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Colville hielt sich am nächsten Morgen verpflichtet, der Mrs. Leslie von der Nachforschung zu sagen, die schon am vorigen Tage nach Rathillet gemacht worden war. Er wußte, es war ihr Grundsatz, daß jedes Glied ihrer Familie am Sabbath irgendwohin zum Gottesdienste gehen solle, und er fürchtete üble Folgen, wenn bei einer Haussuchung keiner anwesend gefunden würde, und unter Allen wohl nicht einer sich an einem von der Regierung autorisirten Platze befände.
»Mein bester Colville,« erwiderte Mrs. Leslie, »ich wundre mich nicht über die Besorgnisse, welche Sie unsertwegen haben; aber in den letzten zwanzig Jahren haben die Kinder Gottes in diesem unglücklichen Lande gelernt, sich ganz und unbedingt der Leitung Seiner Vorsehung zu überlassen; und daraus geht eine Zuversicht, ein Friede, eine Sicherheit auf dem Pfade der göttlichen Gebote hervor, daß man mit Dankbarkeit auf die sonst so schweren Umstände zurückblickt, durch welche man so köstliche Güter errungen hat. Unsre Pflicht am heutigen Tage ist klar; unsre Sache ist bloß, ganz einfach zu thun, was Gott von uns verlangt. Wenn kein Haar von unserm Haupt auf die Erde fallen kann ohne den Willen unsers Vaters im Himmel, sollen wir zaghaft vor schmerzlichen Unfällen zurückbeben, als ständen selbst sie nicht unter seiner Leitung? Und falls er nun wirklich für gut findet, Bitteres in den Kelch zu mischen, den er uns beschieden hat, können wir dadurch seinem Willen uns entziehen, daß wir den Weg seiner Gebote verlassen?« – »Oder zweifeln Sie wirklich, bester Colville,« fügte Mrs. Leslie mit Wärme hinzu, »ob es auch Gottes Befehl an uns sey: nicht zu verlassen unsre Versammlung, wie etliche pflegen?«
»Nein, das bezweifle ich nicht.«
»Sollen wir uns denn für weiser halten, als unser Herr und Gebieter ist, und es wagen, seinen Befehlen ungehorsam zu seyn? Vorigen Sonntag noch erschien Ihnen gewiß diese Sache in dem selben Lichte, wie mir gegenwärtig. Nun gestehe ich zwar, die Ermordung des elenden Sharpe hat unsre Lage bedeutend verschlimmert; ich weiß davon wohl mehr, als Sie selbst wissen können; gewiß wird dies Ereigniß als die That unsrer ganzen Partei angesehen werden, obwohl wir vor Gottes Angesicht uns bewußt sind, daß wir unserm grausamen Verfolger einen solchen Lohn nicht einmal gewünscht haben. Das mag alles seyn; darum ändern sich aber Gottes Gebote, und Er selbst nicht, der uns niemals verläßt, wenn wir aufrichtig bemüht sind, seinen Willen zu thun.«
Colville schwieg. Er war überzeugt, daß Mrs. Leslie Recht hatte, doch konnte er seiner Angst nicht Herr werden. Er hatte Mrs. Leslie gebeten, das Zimmer zu verlassen, wo die Andern waren, um ihr allein den Grund seiner Besorgnisse mitzutheilen; nun kamen sie in das Frühstückszimmer zurück.
Florentine, die vorher nicht da gewesen war, hatte sich nun eingefunden. Sie sah blaß und unruhig aus, und fragte ängstlich beim Hereintreten, ob nichts Schlimmes vorgefallen sey? Colville versicherte sie, es sey überhaupt gar nichts Neues vorgefallen, und warf dann eine Frage auf, welche dem Gespräche eine andre Wendung gab.
Mrs. Leslie blieb eine Weile still und in Gedanken versunken; dann sagte sie: »Ich sehe, Colville, Sie stellen sich zu uns Frauen eben so, wie mein Bruder. Er schont uns immer gar zu sehr. Er möchte gern jeden Unfall wo möglich allein tragen, und uns selbst das Mitwissen darum ersparen. Oft schon habe ich mich darüber mit ihm gestritten; ich glaube, er hat Unrecht.«
»Nun, wenn das ist, dann verschweigt Colville uns jetzt gewiß etwas,« sagte Florentine. »Thun Sie es nicht, Colville. Sie meinen es gut, aber wir müssen uns ja dann nur für eine neue Quelle von Sorgen für Sie ansehen, und malen uns in unsrer Einbildungskraft alles weit schrecklicher aus, als es wirklich ist.«
»Was er jetzt euch Mädchen vorenthalten wollte,« sagte Mrs. Leslie, »ist ein Umstand, den der oberflächlichste Gedanke an unsre Lage uns schon erwarten lassen mußte. Es wird überall eine Nachforschung nach Sharpe's Mördern vorgenommen, und, wie sich erwarten ließ, ist Rathillet mit auf der Liste.«
»Aber der ist doch wohl schon entkommen!« sagte Florentine mit Nachdruck.
»Daran zweifle ich keinen Augenblick,« versetzte Colville.
»Aber Colville fürchtet,« fuhr Mrs. Leslie fort, »es möchte bei uns eine Haussuchung angestellt werden; und wenn sie auch Rathillet hier nicht finden, wird bei dieser Gelegenheit herauskommen, wer alles aus dem Hause sich in Conventikeln befindet.«
»Wäre es dann aber nicht besser, wenn wenigstens einige von uns zu Hause blieben?« fragte Olivia.
Alle sahen sich an und lächelten – und nach einem kurzen Gespräche wurde beschlossen, Mrs. Leslie solle die Mädchen mitnehmen, Colville und Erich sollten zu Pferde nach den Pentländischen Bergen sich begeben, und der Hauslehrer mit Mrs. Leslie's Söhnen zu einem seiner Freunde gehen, wo diesen Sonntag eine Versammlung stattfinden sollte.
»Zwanzig Jahre ist es nun her,« sagte Mrs. Leslie zu Colville, »seit ich keinen von der Regierung autorisirten Gottesdienst besucht habe, und seit der Zeit habe ich, wie ich glaube, nicht zwanzig Mal am Sabbath in einer Versammlung von Christen gefehlt; zwei oder drei Geldstrafen ausgenommen, hat mich noch kein Unfall deshalb betroffen. Sehr viele unsrer Freunde können das selbe, oder noch mehr, sagen; viele andre aber sind gewürdigt worden, für die Sache des Herrn zu leiden; und hält er uns dessen auch werth, so wissen wir ja, daß die, welche auf diesem Wege uns vorangegangen, dabei nicht ihrer eignen Kraft überlassen geblieben sind.«
»Sprechen Sie davon nicht weiter, beste gnädige Frau,« sagte Colville, »ich muß sonst zu schmerzlich empfinden, was ich noch für ein Anfänger im wahren Christenthum bin.«
Colville war roth geworden bei diesen Worten; es war, als ob Mrs. Leslie's Heldenmuth Alle ergriffen hätte. Olivia sogar vergaß ihre Angst, und in kurzer Zeit brach alles, bis auf einen alten kränklichen Bedienten, der nicht ausgehen konnte, nach dem verabredeten Orte auf.
Conventikel, wie man sie nannte, wurden damals durch ganz Schottland gehalten, besonders am Sabbath; und nirgends waren sie zahlreicher besucht als in Edinburgh. Verbietende Gesetze, Geld- und Gefängnißstrafen, alles mögliche hatte die herrschende Partei versucht, um diese Heerde des Aufruhrs, wie sie sagten, zu zerstören; jeder Versuch der Art schien aber ihre Zahl nur zu vermehren; und so sahen sich die Obrigkeiten, an dem Erfolge verzweifelnd, von Zeit zu Zeit genöthigt, ein Auge zuzudrücken. Dazu bewog sie dann auch noch der andre Grund, daß Glieder oder nahe Verwandte der ersten Familien im Lande oft dabei betroffen wurden, von welchen einige selbst den Männern, die an der Spitze der Regierung standen, nahe verwandt waren. Doch dauerten solche Zeiten, wo die Verfolgten Athem schöpfen konnten, meistens nicht lange; die herrschende Partei sann auf neue Anschläge, die Conventikel zu unterdrücken, und die Besucher derselben auf neue Mittel, sie zu Schanden zu machen.
Dem Bürgermeister der Stadt lag es ob, solche Uebertreter zu entdecken und vor Gericht zu stellen; da er aber in den meisten Fällen seine emsigsten Bemühungen zur Unterdrückung dieser Versammlungen unwirksam fand, so war der gegenwärtige Stadt-Oberste dem Beispiele seiner Vorgesetzten gefolgt, und für eine Geldabgabe hatte er die Conventikel nicht allein geduldet, sondern auch wohl gar geschützt. Unter diesem Schutze hatte Mrs. Ednam, die Dame, zu welcher die Lady Dalcluden mit den Ihrigen nun ging, schon oft die ihr Gleichgesinnten zum Gottesdienst bei sich versammelt. Diesen Tag hatte sie wiederum sie zu sich eingeladen. Als indeß Mrs. Leslie mit den Andern in den Vorsaal trat, und der Bediente vorsichtig die Thür verschlossen hatte, bat er die Damen leise, ein wenig still zu stehen, und sagte ihnen dann, seine gnädige Frau lasse ihnen sagen, ehe sie in die Versammlung träten, sie habe Ursach zu fürchten, daß ihr Beisammenseyn nicht ungestört bleiben werde, da der Bürgermeister selbst herangekommen sey, und gesagt habe, er könne heute für nichts einstehen; der Geheime Rath habe sich, ungeachtet es Sonntag sey, versammelt, wegen der Ermordung des Erzbischofs, und der Bürgermeister sey hinberufen worden, seine Befehle entgegenzunehmen; er werde daher wahrscheinlich eine neue Instruktion wegen der Conventikel empfangen.
Mrs. Leslie sah die Mädchen an und fragte: »Wer von euch ist furchtsam?«
Keine antwortete.
»Sie haben ja selbst gesagt, liebe Tante, unsre Pflicht liege deutlich vor,« sagte Florentine.
»Ja wohl, meine Liebe, aber man muß die jungen, schwachen Christen auch nicht übertreiben. Fürchtet sich eine von euch, dann möchte ich lieber rathen, daß sie nach Hause gehe. Denket daran, Gefängnißstrafe kann uns treffen.«
»Wo Sie sind, meine liebe Tante, da wollen wir auch bleiben,« sagte Olivia mit Bestimmtheit.
»Olivia! bist du so muthig?« sagte die Tante lächelnd.
Die beiden jungen Leslie's umschlangen ihre Mutter. »Bitte, liebe Mutter, was uns auch treffen möge, lassen Sie uns zu Mrs. Ednam und unsern Freunden gehen, daß es uns alle gemeinschaftlich treffe,« sagte die älteste.
Der alte Bediente sah ganz freundlich aus, und ging hin, die Thür des Zimmers zu öffnen, wo die kleine Gemeinde versammelt war. Etwa fünf und zwanzig Personen mochten schon da seyn. An dem einen Ende des Saales war ein Stuhl und ein Tisch mit einer Bibel darauf, für den Geistlichen; dem gegenüber standen Stühle für die Zuhörer, von denen noch mehrere unbesetzt waren. Bei Mrs. Leslie's Eintritt stand niemand auf; höchstens begrüßten einige ihrer Freundinnen hie und da sie mit einem freundlichen Blick; und sobald die Hinzugekommenen saßen, wandte sich gleich alles wieder zu den ernsten Beschäftigungen des Tages.
Da man noch einige erwartete, hatte der Geistliche den Gottesdienst noch nicht angefangen. Indeß wurde jeder Augenblick in diesen Versammlungen zu dem Geschäfte benutzt, zu welchem sie unter so großer Gefahr sich vereinigt hatten. Die nahe bei einander saßen, hatten ihre Bibeln vor sich aufgeschlagen, und sprachen leise; wie man aus ihrem öfteren Aufschlagen und Hinzeigen auf die Bibel sah, über eine Lehre oder Vorschrift, die darin enthalten war. Der Geistliche war noch nicht auf seinem Platze, sondern sprach beiseits mit einer Dame, deren Gebärden, während sie redete, lebhafte Bewegung verriethen, und die, während er zu ihr sprach, unablässig weinte. Ihr Gesicht war indeß abgewandt, und sie war so ganz in einen großen Mantel gehüllt, daß man sie nicht erkennen konnte.
