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Weibliche Erziehung
Kap. I. Jaquelinens Beichte ihres Erziehens § 75-77. Kap. II. Bestimmung des weiblichen Geschlechts, für Gatten weniger als für Kinder § 78-80. Kap. III. Natur der Mädchen; Erweis ihrer überwiegenden Herzens-Reinheit § 81-88. Kap. IV. Bildung der Mädchen – in Rücksicht der Vernünftigkeit § 89-90. – der Herzens-Reinheit und der Liebe gegen ihr Geschlecht § 91. – der Milde und bei Anlage zu weiblicher Heftigkeit § 92. – der Lebens- und Hauswirtschaft § 93-95. – der Kenntnisse und Fertigkeiten § 96-97. – des Anzugs, Putzes etc. § 98. – der Heiterkeit § 99. – Erziehung genialer Mädchen § 100. Kap. V. Geheime Instruktion eines Fürsten an die Oberhofmeisterin seiner Tochter § 101.
Unter weiblicher Erziehung versteh' ich dreierlei Sachen auf einmal, die sich widersprechen. erstlich die Erziehung, die gewöhnlich Weiber geben; – zweitens ihren ausschließenden Beruf zur rechten, im Verhältnis gegen die Männer; – drittens die Erziehung der Mädchen. Dem ersten und zweiten hätte eine frühere Stelle gebührt, wenn nicht mit beiden die Charakteristik des weiblichen Geschlechts, nach welcher doch die Bildung desselben sich regeln muß, wieder zusammenfiele – und wenn es überhaupt in diesem Erfahrung-Werkchen darauf ankäme, die Stellen der Materien nach strenger Rangordnung zu vergeben. Ein Leser, vor welchem so viele neue Systeme vorüberziehen, muß selber mit einem geschlossenen und bewaffneten am Wege halten, wenn nicht eines um das andere sein Inneres besetzen soll.
Das Heil der Erziehung können den verzognen und verziehenden Staaten und den beschäftigten Vätern nur die Mütter bringen, wie das zweite Kapitel sagen soll; das Unheil aber, das die Mütter vermeiden könnten, mag dieser Paragraph leichthin nennen. Wär' es übrigens sonst dem Tone dieses Werks zustimmend, so würd' ich, gern bekenn' ichs, das kleine Sündenregister oder die Verlusttabelle von diesen Spiel- und Ehrenschulden fast mehr scherzhaft vor der Welt aufschlagen; um so mehr, da mir in diesem Falle eine gewisse sonst vortreffliche Mutter von fünf Kindern, Mad. Jaqueline, welche mich glücklicherweise unter dem Feilen der Levana besuchte, die leichteste Einkleidung in die Hände reichen würde. Damen kleiden gern ein und an und aus. – Denn da ich die Treffliche schon längst gekannt habe: so wäre so manches vorbereitet und erleichtert; ich könnte sogar mir denken, daß die liebe Jaqueline als Schwester-Rednerin ihres ganzen Geschlechts – ohne ein anderes Kommissoriale aufzuweisen als ihre Schönheit – vor meinen Schreibstuhl, als sei er ein Beichtstuhl, träte und vorbrächte, sie wünschte herzlich, von mir absolviert zu werden, nur aber könnte sie die Ohrenbeichte vor Scham unmöglich selber ablegen, sondern sie woll' es vergnügt annehmen, wenn ich sie – wie sonst Beichtväter im Namen taub-stummer Beichttöchter deren Beichte über ihrem Kopfe aussprechen – für eine Hör-stumme nehmen und mithin als Stellvertreter und geistiger Vater der Beichttochter folgende Beichte für sie ablegen wollte:
»Ehrwürdiger lieber Herr!« – (so wäre nämlich, falls der Scherz fortgehen soll, die Anrede an mich selber ihr in den Mund zu legen) – »Ich bekenne vor Gott und Ihnen, daß ich eine arme pädagogische Sünderin bin und viele Gebote Rousseaus und Campens übertreten habe. Ich bekenne, daß ich nie einen Grundsatz einen Monat lang treu befolgt, sondern nur ein paar Stunden; daß ich oft meinen Kindern halb in Gedanken und also halb ohne Gedanken etwas verboten habe, ohne nachher nur hinzusehen, ob sie gehorchten; daß ich ihnen, wenn ich und sie recht mitten in gegenseitiger Freude obenauf schwammen, nichts von dem abzuschlagen vermochte, was ich sonst aus kalter Vernunft leicht verweigerte, und daß gerade in zwei Stunden, in den sonnenhellsten und in den bewölktesten – es mochten sie nun ich oder die Kinder haben –, diese am meisten verdarben. – Hab' ich nicht noch sonst viel Böses getan? Hab' ich nicht vor Freuden zu meiner Bella so gut wie zu meinem Charmanten (letztes ist aber nur der Mops) gesagt: faites la belle? –
