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Im Jahre 140 war der Hasmonäer Simon zum König von Judäa proklamiert worden. Im Jahre 37 trat der König Herodes sein Amt an. Eine neue Dynastie setzte den Irrweg, den die Hasmonäer eingeschlagen hatten, als einen gewußten und gewollten und geistig ihr gemäßen Weg fort. Es tritt das Einmalige in der Geschichte des jüdischen Volkes zutage, daß es von einem König regiert wird, der nicht zu ihm gehört; der von außen kommt und sich mit Roms Hilfe sein Amt erzwingt; von einem König, den das Volk nicht will und den es doch erdulden und ertragen muß. Als es die Hasmonäer auf sich nahm, hatte es zugleich auf eine weitere, vom Volke selbst zu bestimmende Form der Regierung verzichtet. Die Demokratie, die im Grunde der Theokratie liegt – denn in der Theokratie erfolgt die Willensbildung des Volkes von ihm selbst aus nach den Grundsätzen einer Idee, die es sich selbst gegeben hat oder der es sich, als einer vom Glauben gegebenen Wahrheit, in Freiwilligkeit unterordnet – war damit aufgegeben worden. Dafür tauschte es eine weltliche Monarchie ein, in deren Grunde stets der Keim der Tyrannis ruht. Sein Nährboden ist der Glaube an den Selbstzweck der Monarchie; das Bewußtsein, daß das Königtum sich selbst mit seinen dynastischen Interessen zu vertreten habe und nicht eben jene Idee, nach der eine Gemeinschaft in der Theokratie ihr Dasein ordnet. Die extreme Form eines solchen Monarchen bietet sich im Usurpator, in dem, für den das Regiment alles und die Regierten nichts bedeuten.
Es gibt Völker, für die das Erdulden einer 156 Tyrannis kein inneres Problem darstellt. Ihnen ist Genüge getan, wenn die äußere Ordnung des Lebens dabei zu ihrer Zufriedenheit ausfällt; wenn Ruhe herrscht und der wirtschaftliche Aufstieg des Einzelnen nicht gefährdet wird. Zuweilen gehen sie auch dazu über, der Tyrannis nachträglich einen Sinn zu geben und im Diktator, den sie gestern noch nicht gewollt haben, den bündigen Ausdruck ihrer Kraft und ihres Willens zu sehen. Im jüdischen Volke war eine solche Erledigung des Problems, ein solcher freiwilliger Selbstbetrug nicht möglich. Unverrückbar stand im Hintergrunde der nie aussetzenden Kämpfe die Idee von der Gestaltung der Gemeinschaft auf der Linie der alten gläubigen Idee. Zwar wird die Ebene des Kampfes, da sie gegen die Gewalt des Regimes gerichtet ist, wesentlich verschoben und so in den äußerlichen Widerstand gedrängt, daß über dem rein nationalen und patriotischen Aspekt die innere Linie des Widerstandes zu verschwinden scheint – aber dennoch geht hier im Kampf gegen den Fremden der Kampf gegen das Fremde vor sich. Die Dramatik dieser Kampfhandlungen kommt dadurch zustande, daß der Repräsentant des Fremden, der Fremde an sich, mit der Wucht seiner Persönlichkeit, mit der Gewalt seines Willens und mit der Hemmungslosigkeit seines tyrannischen Anspruchs sich mitten in den Brennpunkt des Geschehens stellt. In diesem Brennpunkt aber überschneiden sich zwei Strahlenbündel. Der Kampf gegen Herodes ist nicht ein Kampf gegen den König der Judäer – als solcher ist er niemals endgültig von den Judäern anerkannt worden – sondern gegen die Kreatur und den Repräsentanten Roms. Bei 157 allen Auseinandersetzungen ist darum letzten Endes Herodes gar nicht gemeint, sondern nur das, was er vertritt. Je leidenschaftlicher und privater er sich mit seinen ganz persönlichen Manifestationen und Reaktionen in den Vordergrund stellt, desto entscheidender macht ihn der Widerstand des Volkes unpersönlich, desto hartnäckiger löscht er ihn als das, was er sein möchte; als König der Judäer, aus. Da er aber sich selber maßlos will, muß er sich gegen diese drohende Verneinung und Auslöschung mit den letzten triebhaften Kräften der Kreatur wehren. In seiner primitiven Denkweise verdichtet sich dieses unterbewußte Gefühl der moralischen Auslöschung und Vernichtung zur Furcht vor der realen, körperlichen Vernichtung, zur ewigen panischen Angst vor Anschlägen auf sein Leben. In diesem Kampfe um die Selbstbehauptung im einen wie im anderen Sinne – dem Odium aller Tyrannis – beginnt der Usurpator in das problemerfüllte Menschentum hineinzuwachsen.
Es kann nicht verwundern, daß Herodes an den Beginn seiner Regierung Hinrichtungen und Konfiskationen nach römischem Muster stellte. Er hatte mit seiner Gegnerschaft abzurechnen. Seine erste Verfolgung galt den Mitgliedern des Synhedrions, die einmal über ihn zu Gericht gesessen und ihn hatten fühlen lassen, daß er ein dem Gesetze Untergeordneter war. Er bewies jetzt mit seiner Rache, daß er diese moralische Niederlage noch nicht überwunden hatte. Nur den Schemaja schonte er, denn in dessen drohender Voraussage, Herodes werde das Synhedrion eines Tages dafür strafen, daß es ihn verschont habe, sah er mit der 158 schlichten Einfalt des Heiden eine göttliche Voraussage, die sich jetzt erfüllte. Sodann ließ er 45 jüdische Adlige, Anhänger des Antigonus, hinrichten und ihr Vermögen einziehen. Als die Getöteten zur Bestattung vor die Stadt gebracht wurden, stellte er in den Toren Wachen auf, die die Leichen eingehend untersuchten und ihnen alles Gold und allen Schmuck abnahmen, mit dem sie bestattet werden sollten. Das geschah, weil die Kosten der Eroberung eingebracht werden mußten und weil das glückliche Gelingen des Unternehmens neben der vereinbarten Zahlung an Antonius auch besondere Geschenke an seine Freunde erforderte. Auch die von Antigonus zurückgelassenen königlichen Kleinodien wurden zusammengerafft und alle Besitzenden in der Stadt mit ungewöhnlichen Abgaben belegt. So konnte Herodes seinen ersten Verpflichtungen nachkommen.
Die reichliche Beschenkung des Antonius und seiner Freunde hatte aber noch einen besonderen Grund. Sie war eine Vorsorge, die einer tiefen inneren Unsicherheit entsprang. Zwar war der Thron erobert, aber er war keineswegs gesichert. Das bewiesen ihm deutlich die Berichte, die er aus Babylonien bekam. Hyrkan, den die Parther dorthin verschleppt hatten, wurde dort keineswegs als Gefangener behandelt. Phraates, der König der Parther, sah in dem alten Hyrkan durchaus einen Vertreter der hasmonäischen Dynastie und behandelte ihn entsprechend. Er ließ ihm volle Bewegungsfreiheit und hatte nichts dagegen einzuwenden, daß die zahlreichen babylonischen Juden Hyrkan als König und Hohenpriester ihres heimatlichen Reiches achteten und entsprechend ehrten. 159 Hyrkan akzeptierte diese Ehrungen, aber gleichwohl quälte ihn ein kindliches Heimweh nach Jerusalem. In aller Unbefangenheit erwog er den Gedanken an eine Rückkehr. Er glaubte daran, daß der neue König mit dem er sich längst abgefunden hatte, ihm sein freundschaftliches Verhalten von einst jetzt wohl zum Guten anrechnen würde. Vergebens redeten die babylonischen Juden ihm zu, bei ihnen zu bleiben. Eine Botschaft des Herodes an ihn bestärkte ihn in seinem Glauben und seinem Willen. Diese Botschaft konnte nur auf ein Gemüt von der Einfalt des Hyrkan Eindruck machen, und war ganz offensichtlich auch darauf berechnet: Hyrkan möge den König Phraates und die Juden bitten, sie möchten es ihm nicht mißgönnen, wenn er nach Jerusalem zurückkehrte, um dort seine, des Herodes Herrschaft zu teilen. Zugleich erging, mit Geschenken versehen, eine Gesandtschaft mit der gleichen Bitte an den König Phraates.
Der wahre Grund dieser dringlichen Botschaft war sehr schlicht: Herodes wünschte nicht, einen Vertreter der hasmonäischen Dynastie in einer Umgebung zu wissen, die ihm so offenkundige Sympathien entgegenbrachte. Er zog es vor, ihn für alle Fälle in seiner Nähe und damit in seiner Gewalt zu haben; und da er unbefangen genug war, bei allem, was er erreichen wollte, sich auf die Tonart und das Wesen des Anderen völlig und ohne jede Hemmung des Charakters einzustellen, mißlangen ihm seine Absichten sehr selten. In diesem Falle gelangen sie vollkommen. Hyrkan kehrte erfreut nach Jerusalem zurück, von den babylonischen Juden mit reichlichen Geldmitteln 160 versehen. Er wurde mit den gebührenden Ehren empfangen und sonnte sich in Behaglichkeit und Heimkehrfreude.
Herodes glaubte damit rechnen zu können, daß er sich mit dieser Heimberufung des Hyrkan beim Volke einiges Wohlwollen verschaffen würde. Aber schon der nächste Schritt, den er tat, setzte ihn erneut zu der Gesamtheit der Bevölkerung in Widerspruch, selbst zu den Sadduzäern, die sein gesamtes Verhalten als König und Tyrann gebilligt haben würden, wenn er nicht eben ein Idumäer und der Vernichter ihrer hasmonäischen Dynastie gewesen wäre. Es ergab sich die Notwendigkeit, den vakanten Posten des Hohenpriesters neu zu besetzen. Ihn unbesetzt zu lassen, wagte auch Herodes nicht. Andererseits wollte er vermeiden, diesem Amte dadurch ein wirksames Schwergewicht zu geben, daß er dem Volke die Besetzung überließ. Er zog es vor, einen ihm gefügigen und ganz von außen kommenden Menschen damit zu betrauen. Er wählte einen babylonischen Juden aus priesterlichem Herkommen namens Chananel.
