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Die Musik kann plötzlich schweigen und das heisere Geschrei der Saiten verstummen ... und einer bleibt mitten im Zimmer stehn, Schweiß auf der Stirn. In einem staubigen, wirbelnden Festsaal taumeln alle stumm an die Wände; von draußen hat sich aus dem Schweigen des Dunkels die Gespensterfurcht durch die offenen Fenster geschlichen. Man kann mitten im Zimmer allein stehen bleiben, sinnlos und schwindelig vor Tanz und Freude, während ein Krampf alle Herzen umklammert. Da ist aber vielleicht einer, der die Maske des Todes abreißt und die Hand emporwirft: Spiel! Mann! Feil' auf deiner Fiedel; ich will vergessen und tanzen in schwindelnden Kreisen mit ihr, meiner Braut!
Auf einem Bauernhof lebte zwanzig Jahre lang ein altes Weib, und in dieser ganzen Zeit veränderte sie sich nicht. Sie war so etwas wie ein Stück Hausrat auf dem Gut, man sagte ›Ihr‹ zu ihr und ging vorsichtig mit ihr um; ihr Verstand hatte gelitten. Wenn jemand wunderlich wird, sagen die Bauern: der oder die hat zu viel gesehen; auch von der alten Kirsten wurde es behauptet.
Es war eine mondhelle Nacht zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche; 's ist lang seit her. Die Finsternis war dicht und vollständig, sie füllte die Luft über den Wegen und die leeren Fernen. In weiten Zwischenräumen blinkten einzelne rote, strahlenlose Lichter – der Schein kam von dem einen oder andern Talglicht, aus einer oder der andern Stube mit niedriger Decke. Durch die Finsternis schritt ein Mann, drei dicht beieinander liegenden, ruhig glimmenden Lichtern zu; er selbst glich einem wandernden Funken. Er trug eine Stalllaterne in der Hand, um den Pfad über das Feld zu finden.
Die Laterne leuchtete ein paar Ellen weit, und abwechselnd wanderte im Lichtschein der untere Teil zweier Beine und warf schräge Schatten hinter sich; der übrige Mann war im weichen Stoff der Dunkelheit verborgen. Wenn die Laterne sich ein wenig drehte, bewegten sich auch die drei Lichtkegel, die aus ihren Scheiben strömten; und wie der Mann weiter schritt, wurde bald ein Stück der Rasenkante des Pfades sichtbar und glitt aus dem Dunkel heraus, bald glitt es wieder ins Dunkel zurück. Einmal fiel das Licht auf eine Egge; sie war wie ein Dachfirst auf dem Brachfeld aufgestellt und diente als Grenzscheide. Um die Wurzel jedes Zahnes saß ein Büschel weißer Grassehnen. Der Mann ging durch die Äcker hin; es war, als ob sich ein runder Lichtflecken unsicher über die Erdfläche dahinbewegte.
Als der Wanderer die Anhöhe hinter sich hatte, verschwanden die drei Leitsterne; der Pfad bog ab und ging in einem Bogen weiter. Das Licht der Laterne fiel auf einen Gartenzaun – glitt über rotbraune, dicke Jauche, flackerte dann an einem Wirtschaftsgebäude hinauf, das aus Wackensteinen bestand, mit weißen Kalkadern zwischen den Steinen. Der Mann bog um die Ecke; da strömte das Licht durch die Fensterscheiben, drei Hohlwegen gleich, deren Wände die tiefe, massige Finsternis bildet. Weithin war der knollige Boden des Feldes zu erkennen.
Hejdidula! – Geigenspiel und Stiefelgepolter klangen da drinnen. Der Ankömmling ging über das Steinpflaster; noch ehe er bei der Tür angelangt war, wurde diese aufgerissen und fröhlich grüßten ihn mehrere Stimmen.
»Da hammar den Schmiedg'sell'n! Geh, kumm einer!«
Beim Thöger war Tanz. Die jungen Leute zahlten, der Thöger hatte nur den Saal hergegeben. Man tanzte und unterhielt sich während der langen Abende, jetzt, wo man die Ernte und die Herbstarbeit von der Hand hatte. Einige der Mädchen trugen neumodische Kattunkleider. An der Tür stand das Stinele vom Armenhaus; am Arm hatte sie einen Henkelkorb, und der war voll Weizenkuchen mit eingebackenen Korinthen. Ab und zu stellte sie den Korb hin und trank aus einer Nösselflasche. Sie war bereits in aller Stille betrunken.
Die Männer hatten zu Kaffee zusammengeschossen, Thögers Kirsten trug ihn auf. Man verschnaufte sich und genoß die Erfrischungen. Kirsten sang so gut; die Mädchen baten sie inständig um ein Lied. Auch die Männer forderten sie auf; in ihrer Verlegenheit schob sie sich unruhig auf ihrer Bank hin und her.
