Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1. Kapitel.

In dem gemütlichen Eckzimmer saßen die drei Bewohner der eleganten Etage einträchtiglich wie immer beisammen.

Die Nische des Eckzimmers hatten die beiden Damen in Beschlag genommen. Dort konnte man sie nachmittags, wenn sie daheim waren, entweder lesend oder handarbeitend antreffen.

Auf dem kleinen, runden Tischchen, das mit einer gestickten Decke überbreitet war, hatten ihre Arbeitskörbchen ihren ständigen Platz. Zu beiden Seiten des Tischchens standen bequeme Rohrsessel. Auch war der Poesie Rechnung getragen. Hohe Palmen und andere Blattgewächse waren geschmackvoll am Eingang gruppiert, so daß das lauschige Eckchen den Eindruck einer Laube machte.

Hier also saßen heute wieder Malve und Auguste, während Herr Theodor Lamprecht, auf dem Sofa thronend, schier vergraben hinter seiner Zeitung war. Seiner langen Pfeife entströmten wahre Rauchsäulen.

Malve sagte: »Ach, Gustchen, mach' noch mal das Fenster ein bißchen auf.« Und Auguste kam eilfertig dieser Bitte nach.

Es war auch wirklich kaum zum Aushalten mit diesem schrecklichen Gepaffe. Eine gute Zigarre, ja, darin waren sich die Damen einig, die ließen sie sich schon gefallen. Aber die entsetzliche Pfeife, die war schon immer so ein wenig Streitobjekt in der Familie gewesen. Namentlich Malve war der viele Rauch ein Dorn im Auge, und sie konnte es sich, bei all ihrer Liebe zu ihrem Bruder, nicht versagen, diesem oftmals Vorwürfe zu machen.

Heute indes wären Vorwürfe durchaus nicht am Platze gewesen, trotzdem gerade heute der Tabaksqualm bereits das ganze Zimmer einhüllte und bei den Damen ein leises Hüsteln verursachte. Denn Theodor Lamprecht war im höchsten Grade erregt, wie auch die beiden Damen. So schwieg Malve heute und ließ fünf mal gerade sein. Auguste aber hatte kein Recht, dem Hausherrn Vorwürfe zu machen; sie war eine Cousine des Geschwisterpaares und lebte gewissermaßen aus Gnade bei ihnen.

Nicht daß man sie das fühlen ließ, o Gott bewahre. Sie war ihnen sehr angenehm, äußerst brauchbar und eine gute Gesellschafterin. Sie verstand es, sich mit Geschick den Verwandten einzufügen, ohne in jene demütige Haltung zu geraten, die für einen feinfühligen Menschen etwas Peinvolles hat. Im Gegenteil, ohne daß es den Geschwistern jemals zum Bewußtsein kam, bildete »Guschi« den eigentlichen Inhalt des kleinen Familienkreises. Sie war den Geschwistern mit den Jahren ganz unentbehrlich geworden. Und wenn dennoch in Auguste zeitweilig sich das Gefühl einer gewissen Abhängigkeit bemerkbar machte, so lag das ganz sicher nur an ihr selber.

Die Drei waren in allem einig; nie fiel ein böses Wort zwischen ihnen. Selbst in der Erziehung ihres Neffen Theodor, den sie schon als zehnjährigen Jungen zu sich genommen, nachdem eine tückische Krankheit die Eltern beide schnell hintereinander hinweggerafft hatte, gingen sie gemeinsam Hand in Hand.

Er war ein Schwesterkind der Lamprechts, hieß gleichfalls Theodor, da der Onkel bei ihm Gevatter gestanden. Die Gleichheit des Namens – mit Zunamen hieß der junge Mann Liebeknecht – wurde bald im engeren Familienkreise störend empfunden; es gab zu vielen Mißverständnissen Anlaß. Auch machte sich besonders bei den Damen das Bedürfnis fühlbar, dem Kinde, an welchem sie abgöttisch hingen, eine Liebesbenennung anzuhängen So ward aus Theodor II Thiddi.

Thiddi war ein hübscher Mensch, groß und schlank, mit lebhaften, graublauen Augen und einem allerliebsten kleinen Schnurrbärtchen über dem lachenden Munde.

Aber er war sechsundzwanzig Jahre. Gerade vor acht Tagen war er es geworden. Und Onkel Theodor, sonst ein toleranter alter Herr, wollte heute mit seinem Neffen mal ein ernstes Wort reden. Jeden Augenblick konnte man ihn erwarten.

Malve warf einen Blick zum Fenster hinaus, von wo sie drei Straßen überblicken konnte mit Hilfe des am Fenster angebrachten Spions.