Der Erfolg dieser Ernennung war überraschend. Es erhob sich ein leidenschaftlicher Protest von allen Seiten. Solange noch ein Mitglied der bisherigen Priesterfamilie existierte, kam ihm dieses Amt des Hohenpriesters zu. Und es lebte noch in Jerusalem, am königlichen Hofe selbst, der Enkel des Aristobul, der Bruder der Mariamne, Aristobul III., des Herodes leiblicher Schwager. Er allein war für dieses Amt berufen, und seine Einsetzung wurde stürmisch verlangt. Das bedeutete aber, einem Hasmonäer das wesentlichste Amt neben 161 der Königswürde im Lande zu verschaffen und ihn damit in allzu bedenkliche Nähe des Thrones zu bringen. Vielleicht hätte Herodes, da dieses Verlangen vom Volke kam und er nach dem Verlangen des Volkes nicht fragte, diesen Widerstand mit den gewohnten Mitteln beseitigt. Aber dagegen war er ohnmächtig, daß die Angelegenheit über das Reich hinaus in die Hände seiner Freunde und latenten Gegner, in die Hände Roms gespielt wurde. Das änderte seine Position grundlegend, und es belastete ihn innerlich und äußerlich ungewöhnlich schwer, daß der Anlaß dazu im eigenen Hause weilte. Alexandra, seine Schwiegermutter, die Mutter der Mariamne und des jungen Aristobul, hatte eine diplomatische Aktion ins Werk gesetzt, die sich verhängnisvoll auszuwirken drohte. Sie hatte den intelligenten Weg beschritten, sich an Kleopatra zu wenden. Durch einen Harfenspieler ließ sie ihr einen Brief übermitteln, in dem sie, als Frau und Mutter, den Beistand der Ägypterin anrief und sie um Geltendmachung ihres Einflusses bei Antonius bat. Vielleicht hatte Alexandra einen Instinkt dafür, daß die Stellung der Kleopatra zu Herodes eine zweideutige war. Spätere Ereignisse stellten das klar. Vielleicht wußte sie, daß Herodes vor Jahren einmal den dringlichen Antrag der Kleopatra, ihre Gastfreundschaft anzunehmen, abgelehnt hatte. Jedenfalls setzte die Ägypterin ihren Einfluß ein. Aber Antonius zögerte mit der Erfüllung ihrer Bitte. Es war verständlich, daß er seinem Schützling mit der ewig offenen Hand nichts zuleide tun wollte. Da griff Alexandra nochmals ein, und zwar mit einer Aktion, die einen ungewöhnlichen Scharfblick für den Charakter 162 des römischen Antonius aufzeigt, wenngleich sie nebenher ein seltsames Licht auf die moralische Wertung der Kampfmittel wirft. Ein Freund des Antonius, Dellius, der in irgend einer Angelegenheit nach Jerusalem kam, lernte die Kinder der Alexandra kennen. Er war von ihrer Schönheit begeistert. In einer vertraulichen Besprechung gab er der Mutter den Rat, von ihren Kindern Bilder anfertigen zu lassen und sie dem Antonius zu schicken. Er glaubte dann, für die Erfüllung der Bitte garantieren zu können.
Der Grund für diese Zuversicht lag in der schlichten Erwägung, daß der Römer, wenn er die Gemälde zu Gesicht bekäme, bestimmt an seinem schwachen Punkte, an der erotischen Skrupellosigkeit, getroffen werden würde. Damit hatte er sich keineswegs verrechnet. Zwar mußte Mariamne, als Frau seines Schützlings und als Frau überhaupt, deren Erscheinen die Eifersucht der Kleopatra hätte reizen können, für ihn tabu bleiben. Dasselbe galt jedoch keineswegs von dem schönen Jüngling Aristobul. Mit aller Unbefangenheit schrieb er an Herodes, man möge ihm den Jüngling zuschicken. Das brachte Herodes in eine höchst fatale Situation. Er kannte seinen Freund Antonius genau und wußte gut, wessen er sich von ihm zu versehen hatte. Ihm den jungen Menschen ausliefern, bedeutete, ihm ein Werkzeug gegen sich selbst in die Hand zu geben. Ihm den Jüngling schlechthin verweigern, bedeutete, ihm die Möglichkeit zum Eingreifen in die inneren Verhältnisse des Staates zu geben. Er mußte also einen Mittelweg finden, der zugleich den römischen Freund und die Opposition im Schoße seiner 163 Familie unschädlich machte; denn auch seine Gattin bestürmte ihn, ihren Bruder nicht beiseite zu setzen; und von den Intrigen der Alexandra war noch manches zu erwarten.
Um sich des Antonius zu entledigen, schrieb er ihm einen untertänigen Brief: er könne es nicht wagen, seine Bitte zu erfüllen, denn sobald der junge Aristobul auch nur einen Fuß außer Landes setze, werde das Volk bestimmt einen Anlaß darin sehen, wieder zu revoltieren. In Wirklichkeit hatte er jetzt ein dringendes Interesse daran, zu verhindern, daß Aristobul über die Grenze des Reiches ging, und diese Bindung konnte nur auf zweierlei Weise erreicht werden: entweder durch gewaltsames Festhalten – und das verbot sich mit Rücksicht auf Antonius und bei der gereizten Stimmung der Bevölkerung von selbst – oder durch die Ernennung des Aristobul zum Hohenpriester, durch die Übertragung eines Amtes, das mit einer Residenzpflicht verbunden war; durch das also, was Herodes nicht gewollt hatte und wozu ihn jetzt die Verhältnisse zwangen; ein Zwang, den er niemals vergessen und für den er sich auf die brutalste Art der Welt gerächt hat. Zunächst aber mußte dieser unerträgliche Zwang, um nicht nach außen hin erkennbar zu werden und ihm eine Demütigung zu bereiten, in eine Haltung des Edelmutes und der Großzügigkeit umgedeutet werden. Zu diesem Zwecke berief er einen Kronrat. Die Erklärung, die er dort abgibt, ist in der Anlage ein Musterbeispiel aller späteren Reden, die er gehalten hat und die sämtlich mit einer an Schamlosigkeit grenzenden Offenheit zunächst die persönlichsten Familienverhältnisse klarlegen, 164 sich dann in einer ungehemmten Klage über das Unrecht, das ihm geschieht, fortsetzen und endlich mit einer unbefangenen Anpreisung seiner königlichen Großmut und seines edlen Willens zur Verzeihung ausklingen.
So denunzierte er auch diesmal seine Schwiegermutter Alexandra, daß sie gegen ihn und sein Amt und zugunsten ihres Sohnes bei Kleopatra intrigiert, daß sie ihm sein Königtum streitig macht und dabei vergißt, daß sie damit ihre eigene Tochter um die Würde einer Königin bringt. Sie bringt auch das Reich, das er unter so viel Mühen und Gefahren erobert hat, in die Gefahr neuer Unruhen. Aber er will edelmütig sein und alles das vergessen. Er will sogar den Sohn der Alexandra zum Hohenpriester ernennen, wobei er nicht unterläßt, zu motivieren, daß er Chananel nur eingesetzt habe, weil Aristobul noch ein Kind gewesen sei.
Die Erwiderung der Alexandra bewegt sich auf der gleichen Linie tränenreicher Unwahrhaftigkeit. Sie gibt zu, daß es für sie eine Schande bedeutet habe, ihr jüngstes Kind bei der Besetzung des hohen Amtes übergangen zu sehen; aber nie habe sie daran gedacht, ihm die Königswürde zu verschaffen. Niemand sei für diese Würde geeigneter als Herodes. Mit dem Versprechen, künftig in allem gehorsam zu sein und mit der Bitte um Verzeihung für alle geschaffene Unruhe reichen sich die beiden unversöhnlichen Feinde die Hand zur Versöhnung.
Daß diese erzwungene Situation nach einer Auflösung verlangte, bedarf keiner Erwähnung. Für Herodes kam, um die Situation unerträglich zu 165 machen, hinzu, daß er im Volke mit der Amtsentsetzung des Chananel denselben Unwillen erregte wie mit der Amtseinsetzung. Denn es gab nach jüdischem Recht keine legitime Möglichkeit, einen Hohenpriester seines Amtes zu entsetzen. Es war ein Amt auf Lebenszeit. So waren also beide Akte ungesetzlich. Allerdings gab es zwei Präzedenzfälle. Den ersten hatte Antiochus Epiphanes geschaffen, als er den Jason absetzte und sich durch die Ernennung eines Bruders des Jason das Eingreifen in die inneren Verhältnisse Judäas ermöglichte. Den zweiten hatte Aristobul geschaffen, als er seinen Bruder Hyrkan verstümmelte und sich selber das Amt usurpierte; und jetzt mußte sich Herodes notgedrungen diesen Gesetzesverletzungen anschließen. Er mußte also die Reaktion des Volkes als bitteres Unrecht empfinden, denn er begriff nicht, daß er den Chananel überhaupt nicht hätte einsetzen dürfen und daß alles Folgende nur die Konsequenz dieser berechnenden Eigenmacht war. Aus der Untragbarkeit des Zwanges, unter dem er hatte handeln müssen, und aus der Tiefe des ewig schlechten Gewissens mußte folgerichtig sein Mißtrauen gegen Alexandra, in der er zu Recht eine fanatische Gegenspielerin erkannte, ständig wach bleiben. So wenig sie ihm seine Verzeihung glaubte, so wenig glaubte er ihr die Beteuerung, daß sie nie daran gedacht habe, ihrem Sohn das Amt des Königs zu verschaffen. Aber auch abgesehen davon bestand durchaus die objektive Möglichkeit, daß Aristobul eines Tages, aus eigener Entscheidung oder vom Volke getrieben, und jedenfalls durch seine hasmonäische Abkunft legitimiert, vom Amt des Hohenpriesters aus auf 166 das des Königs übergreifen würde. Und schon die Erwägung dieser Möglichkeit brachte alle Energien des Herodes in Bewegung. Vor allem war zu verhindern, daß die unvermeidliche Auseinandersetzung wieder zu seiner Gefährdung in die Außenwelt drang. Darum ließ er Alexandra scharf kontrollieren. Jeder Schritt, jede Gebärde, jedes Gespräch wurde überwacht und ihm übermittelt. Sie war in jedem Sinne eine Gefangene. Es war ihr nicht einmal gestattet, den Palast zu verlassen. Vielleicht hatte Alexandra die Schärfe dieses Argwohns nicht verdient. Vielleicht aber fühlte sie sich in ihren geheimsten Absichten durchschaut. Gegen das eine wie gegen das andere empörte sie sich leidenschaftlich. Ihre Erbitterung und ihr Haß und nicht zuletzt ihre Angst suchten nach einem Ausweg und einer Lösung. Wieder wandte sie sich an Kleopatra und bat um Hilfe gegen ihre Gefangensetzung. Kleopatra nahm sich auch diesmal ihrer an. Sie ließ ihr den Rat zukommen, mit ihrem Sohne Aristobul heimlich zu ihr nach Ägypten zu fliehen. Dazu war Alexandra mehr als bereit. Sie setzte sofort ein phantastisches Unternehmen ins Werk. Sie ließ zwei Särge herrichten, die dazu bestimmt waren, sie und ihren Sohn aufzunehmen, um heimlich nachts an die Küste befördert zu werden. Dort hatte sie ein Schiff bereit stellen lassen, das sie nach Alexandrien bringen sollte. Alle Vorbereitungen gelangen ungesehen. Mutter und Sohn lagen schon in den Särgen und warteten darauf, aus der Stadt gebracht zu werden. Da zerbrach ein Zufall die ganze Kombination. Der Diener, der mit der Wegschaffung der Särge betraut war, zog einen Höfling ins Vertrauen, den 167 er als ergebenen Freund der Alexandra kannte. Aber gerade dieser Freundschaft wegen war er bei Herodes unbeliebt. Zudem stand er bei ihm in dem Verdacht, an der Vergiftung seines Vaters Antipater beteiligt gewesen zu sein. Der Höfling sah hier eine Gelegenheit, sich die Geneigtheit des Herodes zu verschaffen und damit den gefährlichen Argwohn von sich abzuwälzen. Also teilte er Herodes den Fluchtplan mit. Herodes wartete geduldig, bis die Särge auf dem Wege waren. Dann ließ er sie anhalten und die erschreckten Flüchtlinge in den Palast zurückführen.
Sein Wille, sofort energisch durchzugreifen, erfuhr eine erhebliche Dämpfung dadurch, daß man ihm den Zusammenhang zwischen dem Rat der Kleopatra und diesem Fluchtplan mitteilte. Kleopatra bedeutete Antonius, und Antonius bedeutete Rom, und Rom bedeutete eine Freundschaft, der man unter keinen Umständen Gelegenheit zum Eingreifen geben durfte. Wieder war er gezwungen, den Großmütigen zu spielen, der den ganzen Vorgang als eine belanglose Episode ruhig beiseite legt. Dabei stand zugleich sein Wille fest, auf irgend eine Weise den letzten Grund dieser ständigen Bedrohung, den jungen Aristobul, zu beseitigen. Mit der Geduld eines Wilden wartete er dafür die Gelegenheit ab.