»No, so sing doch, Kirstenchen!« sagte freundlich Anders, der Schmied. Die Mädchen drängten in einen Haufen zusammen und schauten kichernd umher.
Kirsten senkte den Kopf.
Es wurde ganz still; in der erwartungsvollen Pause verschwanden stückweise die Weizenkuchen.
Da erhob Kirsten den Kopf; rasch glitten ihre Augen über Anders hin, dann legte sie die Hände in den Schoß.
Sie sah gerade vor sich hin und sang langsam:
Die Stern' am Himmel stehen
So freundlich Paar um Paar,
So solltest du auch mit mir gehn,
Denselben Weg solltest folgen,
Doch du willst mich nicht sehn.
Du hast mir versprochen, weißt du's noch,
Als am Strand standen wir:
Du wolltest mich lieben, sagtest du.
Nur dir zur Lust nahmst meine Herzensruh,
Das quält mich immerzu.
Jetzt bin ich wie das wilde Schaf am Feld,
Das ganz alleine geht.
Der Vater und die Mutter sind fort,
Auf der Erden ist keiner, hier wie dort,
Der mir gäbe ein tröstlich Wort.
Nach dem Lied entstand ein langes, verlegenes Schweigen. Die Lichter zitterten in den Wandleuchtern und erfüllten den kahlen Raum mit unruhigem Halblicht. Stinele stand da, hielt unter der Schürze die Hände hoch und weinte einige Fuseltränen.
Kirsten sang noch ein Lied, und dann spielte Jakob, der Krämer, wieder zum Hopser auf.
Anders tanzte fast die ganze Zeit mit Kirsten; in den Pausen hielten ihm die andern Männer das vor. Er lächelte ruhig. Sah er zufällig auf, so begegneten ihm am andern Ende der Stube Kirstens gute Augen.
Jeder wußte, daß die beiden versprochen waren. Thöger war zwar Hofbauer, doch er lebte mit den vielen Kindern in dürftigen Verhältnissen. Anders, der Schmied, trank weder, noch tat er jemand ein Unrecht; sein Handwerk gehörte zur rechtsgiltigen Bauernarbeit. Es war ganz in der Ordnung, daß er die hübsche Kirsten haben sollte. Er konnte es nie lange aushalten, ohne sie anzusehn.
Man tanzte; es waren da noch andere, zwei und zwei, die einander nahe sein wollten. Freude leuchtete aus ihnen. Mathis, der eine Zeit in der Stadt gelebt hatte – er handelte mit Lämmern – tanzte links herum und beschloß die wiederkehrende Melodie jedesmal mit einem kräftigen Aufschlagen seiner Absatzeisen. Einige ältere Leute saßen auf den Bänken und sahen zu. Es ging auf Mitternacht; alle hatten heiße Köpfe, die breiten Westenrücken dampften wie Wiesen. Der Tanz wurde je länger, desto lustiger.
Kirsten kam herein und besprengte den Fußboden mit Wasser, ein muffiger Katzengeruch stieg aus dem feuchten Staube auf.
Puh! wie warm es war – Mathis machte die Fenster auf. – »Spiel' die ›rote Mütze‹« rief er heiser dem Spielmann zu. Das war ein Tourentanz, an dem alle teilnahmen. Dann tanzte man das ›Viereck‹, auch ein Tanz mit Figuren, aber in schnellerem, atemloserem Rhythmus. Die Tänzer zerfielen in zwei Abteilungen und wirbelten mit betäubten Augen in die Runde – Hände ließen los und griffen zu, Röcke standen wie Segel in die Luft ...
Da hörte Jakob, der Krämer, plötzlich auf zu spielen, und als man zu ihm hinaufschaute, saß er da mit der Violine unterm Kinn und starrte mit stierem Blick auf die Fenster. Und allen griff das Entsetzen an die Gurgel, und sie flüchteten gegen die Wand, an das Ende des Saales.
Nur Mathis blieb – wie im Sprunge erstarrt – allein stehn.
»In Jesu Nam',« klang laut und zitternd Stineles Stimme durch den Raum.
Die Mädchen hatten sich in einem Winkel zusammengedrängt. Dann ging Anders, der Schmied, hin und machte die Fenster, eins nach dem andern, zu; er blickte dabei fest in das sammtschwarze, stille Dunkel hinaus. Als er die letzte Haspe eingeklemmt hatte, wandte er sich um.
»'S war ja nix,« sagte er, »spiel' weiter, Krämer-Jakob. Vor was hast di denn gfürchtet? Kumm Kirsten!« – Anders breitete die Arme aus und Kirsten flog hinein. Jakob spielte auf und klopfte dazu den Takt mit der Stiefelspitze.
Alle sahen sich untereinander wie zur Entschuldigung an und schöpften tief Atem. Und dann drehte man sich noch leichter und froher im Tanze als vorher.