»Unser Thiddi kommt,« sagte sie beklommen.

Sie fürchtete diese Aussprache nicht gerade, da sie ihrem Bruder nicht zutraute, allzu schroff mit ihrem Liebling zu verfahren. Thiddi gegenüber waren sie alle zahm wie die Lämmer. Man konnte ihm gar nicht böse sein, dem großen, lieben Menschen. Und doch bebte ein unbehagliches Angstgefühl in ihr; man wollte dem Jungen doch nicht wehe tun. Auch nicht den Glauben in ihm erwecken, daß man seiner überdrüssig geworden. Hier war sein Heim und sollte es bleiben, so lange sie am Leben waren. Und später hatte er ja Gelegenheit genug, sich sein Leben nach eigener Fasson einzurichten. War er doch Malves wie des Bruders dereinstiger Erbe.

Trotzdem er also einstmals über fast eine Million zu verfügen haben würde, war es doch Pflicht, ihn auf den richtigen Weg zu leiten, denn einen Inhalt muß das Leben eines jeden Menschen haben. So sahen beide Frauen es vollständig ein, diese von dem Onkel in Aussicht genommene Aussprache mußte einmal stattfinden.

Als nun Theodor Lamprecht hörte, daß sein Neffe in Sicht war, setzte er sich in Positur.

Er war eine untersetzte Gestalt, etwas zum Embonpoint neigend, bartlos, mit jovialem Gesichtsausdruck. Seine Pfeife stellte er neben sich, sie war ausgebrannt, ihm war auch für den Augenblick die Lust zum Rauchen vergangen.

»Du, Theodor,« sagte Malve zum Bruder, »das mit der Tochter bei Westerfeldts, das würde ich doch erwähnen«

»I wo,« entgegnete Theodor Lamprecht, »so etwas macht sich schon von ganz alleine.«

»Sag' das nicht,« widersprach Malve. »So junge, unerfahrene Männer muß man immer so ein bißchen auf ihr Glück stoßen, sonst gehen sie am Ende daran vorbei.«

»Ach, Malve, in Liebesangelegenheiten ist doch ein sechsundzwanzigjähriger Mensch nicht mehr so absolut unerfahren.«

»Liebesangelegenheit?« tadelte Malve etwas altjüngferlich »Hier handelt es sich um mehr. Um eine Heirat.«

Aus dem vielleicht nicht ganz reichen Schatz ihrer Erfahrungen wollte das ältliche Fräulein – Malve zählte bereits sechsundvierzig Jahre, während Auguste die Fünfzig schon überschritten hatte – scheinbar noch mehr zutage fördern, doch schnitt der Eintritt des Neffen jedes weitere Wort ab.

»Tag, alle mit einander,« grüßte er.

»Guten Tag, mein Söhnchen,« tönte es etwas gezwungen aus der Sofaecke heraus.

Thiddi trat in die lauschige Fensternische und küßte beide Frauen.

»Na, Tante Malve, so fleißig?«

Malve strickte nämlich plötzlich mit einer Wut, als gelte es die ganze Welt zu bestricken.

»Tante Guschi,« wandte er sich an die ältere der beiden Damen, »gibt's bald Abendbrot? Du, ich habe einen barbarischen Hunger.«

Auguste stand an der Spitze des Hausstandes, denn sie war sehr beschlagen im Häuslichen, praktisch und eine vorzügliche Köchin. Sie blickte förmlich gerührt in das frohe, lachende Gesicht des jungen Mannes.

»Der Junge hat einen Appetit!« lobte sie. »Na, es ist ja bald acht. Nun setze dich mal erst ein bißchen zu uns. Nein, Thiddi. nicht hierher, dort an den Sofatisch zu Onkel.«

Thiddi nahm sich einen Stuhl und ließ sich seinem Onkel gegenüber nieder, freundlich, gefällig, nachgiebig.

Er war ein einziger Junge.

Malve wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen.

»Nun, Onkelchen, was neues im Weltall passiert?« fragte er und ergriff eine Zeitung. Nicht um zu lesen, aber doch nur so. Doch Theodor Lamprecht legte seine dicke Hand schwer darauf.

