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IV.
Nach dem fernen Osten

Im Meerbusen von Bengalen

Nachdem ich Monate lang nur den Geist berücksichtigt hatte, griff der Körper, der diesen Zustand nicht mehr ertragen konnte, zum äußersten Mittel, um seine Rechte geltend zu machen: ich erkrankte schwer; die letzten Wochen in Indien habe ich auf dem Krankenlager zugebracht. In ihrer Art war es keine uninteressante Zeit. Es ist ein eigenes Bewußtsein, sich weniger als handelnde Person, denn als Schauplatz zu fühlen: als das Gebiet, auf dem Mikroben ihre Schlachten schlagen. Und dann erlebt man zu Zeiten physischer Schwäche psychische Umlagerungen, die mir als Abwechselung nicht unwillkommen sind. Während des Krankseins treten Züge meines Wesens hervor, die gewöhnlich verborgen bleiben; der weibliche Aspekt gewinnt die Oberhand, wodurch die Welt in einem anderen, persönlich-freundlicheren Licht erscheint. Während solcher Zeiten bin ich ohne Willen, ohne Wünsche, und gedenke meiner gewohnten, oft so gewaltsam sich äußernden Bestrebungen mit jener leise lächelnden Sympathie, mit der die Frau dem unverständigen Ehrgeiz des Mannes zusieht.

Nun bin ich Rekonvaleszent, und diesen Zustand genieße ich immer intensiv. Sonst spüre ich meinen Körper als ein Fremdes, dem Geist als unveräußerbare Materie Gegebenes, ohne inneren Zusammenhang mit mir selbst. Jetzt verhält sich der Geist ganz passiv, während die regenerierenden physischen Kräfte desto emsiger walten; und das im Körper zentrierte Bewußtsein hat das beglückende Gefühl andauernder Produktivität.

So beschaffen ist wohl das Glücksgefühl des kleinen Kindes. Der Erwachsene kennt Zustände ähnlichen Behagens nur während körperlicher Schwäche, und in desto geringerem Grade, je mehr er Geistesmensch ist. Das theoretisch-normale psycho-physische Gleichgewicht, wo der Mittelpunkt des Bewußtseins zwischen Physis und Psyche mitteninne sitzt, so daß beide im gleichen Maß und Sinne wirklich erscheinen, ist unsereinem kein normales und kann es nicht sein. Mögen Körper- und Geistesleben noch so verschiedenen Dimensionen angehören – es ist eine Energie, die in beiden Sphären verausgabt wird, und wo sie in einer höchsten Anforderungen genügen soll, muß die andere entsprechend vernachlässigt werden. Es scheint ja, als wüßten die Engländer die Leistungen auf beiden Gebieten zu vereinen, sie, die immer Sportsleute sowohl als Geistesarbeiter sind. In Wahrheit beweisen gerade sie die Unmöglichkeit solcher Vereinigung. Ihr geistiges Niveau ist, was die Tiefe betrifft, fast ausnahmslos niedriger als das der Deutschen, eben weil ihre Kalokagathia der Psyche einen Teil ihrer möglichen Kraft nimmt.

Ja, es tut wohl, einmal rein körperlich zu existieren, nichts zu tun, sondern mit sich geschehen zu lassen. Solche Perioden bedeuten auch die natürliche Reaktion gegenüber Zeiten gesteigerter Geistigkeit. Die Yogis behaupten zwar, man dürfe nie ausspannen: ein einziger Tag, während dessen das Ziel aus dem Auge verloren wird, bringe einen auf einen überwunden-gewähnten Standpunkt zurück. Sicher haben sie recht damit, sofern endgültiges Hinüberschwenken in andere Welten beabsichtigt ward. Wer hingegen seine normalen Fähigkeiten nicht überwinden, sondern pflegen und steigern will, hat allen Grund, sich vor allzuviel Yoga in acht zu nehmen: denn die Vergewaltigung des Naturprozesses kann dauernde Lähmung zur Folge haben. Die Inder wären nicht so unproduktiv, wenn sie schlechtere Yogis wären, denn an Begabung fehlt es ihnen nicht; das ständige Fixieren des Geistes nimmt diesem seine Eigenbeweglichkeit; er arbeitet nicht mehr von selbst. Produzieren besteht aber eben darin, daß der im stillen geschäftige Geist sich von Zeit zu Zeit seiner Geschöpfe nach außen zu entladet. Deshalb darf der, welcher hienieden etwas leisten will, die Natur nie vergewaltigen – deren normaler Weg verläuft aber nicht geradeaus, sondern in Spiralenform. Das Alternieren verschiedener Bewußtseinslagen, der rhythmische Wechsel der Interessen ist im gleichen Sinne notwendig und heilsam, wie der Wechsel von Wachen und Schlaf. Ich habe es längst verlernt, unter Depressionsperioden zu leiden und mich über Zeiten der Verdummung zu entsetzen: ich weiß, daß zeitweilige Verdummung recht eigentlich die Vorbedingung künftiger Erleuchtung ist.

 


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