Lachen löste sich und erschallte frei. Man tanzte fort, bis die Fensterscheiben grau wurden. Dann zerstreuten sich die Gäste und gingen zu zwei über Steige und Feldwege. Die Mädchen mußten heim zum Melken.
Im Frühjahr baute sich Anders Haus und Schmiede, und im Monat Juni wurden er und Kirsti getraut. Es war ein Tag mit grüner Erde und wolkenlosem Sommerhimmel, als der Zug der Hochzeitswagen über die helle Landstraße heranrollte. Die Pferde griffen feurig aus, der Staub flog auf und blieb über dem Grabenrande stehn. Jakob, der Krämer, saß neben dem Kutscher im vordersten Wagen und spielte einen Marsch auf zur Fahrt: er hatte die Klarinette weit in den Mund gesteckt und fingerte eifrig auf den Löchern herum. Dieser Brautmarsch wurde immer gespielt, alte Geschichten von Fest und Schmaus erwachten mit seinen Klängen.
Dädädä, dädädä, dädädä ... sagten die Holztöne.
Musik war in dieser armen Gegend was Seltnes. Die Sonne schien weit hin über das Feld, aus den Gattertüren entfernter Bauernhöfe traten die Leute heraus um zuzuhören.
Die Wagen rollten; einer nach dem andern kamen sie über die Anhöhe, es waren ihrer viele. Sie hielten vor der mit Kalk geweißten Kirche. Ein weißer Schleier wurde vom leisen Sommerwind in die Höh gehoben. Kleine Kinder krabbelten auf der breiten, steinernen Kirchhofmauer.
Und dann rollten die Wagen wieder hintereinander auf der Straße zurück. Auf dem schwarzen Fries mit den langen, blanken Wollhaaren glänzte die Sonne; Jakob, der Krämer lehnte sich im Wagenstuhl zurück und blies die Backen über dem Mundstück auf. Ein Fest zog übers Land, und das genügsame Land lachte vor Wonne.
Stinele stand am Grabenrand. Ihre kleinen, roten Augen funkelten, und als der letzte Wagen vorüber war, zog sie einen alten Pantoffel unter ihrem Rock hervor und warf ihn dem Zuge nach, damit die jungen Leute Glück hätten.
In den ersten Jahren hatten Anders und Kirsten bitter um ihr Auskommen zu kämpfen; sie blieben alles auf das Haus schuldig.
Anders hämmerte und nietete von Morgen bis Abend, machte Nägel für die hölzernen Bauernschuhe und flickte Stubenuhren. Daneben bestellte er ein Stück Land.
Oft kamen die Bauern mit einem gebrochnen Werkzeug und guten Reden. Anders tat ihnen manchen Gefallen und sah ihnen lange nach.
Anders und Kirsten bekamen drei Kinder, zwei Mädchen und einen Jungen; solange die Kinder klein waren, konnte Kirsten nicht viel Hand anlegen. Dennoch waren nach Verlauf von zehn Jahren die Schulden bezahlt, und Anders konnte allmählich Schaf und Kuh kaufen. Der große, gebückte Mann war mager wie ein Skelett, er sprach nur wenig.
Dann kamen ruhige Zeiten für die beiden; Kirsten wurde rundlich; sie war noch weiß und rot wie ein junges Mädchen. Die Kinder wurden eingesegnet, zwei gingen zu fremden Leuten in Dienst.
Als Sörine, die ältere Tochter, etwa zwanzig Jahre alt war, wurde Anders einmal beim Aufladen von Heidekraut von einer Kreuzotter gebissen. Der Daumen wurde nie mehr recht heil, und die andern Finger schwollen mit der Zeit auch an. Jahrelang trug er große Lappen und Überzüge um die Finger.
Wenn Anders, der Schmied, vor die Türe trat, so pflegte er wohl manchmal verstohlen zu der kleinen Schmiede hinüberzuschauen, wo die Esse kalt war. Er ging auch weiterhin mit dem Schurzfell. Das hohle Gesicht bekam einen grübelnd mißmutigen Ausdruck. Man sah, wie er still, mit gebücktem Nacken, beim Hause sich zu schaffen machte. Das Vordach über der Haustür war dicht bepackt mit allem möglichen, was da nur unterzubringen war; eine Kalkbürste, die bis zum Ringe abgenutzt war, eine halbe Wollschere, ein alter Spannpflock. Das alles lag dort jahrelang und ging nicht verloren.
Sie lebten nun vom Ertrag ihrer Scholle und schlugen sich durch, aber Anders, der Schmied, wurde immer schwermütiger, weil er nichts mehr ausrichten konnte. Lars war siebzehn Jahre alt und besorgte im Verein mit der Mutter das Ganze.
Wenn Anders, der Schmied, sich grade ein bißchen draußen aufhielt, kam wohl Stinele vorüber und wendete ihr kleines, verzogenes Gesicht nach ihm um. Nach einigen Tagen kam sie dann wieder vorbei. Und ein paar Jahre später sah er sie genau wie das erste Mal.
