Egon Erwin Kisch
Abenteuer in fünf Kontinenten
Egon Erwin Kisch

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Drei Reden über Pelzwerk
(1934)

von denen zwei gedacht waren, als der Brühl noch der Brühl und Deutschland noch Deutschland war. Die dritte besagt, wie es jetzt ist, da den Deutschen die Felle weggeschwommen sind.

I. Zusammentreffen nach dem Tode

Dort, wo sich die Füchse gute Nacht sagen, und auch sonst, wenn Tiere auseinandergehen, so sagen sie auf Wiedersehen. Aber es ist niemals sicher, daß man sich bei Lebzeiten wiedersieht, die Welt steckt voller Gefahren für das wilde Getier. Phrasen werden Wirklichkeiten, Redensarten sind Todesarten, da wird jeglichem Tier eine Schlinge gelegt oder eine Falle gestellt, da kann es schön hineinfallen, leicht ins Garn gehen, viele Hunde sind des Hasen Tod, jemand will ihm eins auf den Pelz brennen, alle ihm die Haut vom Leibe ziehen, man trägt seine Haut zu Markte, und dieser Markt der Häute ist der Leipziger Brühl.

Ob die Tiere ein Indianerpfeil traf oder ob sie sich im Fangeisen verfingen, ob ein Gewehr sie erlegte oder ob Rüden sie verbissen, alle begegnen einander wieder, die ihr Fell lassen müssen. Wir wollen ihnen berichten, wie der Ort aussieht, wo sie sich zum letztenmal zusammenfinden.

Höret also, Ihr Tiere des Dschungels! Der Brühl ist ein Weg, belebt von Schlaufüchsen und Blaufüchsen, und von Handel und Wandel, welch letztere zwei 96 Begriffe eigentlich bloß ein Begriff sind, denn man handelt wandelnd und man wandelt handelnd auf dieser Straße, die ein Jahrmarkt ist das ganze Jahr.

Viele Höhlen liegen übereinander im gleichen Bau, hoch klettert das Menschpack zu seinen Behausungen empor, höher als Bandar-log, das Affenvolk. Auf ihren Bau haben die Dörfler vom Pleissestrom ihre Namen geschrieben und Eure Namen, weil sie mit Euch handeln. »Opossum« liest man, »Persianerklauen eigener Anfertigung«, »Nutria- und Nerzfabrikation«.

Manchmal besagt der Name des Menschen, daß schon sein Vater und Urvater Euer Feind war, deshalb heißt er nach Euch Herr Iltis und Herr Zobel, und einen Herrn Marcus Harmelin gibt es, was wohl nur eine schlechte Aussprache von Hermelin ist. In einem Bau, Brühl Nr. 68, amtieren David Steinmarder (Hof, Parterre rechts), Artur Mütze, Kürschnerei, und Biberfeld u. Wolff, Rauchwarenhändler und Kommissionäre, von Hase, Fuchs und Hirsch ganz zu schweigen. Otto Bär verkauft bloß Eure Schweife. Ein Dermatologe ordiniert auch in diesem Bau, das ist ein Medizinmann, ein Hautspezialist für die, die Hautspezialisten sind für Euch.

In den Binnenhöfen, den von Menschbauten umschlossenen Plätzen, wird Euch das Fell versohlt, Ihr werdet geschlagen, damit kein Mottenrudel sich einniste, dieweil Ihr Euch nicht mehr wehren könnt. Sodann werdet Ihr in eckigen Körben, man nennt sie Flechten, emporgezogen bis zur achten Wabe des Baus.

Unten am Saum des Pfades sind Schaufenster, dort locken, liebevoll ausgebreitet, Antilopen, Chinchilla und Luchse, vielleicht sogar ein Leopard. Das Menschpack steht dahinter im Gewölbe, unter Bündeln von Feh, zwischen Futtern von Hamster und Bisam, es sitzt auf Tischen, auf denen die Haut von Fohlen liegt, es schreitet über Haufen blutiger und fleischiger, mit der Aasseite nach außen gekehrter Skunks.

