Josef Kastein
Herodes
Josef Kastein

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4. Kapitel

Unterirdische Dynastie

Als Alexander Jannäus das Gebiet von Idumäa erobert hatte, verband er dieses Land und seine zwangsbekehrte Bevölkerung nicht etwa in organischer Form mit dem judäischen Staate, sondern gab ihm – nach dem Muster, wie er es bei den großen Staaten der Umwelt kennen gelernt hatte – einen selbständigen Strategen, das heißt: ein verwaltendes Oberhaupt mit ausgedehnten zivilen und militärischen Befugnissen. In der Praxis entsprach eine solche Stellung einer unabhängigen Regentschaft des Landes. Dieser Regent war ein angesehener und reicher Idumäer, mit Namen Antipas, von dem sonst nur bekannt ist, daß er mit dem benachbarten arabischen Reiche der Nabatäer stark sympathisierte. Dieser Antipas hatte einen Sohn gleichen Namens. Auf ihn, der sich später Antipater nannte, ging das Amt des Vaters über, sodaß also das Land Idumäa in zwei Generationen von der gleichen Familie de facto beherrscht wurde.

Diese Familie der Antipatriden tritt jetzt in die jüdische Geschichte ein, um dort eine kurze, aber verhängnisvolle Rolle zu spielen. Sie stellten für den Rest der staatlichen Existenz Judäas die Könige des Landes. Ihr Anspruch darauf, mag er sich noch so katastrophal ausgewirkt haben, entbehrte nicht einer gewissen Legitimität. Sie waren in ihrer ursprünglichen Heimat zur Macht gekommen. Jetzt, da diese Heimat auf Grund der hasmonäischen Eroberung zu Judäa gehörte: warum sollten sie nicht in ihrer neuen, größeren Heimat ihr Glück versuchen? Sie waren ja zudem, wenn auch durch das Druckmittel der Gewalt, Juden 84 geworden, gehörten also formell und offiziell zum jüdischen Volke. Mithin standen ihnen alle Chancen offen, die das Land und der Zustand des Landes boten. Dort regierte im Augenblick eine Familie, der auch das Königtum nicht an der Wiege gesungen war. Tapferkeit, militärisches Geschick, ein wenig politische Begabung und eine Reihe günstiger äußerer Umstände hatten ihnen die Krone und eine Dynastie verschafft. Dabei war nicht zu übersehen, daß diese Dynastie schon nach recht kurzer Dauer auf schwachen Füßen stand. Der größte Teil des Volkes stand zu ihr in aktiver und passiver Opposition; und in sich selbst war sie – wie der Streit zwischen Aristobul und Hyrkan bewies – bereits zerfallen. Daß der innere Grund dieses Zerfalls die ungelöste Frage nach der Existenz des theokratischen Staates war, ging die Antipatriden zu Recht nichts an. Für sie handelte es sich um eine der Szenen, die in dem großen Schauspiel der asiatischen Staatenumwälzungen gespielt wurden. Sie suchten, hier eine Rolle als Hauptdarsteller zu bekommen, und das Geschick wies ihnen einen dämonischen Part zu.

Um dieser Möglichkeit näher zu sein, hatte Antipater sich nach Jerusalem, nach der Hauptstadt seiner neuen Heimat begeben, und zwar, wie es seiner Würde als Statthalter von Idumäa entsprach, an den königlichen Hof. An wen er sich dort zu halten hatte, war nicht schwer zu entscheiden. Die Indolenz des Hyrkan verhieß bedeutende Möglichkeiten, mindestens zu dem einflußreichen Amt eines königlichen Beraters zu kommen. Die Aktion des Aristobul, durch die Hyrkan auf die Würde des Hohenpriesters 85 beschränkt wurde, verurteilte diesen Einfluß einstweilen zur Bedeutungslosigkeit. Einstweilen: denn das Kennzeichen aller Antipatriden ist eine zähe Zielstrebigkeit, die mit den primitivsten Mitteln arbeitet und gerade darum keine eigentlichen Komplikationen kennt. Diese Zielstrebigkeit zwang Antipater dazu, den durch den Friedensschluß gegebenen Zustand nicht anzuerkennen. Er versucht zunächst, ihn durch eine Agitation unter dem Adel zu unterwühlen. Seine Argumentation geht dahin, es sei nicht gerecht, daß Aristobul als der Jüngere die Herrschaft besitze, die doch nach den Gesetzen der Dynastie dem Älteren, Hyrkan, zukomme. Bei diesen Verhandlungen bot sich ihm ausreichend Gelegenheit, einen Einblick in die innere Struktur dieser Adelsgesellschaft zu tun, und der Erfolg war, daß der nach außen bekundete Respekt vor den Gesetzen der Dynastie ihn keineswegs daran hinderte, die Errichtung einer eigenen Dynastie gegen die bestehende ins Auge zu fassen.

Mag Hyrkan selbst noch dynastischen Erwägungen zugänglich gewesen sein oder nicht: er fühlte sich bei der Stellung, die ihm zugewiesen war, nicht unwohl und war durchaus bereit, es dabei bewenden zu lassen und den bestehenden Friedensvertrag zu respektieren. Um dieses träge und gutmütige Wesen in Bewegung zu setzen, bedurfte es anderer, schlichterer und eindringlicherer Mittel. Antipater hatte sie zur Verfügung. Er packte Hyrkan bei der Lebensangst. Er konnte ihn endlich davon überzeugen, daß sein Leben bedroht sei, da sein Bruder Aristobul, um keinen möglichen Prätendenten mehr neben sich zu haben, ihn beseitigen 86 wolle. Dabei bereitete er zugleich die Möglichkeit vor, seinen Freund Hyrkan, um dessen Leben er so sehr besorgt war, aus dieser Lebensgefahr zu retten. Zu diesem Zwecke knüpfte er Verhandlungen mit Aretas, dem König des arabischen Nabatäerreiches an, und erreichte dessen Zusage, dem bedrohten Hyrkan ein Asyl zu gewähren.

Heimlich und nächtlich flohen Hyrkan und sein Beschützer Antipater nach Petra zu Aretas. Damit war der Stein ins Rollen gebracht. Hyrkan war der Atmosphäre des Jerusalemer Hofes entzogen und in den ausschließlichen Einfluß des Idumäers gekommen. Seine Flucht hatte ihn, ob er es bezweckte oder nicht, in einen akuten Gegensatz zu Aristobul gebracht, und alle weitere Auseinandersetzung mußte von hier aus zwangsläufig erfolgen. Hyrkan davon zu überzeugen, daß dieser Aufenthalt in Petra für ihn den Charakter eines Exils habe, war nicht schwer. Daß dieses Exil nicht mit der Rückkehr des geflohenen Hohenpriesters, sondern nur mit der Rückkehr des zu Unrecht aus seiner Königswürde verdrängten Fürsten enden könne, war nur eine Konsequenz. Zu lösen blieb nur die Frage, wie diese Restauration des hyrkanischen Königtums bewerkstelligt werden könne. Auch da vermittelte Antipater Verhandlungen mit Aretas. Ihr Ergebnis war, daß er sich verpflichtete, dem Hyrkan ein Heer zur Verfügung zu stellen, wofür er nicht unbeträchtliche Geldbeträge bekam und das Versprechen, daß Hyrkan ihm zwölf Städte zurückgebe, die sein Vater Alexander Jannäus im ehemaligen idumäischen Gebiet besetzt hatte. Die nachfolgenden Ereignisse stellen klar, daß Hyrkan 87 im Grunde seines Herzens an diesen Verhandlungen ganz uninteressiert war. In Wahrheit wurden hier die Geschäfte des Antipater betrieben, der sich so die Chance verschaffte, wieder Ratgeber eines Königs zu werden.