Stinele wußte nicht, wie alt sie war; sie kannte keine Zeit; es gab keine Zeit für sie. Ungefähr jeden Monat kam sie und erzählte, heute sei ihr Geburtstag. Bei dieser Gelegenheit sammelte sie Zwei-Öre-Stücke zu einem guten Gläschen. Es war kein Kniff; sie glaubte, es sei ein Jahr vergangen.
Ebenso seltsam war es mit Näsel-Peter, dem Vagabunden. Eines Tages erschien er auf der Landstraße, wie ein betrunkenes Huhn, mit einem Schweif von Kindern hinter sich und vergnügt, unsagbar vergnügt. Er trug stets Maurertracht, war säbelbeinig und vierundeinhalb Ellen hoch.
Näsel-Peter kannte weder den Kalender, noch sonst dergleichen. Eine Zeitlang war er verduftet und von allen gänzlich vergessen. Dann hielt er sich in unbekannten Dörfern auf, wo er schräge Schweineställe aufmauerte. Aber eines Tages kam er wie ein Kaiser die Straße entlang und hielt seine Pfeife wie ein Szepter gerade in die Luft; er forderte die ganze Bande heraus und näselte wie ein Tapir. Plötzlich verließ ihn die Kriegslaune, und unendlich gut lächelte er in seinen weißschimmeligen Bart.
»Her mit euch, ös klane, lustige Buam,« rief er näselnd; er machte lange, zähe Schritte und hielt den Rücken steif.
Und dann sang er durch seinen Rüssel:
»Ach, warum wolltest du mein junges Herze,
Ach, warum tatest du mir dieses Leid.«
He, he, he lachte er selig vor sich hin und taumelte weiter.
An einem regnerischen Morgen fand man Näsel-Peter in einem Graben liegen und schlafen. Dann war er weg und vergessen, und in einer Dämmerstunde kam er auf einmal wieder im Triumph die Straße entlang, hielt die Pfeife grade vor sich in die Höh und trug die Branntweinflasche im Sacke. Und während die Erde rollte, blieb er unverändert und unberührt vom Wechsel; er stand außerhalb der Zeit.
Sommer und Winter wechselten miteinander, und nichts war da, sie auszufüllen; Anders, der Schmied, lag im zweiten Jahr drinnen im breiten Alkovenbett, und Kirsten war gleich still geschäftig um ihn her.
Er konnte durch die kleinen Scheiben der Fenster eine Bucht von Niels Jepsens Äckern erblicken, und er sah eine Ecke des Gehöftes; das war alles, was seine Augen erreichen konnten. Der Schnee schmolz im Frühling; überaus lange brauchte er dazu. Aber auf einmal war auch das lange her, dann wurde es Herbst, und das Feld lag nackt. In der Ecke beim Bett stand die Stockuhr, die Anders selbst angefertigt hatte, sowohl Uhrwerk als auch Zeiger. Auf die Scheibe hatte er aufgeblühte Rosen gemalt und Stiele, gerade wie bei einer richtigen Uhr zum Verkaufen. Der Perpendikel schwang hin und her und tickte regelmäßig. Anders, der Schmied, hörte in den schlaflosen Nächten darauf, aber die Zeit wollte kein Ende nehmen. Man hatte den Doktor gerufen, der sagte, daß in den Fingern Tuberkeln säßen. Anders hatte sie auch in der Lunge. Kirsten lernte das Wort; es war von einer kalten Mystik für sie. Anders, der Schmied, lag, den braungelben Kopf schräg auf dem Kissen; bisweilen zupfte er mit den beiden gesunden Fingern an der Troddel des Bettbandes. Von der Decke über dem Bett der Bauern hängt eine Leine herab, an der sich der Liegende festhält, sobald er sich aufrichten will. (Anmerk. des Übersetzers.) Die Troddel war aus rotem und blauem Garn. Anders kannte sie schon seit undenklichen Zeiten.
Ein Jahr kam, da sah er Näsel-Peter draußen auf dem Feld vorbeischwanken, die Pfeife hielt er triumphierend in die Höh.
»Der lebt a no?« flüsterte Anders, der Schmied, verwundert.
»No freili, Andersle. No freili lebt er no. No ja, freili.« –
Kirsten saß am Bett und strickte Strümpfe. Der Knäuel lag in einem kleinen Strohkorb, den Anders in seinen jungen Tagen geflochten hatte. Der Knäuel rollte um sich selbst und wurde kleiner und kleiner; das Garn kroch zwischen Kirstens rastlosen Fingern durch, glitt über die Stricknadeln und wurde zu Masche an Masche. Kirsten mußte bereits Brillen tragen; sie hatte zuviel in der dunkeln Küche gestanden, wo der fette, gelbe Rauch des Heidetorfes qualmte und in den Augen biß wie Salz. Sie weinte auch jeden Tag. Nie wurde in der kleinen Stube ein Fenster aufgemacht; die Luft war satt von Dunst.
