend nicht.

Wenn man fragt: »Würde mit der Leidenschaft nicht manche gute Tat wegfallen?« so heißt das: »Würde der, der, weil er keinen Zorn hätte, eine gute Tat unterließe, nicht Trägheit an dessen Statt haben?« Das heißt aber: »Welches ist besser, dieses oder jenes Laster?« und unsre Frage war doch: »Ist's nicht überhaupt besser, kein Laster zu haben?«

Die Gewohnheit der Vollkommenheit des Freundes macht gegen ihn ungerecht. Man denke sich dieselbe an einem andern, wie würde man ihn lieben!

Wenn man in einem wirksamen Helfen begriffen ist, wird man von den Seufzern des Leidenden minder gerührt.

Wenn der andre ein wenig Genie zeigt, so werden wir neidisch und ungerecht gegen ihn sein; wenn er aber uns zu sehr übertrifft, nicht.

Je sinnlicher die Seelenkraft, worin man hervorsticht, desto origineller; daher sind am meisten originell die Musiker, weniger die Maler, noch weniger die Poeten, und am wenigsten die Philosophen.

Das Schönste, was wir in der Vergangenheit antreffen, ist die Hoffnung.

Wenn man sich etwas erinnern will, hebt man den Kopf in die Höhe.

Kleiner Schmerz ist in Augenblicken leidlich, aber nicht in der Fortdauer; also liegt die Ursache unserer Ungeduld darin, daß er uns immer unterbricht.

Die Vernunft kann, wenn sie einer Leidenschaft oder Empfindung ihren Ungrund und ihre Narrheit noch so deutlich zeigt, sie doch nie aufheben, sondern höchstens schwächen.

Wenn einer an einem großen Mann einen Fehler, den er selbst nicht hat, wahrnimmt, so wünschet er sich sofort Glück, daß er solcher nicht ist.

Jeder Mensch ist in einer Sache ordentlich.

Jeder bewundert den Mut des andern und findet seine Freiheit edel; treffen beide ihn, dann erregen sie seinen Zorn.

Mit wieviel tausend kleinen Mitteln muß sich der Mensch abgeben, ehe er mit etwas Großem sich beschäftigen kann.

Man würde die Menschen leichter kennen, wenn man nicht jede Handlung als die Folge von Grundsätzen ansähe; man hält zu selten eine für Kaprize, aus der nicht auf den Hauptcharakter zu schließen ist.

Ein großer Schritt zur Tugend ist, daß man nicht alles an sich liebt, seine Kleinigkeiten, Geschmack im Essen etc.

Jede Verleumdung, wenn man sie auch verwirft, läßt eine geringere Meinung vom Verleumdeten auf kurze Zeit zurück.

Wenn man beim Erzählen eines fremden Scherzes selbst sehr lacht, so gewinnt er; bei dem eines eignen, so verliert er.

Man wird mit weniger Anstoß über Glaubenssachen spotten als streiten, weil man im ersteren Falle doch noch daran zu glauben scheint.

Das Lob einer besondern Eigenschaft setzet dem Verdachte der Schmeichelei aus, da der andre sich seiner Schwäche darin vielleicht bewußt ist; aber ein allgemeines Lob wird für keine gehalten, weil jeder sich vortrefflich im Ganzen hält.

Um zur Wahrheit zu gelangen, sollte jeder die Meinung seines Gegners zu verteidigen suchen.


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