»Dja, mein lieber Junge,« begann er unter Räuspern, »wie weit bist du nun mit deinem Studium?«

»Ja, Onkel, wenn ich aufrichtig sein soll. so nüchtern, so grenzenlos öde, hab' ich mir das Rechtsstudium nicht vorgestellt. Paragraphen und nichts als Paragraphen. Du solltest so was mal durchmachen, dir würde ganz übel.«

»Kann sein,« stimmte der Onkel trocken zu. »Nun sag' aber mal, willst du trotzdem dabei bleiben? Und glaubst du überhaupt, es zum Examen zu bringen?«

»Zum Examen gewiß,« lachte Thiddi in seinem unverwüstlichen Frohsinn. »Ob ich aber durchkomme, das ist 'ne andere Frage.«

»Aber Junge, Junge, so kann das doch nicht weiter gehen. Sieh mal, zuerst begannst du mit der Medizin. Dann schlugst du dich auf die Theologie. Jetzt bist du zur Jura übergegangen – was kommt nächstens?«

»Da frägst du mich zu viel,« entgegnete Thiddi ohne Beleidigung. »Ich bin, weiß Gott, so komplizierter Natur. Bald reizt mich dies, bald jenes.«

»Du bist nun sechsundzwanzig Jahre, Thiddi, da denken andere junge Männer schon ans Heiraten.«

»Ja,« lachte Thiddi, »du, da denke ich auch manchmal dran.«

»Du?« machte Onkel Theodor gedehnt.

»Ja, ja, Tatsache, Onkel.«

»Bevor man so etwas denkt, sollte man vorerst einmal darüber nachdenken, etwas Tüchtiges zu leisten,« ermahnte der alte Herr.

»Pardon, Onkel, das wollte ich schon, wenn ich nur erst mir darüber klar wäre, was mir liegt.«

»Es hilft nun doch alles mal nicht, Thiddi,« sagte Onkel Theodor mit einem leisen Vibrieren in der Stimme, »erkläre dich, so oder so. Es wird Zeit, daß wir an dein Fortkommen denken. Jeder Mensch soll doch trachten, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. Hättest du Lust zum Bankfach?«

»Na ja, man kann es ja mal versuchen. Nämlich, habe so absolut keine Ahnung, was da von einem verlangt wird.«

»Es handelt sich hier um ein Haus ziemlich großen Stils. Sieh mal, die Firma Gebrüder Westerfeldt hat sich auf mein Ersuchen bereit erklärt, dich als Volontär aufzunehmen. Mit Hans Westerfeldt war ich sehr befreundet in meiner Jugend. Hermann kannte ich weniger. Er ist tot. Seine Witwe hat sich erboten, dich ganz bei sich in ihrem Hause aufzunehmen. Ich kenne die Dame nicht: jedenfalls ist's ein großes Entgegenkommen, für das ich mich den Leuten tief verpflichtet fühle.«

»Es ist doch auch eine Tochter da, das vergißt du, lieber Theodor,« erinnerte Malve.

Herr Lamprecht sagte langsam, jedes Wort betonend: »Hier kommt's vorläufig gar nicht auf die Tochter an. Bändelt sich da im Laufe der Zeit etwas an, so kann uns das nur sehr erwünscht sein. Wir wüßten dich gut untergebracht, mein Junge. Aber darüber wollen wir noch nicht reden. Hier handelt es sich darum, ob dir das Bankfach nicht zuwider ist.«

»Aber gar nicht, Onkel,« sagte Thiddi. »Es muß ja überhaupt so ein Betrieb furchtbar interessant sein. Mal so ganz was anderes. Und dann die Tochter. Tante Malve hat so unrecht nicht, ein wenig fällt das ewig Weibliche doch auch in die Wagschale. Na, Onkel, kurz und gut, wo liegt die Butike?«

»Ach, Thiddi, du kommst nicht weit mit deiner Butike. Wirst Augen machen, in was für ein feines Haus du kommst. Kontor im Innern der Stadt, Privatwohnung außerhalb.«

»Ja, wenn die Leute sich das leisten können –«

»Können Sie, mein Sohn.«

Herr Lamprecht erhob sich, nahm Pfeife und Zeitungen und sagte: »Ich schreibe also, wir machten von ihrem gütigen Anerbieten Gebrauch. Dein Eintritt könne jederzeit erfolgen.«

Damit begab er sich in sein Zimmer.

Malve zerdrückte die zweite Träne und seufzte.

»Denkst doch nicht, mein alter, lieber Junge, wir wollten dich hier los sein? Sieh mal, ist ja nur alles zu deinem Besten.«

»Weiß ich doch, Tante.« Thiddi setzte sich auf Guschis leeren Stuhl, denn diese war zur Bereitung der Abendmahlzeit in die Küche gegangen.

Man hielt bei Lamprechts viel auf einen guten Tisch, da war Auguste Kranz ein rechtes Juwel für den Hausstand.

