Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

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Freiheit.
Ich fühle etwas in mir, daß ich sogar der Religion und des Himmels wegen nicht sklavisch sein wie ein Hermes, sondern Freiheit behalten würde, auf Kosten verdammt zu werden. Kein Wesen mit Bewußtsein kann seinen Wert – woher er auch sei – verleugnen, und sogar das Hingeben ist nur freier und also freibleibender Entschluß.

Man hüte sich, irgendeinen Vorzug, z.B. die Dienstfertigkeit der Barner, zu einem ganzen Charakter zu erheben – jede bedeutende Eigenschaft ist im Zusammenklang mit dem Ganzen zu erklären und zu würdigen; und so wird manche Tugend bleicher werden und mancher Fehler sanfter sich verflößen.

Zehn Küsse werden leichter vergessen als ein Kuß.

An und für sich ist jeder originell, weil er individuell ist; aber nicht jeder hat den Mut, er selber zu sein und zu scheinen; nur der Kräftige oder Berühmte oder Reiche hat ihn, weil er des Scheins entübrigt sein kann.

Junge Leute sehen in ihrer Entwicklung das Neue des Zeitalters auch für Entwicklung an und verwechseln sich mit der Zeit und halten daher alles Neue für so gut als sich und ergreifen es.

Wie[viel] Genies mögen erst unter dem weiblichen Pöbel verlorengehen, da doch die männlichen einige Mittel der Emporhebung haben.

Jeder weiß es, wo er sein Rechtes Kräftiges hat – und daraus wär er auch nicht zu treiben – aber eben darum will er von seiner Höhe herab noch fremde Ebenen erobern, zu seinem Höchsten noch allerlei dazu gewinnen – und dadurch, durch ohnmächtiges Streben einer vorigen Macht, wird er lächerlich.

Der Gelehrsamkeit ist keine Grenze d(er) Vergröß(erung) vorgeschrieben; aber wohl dem Scharfsinn.

Man sollte denken, wenn ein Professor die ganze Woche in abstrakten Lehren zubringt, daß sein Tiefsinn unendliche Tiefe gewinnen müßte und der Scharfsinn Schärfe; aber es trifft nicht zu; Jahre, nicht Übungen setzen die Grenze.

Die Weiber gehen gern, um bessern Platz zu gewinnen, eine Stunde früher in Konzert und Theater; aber eigentlich fangen beide für sie schon an, sobald sie nur ankommen und sich niedersetzen; denn ihr Sprechen verfrühet ihnen die Musik und das allmähliche Ankommen der Zuschauer das Schauspiel.

Kinder lieben am meisten in Märchen Vergrößerungen und Verkleinerungen gewohnter Gegenstände; sie können dann leicht diese in alle neue Verhältnisse setzen und der Phantasie den weitesten Spielraum auftun.

Gegen eine Fehlschlagung eines Plans gibt's keinen bessern Trost, als auf der Stelle einen neuen zu machen oder bereitzuhalten.

Begeht ein Mensch (oder Mann) einen wirklichen Fehler, so sagt er, dies ist eine Ausnahme und ein seltener Fall; der andere (Frau) hat die ähnlichen Fehler im Kopfe und zürnt durch Zusammenrechnen.

Nur die Ehe wird am glücklichsten, wo man die größten Vorzüge in ihr, nicht vor ihr entdeckt. Daher d(as) Heirat(en) eines Dichters so mißlich.

Das gemeine Volk, die Mägde etc. wollen durch ihre Kleidung nicht verführen, sondern nur glänzen; daher der Stoff ihnen zehnmal lieber als die Form.

Bei Schriftstellern in einer großen Stadt (Berlin) und Zirkeln ist schwer nachzuweisen – sogar von ihnen selber –, wieviel ihnen von ihren Ideen gehört, da sie täglich gedruckte kommentiert hören, neue darüber, dagegen etc.

Sich an die Stelle eines andern setzen – wird so allgemein ohne nähere Einschränkung gesagt. Wohl kann man sich in eine einzelne fremde Eigenschaft und Lage setzen, z. B. eines Zornigen; aber jenes Wort bedeutet noch 2erlei, a) sich in den ganzen moralischen Charakter eines andern setzen, was nur ein Dichter kann, b) sich in dessen intellektuellen setzen, was ebenso schwer; setze dich z. B. in den ganzen Umfang gelehrter, philosophischer, ästhetischer Anschauungen eines Menschen.

Jeder sollte sich eine Überseh-Stunde seines Tags oder Treibens wählen, und zwar nicht eine spazierende im Freien, sondern eine dunkle in der Dämmerung, wo nichts ihn durch seine Sinnen unterbricht.

Gründe (z. B. bei Max über kurzen Rock) wirken nur gegen Gründe, aber nicht gegen Empfindungen, gegen die wieder nur Empfindungen wirken.

