Josef Kastein
Herodes
Josef Kastein

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8. Kapitel

Kindermord

Inmitten eines Lebens, das ihm nichts an äußerer Macht und an Erfolgen verwehrte, blieb dennoch ein Bezirk im Leben des Herodes für alle Zeit unausgefüllt und unbefriedigt: der natürliche menschliche Umkreis seines Daseins, die Familie, das Haus. Der Sieger der Schlachtfelder und der diplomatischen Aktionen war hier immer der Besiegte. Er verstand nicht, daß es für die Bewältigung des Draußen und des Drinnen verschiedener Mittel bedurfte. Er wandte immer nur die eine Waffe an: die gewaltsame Durchsetzung seines Willens. Eine andere stand ihm nicht zur Verfügung. Er besaß für seine Familie, insbesondere so weit sie idumäischen Ursprungs war, eine fanatische Liebe, das primitive Gefühl, das in einem Clan oder unter Nomaden die Menschen wie aus uralter Erinnerung an die Isoliertheit der einzelnen Familie inmitten einer Welt voll Unsicherheit und Gefahr zu einer Einheit zusammendrängt. Aber zur sinngemäßen Realisierung dieses Gefühls fehlte ihm nicht nur jeder sittliche Maßstab – jene Wertung, die der Jude in das Familienleben hineintrug, so daß es, wenn auch nicht der äußeren Form, so doch viel tiefer seinem Wesen nach eine sakramentale Institution wurde – es fehlte ihm auch das psychologische Maß. Und dieses Maß wiederum fehlte ihm, weil er überhaupt keinen anderen Maßstab für Menschen hatte als den, mit dem er seinen persönlichen Willen und sein persönliches Gelüste zu messen pflegte. So mußte im Ergebnis, was nach außen Kraft und Siegertum war, nach innen Hilflosigkeit und Angst werden. Wenn er nicht aus 252 seiner maßlosen Selbstwertung die große Fähigkeit des schnellen und jeweiligen Vergessens gehabt hätte, wäre er unter der Last dieses unausgeglichen Menschlichen längst zusammengebrochen. So aber war es über ihn verhängt, diese Dinge bis an das Ende zu tragen. Daß er sie dennoch nicht wirklich trug, sondern nur in panischer Verängstigung erduldete, gewährt ihm das Mitleid der Nachwelt.

Die Familie des Herodes war im Laufe der Jahre sehr zahlreich geworden. Er hat im Ganzen zehn Frauen geheiratet, von denen er vierzehn Kinder hatte. Daß man im Lande, obgleich die Vielehe gesetzlich nicht verboten war, längst bei der Monogamie angelangt war und dieses Massenheiraten bei Hofe sehr ungerne sah, hat ihn nicht beeindruckt. Seine Familie war sein höchstpersönlicher Umkreis. Rechnet man zu den Frauen und Kindern noch seine Schwester Salome nebst Tochter, seinen Bruder Pheroras mit seinen Kindern und die zahllosen Verwandten der Frauen hinzu, so ergibt sich schon rein zahlenmäßig ein beträchtlicher Umfang seiner engeren und weiteren Familie. Diese Familie bildete mit den Hofbeamten und Freunden und Günstlingen und Gästen und Schmarotzern eine einheitliche Masse von Interessenten, die alle etwas wollten, begehrten, fürchteten und erhaschten; ganz so, wie es in der Atmosphäre eines Hofes sein muß, wo der Herrscher nach seiner Laune die Gaben verteilt oder verweigert, und wo er vor allem überhaupt Gaben verteilt, um diejenigen zu belohnen, die mit ihm eines Willens sind und seinem Selbstbewußtsein die nötige Nahrung geben. In diesem Falle kam noch 253 mit erheblicher Erschwerung hinzu, daß alte Familiendifferenzen und ungeklärte dynastische Fragen noch in die Zukunft hinein das Intrigieren und Konspirieren zu einer aussichtsreichen Beschäftigung machten.

Herodes hatte Alexander und Aristobul, die beiden Söhne der hasmonäischen Mariamne, nach Vollendung ihrer Ausbildungszeit selbst von Rom abgeholt und sie nach Jerusalem gebracht. Sie galten nicht nur ihm, sondern allgemein als die zukünftigen Erben des Reiches, denn sie hatten wenigstens von ihrer Mutter her einen Einschuß von königlichem Blut. Und darauf legte Herodes Wert. Er tat es so sehr, daß er unmittelbar nach seiner Vermählung mit der Hasmonäerin seine erste Frau, eine Idumäerin namens Doris, die von sehr niedrigem Herkommen gewesen zu sein scheint, samt dem Sohne Antipater aus dieser Ehe vom Hofe entfernte und in die Provinz schickte. Seine eigene Gattin und sein eigener Sohn waren jetzt nicht mehr standeswürdig. Sie durften nur noch zu Festen in Jerusalem erscheinen. Die Fortsetzer der Dynastie waren die vollbürtigen Söhne. Sie wurden, obgleich erst 17 und 18 Jahre alt, alsbald nach ihrer Rückkehr verheiratet, und zwar Alexander mit Glaphyra, der Tochter des Königs Archelaus von Kappadocien (wobei es sich als notwendig erwies, daß die neue Schwiegertochter zuvor zum Judentum übertreten mußte), und Aristobul mit seiner Kusine Berenike, die aus der Ehe der Salome mit dem hingerichteten Kostobar stammte. Damit war zugleich eine kreuzweise Verankerung der Dynastie geschaffen und der Salome somit aus der Fürsorge ihres Bruders 254 die Möglichkeit gegeben, wenigstens ihre Enkelkinder als vollbürtige Menschen zu erleben. Herodes hoffte damit, einen Teil der Spannung auszugleichen, die zwischen den idumäischen und den hasmonäischen Mitgliedern der Familie seit je bestanden hatte.

Aber Salome war durch diese neue verwandtschaftliche Verbindung in nichts gehindert, ihre alten Pläne und ihren alten Haß weiter zu verfolgen. Sie blieb Idumäerin, und die jungen Prinzen, mochten sie auch die Söhne ihres vergötterten Bruders und mochte deren einer auch ihr Schwiegersohn sein, blieben Hasmonäer; vor allem blieben sie Kinder der Mariamne, die sie noch über den Tod hinaus ingrimmig haßte. Von ganz besonderem Gewicht aber war, daß sie Söhne der toten, der unschuldig hingerichteten Mariamne waren, und hier beschränkte sich die Befürchtung, daß die Kinder eines Tages den Tod ihrer Mutter rächen würden, nicht auf Salome allein. Auch alle die, die in irgend einer Form an den Verleumdungen und Anklagen gegen Mariamne beteiligt gewesen waren, wurden jetzt, da die Thronfolge der hasmonäischen Prinzen gesichert schien, die natürlichen Bundesgenossen der Salome in ihrem Feldzug gegen die Prinzen, in einem Feldzug, der ein unendliches Maß von Schmutz und Verlogenheit und Heimtücke aufweist. Er wurde geschürt und beschleunigt durch die Feststellung, daß die beiden Prinzen vom Volke mit sehr deutlicher Sympathie aufgenommen wurden, wieder mit jener unentwegten Betonung ihrer hasmonäischen Abstammung, die als Affront gegen die Idumäer wirkte und auch in aller Deutlichkeit so gemeint 255 war. Das war eine genügende Andeutung dessen, was die Idumäer zu erwarten haben würden, wenn diese Prinzen, von der Gunst des Volkes getragen, einmal zum Regiment gelangen würden. Für die Prinzen war der Aufenthalt am Hofe des Herodes von allem Anfang an beschwerlich und zwiespältig. Als man sie nach Rom brachte, waren sie Kinder von 12 und 13 Jahren, noch zu klein, um die Situation ganz zu erfassen. Jetzt hingegen waren sie zur Wertung dessen, was geschehen war und noch täglich um sie herum geschah, schon in der Lage. Sie waren von Anfang an isoliert, umlauert, angefeindet. Versteckt und offen mußten sie Schmähungen und Verdächtigungen über ihre Mutter hören. Auch wenn sie nicht unschuldig gewesen wäre, hätte das genügen müssen, in den Söhnen den Willen zu wecken, ihre Mutter als unschuldig zu empfinden. War sie aber unschuldig, so konnte kein Gerichtsurteil der Welt das Odium des Mordes von der Hinrichtung nehmen. Und folglich war das Haus des Vaters, in dem sie zu leben gezwungen waren, das Haus eines Mörders. Mit dem Mörder der Mutter zusammen zu leben, ist um so schwerer, wenn man sich nicht äußern und entlasten kann. Was aber dem Vater gegenüber unmöglich war, ließ sich – besonders bei Abwesenheit des Herodes – um so hemmungsloser gegen die idumäischen Verwandten tun. Auf den Haß, der den Prinzen hier hemmungslos entgegengetragen wurde, konnten sie mit dem ganzen unausrottbaren Hochmut von Hasmonäersprößlingen antworten. Sie steigerten sich in einen Haß hinein, der dem der Salome und des Pheroras nichts nachgab. Nur waren die Waffen 256 sehr ungleich verteilt. Die Prinzen waren jung und unerfahren, impulsiv und – an den Erfordernissen dieses Tyrannenhofes gemessen – von einer mehr als entbehrlichen Offenheit. Die Idumäer waren schon geübter, mit den Praktiken vertrauter, vorsichtig wie Wilde, die sie immer geblieben waren, und von ihrer geduldigen und gefährlichen Heimtücke. Sie reizten die jungen Menschen, bis sie mit irgend einer Gebärde, einem Worte, einer Schmähung antworteten. Aus dem so gewonnenen Material ließen sich wertvolle Gebilde der Verdächtigung und der Anklage formen. Als Stimulans für Salome kam hinzu, daß ihre Tochter Berenike sich bei ihr darüber beschwerte, daß der junge Gatte Aristobul sie nicht mit dem gebührenden Respekt behandle, auf den sie als zukünftige Königin Anspruch hatte.

Dieser häusliche Kampf wurde sogar über die Räume des Palastes hinausgetragen, und zwar von beiden Seiten. Die Prinzen, instinktmäßig dort Anlehnung suchend, wo sie die einzigen Sympathien verspürten, bemühten sich, das Mitleid des Volkes mit ihrer unerquicklichen Situation zu erregen, das Andenken ihrer Mutter lebendig und vor allem rein zu erhalten, im öffentlichen Urteil für sich eine Bestätigung zu finden. Salome bemühte sich, eine Version zu verbreiten, die alle Züge der Wahrscheinlichkeit an sich trug: die Prinzen haßten den Vater als den Mörder ihrer Mutter und seien entschlossen, ihren Tod zu rächen. Das Volk nahm beide Darstellungen, die es zu einer glaubhaften Einheit zusammenfügte, willig auf, und aus dem Gerede der Straße konnte jetzt wie aus einer originären Quelle, die von 257 Salome und von Pheroras nicht im mindesten beeinflußt war, verfängliches Material an den Hof gelangen.

