Wilhelm Jensen
Dietwald Werneken
Wilhelm Jensen

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Viertes Kapitel.

So standen die Dinge zu Lübeck, von denen Dietwald Werneken zumal seit dem letzten Winter nur soweit anteilnehmende Kenntnis gewonnen, als ihm für den Betrieb seines Handelsgeschäftes unerläßlich gefallen, und Jordan Warendorp schloß, öfters von Fragen des Hörers unterbrochen, seine Mitteilungen beim Becher: Der Herr Vetter werde sich nunmehr wohl selber zu beantworten wissen, wer der Mann zu Lübeck sei, von dem er zuvor gesprochen, daß Herr Nikolaus Brömse, trotz seinem frauenhaft sanften Aussehen, ihn, falls er's vermöchte, mit den Zähnen zerreißen würde. Denn Herr Wullenweber sei furchtlosen und großen Sinnes und habe den Altburgemeister zusamt seiner päpstlichen Junker-Anhängerschaft unbehelligt in die Stadt zurückkommen lassen, wiewohl er schon zu öfteren Malen vor heimlichen Anschlägen auf ihn verwarnt worden. Unter solchem Reden hatte Frau Erdmute einladend die Abendmahlzeit gerüstet, und bei dieser verwandte sie das Gespräch nun fast ausschließlich auf die Absicht, welche den jungen Hamburger Kaufmann zum Aufbruch aus seiner Vaterstadt veranlaßt. Es zeigte sich, daß er nach reiflicher Durchwägung zum klaren darüber gelangt war, er wolle über Dorpat nach Nowgorod seinen Weg nehmen, einerseits um die dort verbliebene deutsche Bevölkerung durch Rat und Geldunterstützung zum Wiederbeginn ihrer alten Handelstätigkeit anzuspornen, andrerseits um zu ihrer Befreiung von schlimmer bedrückender Geistesarmut, die noch nicht bis dorthin gedrungene evangelische Lehre unter ihr auszubreiten. Das sei der einzige Zweck, den sein vereinsamtes Leben noch zu erfüllen und der ihm noch eine Freudigkeit des Daseins im Bewußtsein des Nutzens für andere zu bieten vermöge. Über diese Kundgebung erschrak Frau Erdmute Warendorp sichtbarlich und suchte Dietwald durch entsetzliche Berichte aus dem barbarischen Russenlande, welche ihr erst kürzlich von Riga her zugekommen, von seinem Vorhaben abzuwenden. Unter den vielen Hansen, die dort zugrunde gegangen, habe sich schon einmal ein Blutsverwandter ihres Mannes, ein leiblicher Oheim desselben, befunden, von dem keiner jemals Kunde wieder vernommen, und mit weiblicher Beredsamkeit und Sorglichkeit malte sie die mannigfachen Gefahren, denen er sich dort preisgebe, aus. Sie verglich die schöne, friedliche Ruhe damit, wenn er als trauter Freund und Gesippe ihres Mannes bei ihnen in Lübeck bleibe, bis er sich hier unter den Töchtern gleichfalls eine Hausfrau ausgewählt, und legte mehrfach ängstlich bittend und vertraulich ihre Hand auf die seinige, daß die liebliche Wärme derselben ihn mit einem fremdartigen, süß-schmerzlichen Schauergefühl durchrann. Jordan Warendorp dagegen hörte nachdenklich zu und meinte, der Vetter möge wohl recht haben, daß eine solche Tätigkeit in fremdem Lande und unter gänzlich verwandelten Umständen ihm am besten zur Überwindung seines bittern Verlustes helfen und er von dort nach einigen Jahren mit frischem Lebensmut in die Heimat zurückkehren werde. Ob indes die umgeänderten Herrschaftsverhältnisse in Rußland Nowgorod wirklich zu einer geeigneten und gesicherten Stätte solches Trachtens gestaltet, fügte der Sprecher hinzu, sei er zu entscheiden außerstande, doch wenn Dietwald begehre, baldmöglichst Auskunft darüber zu erlangen, könne er ihm diese noch am heutigen Abend aus dem Munde desjenigen verschaffen, der jedenfalls im ganzen deutschen Lande die genaueste Wissenschaft von der dortigen Lage besitze. Er lächelte dazu, ohne den Namen seines Gewährsmannes zu nennen, Dietwald Werneken aber sprach sogleich seine freudige Bereitschaft aus, und Jordan Warendorp stand, sein Schwert umgürtend, auf und schloß seine Gattin zur Abschiednahme herzlich in die Arme. Sie bog indes mit schalkhaftem Unmut die Lippen vor ihm zurück und zürnte: »Du sinnst nur guten Vorwand, um anderen Orts beim Becher vernünftiger Frauenwarnung ledig zu werden, daß du wahrlich nicht Dank von meinem Munde verdienst.« Dann jedoch schlang sie ihm zärtlich die Arme um den Nacken, küßte ihn und lächelte: »Ich rede ja nur als ein unverständig Weib aus törichtem Herzen, nicht aus klugem Kopf; doch mein Herz bittet dich, hab' gut acht auf dich im Dunkel bei der Heimkehr!« Dietwald die Hand reichend, fügte sie noch einmal schelmisch hinzu: »Lasset Euch von der hochmögenden Weisheit nicht bereden: sie kann gewißlich gar viel Bedeutsames in der Welt schaffen, doch nicht, daß ein Mensch zufrieden und glücklich sei. Dafür muß er selber Sorge tragen und weiß manchmal eine törichte Frau bessern Anhalt als alle Klugheit der gestrengen Herren vom Rat. Ich lasse Euch heut Abend aus meiner Hut, denn Ihr seid mir noch nicht ins Russenland davongesegelt, und ich vertraue darauf, noch gute Stund' und Umstand zu finden, Euch bei uns zu halten.«

Nun schritt Dietwald Werneken mit seinem Begleiter die dunkle Dankwardsgrube hinauf. Er redete nicht, fragte nicht, wohin jener ihn führe; es war ihm, doch anders als je bisher, bitter weh ums Herz. Selbst am Todestage seiner Eltern und Geschwister hatte er sich nicht so arm-verlassen gefühlt; auf der lichtlosen Gasse stand, wie von goldener Frühlingssonne überstrahlt, die schlanke Gestalt der jungen Frau vor seinem Blick, das holde, lichtbraun überscheitelte Antlitz mit den hellen, glücklichen Augen, das die weißen Hände zum Abschied um den Nacken des Davonschreitenden zusammenschloß. Das war Lebensglück, das höchste, einzige, wonach ein Mensch begehren, das kein Gold erkaufen konnte; ihre warme, vertrauliche Hand, ein lieblicher, teilnehmender, sorglicher Blick von ihr kargte nicht damit, einen Abfall ihres Übermaßes auch dem Blutsverwandten ihres Gatten zuzuwenden; wie Wermutstropfen schnürte es herb die Lippen Dietwald Wernekens zusammen. Er empfand zum ersten Male, es war unwürdiger Neid, der in seiner Brust fraß, ein neuer, besinnungsloser Hader wider Gott und Menschen, am heftigsten grade gegen diejenige, welche dieses Gefühl in ihm wachgerufen, deren mitleidig liebreiche Art ihn als bitterer Hohn bedünkte. Über sich selbst zornig und wie sich selber fremd geworden, ging er schweigsam, ohne auf die Reden seines Führers zu hören, durch die Gassen; nun bog dieser zur Linken unter einem Gewölbe durch, sie standen am Niederstieg einer halb erleuchteten, steil und tief abwärts führenden Treppe, und Dietwald fragte mit erstem Wort, wohin sein Gefährte ihn hier bringe. Er empfing die Erwiderung: »In den Ratsweinkeller,« und dem Hörer fiel diese Antwort sonderbar erwünscht. Der großen Mehrzahl seiner Zeitgenossen entgegen, war er von frühauf aller Unmäßigkeit des Trunkes abgeneigt gewesen, aber noch niemals hatte er so sehr, als in dieser Stunde, einen Trieb in sich gefühlt, beim Wein für eine kurze Weile Vergessenheit seines frostig-umödeten Daseins zu suchen. Bereitwillig stieg er schneller die Stufen in den großen unterirdischen Raum hinab, der ihn mit vielfältigem Stimmengesumme empfing. Doch sein Begleiter bog zur Linken nach einer stilleren Seite hin, wo eine gewaltige Quadernische des Kellers nur von zwei hochlehnigen Bänken mit langem Tisch zwischen ihnen ausgefüllt wurde. Dort saßen vier Männer, halbgedämpften Tones redend, beim Becher; Jordan Warendorp hielt in einiger Entfernung den Schritt und flüsterte, auf die vorderste, machtvoll-breitwüchsige Gestalt am Tische hindeutend: »Das ist derjenige, von dem ich Euch die beste Auskunft in unserer Stadt über Euer Vorhaben verheißen, ich wußte, daß wir hier nicht vergeblich Umschau nach ihm halten würden.«