Der Feldzug des Aretas war ein Erfolg. Aristobul mußte sich mit seinen Anhängern in die Stadt und dort in den Tempel zurückziehen. Das Volk stand schon aus dem Grunde gegen ihn, weil er ein Sadduzäer war. Die Belagerung, die er jetzt sowohl von den Arabern wie von den pharisäischen Juden zu erdulden hatte, brachte ihn in eine sehr schwierige Situation. Aber für kurze Zeit wurde ihm eine Erleichterung zuteil durch jene Macht, mit der sein Vorfahre Juda Makkabi bereits ein Friedensbündnis geschlossen hatte: durch die befreundete Nation der Römer.

Im Zuge der asiatischen Eroberungen Roms gelangte auch Syrien unter seine Botmäßigkeit. Als ihr Repräsentant saß in Damaskus der Legat des Pompejus, Scaurus. Die Nachricht, daß in dem benachbarten Judäa zwei Prätendenten sich stritten, brachte einen bewährten Grundsatz der römischen Politik automatisch zur Auslösung: Scaurus begab sich sofort an die Grenze Judäas, um festzustellen, wie weit hier eine Einmischung Roms möglich und nützlich sei. Diese Mission wurde ihm über Erwarten erleichtert. Von den historischen Erfahrungen, die das judäische Volk in mühevollen Jahrhunderten gesammelt hatte, lebte in den letzten Hasmonäern nichts mehr. Sie hatten nicht einmal mehr den Instinkt ihres Volkes, der sich mit dem tiefsten Mißtrauen gegen Rom wehrte. Sie hatten nur noch den Instinkt für ihre 88 eigenen Interessen. Für diese Interessen setzten sie ihr Volk jedem Risiko aus. Kaum hörten die feindlichen Parteien, daß ein Vertreter Roms in der Nähe sei, als sie beide Boten zu ihm sandten, um seine Hilfe zu erbitten. Sie boten beide die gleiche Summe als Entgelt: 400 Talente. Da der politische Zweck seiner Intervention bereits durch das Entgegenkommen der Hasmonäer erreicht war, kam nur noch eines der üblichen Geschäfte in Betracht, das die römischen Legaten und Prokonsuln zu ihrer persönlichen Bereicherung abzuschließen pflegten; und so entschied sich Scaurus für denjenigen Partner des Geschäfts, bei dem er mit geringerer Gefährdung zu seinem Gelde kommen konnte. Die Unterstützung des Hyrkan hätte bedeutet, daß er an einer Belagerung hätte teilnehmen müssen, die durch die starke Befestigung des Tempels schwierig und umständlich war. Nahm er hingegen die Partei des Aristobul, so genügte es unter Umständen, den Nabatäern die Feindschaft des mächtigen Roms anzudrohen und ihn so zum Abzug zu veranlassen. Seine Erwägung erwies sich als richtig. Aretas hob erschreckt über die Drohung, über deren Berechtigung er sich keine Gedanken machte – und bei dem Charakter Roms auch nicht machen durfte – die Belagerung auf und zog ab. Aristobul, von der Belagerung befreit, konnte sich der hyrkanischen Truppen leicht erwehren. In diesem Kampfe fiel Phallion, ein Bruder des Antipater, das erste Opfer, das die Antipatriden ihren dynastischen Zielen brachten. Aber diese Entscheidung zugunsten Aristobuls war eine durchaus interimistische. Die endgültige Entscheidung lag, da man sich schon einmal dem 89 Urteil Roms ohne Not unterworfen hatte, in den Händen des Pompejus. Als er selber nach Damaskus kam, erschienen vor ihm unvermutet statt zwei Gesandtschaften deren drei: Aristobul mit seinem Anhang, Hyrkan mit Antipater und seinem Anhang, und eine Vertretung des jüdäischen Volkes. Während die Brüder um den Thron feilschten – Aristobul mit der Begründung, er habe die Führung des Landes übernommen, weil Hyrkan zu träge und unfähig sei, und Hyrkan mit der Begründung, ihm als dem Älteren stehe die Thronfolge zu und er sei mit Gewalt verdrängt worden – während so rein private Legitimationen gegen einander ausgespielt werden, tritt die Gesandtschaft des Volkes selbst mit einer schlichten und schwerwiegenden Erklärung auf: es will beide Repräsentanten nicht als sein Oberhaupt haben. In ihrem Staate, erklären sie, hätten sie nur dem Priester ihres Gottes zu gehorchen. Sie geben zu, daß diese beiden Prätendenten Nachkömmlinge von Priestern sind; aber sie beschuldigen sie einer versuchten Änderung der Regierungsform, die das Volk versklaven wollte. Für Aristobul verstand sich dieser Vorwurf aus seinem Sadduzäertum und für Hyrkan aus der Tatsache, daß er das Instrument eines Idumäers war. Die Forderung des Volkes stellt klar, wie eindeutig und bewußt das Problem erkannt und empfunden wurde, um das es letztlich für den judäischen Staat ging; und sie stellt zugleich klar, daß die Hasmonäer selbst von diesem Problem nichts mehr wissen. Aristobul erklärt, er führe das Regiment im Sinne seines Vaters, eben jenes Alexander-Jannäus, unter dem schon der Bürgerkrieg gewütet hatte; und 90 Antipater – denn er ist der wahre Prätendent und Widerpart geworden, nicht mehr die Strohpuppe Hyrkan – rückt mit einem Aufgebot von tausend Zeugen an und mit einem Argument, das einen sehr guten Blick für das verrät, was Rom angeht oder nicht angeht: Aristobul belästige die Nachbargebiete, er betreibe auf dem Meere Seeräuberei und dränge das Volk zur Rebellion durch sein tyrannisches Regiment. Diese Argumente – mögen sie im ersten Teil auch auf Unwahrheit beruhen – verfingen um deswillen, weil Rom unter keinen Umständen neben den kaum besetzten Gebieten einen Herd der Unruhe brauchen konnte. Im übrigen war aus der Grundhaltung beider Parteien ohne weiteres abzulesen, wo für die Zukunft die Interessen Roms die größere Möglichkeit hatten.

Aus diesem Grunde überhört Pompejus auch die Einwände des Volkes, die er weder versteht noch mit Rücksicht auf seine politischen Kalkulationen berücksichtigen kann. Im übrigen vertagt er die Entscheidung, da er noch einige kriegerische Aktionen in der Nachbarschaft zu erledigen hat. Er befiehlt Aristobul einstweilen, in seiner Nähe zu bleiben. Da erst, und zu spät, geht Aristobul die Größe der Gefahr auf, in die er sich durch die Anrufung Roms begeben hat. Denn eine Macht, die ein Imperium zu verteidigen hat, ist niemals Schiedsrichter, sondern agiert immer in eigener Sache. Sich ihr anvertrauen darf nur, wer die materielle Macht hat, den Schiedsspruch abzulehnen, Da Aristobul diese Macht nicht hat, versucht er jedenfalls, ihr auszuweichen.