Das eben war der Zweck der Übung. Als Herodes von einer Reise, auf der er sich mit Agrippa getroffen hatte, zurückkehrte, fand er sein Haus in ungewöhnlicher Erregung. Seine Geschwister erschienen sogleich, um ihm mit sorgenvoller Miene mitzuteilen, daß ihm von den beiden zukünftigen Thronerben große Gefahr drohe. Sie hätten sich verschworen, den Tod ihrer Mutter an ihm zu rächen. Sie hätten die Sympathie des Volkes für sich. Es bestehe der Verdacht, daß sie sich des Archelaus, des Schwiegervaters des Alexander, bedienen wollten, um sich eine Audienz bei Augustus zu verschaffen und dort Anklage zu erheben. Herodes geriet über diese Mitteilung völlig aus der Fassung. Aber er begann nicht, wie sonst, zu toben; denn hier traf ihn etwas, was er nicht verstehen und nicht auflösen konnte. Er liebte diese beiden Prinzen wirklich. Er setzte ganz unbewußt in dieser Zuneigung fort, was er durch die Ermordung der Mariamne selber unterbrochen hatte. Er kam garnicht auf den Gedanken, daß seine Söhne doch irgend eine Einstellung zu diesem Mord haben müßten. Es war ja für ihn kein Mord, wenigstens war es keiner mehr, da er – wie bei all seinem Tun – sich längst mit letzter Entschiedenheit von seinem guten Recht und vom Unrecht der Anderen überzeugt hatte. Und da er Zuneigung für die Söhne empfand, wie war es da überhaupt denkbar, daß sie nicht das gleiche empfanden? Wie können sich Zuneigung und Gefühle überhaupt verfehlen, wenn doch schon der Wille 258 auf einer Seite genügt, um eine vollkommene Übereinstimmung zu erzielen? Diese mangelnde Übereinstimmung machte ihn ratlos und hilflos, so sehr, daß er dem Verdacht gar nicht erst nachforschte, sondern ihn ohne weiteres als motiviert hinnahm. Selbst zur Anwendung von Gewalt war er zu hilflos. Er wandte sich einem behutsameren Vorgehen zu. Er ergriff eine Maßnahme, die ohne weiteres für seinen guten Willen spricht, hier versöhnlich, nachsichtig, ausgleichend zu sein – und die doch im Ergebnis eine Katastrophe herbeiführte, da sie so ganz ohne die Fähigkeit zur Abwägung seelischer Tatbestände getroffen war.

Herodes glaubte sehr klug und überlegt zu handeln, als er seinen bisher in die Provinz verbannten ältesten Sohn Antipater an den Hof kommen ließ. Er wollte damit den Prinzen eine heilsame Lektion erteilen. Er wollte ihnen zeigen, daß noch andere Anwärter auf den Thron vorhanden waren und daß sie allen Anlaß hätten, sich bescheiden und fügsam zu zeigen. Er war fest überzeugt, daß dieses Mittel wirken und daß es eines Tages wieder zu einem friedlichen Zusammensein mit den Hasmonäern kommen würde. Seine ganze geheime Angst vor neuen inneren Komplikationen ist in dieser zögernden Maßnahme ausgedrückt. Indem er die Mitglieder seiner Familie wie Schachfiguren gegeneinander ausspielte, glaubte er, zugleich Herr dieses Spieles zu sein. Dabei übersah er, daß die Figuren nicht nur von seiner gewalttätigen Hand, sondern auch von einem eigenen Leben bewegt wurden; und da er das eigene Leben der Anderen niemals erkannte oder 259 anerkannte, war die Partie schon beim ersten Zuge endgültig verloren.

Antipater, der bis dahin ohnmächtige Zuschauer des dynastischen Kampfes, kam mit großer Bereitwilligkeit an den Hof. Er kam zugleich mit einer Summe von aufgesparten Ressentiments. Die Jahre der Verbannung hatten ihn maßlos verbittert. Für ihn als den Ältesten war nichts vom Glanz des neuen Königtums abgefallen. Er war mit einem tiefen Haß gegen den Vater geladen. Der gleiche Haß galt aber auch den Halbbrüdern, denen er diese Verbannung zu verdanken hatte. Aber er war ein Idumäer von reinstem Blut und Wasser, in Wesen, Anlagen und Fähigkeiten echte Nachkommenschaft des Großvaters und des Vaters. Er übersah mit einem Blick alle Möglichkeiten, die ihm hier winkten, und er stellte mit großer Entschiedenheit sein ganzes Verhalten sofort darauf ein. Keine Spur von seinem Haß kam zum Ausdruck. Er war bescheiden, liebevoll, folgsam, fürsorglich. Herodes bevorzugte ihn nach Kräften, schon um sein pädagogisches Programm zu erfüllen. Aber allmählich tat er es auch, weil diese Zuneigung eines Menschen doch endlich zu ihm sprach. Die immer neuen Enttäuschungen, die er bislang erlebt hatte, ließen sich solcher neu erworbenen Zuneigung gegenüber leichter vergessen. Und so tritt der erzieherisch gemeinte Zweck allmählich hinter einer halb ernst gemeinten Begünstigung zurück; so wird die Unbedingtheit, mit der er das Schicksal seines Königtums auf die hasmonäischen Söhne übertragen wollte, unversehens etwas gelockert. Die Prinzen selbst taten in einer natürlichen 260 Reaktion das ihrige hinzu, um die Spannung zu vergrößern. Sie antworteten mit einem Verhalten, dessen Möglichkeit Herodes überhaupt nicht in Betracht gezogen hatte: sie waren verletzt und beleidigt über die Zurücksetzung, die sie plötzlich – und für ihre Auffassung ohne Grund – erfuhren. Man hatte ihnen eine Zukunft versprochen und nahm das Versprechen stillschweigend zurück. Darüber waren sie empört und machten ihrer Empörung vor jedem Luft, der es gerade hören wollte. Und das wieder gab Material für Antipater ab. Er hatte auch die Fähigkeit zu Intrigen im vollen Maße geerbt. Er sagte nie ein Wort direkt zu seinem Vater. Er sorgte immer dafür, daß Mitteilungen, Anspielungen, Verdächtigungen auf einem Umwege zu ihm gelangten. Auf ihn selbst durfte nicht der Schatten eines Verdachtes fallen, um nicht die Vermutung aufkommen zu lassen, daß er hier eigene Geschäfte betreibe. Aber diese Geschäfte betrieb er dringend. Schon bildete sich um ihn ein Kreis von Menschen, die nach der Lage der Dinge jetzt in ihm und nicht mehr in den Hasmonäerprinzen den künftigen Regenten sahen und daher bemüht waren, sich mit ihm schon jetzt ins Einvernehmen zu setzen. So sah Antipater langsam die Früchte seines Bemühens reifen. Seine Bevorzugung am Hofe war jetzt schon ganz offiziell. Ihm zuliebe holte Herodes sogar seine Mutter Doris an den Hof. Das bedeutete im Effekt den Einzug der Königinmutter. Und es bedeutete eine weitere Vorbereitung auf die kommende Regentschaft, daß Herodes sich entschloß, Antipater zum Erwerb der für einen König notwendigen Bildung gleichfalls nach Rom zu geben. Als Agrippa 261 seinen Verwaltungsposten in Asien verließ, reiste Herodes ihm entgegen, und übergab ihm eigenhändig seinen Sohn, damit er ihn und die traditionellen reichen Geschenke mit nach Rom nehme.

Antipater mußte über diese offenkundige Bevorzugung notwendig große Begeisterung zur Schau tragen. In Wirklichkeit lag ihm im Augenblick durchaus nichts an dem Erwerb der griechisch-römischen Kultur. Diese erzwungene Studienzeit unterbrach nur unliebsam das in Jerusalem gesponnene Netz und erfüllte ihn mit der Befürchtung, daß in seiner Abwesenheit der Vater sich wieder den hasmonäischen Söhnen näherte. Um das zu vermeiden, entfaltete er eine rege und sehr geschickte Korrespondenz. Er klagte seine Halbbrüder nicht etwa an, sondern brachte unentwegt seine lebhafte Sorge um das Schicksal des Vaters zum Ausdruck. Er leitete diese Sorge daraus her, daß die jungen Prinzen nicht gut zu ihm seien, ihn nicht liebten, ihn bedrohten, gegen ihn konspirierten. So viel Sorge um seine Person hatte Herodes bislang höchstens von seiner Schwester Salome erfahren. Es mußte ihm der Gedanke kommen, daß er sich letztlich doch nur auf die Mitglieder seiner eigenen idumäischen Familie verlassen könne und daß in den Hasmonäern, mochte er ihnen noch so viel Liebe zuwenden, ein Rest von Haß und Feindschaft nie würde beseitigt werden können.

Das wurde ihm durch die vielen Äußerungen des Unwillens bestätigt, die man ihm von den Hasmonäern, meist in gröbster Form entstellt, dauernd hinterbrachte. Er sank immer tiefer in das Gefühl eines erlittenen Unrechtes hinein. Man verletzte 262 seine Gefühle. Daß das Volk ihn nicht liebte und ihm nach dem Leben trachtete, das mochte angehen; dagegen konnte man sich schützen. Aber daß es die eigenen Söhne taten, für deren Zukunft er dieses machtvolle Reich verwaltete: das machte ihn noch verwirrter und fassungsloser. Aber auch diesesmal gedieh ihm die Erschütterung nicht zur Gewalt, sondern nur zu völliger Ratlosigkeit. Zum ersten Male im Leben konnte er sich nicht mehr selbst helfen. Vielleicht konnte ihm von daher Hilfe kommen, von wo ihm die Macht, das Regiment und das Ansehen gekommen waren: von Rom.

Im Jahre 12 macht er sich mit den beiden Prinzen zur Reise nach Italien auf. Er ist entschlossen, die ganze Sachlage dem Augustus zu unterbreiten und ihn um eine Entscheidung und um Hilfe zu bitten. Welche ungeheure Demütigung er damit auf sich nimmt, diesen tief persönlichen inneren Konflikt und seine Hilflosigkeit vor einem fremden Menschen auszubreiten, kommt ihm gewiß nicht zu Bewußtsein. Was neben der natürlichen Schamlosigkeit und dem seelischen Exhibitionismus bestimmt mitwirkt, ist die unbehagliche Furcht, er könne Dinge tun, auf die Rom als auf eine die Dynastie berührende Frage unfreundlich reagieren würde, und die zudem die Grenzen der Gerechtigkeit allzu sichtbar überschreiten würde. Der Begriff der Gerechtigkeit war für Rom trotz der massiven Gesetzessammlungen seiner Juristen zwar nur eine besondere Art der Rechtskasuistik, aber für Herodes hatte er aus der prinzipiellen Abhängigkeit her ein nie aussetzendes Gewicht. Die seelische Panik und die Furcht vor 263 Handlungen, für die man ihn zur Verantwortung ziehen könnte, drängten ihn auf diese Reise. Sobald er gelandet war, begab er sich zu Augustus nach Aquileja, führte dort seine Söhne vor und klagte sie an.