Der Inhaber des Höhlenlagers hat draußen im offenen Dschungel, auf dem Brühl, einen Fang zu erjagen versucht, nun verhofft er in seinem Bau, die Beute zu 97 erlangen. Er trägt jetzt eine lange weiße Haut, einen Leinenmantel, und sagt dem Gegner, der zu ihm kam, er lasse keinen Schilling nach und bestehe auf Bargeld. Der Gast denkt gar nicht daran, bar zu zahlen. Er kann nicht Deutsch (das Menschpack ist in Rudel geteilt, die verschiedene Sprachen reden) und kennt nicht die Waidgründe von Leipzig, er hat seinen Jagdfreund mitgebracht, den Kommissionär, damit ihm das Fell nicht über die Ohren gezogen werde, was aber beim Menschpack nur eine Art der Rede bedeutet.

Welches der Kommissionär ist, erkennt man sogleich. Er flüstert bald dem einen, bald dem andern der Kämpfer in die Lauscher, und man merkt ihm die Besorgnis an, daß der Kampf ohne Entscheidung enden könnte. Dann ginge er selbst leer aus, weil er von der Beute etwas abkriegen soll, zwei Hundertstel vom Käufer, ein Hundertstel vom Verkäufer.

Bevor es sich ergibt, ob der Kommissionär zu seinem oder um sein Geld kommt, wollen wir in das Lager wechseln, darin Eure Brüder liegen und Eure Verwandten aus allen Dschungeln.

Strahlende Füchse – mit leeren Lichtern äugen sie Euch keineswegs strahlend an. Sie haben noch Schnauze und Lauscher, obwohl sie tot sind. Ihr suchet die rote Blume aus dem Stock des Jägers vergebens. In das teure Fell wird kein Loch gemacht. Dieses Lot Füchse kommt von einer Farm, dort ließ das Menschpack sie geboren werden, ließ sie aufwachsen und Nachwuchs zeugen, und als keine Hoffnung mehr bestand, daß sie noch länger und breiter wachsen, wurden sie durch einen Kolbenhieb auf den Kopf geschlachtet, was dem Fell nicht schadet.

Noch grausamer ist der Tod, den das Hermelin dafür erleiden muß, daß es schön ist und flaumig und schneeweiß, mit einem schwarzen Zopf als Schwänzchen.

Für einen Mantel des Menschpacks müssen vier- bis fünfhundert Hermeline im Dschungelland Mandschurei ihr Leben lassen. Felljäger stellen mit Salz und Leim bestrichene Brettchen auf, das Wiesel leckt daran und kann die Zunge nicht mehr lösen. So stirbt es. 98 Lämmer jeglicher Farbe aus der Krim (Krimmer) und schwarze Lämmer aus Turkestan (Persianer) läßt man erst gar nicht geboren werden; damit das Menschpack sie kleingelockt ergattern kann, holt es sie aus dem Leib der Mutter und bemächtigt sich ihres Kleids, des Karakul.

Viele Eurer Verwandten werden aus dem Dschungelland China auf den Brühl geschleppt, langhaarige Kaninchen, gelbe Wiesel, Kolinski geheißen, weiße Ziegen, Tibetschafe, Mufflons und Fliegende Hunde.