Er trennt sich von Pompejus und zieht sich in 91 seine Festung Alexandrium zurück. Das war sein gutes Recht, aber es widersprach den Intentionen des Pompejus, der Aristobul unter Aufsicht halten wollte, und was den Intentionen Roms widersprach, war eine feindliche Handlung gegen das römische Imperium. Sie gab die unbedingte Legitimation, als Hersteller einer gestörten Ordnung aufzutreten. Darum befahl Pompejus dem Aristobul, ihm die jüdischen Festungen, in denen er seine Truppen hielt, auszuliefern. Aristobul gehorchte notgedrungen und begab sich mit seinem Heere sofort nach Jerusalem, ganz offenbar in der Absicht, hier eine letzte Verteidigung seiner Unabhängigkeit zu versuchen. Aber diese Unabhängigkeit war schon von dem Augenblick an erledigt, als die Kronprätendenten Pompejus um eine Entscheidung angegangen waren. Die Macht, die sie sich in ihrer Ohnmacht zur Hilfe gerufen hatten, entschied bereits über ihr Geschick. In seiner römischen Würde aufs äußerste verletzt, ordnete Pompejus seine Truppen und marschierte in eindeutiger Absicht auf Jerusalem zu.

Aristobul konnte es auf eine wirkliche Machtprobe nicht ankommen lassen, denn ein wesentlicher Teil des Volkes hielt nicht zu ihm. So blieb ihm nichts übrig, als dem Römer entgegen zu ziehen und ihn für den Versuch, sich und seine Position zu retten, um Vergebung zu bitten. Pompejus zeigte sich großmütig. Er war bereit, gegen eine beträchtliche Entschädigung und gegen Auslieferung der Schlüssel der Stadt Verzeihung zu gewähren. Aristobul gestand beides zu, und Pompejus sandte seinen Legaten Gabinius aus, um den materiellen und ideellen Gegenwert dieses 92 einseitigen Geschäftes in Empfang zu nehmen.

Aber es stellte sich eine Komplikation ein. Das Volk billigte die Abmachungen des Aristobul nicht. Weder hielt es ihn für legitimiert, über das Vermögen des Volkes und über die Stadt zu verfügen, noch hielt es Rom für legitimiert, hier mit Ansprüchen aufzutreten. So verweigerte es dem Gabinius von vornherein den Eintritt in die Stadt. Aber der Widerstand war zwecklos. Es war das geschehen, was nie wieder auszugleichen war: zwei streitende jüdische Parteien hatten um ihrer eigenen Interessen willen, die sie beide natürlich mit objektiven und nationalen Motiven versahen, eine fremde Macht zur Hilfe gerufen. Die Gemeinschaft als solche, der ganze Staat, das ganze Volk hatte dafür zu zahlen.

Den Widerstand des Volkes beantwortete Pompejus mit dem Beschluß, Jerusalem zu belagern. Den ungehorsamen Aristobul ließ er verhaften. Im Sommer des Jahres 63 begann die Belagerung. Die Bevölkerung war über das, was zu geschehen hatte, geteilter Meinung. Die Masse des Volkes sah keinen Anlaß, sich zu Gunsten eines Aristobul den Mühen und Schrecken einer Belagerung auszusetzen. Aus noch schlichteren Erwägungen war Antipater für eine bedingungslose Übergabe der Stadt. Den Anhängern des Aristobul blieb also nichts übrig, als die Stadt zu verlassen, den Tempel zu besetzen, die Brücke abzubrechen, die ihn mit der Stadt verband und sich auf ihr Schicksal vorzubereiten. Pompejus brauchte also nur dieses eine Objekt anzugreifen. Bei den Vorbereitungen dazu leistete ihm Hyrkan – das heißt: Antipater – wertvolle Hilfe. Die andere Hilfe leistete ihm 93 die Frömmigkeit der Juden und ihr unbedingter Respekt vor dem Schabbat. Zwar erlaubte das Gesetz, am Schabbat einen direkten feindlichen Angriff abzuwehren, nicht aber, sich gegen irgend welche indirekten Handlungen des Feindes zu wehren. Die Römer unterließen daher am Schabbat jeden direkten Angriff und beschränkten sich darauf, ungestört den großen Wall zu errichten, der zur Ausfüllung der Schlucht vor dem Tempel und zur Aufstellung der aus Tyrus bezogenen Kriegsmaschinen dienen mußte. Damit gewannen sie ohne Verluste einen Vorsprung, der über das Schicksal der Belagerten entschied. Im Herbst wurde der Tempel eingenommen. Zwölftausend Juden fanden ihren Tod. Viele der gefangenen Anhänger Aristobuls wurden enthauptet. Über das Land selbst wurde nach dem römischen Recht des Siegers verfügt. Zunächst wurde es im Umfang erheblich verkleinert. Die gesamten Eroberungen der Hasmonäer gingen wieder verloren. Es blieb ein Kleinjudäa übrig, das der politischen Herrschaft Roms in Form des Protektorats unterstellt wurde. Mit dieser Einschränkung blieb es ein autonomer Staat. Als Vertreter dieses Staates, als Ethnarch, wurde Hyrkan in seiner Eigenschaft als Hohenpriester bestellt. Aristobul, seine Söhne Alexander und Antigonus sowie seine zwei Töchter wurden als Kriegsgefangene nach Rom gebracht. Die Partie des Antipater war gewonnen. Er hatte nichts zu tun, als zu dem naturgegebenen Ablauf der Dinge Vertrauen zu haben und sich entschlossen auf die Seite der stärkeren Bataillone zu stellen; denn die mußten hier aus dem Grunde erscheinen, weil die ganze äußere Situation 94 lediglich eine Frage der Macht geworden war. Daß sie es wurde, lag nicht nur an Rom und seiner Art, einen Universalismus zu predigen und zu realisieren, der nur die unwahrhafte Benennung eines ganz ungehemmten Imperialismus war; es lag auch in der Art, in der das jüdische Volk auf Rom reagierte. Bislang hatte man sich mit jeder politischen Oberhoheit abgefunden, wenn sie nur die Autonomie des Gemeinwesens, die Möglichkeit seiner geistigen Gestaltung im Inneren unangetastet ließ. Das tat Rom in vollem Umfange. Selbst ein Pompejus hatte, als er nach der Einnahme Jerusalems in die inneren Tempelräume eindrang, nichts von dem goldenen Kultgerät und von den beträchtlichen Tempelschätzen gestohlen. Religiöse Probleme interessierten Rom nur insoweit, als sie politische Folgen haben konnten, nicht aber, soweit sie Angelegenheit eines wirklichen Glaubens oder gar einer sittlichen Überzeugung waren. Darum konnte Rom getrost die Weltherberge aller Götter werden, mit denen es in Berührung kam, und die Anbeter dieser Götter unterwerfen und vernichten. Da religiöse Probleme zudem die Möglichkeit von Komplikationen in sich schlossen, ließ man sie schon aus praktischen Gründen unangetastet. Das änderte sich erst später, als die Akklimatisierung an die Vorstellungen des griechischen Polytheismus den Herrscherkult erzeugten. Aber dem gerade unterworfenen Judäa gegenüber war Rom, was seine innere Autonomie anging, sehr zurückhaltend.