Hab' ich nicht jedesmal Erzieh-Meßferien während fremder Besuche, vorzüglich wegen der vielen vornehmen Meßfremden, die zu meinem Manne kamen, angeordnet und einen Gast höher als fünf Kinder geschätzt, so daß ich jener deutschen Frau wenig ähnlich war, von der mein Mann im zwölften Bande der geistlichen Fama gelesen, daß sie zwei Königen an einem Abende den Tanz abzuschlagen den Mut gehabt, weil sie ihn für unchristlich gehalten? – Hab' ich nicht meine zwei jüngsten Kinder, die Josephine und den Peter, voriges Jahr des Tags nur einmal beim Frühstück gesehen, bloß weil ich einen Roman und eine Stickerei zu vollenden hatte, und weil eben meine Freundin, die herrliche Fürstin, für welche ich sticke, hier sich aufgehalten? Nur dies kann mein Herz beruhigen, daß ich mir alle Mühe gegeben, für meine guten Kleinen eine gewissenhafte Kinderwärterin aufzutreiben, die als eine wahre Mutter an ihnen zu handeln schwur, und der Himmel möge sie heimsuchen, wenn sie eine so teuere Pflicht an meinen armen Würmern je außer acht und diese nur eine Minute aus dem Gesicht und in fremde Hände gelassen. Gott, wenn ich mir dies denke! – Aber ach, was wissen solche Wesen von den Sorgen eines zärteren Mutterherzens!
Sonst hab' ich wohl (was mich tröstet) zweimal jeden Tag, nämlich nach dem Frühstück und nach dem Mittagessen, alle meine Kinder vor mich kommen lassen und oft stundenlang abgeherzt und erzogen. Aber ich bekenne, daß ich mich leider nach meiner Heftigkeit zu wenig satt an ihnen küssen kann und dadurch den Tadel meines Gemahls auflade, der vielerlei dagegen hat und sagt, z. B.: Kinder könnten (wenn auch nicht die meinigen) wohl mit der Prinzessin von Condé klagen: ihr Unstern sei, von Alten geliebt zu werden – das heilige Siegel des Herzens, der Kuß, sei den Kindern noch ein plattes und leeres – ein heftiger sei ihnen beschwerlich und vielleicht durch das fünfte Nervenpaar der Lippen sogar schädlich – besser sei ein sanftes Streicheln und ein sanftes Liebe-Sprechen und ein Kuß, den sie geben, und ein leiser, den sie bekommen.
Ich bekenne, daß ich, wie im Pfänderspiel, wenn ich mich fragte: was soll das Pfand (der Liebe) tun, das ich in meiner Hand habe? mir allezeit antwortete: mich ungeheuer lieben. Dadurch macht' ich, da ich so viele Liebe-Zeichen begehrte, Josephine zu weich, Sophie heuchlerisch und Petern sehr verdrüßlich. – Nach einer strafenden Strenge, die ich an ihnen geübt, ließ ich, anstatt mit der ganzen vorigen Liebe warm zu glänzen (ein abstechender Wechsel, der allein, wie mein Gemahl sagt, das Kind wenigstens in den ersten sieben oder zehn Jahren berichtigt und versöhnt), da ließ ich noch das lange Gewölke des Schmollens stehen, als ob die jungen Herzen versagte Liebe spürten, oder lange fort empfänden, oder im besten Falle das Schmollen nicht nachmachten. –
Ich bekenne, daß ich, wiewohl ruhig gegen jeden, zumal außer dem Hause, bloß gegen meine geliebten Kinder in nichts gelassen sein kann, so sehr auch die kleinste Heftigkeit, und bestände sie in einem Sprunge zur Hülfe, ihnen schadet und einerbt. – Und ich bekenne, daß ich ihnen meinen Zorn zu leicht zeige, z. B. gegen meine weibliche Dienerschaft, ungeachtet ich recht wohl weiß, was mein Gemahl so schön sagt: Kindern, auch nur den jüngsten, ein zorniges Gesicht oder gar Geschrei vor die Sinne bringen, heißt ihnen Unterricht in der Wut geben. Denn wie die ganze Seele mit dem ganzen Leibe, folglich jeder geistige Teil mit einem körperlichen, von oben herab aneinander gekettet und gegossen ist, so erweckt sich beides gegenseitig, die Gebärde geistigen Grimm, so wie umgekehrt.