Nachdem noch einige dazu gekommen waren, trat der alte Bediente mit dem übrigen Gesinde herein, und sie setzten sich am untern Ende des Zimmers. Dies war für den Geistlichen das Zeichen, daß keine Theilnehmer an dem Gottesdienste mehr zu erwarten seyen, und er setzte sich darauf sogleich an den Tisch; und die Dame, mit welcher er gesprochen, nachdem sie sich noch tiefer in ihren Mantel gehüllt hatte, und so viel als nur möglich ihr Gesicht verborgen, sah erst etwas sich um, als ob sie einen Winkel, wo sie niemand sähe, sich aussuchte; dann trat sie an Florentinen heran, rückte den Stuhl von dem ihren etwas ab, gegen die Wand hin, und setzte sich neben sie. Florentine wandte sich nicht um, aber sie konnte für ihre geheimnißvolle Nachbarin nichts anders als lebhafte Theilnahme empfinden. Der Geistliche las einen Psalm vor, ehe er gesungen wurde; und da Florentine bemerkte, daß die Dame neben ihr kein Psalmenbuch habe, lehnte sie sich zu ihr hin, damit sie bei ihr einsehen möchte. Die Hand der Fremden, mit der sie das Gesangbuch, das ihr Florentine hinhielt, nun anfaßte, zitterte so heftig, daß sie es fahren lassen mußte. Florentine hielt es dessenungeachtet ihr vor, und sie sah hinein; und noch ehe der Geistliche mit dem Vorlesen fertig war, hatte sie ihre Fassung wieder gewonnen, und hielt nun das Buch mit. Als nun aber Alle ihre Stimme zum Gesange erhoben, und sie versuchte mit einzustimmen, gerieth sie wieder in große Bewegung, lehnte sich hinten an ihren Stuhl an, und gab zuletzt jeden Versuch auf, an dem Gottesdienst Theil zu nehmen. Sobald das Gebet begann, wandte sie sich vollends ab, aber nun konnte Florentine an nichts anders mehr denken, denn ihr ganzes Herz wurde von dem rührenden, inbrünstigen Gebete des jungen Geistlichen mit fortgerissen. So tief hatten sie selbst Herrn Wellwood's Gebete nie ergriffen. Als er schloß, schienen alle irdischen Gedanken verscheucht aus ihrer Seele, und sie hörte seinem Lehrvortrage mit dem ungetheiltesten Interesse zu. Er hielt seine Predigt mit einem Ernst und Nachdruck, der über seine Jahre hinausging, denn sein Aussehen war ganz jugendlich, seine Gestalt schlank, sein Gesicht frisch und voll Leben, doch aber mit einigen Zügen, die auf Leiden und auf große Anspannung aller Kräfte hindeuteten. Die Predigt war lang; denn in diesen schwierigen Zeiten verlangten die Christen sehnlich nach Belehrung, und es gab viele, viele Gegenstände, welche dem Prediger und den Zuhörern gleich wichtig waren. Drei Stunden hatte die Versammlung schon gedauert, und noch schien der Prediger nicht ermüdet und die Zuhörer nicht abgespannt, als plötzlich ein Lärm auf der Straße, dann ein starkes Klopfen an der Hausthür Aller Aufmerksamkeit auf sich zog. Mrs. Ednam eilte sogleich zu dem jungen Geistlichen, und bat ihn, ihr zu folgen.
»Ich hoffe, ich kann Sie an einen sichern Ort bringen,« sagte sie. »Für uns ist keine Gefahr; Sie allein trifft doch alles Schwere, was herauskommt.«
Er schwankte. Die Anwesenden waren alle, bis auf zwei alte Herren, den Onkel und den Schwager der Mrs. Ednam, weiblichen Geschlechts, und es schien dem Geistlichen unmännlich, so viele Frauen ohne Schutz zu lassen.
»Sie können uns doch nichts helfen!« rief Mrs. Ednam, indem sie ihn beim Arme wegzog. Es war schon zu spät; die Thür war erbrochen worden, und eine Anzahl Soldaten stürzte, von dem Bürgermeister angeführt, ins Zimmer. Er schien ganz erstaunt beim Anblick der Versammlung, und hielt einen Augenblick an; als er aber Mrs. Ednam neben dem Geistlichen stehen sah, sprach er zu ihr in einem Tone, worin Zorn und Verlegenheit auf gleiche Weise vorherrschten:
»Gnäd'ge Frau, ich muß meine Schuldigkeit thun; Sie haben es sich selbst zuzuschreiben; Sie wissen, es ist bloß Ihre Schuld; ich kann nicht helfen. Sie wissen, ich kann nicht helfen.« Darauf wandte er sich an die Soldaten und rief: »Nehmet den Prediger gefangen!«
Vier Soldaten stießen sogleich die Stühle bei Seite, die ihnen im Wege standen; alles wich ihnen aus, und auf rohe Weise packten sie den Geistlichen.
»Ich ergebe mich euch willig,« sagte er freundlich zu den Soldaten; »aber denket daran, daß ein Tag kommt, wo wir alle werden vor Einem Richterstuhle stehen, und davon Rechenschaft geben müssen, wie wir diesen Sabbath des Herrn zugebracht haben.«
»Fort mit ihm und seiner Predigt!« rief der Bürgermeister in heftigem Tone. »Fort mit ihm nach dem Tolbooth, er mag seine Predigt für den Geheimen Rath aufheben. Sie werden ihrer sehr bedürfen, wenn Sie Ihren jungen Nacken vor dem Strick schützen wollen. Was Teufel kann doch für ein Vergnügen seyn zu hängen, oder auf einem alten Felsen in der See zu verschmachten, daß so viel junge Narren jetzt wie toll darauf versessen sind?«
»Wenn Sie nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit trachten wollten,« sagte der Geistliche, »dann würden Sie sehen, wie das zugeht.«
»Fort! fort!« schrie der Bürgermeister, und die Soldaten stießen ihren Gefangenen schnell aus dem Zimmer hinaus.
Es folgte nun eine Pause. Die Damen setzten sich alle in Gruppen dicht zusammen, und sahen bleich und in ängstlicher Spannung die rohen, frechen Soldaten an, die auf den Befehl ihres Anführers zu warten schienen. Endlich trat Mrs. Ednam vor, und sagte zu diesem:
»Ich bin darauf gefaßt, da dies Conventikel in meinem Hause gehalten worden ist, daß eine schwere Geldstrafe mir auferlegt werden wird. Reichen Ihre Verhaltungsbefehle noch weiter?«
»Meine Instruktion sagt nichts von Geldstrafen,« erwiderte der Bürgermeister. »Ich habe den Befehl, Alle, die ich einem Conventikel antreffe, ins Gefängniß abzuführen. – Ich kann mir nicht helfen,« wiederholte er, »meine Schuld ist es nicht.«
»Ins Gefängniß!« rief Mrs. Ednam, indem sie für den Augenblick erblaßte; dann nahm sie sich wieder zusammen, und sagte: »Nun gut, ich bin bereit, mich ins Gefängniß abführen zu lassen.«
Ihr Schwager versuchte es sich für sie zu verwenden, aber vergeblich.
»Meine Befehle sind ganz bestimmt,« sagte der Bürgermeister, »und ich habe keine Zeit zu verlieren. An mir liegt es nicht, und ich muß meine Schuldigkeit thun. Alle hier Anwesende müssen mit mir augenblicklich ins Gefängniß von Canongate wandern.«
»Alle? alle?« rief jeder.
»Ja, alle! So lautet mein Befehl;« und er las ihnen den Geheimen-Raths-Befehl vor. Er war kurz und bestimmt, und sagte aus, daß jeder, welcher in einer solchen aufrührischen, verbotenen Versammlung betroffen würde, auf der Stelle ins Gefängniß abgeführt werden sollte.
»Was in aller Welt soll ich anfangen!« rief Florentinens unbekannte Nachbarin mit leiser, aber sehr bewegter Stimme, indem sie zugleich nach ihrem Arme griff. Florentine sah sich um, und erblickte zu ihrem nicht geringen Erstaunen ihre Cousine Marie Osborne.
»Marie!«
»Psch, Florentine! Nenne mich nicht! Was soll ich machen? O, wenn meine Mutter erfährt, daß ich hier gewesen bin! Und nun muß sie es ja erfahren.«
»Fasse dich, liebe Marie. Hülle dich recht ein in deinen Mantel. Colville wird bald hören, was aus uns geworden ist, und dein Vater wird ja leicht deine Freiheit dir verschaffen, und, wie ich hoffe, dir auch vergeben.«
»Du hast Recht, Florentine, so kommt es wohl noch. Aber bist du auch gewiß, daß Colville euch aufsuchen wird? Wird er es wagen? Du kannst dir vielleicht nicht denken, wie gefährlich es jetzt ist, der Covenanter sich anzunehmen. Die furchtbare Mordthat hat die Feinde aufs äußerste in Wuth und zugleich in Schrecken gesetzt. Seyd ihr gewiß, daß Colville bald euch vermissen wird? Wie, wenn ich nun bis heut Abend nicht wieder frei werden sollte? O, ich würde nie wieder Vergebung erhalten.«
»Ist Colville selbst nicht gefangen, dann wird er ganz gewiß uns aufsuchen,« erwiderte Florentine.
Der Bürgermeister befahl nun einer Abtheilung Soldaten, voranzugehen, und sagte der Mrs. Ednam und ihren Freundinnen, er könne nun nicht länger warten.
»Nun so kommt denn,« sagte die Lady Dalcluden freudig, »wir müssen nicht davor zurückbeben, um dieser Sache willen Schmach zu leiden. Kommt, meine Lieben, bereitet euch nun vor, am hellen Tage, wie Diebe und Räuber ins Gefängniß geschleppt zu werden, weil ihr das Evangelium Dessen habt hören wollen, der Schmach und Tod für uns erlitten hat. Komm, Olivia, stütz dich auf mich! Und du, meine kleine Annot, du bist schon früh eine Gefangene um Jesu willen! Doch, du hast es selbst ja gewollt.«
Olivia und Annot hängten sich an die Lady Dalcluden, und Mrs. Ednam nahm die andre Kleine unter ihre Aufsicht. Florentine hielt sich, mit Marien am Arm, dicht neben die beiden älteren Damen. Die Uebrigen ordneten sich, wie es ihnen beliebte, und die beiden alten Herren führten die, welche am meisten von Furcht überwältigt waren. Eine Truppenabtheilung ging der kleinen Gemeine voran; zwei Reihen bewachten sie zu beiden Seiten; eine andre Abtheilung deckte den Rücken; so zogen sie durch den Hof, der vor dem Hause der Mrs. Ednam lag, auf die offene Straße. Ein Haufe müßiger Leute hatte sich auf der Straße versammelt, als sie die Soldaten auf den Hof rücken sahen, und war dort geblieben, so lange sie im Hause waren. Einige waren zwar schon mit dem Geistlichen abgezogen, noch aber stand eine Menge dort, welche unsre Gefangnen mit Geschrei und Schimpfen empfing. Wäre es ein Werkeltag gewesen, die Menge auf den Straßen würde aus einer weit größeren Anzahl solcher bestanden haben, welche den Gefangenen, statt sie zu beschimpfen, vielmehr auf alle Weise ihr Mitleid hätten zu erkennen gegeben; aber man hatte sich bereits große Mühe gegeben, die strenge Beobachtung des Sabbaths ins Lächerliche zu ziehen und abzuthun, da die Schottischen Reformatoren und die Covenanter so ernst darauf drangen; und diese Lehren und Beispiele hatten auch wirklich den Erfolg gehabt, daß für einen großen Theil der niederen Classen der Sabbath nur ein Tag wilden Vergnügens geworden war, während die ernsten und frommen Leute zu pünktlich in der Beobachtung desselben waren, als daß sie sich unter einen Haufen, wie diesen, gemischt hätten.
Die Lady Dalcluden, Mrs. Ednam und einige der älteren Damen gingen mit festem Tritte vorwärts; aber der Lärm, das Geschrei und das Schimpfen der Volksmenge setzte die jüngeren ganz in Schrecken, und mit Freude vielmehr als mit Mißbehagen eilten sie die schmale Treppe hinauf, welche zu dem Theil des Gefängnisses führte, der sie aufnehmen sollte, und sahen die gewaltige Thür desselben sich öffnen, wie zum Schutze für sie. Der Schließer führte sie in ein kleines Zimmer, hinter dem ein noch kleineres lag. Beide hatten einen steinernen Estrich. Ein Tisch, ein oder zwei Bänke und zwei schmale Betten in jedem Zimmer waren alle Möbel darin. Der Schließer sagte, er werde in einer halben Stunde wiederkommen; dann verließ er sie, und sie hörten ihn draußen die Thüren verschließen und verriegeln. Noch drang der Lärm des Volkes auf der Straße durch die vergitterten Fenster, und von Scham und Schrecken ganz übernommen sanken die jüngeren Damen halb ohnmächtig auf die Betten und Bänke. Florentine allein war gefaßt, und suchte mit freundlichen Worten und hülfreichen Händen es allen bequem zu machen.