Dennoch war Rom die einzige politische Oberhoheit, mit der das judäische Volk sich nicht abfinden wollte. Mit diesem Rom gab es weder 95 aktiv noch passiv eine geistige Auseinandersetzung oder auch nur eine geistige Berührung. Was Rom geistig zu bieten hatte, war durch den Hellenismus längst in ungemischterer Form angeboten und bereits abgelehnt worden. Es aus zweiter Hand erneut zu akzeptieren, bestand kein Anlaß. Die geschichtliche Idee Roms -– wenn es eine solche überhaupt vertrat – war dem Juden zu Recht gleichgültig, denn die jüdischen Pläne einer »Weltherrschaft« entstammten nicht einem Waffenarsenal, sondern transzendenten Provinzen. Die Autorität, die Rom darstellte und forderte, war dem jüdischen Begriff der Autorität diametral entgegengesetzt. Seine zivilisatorischen Segnungen hätte es vielleicht mit Erfolg aufnehmen und verwenden können, wenn sie nicht durch die Art der Verwaltung römischer Provinzen meist nutzlos gemacht worden wären, denn kein Reich der Welt – von der bestialischen Menschenschlächterei der Spanier in Mexiko abgesehen – hat seine eroberten Gebiete so hemmungslos ausgeplündert wie Rom. Alles, was dem Juden dem Wesen und dem Begreifen nach fremd war, drang hier mit voller Breite und mit einer Unzahl von großen und kleinen, immer aber macht- und willkürbetonten Manifestationen auf ihn ein. Unter dem Andringen dieser Gewaltäußerungen wird auch die Reaktion der Juden einfacher, schlichter, äußerlicher. Es entsteht aus einem Willen zur Abwehr, der sich nur der Mittel der Gegner: der Waffe, bedienen kann, der Begriff des Patrioten. Dieser Begriff des Patriotismus läßt in steigendem Maße die Idee der politischen Freiheit, der Abschüttelung des römischen Joches in den 96 Vordergrund treten. Er führt dazu, daß selbst die letzten Hasmonäer, gegen die gestern noch das Volk in offener Rebellion stand, als die möglichen Retter und Befreier betrachtet werden; daß das Volk sich an eine Dynastie klammert, die es längst verworfen hat und die es jetzt, wo es sich aus einer tödlichen Umklammerung befreien will, mit der Glorie des Anfangs, des Matthatias und des Juda Makkabi umgibt.

Dieser Prozeß wird durch äußere Vorgänge beschleunigt. Der Prokonsul Gabinius, dem die syrische Provinz unterstellt war, teilt aus offensichtlich steuertechnischen Gründen das Land Judäa in fünf Verwaltungsbezirke auf und demonstriert so deutlich die Zerstückelung des einheitlichen Staates in eine Anzahl von Provinzen mit dem Regiment einer oligarchischen Aristokratie. Im übrigen bezeugt ihm Cicero, daß er zu jenen durchaus nicht seltenen Prokonsuln gehörte, die – als ehemalige Konsuln oder Prätoren in die Provinz entsandt und auf deren Einkünfte angewiesen – von organisiertem Raub und Diebstahl lebten. »Er schöpfte ungeheure Goldmengen aus der überreichen Schatzkammer Syriens und brach Kriege gegen friedliche Einwohner vom Zaune, um deren unermeßliche Reichtümer in dem Abgrund seiner Lüsternheit verschwinden zu lassen.« Auf diesem Hintergrunde von Widerstand und Rebellion spielt sich nun der Versuch einer Restauration der Hasmonäer mit einer Anzahl heroischer, aber im Ergebnis verlustreicher und nutzloser Kämpfe ab. Alexander, der eine Sohn des Aristobul, war schon während der Reise nach Rom geflohen, hielt sich jetzt in Judäa auf und fand Anhänger genug, um 97 einen bewaffneten Widerstand gegen Rom und gegen Hyrkan zu versuchen. Er hatte keinen Erfolg. Die Truppen des Gabinius zerstreuten seine Anhänger. Dabei leistete ihm Antipater mit seinen Hilfstruppen wertvolle Hilfe. Im folgenden Jahre gelingt es Aristobul, mit seinem zweiten Sohne, Antigonus, aus Rom nach Judäa zu fliehen. Auch er findet Anhänger, und auch er wird durch römische Truppen, denen Antipater Beistand leistet, geschlagen. Schwer verwundet wird er gefangen genommen und nach Rom zurücktransportiert. Seine Söhne, die auf freiem Fuße bleiben, versuchen noch einmal ihr Glück, finden erneut Anhänger, die das Aussichtslose wagen und entfesseln erneut eine bewaffnete Revolte.

Alle diese Versuche enden mit einer Niederlage und mit außergewöhnlichen Verlusten der hasmonäischen Anhänger. Immer steht auf der anderen Seite – auf der Seite derer, die letzten Endes seine Geschäfte besorgen – Antipater. Er sieht, wo die Macht liegt, und er ist durch nichts gehindert, sich gut mit ihr zu stellen. Das gelingt ihm. Er hatte weder ein Volk noch einen Thron noch eine Idee zu verspielen, sondern nur sein Leben. Aber das setzt er auch ein. Er nimmt meist an den Schlachten persönlich teil und kann eines Tages als starkes Beweisstück Caesar seine mit Narben bedeckte Brust zeigen. So wird er allmählich für Rom der wahre Gegenkontrahent, und nach dem Zusammenbruch der ersten hasmonäischen Restaurationsversuche »ordnete Gabinius die Verhältnisse Jerusalems nach dem Dafürhalten Antipaters.« Daß dieses Dafürhalten einen sehr in die Zukunft gerichteten Plan enthielt, ergibt sich aus einer 98 kleinen, für sich allein belanglosen Tatsache, die aus späteren Wiederholungen ihre Bedeutung erhält: während der Kämpfe gegen Aristobul und seine Söhne bringt Antipater seine Nachkommenschaft, die Träger der zukünftigen Dynastie, zunächst bei dem befreundeten Araberkönig Aretas in Sicherheit.

Die Dinge in Judäa entwickeln sich in den folgenden Jahren in einer äußerlich zwar sehr schwierigen, der Konstellation nach aber für Antipater durchaus hoffnungsvollen Weise. Da die Revolten nicht aufhören, und da immer überlegene römische Truppen zur Verfügung stehen, sie zu unterdrücken, kann Antipater an solchen Unterdrückungen jeweils mit einer Hilfsaktion teilnehmen und damit laufend den Beweis liefern, wie unentbehrlich und nützlich er für Rom ist und wie sehr er nichts als Roms Interessen vertritt. Dabei mußte er es in Kauf nehmen, daß die Römer das Land – seine sichere Beute von morgen – immer wieder schwer schädigen; daß Crassus – der mit Caesar und Pompejus das Triumvirat gebildet hatte – unendliche Schätze aus dem Tempel stiehlt und daß Cassius den Aufstand, der darauf im Volke ausbricht, blutig unterdrückt und 30 000 Judäer als Sklaven in alle Welt verkauft. Antipater konnte darauf vertrauen, daß die natürliche Fruchtbarkeit des Landes – vermerkt doch schon Hekatäus von Abdera, der an die griechische Sitte der Aussetzung von Neugeborenen gewohnt war, mit unverhohlenem Erstaunen: »Moses verpflichtete die Einwohner des Landes, ihre Kinder aufzuziehen, und da diese Sorge wenig Ausgaben erforderte, war die jüdische Nation reich an Männern« 99 – solche Aderlässe jeweils ausgleichen würde. Darüber hinaus durfte er einem Fatum vertrauen, das sich bei ihm und seinem »großen« Sohne in einer erstaunlichen Weise betätigt: jede gefährdete Situation, jedes Mißlingen und jedes Mißgeschick enden mit einem Erfolg, einem Fortschritt und einem Zuwachs an Macht.

