Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

Ich hatte Ethel Murray schlafen geschickt. Sie war doch sehr erschöpft gewesen, und sicherlich hatte sie zumindest einen Streifschuß am linken Bein, wenn sie es auch abgeleugnet hatte. Sie konnte den Fuß kaum mehr heben.

Bell Dingo lag auf dem Sofa und schnarchte. Er hatte seinen wundervollen Anzug ausgezogen und lag in seidener Unterwäsche da, die einst einem vornehmen Engländer gehört hatte, dem Erbauer des Paradieses der Enterbten.

Ich hatte die Stahlblende vor das Fenster geschoben, saß im Schreibsessel und studierte nochmals die Zeitungen. Ethel Murray fand ich nur flüchtig erwähnt. Der Farmer Sebastian Ruxa, aus Spanien ausgewiesen und als politischer Flüchtling auch des Grafentitels entkleidet, hatte nur diese beiden Kinder gehabt. Seine Gattin, Engländerin, starb vor ihm. Er selbst erschoß sich aus Verzweiflung über den Verlust seiner Herden. Er mußte also ein schwacher Tor gewesen sein. Wer erschießt sich, weil er arm geworden?! Welcher Vater läßt zwei halberwachsene Töchter fast mittellos zurück?! – Wie Paloma dann Brigantin geworden, war nicht ganz geklärt. Wie Ethel diesen Kapitän Murray heiraten konnte, der doppelt so alt wie sie, – eine zweite ungelöste Frage.

»La Kruxa und ihre Bande hat nie einen Menschen getötet«, fand ich in einem der Artikel hervorgehoben. »Sie arbeiteten mit den modernsten Mitteln, sie besaßen Automobile, geheime Funkstationen, sogar zwei Flugzeuge. In allen Städten hatte die Bande Helfershelfer. Wo irgend nur neue Goldfunde die Schwärme der Abenteurer herbeilockten: La Kruxa war sofort zur Stelle. Nie plünderte sie einzelne Goldsucher aus. Ihre Anschläge galten stets den großen Transporten der Weltfirmen, die die australische Goldausfuhr in der Hand haben.«

An anderer Stelle wieder:

»La Kruxas Verehrer soll ein englischer Lord sein. Erwiesen ist, daß sie seine Bewerbung ablehnte, daß dieser Unbekannte trotzdem treu zu ihr hielt und daß er eine eigene ›Polizei‹ organisierte, Paloma zu schützen. Dieser geheimnisvolle Fremde soll stets in Verkleidung auftreten. Gesehen hat ihn noch niemand. Aber er existiert«.

Was doch die Tintenfische so alles zusammenschmieren!! Sensationsmache!!

Ich glaubte an diesen »Lord« ebensowenig wie an das sogenannte »Gute« im Menschen. Das »Gute« ist klug verschleierte Selbstsucht. Die Moral ist die Krücke der Schwachen, und die Strafgesetze sind das papierne Sieb, durch das sich die Starken, Gelenkigen hindurchwinden.

Ich sog an meiner Zigarre und blickte Bell Dingos schwarze Fratze an. Sein Mund stand offen.

Und da sein Kopf tief lag, sah ich in der Reihe seiner Backenzähne zwei goldene Kronen.

Ein Australnigger mit Goldkronen?!

Ich schlich zum Sofa.

Es stimmte.

Ich betrachtete Dingos Riesenflossen. Er hatte gepflegte Fingernägel. Auf dem linken kleinen Finger glänzte matt ein silberner Ring mit einem großen grünen Stein.

Silber?!

Nein, das war Platin und der Stein konnte nur ein Smaragd sein. Ich nahm eine Taschenlampe und ließ den Lichtkegel auf den Edelstein fallen. Gerade in Smaragden findet man sehr häufig Trübungen, Blasen und Flecken.

Dieser Stein hatte in der Mitte im Innern eine schwärzliche Trübung in Form … eines Kreuzes.

Seltsam war das. – La Kruxa – Kreuz der Steppe – und hier ein Australnigger mit einem kostbaren Ring mit einem Kreuz und mit Goldkronen und so tadellosen Nägeln?! Hatte Bell Dingo mich belogen?! War er alles andere nur nicht Kajütwärter a. D.?! Flüchtig kam mir der Gedanke an den allzeit verkleideten »Lord« … Doch nein, dieser Schwarze war echt. Solche Wulstlippen, solche Hände, Handschuhnummer fünfzehn, hat kein Lord. Immerhin, der gute Bell Dingo mit seinem famosen ai ai hatte wohl so manches verschwiegen.