Wenn sein Plan nicht schon bestanden hätte, würde er ohne Zweifel Gestalt angenommen haben durch die Vorgänge in Jerusalem anläßlich des Schawuoth-Festes. Hier trat der junge Aristobul zum ersten Male als Hoherpriester in Funktion. Mochte es die unausgelöschte Erinnerung an die besten Zeiten der Hasmonäer gewesen sein oder 168 mochte die Schönheit und Würde dieser jugendlichen Gestalt das Gemüt des Volkes erregt haben – jedenfalls brachte es in einem Ausbruch spontaner Begeisterung und Freude dem jungen Hasmonäer stürmische Kundgebungen seiner Liebe und Zuneigung dar. Es war eine ungehemmte Begeisterung, eine eindeutige Manifestation, die zugleich unverkennbar gegen Herodes gerichtet war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als stillschweigend und verbissen und mit äußerlich freundlicher Anteilnahme dieses Schauspiel über sich ergehen zu lassen.
Aber seine Stunde kam. Kurz nach dem Fest lud Alexandra die gesamte königliche Familie zu einem Mahl nach Jericho ein. Herodes war in ausgezeichneter Stimmung und voller Leutseligkeit. Nach dem Mahle wurden Kampfspiele veranstaltet, zu deren Teilnahme Herodes den jungen Würdenträger dringend beredete. Er hatte aber vielleicht nicht ohne Bedacht für diese Spiele einen recht heißen Ort ausgesucht, sodaß es sich mit aller Selbstverständlichkeit ergab, daß die Teilnehmer hernach in den großen Fischteichen Kühlung suchten. Wieder redete Herodes dem Aristobul dringend zu, in den Teich zu gehen und seine Schwimmkünste zu zeigen. Der Jüngling ließ sich bereden, seiner Würde zum Trotz mit den anderen Jünglingen zusammen im Wasser zu tollen. Es wurde ein freundschaftliches Geplänkel daraus, in dessen Verlauf einige junge Menschen, gehorsame Geschöpfe des Herodes, den Aristobul wie im Scherz untertauchten. Herodes sah interessiert und belustigt vom Ufer her zu. Die jungen 169 Menschen taten ganze Arbeit. Sie tauchten den Hohenpriester so lange unter, bis er tot war. Er war damals achtzehn Jahre alt.
Nach dem Vollzug dieses Mordes tat Herodes ein Doppeltes. Zunächst stellte er den Willensvollzug wieder her, in dem man ihn strafbarerweise gestört hatte. Da das Amt des Hohenpriesters jetzt vakant war und es einen hasmonäischen Anwärter darauf nicht mehr gab, setzte er mit stiller und bösartiger Entschlossenheit den Chananel wieder in sein Amt ein. Diese Situation war bereinigt und sein Wille war geschehen. Zugleich beteiligte er sich an der allgemeinen und tiefen Trauer, die das ganze Land bis in jedes einzelne Haus hinein erfüllte, in gebührender Weise. Er klagte laut und vergoß wirkliche Tränen. Er ließ eine Aufbahrung und ein Leichenbängnis von ganz besonderem Pomp herrichten und viele Kostbarkeiten mit dem jungen Toten begraben. Er tat darin sogar etwas zu viel. So unbefangen war das Volk nicht, daß es nicht in solchem Überschwang den deutlichen Wunsch erkannt hätte, jeden Verdacht von sich abzuwälzen. Was er mit lärmender Trauer als einen Unglücksfall beklagte, wurde ihm im ganzen Lande als wohl überlegter Mord angerechnet. Eine Welle von Haß kroch gegen ihn an.
Der tiefste Haß aber wuchs in Alexandra auf. In der ersten Zeit nach dem Tod ihres Sohnes trieb die Verzweiflung sie bis an den Rand des Selbstmordes. Aber sie fand allmählich einen Trost für den verbitterten Rest ihres Lebens darin, noch einmal den Tod ihres Kindes rächen zu können. Wieder suchte sie ihre Zuflucht bei der ägyptischen Kleopatra. Mit allen Einzelheiten stellte sie ihr 170 den raffinierten Mord dar und beschwor sie, auf Antonius einzuwirken, daß er Herodes zur Verantwortung ziehe. Das Schicksal der Mutter und des Sohnes bewegte Kleopatra tief, und das unerledigte Ressentiment gegen Herodes kam hinzu, sodaß sie sich der Sache mit größter Energie annahm. Sie zwang Antonius, die Rücksicht auf seinen idumäischen Freund aufzugeben und Herodes zur Verantwortung zu ziehen. Antonius mußte nachgeben, und als er im Frühjahr 34 nach Laodicea kam, befahl er Herodes, dort vor ihm zu erscheinen. Die Anklage, die mit dieser Aufforderung verbunden war, lautete auf Mord.
Jetzt gab es für Herodes keine Ausflucht mehr. Das befreundete Rom war zugleich sein Herr und Richter. Er war sich nicht im Zweifel darüber, daß die Situation äußerst bedenklich war. Antonius war nur unzuverlässig und habgierig; aber Kleopatra war gefährlich. Er traf darum diejenigen Vorbereitungen, die dem ungewissen Ausgang der Reise angemessen waren. Für die Dauer seiner Abwesenheit übergab er seinem Schwager Joseph, dem Gatten seiner Schwester Salome, die Verwaltung des Reiches. Er gab ihm zugleich für den nicht unwahrscheinlichen Fall, daß er aus Laodicea nicht zurückkehren würde, den geheimen Befehl, seine Gattin Mariamne töten zu lassen. Er gab damit nicht nur die primitive Liebe zu erkennen, mit der er an die Hasmonäerin gebunden war; er schätzte auch seinen Freund Antonius richtig ein. Er wußte, daß Mariamne bei einem verfehlten Ausgang des Unternehmens die Beute des Römers werden würde. Als letzte und vielleicht sachlich wesentlichste Vorbereitung nahm er die 171 kostbarsten Geschenke für Antonius und Kleopatra mit auf die Reise.
In Laodicea verteidigte Herodes sich mit seiner gewohnten Geschicklichkeit. Die Verteidigung war nicht schwer. Es waren keine Zeugen anwesend, die etwa den Auftrag an die Jünglinge, Aristobul zu ertränken, hätten bestätigen können. Des Herodes pompöse Trauerkundgebungen konnten bei gutem Willen sogar als Indiz für seine Unschuld gelten. Aber ganz offenbar glaubte ihm Antonius diese Unschuld nicht, denn er ging in seiner Begründung des freisprechenden Urteils von ganz anderen Erwägungen aus, die seine Sympathie für Herodes und seine römische Denkart gleichermaßen bekundeten. Er nahm die Geschenke des Herodes entgegen und stellte sich auf den Standpunkt der Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse eines befreundeten Staates. Ein Souverän, erklärte er, könne für das, was er in seinem Reiche aus wohlbegründeten Erwägungen tue, um seiner Würde willen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Er selbst würde bei solcher Beschränkung nicht König sein mögen. Habe einer einmal die königliche Gewalt, so entspreche es der Billigkeit und dem Recht, daß er davon auch freien Gebrauch mache.
Damit war die Anklage wegen Mordes erledigt. Nicht hingegen erledigt war der Wille der Kleopatra, hier ein Ergebnis zu erzielen, das ihren Wünschen gemäß war. Als einer der Hintergründe dieser Wünsche zeichnete sich jetzt deutlich das Begehren nach einem Teil des herodianischen Besitzes ab. Antonius hielt es für angemessen, seiner königlichen Freundin klar zu machen, daß sie sich 172 um die Angelegenheit der Fürsten nicht zu kümmern habe. Zugleich hielt er es für angemessen, sie dadurch zu beschwichtigen, daß er ihr sehr wertvolle Landstrecken in Galiläa und im balsamreichen Jericho übertrug. Gebiete, die zum Reiche des Herodes gehörten und die Herodes jetzt, nachdem sein Freund Antonius ihm die praktische Anwendung des Prinzips der Nichteinmischung demonstriert hatte, gegen beträchtliche Zahlungen von Kleopatra pachten mußte, um nicht nach außen hin erkennen zu lassen, daß ihm die Gebiete nicht mehr gehörten. So war allen Wünschen der Beteiligten Genüge geschehen; und da die Demütigung für Herodes dieses Mal von Rom kam, akzeptierte er sie stillschweigend, zumal das übrige Ergebnis fast über seine Erwartung ging.
Seine Freude über diesen Erfolg und wahrscheinlich auch der inzwischen lebendig gewordene Glaube an seine eigene Unschuld waren so groß und unbefangen, daß er das Ergebnis sofort seiner Familie in Jerusalem brieflich mitteilte. Mit zufriedener Prahlerei berichtete er, welche Ehren ihm Antonius täglich bei den Empfängen und Mahlzeiten zuteil werden lasse, und wie sehr jetzt alle Gefahr, die ihm von Kleopatra gedroht habe, beseitigt sei. (Er hatte sich inzwischen zu dem Glauben durchgerungen – und suchte auch andere davon zu überzeugen – daß Kleopatra es auf den Besitz des Reiches Judäa abgesehen habe.) Seine Stellung sei jetzt fester als jemals und er werde sehr bald nach Jerusalem zu den Seinen zurückkehren.
Diese triumphierende Nachricht kam in Jerusalem zu einer Zeit an, als mit allem Möglichen 173 gerechnet wurde, nur nicht mit einer Heimkehr des Herodes. Ob ein tief gehegter Wunsch oder eine ungenaue Berichterstattung nun das Gerücht erzeugt hatte: jedenfalls lief die Nachricht um, Antonius habe den Herodes zunächst foltern und dann hinrichten lassen. Im Lande und insbesondere am Hofe zu Jerusalem entstand eine Stimmung der Bestürzung und Unruhe und Verwirrung. Nur Alexandra begann sofort in Aktion zu treten. Sie wandte sich an Joseph mit dem Vorschlage, daß er mit ihr und ihrer Tochter aus dem Palast fliehen und sich unter den Schutz der römischen Legionen begeben sollte, die damals in der Nähe von Jerusalem lagerten. Sie hielt dafür, daß sie dort, falls in der Stadt oder im Palast Unruhen ausbrächen, am besten geschützt seien. Sie gab aber auch mit der Spekulation einer halben Kupplerin zu verstehen, daß Antonius, wenn er ihre schöne Tochter sehen würde, ihr nichts würde verweigern können, nicht einmal den Anspruch auf den Thron von Judäa.
Diese Vertraulichkeit zu dem Manne, der die Interessen ihres Gegners vertrat und zum Henker der Mariamne bestimmt war, war eine natürliche Folge des häufigeren Verkehrs zwischen Joseph und den Hasmonäerfrauen, der sich aus der Pflicht zur Überwachung und aus Gründen der Repräsentation von selbst ergab. Diese Vertraulichkeit erreichte einen solchen Grad, daß Joseph den Frauen endlich den Geheimbefehl des Herodes, Mariamne gegebenenfalls umbringen zu lassen, verriet. Wenn er diesen Verrat damit motivierte, daß er den Frauen beweisen wolle, wie sehr sein Gebieter seine Gattin liebte und wie er selbst im 174 Tode noch mit ihr vereint sein möchte, so verdeckte diese Begründung doch nur eine offenkundige Zuneigung zu der schönen Königin; und Alexandra lohnte diese Zuneigung, indem sie ihrerseits Joseph in ihre Pläne einweihte. In diese Konspiration hinein schlug der Brief des Herodes, und er war dazu angetan, die Verwirrung vollkommen zu machen. Die Pläne fielen in sich zusammen. Aber sie hatten dennoch ihre verhängnisvolle Auswirkung. Ein einziger Mensch lebte am Hofe, der dem Herodes wirklich zugetan war: seine Schwester Salome. Ein Geschöpf gleich ihm, hemmungslos, halbwild, ungebärdig in Haß und Zuneigung, von dem gleichen empfindlichen Ehrgeiz wie ihr Bruder besessen und mit der gleichen Reizbarkeit eines Emporkömmlings. In dem täglichen Zusammensein mit den hasmonäischen Frauen erfuhr sie viel deutlicher und schmerzhafter als ihr Bruder, was es heißt, neben Menschen aus königlichem Geschlecht zu leben, die mit schrankenlosem Hochmut zwischen sich und einer idumäischen Halbjüdin von bürgerlichem Herkommen die Grenze zogen. Dieser Haß und eine tiefe schwesterliche Liebe drängten sie in jeder Situation an die Seite des Herodes, machten sie zu seiner getreuesten Zuträgerin und Spionin und machten sie für ihre Umgebung zu einer beständigen Drohung.