Dieses Glück – es ist ein Glück im antik-heidnischen Sinne – bewährt sich während der gefährlichen Situation, in die der römische Bürgerkrieg des Jahres 49 auch Judäa und die zukünftige Dynastie der Antipatriden brachte. Dieser Bürgerkrieg, der in seinen Auswirkungen wegen der Machtverteilung zwischen Caesar und Pompejus sich über das ganze römische Imperium erstreckte, sollte nach den Intentionen Caesars auch Judäa und Syrien einbeziehen. Zu diesem Zwecke entläßt er den in Rom gefangen gehaltenen Aristobul und unterstellt ihm zwei Legionen, mit denen er nach Judäa gehen und sich gegen die Truppen des Pompejus seinen Thron wieder erkämpfen soll. Das bedeutet eine – wenn auch nur aus politischen Gründen notwendig gewordene – klare Entscheidung gegen Hyrkan und die antipatridische Familie. Aber das Schicksal wendet die erste Schwere dieses Schlages sogleich von den Idumäern ab. Kurz vor der Abreise des Aristobul aus Italien wird er von Anhängern des Pompejus, die von dieser Mission erfahren haben, vergiftet. Gleichzeitig wird in Syrien der eine Sohn des Aristobul, Alexander, von dem dortigen Statthalter Scipio, einem Parteigänger des Pompejus, festgenommen, vor ein römisches Gericht gestellt und wegen Verbrechens des Aufruhrs hingerichtet. Das 100 bedeutet für Antipater, daß die Anzahl der hasmonäischen Prätendenten in erfreulicher Weise eine Verminderung erfahren hat. Es ist nur noch ein einziger: Antigonus, übrig geblieben. Hyrkan, sein Objekt, ist kaum noch in Betracht zu ziehen. Der Ausgang des Bürgerkrieges, in dem Caesar durch die Entscheidungsschlacht bei Pharsalus Sieger bleibt, stellt Antipater in eine höchst bedenkliche Situation. Er war bisher durch sein Verhalten in Syrien und in Judäa eindeutig ein Anhänger des Pompejus gewesen. Was wird nunmehr Caesar gegen ihn unternehmen? Wird er das, was er durch die Beauftragung des Aristobul begonnen hat, fortsetzen? Wird es möglich sein, einen Übergang zur Parteinahme für Caesar zu finden? Aber es erweist sich schon hier bei dem Vater, was später bei dem Sohne noch deutlicher wird: die Antipatriden sind Niemandes Parteigänger. Sie sind jeweils bei der Partei, die die stärkere ist und von deren Stärke sich profitieren läßt. Sie haben in keiner Weise die Hemmung der Überzeugung oder der Gesinnung.

So läßt es Antipater garnicht erst zu einer Entscheidung Caesars kommen, sondern nimmt sofort in selbständiger und aktiver Form einen Frontwechsel vor, der Caesar vor eine vollendete Tatsache stellt, zudem vor eine Tatsache, deren Ablehnung er sich, solange er noch nicht vom Imperium vollen Besitz ergriffen hat, nicht leisten kann: Antipater stellt ihm Truppen für seinen Feldzug nach Ägypten, nimmt selbst an dem Feldzug teil und veranlaßt zudem die ägyptischen Juden, dem verbündeten Mithridates bei seinem Eindringen in das Land zu helfen. Damit ist Antipaters 101 Situation als eines Parteigängers Caesars in schlüssigster Form und durch konkludente Handlung klargestellt. Jetzt hat Caesar mit dieser Tatsache zu rechnen. Das geschieht sehr bald darauf in praktischer Form, als der überlebende Antigonus seine Ansprüche auf Judäa bei Caesar geltend macht. Bei diesen Verhandlungen fällt dem Antipater naturgemäß die Rolle zu, die Ansprüche des Hyrkan zu vertreten. Er kann dabei gegen Antigonus ein gewichtiges Argument ausspielen: Antigonus hat immer gegen Rom gekämpft. Er ist ein Element der Unruhe und des Aufruhrs. Man kann ihm das Regiment nicht anvertrauen. Und nun setzt sich das Plädoyer in der unbefangensten Weise als Rechtfertigung eines eigenen, privaten Anspruches fort: er, Antipater hingegen, hat dem Caesar große Dienste geleistet und sich in dem Feldzug gegen Ägypten für ihn erheblichen persönlichen Gefahren ausgesetzt. Das hat zwar nichts mit dem Anspruch des Hyrkan zu tun, stellt aber für beide Parteien stillschweigend klar, daß es bei der Entscheidung um die Herrschaft über Judäa um einen Hintergrundsanspruch des Antipater geht. Dem trägt Caesar durchaus Rechnung, indem er scheinbar alles beim Alten läßt, in Wirklichkeit aber die Situation grundsätzlich und entscheidend ändert: er bestätigt Hyrkan in seiner Eigenschaft als Ethnarch und Hoherpriester. Das ist eine Gebärde. Die eigentliche Neuerung besteht darin, daß er Antipater zum Epitropos, zum Landpfleger über ganz Judäa bestellt und ihm das römische Bürgerrecht verleiht.

Damit ist der Übergang der tatsächlichen Gewalt in Judäa auf Antipater vollzogen und 102 sanktioniert. Die Figur des Hyrkan dient in Zukunft nur noch dazu, die durchaus selbstherrlichen Amtshandlungen des Antipater zu decken und sich dem Volke gegenüber als getreuer und loyaler Diener seines Herrn darzustellen. Das gelingt ihm indessen nicht völlig. Der Übergang der tatsächlichen Gewalt auf ihn ist dem Volke klar erkennbar geworden, und obgleich das Volk noch vor wenigen Jahren gegen die Hasmonäer überhaupt petitioniert hat, will es doch auf keinen Fall einen Idumäer zum Regenten. Schon beginnen die Widerstände gegen ihn zu wachsen, dem das Volk seine Herkunft aus einem Lande, das nicht zu Judäa gehörte und seinem Wesen nach auch jetzt noch nicht gehört, niemals vergessen hat. Es vergaß auch nicht – und es erinnerte seine Nachkommen bei Gelegenheit deutlich daran – daß weder er noch seine Frau, die Idumäerin Kypros, wirkliche Juden seien, und seine Kinder – die Söhne Phasael, Herodes, Joseph und Pheroras sowie die Tochter Salome – machten den Begriff »Halbjuden« im Lande zu einer gangbaren Münze. Man vermerkte auch, besonders unter dem judäischen Adel, mit größter Mißbilligung die Willkürakte des Antipater, die alle Züge römischer Schulung an sich trugen. So veranlaßte er einmal Hyrkan, ihm größere Beträge zu übergeben, die im Namen des judäischen Staates als Bestätigung der Freundschaft nach Rom geschickt werden sollten. Sobald Antipater das Geld in Händen hatte, sandte er es im eigenen Namen ab.

Aber über solche Widerstände hinweg schritt Antipater gemächlich und überlegt zur Verankerung seiner eigenen Dynastie. Auf Grund der Stellung, 103 die Rom ihm zugewiesen hatte, und mit der Begründung, daß Hyrkan wegen der Bürde seines hohenpriesterlichen Amtes nicht entschieden genug die Ordnung im Lande aufrecht erhalten könne, bestellte er seine beiden ältesten Söhne zu Strategen; den älteren, Phasael, zum Verwalter des Distrikts Jerusalem und den jüngeren, Herodes, der damals 25 Jahre alt war, zum Verwalter des Distrikts Galiläa. Daraus entstand der erste wirkliche Konflikt, und er zeichnete mit unheimlicher Präzision den Weg vor, den alle späteren Konflikte bis in die Ohnmacht des Volkes und bis in die Katastrophe hinein gehen sollten.