Die Katze schlief einige Jahre unter dem Stubenofen; dann bekam sie ein Junges, auf das sich ihre Lebensanschauung vererbte.
Eines Tages lag Anders, der Schmied, wie gewöhnlich, den Kopf aus Haut und Knochen, schräg auf dem Kissen. Da zogen sie ihm das weiße Sterbehemd an und legten die Reste seines Haares vorn über die Ohren.
Er wurde auf dem Kirchhof begraben. Der Schullehrer hatte farbige und gedruckte Gedenkblätter mit leeren Stellen für Namen und Datum. Er kalligraphierte Anders Petersens Namen auf ein solches Blatt, es wurde dann hinter Glas und Rahmen daheim bei Kirsten aufgehängt. Zwischen zwei Säulen, von reichem Zierat umwunden stand zu lesen:
Wenn dich die Mutter sollt' fragen:
Vater, wo ist unser Schatz?
Wenn sie sollt' weinen und klagen,
Im Himmel, sag', dort ist mein Platz.
Und wenn der Vater tät' weinen,
Trocken die Tränen ihm ab,
Und – wenn die Sonn' tät scheinen –
Tränen pflanz' auf mein Grab.
Jedes Jahr brachte der alte Nürnberger Hausierer dem Schullehrer einen neuen Vorrat; er kam um die Zeit, wo die Frösche quaken und der Hafer gesäet wird. Kein Jahr hatte man ihn vergeblich erwartet seit Christian des Achten Thronbesteigung.
Im Hause des Schmiedes war es in den letzten Jahren sehr still zugegangen, jetzt lag gleichsam eine noch größere Stille darüber. Kirsten weinte, wenn sie über den Herd gebeugt für sich und Lars das Essen kochte; der scharfe Rauch half dazu.
Im Frühjahr verließ Sörine ihren Dienst und kam wieder heim, sie war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt. Man hatte das große, milde Mädchen gern, aber nun konnte sie die Arbeit nicht länger ertragen. Sie war schmalwangig und hustete, und die Augen leuchteten klarer als gut war.
Kirsten blieb das alte entschlossene Weib von ehedem, sie packte Sörine ins Alkovenbett, dessen Stroh noch die Abdrücke des Vaters zeigte.
Da lag die lange, bleiche Sörine und starb im Lauf eines Jahres.
Im Liegen sah sie die Ecke von Niels Jepsens Gehöft, sie weinte ab und zu, wenn die Mutter um zu weinen in die Küche ging. Langsam und sicher schwand sie hin. Am meisten dachte sie daran, daß sie zeitlebens keinen Schatz gehabt hatte. Das gescheitelte Haar fiel ihr zu beiden Seiten über die weiße, jungfräuliche Stirn. Sie lag wie ein Bild in dem dunkeln Alkoven. So meinte die Küsterin, die manchmal kam mit zu weinen.
Es waren viele, die Sörine gern hatten; sie war immer ein stilles Mädchen, das einem die schönsten Lieder vorsang, wenn man es zwanzig Minuten lang darum quälte. Herrgott, warum mußte sie auch sterben. Wenn die Gäste fort waren, weinte Sörine manchmal so lange sie konnte.
Einmal kam Stinele zu ihr herein und machte sich angenehm mit einem Korb Preiselbeeren. Sie brachte den Duft der Heide mit sich, den frischen, herben Duft von schwarzen Rauschbeeren und den sauern Ruch des Heidekrautes. Als Sörine mit ihrem kranken Lächeln versuchte, von den Beeren zu kosten, hatte eine einen Beigeschmack, einen bestimmten Geschmack, den nur der kennt, der als Kind auf dem Bauch im Heidekraut gelegen und sich mit Beeren vollgegessen hat. Da kommt man auf eine, die man wieder ausspuckt; eine jener flachen, grünen Wanzen, die so sehr einem Preiselbeerblatt gleichen, ist darüber hingekrochen, man kann es schmecken.
Als Sörine diesen Geschmack in den Mund bekam, schluckte sie die Beere und drehte sich gegen die Wand. Ihr Rücken bebte in kleinen, harten Zuckungen.
Stinele saß da und schwatzte; sie hatte Sörine ja seit der Geburt gekannt. Ja freilich. Als Sörine neun oder zehn Jahre alt war und sich mit ihren Spielgefährten auf der Heide herumtrieb, konnte man Stinele immer irgendwo weit draußen auf der Heide treffen, wo sie Beeren zum Verkauf sammelte. Damals sah Stinele genau so aus wie jetzt.
Sörine wandte sich an diesem Tag nicht mehr um; die Dämmerung füllte die Stube, der weiße Nachtjackenrücken schimmerte im Alkoven.
Sörine überstand den Winter, aber im Frühjahr grub man sie neben dem Vater ein, und an die Wand kam ein neues Gedenkblatt.