Ich ging hinüber in den Vorraum und prüfte den Verschluß der Falltür. Ich überlegte: Vielleicht für zwölf Stunden würde die Luft hier im Unterbau der Insel für uns drei ausreichen. Dann mußten wir emportauchen. Und dann?!

Dingo hatte gemeint, es sei schon möglich, daß der Blonde vor dem Fenster Colonel Bluß gewesen. Bluß war für Queensland eine Berühmtheit. Er hatte bereits an die zwei Dutzend Buschklepper baumeln lassen. Auch in den Zeitungen hatte ich ihn erwähnt gefunden. Wenn die Polizei wirklich draußen lauerte, konnte das zu peinlichen Verwicklungen führen. Ethel Murray ausliefern?! Niemals! Sie war mein Gast, und es gab immer noch Mittel den Beamten zu entgehen.

Ich kehrte zu Bell Dingo zurück. Aber jetzt war er wach, saß aufrecht und hatte eine dick geschwollene Backe. Aus der Aschenschale fehlten die beiden Stummel.

»Na, wie heißt denn dein Zahnarzt, Bell Dingo?« – ich pflanzte mich vor ihm auf.

»Ai ai, Doktor Bothwell, Sydney, Edward Kai 18 …« Er grinste zufrieden. »Sehr gute Arzt, das …«

»Und dein Juwelier?!«

Er blickte auf seinen Ring. »Mussu, das sein Geschenk …«

»Was du nicht sagst! – Glas?«

»Smaragd, Mussu …« Er streichelte den Stein zärtlich. Seine schwarzen Augen nahmen einen auffallend träumerischen Ausdruck an.

»Geschenk, – von wem …?«

»Ai ai … vergessen, Mussu …?!« Er zuckte die breiten Schultern. »Schlecht Gedächtnis für manches, Mussu …«

»Sehr bedauerlich, lieber Dingo. Wenn nun zum Beispiel jemand behauptete, der Ring sei gestohlen.«

Er schaute mich klar und offen an. »Ai ai, – wer das behaupten, Lügner. Ich kein Dieb.« Er hob die Faust. Der Ärmel des Seidenhemdes fiel zurück. Ich sah den Arm eine Athleten – nichts als Muskeln. »Wer das behaupten, muß dicke Hirnschale haben, ai ai … Meine Hand wie Schmiedehammer, Mussu … In Matrosenkneipe in Melbourne ich mußten tragen immer gepolsterte Handschuhe als Rausschmeißer … Rippen von Gästen zu schwach.«

»Das glaube ich«, und ich konnte mir leicht vorstellen, wie Dingo dort gewütet haben mußte.

Er wechselte das Thema. »Mussu, du gar nicht schlafen?«

»Nein, mein Sohn … Schlafen ist Angewohnheit. – Hast du Hunger?«

»Aa ai, Essen sein Angewohnheit, Mussu. Erst reden über Colonel Bluß und Polizei. – Was soll werden? Polizei warten draußen.«

Der intelligente Schimmer in seinen Augen setzte mich abermals in Erstaunen.

»… Polizei wollen Frau Murray fangen, Mussu. Du fangen lassen?«

»Nein.«

Da streckte er mir impulsiv die Hand hin. »Mussu, du anständiger Mussu sein …«

Sein Händedruck hätte getrost weniger zärtlich sein können. Ich lege keinen Wert auf halb zerquetschte Finger.

Er begann sich anzukleiden. »Ich kochen kann«, meinte er mit der gewinnenden Selbstverständlichkeit seiner bescheidenen Natur. »Was ich kochen?«

»Mir gleichgültig.«

Er verduftete nach hinten zu, wo sich die Kammern befanden. Ob er mit den elektrischen Kochplatten fertig wurde, war seine Sache.

Ein Blick auf die Uhr: Fünf Uhr morgens, – ich gähnte matt. – Schlafen?! Würde der nahende Tag nicht viel größere Anforderungen an meine Kräfte stellen? –

Ich schlief in der Sofa-Ecke. Ich schlief so, wie Coy mich das Schlafen gelehrt hat. Man lernt das nur in den Pampas bei den Araukanern, glaube ich: schlafen und doch wach sein.