Der Dschungel Chinas hat eigene Zurichtereien, darin Euer Fell verwandelt wird in Fell für das Menschpack, und Ihr müßt das Chinesenrudel bedauern, wenn Ihr diese chinesische Arbeit seht. Ein Pelzfutter zum Beispiel aus Lämmerbeinchen. Lämmerbeinchen, genannt »kid-legs«, gelten als billige Beute, sind Abfall, aber noch billiger als Abfall ist die Arbeitskraft des Menschvolkes. An der Lederseite einer Pelztafel erkennt man, daß sie aus vielen hundert Lämmerfüßchen mit der Hand zusammengenäht ist. Immer eräugt man Menschen vom gelben Rudel auf dem Brühl. Sie kommen, um Felle einzukaufen, obwohl der Chinesendschungel doch so viele warme Felle Eurer Brüder dorthin schickt und, wie Ihr eben gehört habt, Pelze auch selbst zurichtet. Denn nicht nur, um sich zu wärmen, trägt das Menschpack Euch am Leib, sondern vor allem, um sich zu schmücken, und niemals will es sich mit dem schmücken, was es im eigenen Dschungel hat. So schweift das Chinesenrudel in fremde Jagdgründe und holt von dort für seine Weibchen südamerikanische Ottern oder australische Beutelratten oder Maulwürfe aus Deutschland.

Da hängt das Feh, Euer russischer Bruder, Ihr Eichhörnchen, in Hunderten von Zimmern (ein Zimmer bedeutet bei den Dörflern vom Pleissestrom ein Bündel von 40 Stück), da hängen Schneehasen mit seidigem Flaum, da liegen Kasaner Fohlen ausgebreitet, da haben Eure Steppenbrüder, Ihr vom Sioni-Wolfpack, ihre Haut zu Markte getragen, Eisbären, Seehunde und südsibirische Biber, noch glänzend, als ob sie eben aus dem Jenissej ans Land gekrochen wären. 99

Große Jagd, große Jagd kommt aus den russischen Dschungeln, aber ihre Boten kaufen vom Erlös der Pelze ihres Dschungels keine Pelze fremder Dschungel. Das russische Rudel kauft lieber Pflugscharen, um seine Felder zu bebauen – traurig denken in ihrem Bau die Dörfler vom Pleissestrom daran, daß ihnen dieser Fang entgeht.

Wenn Ihr tot seid, Ihr Tiere des Dschungels, so werdet Ihr in Dörfern an der Furt des Pleissestroms noch einmal getötet, ertränkt in Laugen, befreit von dem, was das Menschpack Unreinlichkeit, Fäulniserreger und Gestank nennt, was aber in Wahrheit der starke Geruch ist der Freiheit. Und dann, höret wohl, werdet Ihr gefälscht! Man verwandelt Euch in andere, in seltenere Tiere.

Bei der Laus, die ich schlug, auch Haustiere des Menschpacks, Hammel und Lämmer und Ziegen und Katzen und Kaninchen, die kleinbürgerlichen Brüder des Hasen, werden gefärbt, um Euch zu gleichen, Ihr wilden Söhne des freien Dschungels.

Und wenn Ihr Euch in den Höhlen des Menschpacks auf dem Brühl zum letztenmal zusammenfindet mit Eurem Rudel, so werdet Ihr, so scharf Ihr auch äugt, einander nicht mehr erkennen, Du und er, von gleichem Blute.

Blaugrannes Sang

Dies ist der Sang, den Blaugranne sang, als Ki Sch vom Rätefelsen herab seine Rede gehalten hatte über den Pelzhandel:

Hört, was der Sohn des Menschpacks spricht:
Von dort, wo wir sein werden nach unserem Tode,
Gibt er Bericht.

Traf uns die rote Blume ins Kleid,
Aus dem Stock des Jägers von ferne geschleudert,
beginnt erst das Leid. 100

Sie fressen uns nicht, sie wollen nur unser Haar;
Denn ihre Haut ist – so wie die der Schweine –
Jeder Behaarung bar.

Sie schämen sich dessen, drum schlagen sie unser Fell
Um ihre Nacken, Hälse, Hüften und Lenden,
Dunkel und hell.

Und nicht, sich zu wärmen. Nein, ihnen gefällt's.
Drum rauben sie, sich mit uns zu schmücken,
Unseren Pelz.