Die Verhandlungen zwischen ihrem Gatten und Alexandra waren ihr nicht entgangen. Seine Zuneigung zu Mariamne blieb ihr nicht verborgen. Auf einem der vielen Wege, die das Labyrinth der Intrigen bilden, erfuhr sie auch die Einzelheiten des Fluchtplanes. Es bot sich eine einzigartige 175 Gelegenheit, ihrem Bruder zu helfen, den Hasmonäerinnen ihren Hochmut heimzuzahlen und den Gatten die volle Wucht ihrer entfesselten Eifersucht spüren zu lassen.
Sobald Herodes zurück war, berichtete sie ihm alles, was sie wußte. Sie tat noch ein übriges: sie beschuldigte Mariamne des häufigeren Ehebruchs mit ihrem Gatten Joseph. Daß das eine Verleumdung war, wußte sie. Daß sie ihren Gatten damit gefährdete, spielte keine Rolle gegenüber dem Wunsch, der Mariamne zu schaden. Aber das gelang ihr erst auf einem Umweg. Zwar war der Zorn des Herodes grenzenlos, aber die Ängste, die er vor dem Besuch in Laodicea ausgestanden hatte, waren noch zu nahe, als daß er sich nicht doch zu einiger Zurückhaltung verpflichtet fühlte. Es war zudem, wenn die Person der Mariamne in Frage kam, noch zweifelhaft, ob Antonius sich an das Prinzip der Nichteinmischung halten würde. Er beschränkte sich daher darauf, seine Gattin unter vier Augen wegen ihrer Beziehung zu Joseph zur Rede zu stellen. Mit der Überzeugungskraft des guten Gewissens gelang es Mariamne, ihn von ihrer Unschuld zu überzeugen. Die Entlastung von dem quälenden Argwohn und seine schlichte, undifferenzierte Liebe trieben ihn jetzt in einen Gefühlsüberschwang aus Schuldbewußtsein, schlechtem Gewissen, Respekt vor der unantastbaren Treue seiner Gattin und der dringenden Bitte um Verzeihung. Immer wieder beteuerte er unter Tränen seine große Liebe zu ihr. Sie hätte dieses Geständnis akzeptieren können, weil es für sie doch keine Entschließungen mehr gab, die sie aus eigener Freiheit hätte fassen können. Aus Gründen der 176 Staatsraison an diese wüste Lebenskraft gebunden, einem Barbaren ausgeliefert, der ihren Bruder ermordet hatte, immer in Unsicherheit, welcher ungefüge Affekt sich in der nächsten Sekunde gegen sie und die Ihrigen entladen würde, bedeutete, nichts als Königin zu sein, die einen Rang inne hat, nicht aber eine Frau, die neben ihrem Gatten einen Raum des Gefühls mit voller Einsetzung des Herzens auszufüllen hat. Und gegenüber den stürmischen Beteuerungen seiner Liebe war der Geheimbefehl an Joseph noch zu frisch in ihrem Gedächtnis. Sie konnte sich endlich nicht enthalten, ihn zu fragen, ob auch dieser Auftrag zu ihrer Ermordung ein Zeichen seiner großen Liebe sei.
Mit einem Schlage änderte sich die Situation. Herodes geriet in einen Paroxismus der Wut. Jetzt hatte er den klaren Beweis der Untreue in Händen, denn dieser Verrat eines Befehles, den er, der allmächtige Tyrann gegeben hatte, er, dem man blind zu gehorchen hatte und gegen dessen Aufträge es einen Widerspruch einfach nicht gab, dieser verbrecherische Bruch des Vertrauens war überhaupt nur vorstellbar als Ausfluß jenes anderen Vertrauens, das aus einer verbotenen und strafbaren Beziehung zwischen Joseph und Mariamne kam. Er schrie wie ein Besessener durch den Palast und raufte sich die Haare. Nur die Erinnerung an Laodicea hinderte ihn, Mariamne zu vernichten. Aber seinen Schwager Joseph ließ er ohne Umstände und ohne vorheriges Gerichtsverfahren hinrichten. Alexandra gegenüber mußte er sich darauf beschränken, sie in das Gefängnis 177 setzen zu lassen. Sie war durch ihre Beziehungen zu Kleopatra vor dem äußersten geschützt.
Kleopatra sorgte aber dafür, daß er nicht zum reinen Genuß der mühsam hergestellten Ruhe kam. Ihre unendliche Habsucht und ihre Manie, sich Männer einzufangen, wurde ihm lästig und gefährlich. Der Verdacht des Herodes, daß sie es auf nicht mehr und nicht weniger als sein Reich abgesehen hatte, bestätigte sich. Sie war wirklich Antonius darum angegangen, ihm Arabien und Judäa zu verschaffen, und sie war nur unvollkommen dadurch befriedigt, daß sie von beiden Ländern nur geringe, wenn auch wertvolle Teile bekam. Aber mit ihnen wußte sie gut zu wuchern. Als sie von dem Zusammentreffen mit Antonius in Coelesyrien nach Ägypten zurückkehrte, beehrte sie ihren königlichen Genossen Herodes mit einem längeren Besuch. Diese Gleichstellung im königlichen Rang kam dem Herodes ziemlich teuer zu stehen. Zunächst bot sie ihm sowohl das arabische wie sein eigenes früheres Land für einen sehr hohen Betrag zur Pacht an. Herodes mußte wohl oder übel darauf eingehen. Nach Erledigung dieses geschäftlichen Teiles benutzte sie den Rest ihres Aufenthaltes, ihr privates Anliegen in den Vordergrund zu stellen. Das heißt: sie machte den eindeutigen Versuch, Herodes zu verführen. Vielleicht haßte sie ihn und wollte ihn in eine Falle locken, deren Name Antonius war. Vielleicht spielte sie nur, weil sie im Augenblick unbeschäftigt war. Aber vielleicht liebte sie ihn auch. Sie waren ja in Wesen und Charakter zwei ebenbürtige Partner. Beide waren sie tyrannisch, machthungrig, verlogen und gefährlich; beide mordeten 178 sie ohne Hemmung, was ihnen im Wege stand; beide waren sie unbeherrscht in ihren Gelüsten, wenn die zivilisatorische Stufe ihrer Ausschweifungen auch eine verschiedene war. Nur in einer Beziehung war Herodes ihr überlegen, und diese Überlegenheit – eine sprunghaft einsetzende Selbstbeherrschung – war eine Folge seiner Unterlegenheit, des Umstandes, daß er nicht wie sie Herrscher aus Herrschergeschlecht war, sondern ein Parvenu, der von Rom abhing. Er hatte etwas zu verlieren; darum durfte er nicht so viel wagen. Darum – und keineswegs aus der Verpflichtung zur Treue gegenüber Mariamne – erwehrte er sich auch der Ägypterin. Er war bereit, das mit den äußersten Mitteln zu tun. Er erwog ernsthaft, ob er sie, da sie nun einmal in seinen Händen war, nicht einfach umbringen lassen sollte. Er war überzeugt, damit nicht nur eine persönliche Gefahr zu bannen, sondern letzten Endes auch dem Antonius einen Gefallen zu tun. Er schätzte wohl die Situation des Zwanges, unter dem sie den Römer hielt, richtig ein; und aus dem Umstande, daß sie sich um Herodes bemühte, schloß er zu Recht, daß sie jeden Augenblick bereit war, dem Antonius die freundschaftliche Treue zu brechen. Aber seine Ratgeber wiesen mit dem gleichen Recht darauf hin, daß Antonius, wenn er endlich von Kleopatra befreit wäre, vielleicht erst ganz seine Liebe zu ihr entdecken würde.
Gegenüber dieser Erwägung – die eine Situation andeutet, in die Herodes selbst wenige Jahre darauf geriet – ließ er seinen Plan fallen, beschränkte sich auf den passiven Widerstand, beschenkte sie reichlich und brachte sie selbst in 179 ehrenvollem Geleit nach Ägypten zurück. Aber es erwies sich, daß Kleopatra sich damit nicht zufrieden gab. Sie erreichte ihn auch noch aus der Ferne. Der arabische König, der ihr Abgaben zu leisten hatte, war mit den Zahlungen säumig. Sie wünschte, daß er dafür bestraft werde, und gab dem Antonius zu verstehen, daß Herodes wohl dieses Amt übernehmen könne. Sie konnte aus kriegerischen Verwicklungen zwischen den beiden Nachbarn möglicherweise Vorteile ziehen. Jedenfalls verschaffte sie damit dem Herodes eine nicht gerade angenehme Belastung. Herodes hatte gerade ein Heer ausgerüstet, um Antonius bei dem bevorstehenden Entscheidungskampfe gegen Octavian zur Hilfe zu kommen. Jetzt erhielt er statt dessen den Auftrag, Krieg gegen die Araber zu führen. Gehorsam machte er sich auf den Weg. Nach einem anfänglichen Erfolge und als er gerade im Begriffe war, seinen Sieg entscheidend auszunutzen, stieß er auf unvermuteten Widerstand. Athenion, den Kleopatra zum Verwalter ihres arabischen Gebietes eingesetzt hatte, und der bislang ein scheinbar unbeteiligter Zuschauer der Kämpfe gewesen war, griff in diesem Augenblick ein, fiel den judäischen Truppen in die Flanke, ermutigte die Araber zu neuem Widerstand und wurde damit zur Ursache für eine vernichtende Niederlage der herodianischen Truppen. So bekam Herodes die Hand der Kleopatra zu spüren, und er hatte, da der Auftrag des Antonius mit dieser Niederlage keineswegs erledigt war, noch nicht einmal die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und sich in Ruhe auf neue Kämpfe vorzubereiten. Er mußte vielmehr mitten im arabischen Bergland 180 sein Lager aufschlagen und sich darauf beschränken, die Araber durch kleine Raubzüge zu belästigen.
Während er sich so mühsam auf die Erfüllung seines Auftrages vorbereitete, suchte ein schweres Erdbeben Judäa heim. Die Verluste an Menschen, Häusern und Vieh waren ungewöhnlich groß. Seine Truppen waren von der Wucht dieser Katastrophe schwer bedrückt und in so verzweifelter Stimmung, daß Herodes einen Angriff mit ihnen nicht wagen konnte. Aber er durfte nicht mehr zögern. Im römischen Imperium schwankte der Boden. Antonius und Octavian rückten einander zur letzten Entscheidung entgegen, während er hier durch Raubzüge gefesselt war. Er griff zum Mittel der Überredung. In einer langen und pathetischen Ansprache, als deren Kernstück sich die Behauptung findet: »Wer das Recht auf seiner Seite hat, hat Gott für sich; wo aber Gott ist, ist auch Macht und Stärke« – und durch Verwendung ähnlicher moralischer Erwägungen bewog er seine Truppen zum Angriff. Diesesmal gelang ihm der Sieg und er nutzte ihn mit äußerster Grausamkeit bis in die letzten Möglichkeiten hinein aus.
