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Die ganze Hausordnung bei der Lady Dalcluden war aufs Genauste nach ihren religiösen Grundsätzen eingerichtet. Von der Frühstunde an, wo sie es für Pflicht hielt, daß jeder an sein Tagewerk gehe, bis zum Schlafengehen, hatte sie alles so angeordnet, daß nichts ihren Grundsätzen Zuwiderlaufendes vorkomme. Es war Mode zu der Zeit, in den Tapeten, Möbeln, Equipagen und Livreen eine übermäßige Pracht zur Schau zu tragen, in welcher die Ueberreste älterer barbarischerer Zeiten recht auffallend hervorstachen. Nichts von dem allen erlaubte sich Lady Dalcluden. Nüchternheit und Ernst herrschten in ihrer ganzen Einrichtung, vom Söller bis zu der Küche hinab, und von dem alten Haushofmeister bis auf den blonden Stalljungen, für dessen Erziehung und sittliche Aufführung wie für die ihrer eignen Kinder Sorge getragen wurde, und der eben so regelmäßig täglich zwei Fragen im Assembly's-Katechismus auswendig lernen mußte, als ihre Knaben einen Abschnitt aus dem Griechischen Neuen Testament. Ihre beiden ältesten Söhne hatte sie nach Leyden geschickt, um da ihre Studien zu beendigen; zwei jüngere und zwei Mädchen wurden unter ihren Augen erzogen.
Es war etwa acht Uhr Morgens, zwei Stunden, nachdem jeder im Hause an sein Geschäfte gegangen war, und Torriswood an der Stelle des jungen Hauscaplans den Gottesdienst geleitet hatte, als Colville, neben Fiorentinen beim Frühstück sitzend, zuerst sich genöthigt sah, ihr über die Ereignisse des gestrigen Abends Auskunft zu geben.
»Sind Sie auch Ihres Versprechens eingedenk gewesen?« fragte sie.
»Ja wohl. Darf ich aber wohl auch fragen, ob Sie des Ihrigen?«
»So gut ich konnte. Ich hatte mit meiner Tante ein Gespräch, worin ich auch die Frage von den Träumen vorbrachte. Sie hatte ganz dieselben Ansichten darüber, wie Sie, und gab mir auch denselben Rath, brachte auch selbst sogleich das Gespräch auf mehrere anziehende Gegenstände.«
»Und welchen Erfolg hatte das? Träumten Sie denn überhaupt?«
»O ja, ich träumte. Olivia und ich haben die letzten Monate nichts als unangenehme Träume gehabt; letzte Nacht aber mischten sich wenigstens einige liebliche Bilder hinein.«
»Nun, dann werden Sie gewiß meine Theorie für die richtige halten?«
»Doch noch nicht ganz. Ich hatte so vielerlei gestern gesehen; Edinburgh, mit seinem finstern alten Schlosse und den Bergen rings umher, glühend in der Abendsonne, erfüllte meine Fantasie, und wovon ich auch immer träumen mochte, immer kam dies darin vor.«
»Nun, bestätigt das nicht recht meine Theorie?« fragte Colville lächelnd.
»Das mag seyn, aber als Sie gestern Abend uns verließen, hatten wir Besuch, der auch Stoff genug zu den trüberen Bildern meines Traumes lieferte.«
»Besuch? wer war das denn?«
»Onkel und Tante Osborne mit Georg und Marie – alle noch eben so voll Unwillen gegen uns, und dabei immerfort bereit, uns in allen Dingen Vorschriften zu geben. Wie merkwürdig ist es doch, daß die Leute sich einbilden, die Güter dieser Welt, wie sie auch dazu gekommen seyn mögen, geben ihnen das Recht, sich für weiser zu halten als die, welchen die Welt abhold ist, mag der Grund davon noch so heilig und edel seyn!«
»Sehr wahr; sie haben aber auch wirklich mehr von der Weisheit dieser Welt. Ihr Herr Vetter Georg ist jetzt grade, glaub' ich, von seinen Reisen zurückgekommen?«
»Ja, wenigstens vor drei Monaten; diese hat er in London zugebracht, und zwar großentheils am Hofe, zu großer Freude der Tante Osborne. Sie können sich nichts Lächerlicheres denken, als Georg jetzt in seinem Benehmen und in seiner ganzen Erscheinung geworden ist,« sagte Florentine lachend.
»Was gab denn aber Stoff zu den trüberen Bildern Ihrer Träume?« fragte Colville.
»Ihre heftigen Angriffe auf meinen Vater,« erwiderte Florentine. »Ich ertrug sie, so lange ich konnte, endlich stand ich aber auf, um das Zimmer zu verlassen, und Erich war im Begriff mir zu folgen, als der Onkel uns mit einem so gebieterischen Tone zu bleiben befahl, daß ich still stand; Erich aber hatte mehr Geistesgegenwart, legte meine Hand in seinen Arm, grade als ob er mein ältester Bruder Hugo gewesen wäre, winkte dann Olivien, mitzukommen, und sagte, mit einer Mine, grade wie der Vater: ›Kein Befehl von irgend jemand, lieber Onkel, kann uns zwingen, solche Aeußerungen gegen den anzuhören, dem wir von allen Menschen auf Erden die größte Liebe und Ehrerbietung schuldig sind.‹ Darauf verließen wir das Zimmer, und kamen nicht eher wieder zurück, bis mein Vetter von Seiten meines Onkels uns das Versprechen brachte, es solle nichts mehr vorkommen, was uns kränken könnte.«
Während Florentine dies mit Colville sprach, unterhielt sich ihr Vater leise mit seiner Schwester; und die Kinder, die wegen des Besuchs diesmal länger als gewöhnlich da bleiben durften, wurden, der öfteren freundlichen Ermahnungen des Caplans ungeachtet, etwas laut und schwatzhaft in ihrer Fröhlichkeit, in welche Olivia mit ganzem Herzen einstimmte. Florentine hatte anfangs ganz leise mit Colville gesprochen, bis sie durch die lauten Stimmen des jüngeren Theils der Gesellschaft genöthigt worden war, auch ihre Stimme etwas zu erheben, um sich verständlich zu machen, und so kam es, daß ihre letzten Worte zu ihrem Vater hinüber schallten.