Diese Anklage ist ein erschütterndes Dokument: ein Wirrwarr von Menschlichem und Unmenschlichem, ein Knäul von Ängsten und Hochmut, von Empfindsamkeit und Schamlosigkeit, von kindlicher Hilflosigkeit und gefährlich verbissenem Dünkel. Dabei verbirgt sich hinter den angreifenden Worten und dem zögernden Verhalten schon ein Stück Müdigkeit seines Alters, ein stilles Bitten um Schonung, und der Wunsch, daß einmal wenigstens alles gut ausgehen möge. Er ist inzwischen ein Mensch von 60 Jahren geworden und nicht mehr in der alten Lebenskraft. Darum beginnt er zu klagen. Er klagt den Haß seiner Söhne an. Sie sind ihm so feindselig gesinnt, daß sie ihn sogar ermorden wollen, um dadurch den Thron an sich zu bringen; diesen Thron, für dessen Erwerb er so oft sein Leben eingesetzt hat, der das Ziel seiner Jugend, seines Ehrgeizes, seiner verbissenen Beharrlichkeit, ja: vielleicht der ganze Sinn seines Lebens war. Diesen Thron wollen sie besteigen, obgleich sie gar keinen Anspruch darauf haben, denn Rom hat ihm, Herodes, anheim gestellt, über seinen Thron zu verfügen, wie er es will. Und er wird ihn dem geben, der ihm am meisten ergeben und zugetan ist. Wie dürfen sie da seinen Thron für sich beanspruchen? Aber im Grunde genommen – übersteigert sich Herodes – liegt ihnen an diesem Thron gar nichts. Sie wollen ihn garnicht. Sie wollen nur ihren Vater 264 töten. Das ist ihr einziges Ziel; nicht der Thron, wie man meinen sollte. Für dieses Ziel sind sie bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Dabei weiß er nicht einmal, warum sie ihn ermorden wollen. Hat er ihnen irgend ein Unrecht getan? Hat er sie nicht mit allem Pomp und Luxus von Prinzen umgeben? Er hat sie standesgemäß verheiratet. Er hat sie prächtig ausgestattet und ihnen eine große Dienerschaft gegeben. Was können Prinzen mehr verlangen? Und zum Dank dafür wollen sie ihm jetzt den Thron nehmen und ihn daran hindern, darüber nach eigenem Gutdünken zu bestimmen. Denn das ist ihr einziges Bestreben: sich des Thrones zu bemächtigen. Und weil sie sich des Thrones bemächtigen wollen, müssen sie notwendig auf seine Ermordung bedacht sein. Mit dieser Schlußfolgerung verknüpft er Anfang und Ende dieses wirren Gedankenfadens. Und dann unterstreicht er das, was er selbst als das Bedeutsamste seines Verhaltens kennzeichnet: er hat von seiner ihm zustehenden Gewalt keinen Gebrauch gemacht. Er hat auf alles verzichtet, was ein König, der sich in Lebensgefahr befindet, und ein Vater, den man so tief beleidigt hat, zu tun berechtigt ist. Er hat seine Feinde vielmehr, voll königlicher Großmut, zum Kaiser von Rom geführt. Der Kaiser soll entscheiden. Auch er, Herodes, wird sich diesem Urteil unterwerfen.

Aber nach dieser stolzen Selbstwertung bricht er plötzlich zusammen. Er fleht Augustus an, er möge ihn beschützen; er möge ihn von dieser ständigen Angst um sein Leben befreien. Und aus dieser Angst beginnt er zuletzt doch wieder zu drohen: was nützt es diesen Söhnen jetzt noch, 265 weiter zu leben? Auch wenn sie jetzt ohne Strafe ausgehen, werden sie bei ihrer Natur und bei den Anschlägen, die sie planen, ja doch eines Tages sich selbst ins Unglück rennen.

Die Reaktion der jungen Prinzen auf diese affektbeladene Unreife des Alters ist verständlich. Sie sind ihr in keiner Weise gewachsen, und ihre Hilflosigkeit entlädt sich in Tränen. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sie haben das reine Gewissen für sich; aber wie soll man das vor einem Menschen bekennen, der so mit fertigen und widerspruchsvollen Argumenten anrückt? Und sollen sie vor allen Menschen sagen, daß diese ganze Situation überhaupt nur zustande gekommen ist aus der Schuld des Herodes, aus seiner Geneigtheit, sich Berichte anzuhören, vorschnelle Folgerungen zu ziehen und dabei jedes Maß der Beurteilung zu verlieren? Das zu sagen, hindert sie das Taktgefühl, jene natürliche Scham, die ihr Vater nicht besitzt. Aber Schweigen kann noch verfänglicher sein. Die Situation ist bedrückend und gefährlich. Niemand im Saale ist von der Schlüssigkeit der Anklage überzeugt. Jeder erkennt klar, daß hier ein verbissener Mensch ohne Maß junge Menschen anklagt, denen man die Unschuld und die Unerfahrenheit von der Stirne ablesen kann. Jede Sympathie wendet sich ihnen spontan zu. Der fassungslose Kummer der Prinzen treibt manchem die Tränen in die Augen. Selbst an Herodes geht diese allgemeine Bewegung nicht spurlos vorüber. Er reagiert auf Tränen so, wie Menschen mit sanguinischem Temperament und Amoralisten es oftmals tun: er gerät darüber in eine wirkliche Rührung hinein, wobei gewiß ein Teil dieser Rührung 266 seinem eigenen bedauernswerten Schicksal gilt. Diese Stimmung im Saale gibt dem Älteren, Alexander, endlich den Mut, etwas zur Verteidigung zu sagen. Er beginnt mit einem Kompliment für den Vater, das in Wirklichkeit an Augustus gerichtet ist: da Herodes sie vor den römischen Kaiser als Richter gebracht hat, vor den, den er mit dem Vokabular seiner römischen Erziehung den Erretter der Menschen nennt, ist ihm schon bewiesen, daß der Vater sie verschonen will. Diesem Vater haben sie weder nach dem Leben noch nach dem Throne getrachtet. Der Thron, meint er mit jugendlicher Unbefangenheit, ist ihnen ja doch zugesagt. Sie brauchen also nicht darum zu kämpfen; und sie wissen, daß das Volk durchaus nicht so friedlich und gelassen Vatermörder auf dem Thron dulden und schon garnicht ihnen das Betreten des Tempels gestatten würde. Es ist gewiß nicht schwer, eine solche Tat einfach zu behaupten, besonders nicht in diesem Falle, wo man immer Gelegenheit hat, das Unglück ihrer Mutter mit in die Kombination zu ziehen. Man verdächtigt sie: aber gegenüber diesem Verdacht erklärt Alexander mit aller Sachlichkeit: »Aber ein bloßer Verdacht reicht doch nicht hin, um eine solche Schlechtigkeit glaubhaft zu machen. Da müßte doch noch einer gefunden werden, der behaupten könnte, daß etwas von unserer Seite geschehen wäre, um einen so ungeheuren Verdacht zu rechtfertigen. Kann denn jemand uns beweisen, daß wir dir Gift bereitet oder uns mit Gleichgesinnten verschworen oder deine Diener mit Geld bestochen oder Schriften gegen dich verfaßt haben?« Herodes wird solche Beweise nicht führen können, 267 weil sie unmöglich sind. Aber vielleicht will er gar keine Beweise? Eine bescheidene, aber verfängliche Frage: »Wie will jemand sich von unserer Unschuld überzeugen, der uns garnicht anhören mag?«

In einem Punkt allerdings liegt die Möglichkeit einer Komplikation, und Alexander erkennt ihn. Es ist die tote Mariamne, die als Schatten sich im Hintergrunde erhebt; für den Vater eine noch nicht ausgeglichene Bedrohung, für sie selber eine schwer ausgleichbare Gefahr, denn das böse Gewissen der am Tode Schuldigen ist bereit, gegen die Überlebenden daraus eine Waffe zu schmieden. Darum sagt Alexander: »Hat einer von uns um die Mutter geklagt, so ist es nicht deshalb geschehen, weil sie gestorben ist, sondern weil sie selbst nach ihrem Tode noch von frevelhaften Menschen beschimpft wurde.« Und doch kann er nicht ganz verleugnen, daß hier der Schlüssel zu ihrem Schicksal liegt. Mit einer psychologischen Sicherheit, die der des Vaters unendlich überlegen ist, sagt er: »Deine Söhne sind weder so gottlos noch so töricht, wie du glaubst. Aber vielleicht sind sie unglücklicher, als es Dir frommt. Wenn du uns nichts zum Vorwurf machen und auch keine Nachstellungen gegen dein Leben entdecken kannst, was vermöchte dir dann eine so große Lasterhaftigkeit glaubhaft erscheinen lassen? Unsere Mutter ist nun einmal nicht mehr. Aber ihr Unglück konnte uns nicht zu Schlechtigkeiten treiben, sondern uns nur zur Vorsicht mahnen. Wir hätten nun zwar noch manches zu unserer Rechtfertigung anzuführen; doch wozu bedarf das 268 einer Rechtfertigung, was nie begangen worden ist?«

Alle im Saale wußten, daß hier die Wahrheit gesprochen wurde. Auch Herodes mußte es wissen. Aber er durfte es vor sich selbst noch nicht wissen. Zu deutlich wurde hier der Schatten der Mariamne beschworen. Die taktvolle Art, in der die Ursache ihres Todes verschwiegen wurde, mußte ihn mißtrauisch machen. Lag da etwa doch geheimer Zweifel an seinem guten Recht? Und lag nicht in der ganzen Verteidigung ein Zweifel daran, daß er auch dieses Mal im Recht war? Daß er je Unrecht gehabt haben sollte, ja, daß er auch nur zu Unrecht jemand verdächtigt haben sollte, kam vor seiner maßlosen Selbstsicherheit nicht in Frage. Sollte er hier etwa in aller Öffentlichkeit eingestehen, daß er dieses Mal ganz offenbar nicht im Rechte sei? Er wünschte es sich zwar; aber er konnte es nicht. Aber es war einer im Saal, der gerade das wollte, weil er nicht mehr den mindesten Zweifel an der Unschuld der Prinzen hatte: Augustus. Er sagte nichts. Er sah Herodes nur unverwandt an. Herodes wurde unter diesem Blick unsicher. Er fühlte: der ganze Saal stand einmütig gegen ihn. Da war nicht einer, der an eine Schuld glaubte. Mehr noch: alle waren durchaus bereit, den jungen Menschen gegen den eigenen Vater zu helfen. Herodes war ratlos. Weder konnte er Worte finden, etwas Stichhaltiges auf die Verteidigung zu replizieren, noch konnte er sich dem beklemmenden Eindruck entziehen, daß er hier ganz isoliert stand, in der Rolle dessen, der sein Unrecht nicht einsehen will. Vor dem 269 Ergebnis, das er gewollt hatte, wich er jetzt zurück. Und er schwieg.

Da nahm ihm Augustus entschlossen die Entscheidung aus der Hand. Da er als Richter angerufen war, entschied er als Richter. Das Urteil lautete kurz und bündig, daß die Prinzen unschuldig seien. Nur um die Brüskheit des Urteils auszugleichen, warf er ihnen vor, ihr Verhalten gegenüber ihrem Vater sei allerdings nicht so gewesen, daß es ohne weiteres jeden Verdacht unmöglich gemacht hätte. Aber jetzt hält er die Angelegenheit für bereinigt. Er fordert Herodes auf, sich mit seinen Kindern zu versöhnen. Es bedürfe nur eines wirklichen Entschlusses von beiden Seiten, um nicht nur diese Situation vergessen zu machen, sondern um auch für die Zukunft einen wirklichen Ausgleich und ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Beide Teile sollten vergessen lernen. Beide müßten versuchen, das Vorgefallene durch doppelte Herzlichkeit wieder auszugleichen. Das waren Erwägungen von einer menschlichen Einfachheit, die auch Herodes zugänglich waren und denen er sich nicht entziehen konnte. Sie kamen von autoritativer Seite, und er war endlich bereit, sowohl diese Autorität wie auch die Rührung, die ihn allmählich ergriff, Herr über sich werden zu lassen. Als die Prinzen sich, auf einen Wink des Augustus, ihm zu Füßen werfen wollten, kam er ihnen schon, für eine Sekunde bezwungen, mit offenen Armen entgegen und küßte sie.