Unwillkürlich entgegnete Dietwald: »Ich sah kaum jemanden, den ich ihm an Kraft und mächtiger Erscheinung zu gleichen wüßte, als sei der Hünen einer aus alter Nordlandssage heraufgekommen. Wer ist er?«

»Ihr habt recht, ich vermute, das Nordland wird noch von ihm sagen,« versetzte der junge Lübecker Kaufmann raunend, »und Herrn Brömses Zähne an seinen Gliedmaßen stumpf werden,« und mit ehrerbietigem Gruß vorwärts tretend, fragte er: »Verstattet Ihr, hochmögender Herr, daß ein Gast aus Hamburg sich mit mir kurze Weile an Euren Tisch ladet, eine Erkundung von Eurem Wissen einzuholen?«

Herr Jürgen Wullenweber hatte den Kopf mit hochausgewölbten Stirnknochen über den runden, groß und fest aufblickenden Augen gegen den Fragesteller gedreht und erwiderte überrascht, launigen Klanges:

»Seid Ihr's, Herr Warendorp? Habt Euren guten Durst verloren, seitdem Eure schöne Frau Euch als Schmalhänsin die Kanne füllt, und seid ein seltener Gast hier unten geworden. Rücket zu, daß Ihr dem Ritter noch zur Warnung dient, eh' es zu spät ist, denn eine Wittib hält noch gestrenger Regiment, als eine, die erst das Jungfernkränzlein vom Kopf genommen. Wen bringt Ihr mit Euch? Der Wein ist gut, Ihr findet hochgelahrte Herren hier, die mit ihm zufrieden sind.«

Innerlich erstaunt, vernahm Dietwald Werneken, den sein Anverwandter nun vorstellte, die harmlos scherzenden Worte des weitberufenen, gewaltigen neuen Lübecker Bürgermeisters, von dessen Wesensart er sich ein durchaus anderes Bild entworfen gehabt. Mit einer natürlichen Würdigkeit, doch ohne jegliches äußere Anzeichen seiner hohen Machtbefugnis, sass jener in Miene, Haltung und Gebaren jedem gewöhnlichen Bürger gleich da und schüttelte mit einfachem Willkommsgruss die Hand des herzugetretenen Fremdlings. Nichts in seinem Behaben wies auf das leiseste Trachten hin, sich hervorzuheben und seine Herkunft mit junkerhafter Manier zu verbrämen, doch ebensowenig verriet etwas, daß sein Kopf anderes beherberge, als Lust an frohsinniger Zwiesprache bei abendlichem Trunk. Nur der Bau seines Schädels redete von trotziger, ungeheurer Willenskraft und strotzender Gedankenhochflut, deren Ernst ab und zu wie ein dunkel spiegelndes Gewässer aus seiner Augentiefe heraufdämmerte, aber seine gegen höfisch-vornehme Sitte der Zeit von schwerem, braungestocktem Bart dicht überschatteten Lippen waren heiter und erlustigten sich fast wie die eines großen Knaben an harmlosen Einfällen und Neckerei seiner Tischgenossen.

Unter diesen erkannte Dietwald zunächst die etwas prahlerisch gewandete Kraftgestalt des ehemaligen Hamburger Grobschmiedes und neuen englischen Ritters Marcus Meyer, den er vor einer Woche mit seinem Gefolge gen Lübeck ausreiten gesehen, um hier mit der jungen Wittib des verstorbenen Burgemeisters Gottschalk Lunte festliche Hochzeit zu begehen. Seine goldene Gnadenkette König Heinrichs des Achten über dem blaugleißenden Panzerhemd tragend, saß er mit unverkennbarer Selbstzufriedenheit, die sein Vollbewußtsein ausprägte, im Verlauf weniger Jahre von einem Landsknecht Königs Christiern des Zweiten zum Admiral Lübecks aufgestiegen zu sein; manchmal gab sein mannhaftes, gegenwärtig stark vom Wein gerötetes Gesicht augenscheinlich sich Mühe, eine gedankenvoll bedeutsame Miene anzunehmen, doch offen treuherzigen Blicks widersprachen seine Züge dieser erkünstelten Verstellung und redeten, daß er kein Mann tiefreichender Berechnung, sondern furchtloser Tatkraft mit dem Schwerte sei. Stärksten Gegensatz zu ihm boten die beiden noch übrigen Teilnehmer der kleinen Tischrunde. Sie waren vorgerückten Alters mit bartlosen, klug und scharf ausgebildeten Gesichtern. Der Größere, von einnehmendem Äußern, kennzeichnete sich sofort als ein Gelehrter und war Herr Dr. Johann Oldendorp, der zu Wittenberg mit Luther und Melanchthon befreundet, später Professor der Rechte in Greifswald gewesen, dann der evangelischen Lehre in Rostock über den Widerstand des Rates und des Landesherrn den Sieg gewonnen hatte und vor zwei Jahren von Herrn Jürgen Wullenweber als Syndikus nach Lübeck berufen worden. Auf den ersten Blick unscheinbarer, von schmächtiger Statur und schmalschläfig vielgefältetem Gesichtsbau, saß neben ihm Herr Dr. Otto von Pack, ehemaliger Rat und Kanzler Herzogs Georg von Sachsen. Sein Name besaß in oberdeutschen Landen übeln Klang, denn er hatte im Jahre 1528 – ob selber getäuscht oder mit wissentlichem Trug, ging verschiedene Meinung – ein Gerücht ausgebreitet, daß der König Ferdinand mit dem Herzog Georg und mehreren katholischen Reichsständen ein Bündnis wider die lutherischen Fürsten abgeschlossen, und dem Landgrafen Philipp von Hessen eine Abschrift des geheimen Vertrages vorgewiesen. Darüber war Kriegsrüstung und argwöhnische, erst nach langer Verhandlung schwierig beigelegte Feindschaft entstanden, ihr Urheber schließlich vom Landgrafen in Gefangenschaft gesetzt, doch daraus entkommen und vom Herzog Georg, wie allen katholischen Fürsten mit ingrimmigem Haß verfolgt nach Lübeck gelangt, wo der neue Burgemeister ihm, als einem von den Römischen Geächteten, Zuflucht geboten. So geringfügig an Gestalt er sich ausnahm und so wortkarg er sich zumeist verhielt, vermochte die Zeit indes schwerlich einen Zweiten aufzuweisen, welcher an genauester Kenntnis der Verhältnisse aller deutschen Fürstenhöfe mit ihm zu wetteifern imstande war, und es verging seit seinem Eintreffen an der Trave kaum ein Tag, an dem der Burgemeister Lübecks ihn nicht zu irgendeiner Erkundigung aufsuchte oder in seinem Hause vorzukehren bat.