»Olivia, Marie, Annot! Was seyd ihr denn so erschrocken? Catharine Pringle, Ellen Hume, Violet Scott, seht ihr denn nicht, daß ihr alle Sitze eingenommen habt? Mrs. Ednam, die Lady Graden und meine Tante müssen stehen.«
Die Mädchen fuhren auf. »Kommt, helft mir etwas,« fuhr Florentine fort, »wir werden vielleicht diese Nacht hier bleiben müssen, vielleicht mehrere Nächte. Meine liebe Mrs. Ednam, hier ist ein Platz für Sie, und hier für Sie, liebe Tante;« darauf stellte sie die Bänke in Ordnung, und gab jeder ihre Stelle, und sie sahen sie dafür mit Blicken an, die bald eben so freundlich und heiter wurden, als Florentinens. Ihre jungen Freundinnen fingen dann auch an, obwohl noch immer zitternd und bebend, mit Hand anzulegen, um die beiden Zimmer in Ordnung zu bringen. Die niedrigen Betten wurden aus ihren Winkeln hervorgezogen, und als Bänke gebraucht. Durch diese Bemühungen kam es dahin, daß endlich die ganze Gesellschaft leidlich wohl sich befand, ja die Neuheit ihrer Lage gab sogar zu mancherlei Scherzen Gelegenheit, nicht allein den Jüngeren, sondern selbst den alten Herren und Damen; allen, nur nicht der armen Marie Osborne. Das Gefängniß war nicht eben hell, da die kleinen Fenster durch ihre trüben, staubigen Scheiben nicht viel Licht durchließen, und sie saß in dem hintersten Theile des Zimmers, und so, daß sie ihrer Tante den Rücken zukehrte. So war sie bisher noch gar nicht von ihr bemerkt worden. Die Zeit aber schien ihr allmählich so lang, daß sie ihre Bewegung und Unruhe nicht verhehlen konnte. Sie hatte Florentinen gebeten, gegen niemanden sie zu verrathen; endlich aber vergaß sie in ihrer Angst, noch länger im Gefängnisse zu bleiben, alles Uebrige, und, ohne zu bedenken, was sie that, ging sie mehrere Male ans Fenster, um zu sehen, ob Colville noch nicht käme. Dabei ließ sie ihren Mantel, den sie bis dahin sich über den Kopf geschlagen hatte, zurückfallen, und so erkannten denn auf einmal Mrs. Leslie und mehrere andre die Tochter des Sir Walter Osborne, eines der entschiedensten Feinde der unterdrückten Schottischen Kirche. Mrs. Leslie bemerkte indeß, daß sie nicht erkannt zu seyn wünschte, und so sagte sie nichts, sondern warf bloß der Mrs. Ednam einen bedeutungsvollen Blick zu; diese wartete bis Marie, den Rücken ihnen zugekehrt, wieder an ihren Platz gegangen war, dann sagte sie, während mehrere Gespräche im Zimmer schon begonnen hatten, leise zu Mrs. Leslie:
»Ihre Nichte ist mächtig angeregt in ihrem Herzen, das ist alles, was ich weiß. Heut Morgen kam sie zu mir, mich zu bitten, ich möchte ihr doch erlauben, wenn heute einer der abgesetzten Geistlichen in mein Haus käme, ihm einige Fragen vorzulegen. Die Ihrigen hielten ihre innere Bewegung und Niedergeschlagenheit, die sie bei dem Gedanken an Gott und die Ewigkeit stets empfinde, für nichts als düstere Schwermuth, die sich beim Wiedersehen ihres Onkels Torriswood und der Seinigen ihrer stets aufs Neue bemächtige, und suchten sie daher durch allerhand Lustbarkeiten wieder aufzuheitern, daß sie die Schrecknisse vergessen möchte, welche die Covenanter immer den Leuten zu erregen wüßten; sie fühle sich aber wirklich sehr unglücklich, und wünsche sich an einen von denen zu wenden, welchen die Seligkeit ihrer unsterblichen Seele mehr am Herzen liege, als alle irdischen Rücksichten; denn auch ihr sey es klar, daß dem Menschen nichts hülfe, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele.«
»Das liebe Kind!« sagte Mrs. Leslie bewegt.
»Bemerkten Sie nicht, wie tief erschüttert sie war, als sie mit Herrn Aylman sich unterhielt?« fuhr Mrs. Ednam fort. »Ich hoffe, er hat ihr ans Herz geredet, und sie wird den Weg des Friedens nun wenigstens kennen; aber gegenwärtig ist sie in großer Angst.«
Mrs. Leslie ging ganz leise an den Platz, wo Maria saß, setzte sich neben sie, legte die Hand auf die ihrige und sagte: »Maria, mein liebes Kind!«
Marie fuhr auf. »Meine Tante! meine liebe Tante! ach wie werden Sie mich tadeln!«
»Tadeln? wie so? Ich wüßte nicht, was ich an dir zu tadeln hätte.«
»Ist das Ihr Ernst, liebe Tante? Wie oft haben Sie mich wegen meines Eigensinns und meiner Rücksichtslosigkeit gegen meinen Vater gescholten; und hätte ich auf der ganzen Welt wohl etwas thun können, was ihm mehr zuwider gewesen wäre?«
»In deines Vaters Hause, meine liebe Marie, konntest du nicht leicht eine schwerere Sünde begehen, als wenn du seinem Willen in irdischen Dingen ungehorsam warst. Das habe ich oft an dir gesehen, und da du stets auf mich hörtest, hielt ich es für recht, dir deinen Fehler vorzuhalten. Heute aber hast du dich bemüht, Dessen Willen zu thun, der noch höher steht, als ein irdischer Vater. Ich dächte doch, Marie, du hättest einsehen können, daß ich das nicht tadeln würde.«
»Meine beste Tante, ich kann mich kaum darauf besinnen, was Ihre Ansicht, oder was recht oder unrecht hier oder darin ist. Meine eigne ursprüngliche Ueberzeugung, wie ich sie aus der Bibel gewonnen habe, widerspricht dem gradezu, was täglich mir jetzt als recht oder unrecht dargestellt wird. Vor Ihren Ansichten warnt man mich beständig, als vor höchst gefährlichen und düsteren, während mein Herz, so oft ich Sie nur sehe, wieder an Ihnen, an meinem Onkel und den Seinigen mit unbeschreiblicher Verehrung und Liebe hängt. Aber was soll ich nun anfangen, meine beste Tante? Sie kennen meine Mutter – ach, was soll ich machen!«
»Vertraue auf Gott, meine Liebe. Deiner Mutter Herz, Aller Herzen sind in Seiner Hand, alle Dinge stehen unter Seiner Leitung. Du hast gethan, was Er geboten hat; setze nun auch dein Vertrauen auf Ihn, daß Er aus dieser Verlegenheit dir hilft auf die Weise, welche Ihm die beste für dich scheint.«
Marie drückte ihrer Tante Hand mit beiden Händen.
»Aber sag, liebes Kind, warum willst du denn von niemandem hier gekannt seyn?«
»Ach, weil ich ihnen so wenig ähnlich bin. Sie haben alles verlassen um des Herrn willen; – und ich bin,« fügte sie mit Thränen in den Augen hinzu, »die Tochter eines ihrer Verfolger.«
»Und ich seine Schwester – und so hat jeder der hier Anwesenden Verwandte, für welche er unablässig zu Gott ruft, daß er ihre Herzen aufthun möge, damit sie erkennen, wie sündig es sey, Menschen zu verfolgen, welche nichts weiter thun, als Gott nach ihrem besten Gewissen dienen. Komm heraus aus diesem dunkeln Winkel, liebes Kind. Colville wird gewiß bald hier seyn. Laß uns inzwischen etwas vornehmen, was für den Sabbath sich ziemt.«
Bei diesen letzten Worten stand Mrs. Leslie auf, und alle schienen sogleich auf ihren Gedanken einzugehen.
»Catharine Pringle, Ellen Hume, lassen Sie meine liebe Nichte zwischen Ihnen sitzen. Ihre Lebenswege scheinen mit den selben Dornen besetzt zu seyn. Jetzt werden Sie es recht aus Erfahrung lernen, wie wohl die christliche Gemeinschaft in Anfechtungen und Leiden thut.«
Die beiden jungen Mädchen nahmen Marien sogleich in ihre Mitte, und empfingen sie aufs herzlichste; und sie, jung und offen und warmen Herzens, wie sie war, weinte zwar anfänglich noch etwas, gewann aber bald wieder Fassung, und kam nun mit ihren beiden jungen Freundinnen in ein zutrauliches und anziehendes Gespräch.
Florentinens Aufmerksamkeit war inzwischen ganz von den langen Inschriften auf den schwarzen Wänden des Kerkers beschäftigt worden. An einigen Stellen waren die Worte kaum lesbar; aus andern sah man, daß Personen hier eingesperrt gewesen waren, welche für die selbe Sache gelitten hatten, ja die von dort aufs Schaffot geführt worden waren. Tief betrübt, aber mit lebendigem Interesse ging sie von einer Inschrift zur andern, ganz in die ernsten, traurigen Gedanken versunken, welche die früheren Bewohner dieser Räume zurückgelassen hatten. Sie empfand lebhaft, wie schrecklich die Einsamkeit seyn müsse, da diese Gefangenen selbst in dem künftigen Mitgefühl eines ihnen völlig Unbekannten ihren Trost gesucht hatten. Um so mehr blickte sie von da mit neuer Liebe und wärmerem Dank auf die vielen Freundinnen, die bei ihr waren. Viele hatten die Bibel vor sich aufgcschlagen; denn keine hatte diesen Schatz zurücklassen wollen. Florentinen war es, als thäte sie etwas, was am Sabbath sich nicht ziemte Doch war eine noch ziemlich frische Inschrift vor ihr, die sie wenigstens noch durchzulesen beschloß; es waren folgende Worte:
»Nur noch wenige Stunden, und ich werde nicht mehr im Spiegel sehen, sondern von Angesicht zu An, gesicht, und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterb, lichkeit. Diese weißen Haare werden mit Blut getränkt, dies arme, kranke Haupt als Warnungszeichen aufgesteckt, diese Hand, mit der ich schreibe und dieser ganze ird'sche Leib zerhackt und entstellt, zu Schmach und Schande ausgestellt werden. Mag es immerhin sepnl Dieses Erbe auf Erden haben unsre edlen Vorläufer den Zeugen der Wahrheit hinterlassen! Schottland, du bist rein von meinem Blut! Die über dich herrschen, sind deinen Kindern verhaßt; was sie thun, thust du nicht. Sie wollen die Wahrheit ersäufen in Blut; aber leide nur, mein Vaterland, die Thränensaat wird eine reiche Ernte bringen.«
»Was hast du denn da gefunden, Florentine, was dich so sehr anzieht?« fragte Mrs. Ednam, indem sie ihren Arm in Florentinens legte, die noch immer stand und las. »Hast du nicht gehört, daß mein Onkel vorgeschlagen hat, wir möchten einen Psalm miteinander singen?« Florentine wies auf die Schrift an der Wand: »Dies hat mich wirklich sehr angezogen. Aber wir wollen jetzt thun, was Ihr Herr Onkel wünscht; späterhin werden Sie mir vielleicht noch einiges Licht darüber geben können, wer die sind, welche so viele wehmüthige Andenken, und doch zugleich Siegeszeichen hier zurückgelassen haben.«
Der gute alte Herr hatte einen Psalm ausgewählt, und stimmte nun selbst die langsam feierliche Melodie an. Mrs. Ednam's Bedienten, welche bisher in das innere Zimmer sich zurückgezogen hatten, traten nun an die Thür, und nahmen an dieser Andacht Theil. Der Psalm war lang, aber die Worte erhebend. Als er zu Ende war, blieben alle noch sitzen, und sprachen miteinander über christliche Gegenstände. Marie Osborne's Gesicht bekam aber bald wieder einen sehr ängstlichen Ausdruck; da Olivia es sah, unterbrach sie ihre Tante, und fragte, ob sie wohl glaubte, daß Colville nun von den Pentländischen Bergen wieder zurück seyn könnte.
»Dadurch, daß wir darüber reden, mein liebes Kind, kommt er doch nicht eher,« erwiderte Mrs. Leslie; »darum wollen wir unsern Sabbath auf die rechte Weise feiern, und das Uebrige Gott überlassen. Beantworte mir einmal, liebe Olivia, die Frage mit Worten der heiligen Schrift: ›Was ist der Lohn, welcher denen verheißen ist, die den Sabbath des Herrn eine Lust, des Herrn Heiligthum und ehrenwerth heißen? Die ihn ehren dadurch, daß sie nicht ihre eignen Wege thun, noch ihre eigne Lust suchen, noch ihre eignen Worte reden?‹ Jes. 58, 13 nach der Engl. Uebers. Und du, meine liebe Marie, antworte mir einmal auch mit den selben heiligen Worten: ›Wer ist es wohl, den du, wo es Noth thut, verlassen sollst um Christi willen?‹ – Und du, meine kleine Annot?« Auch ihr gab Mrs. Leslie darauf eine Frage; und da sie sah, wie sie in ihrer Bibel suchten, wandte sie sich zu Mrs. Ednam und Florentinen, und flüsterte ihr ins Ohr: »Ach, ich wünschte, ich könnte thun nach meinen Worten! Ich kann mir nicht helfen, ich bin um Colville und die Knaben etwas besorgt!«
»O,« erwiderte Mrs. Ednam, »wie habe ich in diesen Zeiten schon oft genug Ursach gefunden Gott zu danken, daß er meine vielen dringenden Bitten, mir Kinder zu schenken, nicht erhört hat! So habe ich nun gar keine Sorge. Nie in meinem Leben habe ich mich glücklicher gefühlt, als jetzt; und weil es mir, vielleicht mehr als recht ist, so vorkommt, daß die, um derentwillen Sie sich ängstigen, die Ihrigen, und nicht die meinigen sind, so kommen Sie mir fast schwach im Glauben vor. Kann ihnen denn irgend etwas zustoßen, ohne Dessen Willen, der noch nie etwas versehen hat, und, wie wir selbst bekennen, die Liebe ist?«
»Nein, liebe Mrs. Ednam, gewiß nicht; ja, ich sehe jetzt wohl, wie sehr es uns Noth thut, in Lagen versetzt zu werden, die uns zeigen, daß wir grade in den Punkten noch so sehr schwach sind, in welchen wir uns schon am weitesten gefördert glaubten.«
»Und die Prüfung dauert auch keinen Augenblick länger, als bis man die wichtige Wahrheit gelernt hat,« sagte Mrs. Ednam zärtlich lächelnd, da man schon Fußtritte hörte, die auf die Thür zukamen.