»Von welchem Onkel sprichst du da, Florentine?« fragte er.
Florentine wurde roth: »Von Onkel Osborne, lieber Vater!«
»Wann ließ er dir denn das sagen, wovon du eben sprachest?«
»Gestern Abend, lieber Vater.«
»Gestern Abend? Weiß er, daß ich hier bin?«
»Ja, lieber Vater. Seine Leute hatten uns ankommen sehen, und es ihm gemeldet.«
»Und hat einer von euch etwa gesagt, wo ich gestern war?«
»Keiner,« antwortete seine Schwester. »Ich sagte, du seyst den Abend versagt. Die Kinder verstanden den Wink gleich, und mochten nun auch Walter und seine Frau alles, was sie konnten, versuchen, um zu erfahren, wo du warest, so bekamen sie es doch nicht heraus. Auf heute Abend mußte ich ihnen aber zusagen, für uns alle, daß wir bei ihnen seyn wollten.«
»Diese Zusage lieferte viele trübe Bilder für meine Träume,« sagte Florentine zu Colvillen, als ihr Vater und ihre Tante wieder miteinander sprachen.
»Darf ich wohl fragen, weshalb?«
»Sie sind ganz besonders dringend mit eingeladen,« erwiderte Florentine. »Wollen Sie nun mitkommen, dann sollen Sie selbst sagen, ob, was wir dort finden, nicht geeignet sey, uns alle in Betrübniß zu versetzen. – Es ist aber gar nicht nothwendig, daß Sie hinkommen, Colville, und angenehm würden Sie die Zeit bei meinem Onkel grade nicht zubringen,« fügte sie hinzu.
»Wo so viele meiner Verwandten und Freunde sind, da bringe ich immer meine Zeit angenehm zu,« antwortete Colville; und Florentinens unverstellt vergnügtes Gesicht bei dieser Antwort gab ihm die ihn beseligende Gewißheit, daß seine Anwesenheit ihr nicht unwillkommen seyn würde.
Es war eine feststehende Sitte in der Familie der Lady Dalcluden, daß nach jeder Mahlzeit ein Abschnitt aus der heiligen Schrift vorgelesen wurde, worauf ein kurzes Gebet um Segen für alle, indem sie jetzt jeder an sein Tagewerk gehen wollten, folgte. Die Lady glaubte hierin der göttlichen Vorschrift gehorsam zu seyn: »Die Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen; und sollst sie deinen Kindern einschärfen, und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzest, oder auf dem Wege gehest, wenn du dich niederlegest oder aufstehest« (5 Mos. 6, 6. 7.). Dies that der Caplan jetzt auf eine ernste und lebendige Weise; denn obwohl er ein zarter, sehr jung aussehender Mann war, weckte sein feierlich ernstes und dabei inniges Wesen mehr Achtung und Aufmerksamkeit bei seinen etwas leichten, munteren Zöglingen, als man bei seiner Jugend hätte erwarten sollen. Als die Andacht beschlossen war, ging man auseinander; Torriswood besuchte mit Colville einige seiner liebsten Freunde, die damals in den Stadtgefängnissen saßen, und die andern begaben sich jeder an seine Arbeit.
Sie waren übereingekommen, im Fall Torriswood bei seinen Freunden aufgehalten werden sollte, wolle Mistreß Leslie Abends ihre Nichten zu Sir Walter Osborne begleiten, wo dann Torriswood und Colville sie treffen würden. Der Tag ging hin, der Abend kam, und Torriswood kam nicht wieder.
Es war nothwendig, auf die unbehagliche Gesellschaft etwas vorzubereiten. »Meine Schwägerin versicherte zwar, wir würden nur Verwandte dort sehen,« sagte Mrs. Leslie, »aber ich weiß, daß in Walter's Hause jetzt kein Abend beinah hingeht, ohne ein lärmendes Fest; und sie findet ein absonderliches Vergnügen daran, Leute von unsrer zurückgezognen Lebensweise zu täuschen. Sie will uns gern mit dem Glanze der Dinge blenden, die ihr selbst unwiderstehlich gewesen sind. Denkt aber ja daran, liebe Kinder, wie alle diese Dinge in Wahrheit beschaffen sind. Erinnert euch daran, daß ihr die Töchter von Walter's älterem Bruder seyd, und sieht man euren Vater auch jetzt vielleicht für einen Mann an, der bald ruinirt seyn werde, und durch die Theilnahme seines glücklicheren Bruders sich geehrt fühlen müsse, so denket daran, daß die Urtheile dieser Welt in geradem Widerspruch mit Dessen Urtheil stehen, für den euer Vater die Gunst dieser Welt aufgeopfert hat.«
Florentine erschrak vor dem Gedanken an eine rauschende große Festlichkeit.