Kirsten wurde alt, aber sie war noch stark. Lars trat irgendwo in Dienst, und in dieser Zeit besorgte Kirsten das Feld allein. Karen Marie diente weiter. Im Lauf der Jahre fing Kirsten an, in einem klagenden und jammernden Ton zu reden, aber deshalb war sie noch nicht gebrochen. Sie wurde im Dorf eine Art Vertrauensperson, half gerne bei Niederkünften und beim Christschlachten. Wenn die Schmiedin Kirsten inmitten zwischen dampfenden Därmen und Speckseiten saß, konnte sie alles vergessen und ganz besonders derb werden. Ihr Rücken war gebeugt, aber ihre Füße standen noch ganz zuverlässig in den Pantoffeln mit den hohen Absätzen.
Stinele hatte unzählige Male Geburtstag gehabt, ohne älter zu werden, als ein neuer Schlag Kirsten traf. Karen Marie, die zweite Tochter, starb. Sie hatte einen Fuhrmann geheiratet und es ging ihr recht gut. Da starb sie beim ersten Kind. Kirsten war bei ihr und drückte ihr die Augen zu. So blieb ihr nur noch Lars. Er war ein ordentlicher Bursch von siebenundzwanzig Jahren und hatte den guten Charakter des Vaters.
Lars besorgte nun die kleine Feldwirtschaft, und da ihm reichlich Zeit übrig blieb, ging er in Taglohn und verdiente gut. Er war überall beliebt wegen seiner Freundlichkeit und guten Laune.
Im Frühjahr stach er Torf für die Bauern; er brachte es jeden Tag auf eine unerhörte Anzahl von Torfziegeln und konnte mit reinem heitern Gemüt dabei noch drei oder vier andere Torfgräber Im Original Wortspiel, da Torfgräber und hölzerner Mensch im Dänischen dasselbe ist. (Anm. des Übers.) bei guter Laune erhalten.
Es machte Kirsten Sorge, daß Lars eine Liebschaft mit einem Nähmädchen hatte, das bald auf einem, bald auf dem andern Hof arbeitete.
Wenn Mette im Dorfe war, konnte sich Stinele täglich betrinken, denn Schmiedin Kirsten belohnte sie dann für gute Nachrichten. Kirsten hoffte, daß Lars keine ernsten Absichten hatte. Die Hofbauerntochter steckte ihr im Blut. Sie sprach jedoch nicht von der Sache. Lars arbeitete auf demselben Hof wie Mette.
Eines Morgens sollte er sie in der Kammer wecken. Lars schlich hinein. Das Mädchen lag im Bett und schlief. Lars lachte verschmitzt in sich hinein und schlich auf den Zehenspitzen zum Bett. Das war aber nicht so leicht, denn seine schweren Holzschuhe knarrten. Er bückte sich und weckte das Mädchen mit einem Kuß. Sie fuhr in die Höh und schaute ihn an.
»Aufstehen sollst,« sagte er leis und weich, und dann schlich er unbeholfen wieder hinaus.
Einmal in der Dämmerung kam er in die Stube. Mette saß allein am Tischende und nähte. Die feinen, kleinen Hände machten einen tiefen Eindruck auf Lars; er streichelte eine.
»Magst mi nit hals'n?« fragte er heimlich.
Mette lachte lärmend auf.
»Na–na–na–na!«
»Gibst mar ka guetwillig's Buss'l?«
»Oh na.« –
»Ja, nachher – derf i mar leicht a guetwillig's nehm'?« fragte er atemlos.
Mette antwortete nicht.
Lars faßte sie unter den Armen und bückte sich.
»No, nachher nimm i mar halt ans.«
Sie wandte das Gesicht ab.
Lars wollte sie ohne ihre Erlaubnis nicht küssen. Schließlich willigte sie doch ein und sträubte sich nicht mehr als nötig. Weiter kam Lars nicht; aber in den Tagen, wo die Nähterin auf dem Hofe war, strotzte er von guter Laune.
Einige Monate später bekam Mette ein Kind; ein andrer war Vater. Da war Lars kuriert. Ob er sich die Sache zu Herzen genommen, darüber erfuhr niemand etwas. Lars war jedenfalls wieder der alte.
Die Zeit verfloß so leis, nichts ereignete sich, sie damit zu messen.
Im Frühjahr gab die Zahl der gestochenen Torfstücke Lars einigen Zeitbegriff. Tag und Nacht wechselten, auf einmal war es Herbst, ehe man sich dessen versah; das nächste Mal, wenn man wieder nachsann, war es vielleicht Sommer. Näsel-Peter erschien eines Tages und hatte eine neue Pfeife, deren blanker Deckel in der Sonne funkelte; er hielt sie gegen den Himmel und sang, trunken von Glück und Branntwein.