Es wurde langsam aufgeschlossen und aufgeriegelt, und Aller Augen richteten sich in banger Erwartung hin, um zu sehen, wer kommen werde. Doch war es nicht Colville, sondern Hr. Lindsay, der Advocat.
»Hr. Lindsay!« rief Olivia, ganz erfreut. »Ach, wie froh bin ich, Sie zu sehen! Werden wir nun bald wieder frei?«
»Wie in aller Welt haben Sie denn erfahren, daß wir hier sind, Herr Lindsay?« fragte Mrs. Leslie.
»Ich hörte es von Herrn Colville,« antwortete er, »und begab mich sogleich hieher, während er Sir Walter Osborne aufsuchte, in der Hoffnung, durch ihn Ihre schleunige Befreiung bewirken zu können. Doch fürchte ich,« fuhr Lindsay fort, nachdem er sich umgesehen hatte, ob der Schließer hinausgegangen sey, »Sie werden wohl nicht eher in Freiheit gesetzt werden, als bis ein Verhör stattgefunden hat, und ich bin hergekommen, um alle hier Anwesende zu bitten, bei ihren Antworten wohl auf ihrer Hut zu seyn. Abgeordnete des Geheimen Raths, vielleicht sogar ein Mitglied desselben dürften wohl bei dem Verhöre zugegen seyn, und der Gegenstand desselben wird seyn Ihre Bekanntschaft und Verbindung mit denen, welche den Erzbischof ermordet haben. Man weiß, daß zwei von diesen gestern durch Edinburgh gegangen sind; man weiß ferner, daß diese beiden mit mehreren Covenanterfamilien in der Stadt auf vertrautem Fuße stehen; und man hofft viele Frauen, Kinder und Dienstboten zu überraschen, und von ihnen manche Umstände zu erfahren, die zur Entdeckung der Mörder führen könnten.«
Darauf begab sich Lindsay in das innere Gemach, und bat alle hinauszugehen, um mit der Lady Dalcluden einige Worte besonders zu sprechen. »Ich weiß, gnädige Frau,« fing er an, »Rathillet ist gestern in Ihrem Hause gewesen. Ich traf ihn eine Meile von Edinburgh, und er sagte es mir. Da fühle ich mich nun gedrungen, Ihnen zu sagen, daß Ihr Herr Bruder, wenn dies herauskommt, in keinem Winkel von Großbritannien sicher ist. Der Geheime Rath ist wie zu Boden geschmettert. Man sieht dies nur als den ersten Ausbruch einer mächtigen Verschwörung an, und jedes Mitglied fürchtet, die Reihe möchte bald auch an ihn kommen. Die tyrannischsten Befehle werden nach allen Seiten hin erlassen, um jedes verdächtige Haus zu visitiren, und jede verdächtige Person zu verhaften. Dies ist ein Grund mit, warum die Maaßregeln gegen die Conventikel wieder geschärft worden sind. Heut sind alle Gefängnisse mit Leuten jedes Alters und Standes angefüllt, die man bei solchen Versammlungen betroffen hat.«
Mrs. Leslie schwieg eine Weile, in Nachdenken versunken. »Was soll ich machen, Herr Lindsay?« fragte sie endlich; »ich kann keine Unwahrheit sagen; ich kann nicht leugnen, daß Rathillet gestern in meinem Hause war. Es ist ja aber hinreichend bekannt, daß mein Bruder seit langer Zeit Rathillets Ansichten und Pläne gemißbilligt hat; es ist bekannt, daß die herrschende Partei um Rathillets Wunsch, einen Aufruhr zu erregen, wohl wußte, und daß er grade deshalb auf solche Covenanter, wie mein Bruder, so wenig Einfluß besaß.«
»Das alles gilt nichts, meine gnädige Frau. Wird es bewiesen, daß Rathillet in Ihrem Hause war, und nach seiner Theilnahme an dem Morde des Erzbischofs sich mit Ihrem Herrn Bruder besprochen hat, und man ihn dennoch nachher ruhig aus Ihrem Hause ließ, so sehen Sie wohl selbst, was daraus folgen muß.«
»Aber Rathillet hat ja an der That keinen Antheil genommen!«
»Warum ist er denn entflohen?«
»Er war dabei zugegen, bat aber die Verschworenen, des armen Mannes Leben zu erhalten. Hat Rathillet Ihnen das nicht gesagt?«
»Nein. Ich ritt und er ging in einem Matrosenanzuge. Ich hätte ihn nicht erkannt, wäre er nicht vor mein Pferd getreten und hätte mich gebeten, anzuhalten. Er sagte nichts weiter, als: ›Lindsay, ich bitte Sie inständig, sorgen Sie für Torriswoods Familie. Ich bin eben im Hause seiner Schwester gewesen; ich hielt dies für das Beste; aber vielleicht schon morgen wird deshalb ein gefährlicher Verdacht auf sie fallen.‹ Darauf drückte er mir die Hand und eilte fort. Alles geschah in einem Augenblick. Als ich nach der Stadt zurückkam, mußte ich mich nach einem Gerichtshofe begeben, wo ich mehrere Stunden beschäftigt war. Noch ehe ich ihn verließ, verbreitete sich die Nachricht von dem Tode des Primaten im Gerichte, und während der eine Theil im höchsten Grade niedergeschlagen war, sah man die andern, zu denen auch ich gehörte, mit argwöhnischen Blicken an, um herauszuspähen, was wir von dem Ereigniß dächten. Die Gerichtssitzung wurde bald darnach aufgehoben, es kam mir aber vor, als müßte es Sie nur um so mehr verdächtigen, wenn ich mich direkt nach Ihrem Hause begäbe. Darum schob ich es bis heut Vormittag nach der Kirche auf, und fand bei Ihnen niemand, als eine alte Magd, die mir nicht sagen konnte, wo Sie seyen; erst vor einer halben Stunde ging ich wieder hin, und fand dort den jungen Arrondale, der eben erfahren hatte, was vorgefallen war, und jetzt zu Ihrem Herrn Bruder gegangen ist. Ich fürchte indeß, Sir Walter wird der Sitzung des Geheimen Raths beiwohnen.«
»Und was rathen Sie uns, bester Herr Lindsay?« fragte Mrs. Leslie angelegentlich.
»Sie müssen jeder Antwort auszuweichen suchen, welche verrathen könnte, daß Rathillet gestern in Ihrem Hause gewesen ist. Ist das Ihnen ganz unmöglich, dann müssen Sie ... doch für diesen Fall weiß ich Ihnen keinen Rath zu geben, weil gar zu viele Fragen dann folgen würden. Kurz, Sie müssen jeder Frage ausbiegen, die nur irgend auf jene Entdeckung führen könnte. Ueberhaupt könnten Sie ja jede Antwort der Art ablehnen, da Sie mit Recht sagen können, Sie fürchteten, vielleicht Andre in etwas zu verwickeln, und seyen doch nicht überzeugt, daß Sie zur Rechenschaft hierüber verpflichtet seyen. Und nun, beste gnädige Frau,« fuhr Lindsay fort, »noch eine Frage: Wie viele von Ihrer Familie wissen um Rathillets Besuch?«
»Niemand, als meine beiden Nichten, so viel ich weiß, und deren Bruder. Doch ich will das sogleich herausbringen.«
»Erlauben Sie mir inzwischen, mit Ihren beiden Fräulein Nichten noch besonders mich zu besprechen; und unter keiner Bedingung, gnädige Frau, sagen Sie etwas von diesen Dingen, die ich mit Ihnen besprochen habe, irgend jemandem unter den Anwesenden. Das sicherste Bewahrungsmittel ist die Unwissenheit.«
Florentine und Olivia begaben sich darauf mit Lindsay ins Nebenzimmer, und Mrs. Leslie suchte zu erfahren, ob ihre beiden Töchter etwas von Rathillets Besuch erfahren hätten. Glücklicher Weise war es nicht der Fall.
Nach kurzer Zeit kehrte Florentine mit einem nachdenklichen, bekümmerten Gesicht, und Olivia, blaß vor Furcht, von ihrem Gespräche mit Lindsay zurück; und in seiner raschen Advocatenart bat er darauf sogleich die Lady Graden, einige Augenblicke mit ihm allein zu sprechen.
»Darf ich Sie wohl unterbrechen, um Ihnen eine Frage vorzulegen, Herr Lindsay?« fragte Mrs. Ednam ganz eifrig.
»Sehr wohl, gnädige Frau!«
»Haben Sie etwas von dem jungen Geistlichen, Herrn Aylman, erfahren, der heut früh in meinem Hause verhaftet worden ist?«
»Ja wohl; er ist entkommen.«
»Entkommen!« riefen alle. »Wie merkwürdig! Wie wunderbar! Welche gnädige Fügung Gottes!«
»Die Umstände waren wirklich sehr sonderbar,« sagte Lindsay lächelnd; »doch ich muß meine Sachen abmachen, da ich hier gestört werden könnte; vielleicht erzähle ich Ihnen später davon.« Darauf ging er mit der Lady Graden ins Nebenzimmer.
Mrs. Ednam konnte sich der Thränen nicht enthalten. »Gott sey Dank, innig Dank!« rief sie mit Inbrunst. »So hat Er denn nicht gewollt, daß in unsern finstern Zeiten dieses helle Licht verlöschen sollte!«
Lindsay hatte sich mit den meisten der älteren Gefangenen, und auch mit einigen der jüngeren schon besprochen, als die Thür des Gefängnisses wieder aufging, und endlich nun Colville, mit Erich, erschien.
»O Colville, wie hat uns nach Ihnen verlangt!« rief Olivia, indem sie ihm entgegeneilte. »Aber wie sehen Sie so trübe aus!« Colville versuchte, ein heiteres Aussehen zu gewinnen, wahrend Alles um ihn herumtrat. Er blickte theilnehmend auf Florentinen, während er zu allen sprach:
»Was ist das für ein Ort! Sie sind wohl alle sehr erschrocken gewesen? Sie sehen noch ganz blaß aus, Florentine. Haben Sie gar keine Erfrischungen genossen, seit Sie hier sind? Beunruhigen Sie sich nicht, ich hoffe, Sie werden bald alle wieder zu Hause seyn; und der Gedanke daran, daß Sie um Christi willen gelitten haben, wird tröstend und erquickend für Sie seyn.« Colville sah sich in dem Gefängnisse um: »Nicht einmal Caminfeuer! Und Sie haben nicht das Geringste genossen!«
»O, uns friert gar nicht, und es fehlt uns überhaupt nichts, Colville,« sagte Florentine, und alle stimmten ihr bei; sagen Sie uns nur, was meinen Sie, daß aus uns werden wird?«
»Sagen Sie, Herr Colville,« rief Marie Osborne, »haben Sie wohl meinen Vater gesehen?«
Colville sah sie ganz erstaunt an: »Miß Osborne!« – »Ja bester Colville,« sagte Mrs. Leslie, »meine Nichte leidet mit uns; oder ich sollte vielmehr sagen, sie hat allein wirklich zu leiden; und das erste, was uns mit Ihrem Beistande obliegt, ist, daß wir suchen, sie nach Hause zu schaffen.«
Colville schwieg.
»Haben Sie meinen Vater gesehen?« fragte Marie wiederum, nur noch angelegentlicher.
»Ja wohl, kurz ehe ich herkam.«
»Könnte ich ihm wohl etwas bestellen lassen, oder ein Billet ihm schicken?«
»Er ist jetzt, fürchte ich, in der Sitzung des Geheimen Raths.«
»Dann ist alle meine Hoffnung aus,« sagte Marie in Verzweiflung. »Meine Mutter muß es nun erfahren, und dann habe ich keine Ruhe mehr auf Erden.«
Colville sah bekümmert und verlegen aus, und stand eine Weile in Gedanken versunken da; darauf nahm er Mrs. Leslie bei Seite: »Es darf durchaus nicht bekannt werden, daß Miß Osborne hier ist; es würde ihres Vaters Ansehen bei seinen Freunden ganz zu Grunde richten.«
»Aber wie sollen wir das verhindern?«
»Würden Sie etwas dawider haben, wenn wir Erich bei Ihnen hier für die Zeit Ihrer Gefangenschaft mit einsperren ließen?«
»O nein, ich hätte ihn sogar sehr gern hier bei mir.«
»Nun, dann ist alles gut.« Colville nahm Erich bei Seite. »Erich, wolltest du wohl deine Cousine befreien helfen?«
»Ja gewiß,« erwiderte Erich ganz froh, »sag mir nur, wie ich soll?«
»Du sollst an ihrer Statt hier bleiben; du bist etwa eben so groß, als Sie. Der Schließer wird es gewiß nicht merken.«
»Und ich soll die Kleider mit ihr wechseln? DaS wird prächtig seyn!«
»Nein, deine Kleider soll sie nicht anziehen, das wird sie nicht wollen. Wir gehen nach dem Hause deiner Tante, und du kommst in Oliviens Anzuge wieder – doch schnell, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Erich war mit allem zufrieden.