Dann zog er befriedigt heim. Jetzt konnte endlich die Zeit beginnen, in der er sich seines Königtums wirklich erfreuen konnte. Das Land war durch das Aufhören der Kriege und durch die Unterdrückung der inneren Unruhen schnell wieder zu Wohlstand gelangt. Es war dicht besiedelt und dicht bebaut und verschaffte ihm sehr beträchtliche Einnahmen. Antonius' Auf trag war erledigt, Kleopatras Absicht war fehlgeschlagen, Alexandra 181 saß, unschädlich gemacht, einstweilen im Gefängnis, im Palaste herrschte Ruhe: er konnte beginnen, sein Leben und sein Königtum zu genießen.
Aber gerade in diesem Augenblick rückte wieder eine schwere Gefahr gegen ihn an, und wieder kam sie von Rom, dem Zentrum seiner Abhängigkeit. Es ist nicht zu verwundern, daß bei einer solchen übermäßigen Unfreiheit, die ihm nur von Fall zu Fall Ruhe gewährte, sein Wille zur Selbstbehauptung und zur Ausübung unkontrollierter Herrschaft in seinem eigenen Reiche sich schrankenlos betätigte. Aber daraus entstand ein Kreislauf. Wenn daheim sich irgendetwas seinem Machtwillen oder auch nur seiner Laune widersetzte, fühlte er sich in seinem Recht und Anspruch so tief gekränkt, daß er daraus die Befugnis ableiten konnte, hemmungslos zu strafen und sich zu rächen. Zudem wußte er, daß er sich im Laufe seiner bisherigen Regierung zwar diesen und jenen Freund erworben hatte, daß aber rings um ihn her Menschen darauf warteten, daß ein Schicksal von außen das bewirken möge, was sie selbst nicht bewirken konnten: ihn zu vernichten. Es erforderte einen grenzenlosen Lebenswillen und ein mehr als durchschnittliches Maß von Eigenliebe, um bei dieser Summe von Ablehnung noch auf Genuß und Lebensfreude gierig zu sein.
Die neue Gefahr, die ihn bedrohte, entsprang dem Ausgang der Schlacht bei Aktium (27 vor der heutigen Zeitrechnung), wo Octavian und Antonius um den Besitz des römischen Reiches kämpften. Octavian siegte. Er schloß die lange vorbereitete Entwicklung in der Staatsform des römischen Gemeinwesens ab, beseitigte die Republik und 182 errichtete das Kaisertum, als dessen erster Vertreter er sich vom Senat den Beinamen des Erlauchten, des Augustus geben ließ. Der besiegte Antonius floh nach Ägypten, um sich dort zum letzten Widerstand vorzubereiten. Auf dem Wege zur endgültigen Auseinandersetzung mußte Octavian also notwendig das Land des Herodes, des bisherigen Freundes und Parteigängers des Antonius, berühren. Der Ausgang dieser Begegnung war mehr als zweifelhaft. Zwar hatte der befohlene Krieg gegen die Araber Herodes im letzten Augenblick davor bewahrt, mit der Waffe in der Hand gegen den neuen Imperator zu stehen; aber schon sein früheres Verhalten hatte seine Einstellung so eindeutig festgelegt, daß eine Auseinandersetzung mit ihm nur unter einem einzigen Gesichtspunkte möglich war: unter dem der Gegnerschaft gegen Octavian.
Die Freunde und die Feinde in Judäa stellten die gleiche Erwägung an, die einen sorgenvoll, die anderen mit mühsam verhaltener Freude. Aber diese Gefährdung als Parteigänger des Antonius war nur eine objektive. Freund und Feind übersahen, daß Herodes letztlich der Parteigänger von niemandem war. Letzten Endes machte er sie mit der Geschicklichkeit dessen, der in seinen Mitteln und in seinem Charakter skrupellos und im Kern seines Wesens böse im vollendetsten Sinne des Wortes ist, zu seinen Parteigängern. Man kann nicht umhin, solche Geschicklichkeit zu bewundern. Akzeptiert man einmal das Böse in einem Menschen als eine gegebene Tatsache, so kann die einzelne Handlung als solche Respekt einflößen. – Herodes begegnete der neuen Situation sofort mit 183 der Schaffung neuer Fakten. Da Antonius der Besiegte und Octavian der unbestrittene Herr war, war es angemessen, ihm – gebeten oder nicht gebeten – als Vasall zu helfen. Dazu bot sich alsbald eine Gelegenheit. Nach der Schlacht von Aktium hatte ein Trupp von Gladiatoren versucht, sich von Kyzikos aus nach Ägypten durchzuschlagen, um dort zu Antonius zu stoßen. Sie wurden von dem Statthalter in Syrien, Quintus Didius, angegriffen. Herodes eilte sofort zu ihm und warf seine Truppen mit in den Kampf ein. So hatte er nicht nur ein fait accompli geschaffen, sondern auch die Lehre seines Vaters befolgt: sofort zu dem überschwenken, der die Gewalt in Händen hat. Octavian konnte auch später nicht umhin, diese Hilfe anzuerkennen. Aber dem Herrn dienen und dem Herrn mißtrauen war für Herodes eines und dasselbe. Er verfügte zwar jetzt über einen Vorsprung, aber noch nicht über eine Gewißheit. Das heißt: ob er morgen noch König von Judäa sein würde, war zweifelhaft. Was er dazu tun konnte, es zu bleiben, mußte jetzt dringend geschehen. Vor allen Dingen mußte Hyrkan beseitigt werden. Er war zwar ein ungefährlicher und einfältiger Greis von mehr als 80 Jahren, aber er war doch ein Hasmonäer, und taugte er gleich wegen seiner abgeschnittenen Ohren nicht mehr zum Hohenpriester, so konnte Rom ihn doch noch zum König machen. Lebte er aber nicht mehr, so war auch niemand vorhanden, den Roma an seiner Stelle hätte einsetzen können, es sei denn ein Mitglied seiner eigenen Familie. Blieb er aber im Amte, so konnte er wenigstens die Reise zu Octavian ohne die Besorgnis wagen, daß man 184 den alten Hyrkan als Vorspann für neue dynastische Unruhen benutzte. Und für den Fall, daß er überhaupt nicht von der gefährlichen Begegnung zurückkehrte, wollte er seinem Wohltäter von einst jedenfalls nicht den Triumph gönnen. Es gab also viele vollgewichtige Gründe, diesen Greis zu beseitigen.
Bei diesen Erwägungen kam ihm zustatten, daß auch die unentwegt hassende Alexandra angesichts der veränderten politischen Situation sogleich wieder mit ihren Intrigen und Konspirationen einsetzte. Für sie war die Möglichkeit der Restauration der Hasmonäer so lange gegeben, als überhaupt noch ein Mitglied des königlichen Hauses am Leben war. Bis zu ihrem Tode hat sie mit einer wilden Hartnäckigkeit an dieser Möglichkeit gehangen und alle Kraft des Hochmutes und des Hasses zur Verwirklichung eingesetzt. Aber sie begriff, daß jedes Unternehmen nur außerhalb Jerusalems gelingen könne, nicht vom Palast aus, wo sie unfrei war. Die bevorstehende Abwesenheit des Herodes mußte unter allen Umständen ausgenutzt werden. Mochte er lebend zurückkommen oder nicht: sie rechnete mit der Möglichkeit, daß ihr Vater oder sie selbst oder ihre Tochter sich wieder des Regiments bemächtigen könnten. Sie ging ihren Vater darum an, sich an den Araberkönig Malchus zu wenden und ihn um sicheres Geleit und um Aufnahme zu bitten. Hyrkan hätte nur zu gerne seine Ruhe gehabt. Er war alt und ohne jeden Ehrgeiz und hatte sich mit seinem Schicksal längst abgefunden. Vielleicht erinnerte er sich auch, wie verhängnisvoll es sich schon einmal in seinem Leben 185 ausgewirkt hatte, daß er sich zu einer Flucht nach Arabien bewegen ließ. Aber Alexandra ließ ihm keine Ruhe. Er war endlich schwach genug, alles zu tun, was sie wollte. Er trat mit Malchus in Korrespondenz. Ihr Inhalt steht, da darüber widersprechende Berichte vorliegen, nicht eindeutig fest. Aber selbst in der weitgehendsten Fassung enthält der Brief nur die Anfrage, ob Malchus ihm Reiter entgegenschicken wolle, die ihn abholen und zu ihm geleiten sollten. Und die Antwort enthielt nur die Erklärung, daß Malchus dazu bereit sei, ihn und jeden Juden, der zu ihm kommen wollte, aufzunehmen. Sonst war mit keinem Worte von irgend einer Aktion gegen Herodes die Rede. Aber schon die Absicht, sich aus Jerusalem zu entfernen und sich dem unmittelbaren Zugriff des Herodes zu entziehen, war für ihn ein Staatsverbrechen, das nur mit dem Tode bestraft werden konnte. Andere Strafen gab es für das Rechtsgefühl des Herodes überhaupt nicht.
Daß er von dieser Korrespondenz überhaupt erfuhr, ergab sich aus der ganzen Situation dieses Tyrannenhofes, wo die ewige Furcht die kleinen und die großen Liebediener und Verräter züchtet. Der Überbringer des Briefes, Dositheus, war an sich ein ergebener Freund des Hyrkan. Er war zudem ein Verwandter des soeben hingerichteten Joseph und hatte allen Grund, Herodes nicht zu lieben. Aber gerade dieser Verwandtschaft mit Joseph wegen mußte er ihn fürchten, und zur Beseitigung dieser Furcht griff er zum Verrat. Er lieferte den Brief des Hyrkan an Herodes aus. Herodes war äußerst zufrieden. Das 186 Schicksal, das ihn zwar vielfach beunruhigte, aber nie endgültig fallen ließ, gab ihm hier Mittel in die Hand. Die Abrechnung mit Malchus, der ihm in der Stunde der größten Not einmal die Hilfe verweigert hatte, mußte auf später verschoben werden. Jetzt mußte Herodes erst seine Antwort in Händen haben, um die Kette von Schuld und Anklage schließen zu können. Er versiegelte den Brief wieder, ließ ihn an den Adressaten gelangen, nahm auf dem gleichen Wege des Verrats die Antwort entgegen und war nun nicht mehr gehindert, den Greis Hyrkan wegen Hochverrats hinrichten zu lassen. Ob er dabei den formellen Weg über das Synhedrion gewählt hat, das inzwischen zu seinem gefügigen Instrument geworden war, steht nicht mit Sicherheit fest.
Dann begann er die Vorbereitungen für seine Reise zu Octavian, und wieder waren seine Maßnahmen auf die Möglichkeiten von Leben und Tod eingestellt. Die Verwaltung des Reiches übertrug er seinem Bruder Pheroras. Er ernannte ihn zugleich für den Fall eines unglücklichen Ausganges der Reise zu seinem Nachfolger. Seine Familie brachte er diesmal getrennt unter, teils, um dem ewigen Unfrieden vorzubeugen, der zwischen den Frauen herrschte, teils um die Konspirationen zu erschweren, mit denen er sicher rechnete. Seine Mutter, an der er ungewöhnlich hing, brachte er ganz außer Landes und außerhalb der Gefahr: nach Zypern. Salome und alle seine Kinder schickte er in die Festung Massada. Mariamne und ihre Mutter wurden in die Festung Alexandrium geschafft. Zu ihrem Schutze und zu ihrer Überwachung bestellte er seinen 187 Schatzmeister Joseph und den Ituräer Soemus. Auch dieses Mal gab er einen Geheimbefehl: sollte die Nachricht eintreffen, daß ihm etwas zugestoßen sei, sollten beide Frauen sofort getötet und alles getan werden, um seinem Bruder oder seinen Kindern die Amtsnachfolge zu sichern. Dann machte er sich auf den Weg nach Rhodus, wo Augustus Octavian sich aufhielt.