So hatte die Reise nach Italien wenigstens äußerlich den Zweck erfüllt, dem sie dienen sollte. Aber über alles Geschehen hinaus, das es hier zu bereinigen gab, verabsäumte Herodes doch nicht, in 270 die dynastische Frage eine weitere juristische Klärung zu bringen. Sein Thron war – wenn auch nur in seiner Vorstellung und in seinem Verdacht – bedroht worden. Und es war überhaupt die Frage der Nachfolge in öffentlicher Versammlung zur Diskussion gestellt worden. Diese Fragen mußten darum jetzt geklärt werden. Bei dem üblichen Austausch der Gaben unter den Monarchen in den folgenden Tagen ergab sich dazu Gelegenheit. Herodes schenkte dem Augustus 300 Talente. Augustus schenkte dem Herodes die Hälfte der Einkünfte aus den Bergwerken Cyperns und gab ihm die andere Hälfte zur Verwaltung. Zugleich befugte er ihn, die Thronfolge nach seinem Belieben zu regeln, und zwar nicht nur in Bezug auf die Person des Nachfolgers, sondern auch in Bezug auf die Anzahl der Nachfolger. Das heißt: Herodes hatte jetzt das Recht, sein Reich unter so viele Söhne, wie er bedenken wollte, nach einem ihm gemäßen Maßstabe aufzuteilen. (Er tat es später und vernichtete damit noch über seinen Tod hinaus die jahrhundertalte Einheit Judäas.) Herodes wollte von dieser Befugnis unter der Nachwirkung der ganzen seelischen Spannung sofort Gebrauch machen. Er wollte gleich an Ort und Stelle seine Abdankung erklären. Aber Augustus hielt ihn davon ab. Er schätzte diese spontane Gebärde wohl richtig ein, und als der Überlegene wollte er Herodes an einem Schritt hindern, den er am nächsten Tage gewiß bereut hätte.

Als Herodes mit den Prinzen heimkehrte, nahm er auch Antipater mit nach Jerusalem, der sich über den wieder hergestellten Familienfrieden pflichtgemäß sehr erfreut zeigte. Er spielte seine 271 Rolle vortrefflich, und sie wurde ihm auch gebührend belohnt. Herodes berief in Jerusalem sofort eine Volksversammlung und erstattete wieder Bericht über seine Reise. Der Sinn dieses Berichtes war aber nicht etwa, Rechenschaft über sein Tun abzulegen, sondern die Eindeutigkeit der jetzt geschaffenen dynastischen Situation für die Freunde und noch mehr für die Feinde, das heißt: für das Volk, klar zu legen. Nach dem unvermeidlichen Hinweis auf die Güte und Freundlichkeit Roms ernannte er die Thronfolger: als ersten Antipater, sodann die beiden Söhne der Mariamne. Aber er wies eindringlich darauf hin, daß noch er König sei, daß man sich noch an ihn zu halten habe. Sein Alter, um dessen willen man vielleicht seinen frühzeitigen Rücktritt hätte erwarten können, bezeichnete er aus der Fülle der Erfahrungen als die Zeit, in der ein Mensch am besten zur Regierung geeignet sei. Mit besonderer Deutlichkeit wandte er sich an das Heer und seine Befehlshaber, um ihnen zu sagen, daß es ihnen recht gut gehen würde, wenn sie nur auf ihn allein schauten und auf niemanden sonst. Sie verstanden alle, daß ihnen hier die dringliche Warnung erteilt wurde, sich durch die Bestimmung der Thronfolger zu irgend welchen Annäherungen an sie bewegen zu lassen. An die Gesamtheit aber, an seine Höflinge, die Freunde und das Volk richtete er den dringenden Appell, einträchtig und in Frieden zu leben.

Diese gewünschte Eintracht war aber nicht herzustellen. Zu viele von den Zuhörern waren von Anfang an entschlossen, sie nicht zu halten. Das galt für die Mehrheit des Volkes genau so wie für die Mehrheit der idumäischen Familie, nur daß 272 beider Ausgangspunkt und Ziel entgegengesetzt waren. In der herodianischen Familie selbst herrschte statt Einmütigkeit eine Uneinigkeit, die sich immer wilder zu einem Knäul von Feindschaften, Gemeinheiten, Gelüsten und Hinterhältigkeiten verdichtete. Der Clan war durch keine Autorität zusammengehalten und gefügt. Er war durch das Gegenteil der Autorität, durch den Machtwahnsinn und über das Medium der steten Furcht gesprengt. Jeder stand dem andern bösartig gegenüber oder suchte im Anderen einen Bundesgenossen zur Begehung von Bösartigkeiten. Aus den Streitigkeiten wurden lärmende Kämpfe, ungehemmte und laute Enthüllungen menschlicher Gemeinheit. Eine Welle von Schmutz und Schlamm wälzte sich durch den Palast. Auf der einen Seite standen, blutsverwandt und wesensnahe, Salome und Antipater. Der hatte sogleich wieder seine Technik den veränderten Verhältnissen angepaßt. Nach den Vorgängen in Rom hatte er die dort geschaffene Situation zu respektieren. Wollte er weiter gegen die hasmonäischen Prinzen intrigieren, so war das nur möglich, wenn er sie zuvor seinem Vater gegenüber ständig in Schutz nahm und verteidigte. Das bekundete seine herzliche Unbefangenheit und seine natürliche Güte. Um so eifriger nährte er die Quellen, die auf den bekannten Umwegen die gleichen Beschuldigungen wie früher an Herodes heranzutragen hatten. Die Gleichartigkeit empfahl sich deshalb, weil damit an dem früheren und nie völlig beseitigten Verdacht gegen die Prinzen leichter angeknüpft werden konnte. Ein fortgesetzter Verdacht ist wirksamer als ein ganz neuer. Als Nebenergebnis, das 273 ihm sehr zustatten kam, erreichte er, daß die Front der Kämpfer und damit die Möglichkeit zu Verwicklungen größer wurden. Glaphyra, die Gattin des jungen Alexander, griff mit in den Streit ein, um die Partei ihres Gatten zu nehmen. Sie kam von außen her, konnte also unbefangener urteilen, und erkannte als die stärkste Triebfeder der Intrigen zu Recht Salome. Auch sie scheint nicht ohne Temperament und Hochmut gewesen zu sein, denn sie scheute sich nicht, dem Streit mit Salome eine gellende Öffentlichkeit zu geben, während sie sich andererseits mit dem Stolz der Königstochter darüber beschwerte, daß sie sich mit ihrer Schwägerin Berenike, der Tochter der Salome, also einem bürgerlichen Wesen, auf einer Stufe bewegen müsse. Sie fand, wenn auch nicht in dieser Frage der Rangwertung, so doch in ihrer aktiven Feindschaft gegen Salome eine Unterstützung durch die übrigen Gattinnen des Herodes. Aber auch Salome bekam dadurch Bundesgenossenschaft. Die gekränkte Berenike, halb aus eigenem Entschluß, halb von der Mutter überredet, schlug sich auf die Seite der Salome und verriet ihr alles, was sie an verfänglichen oder unverfänglichen Gesprächen mit ihrem Gatten hatte oder in seinen Räumen hörte.

In diesem Sumpf des Familienzwistes trieben immer neue Giftblüten auf. Daß von ihnen gesprochen wird, beruht nicht auf dem Interesse, das solche privaten Intimitäten beanspruchen könnten, sondern auf der Notwendigkeit, verständlich zu machen, wie der letzte seelische Widerstand und der an sich schon geringe Bestand des seelischen Gleichgewichtes in Herodes 274 zermürbt und endlich, zu einer Häufung von Katastrophen hin, gänzlich weggeschwemmt wurde. Denn alles, was in seinem Umkreise geschah, – mochte es eine hochpolitische Frage der Dynastie sein oder eine ganz private Familienangelegenheit – traf ihn gleichermaßen in seiner Eigenwertung und seinem Geltungsbedürfnis. Alles, womit er nicht übereinstimmte, war gegen ihn persönlich gerichtet und befugte ihn zu maßlosen Reaktionen des Zornes; und daß er solchen Zorn nicht nur gegen Außenstehende und gegen die Hasmonäer, sondern endlich auch gegen Mitglieder seiner eigenen, bis dahin unantastbaren idumäischen Familie wenden mußte, konnte seine Unsicherheit nur noch erhöhen. Sein eigener Bruder Pheroras, den er mit einer Tetrarchie und mit guten Einkünften gesichert hatte, bereitete ihm derartigen Kummer. Herodes hatte von der hasmonäischen Mariamne neben den beiden Söhnen noch zwei Töchter. Die Ältere, Salampsio, hatte er mit seinem Bruder verlobt, um hier noch einmal die kreuzweise Verankerung der Dynastie zu schaffen. Aber Pheroras hatte seine persönlichen Neigungen. Er hatte sich in eine seiner Sklavinnen verliebt, und über der Liebe zu ihr fand er keine Zeit, sich um seine Verlobte zu kümmern. Das verletzte Herodes tief. Er erklärte seinen Bruder einer Verbindung mit dem Königshause für unwürdig und vergab diese Tochter an seinen Neffen Phasael, den Sohn seines Bruders Phasael, der sich nach der Gefangennahme durch die Parther selbst getötet hatte. Aber da ihm letztlich doch an einer Verknüpfung des Pheroras mit seiner Dynastie lag, verlangte er nach einiger Zeit – er glaubte, die Leidenschaft zu der schönen 275 Sklavin habe sich etwas beruhigt – daß er die zweite Tochter der Mariamne, Kypros, zur Gattin nehmen solle. Pheroras hielt weiteren Widerstand für nicht geraten, sagte zu, entließ seine Sklavin und bestimmte die Hochzeit für den Ablauf von einem Monat. Aber ehe noch dieser Monat verflossen war, hatte er schon wieder die schöne Sklavin zu sich geholt und die Braut vergessen. Die grenzenlose Wut, die Herodes über diesen doppelten Affront empfand, gab nun wieder einen günstigen Nährboden ab für diejenigen, die etwas gegen Pheroras zu intrigieren hatten.

Pheroras seinerseits zögerte nicht, seinem Bruder das Mißwollen heimzuzahlen, und zwar mit einer sehr falschen Münze. Er machte sich an Alexander heran und überbrachte ihm als eine Entdeckung, die er angeblich der Salome verdanke, die Nachricht, daß Herodes sich leidenschaftlich in seine Gattin Glaphyra verliebt habe und sie für sich begehre. Alexander, von der Atmosphäre dieses Hofes schon angekränkelt und auch schon jeder, selbst der unsinnigsten und unsaubersten Denunziation zugänglich, antwortete mit einem wilden Ausbruch jugendlicher Eifersucht. Jede kleine Höflichkeit, die sein Vater bisher der Schwiegertochter erwiesen hatte, wurde jetzt entsprechend umgedeutet. Doch weil er im Grunde noch unbefangen und harmlos war, lief er weinend zu seinem Vater, um sein Leid zu klagen. Herodes war entsetzt über so viel Bosheit in seiner eigenen Familie. Wie weit er selbst mit seinem Verhalten den Boden dafür bereitete, konnte er natürlich nicht sehen. Er ließ Pheroras sofort kommen und beschimpfte ihn. Da er in Zorn war, war er auch 276 zugleich in Angst. Pheroras verleumdet. Wenn er aber schon verleumdet, dann will er auch mehr; und dieses Mehr, dieses ewige Gespenst, das über den dunklen Gewässern der Untaten schwebt, ist der Königsmord! Und so überschlägt er sich sogleich: »Ist es jetzt nicht klar, daß du meinem Sohn nicht nur solche Reden hinterbringst, um mich zu beschimpfen, sondern auch, um ihn zu bereden, daß er mir durch Gift den Tod bereitet? . . . Wolltest du nur deine giftigen Reden in seine Seele senken oder ihm gleich den Dolch zum Mord am Vater in die Hand drücken?« Und in diese Angst mischt sich eine Sekunde der Rührung: »Wer hätte denn nicht bei einer solchen Anschuldigung an seinem Vater sofort Rache geübt, wenn er nicht, wie mein Sohn, Gott vor Augen gehabt hätte?«