»Seyn Sie unbekümmert, Miß Osborne,« sagte Colville zu Marien, »ich hoffe, wir kommen in weniger als einer halben Stunde als Ihre Befreier wieder. Inzwischen werde ich einige Erfrischungen herbringen lassen, und wenn ich wieder da bin, wird wohl Herr Lindsay (der in diesem Augenblick aus dem andern Zimmer hereintrat,) seine Verhöre beendigt haben.«
Darauf klopfte Colville stark an die Thür des Gefängnisses, und der Schließer öffnete sogleich.
Nicht lange war Colville fort, als die Thür wieder aufging, und der Schließer trat mit zwei Männern welche mancherlei Eßwaaren und Wein brachten, und einer Frau herein, welche eine Menge sonderbar aussehender Teller und Tassen trug, aus denen sie essen und trinken sollten. Während der Zeit traten zwei Soldaten in das Gefängniß hinein, um zu verhindern, daß jemand entkommen möchte.
»Nun, essen und trinken Sie, und seyn Sie gutes Muthes, meine Herren und Damen,« sagte der Schließer höflich, »ich hoffe bald den Befehl zu Ihrer Befreiung zu erhalten.
Die verschiedenen Lebensmittel wurden nun auf dem Tische ausgebreitet, und darauf sagte die Verkäuferin, welche der Schließer immer »Jungefrau« nannte, mit wahrer Herzlichkeit zu den Gefangenen:
»Verschmähen Sie es nicht, ein Bischen zu kosten, meine gnädigen Damen. Es könnte Ihnen vielleicht an einem Orte, wie dieser ist, widerstehen, da Sie an so etwas nicht gewöhnt sind; aber Sie sollen 'mal sehen, wie gut es Ihnen thun wird.«
»Ihr habt ganz Recht, liebe Frau,« antwortete Mrs. Ednam heiter, »und wir sind Euch viel Dank schuldig.« – »Kommt, meine Lieben,« rief sie dem jüngeren Theile der Gesellschaft zu, »das ist keine Kerkerspeise. Lieber Onkel, lassen Sie uns Dem danken, der so gnädig für uns selbst hier gesorgt hat.«
Herr Ednam folgte der Aufforderung, trat an den Tisch, und sprach ein Dankgebet. Der Schließer und die Frau standen ehrerbietig still, bis er fertig war. Der erstere schien indeß nicht sehr erbaut, und warf beim Hinausgehen den Soldaten einen spöttischen Blick zu. Die Frau bezeigte immer mehr Theilnahme; einer der Soldaten aber wandte sich ab und fing an zu pfeifen, und sein Kamerad lehnte sich an die Wand des engen Ausganges, und sah die Gefangenen mit einer Miene an, die ein Gemisch von Hohn und von Mitleid zeigte.
Eher noch, als er versprochen hatte, war Colville wieder da, mit Erich, der als junges Mädchen verkleidet war, und mit Georg Osborne. Der Schließer ließ sie wieder sehr bereitwillig hinein. Die arme Marie sank zitternd und bebend, fast ohnmächtig um, als sie ihren Bruder gewahr wurde.
»Ach!« rief sie, »nun wissen sie alles!« Georg trat mit mehr Haltung, als seit seiner Rückkehr von seinen Reisen je an ihm sichtbar geworden, an sie heran.
»Ach Georg! Was steht mir bevor! Weiß die Mutter, daß ich hier bin? Hat sie dich hergeschickt?«
»Kein Mensch weiß darum, als ich. Eben jetzt traf ich Colvillen, der es mir sagte. Der Vater und die Mutter haben bisher zu viel zu thun gehabt, um dich zu vermissen; wird es aber bekannt, daß du heut früh in einem Conventikel gewesen bist, dann wird unser Ruin unvermeidlich seyn.«
»Dann war es aber auch nicht klug von dir, Georg, daß du hieher gekommen bist,« sagte die Lady Dalcluden.
Georg machte ein Gesicht, als wäre ihm dies noch nicht eingefallen, bis jetzt seine Tante ihn daran erinnerte; dann trieb er Marien, sich schnell zum Fortgehen anzuschicken; zog seinen Hut tief übers Gesicht, schlug seinen Mantel verkehrt um, und ging dann mit Marien, die Erich's Damenkleider trug, und beim Hinausgehen so bitterlich weinte, daß der Schließer sie für eine Verwandte der Gefangenen hielt, und sie ohne Schwierigkeit durchließ.
Als die Thür hinter ihnen wieder geschlossen war, sagte Florentine: »Nun, Colville, erzählen Sie uns von dem Onkel. Was ist denn vorgefallen?«
»Ja, liebe Florentine; doch noch eine Frage: Ist Lindsay fort?«
»Ja, einige Minuten, ehe Sie kamen, ging er.«
»Sie haben doch alle verstanden, was er Ihnen gesagt hat?«
»O ja, vollkommen.«
»Erlauben Sie, noch einmal Sie daran zu erinnern, daß Sie in Ihren Antworten nicht vorsichtig genug seyn können. Sie können sich nicht vorstellen, was für verfängliche Fragen Männer, die darauf sich verstehen, vorzulegen wissen. Ich bin selbst heut vor dem Geheimen Rathe erschienen.«
»Am Sabbath, Colville!« sagte Florentine erstaunt, indem sie ganz bleich wurde.
»Ich that unrecht daran, Florentine,« sagte Colville erröthend. »Ich hätte der Vorladung keine Folge leisten sollen; aber ich wurde damit überrascht, und gestehe, daß ich an die Heiligkeit des Tages nicht gedacht habe.«
»Und was wurden Ihnen denn für Fragen vorgelegt?«
»Nicht eine einzige, die ich nicht, ohne jemandem zu schaden, der Wahrheit gemäß beantworten konnte. Da man erfuhr, daß ich erst seit einer Woche in Schottland war, wurde ich sehr höflich behandelt, und bald entlassen.«
»Unter welchem Vorwande verhörte man Sie denn aber?« fragte Mrs. Leslie.
»Ich muß Ihnen erzählen, was sich mit mir zugetragen hat, seit wir schieden. Unser Gottesdienst an den Pentländischen Bergen war nur kurz, denn es wurde uns ein Zeichen gegeben, daß die Soldaten anrückten. Die Versammlung ging darauf auseinander, und Erich und ich ritten eilig nach der Stadt zurück. Wir gingen sogleich nach Ihrem Hause, Mrs. Leslie. Im Vorsaale fand ich Herrn Lindsay und zwei Boten vom Geheimen Rath, welche den Befehl hatten, alle Herren und männlichen Dienstboten aus dem Hause der Mrs. Leslie von Dalcluden vorzuladen. – Ich begleitete die Boten« ... fuhr Colville fort, indem er inne hielt und Florentinen ansah, als bäte er um Vergebung, »weil ich an nichts Anders dachte, als daß die Boten dort bleiben, und beim Nachhausekommen der Familie entdecken möchten, sie hätten einem Gottesdienst, der von dem ohnehin so sehr aufgereizten Geheimen Rathe verboten war, alle beigewohnt. Als ich hinkam, fand ich indeß, daß nicht ich, sondern der Hauslehrer mit jenem Befehle vorzugsweise gemeint war. Nichts desto weniger wurde ich verhört, besonders über mein Verhältniß zu Torriswood, und noch über andre Dinge, die mir sehr weit ab zu liegen schienen. Endlich wurde ich befragt, ob ich einen Eid darüber leisten wolle, daß meines Wissens Torriswood sich nicht gegen den König und seine Schottischen Minister verschworen habe? Ich willigte sogleich ein, aber man drang nicht weiter in mich, diese lächerliche Fordrung zu erfüllen. Darauf fragten sie mich, ob ich wisse, warum Torriswood Schottland so plötzlich verlassen habe?«
»Und was antworteten Sie darauf?« fragten Mrs. Leslie und Florentine zugleich.
»Ich antwortete, mir seyen mehrere Gründe bekannt; da aber Herr Osborne gegen mich mit derselben Offenheit davon gesprochen habe, wie gegen seine eigne Familie, so glaubte ich nicht das Recht zu haben, sein Vertrauen mißbrauchen zu dürfen. ›Wir fragen Sie bloß,‹ sagte ein Mitglied des Geheimen Raths, ›ob seine Gründe irgendwie politischer Art seyen?‹ Ich erwiderte hierauf, mir scheine alles jetzt, seit meiner Rückkehr nach Schottland, in irgend einer Beziehung auf die politischen Angelegenheiten zu stehen, und ich bäte daher, mich zu entschuldigen, wenn ich mich nicht bestimmter erklären könne. Sonst wurde nicht viel weiter mit mir gesprochen. Aus diesem Verhör begab ich mich zu Sir Walter Osborne. Ich fand ihn zu Hause, und allein. Er empfing mich sehr kalt. Ich sagte zu ihm, ich sey zu ihm gekommen, um seine Fürsprache bei dem Geheimen Rathe zu erbitten. ›Ich habe gar keinen Einfluß dort,‹ sagte er rasch und ärgerlich. Dann setzte er hinzu: ›Mein Bruder hat meinen ganzen Einfluß, den ich dort hatte, zu Grunde gerichtet. Mein Ruin wird auf den seinigen folgen, und er hat dann die Genugthuung, seine ganze Familie ins Verderben gestürzt zu haben.‹ Er ging eine Zeit lang in großer Bewegung die Stube auf und ab; darauf fragte er mich ruhiger: was ich von ihm wünschte; wenn es anders in seiner Macht stehe, sey er bereit es zu thun. Ich schwankte, was ich thun solle; denn in seiner Stimmung konnte ich schwerlich Glück hoffen für meine Botschaft.«
»Das hätte ich auch nicht gekonnt,« bemerkte Mrs. Leslie. »Aber wodurch hat mein Bruder denn bei seiner Partei angestoßen? Er wußte ja nichts von Torriswood's Abreise. Der arme Walter wird zuletzt doch einsehen, was das für eine saure Arbeit ist, ein gottloses Ministerium zu unterstützen. Sprechen Sie sich ganz frei aus, Colville. Christliche Freunde sind sich näher verwandt als leibliche Geschwister; und schon Kinder selbst müssen in Zeiten, wie diese, denken und urtheilen lernen, wie Erwachsene. Sagten Sie Waltern, wo wir seyen?«
»Ja wohl, und es kam nun ganz so, wie ich es geahnet hatte.«
Mrs. Leslie nahm Colvillen bei Seite: »Sie tragen Bedenken, Colville, mir alles zu sagen; ich möchte aber gern genau wissen, was vorgefallen ist. Es ist wirklich gut. Ich kenne meinen Bruder; er ist heftig und ehrgeizig; Gott sey Dank ist er aber noch nicht gewissenlos genug für die Partei, der er sich angeschlossen hat. Sie trauen ihm immer nur halb, und stehen immer auf dem Sprunge, sich seiner ganz zu entledigen. Ich wollte, sie thäten es. Sein irdischer Ruin ist das geringste Unglück, was ihm jetzt droht. Seine Frau denkt ganz verschieden von ihm; sie möchte gern immer weiter gehen. Erzählen Sie mir doch ja alles, was vorfiel.«
»Kaum hatte ich gesagt, wo Sie seyen,« fuhr Colville fort, »als Sir Walter, der neben mir gesessen hatte, aufsprang, mit großer Heftigkeit auf den Tisch schlug, und rief: ›Nun ist es geschehen! Ich bin nun völlig ruinirt! Das tolle Weib hat mir nun den letzten Streich gegeben!‹ Darauf ging er wieder so heftig im Zimmer auf und ab, und machte dabei solch einen Lärm, und sprach so laut, daß erst ein Bedienter hereinsah, und endlich Lady Osborne kam.«
»Gewiß mit einem Gesichte, auf welchem nicht der geringste Zug eine Bewegung verrieth,« sagte Mrs. Leslie.