»Sie wissen, liebe Tante, mein Vater mißbilligt solche weltliche Vergnügungen, grade wie Sie es auch thun; und wir werden bei dem Onkel doch nur Feinde unsrer Sache antreffen. – Ich habe gar keinen Muth gegenwärtig, dergleichen Scenen mit anzusehen,« fügte sie hinzu, indem ihre Augen mit Thränen sich füllten. »Die Fröhlichkeit Ihrer Kinder schon am gestrigen Abend machte mich ganz traurig. Wie können wir uns in rauschende Lustbarkeiten mit denen einlassen, die meine Mutter aus dem Vaterlande verbannt, Herrn Wellwood aus Haus und Hof gejagt und so lange nun schon obdachlos umhergetrieben, und die Gefängnisse mit unsern liebsten Freunden angefüllt haben!«
»Was sollen wir denn aber machen, meine Liebe? Wir haben versprochen zu kommen, und dein Vater erwartet uns dort. Auch weißt du, daß es deines Vaters Wunsch immer gewesen ist, mit seinen Verwandten sich so gut zu stehen, als es sein Gewissen nur irgend erlaube, in der Hoffnung, daß die Zeiten sich ändern könnten, und sie dann vielleicht auch andern Sinnes würden, und mit Zutrauen an ihn als einen Freund sich wenden möchten.«
Florentine konnte dagegen nichts einwenden, und begab sich betrübten Herzens zu ihrer Toilette.
In nichts unterschieden sich damals die beiden Parteien, in welche das Land getheilt war, auffallender, als im Anzuge. Die Lady Dalcluden und ihre Nichten richteten sich ganz nach der herrschenden Ansicht ihrer Partei in dieser Beziehung. Allen Schmuck und alle Zierrathe mieden sie, und obwohl in den Stoffen ihr Anzug ihrem Stande entsprach, so war er doch in der Wahl der Farben und dem bescheidnen Aussehen so, wie er sich für Weiber ziemte, die da Gottseligkeit beweisen. Darum war die Toilette auch bald beendigt, und sie kamen darin einem andern Gebote nach, ihre Zeit auszukaufen.
Mit großer Unbehaglichkeit begab sich denn endlich unsre Familie nach ihrer Gesellschaft hin.
Als sie bei Sir Walter Osborne's Hause ankamen, bestätigte der Lärm auf dem Hofe schon die Vermuthungen der Mrs. Leslie. Grade als sie hineinfuhren, lief ein Lakai ihrem Wagen vorbei, und schrie mit einem etwas unverschämten Tone: »Der Erzbischof!« Diese Ankündigung, welche zur Folge haben sollte, daß ihre Bedienten Platz machen sollten, hatte grade die entgegengesetzte Wirkung. Ihr Kutscher trieb sogleich die Pferde an, und fuhr zuerst vor, und dann machte ihr Bedienter ganz langsam die Wagenthür auf, und führte sie vorsichtig und ruhig die Treppe hinauf, während das Gesinde auf dem Hofe mit lauter, ungeduldiger Stimme schrie: »Des Erzbischofs Wagen! Macht Platz dem Erzbischof!« Mrs. Leslie's Bedienter ließ sich aber nicht im Geringsten aus seiner Ruhe bringen, und der Kutscher hielt still, bis jener wieder langsam den Tritt aufgeklappt und die Thür sorgfältig zugemacht hatte.
»Dies ist hier offenbar planmäßig angelegt,« sagte die Lady Dalcluden leise zu Florentinen, indem sie ins Vorzimmer traten; »aber mein Bruder wird schon wissen, wie er sich zu benehmen hat; und Du, meine Liebe, denke daran, daß Du seine Tochter bist.«
Florentine bedurfte in diesem Augenblick an nichts erinnert zu werden, was ihren Unwillen noch verstärkte. Mit dem bloßen Gedanken an den Erzbischof stand ihr alles Unglück und Leiden derer vor Augen, die ihr die Liebsten auf Erden waren.
»Aber sollen wir wirklich in einer Gesellschaft bleiben, wo Sharpe ist?« fragte sie, indem sie von der zu ihrem Empfange schon geöffneten Zimmerthür zurücktrat.
»Ja, wir sollen es, meine Liebe. Dein Vater wird hier einige Freunde finden, dies ist genug.«
Die Lady Dalcluden trat nun in das große Zimmer, worin die Familie und viele andere versammelt waren, mit mehr Ernst und Würde, als gewöhnlich; und Florentinens liebliches Gesicht, was sie so erhob, daß sie den Kopf sogar etwas nach hinten warf, gab ihren schwarzen Augen das Ansehen, als blickten sie auf alles herab, worauf sie sich richteten. Olivia fuhr zusammen, und wurde ganz roth bei dem Aufsehen, was ihr Eintritt sogleich erregte. Die Osbornes kamen ihnen entgegen, um sie mit den ausgesuchtesten Ausdrücken der Freundschaft zu bewillkommnen, welche indeß Lady Dalcluden sehr kalt aufnahm.
»Ich dachte, wir sollten hier bloß Verwandte antreffen, Walter!«
»Es sind auch bloß Verwandte, ich versichre Dich, und ein Paar Freunde,« erwiderte der Bruder.