Jetzt aber hier unten im Ratskeller wollte der letztere von Staatsangelegenheiten und politischen Planungen nichts vernehmen. Er hatte artig den Hamburger Gast neben sich auf den Sitz geladen und dessen Begehr eine Weile Gehör zugewandt, dann jedoch antwortete er: »Lasset solchen Gedanken fahren, Herr Werneken, er ist nicht Euch, nicht dem deutschen Überrest in Nowgorod, noch der Hanse zunutze. Man kann nicht Totes wieder lebendig machen, und der Handel im Kaufhof bei St. Peter liegt seit bald einem halben Jahrhundert im Grabe vermodert. Euer Gewährsmann zu Dorpat schauet die Dinge wie der Ritter dort sie mit Weinaugen anblicken und mit der Faust dreinschlagen möchte; der Schnee tauet über Naugard nicht wieder auf. Obzwar wir einen Bräutigam am Tische haben, rat' ich Euch doch, seid alleweil zwiefach auf der Hut, wo ein Weib ans Regiment gelangt. Mag die Großfürstin Helena aus dem deutschen Litauerland herstammen, sie hat im Wolfsland Blut lecken gelernt und einen jungen Wolf geworfen. Wenn noch die alte Hanse den russischen Bären an der Kehle hielte, statt auf der Bärenhaut zu schlafen – lasset uns Lustigeres beim Wein reden! Trinket, Herr Werneken; wir wollen unserer Vaterstadt Wohl ausleeren, und erzählet mir von ihr! Denn wir sitzen hier sonderlich zusammen, Herr Oldendorp und die vornehme Gnadenkette da sind zu Hamburg in die Welt geraten, wie Ihr und ich. Nur den Kanzler hat eine Mutter irgendwo anders ans Licht gebracht, wenn man's bei einer Eulenbrut so heißen darf. Wollte Euch und Eure Geburtsstadt nicht verunehren, Herr Warendorp, daß ich sie der unserigen nachgestellt! Wer hansisches Blut im Herzen trägt, gedenket ihrer allzeit als der ersten von allen, ob er andere vorher benennen mag. Darauf laßt uns ingleichem trinken und beim Becher frohgemut sein.«

»Höret den scheelsüchtigen Neid reden!« rief Marcus Meyer lustig als Erwiderung, mit der breiten Hand an seinem Goldbehang spielend. »Hätte auch gern solch Geklirr mit Kaisers- oder Königsbildnis um den Hals, und wenn sich nur ein Weib ohne Eulenaugen fänd', das ihm schön tun möchte, wär' er kein Bär, der's an der Kehle packte.«

»Glaubst du, Marx?« lachte Jürgen Wullenweber. »Hast recht, ich hätt' dein Kettlein nicht ungern; wenn man's in den Schmelztiegel würf', sprängen wohl hundert Goldgülden draus, die könnt' ich allweil brauchen, den Burgundern dafür besser Messen lesen zu lassen, als du's getan. Verlier's nicht; wenn ich's wo finde, heb' ich's auf, denn sonst nützt deine Wittib es als Ankerkette, dich dran festzulegen. Aber wenn du vermeinst, daß mich der Neid um deine Schöne frißt – holla, Küfermeister!«

Der Angerufene, der Ratsküfer, kam eilig vom Schenkbord herzu. »Was begehrt Ihr, hochgestrenger Herr?«

»Spart die Gestrengnis auf Eurer Zunge wie in Eurem Wein, Freund, bin kein Junker, der danach Begehr trägt! Habe vernommen, deucht mich, daß Ihr die alte Stube für die Brutköste neu instand gerichtet und einer ein artig Sprüchlein an den Kamin gestiftet. Verhält sich's so?«

»Ist erst vor wenig Tagen dergestalt ins Werk gesetzt worden, Herr Burgemeister.«

»Da lasset Licht in die Brautstube zünden und schafft gute Humpen dorthin, daß ich dem Ritter weise, wie man ohne Neid einen Stiefel auf den Pantoffel seines künftigen Ehgesponses ausleert. Kommet, Herren, ich lad' euch zu Gast für so wohlgeziemenden Trunk!«

Jürgen Wullenweber stand lachend auf und wandte sich, von dem Küfermeister geführt, dem Brautstube benannten Kellergelaß zu. Wuchtig schütternden Schrittes ging er an hochgestapelten riesigen Weinfässern vorüber durch den niedrig gewölbten Gang dahin, zuweilen fast mit dem Scheitel das Gestein über sich streifend; zwischen den breiten Pfeilern erhoben sich überall die Bürger mit ehrerbietigem Gruß. Neben Dietwald Werneken hinterdrein schreitend, flüsterte Jordan Warendorp: »Seht, wie sie ihm nachschauen; ihr Blick redet, sie wissen und harren anderes von ihm, als daß er Späße beim Wein treibt.« Doch der junge Hamburger Kaufmann erwiderte nichts darauf: der kurz abschlägige Entscheid des Burgemeisters hatte sein Gemüt noch mehr als zuvor niedergedrückt, mut- und hoffnungslos ging er fast in dumpfer Gleichgültigkeit den andern nach. Nun waren sie in die neu hergerichtete, rasch erhellte Brautstube hinübergelangt, ein umfangreiches Gemach, das den Geschlechtern der Stadt bereits seit einem Jahrhundert zur Ausrichtung der »Brutkösten« gedient, für welche die gewöhnlichen Räume auch in den vornehmen Häusern sich nicht zureichend erwiesen. Jürgen Wullenweber ließ mit Wohlgefallen den Blick über die hochlehnigen, neu und kunstvoll geschnitzten Armsessel hinschweifen, seinen Augen entging nicht, daß der mächtige Eichentisch, um den sie sich reihten, andere Art aufwies, und er sagte, niederdeutend: »Der steht wie ein Quaderfels, den habt Ihr nicht heut ins Werk gesetzt.« Zustimmend entgegnete der Kellermeister: »Wir fanden ihn beim Aufräumen in dunklem Winkel unter Balkenwerk und Spinnweb; da mag er jahrhundertlang gestanden haben, aber sein Holz ist noch fest, so kennt man's in unsern Tagen nicht mehr. Da haben wir ihn geputzt und denken, er tut's wie ein andrer.«

»Ihr redet wahr,« versetzte der Burgemeister, mit einem Faustschlag die Festigkeit des Tisches prüfend, »es wuchs anderes Holz zu unserer Vorväter Zeit, so kennt man's in diesen Tagen nicht mehr. Ich denke, er tut's besser als ein andrer, Kellermeister; Ihr hattet recht, ihn wieder zu Ehren zu bringen und aus dem Staub zu holen! Lag keine alte Eisenaxt dabei aus der Väter Zeit? Hallo, wir säumen mit dem Trunk auf das Gnadengold König Heinrichs! Kommt er als Gast zu deiner Brautnacht, Ritter Marx? Er ist in Hochzeitsbräuchen weidlich erfahren – haltet an, erst das Sprüchlein am Kamin! Lest, Herr Oldendorp, Ihr seid schriftgelehrt.«

Der Aufgeforderte trat zu der gleichfalls neu hergerichteten Feuerstatt am obern Ende der Brautstube, bückte sich gegen den vielfach mit Löwenköpfen ausgeschmückten, auch sonst reich mit Bildwerk verzierten steinernen Kaminmantel und las von der Übertragung des Gesimses einen zwischen ausgehauener Hahn- und Hennenfigur eingegrabenen Reimspruch:

»Mennich Man lude singhet.
Wen me Em de Brut bringhet.
Weste He, wat men Em brochte,
Tat He wol weenen mochte.«

Eine schütternde Lache brach zwischen den weiß aufleuchtenden Zähnen des Burgemeisters hervor. Er hob den ihm dargereichten mächtigen, in Form eines Stiefels gekrümmten Erzpokal und rief:

»Der verstand's, Marx, der das Sprüchlein auf dein Wohl erdacht! Daß er wohl weinen möchte! Nutz' heut noch den Wein, Hähnlein, deine Henne wird dich Wasser trinken lehren. Ich schau' es voraus, daß einer dein Konterfei malen wird, als Hahn ohne Sporn am Fuß, auf Eiern sitzend und brütend. Darunter wird stehen: Das ist Marcus Meyer, der Ritter im Hühnerhof – auf die Nagelprobe, ihr Herren, denn wir erweisen einem, der sich ins weiße Laken einwickeln lassen will, die letzte Ehre damit!«

Er leerte den gewaltigen Humpen mit einem Zug und drehte ihn um, daß kein Tropfen mehr herausfloß. Die andern taten mit ihren Bechern das nämliche, auch Marx Meyer in gleicher Weise, der, sich in einen Sessel werfend, erwiderte: »Du scheinst fürzuhalten, daß wir im Kaufhof zu Bergen sind, Jörg, und dir die Aufgabe fällt, den Schalk unterm lappländischen Schlot zu spielen.«

Er sprach es lachenden Mundes, doch hörbar tönte aus dem Klang der Stimme leichte Gereiztheit auf; der letzte starke Trunk hatte seinen Kopf noch beträchtlich dunkler als zuvor gefärbt.

