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Der Dampfer fuhr ab. Thiddi kam sich vor wie ein Vogel, der mit ausgebreiteten Flügeln dem Süden zufliegt.
So leicht war ihm, so froh bewegt.
Die Adresse des Herrn Norden, auf die er damals auf der »Deutschland« keinen Wert gelegt hatte, war von Alida gut behalten worden, so daß ihm dieses Erinnern insofern zustatten kam, als er auf Alidas Rat die liebenswürdige Familie aussuchen und um des erfahrenen Mannes Beistand bitten konnte.
Dieser Beistand sollte ja keine Attacke auf den Geldbeutel des Herrn Norden sein, nur einen freundschaftlichen Rat kam er zu erbitten, und er wußte mit Bestimmtheit schon im voraus, daß ihm der zuteil werden würde.
Buenos Aires! Die Metropole Argentiniens war das Ziel der Reise.
Es war am Spätnachmittage, als Thiddi diese Stadt erreichte.
Für heute war es zu spät, die Reise, die von jetzt an zu Pferde oder per Wagen weiter gehen mußte, fortzusetzen.
So nahm er für eine Nacht in einem Hotel Quartier.
Der Hotelwirt gab dem Gaste bereitwillig Auskunft und stellte ihm einen Führer zur Verfügung, der ihn durch die Stadt geleiten sollte.
Das war Thiddi recht. Stundenlang wanderte er umher, nicht nur die Stadt in Augenschein nehmend, sondern auch ein Teil der Umgebung durchstreifend.
Die ausgedehnten Parkanlagen inmitten der Stadt erregten seine Bewunderung, sowie die stattlichen Bauten am Ufer des La Plata, in dessen Fluten sich die Paläste spiegelten.
Reizvoll war die nächste Umgebung von Buenos Aires. Größere und kleine, ganz in Grün eingehüllte Häuser bildeten einen anmutigen Rahmen um die Stadt. Orangen, Feigen, Pfirsiche, Granatäpfel verbreiteten ihre Pracht in den von Mauern umgebenen Gärten. Buntfarbige Kolibris umflatterten Strauch und Baum. Eine nie geahnte Pracht tat sich vor den Augen des entzückten jungen Mannes auf, und der Wunsch ward schmerzhaft brennend in ihm, hier seine Hütte bauen zu können.
Doch auch der nächste Tag enttäuschte Thiddi nicht.
Früh brach er auf.
Er war ein leidlicher Reiter, hatte früher diesem Sport mit Leidenschaft gehuldigt, so machte er sich, eben graute der Tag, mit seinem Führer auf den Weg.
Eine zwar sandige, doch ziemlich gute Landstraße zeigte ihnen den Weg, der immer einsamer zu werden begann. In leichtem Galopp sprengten sie jetzt durch die Pampa.
Eine goldige Sonne strahlte vom Himmel, ein leichter, erfrischender Luftzug wehte ihnen entgegen. Die gewaltige, endlose, dem Ozean gleichende Fläche in ihrer Majestät, die lachende Sonne, der Duft von Gras und Blumen machten den Ritt zu einem hohen Genusse. Ein mächtiges Freiheitsgefühl durchdrang Thiddis Brust, er atmet die köstliche Luft in gierigen Zügen.
Schon waren sie stundenlang geritten. Da ließ der Führer sein Roß langsamer ausschreiten, deutete mit der Hand nach einer sich am Himmel dunkel abhebenden Gegend und sagte:
»Wir sind gleich am Ziel. Jenes Besitztum dort ist die Estanzia des Mr. Norden. Schon hier beginnt der Corral (Viehhof).«
Schier unermeßliche Schafherden weideten in den in großen Umrissen abgezäunten Paddocks, alle mit einem feuerroten Stempel versehen.
Sie ritten schnell vorbei.
Endlich lag im hellen Sonnenschein Herrn Nordens Estanzia vor Thiddis Augen. Es war ein überaus freundlicher Besitz, »Schönweide« genannt. Eine große, fast schloßartige Villa stand inmitten eines wohlgepflegten Gartens mit parkartigen Anlagen; die weitere Umgebung wies prächtige Wirtschaftsgebäude und Arbeiterwohnungen auf, begrenzt durch eine Einfassung aus Säulenkaktus.