»Freunde!« wiederholte Mrs. Leslie. »Ich dächte, Du hättest uns wohl das Vergnügen ersparen können, einige Deiner Freunde, die bald herkommen werden, zu sehen. Es wird Torriswood schwer werden, vor so vielen Zeugen seinen Dank ihnen abzustatten für das viele Gute, was sie ihm erwiesen haben.«
»Unser Wunsch ist es eben, diese unseligen Zwistigkeiten ganz aus dem Wege zu räumen,« sagte Lady Osborne. »Der Erzbischof hat neuerlich seinen ernstlichen Wunsch ausgesprochen, auf freundlichem Fuße mit Ihrem Bruder zu stehen. Es ist wirklich nicht christlich, liebe Schwester, diesen Streit um Kleinigkeiten so lange fortdauern zu lassen.«
»Um Kleinigkeiten, ich bitte Sie!« erwiderte Mrs. Leslie.
»Ja, ich kann sie nicht anders, als Kleinigkeiten nennen, meine liebe Schwägerin!« sagte Lady Osborne. »Es würde doch sicherlich viel christlicher seyn,« fügte sie mit dem freundlichsten Gesicht hinzu, das sie zugleich gegen Florentinen wandte, als ob sie auf diese sich berufen wollte, »wenn wir einer des andern Eigenthümlichkeiten in Liebe tragen, und unsre Zeit in Eintracht und Frieden mit einander zubringen möchten, als daß wir auf so finstre, gehässige Weise jedem Versöhnungsversuche uns widersetzen.«
Florentine fühlte sich durch diese Rede in Verlegenheit gesetzt, da sie ganz besonders an sie gerichtet war; der Mühe, darauf zu antworten, wurde sie aber durch den Erzbischof überhoben, welcher so eben mit seiner Tochter eintrat. Lady Osborne eilte ihnen entgegen, und bezeigte ihre Freude, sie zu sehen, in der Sprache der widerlichsten Schmeicheley.
»Ich wagte es kaum, zu hoffen, daß Ew. Gnaden etwas von Ihrer kostbaren Zeit uns schenken würden; aber ich kenne den edlen Beweggrund, der Sie hergeführt hat, und ich hoffe, Ew. Gnaden echt christliche Gesinnung wird in uns allen Nachahmung finden. Erlauben mir Ew. Gnaden, meine beiden Nichten Ihnen vorzustellen. Die Lady Dalcluden ist, wie ich hoffe, Ew. Gnaden nicht unbekannt.« Der Erzbischof trat mit einem Lächeln heran, indem er der Mrs. Leslie seine Hand reichte.
»Nichts macht mir so große Freude,« sagte er, »als die Bekannten meiner Jugend wiederzusehen. Früher durfte ich mich rühmen, auch Mistreß Leslie dazu zu rechnen, und freue mich, diese Zeit mir wieder ins Gedächtniß zurückzurufen.«
Mrs. Leslie sah ihm starr ins Gesicht, und sagte dann in einem ruhigen, aber strengen Tone: »Das letzte Mal, da ich Herrn Sharpe sah, war an dem Tage, da er Edinburgh als ein Geistlicher der Kirche von Schottland, in ihrem Auftrage, verließ, um bei dem Englischen Hofe ihre Interessen wahrzunehmen. Macht es Ihnen besondre Freude, diese Zeiten sich wieder ins Gedächtniß zurückzurufen, so wünsche ich wenigstens, Ihren Schmerz nicht kennen zu lernen.«
Darauf wandte sie sich weg, gab Florentinen ihren Arm, und ging mit ihr in den entgegengesetzten Winkel des Zimmers.
Der Erzbischof sah die nächsten Umstehenden an, und versuchte zu lächeln; aber sein Lächeln wurde unterdrückt durch einen Ausdruck großer Unbehaglichkeit und augenblicklicher Todtenblässe, als hätte ein Geist auf einmal vor ihm gestanden; doch dauerte das nur eine Minute, und bald war er wieder ganz Freundlichkeit und Artigkeit.
»Wir müssen alles ertragen lernen,« sagte er.
»Es thut mir ganz außerordentlich Leid, daß Ew. Gnaden in meinem Hause solch einen Dank für Ew. Gnaden Herablassung empfangen muß,« sagte Lady Osborne, da ihre Schwägerin fort war. »Hätte ich das vorhersehen können, würde ich mir wirklich erlaubt haben, verschiedner Meinung von Ew. Gnaden zu seyn, und Sie ersucht haben, Ihre so echt christlichen Bemühungen nicht an so undankbare Naturen zu verschwenden.«
»Sie sehen,« sagte der Erzbischof, indem er sich an den Kreis wandte, der sich um ihn her versammelt hatte, »wie unmöglich es ist, diese Leute zu erweichen. Läßt es sich wohl denken, daß ein Volk mit solch einer Religion glücklich seyn könne?«
»Unmöglich!« sagten alle.
»Es ist doch recht betrübt,« fuhr der Erzbischof fort, »wenn man Personen von Familie und Vermögen ihren Einfluß fortwährend benutzen sieht, solch eine finstre Denkart zu verbreiten. Sie nöthigen uns doch wirklich zu Maßregeln, die unserm Gefühle zuwider sind. Wir wenden sie aber in der That aus Liebe zu ihnen an. Unsre Bemühungen haben ihr wahres Glück zum Ziele, nämlich diese verkehrten Ansichten ihnen zu benehmen; wir machen es wie gute Eltern, die, wenn ihre Kinder auf freundliche Worte nicht hören wollen, um ihrer selbst willen zu Mitteln greifen, die ihrem Herzen wehe thun.«
»Ganz gewiß,« sagte einer. »Ja, das kann nicht anders seyn,« sagte ein andrer.
Die Jüngeren in dem Kreise begaben sich allmählich fort, da die Unterhaltung eine Wendung nahm, die nichts Anziehendes für sie hatte.