In Galiläa, das durch seine Entfernung von der Hauptstadt mit ihrer assimilationsbereiten Oberschicht, durch die Nähe Syriens mit der stets aufreizenden Gegenwart römischer Truppen und durch das zu Verstecken und heimlichen Ansammlungen geeignete Gelände, nicht zuletzt aber auch durch die geistige Haltung der Galiläer sich als der gegebene Raum der Revolten und des Willens zur Unabhängigkeit darstellte, hatte ein Galiläer mit Namen Ezechias einen Kreis von Patrioten um sich gesammelt, der zur syrischen Grenze hin einen Guerillakrieg führte. Solche Gruppen, die für Rom Rebellen und Abenteurer waren, genossen im Volke selbst besonderes Ansehen. Sie verkörperten den wachsenden, zu jedem Lebenseinsatz bereiten Widerstand gegen Rom. Sich gerade hier seine Sporen zu verdienen, mußte Herodes besonders reizen. Er betrachtete Galiläa schon jetzt als ein Gebiet, über das er einmal aus eigenem Recht verfügen würde, und darum konnte er keine geltende Macht neben sich brauchen. Er wußte 104 aber auch von seinem Vater her, wie man Rom dient und dabei zugleich die eigenen Interessen fördert. Zur Legitimation des Vorgehens gegen diese Patrioten diente ihm ein Begriff, der in der römischen Gedankenwelt – nicht zuletzt durch Caesars bellum gallicum – stehend geworden war: der Unterworfenen, die novarum rerum cupidi waren, begierig nach Neuerungen, nach Veränderungen. Als solche Neuerungen, die jeweils Roms Eingreifen erforderlich machten, galten vor allem die Bemühungen, sich der römischen Herrschaft zu entziehen, also zum alten Zustand zurückzukehren. Diese Formel war hier anwendbar. Daß Herodes durch einen Angriff auf die galiläischen novarum rerum cupidi zugleich die Zukunft der eigenen Familie sichern helfen konnte, war gewiß ein nicht minderer Anlaß zum Eingreifen.

Sobald sich eine geeignete Gelegenheit bot, fiel er mit den ihm zur Verfügung stehenden Truppen über Ezechias her und ließ ihn mit vielen seiner Anhänger ohne weiteres hinrichten. Diese Aktion verschaffte ihm das besondere Wohlwollen des Sextus Caesar, der damals Syrien verwaltete. Durch das judäische Land aber ging eine ungeheure Erregung. Denn was hier geschehen war, bedeutete nach jüdischem Gesetze keineswegs eine legitime Kriegshandlung, sondern schlicht und eindeutig Mord. Der Protest und die Anklage, mit denen Vertreter der Jerusalemer Gesellschaft sich an Hyrkan wenden, kennzeichnen die Situation vollkommen: »Wie lange willst du denn noch ruhig zusehen? Merkst du nicht, daß Antipater und seine Söhne alle Gewalt in Händen haben 105 und dir selbst nur noch den Namen eines Königs lassen? Du darfst dagegen nicht blind sein, darfst auch nicht glauben, daß du außer Gefahr seiest, wenn du an dir und dem Reiche so leichtsinnig handelst. Denn Antipater und seine Söhne sind ja nicht deine Verwalter, sondern sie gelten als die wirklichen Herrscher.«

Zu diesen selbstverständlichen Feststellungen, deren besondere Erwähnung nur einem Menschen von der geistigen Trägheit des Hyrkan gegenüber nötig war, trat die Aufforderung, gegen Herodes Anklage zu erheben. »Denn das Gesetz verbietet ausdrücklich, einen wenn auch noch so verbrecherischen Menschen umbringen zu lassen, ehe er nicht vom Synhedrion zum Tode verurteilt worden ist.«

Diese Aufforderung bekommt dadurch ihr Gewicht, daß täglich die Mütter der ermordeten Galiläer wehklagend vor Hyrkan erscheinen und die Bestrafung des Mörders verlangen. Hyrkan muß endlich nachgeben und Herodes auffordern, vor Gericht zu erscheinen und sich zu verantworten. Herodes ist, mag er gleich der Sohn des Landpflegers von Judäa sein, immerhin doch ein Untertan des regierenden Hyrkan, und er kann sich weder dem Befehl, noch der Autorität des obersten judäischen Gerichtes entziehen. Das erkennt auch Antipater an, aber er läßt seinem Sohne eine Anweisung zugehen, die geeignet ist, die Tätigkeit des Gerichtes von vornherein wenn auch nicht zu unterbinden, so doch erheblich zu lähmen; die Anweisung nämlich, im Purpurgewande, in fürstlicher Kleidung also, zu erscheinen, und diesen offiziellen Charakter noch dadurch zu unterstreichen, 106 daß er eine genügende militärische Bedeckung im Gericht selbst mit auftreten läßt. Daß er vor der Abreise nach Jerusalem seine Provinz Galiläa ebenfalls militärisch sicherte, leuchtet ein. Die gleiche formelle Anerkennung sowohl der Anklage wie der Autorität des Synhedrions kann auch der römische Landpfleger von Syrien nicht verweigern. Aber Rom erledigt solche Komplikationen weit einfacher. Es ergeht an Hyrkan ein strenger und gemessener Befehl, einen Freispruch für Herodes zu erwirken, das heißt: dem Recht, dessen Grundlagen Rom für die Welt gepachtet hatte, diejenige Gewalt anzutun, die Rom jeweils erforderlich schien. So ist dieser Versuch der Judäer, das wirkliche Recht gegen die Gewalt auszuspielen, schon im Anfang gescheitert. Damit wird zugleich eine Situation sanktioniert: die erste Amtshandlung des Herodes ist für das Volk, für sein zukünftiges Volk, ein Mord; sie ist für seine eigene Auffassung eine legitime und nützliche Handlung. Das ergibt einen Widerspruch, der nie auszugleichen ist und der Mehrzahl der späteren Vorgänge seinen Stempel aufdrückt.

Der Verlauf der Synhedrionssitzung entsprach den Erwartungen, die Antipater an die Bereitstellung von Bewaffneten geknüpft hatte. Von den Schwertern der Söldner umgeben, verharren die Ankläger in Schweigen. Nur einer, der Pharisäer Schemaja, findet den Mut zu den Worten, die hier gesagt werden müssen: »Ich habe noch nie in meinem Leben einen Menschen gesehen – und ich glaube auch nicht, daß Ihr mir einen nennen könnt – der so wie dieser da vor Gericht erscheint. Wer sonst vor das Synhedrion trat, tat 107 es in demütiger und verzagter Haltung, gleich als wolle er unser Mitleid herausfordern. Er hatte die Haare lang herunter hängen und trug schwarzes Gewand. Unser Freund Herodes aber, auf dem die Anklage eines so schweren Verbrechens, des Mordes, ruht, steht da im Purpur, mit geschniegeltem Haupthaar, umgeben von Bewaffneten, und von ihnen wird er uns niedermachen lassen, wenn wir ihn dem Gesetz gemäß verurteilen. Aber dem Herodes will ich keinen Vorwurf daraus machen, daß er mehr an seinen eigenen Vorteil denkt als daran, die Gesetze zu achten. Euch und dem König muß ich den Vorwurf machen, daß ihr euch derartiges bieten laßt. Vergeßt aber nicht, daß es einen allmächtigen Gott gibt . . . und vergeßt nicht, daß der, den ihr heute dem Hyrkan zuliebe freisprechen wollt, euch und den König eines Tages dafür züchtigen wird.«

Das war Mut, abgründige Verachtung und hellsichtige Prophetie in einem. Das war so wirksam, daß das Synhedrion sich trotz aller Gefahren auf seine Pflicht besann und mit der Verhandlung begann. Ihr Verlauf war vorauszusehen, und diesen Verlauf durfte Hyrkan, der selbst Herodes vor das Gericht zitiert hatte, unter keinen Umständen dulden. Der römische Landpfleger hatte Freisprechung befohlen und der Regent von Judäa hatte dem zu gehorchen. Es gab nur einen Ausweg aus dem Dilemma: eine Vertagung der Sitzung noch vor der Urteilsfällung zu bewirken. Das geschieht. Herodes kann sich einstweilen entfernen. Auf dem nötigen Umwege läßt Hyrkan ihm den Rat zukommen, sich so schnell wie möglich aus dem 108 Staube zu machen. Er rettete damit dem, der sein Mörder wurde, das Leben.