Pheroras kann sich in dieser unbehaglichen Situation nicht behaupten. Mit dieser Naivität, daß Alexander zu Herodes gehen würde, hat er nicht gerechnet. Er rechnete mit den ihm vertrauten Winkelzügen. Jetzt muß er sich irgendwie entlasten. Er schiebt die Schuld auf seine Schwester Salome. Von ihr hat er alle diese Dinge erfahren. Salome kommt hinzu. Sie beginnt megärenhaft zu schreien. Sie rauft sich das Haar und zerschlägt sich die Brust. Wie wird sie etwas gegen den geliebten Bruder verbreiten? Aber das entstellte Übermaß ihrer Verteidigung enthüllt selbst dem kurzblickenden Herodes, daß hier etwas an Schuld und Unsicherheit verborgen werden soll. Zum ersten Male kann auch seine Schwester, seine ewig getreue Helferin, nicht vor ihm bestehen. Der Grund um ihn her wird so schwankend, wie es ein 277 Morast zu sein hat. Im höchsten Unwillen schickt er Pheroras und Salome fort, während er Alexander seine Genugtuung zu erkennen gibt, daß er nicht – wie er selbst es wahrscheinlich getan haben würde, – sogleich zur Gewalt gegriffen und sich vertrauensvoll an den gewandt hat, der dieses Vertrauen verdient: an den liebenden Vater. Aber diese Liebe hatte längst kein Fundament mehr, nicht einmal mehr das nur triebhafte Fundament der ersten Jahre. Die halb unfreiwillige Versöhnung in Gegenwart des Augustus war keine endgültige. Sie ließ in seiner Seele einen Rest von Haß zurück, schon weil dort einmal ein Keim des Hasses gelegen hatte. Ganz vergessen hat er nie, wenn es sich um ein wirkliches oder vermeintes Unrecht gegen ihn handelte. Dafür vergaß er, was er Anderen geschehen ließ, um so gründlicher. Der Umschwung von der Liebe zum Haß konnte also jeden Tag einsetzen. Antipater sorgte für eine Beschleunigung des Prozesses. Er war jetzt schon erkennbar Mitregent. Der Kanzler Ptolemäus war ihm völlig unterstellt, und er konnte sogar seine Mutter allmählich so weit in den Vordergrund schieben, daß Herodes die wichtigsten Dinge seiner Regierungsgeschäfte mit ihr besprach. Damit schloß er den Kreis der idumäischen Familie, der einmal mit so viel Aufwand von Kraft und Zähigkeit und Gewalt und Geschick erweitert worden war, wieder zum ersten Ursprung hin, zu Vater, Mutter und Sohn, zu den drei Idumäern, die das Schicksal nach Judäa getrieben und auf den Thron gebracht hatte, zu den Fremden, die weder im Glauben noch im Wesen noch im Denken da heimisch werden konnten. Ihre Heimat lag in 278 dem, was sie besaßen und sich zum Besitz erkämpften. Hier nicht aus der Spur zu fallen, war des Antipater ganzes Bestreben. Er wollte den Kreis der Familie schließen, um dann selbst an die Rolle dessen zu gelangen, der für sich allein erwerben kann. Stete Sorge war daher die Ausschaltung der Hasmonäer. Er brauchte sie nicht. Sein eigenes Blut war ihm königlich genug, um diese Fremden entbehren zu können. Und der Prozeß ihrer endlichen Ausschaltung, den der Vater durch die Ausrottung von drei Generationen so hoffnungsvoll begonnen hatte, dauerte ihm schon zu lange. Rückfälle des Vaters in eine Art von Zuneigung zu den Prinzen störten ihn sehr. Der Angriff mußte nicht nur verdoppelt, sondern vervielfältigt werden.

Wieder ließ er vom Primitivsten bis zum Raffiniertesten Nachrichten an Herodes gelangen. Die Prinzen haben sich hochmütig gegen die Idumäer geäußert. Sie haben gesagt, wenn sie einmal zum Regiment kämen, würden sie alle ihre Halbbrüder zu Dorfschreibern machen, denn dafür reiche ihre Bildung gerade aus; und wenn sie die übrigen Weiber im Schmuck der Mutter daherstolzieren sähen, würden sie sie in Säcke einnähen und einsperren lassen. Das waren Kindlichkeiten, von denen gleichwohl der Stachel der Geringschätzung zurückblieb. Das Extrem sind Verdächtigungen, daß Alexander sich an die Lustknaben des Herodes herangemacht und sie mit Geld bestochen habe. Hier wurde sehr geschickt von einem Gebiet aus operiert, auf dem Lebensangst und erotische Eifersucht sich in der denkbar häßlichsten Mischung befanden. Aber die Ebene war richtig gewählt. 279 Von hier aus ging Herodes den Dingen nach. Aber die Knaben wußten auf Befragen nichts von Anschlägen des Alexander gegen den Vater zu berichten. Das war unglaubhaft, zumal Herodes vermutete, daß sie zu seinem Sohn in vertraulichen Beziehungen standen. Darum ließ er sie foltern. Unter dem Gewicht der Schmerzen machten sie Angaben, die ihnen entsprachen: Alexander hasse seinen Vater. Er habe sie bereden wollen, von ihm wegzugehen; er sei doch schon ein überlebter Mann. Um sein Alter zu verbergen, färbe er sich die Haare schwarz. Nach seiner, des Alexander Thronbesteigung, werde er ihnen Ehrenstellen geben. Und er werde den Thron gewiß besteigen. Der Vater selbst habe es gesagt, und schon jetzt sei sein Anhang im Volke genügend groß. Da wären viele, die mit ihm durch dick und dünn gingen.

Herodes nahm alles, was aus dieser trüben Quelle kam, als Wahrheit. Die Verletzung seiner Eitelkeit und die Furcht um sein Leben hielten sich die Wage. Weil Beides ihn traf, vermied er es, die Sache nach außen dringen zu lassen. Er wollte lieber eine geheime Untersuchung anstellen. Aber da diese geheime Untersuchung gar keinen Erfolg hatte, steigerte er sein Mißtrauen ins Uferlose. Das war für ihn ein klarer Beweis, daß hier eine Verschwörung von derartiger Feinheit angezettelt war, daß man die Fäden nicht greifen konnte. Und da er das nicht konnte, bestand die Möglichkeit, daß schlechthin jeder Einzelne aus seiner Umgebung den einen oder den anderen Faden in den Händen hielt. Da waren Höflinge und Bekannte, von denen er meinte, daß sie sich viel zu 280 häufig bei Hofe blicken ließen. Sie waren verdächtig. Da waren andere, die sich viel zu selten bei Hofe blicken ließen. Sie waren noch weit verdächtiger. Diesem und jenem seiner nächsten Freunde ließ er die Mitteilung zukommen, daß er sie ihres Dienstes bei Hofe enthebe; sie brauchten nicht mehr zu erscheinen. Diese vom Hofe Verbannten hatten noch das beste Los gezogen: sie waren außerhalb der Verwicklungen und der sinnlos dreinfahrenden Schläge, die Herodes nach allen Seiten austeilte. Ein aufkeimender Verfolgungswahn benebelte ihn. Es mochte ihm irgend ein Verdacht zugetragen werden oder solcher Verdacht sich selbständig in ihm bilden: schon genügte es ihm, zu seiner vermehrten Sicherheit das Objekt des Verdachtes umbringen zu lassen. Die Menschen am Hofe wurden unsicher, ratlos, verängstigt. Sie fingen an, sich gegenseitig zu belauern und zu beargwöhnen. Die Denunziationen aus Angst häuften sich. Der Denunzierte wurde hingerichtet. Meist wurde bald darauf auch der Denunziant hingerichtet, denn sobald dem Herodes Zweifel an der Haltbarkeit der Anzeige kamen, war ihm der Anzeigende als einer, der geheime Pläne damit verfolgt, noch weit verdächtiger. Es ergab sich ein reguläres Morden nach allen Seiten hin, das gewaltsame Zerreißen von imaginären Fäden, die ihn einspinnen wollten und von denen er unheimlich fürchtete, eines Tages erdrosselt zu werden. Unter dem fürsorglichen Schein, bei der Entwirrung der Fäden zu helfen, gab Antipater sich Mühe, sie noch enger zu knüpfen. Er war es, der in dieses Wüten des Verfolgungswahns ein System brachte. Zunächst sorgte er dafür, daß die 281 bisherigen intimsten Freunde des Herodes, die zugleich die Lehrer der Hasmonäerprinzen gewesen waren, Andromachus und Gemellus, vom Hofe entfernt wurden. So ließ sich das ganze Verfahren ungehinderter auf die Umgebung des Prinzen Alexander, des nächsten, des zu nahen Thronerben konzentrieren. Der Plan leuchtete Herodes ein. Wer als Freund und Anhänger des Alexander galt, wurde überwacht, dann festgenommen und dann befragt. Es war schwer, aus Menschen, die von einem nicht bestehenden Plan nichts wußten, Kenntnisse herauszuholen. Darum wurde zur Folter gegriffen. Auch da ergab sich nichts. Herodes barst vor Wut. Antipater hatte durchaus Recht, wenn er ihm vorstellte, daß diese tiefe Schweigsamkeit ein weiterer Beweis für die verschlungene Heimlichkeit einer Verschwörung sei. In zahllosen Fällen wurde die Folter bis zum Tode der Schweigsamen fortgesetzt. Herodes war aber entschlossen, nicht eher aufzuhören, als bis er das notwendige Ergebnis in Händen hatte. Endlich schien es, als löse sich ein Faden aus dem Gewirr. Er war sehr dünn; er war eigentlich kein Faden. Aber er ließ sich als Faden verwerten.

Einer der gefolterten Zeugen, um nur irgend etwas zu sagen, was man ihm als Anschuldigung gegen die Prinzen glauben würde, erfand irgend eine Lächerlichkeit: er habe Alexander zuweilen wegen seiner körperlichen Geschicklichkeit und seiner allgemeinen Gaben gelobt. Der Prinz habe ihm erwidert, diese Gaben seien ihm mehr schädlich als nützlich, denn sie trügen ihm die Mißgunst und den Haß des alten Vaters ein. Bei Spaziergängen mache er sich besonders klein, um 282 Herodes nicht an Wuchs zu überragen; bei Jagden schieße er absichtlich daneben, damit der König auf sein Können nicht eifersüchtig werde. Mit solchen Kindereien war immerhin eines bewirkt: die Eitelkeit des Herodes war verletzt und die Respektlosigkeit des Sohnes bewiesen. Als man darauf hin eine Weile mit der Folter aufhörte, schöpfte der Zeuge Mut. Vielleicht konnte man der weiteren Folter ganz entgehen, wenn man gewichtigere Dinge erfand; solche Dinge, wie Herodes sie hören wollte. So »gestand« er, daß beide Prinzen den Entschluß gefaßt hätten, ihren Vater bei der Jagd aus dem Hinterhalt zu töten und dann nach Rom zu fliehen, um sich dort die Königswürde zu verschaffen. Das waren just die beiden Punkte, die Herodes bewiesen haben wollte. Der Zufall spielte ihm noch ein weiteres Beweisstück in die Hand, das zwar nichts zum Thema besagte, aber von ihm als wertvolles Indiz gewertet wurde. Es wurde ein Brief aufgefangen, in dem Alexander sich bei seinem Bruder darüber beschwerte, daß der Vater dem Antipater, ohne daß das gerechtfertigt sei, ein Gebiet geschenkt habe, das ihm 200 Talente Einkommen brachte. Das war alles. Aber für Herodes genügte es, weil es eine Kritik seiner Maßnahmen darstellte und weil er es genug sein lassen wollte. Er ließ Alexander verhaften und ins Gefängnis setzen.