Einen andern Frühling zeigte sich Näsel-Peter mit einem invaliden Zeigefinger; im Laufe des Winters hatte er zwei Glieder davon verloren. Aber seine Freude war eben so heil wie früher. Ins Dorf trug er nur seine höchste Seligkeit; er verbarg sich an unbekannten Stellen, wenn er nüchtern und elend war.
Es kam ein feuchtes, kaltes Jahr. Lars stand in den Torfgräben und verkühlte sich. Er bekam eine heisere Stimme und trug den Sommer über ein Halstuch; die Heiserkeit verschwand aber nicht. Im Herbst ging er in die Arbeit; er hustete am Morgen, ehe er aufstand. Als ihn Kirsten das erste Mal Blut spucken sah, wurde sie weiß vor Angst. Sie ging und rieb das Blut lange ab, nachdem die Stelle längst wieder rein war.
Die beiden hatten sich bisher nie ein böses Wort gesagt; nun geschah es, daß Streitigkeiten zwischen ihnen entstanden. Kirsten jammerte, verhätschelte den Sohn und überhäufte ihn mit Ermahnungen; er wurde heftig und gab ihr bittre Worte. Er wäre kein Krüppel, den man beständig im Auge behalten müßte. Lars schüttelte seine Mutter ab und ging, den Hals vierfach mit einem Tuch umwunden, auf Arbeit. Sein Aussehen wurde allmählich abweisend und verbissen; selten machte er einen Witz, und geschah es doch, dann tat es immer einem andern weh.
So ging es den ganzen Winter, ohne daß er wollte von Vorsicht reden hören. Kirsten weinte, und ihr Gesicht bekam Furchen; jeden Sonntag ging sie in die Kirche, sie weinte auch dort.
Im Frühling ging Lars wieder in die Torfwiese; er brachte es keinen Tag zur gewohnten Zahl. Manchmal verzog er das Gesicht und stieß den scharfen Spaten tiefer in den Grund.
Gegen den Sommer hin betrank er sich einige Mal und es kam zu Schlägereien mit den schwedischen Knechten aus Höjtorp. Er drohte ihnen mit der Heidesense, und der Dorfschulz mußte geholt werden.
Lars' Wangen wurden scharf und eckig, der blonde Backenbart drängte sich vor. Der Husten schüttelte ihn.
Spät abends an einem Sonntag im Monat August saß er mit der Mutter im Freien am Ende des Hauses. Es war still, ganz still; der Tau fing an, aufs dunkle Gras zu tröpfeln. Man konnte durch die große Stille das Lärmen und Jauchzen der Dorfkinder hören, die um die leeren Fässer des Kaufmanns ›Fangen‹ spielten. Weit draußen am tiefschwarzen Rand der Heide stand ein letzter, kümmerlicher Widerschein der gesunkenen Sonne. Ein Vogel entfloh ins Dunkel.
Lars saß auf dem Schleifbock und rauchte Tabak. Weder er noch die Mutter sagten ein Wort; die Mißstimmung war nicht vergessen, auch wenn der Abendfriede über ihnen war.
Lars stellte die Pfeife in den Wassertrog des Schleifbocks und stand auf.
»Ja, nachher gehn mar halt ins Haus, Mutter!« sagte er, und seine Stimme war mild wie in alten Tagen – noch milder und weicher.
»War's dar recht?« kam es leise über Kirstens Lippen. Sie brach in Tränen aus.
Sie gingen zusammen hinein; in der Tür blieb Lars stehn und schaute in die Höh; längs dem Vordach lagen noch alle die Dinge, die Anders, der Schmied dort hinaufgesteckt hatte, damit sie nicht wegkämen.
Mutter und Sohn hatten sich schweigend geeinigt; er legte sich ins Alkovenbett, und sie ging in dem andern Zimmer zur Ruh.
Am nächsten Morgen blieb Lars im Bette liegen. Er blieb dort anderthalb Jahr, dann starb er.
Es war eine bitter lange Zeit, die er dort lag und von derselben Stelle wie die zwei andern dasselbe sah und anstarrte.
Im Sommer wurde Niels Jepsens Gehöft weiß getüncht; die zwei runden Pappeln wurden so sichtbar. Eines Tages hatten die Pappeln keine Blätter.
Während der Zeit, wo das Vieh frei auf dem Feld weidete, kam ab und zu eines der Tiere über das kleine Ackerstück. Lars verfolgte von seinem Platze aus das Kommen des Frühlings.
Die Kinder kamen am Acker vorbei, um Schachtelhalme zu pflücken. Er sah, wie ein Kind einen alten, ausgetretenen Schuh aushob und hineinguckte. Ein andermal kamen drei, vier kleine Mädchen gewandert in einer sonderbaren, nachtwandlerischen Haltung; sie gingen auf die Sonne zu, mit einer roten Flaschenscherbe vor dem Auge. Es war im April.