Das Verhalten des Herodes bei dieser Begegnung und die Erklärungen, die er dem Imperator abgab, sind schlechthin psychologische Meisterstücke. Schon der Zeitpunkt der Begegnung war geschickt gewählt. Noch lebte Antonius, noch war Octavian gezwungen, seinen Sieg zu vollenden, und noch konnte er es sich nicht leisten, angebotene Hilfe ohne weiteres abzulehnen. Aber Herodes vermied es, diese Hilfsbereitschaft gleich anfangs in die Waage zu werfen. Im Gegenteil: seine Haltung war die des Demütigen. Zwar erschien er zu der Audienz in seinem vollen Schmuck, aber das Diadem, das seine königliche Würde dokumentierte, nahm er ab und hielt es in der Hand. Das war die eindrucksvolle Demonstration: nimm es oder gib es mir wieder; wie du willst. Aber weiter ging seine Demut nicht. Nichts von Erklärungen, Entschuldigungen und Bitten um Nachsicht. Er gab das, was ohnehin sichtbar war, unumwunden zu: seine lange und enge Freundschaft mit Antonius. Er rühmte sich sogar, alles, was in seinen Kräften stand, getan zu haben, um ihn in der Macht zu erhalten. Mit der Waffe habe er ihm allerdings nicht helfen können, aber Geld und Proviant habe er ihm gleichwohl zur Verfügung gestellt. Gewiß sei das im Ergebnis gegen die Interessen 188 des Augustus Octavianus gewesen, aber Freundschaft, wahre Freundschaft, sei schließlich etwas, das nach freundschaftlichen Handlungen und nicht nur nach Worten verlange. Er habe noch bis zuletzt Antonius mit seinem Rat unterstützt, insbesondere dahin, er solle die Kleopatra umbringen lassen. Damit wäre dann das Feld frei gewesen für eine gütliche Auseinandersetzung mit Octavian.
Aber man sieht förmlich, wie Herodes mit halbem Bedauern die Achseln zuckt und den Freund von gestern seinem Schicksal überläßt – Antonius habe den Rat nicht angenommen. Man sehe jetzt den Erfolg: er sei der Unterlegene und Octavian sei der Sieger. Wenn dieser Sieger jetzt den Freund um seiner Freundschaft willen strafen wolle, so müsse es eben geschehen. Nur eines gibt Herodes jetzt mit einer genialen Wendung zu erwägen: letzten Endes habe sein, des Herodes, Verhalten immer den Interessen Roms im Osten des Reiches gedient. Dieses Interesse an der getreuen Erfüllung des Vasallentums gehe noch über die nur persönliche Bindung hinaus. Wer Herr des Imperiums sei, der sei auch sein Herr, und so wie er dem Herrn von gestern die Treue gehalten habe, werde er auch dem Herrn von heute und morgen die Treue halten . . . sofern ihm nur Gelegenheit dazu gegeben werde. Daß er ein treuer Freund sein könne – wagt er mit großer Kühnheit hinzuzufügen – habe er durch sein Verhalten gegen Antonius bewiesen. Es liege in der Hand des Augustus, sich selbst den gleichen Beweis zu verschaffen.
Nach dieser meisterhaften Rundung der Beweiskette konnte Herodes mit einiger Ruhe die 189 Entscheidung des Octavian abwarten. Er hatte den treuen Vasall gespielt. Mehr war er ja in Wirklichkeit auch nicht. Daß er aber dieses Vasallentum als Rolle spielen mußte, kam ihm als eine tiefe Demütigung gar nicht zum Bewußtsein. Und das Ausmaß der Perfidie, mit der Herrschaft auch die Freundschaft zu wechseln, hatte gegenüber den diplomatischen Erfordernissen des Augenblicks überhaupt kein Gewicht. Und entscheidend war, daß seine psychologische Berechnung stimmte. Mochte Octavian ihm glauben oder nicht, ganz zweifellos stand hier ein Geschöpf vor ihm, dessen Verhalten Rom gegenüber immer noch dienend und loyal gewesen war, und es bestand kein Anlaß – zumal der Feldzug nach Ägypten noch zu erledigen war – sich der Hilfe dieses Vasallen zu berauben. Zudem war die Zeit ungeeignet, sich um eine Neubesetzung des judäischen Königtums zu kümmern; und so tat Octavian, was der psychologischen und der politischen Situation angemessen war: er setzte Herodes das Diadem eigenhändig wieder auf, bat ihn um seine Freundschaft und bestätigte ihn als König von Judäa.
Daß Herodes sich diesen Akt der erneuten Amtseinsetzung sofort vom Senat in Rom bestätigen ließ, mußte nicht notwendig als Mißtrauen und Vorsicht, sondern konnte als eine einfache Formalhandlung erscheinen. Zugleich überschüttete er Octavian im Überschwang seiner Freude mit Geschenken. Außer einem Betrage von 800 Talenten stellte er ihm eine luxuriöse Leibgarde zur Verfügung, versorgte sein Heer reichlich und eilte dem Imperator dann nach Ptolomais voraus, wo er ihm und seinen Truppen einen glänzenden 190 Empfang bereitete. Im ganzen waren es Aufwendungen, die weit über das Maß dessen hinausgingen, was ein Reich wie Judäa sich leisten konnte. Aber da Herodes ein Rechner war, wußte er, daß er eines Tages die Gegenleistung einstreichen würde. Und er hat sich darin nicht verrechnet.
Voll von Lebensfreude und Triumphgefühl kehrte er nach Judäa zurück, ließ seine zerstreute Familie nach Jerusalem kommen und war bereit, sie an seiner überquellenden Freude teilnehmen zu lassen. Aber diese Freude wurde ihm auf die widrigste Weise vergällt. Zwar seine eigene idumäische Familie lebte den großen Erfolg mit ihm. Aber von den hasmonäischen Frauen, besonders von Mariamne, wurde er mit unverhohlener Abwehr und fast feindseliger Zurückhaltung empfangen. Da er Mariamne – nächst seiner Mutter – am meisten liebte, glaubte er, auch ihr zuerst persönlich sein großes Glück mitteilen zu können. Er kam gar nicht auf den Gedanken, daß er irgendetwas getan hätte, was seiner Gattin auch nur hätte Grund zum Unmut geben können. Daß sie den streng überwachten Aufenthalt in der Festung Alexandrium schließlich als eine Gefangenschaft betrachten mußte – die es ja auch tatsächlich war – kam ihm durchaus nicht in den Sinn. Dagegen konnte er unmöglich in den Kreis seiner Erwägungen ziehen, daß Mariamne auch diesmal den geheimen Mordbefehl erfahren hatte. Nur war diesesmal nicht der Zufall oder die Zuneigung ihres bestellten Wächters die Ursache, sondern ihr forschendes Mißtrauen. Da sie den ersten Befehl nicht vergessen hatte, wünschte sie dringend zu erfahren, ob diesesmal der gleiche Befehl gegeben 191 sei. Soemus sträubte sich zunächst, etwas zu sagen, aber dann beredete sie ihn endlich doch. Das war möglich, weil er im Grunde genommen – wie alle anderen auch – damit rechnete, daß Herodes nicht zurückkommen würde, keinesfalls aber mit der bisherigen unbeschränkten Machtvollkommenheit. Herodes galt allgemein im Lande als ein verlorener Mann, und darum war nicht nur das Risiko des Verrates gering, sondern auch die Hoffnung begründet, daß die hasmonäischen Frauen ihm eines Tages diesen Dienst reichlich vergelten würden. So erfuhren die Frauen, was ihnen drohte. Die Reaktion der Mariamne war eine natürliche. Sie wünschte brennend, daß Octavian sie von diesem Gatten, von diesem Mörder ihres Bruders und ihres Großvaters, von diesem stets unberechenbaren Wilden befreien möge. Und mit ihr teilte diesen Wunsch fast das ganze Land. Um so schwerer war ihre Enttäuschung über den Ausgang und um so weniger war sie imstande, die Freude ihres Gatten zu teilen. Im Gegenteil: ihr war die grimmige Enttäuschung über seine Rückkehr deutlich anzumerken. Herodes aber geriet über die Inkongruenz zwischen seinem Gefühl und dem der Gattin vollkommen aus dem Gleichgewicht. Daß ein anderer Mensch nicht zur Liebe bereit war, wenn er es war, war ihm völlig unfaßbar. Die kalte Ablehnung verwirrte und erzürnte ihn. Er schwankte haltlos zwischen der blinden Wut des orientalischen Despoten und der hilflosen Verzweiflung gegenüber einer Situation, die er um deswillen nicht verstand, weil sie einen – wenn auch ganz greifbaren – seelischen Hintergrund hatte. Aber die Heftigkeit des Erlebens ist nicht 192 nur für die komplizierten Menschen aufgespart. Stehen dem ungegliederten Menschen auch einfachere Wege zur Verfügung, sich aus der Verstrickung des Seelischen zu befreien – letzten Endes bleibt ihm immer die Gebärde, mit der er das Widerstrebende erschlägt – so sind die Erschütterungen und der Aufruhr ihres Wesens nicht minder heftig. Zwar wandelt sich nichts in ihnen, da sie keine Erfahrungen der Seele sammeln, sondern von Fall zu Fall ganz nackt und unvermittelt vor immer urneuen Situationen stehen; aber gerade darum sind sie gefährlich und unberechenbar. Da ihre Primitivität sie zwingt, immer für den Augenblick zu leben, gibt es keine Voraussage für das, was sie tun und lassen werden.
So wußte auch Herodes nicht, wie er sich in dieser Situation entscheiden sollte. Liebe und Haß schleuderten ihn hin und her. Zwischen Rachedrohung und Werben um Liebe, zwischen Argwohn und gläubigem Vertrauen kämpfte er sich ein volles Jahr hindurch. Zum ersten Male in seinem Leben war er – wenn auch für begrenzte Zeit – durch die Massigkeit seines Gefühles in seinen Entschlüssen gehemmt und gebunden. Vor die Bereitschaft, Mariamne um ihrer kalten Ablehnung willen ein Leid anzutun, drängte sich immer wieder die schreckliche Erwägung, was aus ihm werden würde, wenn er ihr dieses Leid wirklich zufügte und sie nicht mehr am Leben sei.
In dieser unausgeglichenen und unausgleichbaren Situation hielten nur zwei Menschen zu ihm: seine Mutter Kypros und seine Schwester Salome. Verhängnisvoll war nur, daß die Liebe zum Sohne und zum Bruder so eng mit einem fanatischen 193 Haß gegen die hasmonäischen Frauen verknüpft war. Salome vor allem gab ihrer Feindin Alexandra an Bereitschaft zu Intrigen und Konspirationen nichts nach, nur daß sie in der Wahl ihrer Mittel von der gefährlichen Unbedenklichkeit eines ungebildeten Triebwesens war. Um ihr Ziel zu erreichen, schreckte sie vor keiner Lüge, keiner Bestechung, keiner Hinterlist zurück. Ständig trug sie ihrem Bruder wahre und erfundene Geschichten über Mariamne zu. Herodes nahm sie auf, nährte daran seinen Haß, den er doch nicht befreien konnte, wurde unwirscher und ungleichmäßiger im Verhalten gegen seine Gattin, erntete dafür verstärkte Abwehr und immer sichtbarer werdende Feindschaft, und wurde so im circulus vitiosus immer tiefer in seinen eigenen Zorn hineingetrieben.