Weit hinein in die Pampa weideten frei und ungehindert Rinder und Pferde, die nur durch das eingebrannte Zeichen als Eigentum des Besitzers von Schönweide kennbar waren.
Auf der geräumigen Veranda stand ein Mann in hohen Stulpenstiefeln, als käme er eben von einem Ritte heim. Aus dem stark gebräunten Gesicht blickten die Augen scharf spähend nach den beiden Reitern aus, die im Galopp daher kamen.
Da plötzlich belebten sich seine Züge und mit der ihm anhaftenden jovialen Stimme rief er dröhnend:
»Hallo, meine Augen trügen doch nicht? Unser junger Mitreisender von der ›Deutschland‹?«
»Herr Norden, ja, ich bin's, Theodor Liebeknecht,« entgegnete Thiddi fröhlich lachend.
Da streckte Norden, der bereits die Stufen heruntergestiegen war, seine Hand dem Angekommenen entgegen, welche Thiddis Rechte mit festem Druck umschloß.
»So seien Sie mir und den Meinen willkommen. Und Ihr Begleiter dort?«
»Ist ein vom Wirt in Buenos Aires gestellter Führer, der mich hergebracht hat.«
Thiddi reichte dem Manne das verabredete Geld. Herr Norden befahl ihm, sich in dem Wirtschafterhause eine Erfrischung reichen zu lassen und sich von dem Ritte auszuruhen.
Herzlich war auch der Empfang von seiten der Dame des Hauses, sowie des Sohnes, die ihrer Freude lebhaften Ausdruck verliehen.
Es war um die Mittagszeit; bald saß Thiddi mit der liebenswürdigen Familie zu Tisch, und da er einen weiten Weg hinter sich hatte, ließ er dem Mahle alle Ehre angedeihen.
Niemand fragte nach dem Grunde seines plötzlichen Erscheinens, dazu war man zu taktvoll. Es war ein Landsmann und man war bemüht, Gastfreundschaft im weitesten Sinne des Wortes auszuüben
Thiddi sprach seine Bewunderung über das Gesehene aus. Mächtig hatte das ganze Gut mit seinen Weiden und der wohlgenährten Viehherde ihm imponiert.
»Na,« meinte Herr Norden, »Sie sollen noch Augen machen, wenn ich Ihnen den ganzen Betrieb in all seinen Details vor Augen führe. Als ich herkam, vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren, mit gutem Willen, aber leeren Taschen, da hieß es mächtig zugreifen. Auf der Stelle meines jetzigen kleinen Schlößchens hier erbaute ich mir, im Schweiße meines Angesichts, eine winzige Baracke aus Holz und Lehmziegeln. Die war danach, aber es war ein Unterschlupf, Herr Liebeknecht, und es war ein eigenes Dach über dem Haupte. Gute Menschen halfen mir. Ich habe gearbeitet wie der geringsten einer. Aber nun schauen Sie den Lohn meines Fleißes an.«
Stolz klangen die Worte. Und dieser selbstgemachte Mann war wohl berechtigt, stolz zu sein.
Mit Hochachtung blickte Thiddi auf den Mann mit dem guten, frohen Gesicht und dem rastlosen Vorwärtsstreben. Ach, ihm schwellte der Gedanke an ein freies, ungebundenes Vorwärtsstreben hier in Gottes schöner Natur die Brust im Tatendrang. Auch er brachte einen guten Willen mit, Gott war sein Zeuge. Ob sein Wille das gleiche Resultat dermaleinst erzielte?
Nach Tisch bei einer Zigarre offenbarte Thiddi sich Herrn Norden.
In hochherzigster Weise versprach der, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
»Sie sollen nicht vergebens bei dem alten Norden angeklopft haben,« sagte er, dem jungen Mann wohlwollend die Hand auf die Schulter legend.
Darauf besprachen sie eingehend den Vermögensstand Thiddis. Denn das war ein wichtiger Faktor, mit dem man rechnen mußte. Die Zeiten waren andere geworden in den fünfundzwanzig Jahren.
Aber was Herr Norden hörte, befriedigte ihn. Mit zirka sechstausend Dollar ließ sich selbst bei den heutigen gesteigerten Ansprüchen schon etwas erreichen. Zwar ein bescheidener Anfang blieb es, dennoch war es der Anfang zu einem neuen Leben.