Marie Osborne war ihrer Tante und ihren Cousinen nachgegangen, und suchte ihre Eltern gegen sie zu entschuldigen.
»Ich kann Sie versichern, beste Tante,« sagte sie mit Angelegenheit, »der Wunsch, heut Abend hier zu seyn, ist vom Erzbischof selbst ausgegangen; er trug es meinem Vater an. Er hörte, der Onkel sey hier, und wünschte ihn zu sehen.«
»Gut, liebe Marie,« sagte Mrs. Leslie, »er mag seinen Wunsch erreichen. Beunruhige dich nicht darüber, meine Liebe.«
»Aber,« sagte Marie, »wenn Sie meinen, es würde dem Onkel angenehm seyn, zu hören, daß er hier sey, so könnte ich ja zu ihm schicken, wo er auch immer jetzt ist, oder einen hinstellen, der ihn kommen sieht, damit er vorbereitet ist.«
»Vorbereitet? Was für eine Vorbereitung meinst Du denn, daß dein Onkel nöthig habe, um einen zu sehen, den er so genau kennt und zu beurtheilen weiß, als Sharpe? Er ist so unglücklich gewesen, nur zu oft mit ihm zusammenzutreffen. Er weiß wohl, daß er seine Schlachtopfer auch anlächeln und streicheln kann. Dies ist nicht sein erster Versuch, die Leute glauben zu machen, daß dein Onkel eine zweideutige Rolle spiele, und daß er in der That mit unsern Machthabern nicht auf schlechtem Fuße stehe. Die ganze Stadt und Umgegend wird morgen schon von dieser Gesellschaft wissen. In dieser Farbe möchte die herrschende Partei gern die tadellose Milde und die willige Unterwerfung unter jedes menschliche Gesetz, das den göttlichen Geboten nicht widerstreitet, welche dein Onkel bei jeder Gelegenheit bewiesen hat, erscheinen lassen, durch die es immer noch unmöglich gewesen ist, daß sie ihn völlig ruiniren, oder auf seinen Character einen Flecken werfen konnten, wie sie es gern möchten. Ich sage dir dies alles, damit du den Deinigen es wiedersagst, wie gut wir das ganze Getriebe durchschauen, bei dem sie sich als Werkzeuge brauchen lassen.«
»Sie thun uns Unrecht, meine liebe Tante,« erwiderte Marie, indem ihre Wangen glühten. »Meines Vaters einziger Wunsch ist, den Onkel und seine Freunde miteinander auszusöhnen.«
»Liebe Marie, ich will mich jetzt darüber nicht mit dir streiten,« antwortete die Tante. »Du siehst genug um dich her, was deinen Sinn für Recht und Unrecht ganz verwirren muß; und ich will nicht noch mehr dazu beitragen, indem ich die Personen angreife, die du schuldig bist zu ehren und zu lieben.«
Während dieses Gesprächs war Florentinens ganze Aufmerksamkeit von dem Erzbischofe in Anspruch genommen. Sie hatte ihn noch nie gesehen, außer wenn er einmal in großer Gala vor ihrer Tante Fenstern vorbei nach dem Palaste von Holyrood fuhr. Damals hatte sie ihn immer mit einem Gemisch von Scheu und Mitleid betrachtet, als einen, der für den weltlichen Pomp um ihn her seine Seele verkauft habe, und hatte ihn selbst unter diesem Glanze seiner Umgebung kaum einmal deutlich ins Auge gefaßt. Nun wurde sie ganz irre, indem sie den Ausdruck seines Gesichts beobachtete und die edle und einnehmende Manier, mit der er alle um ihn her anredete. Sein Aeußeres war sehr vortheilhaft; sein ganz weißes Haar gab seinen Zügen einen Ausdruck von Milde, der durch die stete Ruhe seines Blicks noch vermehrt wurde, welchen er auf den richtete, mit welchem er sprach. Auch seine Stimme hatte etwas Einnehmendes; und Florentine dachte eben bei sich selbst, da sie vergebens nach einem Ausdruck des falschen, grausamen, verfolgenden Geistes, der in ihm wohnte, auf seinem Gesichte suchte, wie tief die Heuchelei doch seyn müsse, welche seiner ganzen Erscheinung ein der Wahrheit so völlig entgegengesetztes Gepräge aufdrücken könne, – als ihr Vetter Georg ihre Gedankenreihe unterbrach, indem er sie um Erlaubniß bat, seinen Freund, den Capitain Harewood, ihr vorstellen zu dürfen.
Florentine war gefaßt darauf, nur Feinde von Allem, was ihr lieb war, in ihres Onkels Hause zu finden, so daß sie Georg's Freund sehr kühl empfing; und da das Militair damals nothwendiger Weise zu seiner Hauptbeschäftigung die Vollstreckung der gewaltsamen Maaßregeln der Regierung hatte, so hielt die unterdrückte Partei ihre Soldaten von vorn herein für ihre persönlichen Feinde, oder wenigstens für eingenommen mit Vorurtheilen gegen ihre Sache.