Wullenweber versetzte: »Hast du solcherlei Hänselerfahrung zu Bergen gemacht, Marx? Ich vermeinte, du habest dich anderswo unterm Rauchschlot angerußt.«

Man gewahrte an der Miene des Ritters, daß die Mahnung an seine Vergangenheit ihn vor den fremden Anwesenden verdroß. Doch er entgegnete mit scheinbar gleichmütiger Gelassenheit:

»Irrst dich nicht, Jörg, habe allzeit mehr mit Eisen als mit Stockfischen zu schaffen gehabt, war drum aber doch einmal zu Bergen mit deinem Freund Christiern.«

Die Stirn des Burgemeisters zog sich, von einem plötzlichen Schatten durchfurcht, zusammen, er griff nach seinem Pokal, der Doctor Johann Oldendorp bückte sich zur Seite und raunte, mit den Lippen am Ohr des Ritters vorüberstreifend: »Haltet Eure Zunge bedacht, Ihr wißt, er hört nicht gern von ihm reden.«

Doch Jürgen Wullenwebers scharfes Gehör hatte die gewisperten Worte vernommen, sein Kopf fuhr herum, und er stieß mit aufblitzendem Augenlicht hervor:

»Wer spricht das und trog Euch damit, Herr Oldendorp? Warum sollt' ich nicht von König Christiern hören? Es schweigen zu viele heut von ihm, wie die Steine, in die sie ihn eingetürmt; lasset uns weniger undankbar sein und von ihm reden! Er war einmal unser Feind, und wir haben reiflich danach an ihm gehandelt, ob klug, weiß ich nicht –«

»Willst sagen, ob ehrlich weißt du nicht,« warf Marx Meyer lässig ein.

Das Blut schoß einen Moment aus dem geröteten Gesicht des Lübecker Burgemeisters zurück und sein Blick wich an dem des Sprechers vorüber. Dann entgegnete er rasch:

»Die Hanse hat nicht Schrift und Siegel gebrochen und trägt nicht Schuld, daß der König im Turm zu Sonderburg schmachtet. Er hat viel Schlimmes geübt, aber da sie ihn lebendig begraben, darf heut wohl mit ihm geschehen, was man den Toten antut, daß man auch Gutes von ihm redet. Dazu deucht mich, hatten wir mehr Fug als andere, denn er war des Adels und der Geschlechter Feind, doch Freund der Bauern und der Gewerke. Als er noch lebte, führten die Junker das Regiment in der Hanse, und er stritt wider dieselbe; früget ihr ihn heut in seinem Spinnenloch, ob er noch unser Gegner wäre, wenn er wieder auf dem Thron säße, wer von euch weiß die Antwort drauf? Aber das weiß ich, besser für uns hielte Christiern der Zweite wieder die Herrschaft in Dänemark, als seines Oheims Sohn, der Junkerherzog von Holstein, wenn der adelige Reichsrat ihm als einem Christian dem Dritten die Krone auf den glattzüngigen Kopf setzte. Wären die noch, die einstmals um diesen Tisch gesessen haben mögen, so geschähe das nimmermehr. Aber wir haben vergessen, daß unsere Vorväter es gewesen, welche die Könige des Nordens auf den Thron gesetzt und herabgestoßen, lang vergessen, vor bald einem Jahrhundert schon, zum Niedergang und Siechtum der deutschen Hanse. Denn ob heut keiner mehr lebt, um dran zu gedenken, zu der Stunde begann ihre Entartung und ihr Fall, als sie in schwächlich kurzsichtiger Torheit den Oldenburger Grafen auf den dänischen Königssitz zuließ und alle nordischen Reiche zusamt Schleswig und Holstein in eine Hand gab. Und gebet acht, wie Christian der Dritte mit List und Gewalt das Erbe seines Ältervaters wieder an sich bringen wird, als der Niederländer geschworener Freund und der Hanse Todfeind – zum mindesten der Städte, in denen die freie Verfassung den Obsieg über die Geschlechter gewonnen.«

Jürgen Wullenweber hatte mit allmählich höher steigender Erregung gesprochen und sein Blick sich flammenden Ausdrucks zuletzt in die Gesichter der Hörer gerichtet, die seinen Augen mit einer ungewissen Schweigsamkeit begegneten. Nur Marx Meyer erwiderte:

»Du weißt, Jörg, ich stand in Christierns Dienst und hab' ein anhänglich Gedächtnis an ihn bewahrt. Mir geschäh's zu Recht, wenn sich einer fänd', den dänischen Junkern ihren Treubruch heimzuzahlen. Mein Gewissen trüg's nicht, hätt' ich die Hand dabei mit im Spiel gehabt; ich müßt's wett machen vor mir selber und der Welt.«

Der Burgemeister leerte hastig seinen Becher und griff sich mit den Fingern durch den dichten Bart. Sichtbar verdroß ihn, daß er mit den ihm entfahrenen Worten zu der Entgegnung Marcus Meyers Anlaß gegeben, denn er fiel jetzt rasch, doch in minder natürlicher Lustigkeit als zuvor ein:

»Was schwatzen wir von Dingen, zu denen die Weinzunge nicht taugt, als steckten die Spittelweiber die Köpfe zusammen, über Wind- und Wolkenzeichen am Himmel zu raunen! Mögen die Dänenjunker sich zum Herrn küren, wen sie begehren; die Hanse hat Frieden und Freundschaft mit den nordischen Reichen und mag zuwarten, ob der neue König ihrer in Gnaden gedenken wird. Daß Ihr von Christiern redet, regte mir ein Gedenken, wie hurtig Menschengedächtnis hinlischt, gleich wie Flußwasser im Meer verrinnt. Das gedacht' ich Euch wachzurufen, als ich vom Vergessen sprach und meine Zunge abseits in Torheit fiel. Unserer Tage Welt hat zumal vom Blutbad in Stockholm her viel laute Stimmen und Geschrei vernommen, es sei nie ein Gleicher an Herrschertrotz, Falschheit und wildem Sinn wie der zweite Christiern auf Erden gesehen. Wahrlich, Menschen vergessen gar schnell, sonst wüßten sie noch, daß, wie Christiern zu Stockholm im Blute geschritten, so einstmals Waldemar Atterdag in der Stadt Wisby auf die Leichen ihrer arglistig überfallenen Bürger getreten. Und sonderbarlich redet alter Bericht, daß er erst zu so unmäßiger Willkür, Treubruch und Grausamkeit hingerissen worden, als die ›kleine Tove‹ gestorben, die einzige, an der sein Herz gehangen – wie niemand zuvor von Christierns wilder Blutgier gewußt, eh' Torben Oxes Kopf um den Tod der schönen Dyveke Vijlms von der Schulter gefallen. Solltet in Euren neuen Schulen besser lehren, Herr Oldendorp, daß etwas von alters vor uns gewesen, da wüchsen Menschen auf, die nicht gleich Weibern über das königliche Ungeheuer unserer Tage jammerten, vielmehr erkennen würden, daß er Zug um Zug vor zwei Jahrhunderten schon als Waldemar Atterdag auf dem Dänenthron gesessen. Dann möchten sie aus der Vergangenheit lernen, daß der letztere nicht lediglich unbändige Leidenschaft, Tücke und Rachsucht in sich getragen, sondern auch hohe Klugheit zuzeiten mit ritterlicher Sinnesart vereint und ehrlich Treue und Freundschaft zu halten gewußt, wenn er sie mit seinem Königswort zugesagt. Denn das weiß ich, als Freund und Feind will ich lieber Christierns blutig verrufener Zunge trauen, als dem lächelnden Munde seines Vetters, wenn er Christian der Dritte von Dänemark benannt wird.«

Da war Herr Jürgen Wullenweber, wie es schien gleich einem Schiff, das der Wind wider dessen Willen beharrlich einem Ziele zutreibt, abermals an den gleichen Punkt geraten, von dem er vorher eilig wieder abgelenkt, weil solcherlei Gerede zum Wein nicht tauge. Staunend aber erkannte Dietwald Werneken kaum mehr den spaßfrohen, sorglosen Trinkkumpan, der ihm beim Eintritt in den Keller heitern Willkomm geboten. Schwerer Ernst hatte eine dunkle Wolkenbank über die machtvolle Stirn des Burgemeisters gelagert, darunter es zwischen seinen Lidern wie das Zucken eines Wetterleuchtens hin und her ging. Seit der Namenserwähnung des entthronten und gefangenen dänischen Königs bedeutungsvoll verwandelt, war es augenscheinlich keine harmlose Zechgenossenschaft mehr, die um den alten Tisch der Brautstube saß, sondern aus halb gesprochenem Wort brüteten in ihren Köpfen heimliche Gedanken weiter, deren Vorhandensein Dietwald plötzlich empfand, ohne zu einem Verständnis durchdringen zu können. Doch auch Jordan Warendorps Miene sprach, daß er keinen Anteil daran besaß; allseitiges Schweigen folgte auf die letzten Worte Wullenwebers, nur Johann Oldendorp, der von ihnen angesprochen worden, entgegnete mit zögernder Langsamkeit:

»Eines mag aber dennoch zugunsten des Herzogs Christian wohl ins Gewicht fallen, daß er ebenso aufrichtig dem Luthertum zugetan ist, als der König Christiern mit harter Strenge am römischen Glauben festgehalten und die Bekenner der evangelischen Lehre in seinen Reichen bis aufs Blut verfolgt gehabt.«

Das Gesicht des Burgemeisters nahm nachdenklich-düstern Ausdruck an. »Redet des leider wahr, Oldendorp,« versetzte er; doch Marx Meyer rief drein:

»Narrheit spricht sein Mund; Pfaff ist Pfaff und gleiche Aussaat, ob aus Rom oder Wittenberg, was kümmert's uns!«

Aber heftig fuhr Jürgen Wullenweber jetzt auf:

»Deine Zung' ist trunken, redet Narrheit und Gottlosigkeit! Die reine Lehre ist unser aller feste Burg, Waffe und Wehr! Wer sie verleumdet und schmäht, ist der Papisten Freund, nicht unserer! Ich bin ein gar Geringer gegen den großen Mann von Wittenberg, aber ich stehe hier mit ihm, wären soviel Teufel auf den Dächern als Ziegel: Was er gelehrt, ist Wahrheit! Und schnitte man mir die Zunge vom Mund, sie spräch' es doch!«

Zu Dietwald Wernekens freudiger Überraschung leuchtete eine hohe, begeisterte Glaubensüberzeugung aus Jürgen Wullenwebers Augen, der, erregt vom Sitz gesprungen, dastand und seine nachdrückliche Erwiderung mit einem hallenden Aufschlag auf den Tisch verstärkt hatte. Doch Marcus Meyer gab unerschrocken, gereizt spöttischen Tones Antwort:

»Mag sein, daß der Wittenberger Mönch die Wahrheit gesprochen, trachte nicht danach, gelehrt zu scheinen, und weiß bessern Bescheid auf Erden als über den Wolken. Aber was mein Gedächtnis bewahrt, ist, daß die Prediger, die er uns gesendet, als wir ihnen kaum Amt und Brot geliehen, auf den Kanzeln schon ihr öffentliches Gebet wider die Weltliche Befreiung und Rechte des Volkes gerichtet haben, wie ihre römischen Vorgänger zuvor. Und ich gedenke, daß Herr Hermann Bonnus, der evangelische Stadtsuperintendent und vormalige Informator der Prinzensöhne des Herzogs Christian, vor wenig Tagen erst in seinem Gesuch um Abschied beim Rat unserer Stadt geschrieben: »Ihn beschwere sein Gewissen, Überwältigung gesetzlicher Ordnung durch den gemeinen Mann ungeahndet zu lassen und der wachsenden Ruchlosigkeit nicht steuern zu können; denn die Obrigkeit sei von Gott eingesetzt und dürfe von Untertanen nicht angetastet werden, so böse sie sei.« Das waren Herrn Bonnus Worte, des Predigers der reinen Lehre, die ich mir gut gemerkt, und die von Gott gesetzte Obrigkeit war Herr Nikolaus Brömse, und der gemeine Mann, der sie überwältigt, bist du, Burgemeister. Drum schau zu, wenn deine Augen nicht blind sind, wie auch bei den Junkern und römischen Priestern in den Herzen kein Haß mehr wider die lutherischen Pfaffen ist, denn sie spüren den gemeinsamen Bund und Abscheu gegen die »wachsende Ruchlosigkeit« zu Lübeck, wo das Volk am Regiment sitzt.«

Merklich war's ein scharfer Stachel, mit dem Marcus Meyer auf die Worte des Burgemeisters entgegnet; der letztere zog die dunkelbuschigen Augenbrauen heftig zusammen und erwiderte:

»Du redest nach deinem Brauch wie der Taube von der Predigt. Herr Bonnus hat mit Fug und Recht von der Ruchlosigkeit gesprochen, denn er vermeinte nach eigenem Wort damit das lasterhaft schandbare Unwesen des Fratzenkönigs Johann von Leyden und seiner Wiedertäufer in der Stadt Münster, über deren gottlose Frevel Schwert und Beil kommen möge!«

Spöttisch gab Marx Meyer Antwort: »So hüte dich, daß der Nachfolger des Herrn Bonnus nicht eines Tages von seiner Kanzel predigt, du seiest der Knipperdolling von Lübeck, auf unsern Burgemeisterstuhl gelangt wie er zu Münster, und des Beils und Schwertes würdig gleich ihm.«

»Kennst ihn so gut? Ist etwa ein Gesippe von dir, da geh zu ihnen und schweiße ihren Aberwitz mit dem Blasebalg deines Mundes! Passest wohl zu den ausgeputzten Helden, der Prophet Bockold hängt dir vielleicht noch einen Purpurmantel unter deine Kette!«

»Brauch' ich nicht, Burgemeister. Aber dir sollte man einen Hansup anziehen; könntest ein großer Mann sein, bist aber nur ein großer Knabe, der an Ammenmären und Pfaffengeschwätz glaubt!«

Sichtbar und hörbar loderte der Wein in den Köpfen der beiden jetzt dicht gegeneinander hochaufgereckten hünenhaften Gestalten. Sie maßen sich mit trotzig herausfordernden Blicken, drohend hob Jürgen Wullenweber seine wuchtige Rechte empor. Doch im nächsten Augenblick brach ein lautschallendes Gelächter aus seinem Bart hervor, und er stieß lustig hinterdrein:

»Alter Prahlmatz! Ich ein Knabe, sagst du? Komm her, Marx, Knabenfaust gegen Ritterfaust! Was kann sie?«

Bei dem Auflachen und der Anrede des Sprechers war auch über Marcus Meyers halbtrunkene Züge die Besinnung zurückgekommen. »Was sie kann, Jörg?« rief er in gleichem Ton gegen. »Willst wetten?«

Er packte den neben ihm stehenden schweren Eichenholzarmsessel und hob ihn kraftvoll mit einer Hand hoch in die Luft. »Mach's nach, Jörg!«

»Sitz dich erst drauf, Flaumbart, sonst fliegt mir das Holz zum Gewölb,« antwortete Jürgen Wullenweber, ihn auf den Sessel niederdrückend. Dann lüftete er diesen mit seinem lebendigen Gewicht um mehr denn Schuhhöhe vom Estrich, setzte ihn zurück und sprach ruhig:

»Das war ein Ritterstuhl, Marx, nun prob's mit einem Burgemeisterstuhl.«

Er ließ sich auf den Sessel nieder, und der herausgeforderte suchte das gleiche nachzutun. Doch er vermochte die Last nicht um einen Zoll vom Boden zu bewegen, und Wullenweber lachte:

»Deine Mutter hat's mir wohl leichter gemacht, Marx, aber mich bedünkt, es ist guter Spaß, daß unsere Zeit noch Knaben zur Welt gebracht, die dem alten Tisch hier nicht Unehre bereiten, Soll'n sich die Hand schütteln, die's können, denk' ich – oder wett'st noch einmal? Den da!«

Er streckte die Hand nach dem gewaltigen Eichentisch, sein Widerpart versetzte gutlaunig ungereizt jetzt:

»Hab' genug! Bist mir über, Jörg, weiß es gut und müßt' ein eitler Tropf sein, wollt' ich's nicht erkennen. Aber ich rat' es dir nochmals, hüt' dich vor Pfaffenarglist und -Herrschgier, dran bricht auch die beste Kraft, wenn sie zu gläubig vertraut, und hebst das Stachelgeschmeiß so wenig in die Luft, wie den Klotz da.«

Ein zuversichtlich glanzvoll aufflammender Strahl der Augen des Burgemeisters antwortete ihm. »Ich vertrau' auf Gott und redlich Gewissen, Marx, daß die Hand draus Kraft gewinnt, der Vorväter starkes Werk emporzuheben –«

Er sprach's mit doppelsinnigem Wort, denn seine Hand suchte jetzt den, manches Zentnergewicht schweren, von den Vorvätern gezimmerten Tisch vom Estrich aufzulüften, doch gleich darauf zog sie sich unwillkürlich zurück, Blutstropfen quollen aus seinen Fingern, in die sich ein Holzsplitter hineingestoßen, und sich über das altersgeschwärzte Eichenbrett bückend, sagte er lachend:

»Da hat einmal einer ins Holz geschnitten, vielleicht zum Gedächtnis, daß seine Kraft es vollbracht. Der will's nicht, daß ich's ihm gleich tue.«

Er wischte sich das Blut von der Hand, neben ihm beugte neugierig Herr Doctor Otto von Pack den Kopf auf die angedeutete Stelle des Tisches und sprach:

»Ein Name scheint's, aber es ist zu dunkel, ihn zu lesen.«

Der Burgemeister griff nach seinem Humpen und versetzte, ihn gegen die Lippen führend, mit einem ihnen entfliegenden Tone von Geringachtung:

»Wenn Ihr ihn auszuspüren trachtet, Eure Augen werden's bei Nacht schon vollbringen, Herr Kanzler.«

Doch der Angesprochene bückte, unbekümmert um den halb mißächtlichen Klang der Entgegnung, die Augen forschend dichter hinunter und buchstabierte: »Jo–hann – das ist das erste – Wit–ten–borg – Johann Wittenborg.«

Er hatte das letzte mit lauter gehobener Stimme wiederholt, und durch die zufällige Stille in der Brautstube lief der Klang des Namens sonderbar nachhallend an den Wänden dahin. Er versummte in den Gewölben der Decke, doch als wecke er dort einen anderen Laut auf, folgte unmittelbar vom Turm der nahen Marienkirche dumpf niederhallender Glockenschall drein. Zwölfmal ging der mächtige metallene Schlag durch die Nacht, dann war es wieder still.

Die Anwesenden in dem unterirdischen Raum blickten sich schweigend an. Der Stundenruf war durch eine absichtslose, doch eigenartig feierliche Lautlosigkeit herabgeklungen, und Jürgen Wullenweber hatte den Pokal nicht weiter an den Mund geführt, sondern hielt ihn noch in regungslos festgebannter Hand. Und ebenso heftete sein Blick sich unbeweglich auf den Fleck des alten Eichentisches, nieder, an dem der ehemalige Kanzler des Herzogs Georg seine Eulenkunst, im Dunkel zu lesen, erprobt hatte, dann sprach er langsam vor sich hin, als stehe er allein unter dem mattumdämmerten Steingewölbe:

»Ist's ein Gruß von dir um Mitternacht? Sei's drum – ich trink's dir zu –«

Nun setzte er den Humpen an die Lippen und leerte ihn mit großem Zuge aus. Aber Weinrausch, Lachreiz und spaßlustiger Kraftübermut waren von seinem Gesicht herabgefallen, voll-nüchternen Blickes den Kopf hebend, redete er kurz: »Es ist spät, ihr Herren, für den, der nicht voraus weiß, wie oft der Glockenschlag ihm noch einen neuen Tag beginnt; folgt ihr mit, sonst habt gute Nacht!« und sichern, breitwuchtigen Schrittes der Tür zutretend, ging er, ohne einer Erwiderung zu harren, durch den jetzt menschenverlassenen, hallenden Kellerraum dem Treppenaufstieg zu. Die andern folgten ihm nach und holten ihn auf dem Marktplatze ein. »Wohin willst noch, Jörg?« fragte Marx Meyer, da der Burgemeister in der Mitte des Marktes plötzlich aus der graden Richtung nach seinem Hause zur Seite abbog. »Der Meister bessert drüben,« versetzte der Befragte, »dein Fuß ist nicht fest heut, Marx, ich sorg', er könnt' im Finstern stürzen.« Er begleitete die Worte mit halbem erzwungenen Auflachen; der Ritter entgegnete launig: »Am Kaak? Läßt du für Klaus Brömse dran bessern, Jörg?« Aber Jürgen Wullenweber gab keine Antwort drauf, sondern schritt schweigsam bis zu seiner unfern belegenen Wohnung, verabschiedete sich dort wortkargen Grußes und schloß die Tür hinter sich. Die andern wanderten zusammen die Gasse entlang; Johann Oldendorp sprach:

»Ihr hattet ihm die Laune verdorben, Herr Ritter. Was mußtet Ihr Christierns Namen aufbringen?«

»Weiß nicht, was ihn zuletzt noch anfocht,« entgegnete Marx Meyer kurz. Er fügte nichts hinzu, bis sich an einer Straßenecke Herr Otto von Pack abgetrennt, um sich seinem Hause zuzuwenden. Das schien dem Verstummten die Zunge wieder zu lösen, er blickte noch in die Richtung des verhallenden Schrittes und stieß hervor:

»Was Jörg an dem Molch gefressen! Ich würd' ihn am liebsten auf den Rost binden, ihm das Gift aus der verschrumpften Haut zu braten. Spürt ihr's nicht, daß die Luft besser geworden, seitdem er die Schleichersohlen von uns abgedreht? Ich geleit' euch noch, ihr Herren. Mich dünkt, es war kein Wasser im Wein; ich hätt' Lust, den Dunst noch aus dem Blut zu hämmern. Kann's der Arm nicht, tut der Fuß auch Dienst dazu.«

Er stampfte einige Male mit dem goldbespornten Stiefel auf, daß der Boden weithin schütterte; sie gingen über den Klingenberg der Mühlstraße zu, die Luft war sommerwarm, doch dunkel, zuweilen fielen von leichter Wolkendecke einzelne Tropfen herab, dann sah flüchtig ein Stern aus einer Lücke. Johann Oldendorp versetzte:

»Es steht nicht zu sorgen, glaub' ich, daß der Burgemeister Schädigung von Eurem Molch erleidet: er vertrauet ihm gleichfalls nicht, nutzet nur seine große Kenntnis.«

»Leidet doch Schädigung, Herr Oldendorp, an Ruf und Zutrauen bei vornehm und gering,« erwiderte Marx Meyer unmutig. »Aber sein Kopf ist nicht zu schmieden, sondern spröd wie Osemund. Wozu braucht er die Gänsekiele? Was er trachtet, schreibt nur die Eisenfeder!«

Johann Oldendorp lächelte: »Erweiset doch selber einem Gänsekiel die Gunst, mit ihm hier zu wandeln, Herr Ritter.«

Nun lachte dieser: »Taucht Eure Zunge nicht in Galläpfelsaft, Herr Oldendorp, sondern lieber in guten Wein, wie's einem, der kein Molch ist, ansteht. Wolltet sagen, Herr Warendorp?«

Er wandte sich, nicht ungern von seiner Verredung abbrechend, zu seinem Begleiter auf der andern Seite. Dieser hatte schon einigemal sich mit einer Frage in das Gespräch einzumischen gesucht und brachte sie jetzt hervor:

»Wisset Ihr, warum Herr Wullenweber den Namen des Königs Christiern nicht gern vernimmt?«

Markus Meyer schwieg einige Augenblicke, dann erwiderte er:

»Weiß nicht, ob ich Euch morgen früh drauf antworten würd', Herr Warendorp. Kann Euch auch keinen bündigen Bescheid geben, aber Ihr habt Euch in allen Tagen erprobt, daß Ihr redlich zu uns steht, und ich halt' offene Rede, die der Wein spricht, vielmals besser, als versteckte Klugheit. Bin nicht Jörg Wullenwebers Schatten gewesen zu Kopenhagen und weiß nicht von jeglichem Wort, das dort aus seinem Munde gegangen. Aber wenn Ihr in Eurer Sippe und Verbandschaft ehrliche Freunde des Burgemeisters und der alten Hansemacht hegt, gleich Euch, da saget ihnen, sie möchten im Ratssaal und auf dem Markt laut reden, es sei an König Christiern schwerer Treubruch und Frevel geübt, und ein redliches Gewissen könn' es nimmermehr tragen, daß solch schimpfliches Unrecht nicht an ihm gut gemacht werde. Und sorget nicht, daß Ihr Jörg Wullenweber, ob er Christierns Namen in fröhlicher Laune beim Wein nicht gern hört, damit zuwider fallen werdet, wenn Ihr denselben mit tausend Zungen so laut rufet, daß er bis an die Hähne auf den Türmen der Marienkirche hinaufschallt.«

Die nächtlichen Wanderer waren bis an das Mühltor gelangt, allgemach jedoch dergestalt in lebhafte Unterredung über bedeutsame Dinge verfallen, daß sie des bezweckten Heimwegs nicht gedachten, sondern umwendend durch die ganze Länge der schlafeslautlosen Stadt zum Burgtor zurückschritten. Nur Dietwald Werneken beteiligte sich kaum an der Zwiesprache; im Dunkel der stillen Gassen tauchte es ab und zu wunderlich vor ihm auf, ein Gebild der Phantasie und doch greifbar, wie leibhaftig vor seinen körperlichen Augen dastehend. So deutlich sah er die sonnigbeglänzte Heide an dem Waldrand, wo er heut mittag Rast gehalten, in den Goldstrahlen schwebte eine anmutsvolle, junge weibliche Gestalt zwischen den bunten Frühlingsblumen des Bodens hin. Zumeist gewahrte er sie nur von der Rückseite, doch hin und wieder drehte sie ein wenig den Kopf, daß ein zarter, heller Schimmer ihres Gesichtes aufleuchtete; dann war es Frau Erdmute Warendorp, die ihm traulich, mitleidig lächelnd, zunickte. Aber gleich darauf verschwand alles, Sonnenlicht und Antlitz, und nur die finstere Nacht zwischen den fremden Häusern blieb um ihn her.