Mein Mann behauptete und befolgte den Grundsatz, daß ein Eheherr zu keiner Zeit eine bessere Schulmeisterinnen-Pflanzschule für seine Frau (ich spreche als gute Ehefrau ihm seine eigentümliche Sprache nach) errichten könnte als in den ersten neun Monaten der Ehe; hier möchte, hofft er, eine Gattin mit allen männlichen Erziehlehren geistig zu befruchten sein, welche sie, wenn auch nachher überträte, doch vorher sehr aufsuchte und pflegte in erster Liebe gegen ihr erstes Kind und gegen das Vorkind, den Mann; denn später verfalbe, fuhr er fort, etwas von der blühenden Liebe-Dienerei gegen den Gemahl und etwas von ängstlicher Pflege gegen die Kinder; daher die Erziehung mit der Menge der Kinder, fährt er noch fort, nicht besser werde, wenigstens nicht sorgfältiger; aber ich freue mich, daß ich ihn diesmal, wie sonst noch oft, widerlegt und sogar das dritte bei aller guten Hoffnung des vierten mehre Monate so erzogen habe, als es mein Schul- und Eheherr in den Schulwochen der Flitterwochen angeordnet.
Aber Ehrwürdiger Vater, Sie wissen freilich nicht aus Erfahrung, mit welchen Grillen oft die Eheväter nach 9 oder 10 Flittermonaten auftreten. Verlangt meiner nicht ganz ernsthaft, daß ich, wenn ich zuweilen die Kleinen wasche, nicht heftig im Gesicht hinauf und hinab fahre und bügle, weil diese Heftigkeit, sagt er, ihnen mißfalle (und er reibt doch sein eignes so), sondern daß ich glatt vorn herab und quer herum gleite? Lächerliche Pedanterei! Eine Frau muß doch wissen, wie man wäscht; aber ich scheuere fort wie sonst, die Kleinen und der Große mögen dagegen schreien, wie sie wollen.
Übrigens bekenn' und beicht' ich gern, daß ich nie leichter zornig werde, als wenn ich mich ankleide oder sonst ein großes Geschäft abtue; die schöne große Ruhe des Erziehens ist mir dann entflohen. Mein Gemahl will mir, zum Büßen und Bessern der Zorn-Runzeln, neben dem Nachttischspiegel einen Vergrößerspiegel anbringen; aber ich brauche, Gott sei Dank, ein solches Verkleinerglas noch nicht; und auch wechselte ich weniger die Züge als die Farbe. Vielleicht bin ich entschuldigt, daß ich meine drei ältesten Mädchen gerade an meinem Nachttische (auch Lucien oft) zulasse, erstlich weil sie so freudig und still zuschauen (zumal wenn ich ihnen weismache, daß sie vielleicht mitgehen dürfen), und zweitens, weil doch das junge weibliche Auge in der Geschmacklehre jedes Putzes am besten sich an Erwachsenen übt.
Ich habe aber zu meinem Troste niemals meinen Töchtern oder auch mir ein gutes neues Kleidungsstück anversucht, ohne jeder Putzliebe durch die Vorstellung entgegenzuarbeiten, wie wenig der weibliche Wert im Tragen der Kleider bestehe, und wie der Anzug nur darum rein ausfalle, weil der Stand sich nicht anders trage. Gleichwohl bekenn' ich, daß alle meine Töchter eitel sind; ich mag mit meiner Toilette zugleich noch so viele Predigten dagegen machen, ich werde von ihnen weniger angehört als angeschauet. Wie oft dreh' ich mich, wenn meine (wirklich schöne) Maximiliane hinter mir steht und in den Spiegel guckt, mit Verweisen um und sage: da beschauet sie einmal wieder ihr schönes rotes blauäugiges Lärvchen und sieht und schielt sich nicht satt daran!
Ich bekenne ferner, Ehrwürdiger Herr, daß ich mich weit mehr entrüstete, da mein Peter die Veritas (freilich mir eine liebe sinnbildliche Figur aus Bertuchs Industriecomtoir) neulich zum Fenster hinauswarf, als wenn er zehnmal gelogen hätte; indes bleib' ich auch wieder, hoff' ich, in Fällen gelassen, wo mein Mann zuweilen Lärmen schlägt, z. B. bei kleinen Lügen der Kinder oder bei ihrem oft gerechten Ausfilzen der Dienstboten; dann sagt er, in Bezug auf meinen Zorn, die Römer hätten recht gehabt, den Anfangbuchstaben, der einen Mann benannte, umgekehrt zu schreiben, damit er eine Frau bedeutete.
Gott vergebe mir nur die Sünden, mit denen ich es gut meinte; für die andern bin ich gern verdammt. Ich habe allerdings viel gesündigt und zeitliche Strafe und böse Kinder verdient.
Ich will aber mein pädagogisches Leben hinfort bessern und immer frommer werden; und bitte Euch,- Ehrwürdiger lieber Herr, mir an Gottes Statt meine Sünden zu vergeben.« – –
– In welchem Falle ich allerdings die Hand auf Jaquelinens runde Schnee-Stirn legen und leicht von den vergangnen Sünden absolvieren würde, aber wohl nicht von den zukünftigen.