Manche Autoren zeigen sich der Welt kälter und schärfer, als ihr Mensch ist, z. B. Lichtenberg; desto wärmer bleibt die bedeckte Quelle. Andere treiben ihre Wärme heraus und erkälten sich durch fremdes Erwärmen.

Kein Mensch kann durch sein Leben so viel intensive Freude machen als sein Verlust intensiven Schmerz, weil das Leben jene ausdehnt, der Tod diesen konzentriert. Alle Freuden, die einer gegeben, und die zukünftigen dazu vereinigen sich bei dem Verlust zu 1 Schmerz.

In der Ehe (wie in der Freundschaft und überall) hilft kein Wohltun und Beschenken, sobald die Persönlichkeit beleidigt ist anstatt verehrt. Keine langen Geschenke machen wörtliche Verkennungen des Augenblicks gut.

Schönheit gar kein Zeichen der Milde – höchstens im Alter.

Nur die Jugend ist offenherzig über sich und wahr; das Alter verbirgt aus Anstand.

Man ist nie liebenswürdiger, als wenn man geliebt wird.

Nicht die Freuden, sondern die Leiden verbergen die Leere des Lebens.

Bemerkungen über den Menschen.
Alle die in Rochefouc(auld), la Bruyère sind unmöglich zu behalten, zu ordnen, anzuwenden, sondern sie sollen bloß im allgemeinen den Blick schärfen und ihm eine gewisse Richtung geben.

– Schnee, der sich leicht ballen läßt, schmilzt bald.

Das Selblob mißfällt, sogar wenn es die Wahrheit ausspricht, doch darum, weil man voraussetzt, der Sprecher verberge aus Bescheidenheit noch etwas, nämlich ein größeres Lob, als ihm gehört.

Man muß nie vor einem ein Wortspiel mit seinen Namen (z. B. Markus) machen, da jedes ihm längst im Leben vorgekommen sein muß.

Die Menschen wollen immer, die Zeiten (Länder) sollen besser werden (sich bessern), und klagen doch, sobald sie anders werden (sich ändern), als könnte eines ohne das andere sein.

Zum bestechendsten Beweis einer Meinung wird uns oft ihre Neuheit, sobald diese alte Ansichten nicht verschließt, sondern weiter öffnet.

Die Tugend, sogar eines gemeinen Mädchens, ist verschieden, ob man sich für verheiratet oder unverheiratet ausgibt.

Einer, der aus stillem Egoismus uns überall lobt und alles an uns, verlöre alle seine Unparteilichkeit, die wir ihm wegen seines Lobs für uns zuschreiben, wenn wir ihn die andern loben hörten, d. h. jeden.

Kurz vor dem Abreisen sowie kurz nach dem Ankommen verschönert sich uns unser Wohnort.

Die Jungfrau heiratet im Dichter den Dichter, im Künstler den Künstler; aber in der Ehe weiß sie so wenig von diesem als ein Mann, der eine Sängerin geheiratet hätte; alle Verhältnisse sind nur die eines Mannes. Nur einige Weiber – wie Wielands, Dürers – schätzen und pflegen im Manne den Künstler, je weniger sie selber von seiner Kunst verstehen, aber von ihr erwarten ökonomisch.

Die Ehemänner müssen so oft in Begeisterungen oder Exaltation entweder durch Arbeiten oder durch Trunk, welche bei den Weibern wegfallen, mit diesen verkehren.

Auf das Volk muß die vornehme Busenblöße so wirken wie auf den Vornehmen die gemeine Wadenblöße.

Sogar nach Belügen traut man doch wieder Wahrheit zu. Aber nach Grausamkeit erwartet man keine Milde mehr.

Alte, wie Montaigne, sprechen leicht zu obszön, weil sie keine Versuchung mehr fühlen und überhaupt mit den Ideen zu vertraut und dabei alt geworden sind.

Die Weiber machen über die Empfindungen ihrer Liebe die feinsten Bemerkungen; ohne sich doch eigentlich selber anzuschauen – so wie ein Psycholog darum doch nicht die größte Selbstkenntnis haben kann.

Gerade dies beweist die Kraft des Kopfes, was er aus einem kleinen Gegenstande witzig, philosophierend macht ohne fremde Belehrung; nicht aber sein Hinzutun von Kenntnissen, Erläuterungen usw. – z. B. über Mädchen wird der Jurist, Arzt, etc. zu sprechen wissen; aber anders der Witzige und Umsichtige.

Man darf immer Mißtrauen haben, nur keines zeigen.

Nicht geniale Einseitigkeit, sondern talentvolle Mehrseitigkeit (wie bei Stainlein) führt im Geschäftleben zu hohen Posten; jene schließt aus.

Ach das Alter gibt Einsamkeit, geistige; nur die Jugend Geselligkeit.