Sein Herz war sehr müde und vergessender Ruhe bedürftig, nun fühlte er, daß nach der ungewohnten langen Anstrengung des Tages auch sein Körper es ebenso sei. Eine Zeitlang hatte der Wein ihm die Sinne angeregt gehabt, jetzt ging er meistenteils mit geschlossenen Lidern, zuwartend, daß seine Begleiter ihr zielloses Hin- und Herwandern beenden würden. Sie mußten schon oftmals zwischen dem Burg- und Mühlentor auf- und abgeschritten sein, die Uhr schlug bereits die zweite Morgenstunde.

Da öffnete Dietwald Werneken zufällig einmal die Augen. Es war nicht lichtloser, sondern etwas heller geworden, ein mattgrauer Luftschimmer verriet, daß der Mond irgendwo hinter dem verdichteten Gewölk aufgestiegen sein mußte, und in dem trüben Zwitterschein erkannte der junge Hamburger Kaufmann, daß sie wieder an dem Hause vorüberwanderten, in das der Burgemeister Wullenweber bei seinem Abschiednehmen eingetreten war. Eine eigenartige, hohe Hofmauer schloß sich auf der einen Seite daran, und wie Dietwalds Blick jetzt darauf hinfiel, hob sich an ihrem Ende vom Oberland ein besonderer schwarzer Schattenriß gegen den Himmel, daß er mechanisch aufdeutete: »Was für ein Zierat ist das?«

Jordan Warendorp erwiderte nachlässig: »Wo meint Ihr, Vetter? Ich gewahre nichts Absonderes von Zier an des Burgemeisters Hause,« und zugleich fiel auch Dietwald Werneken ein: »Ich täuschte mich, mir war's, als reite eine aus Stein gehauene Mannesgestalt auf der Mauer.«

Er fügte nichts weiter hinzu, denn offenbar hatte eine ähnliche Einbildung, wie sie ihm auf dem nächtlichen Weg schon mehrfach vor Augen gegaukelt, ihn betrogen, doch bei seiner Entgegnung drehte der Ritter Marx Meyer unwillkürlich den Kopf und fragte:

»Was sahet Ihr, Herr Werneken? Wo?«

Dietwald wollte seine vorherige Antwort wiederholen, allein jetzt vernahm sein feines Ohr plötzlich drüben hinter der Mauer ein leises Rascheln und Klirren und er versetzte:

»Ich glaub's doch, es saß einer auf dem Steinrand, der nach drinnen hinuntergesprungen. Hört!«

Kaum vernehmlich kam ein Stimmengewisper durch die lautlose Nachtruhe herüber, es klang, als ob ein Mund gedämpften Tons jenseit der Mauer gesagt: »Rührt euch nicht!« Im selben Augenblick aber griff Marx Meyer, kurz mit der Hand tastend, zu Boden, raffte einen Fauststein auf, schleuderte ihn wuchtig gegen ein Fenster im obern Geschoß des Hauses, daß die dicken Glasscheiben klirrend zerbrachen, und rief lautschallend hinterdrein:

»Hallo, Jörg, hast du Ratten im Hof?«

Ein Augenblick verging, dann tönte vom Fenster her die unmutige Erwiderung des aus dem Schlaf aufgefahrenen Burgemeisters:

»Bist du's, Marx Meyer? Hat dich der Eber von Sinnen gebracht? Buben stäupt der Büttel aus für solche Narreteiding!«

Doch der Gescholtene gab keine Antwort, denn gleichzeitig hatte sich das Bild unten merkwürdig verändert. Ein halbes Dutzend gewaffneter Mannsgestalten war plötzlich so auf dem Rand der Mauer emporgetaucht, wie Dietwald zuvor eine wahrgenommen, schwang sich blitzschnell auf die Gasse herüber und suchte hastigen Fußes das Weite zu gewinnen. Marx Meyer sprang auf den Vordersten von ihnen zu und schrie: »Die sind für Ratten zu groß, Marder sind's, Jörg!« Sein breites Schwert holte sausend aus, und der Getroffene kollerte röchelnd zu Boden. »Verflucht! Fort! Laßt ihn!« gebot die leise Stimme eines andern, der hart an Dietwald Werneken vorbeischoß. Kaum ein Zucken der Wimper, dann lag die Straße nachtruhig und leer wie eben zuvor.

Nun ging die Haustür auf und Jürgen Wullenweber trat im Nachtkleid mit einer Fackel heraus. »Was gibt's, Marx?«

Der Befragte lachte auf. »Bist im Hansup, Jörg? Eulengezücht gab's in deinem Hof, und ohn' unsere Narreteiding hielt's vermutlich zur Stund' einen Falken im Schlaf an der Kehle gewürgt. Leucht' her, daß wir die Federn anschauen!«

Er nahm dem Burgemeister die Fackel aus der Hand und ließ rasch ihr Geloder auf den von ihm zu Boden Gestreckten niederfallen. Doch der gab kein Lebenszeichen mehr, es war ein robuster Mann vom Aussehen und in der Gewandung eines gewaffneten Knechtes, aber die Eisenkappe auf seinem Scheitel war in der Mitte durchhauen, und breitklaffend sah der zerspaltene Schädel daraus hervor. Der Ritter murmelte, sich verdrossen am Bart reißend: »Dem lockert man die Zunge nicht mehr mit der Schraube; 'ne alberne Faust, die so täppisch dreinhämmert, als wär' ein Bubenkopf von Schmiedeeisen.«

Jürgen Wullenweber hatte inzwischen vernommen, was vorgegangen und in welcherlei Weise die Aufmerksamkeit der Vorüberschreitenden durch Dietwald Werneken geweckt worden. Er warf kurz einen ernst-schweigsamen Blick auf den Toten nieder, dann sprach er ruhig:

»Ich wahre zur Nacht einen Geldsäckel der Stadt in meinem Haus, das hatten sie erkundschaftet und wollten ihn ausleeren. Ihm ist Diebsrecht widerfahren; wer unter deinen Arm gerät, Marx, schafft dem Meister keine Mühwaltung mehr.«

Doch der Angesprochene fiel ein: »Sollten nach Geld bei dir eingestiegen sein? Glaubst es selber nicht, Jörg –«

»Wonach stünd' anders solch gemeiner Knechte Trachten?« unterbrach der Burgemeister ihn gleichmütig. »Laßt ihn liegen, daß die Schobanden ihn mit sich nehmen, wenn sie die Frührunde begehen.«

Dietwald hatte nachsinnend gestanden, jetzt aber hob er das Wort:

»Verstattet, daß ich mit drein rede, Herr Burgemeister. Ich vernahm die Stimme eines, der dicht an mir vorüberlief, und obzwar ich in Eurer Stadt fremd bin, war mir der Klang seiner Sprache an mancher Besonderheit doch so bekannt, daß mir kein Zweifel bliebe, wer es gewesen, wenn ich mich nicht bei Euch zu Lübeck, sondern in Hamburg befände.«

»Das ist kaum verständliche Rede, Herr Werneken, denn Ihr sprecht selber, daß wir hier zu Lübeck stehen. An wen denn in unserer beider Vaterstadt hätte Euer Gehör Euch gemahnt?«