Doch vorher nehmen sie uns der Wälder Hauch;
Sie töten uns von neuem, sie schlagen uns, die Toten,
Auf Rücken und Bauch.

Wir werden gefälscht, auf dunkel, auf licht,
Ein Tier der Wildnis zu einem anderen Tier der Wildnis!
Wir erkennen uns nicht.

Aber das Schlimmste: des Menschpacks dienend Getier,
Die Kühe, die Schafe, die Hunde, die Katzen,
Werden wie wir!

Zahmes Gezücht, wie Hammel, Ziege und Lamm
Verfälscht man zu Völkern des Dickichts
Vom freien Stamm.

II. Kopfwaschen, Haarfärben und Rassenveredelung

Der Lehrer will den Kindern beibringen, daß die Tiernamen verschiedenen Geschlechts sind. »Karl, nenne mir ein Tier.« – Karl: »Das Mäuschen.« – »Hans, nenne mir ein Tier.« – Hans: »Das Hündchen.« – »Verflucht noch mal«, brüllt der Lehrer, »es heißt: die Maus, der Hund! Gebraucht doch nicht immer 101 Verkleinerungen, sonst laß ich euch nachsitzen! Moritz, nenne mir ein Tier.« – Kleiner Moritz: »Und wenn Sie zerspringen, Herr Lehrer, das Kanin.«

Der kleine Moritz dieser Anekdote ist jetzt in der Rauchwarenbranche tätig und spricht noch immer vom Kanin, wenn auch nicht mehr, um den Lehrer zu ärgern, sondern weil das Kaninchen für ihn ein seriöser Handelsartikel geworden ist, zu dem das Diminutivum keineswegs paßt.

Aber die Weglassung der Endsilbe ist nichts im Vergleich zu den Veränderungen, die er heute am Kaninchen vornimmt. Er will es als Pelzwerk verkaufen, und in dem Zustand, in dem ein Fell dem Tier vom Leib gezogen wird, ist es noch lange nicht geeignet, »die weißen Schultern der Damen zu schmücken«. Erstens stinken die Felle, zweitens haften ihnen Blut und Fleischstücke an, drittens würde das Pelzwerk weiterverwesen und viertens muß es schöner werden, als es von Haus aus ist.

Zurichtereien und Färbereien machen das Haustier zum Raubtier und das Raubtier raubtierhafter. Seltsamerweise sind es die Sachsen, die sich diesem Gewerbe der Verwilderung, der Bestialisierung ergeben haben. Man verspottet das Phlegma der Sachsen mit der Behauptung, die Ehegattin zische im Orgasmus ihrem Mann auf sächsisch zu: »Kratz mich, beiß mich, gib mir Tiernamen«, worauf er ihr die Worte »Du Iltis« entgegenschleudert. Er stammt gewiß aus Lindenau bei Leipzig, wo es alltäglich ist, ein Kaninchen in einen Iltis zu verwandeln. In der ganzen Umgebung sind Kipper und Wipper am Werk, am Pelzwerk. Der Gatte aus Rotha ruft der leidenschaftlichen Frau »Du Opossum« zu. Das benachbarte Markranstädt ist auf Skunks, Bisam und Nutria spezialisiert, das Dorf Schkeuditz auf Marder und Fohlen.

Ein größeres Wunder als die Seelenwanderung begibt sich allhier: die irdische Hülle eines Lebewesens geht in die eines anderen über. Das geschieht nicht, wie der Mystiker dächte, in würdigen Zaubertempeln, das geschieht nicht, wie der Rationalist dächte, in technisch 102 meisterhaft eingerichteten Industriepalästen. Es geht in jenem Bezirk des Pleisse-Tals, der gleichsam eine Farm zur postmortalen Züchtung von Raubtieren darstellt, recht primitiv und frühkapitalistisch zu.