»Ja wohl, mit größter Fassung. ›Mein bester Walter, was ist denn?‹ fragte sie. ›Herr Colville, ich freue mich sehr, Sie zu sehen. Aber sag mir, lieber Walter, was ist denn vorgefallen?‹
›Was vorgefallen ist? Ich bin ein Narr und du eine Bettlerin, das ist vorgefallen.‹ – ›Bitte, lieber Walter, faß dich doch. Warum bist du denn nicht in der Geheimen-Raths-Sitzung? Es war ja ein Bote hier, der dich hin berief.‹
›Ich bin auch dort gewesen. Ich wurde gefragt, wohin Torriswood gereist sey; und ich wußte nicht einmal, daß er fort sey. Man sagte mir, die ganze Stadt wisse es schon; und Rathillet und er seyen gestern zusammen gewesen. Ich hatte den Auftrag gehabt, meines Bruders Unternehmungen zu beobachten; du selbst hast es mit übernommen. – Alle Glieder des Geheimen Raths sehen mich schon jetzt mit andern Augen an; und nun kommt hier noch obendrein Arrondale, der mir sagt, daß meine Schwester mit ihrer ganzen Familie sich jetzt im Gefängniß von Canongate befindet, weil man sie alle in einem Conventikel betroffen hat. Vor wenigen Abenden, das ist weitbekannt, waren sie alle bei uns, und wurden mit Achtung und Herzlichkeit von uns behandelt. Kann man nun anders, als mir mißtrauen? Und nun soll ich beim Geheimen Rath für die Befreiung des tollen Weibes mit ihren Kindern und Torriswood's Kindern mich verwenden – mit Recht werden sie mich auslachen! Und nun, der alte Meldrum! Da stand er, und flüsterte, und redete mit, und man hörte ihn mit eben so vieler Aufmerksamkeit an, als Lauderdale selbst! Und machte er einmal gegen mich eine Verbeugung, so merkte man es ihm an, daß er's für eine Herablassung hielt! Dieser Mann in solcher Gunst! er mein Nebenbuhler! und denkt ernstlich daran‹ ... Lady Osborne schien besorgt zu seyn, Sir Walter möchte noch mehr sagen; sie ergriff daher rasch seinen Arm, und sagte: ›Lieber Walter, fasse dich doch!‹ Er stieß sie zurück: ›Frau, du bist es, von der alles ausgeht! Aber es wird dir nie gelingen, was du vorhast, und wofür wir unsre Seelen verkauft haben. Mochrum von Torriswood! Wie wird das in deinen Ohren klingen? Und das geht immer vorwärts. Bald wird es heißen »Sir William Mochrum!« Und dann »Lord Torriswood!« Und dann wird My Lady Osborne im Gefolge der Lady Torriswood erscheinen. Wie wird dir das gefallen, Frau?‹ Ich stand auf, mich zu empfehlen, und Sir Walter sprach: ›Sagen Sie doch meiner Schwester, nun können sie triumphiren. Ihre zwanzig Jahre Empörung kommen ihr nicht so theuer zu stehen, als meine zwanzig Jahre Schmeicheln und Aufpassen und Sorgen und Heucheln, mit beständigen Vorwürfen meines Innern.‹ Lady Osborne ging mir bis in den Varsaal nach. ›Mein bester Herr Colville,‹ sagte sie mit der vollkommensten Selbstbeherrschung, ›Sie haben Sir Walter so eben in einer der heftigen Aufwallungen gesehen, in welche ihn manchmal sein Mitgefühl für seine leidenden Verwandten setzt. Er weiß, daß Meldrum gern Torriswood's Güter an sich bringen möchte, und bei dem Gedanken daran verliert er alle Herrschaft über sich selbst. Und in der That muß diese große Unvorsichtigkeit der Lady Dalcluden in solch einer Zeit den Ruin ihres ältesten Bruders sehr beschleunigen. Bitte, stellen Sie dies alles der Mrs. Leslie vor, und thun Sie, was Sie können, um sie zu bewegen, daß sie mehr Rücksicht auf ihre Brüder und deren viele Kinder nehme. Sir Walter geht jetzt sogleich in den Geheimen Rath, aber vielleicht wird es ihm so leicht nicht werden, die Befreiung seiner Schwester auszuwirken. Sie hat schon so oft sich mit der Regierung verfeindet, und Sir Walter hat so oft schon müssen vor den Riß treten, daß es kein Wunder ist, wenn es jetzt ihm eben so schwer fällt, als unangenehm ist, ihr Schutz zu verschaffen.‹ Als ich wegging, traute ich kaum meinem eignen Gedächtniß und meiner Fassungskraft, so sehr hatte Lady Osborne durch ihr Benehmen und ihre Reden allein, was ich Sir Walter eben hatte sagen hören, eine andre Farbe zu geben gewußt; noch mehr erstaunt war ich aber, als noch nicht zehn Minuten darauf Sir Walter selbst mich einholte, und in ganz ruhigem Tone mir sagte, er sey jetzt auf dem Wege nach dem Geheimen Rathe, und dann zu lachen suchte über den ›tollen Zufall,‹ wie er es nannte, dessen Zeuge ich gewesen war.«
»Torriswood! – so, das ist also jetzt ihr Ziel!« sagte Mrs. Leslie. »Wie herzlos macht doch der Ehrgeiz. Wußten Sie, Colville, wie viel Walter seinem Bruder verdankt! Doch Walter ist nicht die Triebfeder; Lady Osborne hat alle diese unnatürlichen, übelangelegten Ränke gesponnen. Ihre niedre Herkunft und schlechte Erziehung machte den Abstand ihr unerträglich in dem sie sich fortwährend von der Familie ihres Mannes fühlte, in Rücksicht auf Gesinnung, auf Bildung und Erziehung. Neid, Bosheit, List waren ihre Waffen gegen die, welche auf so etwas nicht gefaßt waren. Ihre Umgebungen haben sie gelehrt, das Auswendige immer mehr zu glätten und zu putzen, während ihr Sinn so niedrig bleibt, als ihre Abkunft. Und ihr Herz ist völlig unverneuert!« In sanfterem Tone fügte sie dann binzu: »Aber wer ist es, der uns vorgezogen hat? Was haben wir, das wir nicht empfangen hätten?«
»Und welcher Rath gelingt, wenn Gott ihm nicht Gedeihen gibt?« sagte Colville.
»Ja wohl, mein theurer Colville; was haben wir denn also jetzt anders zu thun, als Seinen Willen zu erforschen, und zu unsrer Sicherheit nur solche Mittel anzuwenden, auf denen sein Segen auf unser demüthiges Gebet ruhen kann?«
Bei diesen Worten trat der Schließer herein, um den Gefangenen zu sagen, daß Sir William Peterson, der Secretär des Geheimen Raths und zwei Herren, welche die Gefangenen verhören sollten, in dem Hause angekommen seyen, und in einer kleinen Weile hier erscheinen würden.
»Colville, Sie müssen nun fort!« sagte die Lady Dalcluden.
Er hatte nicht Lust. »Ja wirklich, Sie müssen, bester Colville; Sie sind jetzt unser einziger Schutz; wozu wollten Sie die Herren gegen sich erbittern? Uns können Sie jetzt nichts helfen, und Sie stürzen sich in große Gefahr.«
Auch der Schließer trat hinzu. »Während des Verhörs dürfen Sie nicht hier bleiben. Aus allen Zimmern sind immer erst alle Fremde entlassen worden, ehe die Herren eintreten.«
Nun erschien ein Bote, und sagte, wenn Freunde der Gefangenen anwesend seyen, müßten sie sogleich das Zimmer verlassen. Colville zauderte noch, indem er bekümmert Florentinen ansah. Sie trat heran. »Leben Sie wohl, Colville, für heute; morgen hoffe ich, werden wir uns in Freiheit wiedersehen. Wo nicht, so wissen wir ja, wer unsre Schicksale lenkt.«
Florentine sah bei diesen Worten so gesammelt und heiter aus, wie sie Colville seit seiner Rückkunft noch nicht gesehen hatte.
»Wie kann ich Sie hier im Gefängnisse lassen, Florentine? Ihr Herr Vater trug mir auf« ... Bei diesen Worten hörte man Fußtritte sich nähern, und der Schließer ersuchte Colvillen, das Zimmer zu verlassen.
In dem engen Gange, der hinausführte, begegneten ihm die drei Commissarien des Geheimen Raths; doch war es zu finster darin, als daß man sich hätte erkennen können; und da der Schließer sagte, der Herr habe seine Verwandten drinnen besucht, ließ man ihn durch.
»Vergiß nicht, daß du ein Mädchen bist, Erich!« sagte Mrs. Leslie; »verrathe dich nicht.« Darauf wandte sie sich um, die Commissarien zu empfangen, und zu Aller Erstaunen trat zuerst ein der alte Meldrum, dann Ormistoun und zuletzt Sir William Peterson, der Secretär des Concils, von zwei Protocollführern mit Schreibmaterial begleitet.
Die Lady Dalcluden, welche genug Fassung zu haben geglaubt hatte, die Abgeordneten des Geheimen Rathes mit der Ehrerbietung zu empfangen, welche die ihr gleich Gesinnten unter den Covenantern ihnen stets zu bezeigen für ihre Pflicht hielten, konnte ihres Unwillens und ihrer Verachtung nicht sogleich Herrin werden, die beim Anblick dieser Männer sie ergriff.
»Herr Mochrum!« rief sie, »und Hr. Ormistoun!« Den dritten kannte sie kaum, doch bewies sein gemeines Aeußere und sein plumpes Benehmen, daß er nicht mehr Achtung verdiene, als seine Begleiter.
»Gnädige Frau,« hob der alte Meldrum an, während er überall hin, nur nicht die Person, zu der er sprach, anblickte, »ich bin aufrichtig bekümmert darüber, daß ich Sie an solch einem Orte finde; und eben so die Lady Graden; Ihr Herr Sohn, gnädige Frau, verzeihen Sie, daß ich Ihnen das sage, hat ein klügeres Theil erwählet. Mrs. Ednam, Ihr gehorsamster Diener. Ich fürchte, mit Ihnen werde ich am meisten zu sprechen haben.«
»Ich bin erstaunt, Herr Mochrum,« erwiderte Mrs. Ednam, »über die außerordentliche Strenge der Maaßregeln, durch welche so viele junge Leute und Kinder für solch ein Vergehen ins Gefängniß geschleppt worden sind. Mir kam es nicht unerwartet, daß ich für etwas hienieden leiden sollte, was dort oben vor Gottes Gericht gutgeheißen wird; aber das muß doch in der That eine sehr ohnmächtige Staatsgewalt seyn, die sich vor solchen Rebellen, wie diese Kinder sind, fürchtet.«
Ormistoun hatte sich inzwischen nach der Seite des Zimmers gewandt, wo Florentine mitten unter ihren Freundinnen saß. Ihr erster Blick des Erstaunens und des Unwillens machte ihn schon sehr verwirrt, doch versuchte er, sich zu fassen, und stammelte heraus: »Miß Osborne, verdammen Sie mich nicht, ehe Sie mich gehört haben. – Werden Sie mir wohl erlauben, Ihnen einige Worte allein zu sagen? Glauben Sie mir, Miß Osborne,« fuhr er mit leiserer Stimme fort, »nichts als die Theilnahme an allem, was Sie betrifft ... das heißt, Ihre Familie ... hätte mich ja bewegen können, mich« ...
»Unsre heilige Sache im Stich zu lassen, wollten Sie sagen!«
»Miß Osborne, Sie sind ungerecht gegen mich. Ich bitte inständig, hören Sie mich einige Minuten allein. Ich möchte Ihnen gern einiges über Ihren Herrn Vater sagen.«
Florentine schwankte. »Ich kann mir nicht denken, daß jemand, der seinen Sabbath damit zubringt, daß er die Befehle eines Ministeriums zur Verfolgung der Kinder Gottes an diesem heiligen Tage vollzieht, ein aufrichtiger Freund meines Vaters sey.«
Ormistoun erröthete und seine Augen funkelten einen Moment, bald aber wurde er wieder ruhig, als er Florentinen ansah.
