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Ich trommelte ein paar Freunde zusammen, Spießgesellen von einst, den »unzuverlässigen Eduard« – unzuverlässig, weil er fünf oder sechs Meineide geschworen hatte – dann den »Witwentröster«, so genannt, weil er der Ernestine jedesmal einige Küsse raubte, den »Fernzünder«, der einmal mittels einer Zündschnur unsere Schreckensburg in die Luft sprengen wollte, wobei ihn der intelligente Hofhund erwischte, der mit der Pfote den glimmenden Faden austrat und aus Wut darüber, daß er sich verbrannte, dem »Fernzünder« schmerzhaft die Hosen zerfetzte, und auch noch den »öligen Schuft«, so genannt, weil es ihm allezeit eine schmunzelnde Freude bereitete, Zechgenossen das Bier durch Einträufeln von etlichem Rhizinus »bekömmlicher« zu gestalten.
Sie waren alle da. Ich berichtete von meinem Ausflug nach dem »Sieh dich für«. Sie fragten begierig nach den geringsten Kleinigkeiten. Und dann? – Dann wurden alle traurig.
»Wir zogen mit gesenktem Blick
In das Philisterland zurück,
O jerum, jerum, jerum,
O quae mutatio rerum.«
Aber doch – unsere schöne Idee, die »Schreckensburger« zu begründen, war nicht verblaßt.
Meine Berichte über das Erlebte fanden Beifall. Am besten gefielen die katastrophalen Ohrfeigen, die der graue Otter dem roten Ignaz versetzt hatte. Da lag Schmiß drin. Die neuen Kerle waren nicht schlecht.
Die Schreckensburger Gesellschaft war jetzt gut organisiert. Zu gleichen Teilen Schnapphähne, also Räuber, und Schergen, also Polizei. Dann einige »Pfeffersäcke«, reisende Kaufleute, denen die Aufgabe zufiel, sich überfallen zu lassen. Die zu raubenden Gegenstände mußten die Pfeffersäcke selbst beschaffen. Deshalb waren diese Posten unbeliebt. Sie wurden den »Füchsen« überlassen. Der Schloßhauptmann der Schreckensburg bestimmte die Waren und Quanten. Der letzte Überfall war für die Pfeffersäcke bedauerlich ausgefallen. Die für Ernestine als Huldigungsgabe bestimmte Flanellbluse wurde im Handgemenge zerrissen, die Liköre raubten die Räuber, die Zigarren fielen den Schergen zur Beute, die Wurst fraß der Hofhund, der wie ein Wahnsinniger dahergejagt gekommen war. Es war der vollendete Bandit, der erfolgreichste Räuber. Im übrigen ein treues Tier. Die Geprellten waren die reisenden Kaufleute, die Pfeffersäcke.
Ach, schönes Spiel! Selige Unbekümmertheit! Goldene Torheit!
Der »Witwentröster« schrieb eine Ansichtskarte, welche die Frau von Stein darstellte, an Ernestine: »Meine tränenden Augen gedenken deiner, du Ungetreue. Dein Witwentröster.« Der ölige Schuft sagte, dieser Text sei Quatsch, denn Augen könnten nicht denken, schon gar nicht tränende, da würden ja alle Gedanken zu Wasser. Er bedauere, zufällig kein Rhizinus bei sich zu haben, sonst wollte er diesen Liebesgruß mit schönen Tränen betauen und uns allen das Bier bekömmlicher gestalten. Er half sich, indem er im Aschenteller einen Mischmasch von Pfeffer, Asche und einigen Tropfen Underberg Bonekamp zusammenrührte, womit er »wundervolle Tränen« auf die Karte zauberte. Auch Frau von Stein hatte eine solche Träne an der Wimper. Der ölige Schuft war und blieb ein Schweinigel. Von Beruf Maler.
»Daß wir halt garnicht mehr so richtig übermütig werden können,« seufzte der ölige Schuft. »Ach, daß wir alt werden! Es ist wunderschön, jung und toll zu sein!«
Und damit soll diese »Räubergeschichte« schließen.
Wer über diese an sich ganz ernsthafte Erzählung schimpft, sei es drucklich, schriftlich, mündlich oder auch nur in Gedanken, soll der Ernestine überantwortet werden. Sie wird ihn in den »kurzen Prozeß« versenken. Das ist an sich nicht so schlimm, da der »kurze Prozeß« jetzt zu zwei Dritteilen voll weichen Mülls ist. Aber wenn der Versenkte ans Tageslicht zurückkrabbelt und ihm dann bei lebendigem Leibe von der Ernestine der Anzug »abgeklopft« wird, erleidet er ein grausiges Schicksal. Wie viele wirkliche Leichen es da gegeben hat, weiß ich nicht, aber siebzehn Personen männlichen Geschlechts sind mir schon bekannt, die jetzt dem verdienstvollen »Verein ehemaliger Scheintoter« angehören. Sie alle sind von der Ernestine »abgeklopft« worden.
Also: »Sieh dich für!«