Thiddi beschloß noch an diesem Abend an seine Braut zu schreiben; doch als die Ruhe des heimeligen Zimmers ihn umfing, fielen ihm die Augen vor Müdigkeit zu. Er konnte sich mit dem besten Willen nicht ermannen. Der stundenlange, ungewohnte Ritt hatte ihn dermaßen ermüdet, daß die Natur ihr Recht gebieterisch verlangte. Und trotzdem er abends zeitig zur Ruhe gegangen, schlief er doch bis in den hellen Morgen hinein. Darüber ärgerte er sich.
»Was müssen Sie von mir denken, verehrte Frau,« entschuldigte er sich, als er an einem gleich herrlichen Morgen wie der vergangene auf der Veranda seinen Kaffee einnahm, sorgsam von der Hausfrau bedient.
»Es war vorauszusehen,« erwiderte Frau Norden jedoch lächelnd, »daß Sie einer tüchtigen Ruhe bedurften, um sich wieder auf sich selbst zu besinnen. Der Ritt, das war, sagt mein Mann, ein Meisterstück. Wie fühlen Sie sich?« »Sehr wohl, ich danke.« Und sich vorsichtig umblickend, gab er etwas kleinlaut zu: »Bis auf einen gewissen Körperteil.«
»Der wird Ihnen auch noch eine Zeitlang zu schaffen machen,« lachte Frau Norden. »Daran gewöhnt man sich. Wollen Sie meinen Mann aufsuchen? Dann kann Lydia Sie begleiten.«
Lydia, das Töchterchen der Nordens, bestieg ihr Pferd, wie es einem in voller Freiheit aufgewachsenen Mädchen zukam, und flog an der Seite ihres Begleiters mit einer Leichtigkeit dahin, daß Thiddi Mühe hatte, ihr zu folgen.
Er äußerte sein Erstaunen über eine derartige Geschicklichkeit, denn Lydia zählte doch erst dreizehn Jahre.
Allein das Kind lachte.
»Wir werden früh daran gewöhnt, Herr Liebeknecht,« erklärte sie stolz und doch in mädchenhafter Bescheidenheit.
Herr Norden führte seinen jungen Landsmann in seinen ausgedehnten Besitzungen heraus, zeigte und erklärte alles mit knappen Worten.
Eine große Hochachtung gegen den Gründer aller dieser Herrlichkeiten erfüllte Thiddi, zu gleicher Zeit aber wuchs das frohe, freie Gefühl lawinenartig bei ihm an.
Und eine unbändige Lust an gleichem, eigenem Streben erfüllte ihn.
Hier hatte er endlich seinen Lebenszweck gefunden.
Norden schlug Thiddi vor, ein Jahr lang bei ihm zu lernen. Da wurde er ganz kleinlaut. Er berichtete von seiner Verlobung und erzählte den interessiert aufhorchenden Gastgebern zum ersten Male von seinen eigenen Angelegenheiten, von seiner Familie und was ihn in die Ferne getrieben.
Innige Teilnahme spiegelte sich auf den Gesichtern seiner Zuhörer. Das waren in der Tat harte Schicksalsschläge. Erzogen in dem Glauben, der Erbe großer Reichtümer zu sein und jetzt sozusagen vor dem Nichts stehend.
Viele Hände streckten sich ihm warm und teilnahmsvoll entgegen.
Herr Norden aber sagte:
»Wenn Sie über so viele Hilfskräfte verfügen, eine Tante haben, die nichts sehnlicher wünscht, als Ihnen mit ihrer häuslichen Erfahrung und ihren kräftigen Armen zur Seite zu stehen, und ein liebes Frauchen, das Ihnen die Stirn trocknet nach den Mühen des Tages, dann, lieber Liebeknecht, wollen wir mal das Nähere ins Auge fassen. Aber Arbeit gibt es.«
Herr Norden machte sich für einige Tage frei. Und sie zogen zusammen hinaus in die weite Pampa, um das Gelände einer eingehenden Prüfung zu unterziehen –
Am Abend dieses denkwürdigen Tages flogen zwei Briefe in die Welt hinaus. Der eine war an Alida von Röst gerichtet, der zweite an Tante Guschi.