Eine Tür öffnete sich. Ich war munter.

»Habe ich gestört?« fragte Ethel Murray, die frisch und rosig vor mir stand. Sie war verteufelt schön … Frauen zur Morgenstunde sind wie süße Babys, die blinzelnd und krähend ihr Erwachen ankünden.

Sie fragte etwas unsicher, und ihr Blick wanderte sofort zum abgeblendeten Fenster.

»Oh, das grüne Wasser wirkte so hübsch … Weshalb schlossen Sie die Blende, Herr Abelsen? Ist etwas geschehen?«

Ich verneigte mich. »Scheint so. Zunächst ist das eine geschehen: Sie kennen meinen Namen.«

»Wenn Sie in Ihrem Schlafzimmer Teile eines Manuskriptes liegen lassen, das nur Ihr Erleben behandeln kann …«

»Ach so – indiskret!«

»Ich wollte wissen, wo ich bin und mit wem ich es zu tun habe: Selbsterhaltungstrieb, Herr Abelsen.«

»Ganz recht. Vor dem eigenen Ich fallen die Rücksichten. – Nehmen Sie Platz … Bell Dingo wird das Frühstück sofort servieren, Gnädigste.«

Sie lachte. »Als Kavalier mag ich Sie nicht. Als Mann sind Sie mir lieber. – Ist nichts passiert!«

»Nichts … Das Dynamit scheint Mr. Bluß etwas feucht geworden zu sein. Wie geht es Ihrem Bein, – verzeihen Sie?«

Sie trug jetzt Strümpfe, Herrensocken, viel zu groß für ihre Füßchen.

»Es geht und ich gehe«, erklärte sie leichthin.

Wir horchten gleichzeitig auf … Irgendwo ein Knall, – ein wildes Brüllen, das selbst durch die Eisentüren drang. Ich stürzte in die Küche … Hinter mir drein kam Ethel …

In der Küche lag Bell Dingo auf dem Rücken, und seines Anzugs weiße Pracht und sein Gesicht waren über und über mit einer grünlichen schaumigen Masse bedeckt. Neben ihm aber lagen ein Büchsenöffner und eine Vierpfundbüchse Apfelmus – gegorenes Apfelmus, längst verdorben, und natürlich war die Büchse explodiert, als Bell Dingo kaum erst ein Löchlein in den Deckel gebohrt.

Unser unendliches Gelächter veranlaßte den armen Kerl, sich langsam aufzurichten. Seine Blicke hätten einen Tiger rühren können. Er schämte sich. Er hatte wohl noch nie die Kraft gegorener Konserven kennen gelernt.

»Ai ai – das großer Schreck«, meinte er tief bekümmert und wischte sich die Augen aus.

In demselben Moment verspürte ich ein geringes Schwanken meines Heims. Die Ebbe war vorüber, und die Flut hatte das Wasser auch hier in der Bucht so weit steigen lassen, daß die Insel jetzt schwamm.

»Wir treiben«, sagte ich zu Ethel. »Wenn Kolonel Bluß uns nicht gerade irgendwo und irgendwie vertäut hat, wird die Strömung uns wieder ins offene Meer führen. Kommen Sie … öffnen wir die Blende, ich …«

Ethel Murrays bitter enttäuschte Miene war so wenig der Sachlage angemessen, daß ich sie erstaunt musterte. »Verstehen Sie doch, Frau Murray: die Flut bedeutet für uns die Freiheit!« wiederholte ich nochmals. »Ich habe darauf gehofft … Ich glaubte kaum, daß Bluß an das Steigen des Wassers gedacht hat.«

Sie nickte schwach. »Nein, wohl nicht, Herr Abelsen …« Und dann lächelte sie erfreut … »Ich bin eine Kapitänsfrau und stelle mich so töricht an …! Gehen wir … öffnen wir die Blende.«

Sie war offen, ich hatte sie soeben zurückgeschoben, und Ethel preßte ihre Wange dicht an das Glas und beobachtete die Seepflanzen draußen. Wir sahen nur noch die höchsten dieser Vertreter der Unterseeflora, aber diese wenigen fahlen dünnen Stengel schwankten lediglich sanft hin und her, ohne vor überzugleiten.