Von ganz wenigen Fabriken abgesehen, sind die Betriebe in alten Häusern untergebracht; was einst der Stall oder die Tenne war, jetzt dient es als Werkhalle, über enge Stiegen windet man sich zum Manipulationsraum, in der ehemaligen Räucherkammer und auf dem Wäscheboden der Bäuerin hängt Pelzwerk, auf dem Hühnerhof plätschert die Beize.

Füchse und Tiger und andere Bestien, die ohne die Aufforderung »kratz mich, beiß mich« kratzen und beißen, behalten auch als Kleidungsstück oder Bettvorleger ihren Kopf, ja man setzt ihnen falsche Augen, Zähne und Krallen ein. Mitnichten so gut geht's dem Karnickel. Es sieht zu zahm aus und soll zu Wild werden, deshalb wird es arg zugerichtet in der Zurichterei, und es bedarf aller Schönfärberei, um diese Torturen wettzumachen. Ritschratsch, sein harmloses Köpfchen wird abgeschnitten, ritschratsch, sein fruchtbares Bäuchlein aufgeschlitzt, ritschratsch, sein geduldiges Fell in Sägespänen beerdigt und nach erfolgter Exhumierung unter einem mechanischen Holzhammer mürbe gemacht.

Dann zieht der Zurichter vom Leder. Er zieht die Haut vom Leder. Rittlings sitzt er auf einer Bank, auf der außer ihm ein Messer sitzt. Mit dem durchweichten, nassen Fell (es heißt, wenn es zum erstenmal in die Hand genommen wird, »das rohe«) fährt er über das unbeweglich auf die Bank montierte Messer und achtet darauf, daß kein Riß in den Balg kommt, weder in den des Tieres, noch in den des eigenen Fingers.

An einem langen Tisch bürsten Hilfsarbeiterinnen das Fell mit einer Ammoniaklösung, befreien es vom letzten natürlichen Fett und von Keimstoffen, es ist endgültig »getötet«.

Salzkisten, Mehlsäcke und Margarinefässer stehen im Rund, kein Brot aber wird gebacken, keine Semmel gestrichen und mit Salz bestreut – das Salz ist für die 103 Beize da, die Margarine für die Schmiere, das Mehl für die Läuterei. Drei Tage lang liegt das entfleischte Fell in der Beize aus Sole und Schwefelsäure, und niemals wieder kann es steif werden. Nachher kriegt es Margarinebelag, verdünnt mit Wasser und Salmiakgeist.

Auf Trockenböden hängen die Kaninchen wie Kieler Sprotten da, ehe man sie zur Läuterei holt. In Riesentrommeln, unter denen Holzkohlenfeuer lodern, rotiert das gebeizte Fell in Sand und Holzspänen und Salvatormehl, bis es aufhört, ein amorpher Lappen zu sein, »es bekommt Leder«, die Späne und das Mehl fallen durch das Drahtgeflecht der Schütteltonnen heraus. Beim ersten Läutern sah man auf das Leder, das zweite gilt dem Haar. So willenlos das doppelt getötete Kaninchen alles mit sich geschehen läßt, es hat sich dennoch etwas in den Kopf gesetzt, Klümpchen, gegen die bloßes Schütteln nichts nützt, man muß sie sorgsam aus dem Haar kämmen.

Salpeter macht das Fell schmiegsam für eine neue Manipulation: das Fell lang zu ziehen (unendlich lang wird ein kurzes Fell) und es breit zu machen (unendlich breit wird ein schmales Fell): die Tiere verwildern nicht nur, sondern sie wachsen auch nach ihrem Tod und in Leipzig. Hat der auf seiner Bank reitende Zurichter dieses »Ausstoßen« beendet, putzt er das Fell leicht durch, schüttelt es. Schluß. Die vom Händler mit dem Auftrag »wasch mir den Pelz« gesandte Partie roher Felle geht trocken und haltbar an ihn zurück.