»Wir gehen eben zum Tanze ins nächste Zimmer,« sagte Georg; »da aber Harewood seit fünf Minuten entdeckt hat, daß er nicht gerne tanzt, so werden Sie ihm vielleicht erlauben, bei Ihnen zu bleiben, da ich doch weiß, Florentine, daß Sie nicht zu uns kommen, und er, wie er sagt, des Erzbischofs Sophistereien satt hat.«
»Ich habe von dieser Art Raisonnement schon so viel gehört,« sagte der junge Offizier, indem er erst Lady Dalcluden, und dann Florentinen und Olivien ansah, als ob er um ihre Nachsicht bäte für die Dreistigkeit sie anzureden, »daß ich nicht länger hinzuhören wage, damit ich nicht selbst zuletzt glaube, ich thue Unrecht, kein Puritaner zu werden. Die Puritaner sind doch wenigstens ehrliche Leute, wenn sie auch verrückt sind.«
»Was meinen Sie für eine Art Raisonnement?« fragte Mrs. Leslie. »Sie sehen, wir haben uns außerhalb des Bereiches des Orakels in jenem Kreise dort gestellt.«
»Die Art von Räsonnement mein' ich, wonach des Königs Wille, der doch nicht einmal sein Wille ist, sondern der Wille der Partei, die ihn vielleicht betrügt, das Gesetz nicht allein in weltlichen, sondern auch in geistlichen Angelegenheiten seyn soll.«
»Ich glaubte, Ihr Stand nöthige Sie, die Meinungen, die Sie eben verwerfen, zu vertheidigen,« bemerkte die Lady Dalcluden.
»Ich hoffe nicht, gnädige Frau,« erwiderte Harewood; »mir sind diese Spitzfindigkeiten ein Gräuel, und ich bin und bleibe fest überzeugt, daß die, welche lieber alles fahren lassen, als, nach ihrer Meinung, einen unsichtbaren König beleidigen, der bloß im jenseitigen Leben belohnt und straft, mögen sie noch so verrückt seyn, doch immer redlichere Leute sind, als die, welche Gehorsam gegen den selben König bekennen, aber für jedes irdische Gut, das ihnen in den Weg kommt, bereit stehen, diesen Gehorsam daran zu geben; doch habe ich auch niemals Geduld genug gehabt, die Gründe in diesem Streit auf beiden Seiten zu prüfen.«
Während Harewood auf diese Weise seine Unterhaltung den Personen, mit welchen er sprach, einigermaßen anzupassen suchte, bemühte sich Georg mit leiser Stimme, Olivien zum Tanze zu bereden; Olivia wollte aber nicht, und auch Marie schlug es ab.
»Nein, das ist doch zu arg,« sagte Georg, »wenn Sie beide und Harewood dazu uns verlassen!« Marie indeß blieb fest, und Georg mußte ohne sie gehen. Es schien aber in der ganzen jungen Gesellschaft überhaupt wenig Lust zum Tanzen zu seyn. Sie standen in Gruppen zusammen, und mochten offenbar nicht gern das Zimmer verlassen, wo sie waren, als ob sie immer in der Erwartung ständen, daß etwas vorfallen sollte.
Sobald Georg mit einer dieser Gruppen beschäftigt schien, sagte der junge Harewood leise zu Florentinen: »Mich hat sehr verlangt, Ihnen vorgestellt zu werden, Miß Osborne, um Ihnen zu sagen, daß ich vor zehn Tagen die Ehre hatte, Ihre Frau Mutter im Hause meines Onkels, Sir Ralph Haarewood, in Devonshire, zu sehen.«
»Meine Mutter!« rief Florentine.
»Ja, und sie gab mir den Auftrag, wenn ich ihre Töchter sähe, ihnen zu sagen, daß ich sie wohl angetroffen hatte.«
»Gab sie Ihnen keinen Brief mit?«
»Nein; ich hielt mich nur zwei Tage in Devonshire auf. Mrs. Osborne wohnte ganz in der Nähe meines Onkels, und kam auf einen Besuch dorthin, grade als ich Abschied nehmen wollte.«
Florentine und Olivia hatten nun hundert Fragen an ihn, und der junge Harewood antwortete aufs freimüthigste so, daß er allem, was er sagte, eine galante, angenehme Wendung zu geben wußte; und er entwarf ihnen von Mrs. Oeborne's und der Ihrigen Lage ein so angenehmes Bild, daß er seine anfangs etwas schwermüthigen Zuhörerinnen gar sehr aufheiterte.
»Ich versichere Sie,« sagte er, »Ihre Frau Mutter wird in meines Onkels Hause aufs innigste verehrt. Er, meine Tante und ihre neun Kinder sind die strengsten Puritaner, die Sie sich denken können. Ihre Brüder machen meinen Cousinen auf ihre Weise die Cour; und mein Onkel war ganz vergnügt, als er einen, der sonst wohl aussah, als könnte er auch lachen und mir Gesellschaft leisten, wenn ich bei des Caplans langen Vermahnungen gähnte, mich mit der größten Steifheit behandeln sah. Mein Vetter Ralph merkte nicht, als er auf alle meine Fragen mit seiner puritanischen Einfalt antwortete, daß ich daraus erfuhr, der junge Herr Osborne sey mein Nebenbuhler; obwohl er dann wieder bei allen zehn Punkten, die der Caplan in seiner Rede uns auseinandersetzte, so ernsthaft dasaß, als nur immer ein abgesetzter Prediger in England.«
Olivia lachte und fragte: »Welcher von meinen Brüdern war denn das?«
»Ich hörte ihn von Ralph nur immer mit dem Zunamen nennen; aber wir begegneten ihm, als ich von meinem Onkel abreiste; Ihre Frau Mutter wohnt, wie gesagt, ganz in der Nähe, und als ich mit Ralph durch den Park ritt, sahen wir ihn auf uns zukommen. Er ging mit einem würdevollen, feierlichen Anstande auf ein Thor zu, das auf seinem Wege lag, und da er sah, daß es nicht aufgehen wollte, schwang er sich hinüber, mehr im Stile eines Cavaliers, als eines Puritaners, und kam dann zu uns. Da wir uns trennten, ergaben zwei Fragen, die ich an Ralph richtete, daß ich wirklich meinen Nebenbuhler gesehen habe.«
»Gewiß ist das Hugo gewesen! War er schlank, mit feurigen schwarzen Augen?« fragte Olivia.