Der Antwortende schien das letztere mehr aus Höflichkeit als aus Interesse an einer Entgegnung auf seine Frage beizufügen, nur in der Reglosigkeit seiner Wimpern tat sich ein aufhorchender Ausdruck des Gesichtes kund. Dietwald erwiderte:

»Zu Hamburg würd' ich's auf mein Gewissen genommen haben, es sei die Stimme des Herrn Krevet gewesen.«

Ein leichtes Zucken bewegte die Lider Wullenwebers, der jetzt rasch freundlichen Tones versetzte, indem er dem jungen Kaufmann die Hand darreichte:

»Müsset also wohl von Eurem Ohr getäuscht sein, Herr Werneken, denn man kann nicht hier eines Mannes Zunge vernehmen, der in Hamburg weilt. Nehmet gute Nacht, ihr Herren, und lasset auch eure Zunge morgen nicht weiter drüber reden! Es würd' heißen zu Lübeck, der Burgemeister sei mit Freunden spät vom Wein gekommen und es hab' ihnen im Kopfe gespukt, daß sie Gespenster im Dunkeln gewahrt. Dem Ruf von Männern tut's nicht gut, wenn der Spott ihnen heimlich im Volksmund nachraunt, sie hätten sich bei Nacht erschrecken lassen. Aber habt redlich Dank, Herr Werneken, daß Eure Achtsamkeit den Stadtsäckel vor Schädigung behütet! Es hätt' Leute geben können, welche die Achsel gezuckt, ob es Diebe von der Gasse gewesen, die über die Geldtruhe geraten. Ihr redetet mir heut abend von einer Planung, Herr Werneken, darauf ich beim Becher etwas kurz erwidert haben mag. Wäret still und wortkarg danach, bedeucht mich, als einer, den ernstliche Gedanken nicht lassen. Wenn Euer Trachten, von dem Ihr spracht, Euch am Herzen liegt, kommet bei Tag zu mir, daß wir besser drüber ratschlagen. – Was willst, Marx?«

Der Burgemeister hatte Dietwald die Hand geschüttelt und trat wieder gegen seine Haustür hinan, zu welcher Marx Meyer ihm den Schritt nachsetzte und erwiderte:

»Hast die Geldtruhe noch wie vorhin im Haus, Jörg; es deucht mich besser, wenn ein wachsamer Hund sich danebenlegt, bis der Tag kommt.«

»Bleibst ein alter Prahlmatz mit deinem Gebiß, Marx,« lachte Jürgen Wullenweber, aber sein Arm legte sich unverkennbar mit einer derben Zärtlichkeit um die Schultern des Ausgespotteten. Es war ein eigentümlicher Anblick, der Dietwald Wernekens Augen festgebannt hielt. Von dem roten Fackellicht überlodert, schmolzen sich die beiden mächtigen Gestalten sonderbar fast zu einer doppelköpfigen ineinander; die blaue Eisenrüstung des einen ringelte sich glitzernd in wunderlichem Gegensatz mit der Nachtgewandung des andern zusammen, aus der die halb entblößte Brust hervorsah und seinen Gliederbau noch riesenhafter als unter der Tageskleidung zur Schau treten ließ. Sie erschienen gleich zwei aus der Erde gestiegenen Hünen der Vorzeit, die, vom Schlaf aufgewacht, mit einem Ruck der Köpfe das Felsgequader ihrer Gruftkammern abgeworfen und, aufeinander gestützt, herausfordernd auf ein von ihnen in der Welt angetroffenes Zwergengeschlecht herunterblickten. Nur überwog bei dem einen die reckenhafte, trotzige Körperkraft, während sie bei dem andern sichtbarlich nur als Mitgift unter hohes Trachten des Geistes gebändigt lag; aber man erkannte, die Faust gehorchte dem Kopf, und eine unverbrüchliche, durch keinen Becherspaß und Hänselei beirrbare Freundschaft verband sie auf Leben und Tod. Nun verschwand das gewaltige Nachtbild hinter der sich schließenden Tür, und die Zurückverbliebenen schritten ihren Wohnstätten zu.

Dann hatte an den nächstfolgenden Tagen Dietwald Werneken zu öfteren Malen in der Schreibstube des Burgemeisters gesessen und mancherlei Zwiesprache mit ihm gepflogen, die zu einem völlig andern Ergebnis geführt, als ihre erste kurze Abendberedung im Ratsweinkeller, denn Jürgen Wullenweber nahm jetzt eines Morgens in noch ziemlicher Frühe mit den Worten von ihm Abschied:

»So reiset mit Gott und Eurem trefflichen Vorhaben, Herr Werneken! Verübelt's mir nicht, daß ich damals vermeint, Ihr gedächtet Euer Hab und Gut in Naugard zu mehren und als ein abenteuernder Kaufmann ins Russenland zu ziehen. Dawider hatt' ich Euch als Kundiger desselben geraten, aber nicht Euch und nicht dasjenige gekannt, was Euch in Wahrheit zu solchem Entscheid trieb. Seid mir wert geworden, nicht allein, weil ich Euch guten Dank schulde, vielmehr weil ich uns im wichtigsten gleichen Sinnes befunden, daß ein Mann sich nur Befriedigung werben kann, wenn er sonder Eigensucht seine Kraft und sein Leben an ein Werk setzt, anderer Wohl zu fördern. So lasset uns beide danach trachten, jeglicher an seinem Ort, und breitet die evangelische Lehre aus zu Nowgorod, die unser gemeinsames herrliches Banner ist, unter dem wir streiten. Aus der Befreiung der Gemüter von Geistesbedrückung muß allzeit auch weltliches Gedeihen erwachsen, und Euer Trachten, den alten Kaufhof bei Sankt Peter wieder aufzurichten, mag grad in unsern Tagen wohl als eine Weisung unsichtbaren Willens in Eure Seele gelegt sein, daß ich es mit hoher Freudigkeit begrüße. Wenn es gleichfalls in dem Willen des Himmels beschlossen, klingt vielleicht zur Wiederkehr des Frühlings auch der Hansa alte Namensehre Euch als ein Gruß in den tauenden Schnee hinüber. So haltet Wahrheit, Mut und Klugheit aufrecht, Freund, und bewahret mir Vertrauen, wie ich Euch, was die Luft etwa an Zungengered' über mich an Euer Ohr wehen mag. Ich werd' Euch auch in der weiten Fremde im Gedächtnis tragen und verhoffe, wir reichen uns die Hände noch wiederum.«

Jetzt aber schüttelten sie sich zur Trennung fest die Hand, und Dietwald Werneken ging. Sein Schiff, das segelbereit zur Fahrt nach Riga lag, harrte, und er wandte sich nur noch einmal zur Dankwardsgrube, um dort auch von Frau Erdmute Warendorp noch Abschied zu nehmen. Er fand sie allein in ihrer Stube, wo sie seiner mit einer Träne an der Wimper wartete und seine Hand fassend, sprach:

»Ihr müsset wenig gutes Angedenken an unser Haus mit Euch nehmen, daß Ihr nichts, was Euch wert gefallen, drin zurücklaßt, sonst würdet Ihr wohl nicht so hartnäckigen Sinnes in die bitterliche Fremde hinausziehen. Mir seid Ihr in kurzen Tagen gleich einem Bruder lieb und vertraut worden, daß es meinem Herzen weh ist, Euch so allein in das kalte Land und seine vielfältige Fährnis davongehen zu lassen.« Schweigsam hielt er einige Augenblicke die Hand der anmutigen jungen Frau, dann versetzte er, mühsam lächelnd: »Hab' es, als ich hierherkam, nicht gewußt, daß es doch besser für mich sei, allein zu sein, ob auch in fremdem und kaltem Land. Hättet Ihr mich minder hold und freundlich in Eurem Hause aufgenommen, liebste Frau, da segelte das Schiff heute vielleicht ohne mich von dannen. Seid dem Gott der Liebe befohlen, der Euch allzeit in Eures Glückes Frieden und Schönheit erhalte! Und wenn Euer Gatte mir einmal ein Schreiben bis in meine Einsamkeit hinübersendet, wie er es zugesagt, da gedenket meiner mit einem Gruße dabei.«

Die Stimme drohte ihm zu versagen, er bückte hastig seine Lippen auf die von ihm gehaltene Hand, die zugleich mit seinem Kuß eine Träne berührte, und ging rasch durch die Tür auf den Hausflur hinunter, wo Jordan Warendorp seiner harrte, um ihn an den Travehafen zu geleiten.


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