»Du sollst doch nicht meinetwegen weinen, Tante,« sagte Thiddi gerührt. »Wer kann wissen, wie bald ihr mich wieder habt.«

»Nein, Thiddi, wenn ich auch noch so sehr mich nach dir sehnen werde, so sollst du doch jetzt mal beständig werden. Und sieh mal, da ist doch 'ne Tochter, nimm's nicht zu leicht. Ich glaube sicher, die Leute haben auf Onkels Anfrage, so bereitwillig zugesagt, dich aufzunehmen, weil sie vielleicht eine Heirat zwischen dir und der Tochter wünschen.«

»Aber Taute, die Leute kennen mich doch gar nicht. Ist denn das Fräulein 'ne alte Schraube? Da danke ich bestens. Ich muß etwas Junges, Flottes, Lachendes, Hübsches haben. So 'n stattlicher Kerl wie ich –«

»Ja doch, ja, Thiddi. Nein, alt ist sie auch nicht. Soviel ich Onkel sagen hörte, kann sie zwanzig Jahre sein.«

»Dann wundert's mich doch stark, Tante Malve,« bemerkte Thiddi, »daß man die Tochter schon verheiraten will, noch dazu an einem gänzlich Unbekannten.«

Malve war über diese Bemerkung weidlich erschrocken.

»Aber bester Junge, du faßt die Sache ganz anders auf. Wir wünschen die Partie, da du durch eine Heirat mit der Tochter des vornehmen Hauses in gute, geregelte Verhältnisse kommst. Deine ganze Zukunft wäre dadurch gesichert. Ob Westerfeldts so denken, ist fraglich, ich nehme es nur an. Denn ohne Ueberhebung bist du auch eine gute Partie, und ein Kaufmann rechnet eben immer. Es lag mir selbstredend fern, von vornherein ein Vorurteil in dir zu erwecken.«

Das gute Dämchen trug so unverkennbar den Stempel der totalen Ratlosigkeit zur Schau, daß Thiddi ihr beruhigend auf die Schulter klopfte.

»Wenn sie meinen Ansprüchen entspricht, kann euer Wunsch ja am Ende in Erfüllung gehen,« sagte er gutmütig. – –

 

Nun begann ein reges Leben im Hause.

Obgleich Thiddi mit Kleidungsstücken reichlich und überreichlich versehen war, bemühten sich die Damen doch um eine gehörige Ausrüstung, wobei man des Bruders und Vetters Ratschläge nicht entbehren konnte. Dieser nahm an allem regen Anteil, knauserte auch nicht mit Geld, galt es doch vor allem, Eindruck zu machen, indem man mit Eleganz der Toilette glänzte.

Durch all diesen Trubel ging Thiddi gleichmütig dahin und ließ die Seinen sorgen.

Was kam's denn auf die Kleider an. Aeußerlichkeiten. In ihm lebte das Bewußtsein, von großem, persönlichem Reize zu sein, welches auch in der Tat seine Richtigkeit hatte. Nicht nur seine schneidige Figur lenkte die Aufmerksamkeit, besonders der Damenwelt. auf sich, er hatte auch eine so sonnige, liebenswürdige Art des Benehmens, die überall gefallen mußte.

Auf hervorragende Geistesgaben konnte er keinen Anspruch erheben. Das tat er auch nicht. Sein Leben hatte bisher einer so sanften Kahnfahrt geglichen, daß er sich von den ebenen Wellen sachte und mühelos hatte dahin gleiten lassen. Es hatte weder körperlicher noch geistiger Anstrengungen bedurft, in ein anderes Fahrwasser zu gelangen. Jetzt hatten die Seinen das Steuer ergriffen und wollten sein Lebensschifflein nach einer anderen Seite lenken. Mochten sie. Sturm fürchtete er nicht, da er ihn nicht kannte. Und mal so etwas ganz anderes erleben, hat immer einen gewissen Reiz.

Die Zeit eilte schnell dahin. Für die drei alternden Leutchen viel zu schnell, in denen trotz der besseren Einsicht doch schon der Abschiedsschmerz zitterte.

Nur Thiddi blieb von diesem gottlob verschont. Seine Brust wurde von Wanderlust geschwellt, und wenn er die sanfte Bevormundung der Tanten auch niemals lästig empfunden hatte, so drängte sich doch ein gewisser Freiheitsdrang durch all die Liebe hindurch, die er den Seinen entgegenbrachte.

Er sah nicht die Tränen, die um ihn flossen, hätte auch kein Verständnis dafür gehabt. Ihm, Thiddi Liebeknecht, stand die ganze Welt offen, und sie lachte ihm entgegen, verführerisch, verheißend.


 << zurück weiter >>