»Ja, schlank, mit schwarzen Augen, die für seinen Nebenbuhler zu feurig waren, um ihm allzusehr zu gefallen. – Der Miß Florentine glich er mehr, als der Miß Olivia,« fügte Harewood hinzu, und sah dabei ganz vergnügt aus, weil er einen Vorwand hatte, erst die eine, dann die andre eine Weile anzusehen.
»Und nun, Miß Olivia, da ich Ihnen so viel erzählt habe, wollen Sie mich wohl dafür belohnen, und einmal dort zur Rechten hin sehen, und mir sagen, wer der Herr ist, der den Versuch macht, sich mit der blauen ganz mit Gold bedeckten Dame zu unterhalten? Er sieht uns unablässig an, daß es mich ordentlich beunruhigt.«
Olivia und Florentine sahen nach der Richtung hin, während Harewood sich abwandte, und sie erblickten Ormistoun, der wirklich nur den Versuch machte, sich mit Miß Sharpe zu unterhalten, fast nach jedem Worte aber seine Augen nach dem Platze wandte, wo Florentine saß.
»Das ist Herr Ormistoun,« sagte Olivia.
»Ein Advocat, wie ich sehe,« sagte Harewood. »Nun will ich Ihnen auch seinen Character schildern. Er ist alles nur halb. Sehen Sie einmal seinen Anzug. Er läßt keine Schnur an seinen Kleidern sehen, die nicht nach jeder Seite in einen Bund von Schleifen ausliefe; und alle Stickereien an seinen Kleidern sind so sorgfältig als möglich versteckt. Weil die herrschende Partei solchen Schmuck trägt, wagt er es nicht, ohne ihn zu seyn; weil aber die Covenanter, wie Sie in Schottland sagen, dergleichen Eitelkeiten verachten, so möchte er gern ihnen weiß machen, daß er sie nur nothgedrungen trüge. Und nun sehen Sie einmal, wie unbehaglich er auf seinen Anzug blickt, wenn er hieher gesehen hat. Was ist das doch lächerlich!« sagte Harewood lachend.
Auch Florentine und Olivia mußten mit lachen, da sie ihren lustigen Gesellschafter Ormistouns Charakter so treu abschildern hörten.
»Halt, wer ist dies?« begann Harewood aufs Neue, als die Thür aufging, und Torriswood und Colville hereintraten, und Aller Augen sogleich auf sie gerichtet waren. »Dachte ich mir doch gleich, daß die Hauptgäste noch kommen sollten. Aber nun ... bin ich doch etwas unsicher ... der ältliche Herr da ... Ach, sehen Sie, wie der Erzbischof vor seinem hoffährtigen Blick sich krümmt!«
»Hoffährtig?« rief Florentine; »hoffährtig ist er nicht!«
»Nein, Sie haben Recht, Miß Osborne, er ist nicht hoffährtig, dennoch möchte ich nicht, daß mich einer so ansähe. In diesem Blick lag eine Welt von strenger Rüge. Ich sehe, er gehört nicht zur Hofpartei. Die Achtung, die man ihm erweist, macht, daß Alle vor ihm aussehen, als ob ihnen der Kamm sänke. Der junge Mann hat, wie ich sehe, in Utrecht studirt, und ist auch am Hofe des Prinzen von Oranien gewesen.«
»Aber wie in aller Welt können Sie denn das wissen?« fragte Olivia lachend.
»Das will ich Ihnen sagen,« erwiderte er. »Sehen Sie einmal sein Haar, wie sorgfältig es oben gescheitelt ist; wie die hohe Stirn so ganz unbedeckt ist; während die dicken Locken sich wie von selbst nach hinten wenden, um sich an das reiche, krause Haar am Hinterkopf anzuschließen; das ist der ernste Stil, in welchem sich die puritanischen Studenten in Utrecht frisiren. Und nun die schwarze Kleidung, die hinten am Nacken weiter absteht, als es unsre jetzige Mode erlaubt, und die jemandem das Aussehen gibt, als bereitete er sich zur Enthauptung vor; ferner die kleinen Taschen, und die großen Schöße dran zu ihrer Sicherung, gleich als wären wir eine Nation von Taschendieben; die ganz schmale Stickerei – alles das ist die Mode am Hofe des Prinzen.«
Florentine hatte nur zum Theil auf Harewood's letzte Bemerkungen hingehört; ihre Aufmerksamkeit wurde jetzt eben so stark von ihrem Vater und Colville in Anspruch genommen. Der Letzte sah gleich beim Hereintreten sich danach um, wo seine Freunde säßen; nun kamen beide heran, wurden aber von den Bekannten aufgehalten, die mit sichtlicher Freude Torriswood bewillkommneten und angelegentlich wünschten, mit seinem Begleiter bekannt gemacht zu werden, dessen Bedeutsamkeit, als eines jungen Mannes von Einfluß und Vermögen, der noch außerhalb des Parteienkampfes stand, von den älteren Gliedern der Gesellschaft richtig gewürdigt wurde, während sein Wesen und Benehmen bald eben so sehr den jüngeren Theil der Gesellschaft anzog.