An d(er) Geliebten wird der alltägliche wiederkommende Wert für hoch gehalten, die dazwischenfallenden Ausnahmen davon für klein oder nur Laune. An der Frau – wie überhaupt an Mann und Magd und Freund – wird das Gute, was seinen Charakter ausmacht und immer erscheint, für notwendig gehalten und kaum berechnet (außer nach dem Tode etc.), aber die Ausnahmen desto mehr und fast allein und überwiegend.

In der Ehe das Mißverhältnis, daß die Begeisterungen des Mannes und der Frau nicht ineinandertreffen; der Mann von der Arbeit begeistert, sie davon erschöpft, und so nach Tagzeiten umgekehrt.

Jeder wird wider Willen originell, der sich's bequem macht und nach dem Scheine nichts fragt.

Die närrischen Menschen! Zum anerkannten Genie kommen sie, nicht um zu hören, sondern um sich hören zu lassen. Zum Dunse, gleichfalls um zu reden. Wann will denn einer hören? – Da, wo er eine Lücke findet, die ihn am weiteren Reden hindert.

Keine schmerzhaftere Empfindung, als wenn man froh zu machen suchte und doch nicht froh machte (wie bei Weihnachtgeschenk).

Nichts ist schöner im Enthusiasmus zu lieben, als Kinder; denn die Liebe verlangt von ihnen nicht einmal die Liebe, sondern ihr Glück.

Der Mensch hat ein eignes selbgefälliges Wohlgefühl, wenn er eine Beleidigung erzählen kann, die man ihm angetan.

Wer die Welt nicht kennt, setzt bei jeder, zumal scharf und gut ausgedrückten Meinung oder Satz voraus, ihr stehe im Hinterhalte ein langes System und Prüfen, indes sie eben jetzo erst gefunden, wiewohl doch auch in solchem Falle viel Vorrat im Hinterhalte liegt.

Die juristische Regel, sich mit keinem überflüssigen Beweise zu beladen, lernt man später auch in unjuristischen Fällen und Briefen befolgen, wo man andere bestimmtere Äußerungen, die nicht eben zur Sache gehören, unterläßt und allem noch freien Spielraum läßt.

Den mißtrauischsten Egoisten kann man stundenlang von sich zu sprechen veranlassen, ohne daß er das Veranlassen merkt.

Was am leichtesten hartherzig macht, wenigstens das Abschlagen zu sehr erleichtert, ist, wenn man gewiß ist, daß man nicht allen helfen kann.

Satiren können in der großen Welt nicht an der moralischen Seite bessern, weil die Unsittlichkeit das Lächerliche verloren oder doch leicht verschmerzt; höchstens an der intellektuellen, zu welcher auch die moralische umzudrehen ist; denn Fehler des Verstandes bleiben immer den Pfeilen der Satire frei. Aber Darstellung großer moralischer Kräfte hebt die gesunknen der großen Welt.

Den Weibern merkt man nie die geheimen stolzen Ansprüche an – leichter die eiteln –, weil sie alles gemildert und schüchtern zeigen. Eine Sanfte kann sich für die Vornehmste und Klügste halten.

Lichtenbergisch.
Wenn man nur einmal alle die allgemeinen Bemerkungen der Diener und Kammerjungfern über ihre Herrschaften sammelte, über ihre Vergeßlichkeit, Unredlichkeit etc.: so wäre doch etwas von der Ab(Gegen)seite der Welt da.

In den Aufsätzen der Primaner wird die Flucht des Lebens, die Sorge der Männlichkeit etc. so stark geschildert, als sei der Schüler selber darin; aber die Jugend malt die Eitelkeit und das Sterben, ohne es anders als poetisch und nachgelesen zu empfinden. – Aber eben dies bezeugt das Nachsprechen der Leserei; ein lebensfroher Jüngling spricht so lebensatt wie ein Alter, indes er gerade unter dem Schildern des Abblühens mehr erblüht. – Wie anders der Mann oder Greis, der ungern davon spricht, weil er's schon fühlt.

Eine moralische Schamhaftigkeit – und eine der Gewohnheit. Letzte hat der unverschämteste Mann, der sich von einem Unbekannten oder gar einer Unbekannten nur mit Schrecken in einer natürlichen, an sich unschuldigen Handlung betreffen läßt.

Alles in den Weibern muß sich ja auf Eitelkeit und Kleider lenken, da sie immer nähen, also immer etwas von Kleidern in Händen haben, wenn auch nicht am Leibe.

Man genießt und fühlt den Reichtum nur in der Minute, wo man ihn unverhofft bekommt; darauf wird er zu Armut.

Nichts vermehrt die Liebe gegen eine ferne Person mehr, als wenn Fremde, andere von ihr sprechen, lobend, ja nur erzählend.


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