Aber ehe noch dieser mühsam abgedichtete Vulkan zum Ausbruch kommen konnte, und ihm die bittersten Jahre seines Lebens bereitete, gab ihm das Schicksal zunächst eine weitere Teilzahlung auf das Glück, das er für sich beanspruchte. Die Gegenleistung des Augustus war fällig geworden und verschaffte ihm einen bedeutenden Zuwachs seiner Macht. Antonius und Kleopatra waren tot. Octavian war jetzt auch Herr über Ägypten. Diese Komplettierung seiner Gewalt verlangte eine besondere Huldigung und war auch die gegebene Gelegenheit, sich seiner Großzügigkeit zu empfehlen. So beeilte sich Herodes, nach Ägypten zu reisen. Als er sich von seiner Gattin verabschiedete, unterbreitete sie ihm eine Bitte: er möge den Soemus, der sich durch seine treuen Dienste so ausgezeichnet habe, dadurch Ehre erweisen, daß er 194 ihm eine Stelle als Befehlshaber einräume. Herodes war schon glücklich, daß seine Gattin sich überhaupt mit einem Anliegen an ihn wandte, und erfüllte die Bitte sofort. Etwas beruhigter machte er sich auf den Weg. Es wurde ein lohnender Weg. Er bekam von Octavian verschiedene Geschenke; zunächst – als sinnige Gegenleistung für die Ehrenwache – die 400 Gallier, die die Leibwache seiner früheren Feindin Kleopatra gebildet hatte und mit denen jetzt er, der Überlebende und der triumphierende Sieger, sich ständig umgab. Sodann glich Octavian eine alte und schmerzhafte Demütigung aus: er gab Herodes das Land zurück, das die Ägypterin sich von Antonius erbettelt hatte. Endlich gewährte er ihm eine wesentliche Abrundung des judäischen Gebietes: an der Küste die Städte Gaza, Jaffa, Stratonstrum und Anthedon, und im Gebiet von Samaria die Städte Gadara, Hippos und Samaria. Herodes begleitete Octavian dankerfüllt noch bis Antiochia, dann eilte er nach Hause, wiederum bereit, seine Gattin an der erneuten glücklichen Wendung seines Schicksals teilnehmen zu lassen.
Aber die häusliche Situation hatte sich eher verschlimmert als verbessert. Durch seine Abwesenheit in nichts gehindert, hatte sich die ständige Spannung zwischen den Frauen seiner Familie zu einer offenen und lauten Feindschaft ausgewachsen, die mit allen Mitteln, bis zu dem der wüsten und gegenseitigen öffentlichen Beschimpfung, ausgetragen wurde. Salome, aufs äußerste gereizt, hatte inzwischen einen Plan entworfen, von dem sie aber mit Recht annahm, daß er seine Wirkung auf ein Gemüt und einen Geist wie Herodes nicht 195 verfehlen könne. Sie hatte sich mit dem Mundschenk ihres Bruders ins Einvernehmen gesetzt, und ihn beauftragt, dem Herodes bei Gelegenheit zu berichten, daß Mariamne ihn um die Anfertigung eines Liebestrankes für den König ersucht habe. Für den Fall, daß Herodes diese Mitteilung gelassen aufnehme, solle er sich auf diese Mitteilung beschränken und sich zurückziehen. Für den Fall aber, daß Herodes in Erregung gerate, solle er einen Schritt weiter gehen und vorsichtig andeuten, daß dieser Liebestrank eigentlich einen Gifttrank darstelle. Alles weitere sei dann dem Herodes zu überlassen.
Die Möglichkeit zur Inszenierung dieser Weibertragödie ergab sich sofort nach der Rückkehr des Herodes. Eine intime Familienszene – Mariamne hatte sich geweigert, zu ihm auf sein Lager zu kommen – gab den Hintergrund ab. Seine verletzte Manneswürde und ihr ausbrechender Haß gerieten an einander. Er verdächtigte sie der Untreue; sie beschimpfte ihn als Mörder ihres Bruders und ihres Großvaters. Herodes war empört. Er war kein Mörder. Es stand längst als Wahrheit in ihm fest, daß der junge Aristobul das Opfer eines Unglücksfalles war und daß Hyrkan wegen Hochverrates von einem unparteiischen Gericht für schuldig befunden war. Darum begann er zu schreien. Dieser Lärm des häuslichen Zwistes war Musik für Salome. Sogleich beorderte sie den Mundschenk ab, damit er seine Mitteilung zu dieser günstigen Stunde überbringe. Er kam zur rechten Zeit. Die Beschuldigung erschien dem Herodes jetzt nicht mehr unwahrscheinlich. Er wollte Klarheit haben. Da er wußte, daß Mariamne nichts 196 ohne ihren Eunuchen zu tun pflegte, ließ er ihn herschleppen und befragen. Der Mann wußte nichts. Aber da Herodes einen Verdacht hatte, mußte der Mann wissen. Er wurde gefoltert. Er wußte immer noch nichts. Nur eines konnte er sagen, daß nämlich der Grund des tiefen Hasses, den die Königin ihrem Gatten zutrug, seinen Grund in dem geheimen Mordbefehl habe, der dem Soemus vor der Reise zu Octavian erteilt worden sei. Herodes begann zu brüllen vor Empörung. Jetzt war alles klar. Es hatte sich wiederholt, was sich schon bei seinem Schwager Joseph ereignet hatte; und ganz ohne Zweifel war schon damals ein Ehebruch der Mariamne der Anlaß zum Verrat des Befehls. Anders war es auch jetzt nicht. Darum hatte sie auch die Stirne gehabt, ihn um eine Ehrenstelle für Soemus zu bitten. Es war völlig unnötig, ihn noch darüber zu befragen, oder ihn gar vor ein Gericht zu stellen. Aus eigener Machtvollkommenheit ordnete er an, daß man ihn sofort hinrichte. Es geschah.
Der Königin gegenüber war allerdings ein formelles Gerichtsverfahren notwendig, denn hier konnte die Möglichkeit eintreten, daß er sich einmal Rom gegenüber würde rechtfertigen müssen. Aber die Mitglieder des Gerichtes stellte Herodes selbst aus seinen besten Freunden zusammen, und die Rolle des Anklägers übernahm er persönlich. Seine Anklage war maßlos und überstieg jede Grenze, die selbst durch den formalen Charakter dieses Gerichtshofes noch geboten war. Und schließlich waren es doch fremde Menschen, vor denen er seinen Kummer und den Unrat seines Hauses ausbreitete. Aber solche Rücksicht hat Herodes nie 197 gekannt, weil ihm der Begriff der Scham nicht geläufig war. Es hätte zudem gar nicht dieser maßlosen Erregung bedurft, um das gefügige Gericht zur Fällung eines Todesurteiles als Strafe für den Ehebruch mit Soemus zu veranlassen.
Als Herodes das Urteil in Händen hatte, ebbte seine Erregung etwas ab. Mit der Vollstreckung wollte er sich Zeit lassen. Vielleicht rechnete er damit, daß unter dem Druck dieses Urteiles noch eine Versöhnung zustande kommen könne; und möglich auch, daß ihm nach dem Abklingen des Affektes Zweifel an der Schuld der Mariamne kamen. Auch seine Freunde übersahen die innere und die äußere Situation gut genug, ihm zu raten, das Urteil jetzt nicht zu vollstrecken, sondern die Königin zunächst an irgend einem Orte des Reiches in Gewahrsam zu halten. Herodes war dazu bereit. Aber Salome wollte und konnte es nicht dulden. Ihre Argumentation hatte Gewicht: sie rechnete mit der Möglichkeit, daß das Volk versuchen werde, die gefangene Königin zu befreien und daß wahrscheinlich neue Unruhen im Lande ausbrechen würden: daß die lebende und gefangene Königin eine Gefahr für seine Regierung sei, nicht aber die tote. Noch mitten aus dem Schwanken der Gefühle, noch nicht beruhigt und durch den Gedanken an Volkserhebungen, die ihm das Leben schon so schwer verbittert hatten, erneut beunruhigt, gab er endlich den Befehl zur Hinrichtung. Gegen Ende des Jahres 29 machte Mariamne sich zu ihrem letzten Gang auf, schön, stolz und gelassen, respekteinflößend und scheinbar von keinem Gefühl bewegt. Selbst das berührte sie nicht mehr, daß ihre eigene Mutter, von plötzlicher und 198 panischer Todesfurcht erfaßt, und in dem angstverzerrten Bestreben, das letzte Unheil von sich abzuwenden, die Tochter auf offener Straße beschimpfte, sie des Ehebruchs anklagte und ihr ihre Undankbarkeit gegen Herodes mit megärenhafter Wildheit vorwarf. Mariamne nahm alles das zur Kenntnis, ohne auch nur ein Wort zu erwidern. Vom Stolz ihres Charakters und ihres königlichen Herkommens bis in die letzte Gebärde gestrafft, ging sie den Weg weiter und starb, wie sie gelebt hatte: schön, hochmütig und eigenwillig. Sie hinterließ zwei Söhne, denen sie alle ihre Eigenschaften vererbte, samt dem Fluch ihres Schicksals, einer fremden Dynastie den Weg zum Thron ebnen zu müssen, um dann von ihr vernichtet zu werden.
Nach dem Tode der Mariamne beginnt Herodes, sein persönliches Schicksal auf der Ebene, die ihm zugänglich war, zu erleben. Es war die Ebene der heidnischen Kreatur, jenes unerlöst und ungehoben Menschliche, das keine Möglichkeit hat, das Schicksalhafte zu sublimieren. Ein Grieche erlebte hier seine Verzweiflung; nicht ein Jude. Hier begann das panische Entsetzen über den Verlust und das Alleinsein zu toben: hier hetzten Erynnien einen Menschen, dem neidische Götter entgalten, was die guten Götter ihm aus ihrem Füllhorn zuwenden. Kein Begriff von Schuld und Verschulden stellte sich ein. Nicht Gott hatte ihn gestraft, sondern die Götter. Gott, der Gott der Juden, war für ihn nur ein Requisit, das er in Ansprachen an das Heer, das Volk, einen Gerichtshof und an seine Freunde brauchte. Der Gott der Juden war für ihn eine Verlegenheitsgebärde, die sich ihm, dem 199 Nichtjuden, dem bis zu seinem Tode semitischen Heiden, als Folge des Regiments über die Juden notwendig aufdrängte. In seinem privaten Dasein gab es nichts dergleichen. Da gab es nur ihn, seinen Willen, seine Gelüste, seine Gier und seinen unbändigen Schmerz. Es klaffte eine Lücke in seinem Leben. Sie schmerzte. Darum begann er zu heulen. Er lief durch den Palast und schrie den Namen Mariamne. Er befahl seinen Dienern, mit ihm zu rufen. Götter können ja Wunder tun; und wer den Namen eines Menschen besitzt, besitzt ihn selbst. Es gab doch eine Wiederauferstehung der Toten: nicht jene, die aus der Tiefe der jüdischen Eschatologie entspringt, sondern jene bessere und wirksamere, die von der Höhe des Olymp her praktiziert wurde. Wenn Pygmalion eine Marmorstatue in das warme fleischliche Leben hineinrufen kann, warum kann nicht Herodes die Gattin zurückrufen, die gerade eben als lebendiges Wesen von ihm gegangen war?