Im Augenblick, wo das Resultat dieser krankhaften Anstrengungen erreicht war und die erste gewaltsame Spannung nachließ, zerfiel auch die Überzeugungskraft, mit der Herodes das gewonnene Material gewertet hatte. Selbst ihm schien es zu belanglos und zu unwahrscheinlich. Aber 283 bedeutete das, daß er jetzt auf seinen Verdacht verzichtete? Es bedeutete das genaue Gegenteil. Was seine Vorstellungskraft einmal erfaßt hatte, mußte auch der Wirklichkeit entsprechen. Tat sie es nicht: um so schlimmer für die Wirklichkeit. Gab sie sich nur unzureichend zu erkennen, so mußte sie mit den Mitteln, die ihm zugänglich waren, gezwungen werden, ihr ganzes Gesicht zu enthüllen. Die Geschöpfe seines Wahns wurden seine Gegenwart. Es stand in seiner Macht, sie zu beschwören. Die erneute Anwendung dieser Macht war hier um so notwendiger, als er deutlich die Möglichkeit verspürte, daß man ihm aus der vorschnellen Verhaftung des Sohnes einen schweren Vorwurf machen könne. Um diesen Vorwurf von vornherein zu entkräften, mußte nachträglich und erneut an die Schaffung von Beweisen herangegangen werden. Und so drehte sich die Spirale weiter. Wieder wurden Freunde des Alexander gefangen, verhört und gefoltert. Wieder wußten sie nichts und starben als Opfer der herodianischen Inquisition. Und wieder dadurch lieferten sie den Beweis von der Tiefe und Verschlungenheit der Verschwörung. Es war ein Kreisel des Wahnsinns. Aber Herodes konnte ihn selbst nicht mehr zum Stehen bringen. Er wurde selbst bis zum Schwindel von dieser Bewegung mitgerissen. Aus dem allgemeinen Entsetzen, das sich rings um ihn verbreitete, gelang es denn auch endlich, bei der Folterung eines jungen Menschen weiteres Material zu gewinnen. Alexander, sagte der junge Mensch, hat an seine Freunde in Rom geschrieben, sie möchten dafür sorgen, daß Augustus ihn zu sich befehle. Er hätte ihm wichtige Mitteilungen 284 über ein Geheimbündnis zu machen, das Herodes mit dem König Mithridates gegen Rom abgeschlossen habe. Und um dem Thema noch näher zu kommen, verriet er, Alexander habe in Askalon Gift für Herodes herstellen lassen.

Jetzt sah Herodes endlich klar. Er sonnte sich sogar mit masochistischer Bereitschaft in dem Gedanken, daß die Gefahr noch weit größer und dringlicher sei, als er sie sich vorgestellt hatte. Man arbeitete sogar mit Gift gegen ihn. Durch Gift hatte er seinen Vater verloren. Sein ganzes Verhalten fand eine ausreichende Bestätigung; und Alexander vermehrte diese Bestätigung noch in höchst kindlicher und törichter Weise, als sei die Situation nicht schon gefährlich genug. Ob er nun ein Ablenkungsmanöver versuchen oder im Gefühl seiner Unschuld seinen Spott treiben oder gar in ungeschickter Nachahmung der Idumäer die eine Intrige durch die andere paralysieren wollte: jedenfalls schrieb er vier Briefe gleichen Inhaltes, bei denen er damit rechnen mußte, daß sie aufgefangen und zur Kenntnis des Herodes gebracht würden. Es hieß da, daß man die Untersuchungen und die Folterungen einstellen könne. Er und Pheroras hätten sich wirklich gegen das Leben des Königs verschworen. Beteiligt daran seien die beiden intimsten Freunde des Königs, sein Kanzler Ptolemäus und Sapinnius. Und damit in dieser Gegenmine die gewohnte private Note nicht fehle, findet sich die Anmerkung, Salome sei nachts bei ihm eingedrungen und habe ihn zum Beischlaf gezwungen. Diese Mischung aus Plumpheit und Unappetitlichkeit akzeptierte Herodes. Er hätte in diesem Stadium noch andere 285 Dinge akzeptiert, weil der ganz offen ausgebrochene Verfolgungswahn diese Dinge einfach zu seiner Bestätigung brauchte. Er hatte Tobsuchtsanfälle, in denen die Todesurteile ohne Bedenken und ohne Nachdenken verhängt wurden. Dazwischen aber sank er in tiefe Melancholie und Verbitterung, in ein unmäßiges Mitleid mit sich selbst. Er hatte die Zwangsvorstellung, daß sein gefesselter Sohn irgendwo mit einem gezückten Schwert verborgen stehe, um ihn zu ermorden. Er war völlig von sich selber und seinen entfesselten Gefühlen überwältigt; ein panisch verängstigter Tyrann an der Grenze des Wahnsinns.

Noch einmal konnte dieser Krampf durch eine Einwirkung von außen für kurze Zeit gelöst werden. Archelaus von Kappadozien, der Schwiegervater des Alexander, von höchster Unruhe erfüllt, kam nach Judäa, um durch seine Intervention das noch mögliche zu retten. Die Situation schien ihm zwar ungewöhnlich schwierig, aber nicht hoffnungslos. Er übersah nicht nur die seelische Verfassung des Herodes mit einem Blick, sondern erkannte auch mit ungewöhnlichem Scharfsinn die Mittel und Wege, mit denen man diesem unzurechnungsfähigen Menschen begegnen konnte. Er verhielt sich wie ein geschickter Arzt. Vor allem galt es, in dem an sich schon über die Intervention mißtrauischen Herodes keine Widerstände zu erwecken. Er mußte ihn im Gegenteil nachträglich bestätigen. Er beklagte das Schicksal des Herodes. Er verwünschte seinen Schwiegersohn, daß er sich so über die Maßen undankbar gegen einen so gerechten und gütigen Vater erweise. Er deutete ergrimmt die Möglichkeit an, seine Tochter mit sich 286 heim zu nehmen, da er sie nicht die Gattin eines Verbrechers sein lassen wollte. Solche ehrliche und freundschaftliche Bestätigung war Balsam für Herodes. Wo alles ihm mißtraute, jeder ihn fürchtete und jeder ihm Unrecht gab, war diese Zustimmung eine ungeheure seelische Erleichterung. Am Zorn des befreundeten Königs konnte er die Tiefe seines eigenen Unglücks erst richtig erkennen. Er begann bitterlich zu weinen vor Kummer und Selbstmitleid. Archelaus tröstete ihn nach Kräften, aber das aufgestaute, undifferenzierte Gefühl in Herodes überschlug sich. Aus dem jammernden Mitleid mit sich selbst fiel sogar eine Welle von Mitleid für Alexander ab, und er bat Archelaus, er möge dem Prinzen doch nicht die Schande antun, ihm die Gattin wieder zu nehmen. Vielleicht wollte Herodes, der ewig gläubige Schauspieler seiner sich selbst zugeteilten Rollen, auch nicht an Rechtlichkeit und Edelmut hinter Archelaus zurückstehen. Jedenfalls war die erste Bresche in diese Mauer von Ichsucht und Verfolgungswahn gebrochen. Archelaus konnte vorsichtig weiter gehen. Ohne Alexander noch direkt zu entlasten, wies er allmählich auf die Freunde des Prinzen als die in Wirklichkeit Schuldigen hin; denn sie hatten die ganze Sache eingefädelt und die Arglosigkeit und Gutartigkeit des Alexander für ihre Pläne mißbraucht. Eine solche Aussage durfte, um Gewicht zu haben, natürlich nicht eine allgemeine Vermutung bleiben, sondern mußte substanziiert werden. Als das geeignete Objekt dafür bot sich, wie Archelaus richtig erkannte, Pheroras dar. Er war nach den letzten häuslichen Vorfällen an sich schon recht unbeliebt bei Herodes und hatte 287 vielleicht wirklich dieses und jenes an Intrigen gegen Herodes auf dem Gewissen. Aber das war in dieser Situation nicht wesentlich, denn in eben dieser Situation – auch das sah Archelaus richtig – kam es gar nicht auf eine konkrete und nachweisbare Handlung an, sondern nur auf die Tatsache des Verdachts und der Verdächtigung. Sogar Pheroras verstand das. Die Tatsache, daß man überhaupt einen Verdacht auf ihn lenkte, machte ihn für seine eigene Erkenntnis vielleicht nicht zum Schuldigen, aber doch zu einem, der wie ein Schuldiger Strafe zu erwarten hat. Dagegen gab es keine Hilfe anders als durch den Versuch, Archelaus milde zu stimmen. Und damit hatte der Kappadozier den Schlüssel zu der ganzen Situation in die Hand bekommen. Pheroras müsse, erklärte er, unter allen Umständen Herodes um Verzeihung bitten. Dabei wolle er, Archelaus, wohl die Rolle des Vermittlers übernehmen.

Diese Aktion hatte Erfolg. Daß ein aufrichtiger Freund ihm hier den Schuldigen präsentierte und ihn seiner Gnade empfahl, und daß der Schuldige selbst seine Verzeihung erbat, war für Herodes das, was er brauchte: die Bestätigung seiner selbst, die Rechtfertigung aller seiner bestialischen Morde, die wohltuende Beruhigung seines schlechten Gewissens und als Ergebnis alles dessen ein nochmaliges Aufflackern des Lebensgefühls und die Lüftung dieser schweren Decke des Verfolgungswahns. Aus dieser Entspannung befahl er, Alexander zu befreien, und zwar als einen, dem man nicht widerwillig verzieh, sondern den man von dem Verdacht lossprach. Die eigentliche Verzeihung war dem eigentlich Schuldigen zu gewähren: dem Bruder 288 Pheroras; und mit ihm söhnte er sich jetzt aus. Für Archelaus aber bekundete Herodes eine spontane Freundschaft, die sich in seiner gewohnten überreichen Art zu schenken äußerte. Und als Archelaus sich zur Heimreise anschickte, hatte Herodes noch eine letzte Bitte an ihn: er möge über die Begebenheit der letzten Tage an Augustus berichten. Er selbst hatte schon berichtet. Jetzt schämte er sich. Aber den Mut, seinen Bericht selber zu korrigieren, brachte er nicht auf.