Sollen sie auch gefärbt werden, wird zunächst ihr Deckhaar mit Wasserstoffsuperoxyd vom natürlichen Farbstoff befreit und für den künstlichen aufnahmefähig gemacht. Verschiedenfarbige Seen sind die Landschaft der Färberei. In jedem der Farbenbottiche dreht sich Tag und Nacht ein Schaufelrad, Strömung erzeugend, und Mädchen mit Rudern stehen am Ufer, um die schwimmenden Felle unbarmherzig weiterzustoßen, wenn sich eines müde an einem anderen festzuhalten versucht.

Endlich an Land, spritzt man dem gebadeten Balg Pelzfärbemittel auf, das Grannenhaar empfängt die 104 stärkste, die dunkelste Lösung von Ursol. All die Taufwässer, mit denen ein Tier bei seiner Wiedergeburt besprengt wird und nach deren Farbe es von nun an seinen Taufnamen führen wird, sind teuer von der »I. G. Farben« bezogen. Aber die »I. G. Farben« hat die Färbemittel nicht erfunden; in ihren chemischen Laboratorien wurden die Mischungen nur untersucht und ihr Inhalt in Formeln und Rezepte gebracht, erdacht hat die Färbungen fast immer ein Arbeiter, der nichts davon hatte als das Nachsehen.

Nach wie vor steht er in der Färberei und verkocht die Farbe, die dafür nicht dankbar ist, daß er sie ins Leben gerufen hat, und ihm ihren Geifer entgegenfaucht. Die Färber und Färberinnen tragen Gummihandschuhe. Das schützt ihre Haut vor der ätzenden Farbe, nichts aber schützt sie vor dem Asthma, fast alle in der Färberei leiden daran wie die in den Zurichtereien an Milzerkrankung.

Ungesunde, aufreibende Arbeit, oft auch sonntags, 54 Stunden in der Woche und schändlich bezahlt. Junge Hilfsarbeiterinnen haben einen Wochenlohn von 7 bis 11 Mark, die Frauen, nicht wenige schon jahrelang im Betrieb tätig, kommen auf 16 oder 19 Mark. Für die Schwerarbeit im Schmutz und Dampf der Beizerei und der Läuterei erhält der männliche Hilfsarbeiter 28 Mark wöchentlich, einen Zuschlag gibt es nicht.

Besser, das steht außer Frage, sind die Zurichter daran, vor allem zwischen Dezember und April, in der Messezeit, wenn der Betrieb Aufträge hat und Leute braucht. In diesen Monaten schlägt der Meister nicht ununterbrochen Krach; er macht tarifliche Konzessionen und läßt manchmal eine Lage Bier springen, bei deren Vertilgung er allerdings den Löwenanteil hat.

Am liebsten sieht sich der Zurichter vor Wildware gestellt, dabei kann er 70 bis 100 Mark in der Woche verdienen, bei Kanin und Zickel 40 bis 50 Mark und bei kleinen Lammfellen gar nur 30 Mark. Aber da die Kaninbuden während des ganzen Jahres zu tun haben, zieht mancher den ständigen Verdienst dem größeren vor. 105

Die Zurichtung eines Kanins wird dem Gehilfen mit 6,4 Pfennig bezahlt, der Meister bekommt 26 bis 32 Pfennig. Einheitlich ist der Stücklohn des Meisters deshalb nicht, weil Heimarbeiterfamilien, die mit ihren Kindern Tag und Nacht arbeiten, alle Löhne unterbieten. Mitunter verdient der Familienvater eines solchen »Waschhausbetriebes« weniger als ein Gehilfe, aber er dünkt sich »selbständig« zu sein und ist stolz darauf.