Herodes flieht nach Damaskus zu Sextus Caesar. Er ist aus der momentanen Gefahr befreit; aber er ist nicht vom inneren Gewicht der Situation befreit, vor der er hat fliehen müssen. Er hat sie lange in sich getragen und sie später auf die Weise ausgeglichen, deren sein Charakter fähig war: durch Mord an Hyrkan und so vielen Mitgliedern des Synhedrion, als er deren habhaft werden konnte. Das war diejenige Haltung der Notwehr, wie Menschen ohne Eigenwertung, aber mit übersteigertem Eigenbewußtsein sie einnehmen müssen. Daß er da mit dem roten Purpurmantel vor Gericht garnicht aus eigener Kraft stand, sondern weil er die Autorität des römischen Landpflegers hinter sich und den Schutz der Bewaffneten um sich wußte, mag ihm nicht ganz zur Erkenntnis gekommen sein, da er sich ja weitgehend mit dieser Macht identifizierte. Aber das war auf keine Weise zu übersehen, daß dieses Gericht – und damit das Volk, in dessen Namen es sprach – in ihm einen Verbrecher sahen; daß es bereit war, ihn zum Tode zu verurteilen; daß es ihn so wenig achtete und wollte wie seinen Vater; daß da eine Welt der Verneinung und Ablehnung bereit war, ihn aus der Kraft und Geltung des jüdischen Gesetzes zu beseitigen. Gegen Menschen, die so von ihm dachten und ihn so werteten, konnte der Haß ein ganzes Leben lang nicht wieder zur Ruhe kommen; und wäre nicht Hyrkan schon seiner hasmonäischen Abstammung wegen ein Hindernis für ihn gewesen, das man eines Tages zu beseitigen hatte, so wäre er immer noch hassenswert 109 gewesen als derjenige, der ihn vor dieses Gericht berufen und ihm diese erste Niederlage seines Lebens bereitet hatte.

Als er, nach Ablauf vieler Jahre, seine Rache endlich nehmen konnte, übte er sie an einem einzigen Menschen nicht aus: an Schemaja, an dem, der ihn am tiefsten gedemütigt hatte. Das war keine Gebärde der Großmut, obgleich er später sein schonendes Verhalten dadurch motiviert hat, Schemaja habe bei der Belagerung Jerusalems zur Übergabe der Stadt an Herodes geraten. Aber das war eine Ausflucht vor sich selbst, denn Großmut hat Herodes nie gekannt. Das war vielmehr eine Haltung tiefster Wehrlosigkeit einem Menschen gegenüber, der ihn bis in das Letzte durchschaut hatte und es mit gelassener Ruhe aussprach; der Dinge erkannt und gesagt hatte, vor denen der primitive Mensch keine andere Möglichkeit hat als die, sie stillschweigend hinzunehmen. Hier ist nicht einmal die Rache eine zulängliche Antwort.

Als das Synhedrion von der Flucht des Herodes erfuhr, verlangte es von Hyrkan, daß er von neuem eine Aufforderung an ihn ergehen lasse, sich dem Gericht zu stellen. Hyrkan war in begreiflicher Verlegenheit. Aber Herodes kam seiner Unentschlossenheit und Feigheit zuvor. Er hatte keineswegs die Absicht – und er teilte das nach Jerusalem mit – sich dem Gericht ein zweites Mal zu stellen. Er hatte ja noch nicht einmal die erste Aufforderung ausgeglichen. Das war zunächst seine dringlichste Aufgabe. Zu ihrer Vorbereitung kaufte er sich von Sextus Caesar das Amt eines Landpflegers von Coelesyrien, des Libanongebietes. Damit war er – außerhalb von Judäa – 110 in römische Dienste getreten und verfügte über einen doppelten Vorteil: er war gleichsam exterritorial und unterstand nicht mehr dem judäischen Gericht; und er konnte, mit Rom im Hintergrunde, das alle Handlungen seiner Beamten deckte, seine persönliche Rache als eine politische Notwendigkeit Roms erscheinen lassen. Daß diese Rache zu nehmen war, stand fest. Daß er als judäischer Bürger dem Synhedrion unterstand, bedeutete nichts. Gesetze und Institutionen bestanden für ihn nur insoweit, als sie ihn nicht störten oder nicht angriffen. Traten sie dennoch in Funktion, so taten sie ihm Unrecht, und dieses Unrecht befugte ihn zur Selbsthilfe. Der Weg, den die Erziehung seines Vaters ihm zugewiesen hatte: der Weg zu einer persönlichen Macht, mußte gegangen werden. Auf diesem Wege gab es wohl Widerstände, aber keine Rechte. Und folglich kein Unrecht.

So stellte dieser Despot von morgen sich Truppen zusammen und zog in Richtung auf Jerusalem, um die Stadt anzugreifen. Aber Antipater war mit diesem Unternehmen nicht einverstanden. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, daß dieser hoffnungsvolle Sohn den Machtwillen und die Zielstrebigkeit der Antipatriden zum Ausdruck brachte. Aber die Aktion war verfrüht und voreilig. Noch war seine Dynastie nicht offiziell eingerichtet und gesichert. Noch konnte man es nicht wagen, den wachsenden Widerstand des Volkes offen zu mißachten; und ferner – damit die Erklärung der Loyalität wieder einmal in der Öffentlichkeit abgegeben werden konnte: es sei undankbar, gegen Hyrkan vorzugehen, dem er doch seine Rettung verdanke und der ihm immer 111 sein Wohlwollen bewiesen habe. Das letzte Argument, daß Gott die Kriege lenke und er ihm nicht den Sieg geben werde, wenn er den unschuldigen Hyrkan angreife, war eine Konzession an die Masse der Gläubigen.

Es ist anzunehmen, daß Herodes weniger diese Argumente als vielmehr die Autorität des Vaters achtete. Befriedigt hat ihn der Ausgang dieser Expedition nicht. Der Stachel blieb sitzen, und über diese neue Niederlage der verhinderten Rache konnte ihn nur die Erwägung trösten, daß er dem Volke immerhin eine Vorstellung seiner Macht und seiner Entschlossenheit gegeben habe.

Während seine Macht sein ganzes Leben hindurch immer nur eine abgeleitete Macht war – wie oft hat er vor Rom zittern und liebedienern müssen – war die Entschlossenheit ganz seine eigene. Es war eine Entschlossenheit der einfachsten, gradlinigsten Entscheidung, der keine Spur von gedanklicher Erwägung und Intellekt innewohnte, sondern die ein ganz und gar triebhaftes Reagieren aus der Fülle eines so simplen wie brutalen Lebenswillens war und immer in Richtung auf die denkbar größte Befriedigung seiner Lebenslust und seiner Lebensgelüste ging. Das hat ihn nicht nur unverletzlich gemacht, sondern auch alle Situationen der Gefährdung – und sein ganzes Leben bestand in jedem Stadium der Macht aus solchen Gefährdungen – letzten Endes für ihn zum Guten aufgelöst.