»Nun, so erlauben Sie mir doch, die Aufrichtigkeit meiner Freundschaft Ihnen zu beweisen.«
»Sie wissen, Herr Ormistoun, daß die einzige Stimme, welcher die Covenanter unbedingten Gehorsam leisten, ihnen befiehlt, stets von Herzensgrunde die Wahrheit zu reden. Vergeben Sie mir daher, wenn ich Ihnen sage, mein Vater, sowohl als seine Tochter wünschen gar nicht einem jeden für Freundschaftsdienste verpflichtet zu seyn.«
Ormistoun war für den Augenblick ganz zu Boden geschlagen. »Nun, wie es Ihnen gefällt,« sagte er, roth vor Unwillen. »Ich wollte Ihnen einen Dienst erweisen, und durch Sie Ihrem Herrn Vater; ich bin überzeugt, daß ich es kann. Weisen Sie mein Anerbieten zurück, so mögen Sie sich die Folgen selbst zuschreiben.«
Florentine erblaßte; der Gedanke, daß sie etwas zurückweisen möchte, was ihren Vater retten könnte, erschreckte sie. Ormistoun bemerkte diese Wirkung seiner Rede, und fuhr fort: »Erlauben Sie mir nur, Miß Osborne, einiges Wenige Ihnen zu sagen. Ihre Antworten werden dem Geheimen Rathe einberichtet. Hätte ich mich nicht erboten, so wäre der Auftrag, die jüngeren Gefangenen zu verhören, einem erklärten Feinde Ihres Herrn Vaters ertheilt worden.«
»Aber sagen Sie, Herr Ormistoun, was hat denn unser Conventikel bei Mrs. Ednam mit meinem Vater zu thun? Er ist gestern von hier abgereist, und hat nicht einmal von unsrer Absicht, zu Mrs. Ednam zu gehen, etwas erfahren. Wir waren, als er fortging, noch nicht einmal entschlossen dazu.«
Ormistoun schien anfänglich verlegen, dann sagte er: »Das mag seyn, Miß Osborne, aber diese gesetzwidrigen Handlungen der Seinigen bestärken die Minister in ihrem Argwohn wegen der Absicht, die Torriswood's Reise nach London zu Grunde liegt.«
»Sie, Herr Ormistoun, sind ja aber mit dieser Absicht bekannt, und Sie versicherten mich selbst, es sey deshalb nichts zu befürchten; Sie erklärten mir widerholentlich und aufs feierlichste, er habe unmöglich etwas zu fürchten, so lange er Schritt für Schritt von Ihnen und Herrn Lindsay sich rathen lasse; Argwohn könne ihm nichts schaden, sagten Sie uns oft, so lange er nur nichts thue, was man auf irgend eine Weise als eine Uebertretung der Gesetze darstellen könne.«
Jetzt erhob die Lady Dalcluden ihre Stimme, und sagte, indem sie auf die jungen Mädchen blickte, in Erwidrung einer Frage des alten Meldrum:
»Herr Mochrum, ich werde auf keine Frage, die meinen Bruder betrifft, antworten. Mein eignes Verbrechen gegen das Ministerium habe ich gestanden. Ich bin mit allen diesen hier heut Morgen zusammengekommen, um Gott nach meinem Gewissen, aber allerdings in einer jetzt gesetzwidrigen Weise zu dienen. Dies Verbrechen gestehe ich ein, und verspreche nicht, daß ich es nie wiederholen werde. – Schreiben Sie das nieder, junger Mann!« sagte sie zu dem Protokollführer.
Dieser sah seine Vorgesetzten an.
»Schreiben Sie diese ihre Worte nieder,« sagte Sir William Peterson.
Der junge Mann that es, die Lady Dalcluden las es mit der Feder in der Hand durch, und setzte dann ihren Namen darunter.
»Wir wollen alle unterschreiben,« sagte Florentine, die aufstand und zu ihrer Tante hin trat. Ormistoun stellte sich dazwischen, und ergriff ihre Hand. »Ich bitte Sie, Fräulein Florentine, übereilen Sie sich doch nicht, wozu denn das? Sie sind ja nicht aufgefordert worden.«
Florentine zog ihre Hand weg, und ging kalt an ihm vorbei. Auch Erich stand an dem Tische.
»Liebe Kinder,« sagte die Lady Dalcluden, »ihr seyd noch minderjährig, ihr seyd ja noch Kinder, geht!« indem sie Erich einen Blick zuwarf, und dann Florentinen bedeutungsvoll ansah.
»Unterschreiben Sie, wenn es Ihnen gefällig ist, Miß Osborne,« sagte der alte Meldrum.
Florentine trat zurück, und nahm Erich in den finstersten Winkel bei Seite: »Bester Erich, sieh dich doch vor, du mußt nicht so weit hervorkommen, Ormistoun erkennt dich ja sonst.« Da sie Ormistoun mit Olivien sprechen sah, trat sie schnell an sie heran:
»Olivia, denke an den Wink, welchen die Tante uns eben gegeben hat!«
»O ja, ich verstehe wohl,« versetzte Olivia.
»Ach, Sie haben Geheimnisse, wie ich sehe, Miß Olivia,« sagte Ormistoun, indem er scharf in Oliviens offnes Gesicht blickte.
»Bedenke wohl, Olivia,« sagte Florentine, »du siehst heut Herrn Ormistoun als einen ganz andern Mann, du mußt auf deiner Hut seyn. Alles, was du aussagst, wird dem Geheimen Rathe berichtet.«
»Es ist ganz überflüssig, daß Sie in mich dringen, Herr Mochrum,« sagte Mrs. Leslie wieder mit lauter Stimme. »Ich fürchte, ich habe schon zu viel an diesem heiligen Tage auf fremdartige Dinge mich eingelassen; aber ich habe es gethan, um meinen festen Entschluß zu bekennen, daß ich die Versammlungen der Kinder Gottes an Seinem Tage nicht unbesucht lassen werde. Auf andre Gegenstände lasse ich mich heut nicht ein.«
Mrs. Ednam und die andern Damen gaben die selbe Erklärung. »Ich bezweifle wirklich,« sagte die Lady Graden, »ob Acte des Geheimen Raths, die an dem heutigen Tage vorgenommen worden sind, als gesetzlich gültig betrachtet werden können. Ich könnte sie wenigstens nicht dafür halten.«
»Meine gnädige Frau,« sagte der alte Meldrum, »das ist eine leere Ausrede, zu der Ihre Freunde bei einer Empörung immer ihre Zuflucht nehmen. Sie soll Ihnen aber nichts helfen. Der Geheime Rath wird nicht mit sich spaßen lassen. Ich habe den Auftrag, Sie über die genannten Punkte zu verhören. Antworten Sie mir also, oder lassen Sie sich dann alle Folgen Ihres Ungehorsams gefallen.«
»Wir lassen uns alle diese Folgen gefallen,« sagten Mrs. Ednam, Mrs. Leslie und die Lady Graden wie mit Einem Munde.
»Lassen Sie sich bedeuten, meine Damen,« sagte Sir William Peterson; »Sie haben den Geheimen Rath gröblich beleidigt, und Sie können viel wieder gut machen, wenn Sie ganz offen ein Paar einfache Fragen beantworten.«
»Ich werde keine Frage beantworten, die sich auf irgend jemand, außer mir, bezieht,« sagte Mrs. Leslie mit Festigkeit.
»Könnten Sie wohl, gnäd'ge Frau,« fragte Ormistoun, indem er höflich herantrat, da er Florentinen neben ihrer Tante stehen sah, »einen Meuchelmörder der Gerechtigkeit entziehen wollen? Ich setze voraus, Sie halten den Tod des Primaten für einen schändlichen, barbarischen Meuchelmord?«
Dies war eine verfängliche Frage; aber Mrs. Leslie erkannte es wohl.
»Ich habe bereits erklärt, Herr Ormistoun, daß ich Fragen dieser Art nicht beantworten werde.«
»Es gibt doch aber gewiß keinen Tag, Miß Osborne,« sagte Ormistoun, indem er sich an Florentinen wandte, »an welchem man nicht seinen Abscheu vor einem Verbrechen aussprechen dürfte, und vor einem so scheußlichen Verbrechen namentlich, als Meuchelmord.«
»Nein,« sagte Florentine; »und es gibt auch keinen Tag, an welchem man die Leute vor der Falschheit und der Heucheley nicht warnen dürfte, die dem gottlosen Sharpe den schrecklichen Untergang bereitet hat.«
Ormistoun gab sich alle Mühe, so zu scheinen, als fühle er den Stachel dieser Rede nicht. »Sehr wahr, Miß Osborne, diese Lehre gibt dies fürchterliche Ereigniß denen ... denen von Ihrer Partei.«
»Sie vertheidigen also die Mörder des Erzbischofs, Miß Florentine,« sagte der alte Meldrum. »Das führt uns näher zur Sache. Nicht wahr, Rathillet hat gestern auch in Ihnen eine Freundin gefunden.«
»Ich habe diese verirrten Menschen nicht vertheidigt,« sagte Florentine; »ich leitete aus Sharpe's Tode nur eine Lehre ab für jemand, der so freundschaftlich sich gegen mich aussprach, daß ich ihm doch einen kleinen Dank schuldig war.«
Mochrum sah Ormistoun an, der die Augen niederschlug. »Haben Sie diese jungen Leute nun alle verhört, Ormistoun? Wir verschwenden hier unsre Zeit.«
Ormistoun schritt wieder zu seinem Geschäft, konnte aber auf keine Frage, die er vorlegte, Eine Sylbe Antwort bekommen. Die jungen Damen hatten ihre Blicke alle auf Florentinen gerichtet, und da sie den Finger auf den Mund legte, nahmen sie den Wink zu Herzen, und weder höfliche Redensarten, noch Drohungen, noch Bitten vermochten Ein Wort aus ihnen herauszulocken. Erich hatte, als Ormistoun zu ihm kam, mit dem Kragen seines Kleides den unteren Theil seines Gesichts ganz bedeckt, und blinzelte immer mit den Augen, so daß Ormistoun ihn für blödsinnig hielt, und bald vorüber ging.
»Wir verschwenden wirklich hier unsre Zeit,« sagte Ormistoun endlich, da er seines Aergers zuletzt nicht mehr Herr werden konnte. »Was nun daraus folgt,« sagte er mit einem Blick auf Florentine, »das haben wir, so viel in unsrer Macht stand« ... Hier begegnete er den Blicken des alten Meldrums und hielt inne; Florentine bemerkte dies alles. »Leben Sie wohl, Herr Ormistoun,« sagte sie lächelnd, »Sie haben sich einen dornichten Pfad gewählt. Ach, noch ist es nicht zu spät,« fügte sie ernst hinzu, »gehen Sie nicht solche krumme Wege, sie enden zuletzt in Schande und Elend.«
»Was bedeutet denn dies alles, Ormistoun?« fragte Meldrum, indem er unter seinen überhangenden Augenbraunen den beschämten, betroffenen Advocaten anzusehen suchte. Ormistoun ging aber nach der Thür des Gefängnisses, und erwiderte kein Wort.
»Meine Damen,« sagte Sir William Peterson, »morgen werden Sie die Entscheidung des Geheimen Raths über Ihr Schicksal erfahren.«
»Morgen?« sagte Mrs. Ednam; »der Geheime Rath wird doch wohl nicht diese Kinder die Nacht über hier im Gefängnisse lassen. Bitte, meine Herren, stellen Sie doch die Jugend dieser Gefangnen ihnen vor.«
Sir William lachte, schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken, und sagte: »Gnädige Frau, ich glaube nicht, daß Sie einen vom heutigen Tage datirten Befehl zu ihrer Befreiung für gesetzlich gültig halten würden.«
Mochrum lachte gleichfalls, und nun verließen sie das Gefängniß, nachdem sie noch, so daß sie es hören konnten, den Schließer instruirt hatten, schlechterdings niemand hineinzulassen, bevor die Entscheidung des Geheimen Raths erschienen sey.
Von den beiden alten Herren hatten die Deputirten gar keine Notiz genommen, und als sie hörten, daß die Bedienten der Mrs. Ednam gehörten, wurden sie auch nicht verhört, so daß die älteren Gefangnen sahen, der angebliche Unwille des Geheimen Raths war, an diesem Tage wenigstens, ein bloßer Vorwand, um die Mörder des Erzbischofs zu entdecken. Auch war es klar, daß der Geheime Rath gar zu gern erfahren hätte, ob Torriswood nicht irgendwie in diese Sache verwickelt seyn möchte, wenigstens durch Mitwissen und Verbergen der Thäter. Die älteren Gefangenen sprachen lebhaft hierüber, bis das Tageslicht allmählich Abschied nahm, und sie nur hie und da den Schein einer vorüberziehenden Fackel, oder den Schimmer von einem gegenüberliegenden Fenster her genossen, der durch das enge, finstre Gitter drang, und seine eisernen Stäbe in groben, vorschwimmenden Zügen an der hinteren Wand abschattete. Später indeß schien von Zeit zu Zeit der Mond zwischen den hohen, spitzen Zinnen der davorliegenden Häuser hindurch, bis er sich endlich in stiller Majestät über sie alle erhob, ihre unregelmäßig durcheinander liegenden Dächer und Schornsteine mit seinem Silberschimmer umgoß, und seine Strahlen ungehindert in das Gefängniß warf. Florentine saß zwischen ihren beiden jungen Freundinnen, Catharine Pringle und Ellen Hume. Sie hielten sich fest umschlungen, und indem beim Sprechen ihre Gesichter sich fast berührten, waren ihre Augen auf den hellen Mond gerichtet. Florentine schloß beide noch fester in ihre Arme, und fragte: »Ist es euch nicht, als hätte das Licht dort noch nie so still und so schön geschienen, als jetzt?«
»Ja, mir ist es auch so,« versetzten Beide.
»Und die leichten Wolken dort, die so mild von den Mondstrahlen erleuchtet werden, wenn sie sich nähern, woran erinnern sie euch wohl?«
»Mir kommen sie wie Flügel von Engeln vor,« sagte Ellen Hume; »wie wenn eine Schaar dieser heiligen Boten, die zum Dienste derer, welche die Seligkeit ererben sollen, ausgesandt werden, jetzt über uns schwebte.«
»Ich muß dabei immer an unsre ungläubigen Sorgen denken,« sagte Catharine Pringle. »In der Ferne kamen sie ganz schwarz angezogen, als wollten sie jenes herrliche Licht dort ganz verdunkeln; nun aber, da sie an ihm vorüberziehen, verherrlichen sie nur seine milde Schönheit, und dann verschwinden sie. So sahen wir früher in einem Gefängniß nichts als Dunkel und Grausen; nun aber ist Licht und himmlischer Friede in unseren Seelen eingekehrt, und wir können aufs Neue den Herrn preisen, der für jede Lage unsres Lebens uns so viel Gnade und Kraft schenkt, als wir bedürfen.«
»Ja, wie wahr ist das, meine theuerste Catharine!« sagte Florentine.