In Wirklichkeit aber war das alles nicht Auflösung, sondern das letzte freie Atemholen vor dem endgültigen Hereinbruch der Katastrophe. Denn alles, was hier geschah, hatte eine einzige Person ganz aus dem Spiele gelassen und in den ungefährdeten Hintergrund gestellt: Antipater. Er war schon sehr nahe am Ziel gewesen. Archelaus hatte ihm das Konzept verdorben. Er mußte es neu ordnen, denn er ließ von seinem gesteckten Ziel so wenig ab, wie sein Vater es getan hatte. Er repetierte, unter günstigeren Bedingungen, den Lebenslauf dieses Vaters, und er kreuzte ihn eines Tages sogar, um daran zu zerschellen. Für seine neuen Praktiken bediente er sich eines berufsmäßigen Schwindlers und Hochstaplers, des Lakedämoniers Eurykles, der sich als Gastfreund des Antipater bei Hofe herumtrieb und durch Fühlungnahme nach allen Seiten auf seine Kosten zu kommen suchte. Seine geschmeidige Art machte ihn für alle denkbaren Aktionen sehr verwendbar. Antipater zeigte ihm die Richtung, und schon nach kurzer Zeit hatte der Grieche sich bei dem arglosen Alexander als angeblich intimer Freund seines Schwiegervaters Archelaus eingeführt. 289 Unglück und Alleinsein machen mitteilsam, und da es sich um den Freund dessen handelte, der die Situation vor dem Äußersten gerettet hatte, schüttete er ihm sein Herz aus. Er konnte dieses Dasein nicht mehr ertragen. Der Vater beargwöhnte und isolierte ihn; dem ältesten Halbbruder wurde alle Gunst zugewandt; rings um ihn war alles feindlich; er wollte und mußte aus dieser Atmosphäre heraus. Mit diesen Äußerungen kam Eurykles zu Antipater. Der wußte, daß sie trotz ihrer völligen Harmlosigkeit ausreichend ihren Dienst tun würden, wenn man sie nur in der richtigen Form vortrug. Da Antipater nach wie vor im Hintergrunde zu bleiben hatte, war es an dem Griechen, Herodes direkt zu verständigen. Er tat es sehr geschickt und bekam dafür gut bezahlt. Dann verschwand er vom Hofe, reiste zu Archelaus, erzählte dort das Gegenteil – nämlich seine treue Fürsorge für Alexander, bekam noch einmal bezahlt und machte sich dann schleunigst aus dem Staube.

Damit war dann der Stein erneut ins Rollen gekommen. Geruht hatte er nie. Es hatte sich ihm nur ein schwaches Hindernis in den Weg gelegt: die Bereitschaft des Herodes, sich gelegentlich vom Gefühl der Rührung übermannen zu lassen. Da die Rührung aufgehört hatte, wirkte auch der Widerstand nicht mehr, und statt dessen wirkte wieder die ursprüngliche Kraft: der längst bereite Wille, hier unter allen Umständen das nie fehlende Mittel der Tötung einzusetzen. Und so rollten die Dinge weiter. Es hätte auch eines stärkeren Charakters als den des Herodes bedurft, um von einem Weg, auf dem schon eine so große Strecke zurückgelegt war, endgültig umzukehren. 290 Herodes trieb den Weg, der ihm letzten Endes so gemäß war, weiter. Er begann wieder Material zu sammeln. Er forderte dazu auf, es ihm zu bringen; und die Menschen drängten sich jetzt dazu. Nicht, daß sie etwas Wesentliches oder zuweilen überhaupt etwas gewußt hätten: aber es empfahl sich nach den bisherigen Erfahrungen unter allen Umständen, einer Inquisition zuvorzukommen. Lieber sich mit den ungeheuerlichsten Beschuldigungen freiwillig als Zeugen melden – Herodes würde ihnen jeden Text glauben – als erst auf der Folter nachsinnen zu müssen, mit welchen Angaben man sich aus der Qual befreien könne. So wälzte sich täglich ein Gebirge von Beschuldigungen heran: Alexander hat sich mit dem Koër Evaratus verschworen; Alexander hat zwei von Herodes entlassene Leibwächter in seinen Dienst genommen und bereitet sie durch reiche Geschenke auf die Ausführung eines Attentats vor; Alexander hat sich die Auslieferung der Festung Alexandrium und der dort verwahrten königlichen Kasse schon jetzt vom Kommandanten versprechen lassen; Alexander will heimlich zu Archelaus fliehen, mit ihm nach Rom fahren und dort den Vater anklagen. Es war mehr, als man erwartet hatte.

Herodes klärte, vor allem mittels der Folter, jeden Tatbestand bis in die Einzelheiten. Antipater sorgte dann jeweils dafür, daß die Zeugen beseitigt wurden, ehe sie Gelegenheit hatten, nochmals befragt zu werden und ihre Aussage zu ändern, das heißt: die Wahrheit zu sagen. Er inszenierte zu diesen Zwecken spontane Ausbrüche des Volkszornes. Diesen Zorn lieferten ihm seine dafür bezahlten Anhänger. Die beiden Leibwächter 291 wußten zunächst auf der Folter nichts. Dann, bei fortgesetzter Folter, wußten sie: Alexander habe sie bereden wollen, Herodes unter der Vortäuschung eines Unfalles auf der Jagd zu töten. Der Oberjäger des Königs habe ihnen königliche Jagdspieße und der Dienerschaft des Alexander Waffen gegeben. Auch habe man Gold im Stalle vergraben. Der Kommandant von Alexandrium wußte ebenfalls, trotz peinlicher Befragung, nichts von der Beschuldigung. Aber sein Sohn, – einer derer, die aus der Panik des Entsetzens das Wettrennen gegen Alexander mitmachten – wußte etwas. Er besaß einen Brief, einen Papierstreifen, auf den angeblich Alexander an seinen Vater geschrieben hatte: »Wenn wir mit Gottes Hilfe alles, was wir beabsichtigen, ausgeführt haben, so kommen wir zu euch. Sorgt dann nur dafür, daß ihr uns eurem Versprechen gemäß in die Festung aufnehmen könnt.« Dieses kostbare Beweisstück wollte sich Herodes naturgemäß nicht durch die Angabe Alexanders entwerten lassen, der Verfasser des Textes sei Antipater und der Kalligraph sei der Schreiber Diophantus, ein geschickter Nachahmer von Handschriften, der später wegen nachgewiesener Fälschung von anderen Handschriften hingerichtet wurde.

Als Abschluß dieser ersten Ermittlungen wurden jetzt beide Söhne verhaftet und wie gewöhnliche Verbrecher in Ketten gelegt. Zu allen Beweisen wollte Herodes nunmehr ein Geständnis von ihnen haben. Er ließ ihnen Schreibzeug bringen und befahl ihnen, schriftlich zu erklären, was alles sie gegen ihren Vater verbrochen hätten. Beide antworteten übereinstimmend: sie haben gar nichts 292 verbrochen; vor allem das nicht, was man ihnen vorwirft. Sie haben nur eines getan: sie haben ihre Flucht vorbereitet, weil es schlechthin nicht mehr erträglich sei, unter diesen Bedingungen und in dieser Atmosphäre in Jerusalem zu leben. Diese Erklärungen waren so wahrscheinlich und selbst für Herodes so einleuchtend, daß er davon erneut einen Zusammenbruch seines Beweisgebäudes fürchten mußte. Aber das konnte er innerlich nicht mehr zulassen, denn da der Haß, die Wut, die Angst nun einmal zu einem Gebirge getürmt waren, mußte dieses Gebirge irgend jemanden erschlagen. So klammerte er sich an einen neuen Ausgangspunkt. Die Prinzen wollen zu Archelaus fliehen; also spielt Archelaus mit ihnen das gleiche Spiel; also war schon die Versöhnung ein falsches Spiel; also war Archelaus kein Freund, sondern ein erbitterter Feind. Er übergab einem Gesandten des Archelaus, der Bericht über den weiteren Verlauf der Vorgänge am Hofe bringen sollte, einen Brief, in dem er ihn wegen seiner geheimen Feindschaft und wegen Konspiration mit seinen Söhnen anklagte. Einen zweiten Brief sandte er, mit den von ihm hergestellten Beweisstücken versehen, an Augustus, um seine Söhne vor ihm anzuklagen; diesmal aber nicht vor ihm als Schiedsrichter, sondern als Strafrichter.

Augustus nahm diese Anklage mit sehr geteilten Gefühlen entgegen. Alle Wertschätzung, die dem nützlichen und getreuen Vasallen Roms galt, konnte wohl die richtige menschliche Einschätzung nicht verhindern. Hätte Herodes diese menschliche Beurteilung gekannt, er hätte vielleicht gezögert, sich so ohne Aufhören und ohne Scham 293 vor ihm zu entblößen. Augustus hatte gerade beabsichtigt, dem Herodes noch ganz Arabien zu übergeben. Als er die Anklageschrift las, sah er davon ab. Einem solchen Menschen konnte er nicht noch ein zweites Reich anvertrauen. Seine Antwort an Herodes enthielt im übrigen dem Sinne nach eine Ablehnung des Richteramtes und besagte: falls die Söhne sich wirklich ein Verbrechen gegen den Vater hätten zuschulden kommen lassen, dann müßte man allerdings gegen sie wie gegen Vatermörder einschreiten. Dazu gab er ihm die Legitimation. Für den Fall, daß aber wirklich nichts als eine Flucht geplant gewesen sei, komme nur eine Zurechtweisung in Betracht. Er gab ihm den Rat – das heißt: den Befehl – nach Berytus, dem heutigen Beirut, wo viele Römer lebten, eine Gerichtssitzung einzuberufen und zu ihr den römischen Statthalter und den König Archelaus aufzufordern, und im übrigen diejenigen, die er für geeignet halte. Durch die Bestimmung einer Stadt, in der sehr viele Römer lebten, versprach sich Augustus möglicherweise eine hemmende Gegenwirkung gegen die ihm bekannte affektive Art des Herodes, während er andererseits, da er die Auswahl der Beisitzer freistellte, doch alles dem Herodes überließ. Es stand über allen sonstigen Erwägungen eben doch das Imperium, das an der Regelung menschlicher Beziehungen uninteressiert war und den Werkzeugen des Imperiums ungerne Zwang antat. So konnte Herodes dem Befehl leicht gehorchen. Er tat es allerdings mit zwei Variationen, die sowohl die Tiefe seines Hasses wie den Abgrund seines schlechten Gewissens aufzeigen: zunächst verständigte er Archelaus nicht 294 von der Sitzung und schaltete damit ein gefährliches Gegengewicht aus; sodann gab er seinen Söhnen überhaupt keine Gelegenheit zur Verteidigung. Er ließ sie nicht einmal bis in den Gerichtssaal kommen, sondern brachte sie in der Nachbarschaft in dem sidonischen Dorfe Platana unter. Da er zudem in der Auswahl der Beisitzer – es waren, der Bedeutsamkeit des Falles entsprechend, nicht weniger als 150 – nur diejenigen berücksichtigt hatte, mit deren Ergebenheit er rechnen konnte, war der Ausgang nicht zweifelhaft.

Hätte Herodes eine Selbstwertung selbst des geringsten Umfanges besessen, so hätte ihm das unvorstellbare Maß zu Bewußtsein kommen müssen, in dem er durch seine Anklagerede sich selbst beschimpfte und entwürdigte. Er plädierte nicht, er schrie und tobte mit unbeherrschten Gestikulationen. Die Gerichtspersonen hatten für ihn nur Zuhörer zu sein. Er wagte ihnen zu sagen, daß sie ja eigentlich nicht als Richter gekommen seien, sondern nur, um Zeugen seines gerechten Zornes zu sein. Sein Recht stand ohnedies fest. Das natürliche Recht und die Bewilligung Roms befugen ihn zu allem, was er will. Mit einer etwas ungenauen Kenntnis bezieht er sich auf »ein Gesetz unseres Landes«, daß, wenn die Eltern einem angeklagten Sohne die Hand aufs Haupt legen, alle Umstehenden ihn mit Steinwürfen töten müßten. (Er dachte dabei wohl an die Gesetzesbestimmungen des Buches »Reden« im Kapitel 21.) Da er angeklagt hat und ein Ergebnis will, läßt er weder eine Vernehmung der Söhne noch eine Prüfung der Beweisstücke zu. Er liest vor, was ihm gefällt, 295 und wertet es selber aus. Aus der schriftlichen Erklärung der Prinzen, die auch nicht das mindeste für die Anklage sagt, macht er unter vielem Aufwand an Lärm und Wortreichtum etwas Verdächtiges. Er will die Möglichkeit zu solchem Verdacht ein für allemal beseitigen und erklärt kategorisch, lieber sterben zu wollen, als derartiges noch länger zu ertragen.