Das erwies sich unmittelbar nach dem eben dargestellten Vorgang. Sein Freund und seine Stütze Sextus Caesar wurde von einem Anhänger des Pompejus getötet. Bald darauf fällt die zweite, 112 noch wesentlichere Stütze, in deren Hand ausschließlich die augenblickliche Machtstellung der Antipatriden lag: Caesar wurde ermordet. Einer der Mörder – Cassius, der dem Caesar den Dolch ins Gesicht gestoßen hatte – war zudem auf dem Wege nach Syrien, um sich hier für den Kampf gegen die Erben des Caesars auszurüsten; das heißt: von den Provinzen so viel Geld zu erpressen, als er zur Aufstellung einer Armee benötigte. Sein Verhalten gegenüber den Antipatriden als den bisherigen Anhängern Caesars war nicht abzusehen. Aber so wie Antipater den Caesar vor die vollendete Tatsache des loyalen und diensteifrigen Verhaltens gestellt hatte, so tat er es auch seinem Mörder gegenüber. Kaum hatte er zur Kenntnis genommen, daß Cassius dem Lande Judäa die ungeheure Summe von 700 Talenten als Kontribution auferlegt hatte, machte er sich mit seinen Söhnen sofort daran, das Geld im Lande aufzutreiben. Es geschah mit der größten Härte und Rücksichtslosigkeit. Es ging ja hier nicht um die Ausplünderung des Volkes, sondern um die Befestigung der eigenen Position gegen den augenblicklichen römischen Machthaber. Herodes ist als erster mit der Eintreibung der Gelder in Galiläa fertig. Aus mehreren Städten, die nicht rechtzeitig oder nicht genügend abliefern, – darunter Emmaus und Lydda – werden die Bewohner als Sklaven verkauft. Aber die Position der Antipatriden ist gerettet und gefestigt.

Zwar im Lande selbst drängte dieses brutale Verhalten und die immer sichtbarer werdende Bindung der wahren Regenten an Rom und seine Willkür zu einer Explosion. Der Plan einer 113 gewaltsamen Beseitigung der Antipatriden gewinnt festere Gestalt. Es bildet sich eine Verschwörung, deren Haupt Malichus, ein alter hasmonäischer Feldherr ist. Antipater erhält Kenntnis von diesem Komplott und begibt sich sofort jenseits des Jordans, um dort Truppen zusammen zu ziehen. Es gelingt aber dem Malichus, den Verdacht zu zerstreuen. Antipater kehrt nach Jerusalem zurück. Aber bei einem Mahle, das sie gemeinschaftlich bei Hyrkan einnehmen, besticht Malichus den Mundschenk und läßt Antipater Gift reichen. Das Haupt der Antipatriden stirbt daran.

Aber es ist nichts damit erreicht. Zwar bemächtigt Malichus sich der Stadt Jerusalem, aber zu einer grundlegenden Änderung der Situation ist nichts vorbereitet. Während Phasael, der Jerusalem verwaltet, sich zum Schein und zur Vorsicht mit Malichus, der die Tat leugnet, aussöhnt, rückt Herodes sogleich mit Soldaten vor Jerusalem. Auf Anraten des Malichus wird Herodes das Betreten der Stadt verboten, mit der Begründung, das Schewuot-Fest stehe unmittelbar bevor und es sei unmöglich, jetzt fremde Söldner einzulassen. Herodes wartet die Nacht ab und steht dann am anderen Morgen mit seinen Truppen unversehens in der Stadt.

Aber weiter geschieht nichts. Es scheint, als habe der Tod des Vaters dem Verhalten des Sohnes sofort eine andere Dynamik gegeben. Nicht, daß er irgend etwas von seinem jetzigen und zukünftigen Anspruch fallen läßt; nicht, daß sein Wesen sich irgendwie ändert; aber es ist offenbar etwas von der politischen Haltung des Vaters auf den Sohn übergegangen, der jetzt die Zukunft der 114 Dynastie trägt, etwas, das die Spontanität seiner Reaktionen unter Kontrolle nimmt, etwas, das ihn bei jedem Schritt vorsichtig auf den Träger der großen Gewalt, Rom, schauen läßt. Er tut jetzt zum ersten Male etwas, was er später immer wiederholt hat, sobald innerhalb seiner eigenen Familie Entscheidungen zu treffen waren, die um Tod oder Leben gingen: er wendet sich an Rom. Er schreibt dem Cassius, sein Vater sei ermordet worden und Malichus sei der Mörder. Er liefert sein Verhalten in der Rache am Mörder seines Vaters seiner Obrigkeit aus.

Die Antwort befriedigt ihn: er möge seinen Vater rächen. Er tut es; auf schlichte und geräuschlose Weise. Einige Tribunen, die Cassius ihm zur Verfügung gestellt hat, treffen den Malichus in Tyrus nahe am Meeresufer, wohin Herodes ihn durch die Einladung zu einem Freundschaftsmahl gelockt hat. Er wird dort niedergemacht. Aber damit ist nur die persönliche Rechnung beglichen. Die Gesamtsituation im Lande ist ihm immer noch ungünstig und wird mit jedem Tage drohender. Die Zeit der allgemeinen Unruhe, in der die Aufmerksamkeit Roms anderem als dem kleinen Lande Judäa gilt, schien dem letzten überlebenden Hasmonäer, Antigonus, zu einem neuen Versuch geeignet, die Situation an sich zu reißen. Dabei leistete ihm sein Schwager Ptolemäus Mennaei und Marion von Tyrus Hilfe. Marion drang in Galiläa ein und besetzte einige Festungen. Antigonus selbst stand schon an der Grenze von Judäa. Dagegen spannt Herodes alle Kräfte an. Mit schnellen und forcierten Angriffen vernichtet er diese Anfangserfolge. Er befreit die Festungen und treibt 115 Antigonus von der Grenze zurück.

Diese Leistung mochte militärisch nicht bedeutsam sein. Die Festungen waren schwach, die Gegner zahlenmäßig gering und schlecht ausgerüstet, während Herodes über geschulte römische Truppen verfügte. Um so bedeutsamer war der innenpolitische Erfolg, den Herodes daraus machte. Gab er sonst alle seine Aktionen als im Interesse Roms liegend aus, so hatte diese Aktion als ein Sieg Hyrkans zu gelten. Nicht für sich selbst und seine Dynastie von morgen, sondern für Hyrkan und um dessen Herrschaft gegen den Sohn des einstigen Rivalen Aristobul zu retten, war er ins Feld gezogen. Das verlangte Anerkennung und entsprechende Belohnung. Hier war eine einzigartige Gelegenheit gegeben, sich gegen das Volk die Mitwirkung des offiziellen Regenten zu sichern. Und Hyrkan blieb nichts anderes übrig, als mitzuwirken. Seine Lage war längst so zweideutig geworden, daß er sich wider seinen Willen mit Herodes identifizieren mußte. Denn was immer gegen Herodes unternommen wurde, richtete sich zugleich auch gegen ihn. Und so mußte er, was Herodes angeblich für ihn getan hatte, auch gegen sich gelten lassen.

Als Herodes von diesem Feldzug heimkehrte, trat Hyrkan ihm, Vertreter des Volkes neben sich, bei seinem Einzuge in Jerusalem entgegen, um ihm den Kranz des Siegers zu überreichen. Um noch deutlicher zu machen, daß dieser Sieg in Fürsorge für die hasmonäische Dynastie erkämpft worden sei, treten jetzt der Letzte der Hasmonäer und der Erste der Antipatriden, der Letzte aus der Familie der Befreier und der Erste aus der Familie der 116 Unterdrücker in verwandschaftliche Beziehungen. Mariamne, die Tochter des hingerichteten Alexander, der zugleich ein Neffe und der Schwiegersohn Hyrkans gewesen war, wird Herodes zur Braut bestimmt. Die sterbende Dynastie legitimiert die aufstrebende Dynastie durch die Bande des Blutes.

 


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