»Und du, Florentine, woran denkst du beim Anblick dieser Wolken?«
»Meine Fantasie ist jetzt immer ganz zügellos in Bewegung,« erwiderte sie. »Ich wundre mich oft über die Schnelligkeit, mit der sie Bilder hervorruft, und noch dazu so schmerzliche. Als ich diese Wolken so langsam hinaufziehen sah, und das reine, stille, majestätische Licht darüber, da fiel mir ein, daß das Licht dereinst alles offenbar machen werde; dann dachte ich an Verfolgungen, an den Tod; an mich und die die hier um mich sind; es kam mir vor, wir seyen schon durch das finstre Thal hindurch, und näherten uns nun, dunkel und unsicher, wie diese Wolken, dem Richterstuhle des Lichtes; und da dachte ich: »Ach, wenn sich unter uns jemand getäuscht hätte! Friede, Friede seiner Seele zugerufen, und es war doch kein Friede! und das helle Licht dort machte es nun offenbar! Aber da sah ich dann die Wolken näher heranziehen, und sie wurden immer heller und heller, je weiter sie hinaufkamen, bis die Strahlen endlich sich ganz durchdrungen hatten, und das Licht sie in sein glänzend reines Kleid gehüllt hatte.«
Nun hörte man Fußtritte von mehreren Personen der Thüre sich nähern, und den Schließer die anreden, welche er führte. Als er aufgeschlossen hatte, trat ein Knabe mit einem dünnen Licht hinein, das er hinsetzte, und das die Finsterniß fast noch vermehrte. Darauf sah er sich um, und als er den alten Herrn Ednam erblickte, meldete er ihm, er und der andre alte Herr und die beiden Bedienten der Mrs. Ednam müßten mit ihm in ein andres Zimmer, und vier Frauen sollten an ihrer Statt hieherkommen. Dies schien sehr angemessen und schicklich. Die älteren Gefangenen dachten zwar an eine List, die vielleicht unter dieser Veränderung verborgen liegen könnte; aber alle Vermuthungen und aller Widerstand waren vergebens, und Mrs. Ednam sah ihre alten, schwachen Verwandten mit Schmerz weggehen, ohne zu wissen, ob sie nicht härter würden behandelt werden, als bisher. Nach Eintritt der weiblichen Gefangnen schloß der Gefangenwärter für diese Nacht die Thür zu.
Eine der neu angekommenen Gefangenen sank sogleich auf den nächsten Stuhl fast ohnmächtig nieder; die andern schienen nur an sie zu denken. Florentine stand schnell auf, und schenkte etwas von dem Wein ein, den Colville ihnen verschafft hatte, um ihn der Fremden anzubieten. Dabei trat sie an das Licht heran.
»Miß Osborne!« rief ein junges Mädchen, die zu der Fremden zu gehören schien.
Florentine sah sie an, und rief: »Betty Fairley!«
»Sie sind hier, Miß Osborne? In einem Gefängniß?«
Florentine reichte ihr freundlich die Hand. »Ja, Betty, liebe gute Betty! Aber wir wollen der Dame beistehen,« sagte sie leiser; und damit trat sie an die Fremde heran, der jetzt auch eine andre ältere Frau beistand, kniete vor ihr, und hielt ihr den Wein an die Lippen. Mit Mühe trank sie etwas davon. Mrs. Leslie sagte den übrigen, sie möchten lieber in das andre Zimmer gehen, und inzwischen stand sie mit Mrs. Ednam, und wartete, was Florentinens freundliche Bemühungen für einen Erfolg haben würden. Florentine ihrerseits betrachtete mit großer Theilnahme das liebliche, bleiche Gesicht, das vor ihr lag, und wie sie zu sich kam, und die matten Augen sie ansahen, kam es ihr nicht so fremd vor; doch konnte sie sich nicht besinnen, wo sie es gesehen habe. Endlich konnte die Fremde ihr einige Worte des Dankes sagen, und nun kam sie ihr noch bekannter vor. Da sie sich nun fast ganz erholt zu haben schien, zog Florentine Betty'n ein wenig bei Seite, und fragte: »Wer ist denn die Dame, Betty? Ich muß sie gewiß schon einmal irgendwo gesehen haben, aber ich weiß nicht mehr, wo.«
»Es ist Mistreß Colville, gnädiges Fräulein, die Lady Arrondale.«
»Wie? die Lady Arrondale? Colville's Mutter?« Florentine eilte gleich zu Mrs. Leslie: »Liebe Tante, denken Sie sich, es ist Ihre Freundin, die Lady Arrondale.«
Mrs. Leslie fuhr auf. »Bitte, recht leise, liebe Tante!« Florentine trat wieder an den Stuhl der Mrs. Colville.
»Sagen Sie mir, meine Liebe,« sagte Mrs. Colville, indem sie Florentinen die Hand reichte, »befinden wir uns etwa wegen desselben Verbrechens hier? Haben Sie auch die Sünde begangen, eine evangelische Predigt zu hören?«
»Ja, gnäd'ge Frau, aus diesem Grunde befinden wir uns alle hier.«
»Nun, so darf ich Sie als meine christliche Freundin ansehen,« sagte Mrs. Colville, indem sie Florentinens Hand festhielt.
»Ja, beste gnäd'ge Frau, und Sie sind noch dazu hier in der Gesellschaft Ihrer Freundinnen. Hier ist meine Tante, Mrs. Leslie von Dalcluden, hier Mrs. Ednam« ...
»Die Lady Dalcluden!« rief Mrs. Colville – und in dem Augenblick lag sie in den Armen ihrer Freundin; dann umarmte sie Mrs. Ednam, die Lady Graden; und darauf gab es denn nichts als Freude und Erstaunen über solch ein Zusammentreffen, und alle strömten über von Zärtlichkeit und Thränen des Dankes, und die jüngeren wurden den älteren und einander vorgestellt, und Florentine und Olivia umarmten und küßten die liebliche, bescheidne Betty Fairley, die ihnen immer die Hand küssen wollte und sagte: »Meine lieben Fräuleins, sie sind zu gütig gegen mich! Wie wunderbar, daß Sie um des Herrn willen haben ins Gefängniß wandern müssen! Sind Sie denn auch alle wohl, Miß Florentine, Ihre ganze Familie?«
»Alle, Betty.« Florentine sagte aber nichts, was die arme Betty an ihre Heimath Torriswood erinnern konnte; denn alle wußten ihre traurige Geschichte, und Betty that auch keine Frage, welche darauf hinleitete.
Nachdem die Gefühle der Freude, der Verwunderung und des Dankes über ein so unerwartetes Zusammentreffen sich einigermaßen gestillt hatten, erzählte Mrs. Colville ihren Freundinnen, daß sie auf die Nachricht, ihr Sohn werde um diese Zeit in Edinburgh sein, hergeeilt sei, bevor er die Stadt wieder verließe. »Denn mit Schmerz muß ich es sagen,« fuhr sie fort, »nachdem wir viele Jahre ganz übersehen worden waren, hat die Verfolgung endlich auch bis zu unserem entlegenen Landestheil sich hingewandt und mehrere Familien sind in schwere Strafen genommen worden, als des beständigen Besuches der Conventikel im Freien und auf den benachbarten Edelhöfen überwiesen. Mein jüngster Sohn und ich sind in dieser Hinsicht am schuldigsten befunden worden und man hat uns daher neuerlich aufgelauert, ob wir auch die Pfarrkirche besuchten. Die Stelle des Pastors an dieser Kirche versieht jetzt ein Pfarrverweser und darum haben weder mein Sohn noch ich sie neuerlich jemals besucht. Ich hätte gern gesehen, daß Philipp auf alles dieses vorbereitet sein möchte, ehe er ins Vaterland zurückkehrt und zwar um vieler Dinge wegen, die ihm hier bevorstehen. Man versucht jetzt jedes Mittel, um die Landedelleute zu zwingen, daß sie sich entschieden zu einer Partei schlagen sollen. Der Befehl, in das Heer des Königes einzutreten, wie es hieß, war die letzte Schlinge, die man ihnen legte, ehe ich die Heimath verließ. Durch dieses Gesetz ist die Landwehr genöthigt, sich mit des Königs Heer zu verbinden, um den Aufruhr, wie sie es nennen, zu unterdrücken, wozu denn auch alle Feld- und Hausconventikel gehören. Auch die Landedelleute müssen in dieses Heer zu diesem Zwecke eintreten. Viele haben es nicht gethan und man hat es bis jetzt noch hingehen lassen, aber man weiß wohl, daß man sie sich gemerkt hat und ihre Zeit wird auch noch kommen.« Mrs. Colville sagte ihren Freundinnen ferner, da sie beschlossen habe, nach Edinburgh zu reisen, so habe sie es so sehr, als nur möglich, im Stillen gethan und Niemand als ihren Sohn und ihre Kammerjungfer, eine der Frauen, die mit ihr eingetreten waren, mitgenommen. Sonnabend war sie angekommen. Betty Fairley und ihre Tante waren vor ihr nach der Stadt gekommen, wo die letztere Geschäfte hatte. Diese wohnt in der Regel in einem Hause Arrondale's und wußte, wenn Mrs. Colville vorkommen würde. Kaum war sie da, als sie ihr von einer Versammlung der Verfolgten, eine Viertelmeile von der Stadt, sagte und dort war sie mit hingegangen. Zu Arrondale konnte sie sonst ohne Beschwerde viermal so weit gehn, aber als die Soldaten das Haus umringten, wo sie waren und sie die mit Menschen angefüllten Straßen durch den höhnenden Pöbel ziehen mußte, hätte sie ohne die Hülfe ihres Sohnes den Weg nicht zurücklegen können und als sie von ihm sich trennen mußte, war sie völlig wie ohnmächtig. Dazu kam, daß das Gefängniß, worin sie einige Stunden mit ihm zusammen eingesperrt wurde, bei weiten mehr gefüllt war, als das, worin sie sich jetzt befand und Alles sehr von Hitze und Durst litt, den erst kurz vor ihrem Ausscheiden der Schließer durch einen Labetrunk Wasser etwas milderte.
Nun schlug Mrs. Leslie vor, man solle sich zum Schlafen anschicken. Es war aber unmöglich, da nur vier kleine Betten da waren, daß mehr als ein Viertel der Gefangenen zu gleicher Zeit schlafen konnte. Daher mußten sie versuchen, abzuwechseln. Alle waren damit zufrieden und Betty Fairlay fing mit Hülfe von Isabelle, der Kammerjungfer der Lady Arrondale, sogleich an, die vier harten, groben Betten zurecht zu machen. Florentine sah eine Weile zu, als ob sie über etwas nachdächte, während Mrs. Leslie und Mrs. Ednam die Kinder und die anderen Mädchen auskleideten, da man darin übereinkam, die jungen Leute würden unter diesen Umständen leichter schlafen, als die älteren, die alsdann in ihre Stelle treten könnten, wenn sie, gänzlich erschöpft, von ihren ängstlichen Gedanken nicht mehr wach gehalten würden. Da sagte Florentine, es scheine ihr, daß mit einigem Scharfsinn die Hälfte der Gefangenen zugleich sich unterbringen lasse. Darauf setzte sie mit Betty und Isabelle Bänke die Betten entlang, so daß man quer in die Betten sich legen konnte und zugleich der Schooß derer, die im Schlafe saßen, als Kissen diente. Diese Anordnung wurde mit der Hülfe von Mänteln, Ueberröcken und Tüchern vortrefflich ins Werk gesetzt und nachdem Alles fertig war, sagte Mrs. Leslie einen Abschnitt aus der heiligen Schrift her. Die Gefangenen stimmten darauf einen Psalm an, den Alle kannten, denn Licht zum Lesen war nicht da.
Die jüngeren Gefangenen legten sich darauf nieder mit den Häuptern auf den Schooß ihrer älteren Freundinnen. Die Lady Arrondale, die nun völlig wieder hergestellt war, bestand darauf, daß sie neben Florentinen wachen wolle, die wieder von ihrer Seite auf das angelegentlichste bat, daß ihr zuerst dieses Amt übertragen werde. Doch hierin war Florentinens Natur zu schwach, und wenn auch die Allerletzte, war sie bald mit allen andern jungen Gefangenen in so tiefen Schlaf versunken, daß die älteren leise mit einander sprechen konnten, ohne sie aufzuwecken. Florentine war die erste, die erwachte, aber erst nach einigen Stunden, wo dann auch die Andern hinreichend erschöpft waren, um mit Dank die Stellen, die man ihnen nun überließ, einzunehmen und den übrigen Theil der Nacht eben so sanft zu schlafen.