Aber die Götter halfen ihm nicht. Er blieb allein. Es erschütterte ihn so, daß er darüber die Geschäfte seiner Regierung vernachlässigte. Und aus dem Alleinsein floh er endlich in Feste und Trinkgelage, in diese elende Fiktion, mit Menschen zusammen zu sein, während man sich nur mit ihrer Gegenwart belastet. Aber auch das half nichts. Im Gegenteil: jetzt rückte ein ganz großer Gegner an: der verleumdete jüdische Gott. Er schickte eine Pest über das Land; eine Pest, die vertikal durch das Volk ging, von den kleinen Hütten bis in seinen übermäßig geschmückten Palast, wo sie die Reihen seiner besten Freunde unheimlich lichtete und den Raum des Alleinseins noch weiter 200 und unerträglicher machte. Das war – er wußte es in ohnmächtiger Verzweiflung und das ganze Land wußte es mit ernster und gläubiger Gewißheit – die Strafe für die Tötung der Mariamne. Aber vor der Strafe kann der Heide fliehen. Herodes tat es. Er sammelte eine Jagdgesellschaft um sich und begab sich zu Streifzügen in die Steppe hinaus. Aber schon nach wenigen Tagen brach er zusammen. Unerträgliche Schmerzen im Kopf plagten ihn. Sein Geist verwirrte sich. Er begann irre zu reden. Man brachte ihn nach Samaria. Seine Ärzte bemühten sich um ihn mit allen erdenklichen Medikamenten und mit vorsichtiger Ernährung. Aber sein Zustand verschlimmerte sich täglich. Die Ärzte waren bald mit ihrer Kunst am Ende. Sie gaben ihn auf und erteilten Anweisungen, den Kranken essen zu lassen, was er wolle. Es kam nicht mehr darauf an.
Das ganze Land horchte nach Samaria hin. Wird er endlich sterben? Wird Gott das Land von ihm erlösen? Auch Alexandra horchte auf. Vergessen war die Todesfurcht von gestern, vergessen das entwürdigende Verhalten gegen ihr einziges Kind. Sie war wieder nichts als Hasmonäerin, die den nie eingesargten Traum der eigenen Dynastie wieder erstehen ließ. Sie hatte zwei Enkelkinder, und für diese Kinder aus hasmonäischem Blut und nicht für die Bastarde, die Herodes von anderen Frauen gemeiner Abkunft hatte, galt es die Herrschaft zu sichern. Sie selbst wollte, bis ihre Enkel großjährig waren, die Regentschaft führen. In der Technik der Ausführung kam es diesmal nicht darauf an, aus Jerusalem zu fliehen, sondern im Gegenteil: sich Jerusalems zu bemächtigen. Die Stadt 201 hatte zwei Festungswerke; eines am Tempel, das andere in der Stadt selbst. Ihr Besitz war Bedingung für die Sicherung ihrer Pläne. Mit Gewalt konnte sie sie nicht an sich bringen. Sie versuchte es mit der Überredung der beiden Befehlshaber. Sie versuchte ihnen zu beweisen, daß die Festungen ihr und ihren Enkeln ausgeliefert werden müßten, damit sie nicht, sollte Herodes an seiner Krankheit sterben, in den Besitz von Fremden gerieten. Es sei eine provisorische Maßnahme, dazu bestimmt, die legale Nachfolge des Herodes für alle Fälle zu sichern.
Die Kommandanten gingen auf den Plan nicht ein. Immerhin lebte Herodes noch und Alexandra war ihnen beiden tief zuwider. Die Legitimität der Nachfolger war zweifelhaft, denn aus einer früheren Ehe hatte Herodes schon einen Sohn, den jungen Antipater. Und schließlich war einer der Kommandanten ein Neffe des Herodes. Sie taten, was sie für ihre Pflicht hielten: sie meldeten den Vorgang nach Samaria. Dort lag Herodes noch krank. Aber seine unverwüstliche Lebenskraft hatte den Höhepunkt der Krankheit schon überwunden. Wenn auch langsam und unter elenden Schmerzen, war er doch auf dem Wege der Genesung. Und von dieser Botschaft empfing er einen wirksamen Antrieb. Endlich konnte er Alexandra packen. Endlich kam die Möglichkeit, auf die er schon so lange und inbrünstig gewartet hatte: Alexandra sofort und ohne weiteres Gerichtsverfahren hinrichten zu lassen.
Damit – es war im Jahre 28 vor der heutigen Zeitrechnung – hatte er im Laufe weniger Jahre die direkten Nachkommen der hasmonäischen 202 Dynastie, drei Generationen ausgerottet; erst Antigonus, als er dessen Hinrichtung von Antonius erwirkte, dann den jungen Aristobul, als er ihn ertränken ließ, dann den alten Hyrkan, dann seine Gattin, dann seine Schwiegermutter. Die alte Dynastie hatte ihren Dienst getan und konnte abtreten. Damit verschwand zugleich eine ewig drohende Gefahr, die zu der großen und für alle Zeit unlösbaren Gebundenheit an Rom die ständige Unsicherheit im eigenen Hause hinzufügte. Zwar war damit noch nicht die letzte und vielleicht größte Unsicherheit beseitigt: die niemals erledigte Feindschaft des Volkes; aber ein Volk ist eher niederzuhalten als ein Einzelner, denn es ist auf einer breiteren Fläche zu treffen als der Einzelne, und was er diesem Volke tat, brauchte er vor niemandem zu verantworten, nicht einmal vor Rom, das ihm ja dieses Volk als Masse der zu Beherrschenden überwiesen hatte. Es gehörte ihm, war sein Eigentum und er konnte es verwenden oder aufgeben, lieben oder vernichten: wie es ihm gerade angenehm schien.
Sobald er sich einigermaßen genesen fühlte, ließ er sich nach Jerusalem zurückbringen. Der Palast war leerer als sonst, aber er war ruhiger. Was er jetzt noch zu tun hatte, das heißt: was er jetzt noch aus dem Weg schaffte, war nicht mehr eigentlich wesentlich. Es geschah nur wie in der lässigen Gebärde, mit der einer die letzte und gründliche Ordnung in seinen vier Wänden herstellt, und es war zum Teil nichts als ein gerade griffbereites Ventil für die Gereiztheit, in die er durch die seelischen und körperlichen Qualen geraten war. Verschiedene gute Freunde mußten daran 203 glauben: aus keinem anderen Grunde als dem, weil sie ihn durch ihre Gegenwart verdrossen. Endlich wurden auch, um alles in einem Zuge zu bereinigen, zwei verspätete Konten ausgeglichen, die aus der ersten Zeit seiner Regierung noch offen standen.
Da war zunächst ein Idumäer namens Kostobar, reich und von vornehmer Herkunft. Er stammte aus einer idumäischen Priesterfamilie und hielt den Göttern, die seine Väter verehrt hatten, unentwegt die Treue. Herodes war ihm zugetan und ernannte ihn zum Statthalter der Provinz Idumäa. Als er seinen Schwager Joseph hinrichten ließ und Salome diesen Kostobar zum Gatten haben wollte, gab er die beiden zusammen. Aber nach einiger Zeit hatte Salome an diesem Gatten keine Freude mehr. Da sie einmal etwas davon gehört hatte, daß nach judäischem Recht ein Mann seiner Gattin einen Scheidebrief zustellen könne, glaubte sie für sich selbst dieses Verfahren ausreichend, um sich von diesem neuen Gatten zu trennen. Aber sie erfuhr zu ihrem Staunen und ihrem Ärger, daß ihr Scheidebrief keine rechtliche Wirkung habe. Jedenfalls ließ der gläubige Idumäer ihn nicht gegen sich gelten. So mußte eben ihr königlicher Bruder sie von diesem Gatten befreien. Sie war überzeugt, daß er es gründlich tun würde. Ihm konnte sie mit der Aussicht, daß er es glauben würde, erklären, daß sie aus Liebe zu ihm ihren Mann verlassen habe. Wenn das an sich vielleicht unwahrscheinlich klingen mochte, so wurde es doch glaubhaft durch die Einzelheiten, mit denen Salome ihren Gatten denunzierte. Kostobar war immer ein guter Idumäer geblieben. Das 204 Marranentum behagte ihm nicht; auch nicht die politische Abhängigkeit Idumäas von Judäa. Er erstrebte genau das, was die Judäer erstrebten: die religiöse und politische Unabhängigkeit des Landes. Um das zu erreichen, hatte er sogar mit Kleopatra in Korrespondenz gestanden und ihr geraten, das Land Idumäa von Antonius für sich zu verlangen. Diese Verschwörung war schon damals in Andeutungen zu Herodes gekommen, aber er hatte nichts unternommen, da seine Schwester ihren Gatten damals noch liebte und Fürsprache für ihn einlegte. Jetzt aber wurde klar, daß hier eine der Quellen für die Feindschaft lag, mit der Kleopatra ihn verfolgt hatte. Die Absicht des Kostobar, wieder den alten, guten idumäischen Glauben an den Gott Koze im Lande herzustellen, hätte für sich allein schon genügen müssen, Herodes zu beunruhigen, denn er wollte im Lande selbst sein Judentum und seine jüdische Abstammung nicht angetastet wissen. Es wird später darzustellen sein, was alles er in diesem Bemühen tat. Aber die Entscheidung, auch diesen Mann seiner Schwester umbringen zu lassen, gab letztlich ein anderes Faktum. Herodes erfuhr, daß alte Feinde von ihm noch am Leben seien. Als er Jerusalem belagerte, hatte die angesehene Familie der Bne Baba, getreue Anhänger des Antigonus, dem Widerstand des Volkes gegen diejenigen, die zur Übergabe der Stadt bereit waren, besonderen Nachdruck verliehen. Nach der Einnahme der Stadt gelang es ihnen zu fliehen, und zwar gerade mit Hilfe des Kostobar, der von Herodes beauftragt war, die Tore zu bewachen und die Feinde des Antigonus an der Flucht zu hindern. Da Kostobar sich aber 205 schon damals von der Nichtbefolgung dieses Befehles große Vorteile versprach, ließ er die Bne Baba nicht nur entwischen, sondern brachte sie auch an einem Orte unter, an dem sie sich jetzt noch aufhielten.
Alles, was sich da aufgehäuft hatte, räumte Herodes jetzt mit einer einzigen Handbewegung beiseite. Die Bne Baba wurden aufgespürt und getötet. Kostobar wurde getötet. Einige Freunde von ihm, die an seinem Unternehmen teilhatten oder möglicherweise daran hätten teilhaben können, wurden getötet. Es wurde noch leerer um Herodes, aber auch sicherer, ungefährlicher und ruhiger. Wohin er jetzt von seinem Thron aus schaute: nirgends waren mehr Menschen von Gewicht oder Ansehen, die solche majestätische Umschau getrübt hätten. Er war endgültiger und unbeschränkter und unbelasteter König im Reiche Judäa. Nach außen hin war er rex socius et amicus populi Romani, in vasallenähnlichem Zustande, zu Hilfeleistungen an Rom im Falle eines Krieges und zum Schutz der Grenzgebiete der Feinde des Imperiums verpflichtet; in der Eingehung von außenpolitischen Bündnissen, im Münzrecht und in der Befugnis, Kriege nach außen zu führen, erheblich beschränkt; aber dennoch freier Herr in seinem eigenen Lande. Um aber noch diese letzte Diskrepanz auszugleichen, um den Schein der Abhängigkeit mit dem Schimmer der Größe, der Kultur, der Prachtliebe und der gesellschaftlichen Gleichheit mit den Großen der Erde zu überdecken, setzte er jetzt alle frei gewordene Kraft ein.