Kirstens Rücken sank ein; sie weinte jetzt eigentlich immer. Ihre Augen wurden schwach. Lars sprach mit ihr wie mit einem kleinen Mädchen. Lars war geduldig, er lag da und verbrachte eine Zeit, länger als der Rest seines Lebens, wäre er auch so alt geworden wie andere. Die großen Arbeiterhände wurden so hilflos weiß und fein, wie die eines Nähmädchens. Er tastete nach der Quaste des Bettbandes, die roten und blauen Fäden waren sorgfältig geordnet.
Tik–tak, sagte die Uhr im Winkel. Die Zeiger bewegten sich nicht, das Uhrwerk war entzwei; aber der Perpendikel ging noch. Lars wollte, daß er weiterging. »'s is so viel heimlich,« sagte er. Die Zeit teilte sich in kleine Stücke. Bei jedem zweiten oder dritten Tik konnte sich Lars ein feuchtes gut geschnittenes Torfstück auf den Grabenrand gelegt denken.
Mitunter sahen die Kinder zu dem Kranken hinein. Lars, der nie an einem Hund hatte vorbeigehen, können, ohne sich des Tieres wegen auf den Schenkel zu klopfen, hatte die Kinder sehr gern. Immer, wenn sie sich einstellten, kam Kirsten aus der dunklen, rauchigen Küche und trocknete sich die Augen. Und wenn die Kleinen in die dunstige Stube kamen, sahen sie dasselbe bleiche, geduldige Gesicht im Alkoven. Es wurde Sommer, es wurde Winter; für die Kinder stand die Zeit still, in all dieser Ewigkeit fanden sie Lars unverändert, so oft sie kamen.
Aber die Zeit verfließt, plötzlich, wenn man zusehn will, sind lange, lange Jahre dahin.
Zuletzt litt Lars viel. Der Doktor gab ihm Morphium, aber Lars war überaus vorsichtig damit. Er wollte leiden, was er leiden sollte. So sagte er. Die letzten Tage konnte er das Liegen nimmer ertragen. Die Mutter stand und hielt ihn hoch, bis sie nimmer konnte und vor Elend weinte.
Eines Tages stand Kirsten mit einem Licht bei Lars und hielt ihm die Flamme vor den Mund. Aber die Flamme rührte sich nicht, sie stand gerade in die Höh und beleuchtete den scharfen Knorpel der Nasenspitze. Lars war in seines Vaters Bett gestorben, dort, wo er einstmals geboren worden – – in Kirstens Ehebett.
Sie begruben ihn auf dem Kirchhof, die vier Gräber lagen nebeneinander.
Stinele wollte einmal nach Larsens Grab sehn. Die Kinder liefen zwischen den Gräbern umher und spielten im hohen Gras; sie jubelten bei Stineles Anblick, eilten herzu und plapperten eine Zeitlang.
»Du, hast du ka Grab, Stinele?« fragte keck eines der Kinder.
»Ja, das hätt' i scho.« Sie führte die Kinder in eine Ecke des Kirchhofs, dort, wo eine Menge überwachsener Hügelchen durcheinander lagen. Sie hatten keinen andern Schmuck als das lange, bleiche Gras, das alten Haaren gleicht. Ein Hügelchen war wie das andre.
Aber Stinele konnte ein bestimmtes herausfinden. Da läge ihre Mutter, sagte sie. Sie legte sich hin und rupfte etwas Gras aus; ihre roten Schnapsaugen waren betrübt.
»Wann is sie denn g'storb'n?« fragte eins der sorglosen Kinder.
»J–ja, das war – ja das war vor viele hundert Jahr – ganz gewiß.«
Stinele konnte sich an nichts erinnern. Sie war der einzige Rest eines unbekannten, verwehten Lebens, die Zahl einer Rechnung, deren Endergebnis gleich Null ist. Stinele konnte bloß betrübt sein.
Schmiedin Kirsten verkaufte ein halbes Jahr später ihr Haus. Für den Erlös kaufte sie sich auf dem Bauernhof ein, wo sie geboren war. Der Hof gehörte jetzt ihrem Neffen.
So kam es, daß Kirsten nach dreiunddreißig Jahren zu derselben Stelle zurückkehrte, von der sie ausgegangen war. Sie kehrte zurück, krumm von Mühsal, stumm und ausgezehrt von Sorgen – wie jemand, der dreiunddreißig Jahre lang gereist ist, unterwegs Schlimmes erlitten hat und allein heimkommt, ohne irgend etwas dafür empfangen zu haben.
Eines Abends war wieder Tanz auf dem Hof, die alte Kirsten saß da und sah zu. Sie dachte an die Zeit, wo – – – sie sah in einem Bild die vielen Jahre. Ja, sie war allein an einem fremden Ort der Welt gewesen und gebrochen worden von der Erfahrung, daß all ihr Leben fruchtlos geblieben und zu nichts geworden.
Seit diesem Tag war sie wunderlich. Sie ›sah zu viel‹ diesen Tag. Die letzten zwanzig Jahre verbrachte sie in der endlosen Finsternis des Wahnsinns.