Die Beisitzer kannten die Rolle, die ihnen zugewiesen war. Sie war durchaus passiv. Sie bestand zudem nicht darin, selbst ein Urteil zu fällen, sondern nur in einer Entschließung darüber, ob Herodes befugt sei, von seiner Strafgewalt Gebrauch zu machen. Die Art und das Ausmaß der Strafe oblagen dann seiner persönlichen Willkür. Und sie sahen ein: man mußte Herodes seinen Willen lassen. Es war völlig aussichtslos, ihn in diesem exaltierten Stadium noch beeinflussen zu wollen. Aber darum hatte Herodes noch keineswegs die einmütige Zustimmung aller Beteiligten für sich. Im Gegenteil: der ehemalige Konsul Saturnius, ein Mann von Gewicht und Ansehen, sprach sich sehr deutlich, wenn auch sehr zurückhaltend aus. Er betonte entschieden die Unangemessenheit der Todesstrafe für das, was man dem Sohne nachweisen könne. Seine eigenen Söhne unterstützten diese Auffassung. Aber ein anderer Römer sprach für Herodes, und bei der Abstimmung schloß sich ihm eine Mehrheit an.

Damit hatte Herodes das Instrument in der Hand, das er haben wollte. Aber zu seiner sofortigen Anwendung konnte er sich nicht entschließen. Eine Erinnerung und eine Unsicherheit standen dem noch entgegen. So wie es jetzt mit den Söhnen 296 geschah, war es einst mit der Mutter geschehen: Verdacht, Anklage, Versöhnung, neuer Verdacht und dann das grausame Ende. Das Rumoren des schlechten Gewissens drängte ihn in eine Sekunde des Zögerns hinein. Und ein gleiches Zögern stellte sich ein, wenn er an Rom dachte. Vielleicht hatte Saturnius das ausgesprochen, was man dort dachte? Er wollte abwarten, bis Nikolaus von Damaskus aus Rom zurück war und berichtete, wie dort die Meinung sei. Herodes erfuhr, sie sei ihm nicht günstig. Seine eigenen Freunde hielten es für richtig, beide Prinzen sofort in Freiheit zu setzen, um nicht etwas heraufzubeschwören, was nicht wieder gut zu machen sei. Auch Nikolaus persönlich war gegen die Todesstrafe. Als beamteter Historiker, der von seinem Herrn abhängig war, machte er ihm einen Vermittlungsvorschlag, der wenigstens das Recht des Herodes nicht in Frage stellte: gewiß seien die Taten seiner Söhne fluchwürdige Verbrechen, aber er solle sie doch zunächst eine zeitlang in Gewahrsam halten und erst später, wenn eine härtere Strafe ihm unbedingt notwendig scheine, unter Umständen das Urteil vollstrecken.

Was Herodes das eigene Gefühl nicht vermitteln konnte, das vermittelte ihm die Meinung anderer, bei denen er sich keinen schlechten Namen machen wollte. Darum wurde er nachdenklich. Mit den Söhnen war er längst fertig, so fertig, wie es die Untersuchung und die Verhandlung und die Abstimmung waren. Nach der Richtung hin gab es nichts mehr zu bedenken und zu empfinden. Es ging nur noch um ihn persönlich; um seinen Ruf als König und als Träger einer Weltkultur und 297 Weltgesittung. Und während er noch sorgsam bedachte und abwog, schlug ihm das Schicksal, das für die vom Herzen her Bösen aufgespart scheint, doch unversehens wieder mitten ins Gesicht . . . und plötzlich ging es in höchstem Maße um ihn persönlich; um das, was wie ein Schatten an seine Lebensgier geheftet war: um die Lebensangst, um das nie gestillte Entsetzen, das Los seiner zahllosen Opfer teilen zu müssen. Und dieses Mal war die Angst um so verzerrter, weil sie nicht von einem Einzelnen, sondern von einer breiten, anonymen Masse erregt wurde: vom Volke.

Das Volk war tief geknechtet und durch den Terror und das Spitzelsystem zum Schweigen verdammt. Dennoch war es nicht stumm und stumpf. Es verfolgte mit gleichbleibender Anteilnahme und mit gleichbleibendem Haß alle Vorgänge um Herodes. Da es in verklärender Rückschau die Hasmonäer liebte, liebte es auch die beiden Prinzen, und es sah jetzt der Gefahr entgegen, daß diese letzte Spur ihrer nationalen Hoffnungen mit den beiden jungen Menschen sterben könnte. Darum ging deren Schicksal sie so an wie ihr eigenes. Dieser und jener fand den Mut, zu klagen oder ein Wort des Unwillens und der Verachtung zu äußern. Besonders im Heere und unter den Offizieren war die Stimmung stark für die Prinzen und gegen Herodes. Es ist wahrscheinlich, daß Pläne zu ihrer gewaltsamen Befreiung erwogen wurden. Aber ehe es noch dazu kam, zerschlug der Freimut eines alten Soldaten des Herodes diese neue Spannung. Dieser Soldat – er hieß Teron und hatte einen Sohn, der mit Alexander befreundet war – machte sich zum öffentlichen Sprecher 298 der unterdrückten Volksmeinung. Er hielt in den Straßen unerschrockene Ansprachen und verfluchte die Zeit, in der Gut und Böse nicht mehr geschieden, in der die Wahrheit untergegangen und das Verbrechen zum Herrscher geworden sei. Noch in dem Schweigen derer, die ihm zuhörten, lag so viel Beifall und Zustimmung, daß er endlich beschloß, ein brennender Zeuge der vox populi, auf alle Gefahr hin zu Herodes zu gehen und mit ihm zu reden. Er begehrte eine Besprechung unter vier Augen. Sie wurde ihm gewährt. Was er bei dieser Gelegenheit sagte, war eine präzise Zusammenfassung des Urteils, das jeder Unbefangene sich bilden mußte; zugleich war es ein sauberes und mutiges Bekenntnis: »Ich kann diese Qual nicht länger ertragen. Ich muß frei mit dir reden, selbst auf die Gefahr hin, daß ich mein Leben einbüße. Aber wenn du nur willst, kannst du selbst von dieser Unterredung den größten Vorteil haben. Bist du überhaupt noch bei Sinnen? Wo ist denn dieser Geist geblieben, mit dem du sonst so viel Großes geleistet hast? Und wo sind deine Freunde und Verwandten geblieben? Aber auch wenn sie da wären: wie könnte man sie deine Freunde und Verwandten nennen, wenn sie zu einem solchen Verbrechen, wie es jetzt geschehen soll, ihre Zustimmung geben? Siehst du denn nicht selbst ein, was du tun willst? Du willst zwei Söhne ermorden, die mit den besten Eigenschaften geschmückt sind und die eine Gattin aus königlichem Geschlecht dir geboren hat. In deinem Alter willst du dich Verwandten anvertrauen, die du selbst schon oft zum Tode verurteilt hast. Du willst dich einem Sohne anvertrauen, von dem ich dir sage, 299 daß er deine Hoffnungen enttäuschen wird. Denkst du denn nicht daran, daß das ganze Volk, auch wenn es schweigt, doch deine Taten sieht und sie verabscheut? Und daß das ganze Heer, ganz besonders ihre Anführer, die Unglücklichen bemitleiden und den Urheber dieses Unglücks hassen . . .?«

Herodes hörte anfangs diese Vorstellungen gelassen an. Er war wohl nicht unempfänglich für diese schlichte und eindringliche Tonart. Aber das änderte sich in der Sekunde, als er etwas von der Sympathie der Soldaten und insbesondere der Offiziere hörte. Da hatte er bei günstiger Gelegenheit wieder einmal eine Verschwörung entdeckt; vielleicht eine neue; vielleicht aber auch die letzte und geheime Quelle der bisherigen. Und schon packte er wieder wie ein Wilder zu. Teron wurde gefangen genommen. Jeder, dessen Namen er genannt hatte, wurde gleichfalls verhaftet. Sogleich kamen auch die Schmeißfliegen wieder angesurrt. Der Barbier des Königs meldete sich und erklärte das, was man ihm unter Umständen eines Tages aus irgend einer Kombination hätte vorwerfen können: dieser Teron habe ihn überreden wollen, den König beim Rasieren mit dem Scheermesser zu töten. Nun war Herodes wieder völlig in seinem Element. Teron wurde gefoltert, und zu aller Vorsicht auch gleich sein Sohn. Teron wußte nichts zu sagen; aber der Sohn, der den Vater nicht mehr leiden sehen konnte, erklärte sich bereit die »Wahrheit« zu sagen, wenn man mit der Folter aufhören würde. Dann »gestand« er, sein Vater habe den Herodes bei der Unterredung unter vier Augen umbringen wollen; 300 denn damit hätte er sich zugleich dem Alexander gefällig zeigen wollen.

Herodes brauchte jetzt nicht mehr ein ungünstiges Urteil seiner römischen Freunde zu fürchten. Er konnte jetzt den schlüssigen Beweis liefern, daß das Verbrechen des Alexander sogar bis zur Vorbereitung einer Militärrevolte gediehen war, zu einem Unternehmen, das zugleich im hohen Maße staatsgefährlich war, und nicht nur ihn persönlich als Mensch, sondern auch seinen kostbarsten Besitz: den Thron bedrohte. Und von eben diesem Thron aus, um ihn noch einmal in seiner Unantastbarkeit zu bestätigen, verfügte er mit majestätischer Gewalt ein großes Massensterben. Teron und sein Sohn wurden hingerichtet. Der Barbier, der Angeber, der jedem Verdacht zuvorkommen wollte, wurde hingerichtet. (Er hatte sich im eigenen Netz gefangen. Er hatte gezeigt, welche theoretischen Möglichkeiten für einen Mord hier gegeben waren. Dem wurde durch die Praxis vorgebeugt). Es wurden ferner hingerichtet dreihundert der Verschwörung verdächtige Offiziere.

Dann ging es an die Söhne. Die Unternehmung war zwar im Prinzip immer gegen Alexander gegangen und gegen Aristobul lag außer einigem dummen Geschwätz überhaupt nichts vor; aber die beiden bildeten eine Einheit. Sie waren zusammen ein Begriff. Sie waren Hasmonäer. Sie hatten jetzt beide zu verschwinden, so wie die Anderen zum Verschwinden gebracht worden waren, Glieder einer Kette, die vom Urgroßvater Hyrkan über die Großmutter Alexandra zur Mutter Mariamne bis zu den Urenkeln lief. Eine und die gleiche Hand rottete sie alle aus. Sie wurden jetzt 301 beide nach Sebaste gebracht, nach jenem ehemaligen Samaria, wo Herodes dreißig Jahre zuvor sich mit ihrer Mutter vermählt hatte. Dort wurden sie beide erdrosselt. Die Leichname wurden nachts in die Festung Alexandrium transportiert und dort, neben einer Reihe von Vorfahren, die ein natürlicher oder gewaltsamer Tod dorthin verschlagen hatte, begraben. Das war im Jahre sieben vor der heutigen Zeitrechnung.

Die Hasmonäer existierten nicht mehr. Die Idumäer behaupteten das Feld.

 


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