»Wir treiben leider nicht«, erklärte ich achselzuckend. »Bluß hat uns doch vor Anker gelegt.«

Ethel seufzte fast zu nachdrücklich. »Halten Sie das für gewiß, Herr Abelsen?«

Ihre Frage erschien mir überflüssig, und ich war unhöflich genug, nur mit einer schroffen Handbewegung zu antworten. Mir ging jetzt anderes durch den Kopf. Unsere Lage war keineswegs rosig. Im Gegenteil, – Coy Cala, der Unvergeßliche, hätte sicherlich ein übles Gesicht geschnitten und nach seinem Allheilmittel gegriffen. Die Eingeweidewürmer hatten ihm stets böse zugesetzt, und ein Wasserbecher voll Whisky half ihm sogar über die schwierigsten Sorgen hinweg.

Grübelnd schaute ich in das grüne Wasser hinaus. Es hatte zarte, helle Farben. Oben mußte die Sonne scheinen. Oben, wo der Feind lauerte. Was tun?! Ich war mit meiner Weisheit am Rande. Nur eins konnte ich noch versuchen: Die Insel bei diesem höheren Wasserstand noch mehr tauchen zu lassen. Vielleicht, daß dann die höchsten Bimssteinklippen unter Wasser verschwanden und Kolonel Bluß dem unheimlichen Eiland den Rücken kehrte und abzog.

»Wo wollen Sie hin?« rief Ethel mir nach, als ich den Vorraum betrat und die Tür schon halb geschlossen hatte.

»Ein letzter Versuch in Ihrem Interesse«, meinte ich nur.

Ihre Stirn krauste sich.

»Warten Sie doch damit«, sagte sie in einem Tone, der mir an ihr neu war. Sie merkte wohl, daß ich diese ihre Einmischung falsch beurteilen könnte. »Man soll das Letzte erst dann versuchen, wenn die Not aufs höchste gestiegen ist, fügte sie rasch hinzu und lächelte mich verlegen an.

»Noch fünf Stunden, und wir ersticken hier, dann ist nämlich die Luft verbraucht«, entgegnete ich nur und trat an die Schalttafel.

Sie stand neben mir. »Oh, das alles müssen Sie mir erklären, Herr Abelsen …« und sie tippte auf die verschiedenen Hebel.

Ich wollte gerade nicht eben freundlich entgegnen, daß jeder Hebel sein Celluloidtäfelchen mit genauer Bezeichnung seiner Funktion hätte, als ich eine Entdeckung machte, die mich aufs äußerste überraschte.

Die Täfelchen fehlten, sogar die Richtungsanzeiger waren entfernt worden.

Ein mißtrauischer Blick traf die schöne Frau, aber sie hatte nur Interesse für die große Schalttafel.

»Ihre Insel ist ein technisches Wunder«, flüsterte sie begeistert.

»Allerdings«, sagte ich ironisch. »Und es geschehen immer mehr Zeichen und Wunder, Frau Murray …«

Nein, sie hatte die Täfelchen nicht losgeschraubt. Sie nicht. Wer sonst?! Bell Dingo etwa?!

Ich packte den einen Hebel, drückte ihn noch weiter nach links.

»Was bedeutet das, Herr Abelsen?« wollte Ethel wissen.

»Die Tanks füllen sich noch mehr, und die Insel sinkt tiefer …«

Hinter uns eine rauhe, laute Stimme:

»Ai ai, Mussu, – das doch falsche Hebel sein …! Mussu sich irren …«

Ich wandte mich um. Bell Dingo schaute mich auffällig scharf an.

»Du hast recht«, nickte ich und warf den Hebel nach der anderen Seite. »Frau Murray, vielleicht helfen Sie unserem Freunde ein wenig in der Küche. Sein Verbrauch an weißen Anzügen dürfte sonst meine Vorräte übersteigen … Er könnte noch eine gegorene Büchse öffnen.«

Bell Dingo erstrahlte schon wieder in reinstem Weiß.

Die beiden entfernten sich. Ethel sehr zögernd.

Ich blickte lange auf die leeren Stellen, wo sich die Schildchen befunden hatten. Die Schrauben waren sauber in die Löcher eingefügt. – Bell Dingo etwa?! Und weshalb?! Wer war Ethel Murray?!


 << zurück weiter >>