»Der Vater sieht ungewöhnlich ernsthaft aus,« sagte Florentine leise zu ihrer Tante.
»Hat er dazu nicht Ursach, meine Liebe?«
»Ja wohl; aber der Eindruck, den er von Sharpe's Anblick hatte, ist schon vorüber, und er sieht noch immer so sehr ernst aus.« Darauf wandte sie sich zu Harewood: »Nicht wahr, Herr Hauptmann, Sie erlauben uns, daß wir Sie mit meinem Vater bekannt machen?«
»Das wird mir sehr viel Ehre seyn,« erwiderte er mit Nachdruck.
»Doch muß ich Sie bitten, von meiner Mutter nicht mit ihm zu sprechen. Wir möchten, wenn Sie erlauben, diese Freude ihm gern aufheben, bis wir nach Hause kommen.«
»Ich stehe ganz zu Ihrem Befehle,« erwiderte Harewood, indem sein lebhaftes, fröhliches Gesicht einen etwas ernsten, wehmüthigen Ausdruck bekam, da er die melancholische Theilnahme sah, mit der Florentine ihren Vater schonte.
»Du hast Recht, liebes Kind,« sagte die Lady Dalcluden; »ich glaube, auch in dem hast du Recht, was du von deinem Vater sagtest. Er sieht wirklich ungewöhnlich ernsthaft aus.«
Colville begab sich nun zu der kleinen Gruppe, und sogleich fragte ihn Mrs. Leslie, ob ihrem Bruder irgend Betrübendes widerfahren sey.
»Es hat ihn sehr erschüttert,« antwortete Colville, »da er hörte, daß der Herzog von Rothes jetzt grade voll furchtbarer Angst im Sterben liege.«
»Wie? Rothes im Sterben?« rief die Lady Dalcluden.
Der Erzbischof, der mit Sir Walter Osborne unbemerkt näher getreten war, und grade neben unserm Kreise stand, trat nun vor.
»Sagten Sie wirklich, daß man den Herzog von Rothes in Lebensgefahr glaube?« fragte er Colville, mit einer vorsichtigen, doch ängstlichen Mine.
»Ja wohl,« erwiderte Colville.
Der Erzbischof sah äußerst unbehaglich aus, doch sagte er: »Ich glaube, Herr Colville, Sie sind nicht recht berichtet. Ich habe mich heut Vormittag selbst nach dem Palast begeben, und hörte, es gehe nicht schlimmer. Wäre das wirklich, so würde ich gewiß mich zu ihm begeben, und eben deshalb auch Kunde davon empfangen haben.«
»Es sind diesen Augenblick zwei Geistliche bei ihm,« sagte Torriswood, der nun gleichfalls in den Kreis trat.
Sharpe'n schien dies noch unangenehmer zu seyn. »Ich werde gleich hinfahren.«
»Ihre Gegenwart wird nicht gewünscht werden,« bemerkte Torriswood trocken. »Rothes fühlt endlich, daß er ein Gewissen hat, und hat die Geistlichen seiner Gemahlin nun rufen lassen, von denen zwei aus ihren Schlupfwinkeln hervorgeholt und zu ihm gebracht worden sind.«
»Dann hat er ja keinen seiner Freunde um sich,« sagte der Erzbischof. »Ja, das ist ganz das Werk der Herzogin. – Es ist nicht schwer, einen Sterbenden sagen zu lassen, was man will,« fügte er spöttisch hinzu.
»Von Ihren Geistlichen sind ein halb Dutzend in der Umgebung des Herzogs,« erwiderte Torriswood, »die, hoff' ich, bei dieser Gelegenheit lernen werden, wie echte Diener Gottes mit einer scheidenden Seele umgehen. Von denen, welche Sie seine Freunde nennen, sind mehrere bei ihm; aber Sterben ist ein ernsthaftes Ding, Herr Sharpe, und Sie sowohl als er selbst haben wahrgenommen, und es Ihren Brüdern auch gesagt, daß mit Geistlichen Ihrer Art sich zwar gut leben, aber nicht gut sterben lasse.« Darauf wandte sich Torriswood von Sharpe weg, und schlug den Seinigen vor, ob sie sich nun nicht nach Hause begeben wollten; womit sie sehr zufrieden waren, so dringend auch Lady Osborne und viele andre sie baten zu bleiben. Sobald die Thür hinter ihnen zugemacht war, rief Lady Osborne:
»Gott sey Dank, daß wir nun das Unsrige an ihnen gethan haben! Was für eine finstre Wolke breitet doch die Gegenwart dieser Leute über alles aus! Ich hoffe, Ew. Gnaden werden nicht alles glauben, was Herr Colville sagte; wenigstens,« fügte sie hinzu, da sie daran dachte, daß Torriswood zu sehr als zuverlässig bekannt sey, um ihn so abfertigen zu können, »möchte doch der finstre Mensch, der die Nachricht ihnen brachte, vielleicht übel berichtet gewesen seyn. Georg, Marie, Capitain Harewood, bitte, lassen Sie doch die Musik wieder anfangen, und bewegen sie die jungen Leute, daß sie tanzen oder sonst sich amüsiren. Ich wollte drauf schwören, daß ich nie einen Covenanter in einer Gesellschaft gesehen habe, durch den sie nicht in ein Leichengefolge verwandelt wurde. Immer Tod! Tod! Gewissen! Gewissen! Wie unausstehlich!«