Dem Färbereibesitzer werden für das Färben hohe Preise gezahlt, einen Fuchs auf Sand gefärbt berechnet er mit acht Mark, Isabellfarbe und Platinfarbe mit sechs Mark, Seal-Kanin mit 80 Pfennig und Skunks-Kanin mit 40 Pfennig. Den höchsten Profit heimst er ein, wenn es ihm gelingt, eine Modefarbe zu lancieren, man sagt in der Färberbranche: »Wer zuerst kommt, malt zuerst.«

Nach der Laune der Mode richtet es sich auch, welche Rolle ein Tier nach seinem Tode zu spielen hat. Amerikanisches Opossum zum Beispiel stand 1925 bis 1926 in Ansehen. Schon in der nächsten Saison mußte es eine Transfiguration erleben, es ward in Marder verwandelt, ein gar schwieriger Prozeß in drei Farbtönen, einer hellen Grundfarbe, in der Mitte schokoladebraun und oben noch dunkler. Nun war es richtiger Marder, non opossumus.

Karnickel, Ziegen, Lämmer, Katzen und heimische Wald- und Wiesentiere, wie der Hamster, das Reh, der Hase oder das Eichhörnchen, feiern ihre Auferstehung als Biber, Otter, Gazelle, Antilope, Iltis, Nutria, Marder, Zobel und Nerz. Dieser Münzverfälschung, die man Veredelung nennt, unterliegen die Raubtiere nicht minder, man malt dem Rotfuchs ein Kreuz auf die Grannen, damit er als Kreuzfuchs gelten könne; mit Anilin zeugt man ihn zum Blaufuchs um. Fliegende Hunde werden auf Edelmarder verarbeitet und Känguruhs auf Skunks und Zobel.

Das Wasserschwein als solches ist noch nie in Mode gewesen, niemand trägt Wasserschwein, so viele auch Wasserschwein tragen. Freilich ist es gründlich verändert, 106 es hat in der Färberei Grau als Grundfarbe erhalten, dann Hellbraun und oben Schwarz, damit es als Bisam auf den Markt kommen kann.

Nicht allzu täuschend vermag man Ziegen und weiße Hasen zu Edelfüchsen umzumodeln, so sehr man ihren Kopf und ihre Füße der Schnauze und den Tatzen Reinekes gleichzuschalten versucht. Weit besser, weil durch kein Vorbild gehemmt, gelingt alles Phantastische, Farben, die niemals ein Tier bei Lebzeiten getragen, beige und lila, elfenbein und platin. Wer kann entdecken, welches Tier sich unter diesen Gebilden der Laune verbirgt?

Jener kleine Moritz, der, um den Lehrer zu ärgern, dem Kaninchen das Silbenschwänzchen wegschnitt, ist längst Inhaber einer Rauchwaren-Zurichterei und ‑Färberei (Telegrammadresse: Moritzfarbe, Leipzig) samt Verkaufsbüro (Telegrammadresse: Kaninmoritz, Leipzig), er hat nie auf der Bärenhaut gelegen, sondern mit ihr gehandelt und mit Fuchsfell, Jaguarfell und Wolfsfell. Da er im Todesfieber darniederliegt, stöhnt er:

»Bestien umlauern zähnefletschend mein Bett, alle Tiere, deren Fell ich zeitlebens verkauft habe!«

»Aber, Papa«, beruhigt ihn sein Schwiegersohn, »seit wann fürchtest du dich vor Kaninchen?«

III. Neue Rede an die Tiere des freien Dschungels

Höret, Ihr wilden Tiere des freien Dschungels!

Es ist lange her, seit ich Euch davon sprach, wo Ihr Euch nach Eurem Tode wiederfinden werdet, wie man Euch auf dem Brühl verändert und vertauscht. Vieles hat sich seither ereignet im Dschungel Deutschland.

Das Hyänenpack hat alle Macht an sich gerissen, zunächst betörte es den alten, lahmen Wolf, der dort herrschte, einer Hyäne den Vorsitz im Rat der Alten 107 zu übertragen. Kurz darauf schlichen die Hyänen durch ihre heimlichen Gänge zum Rätefelsen und machten ein Feuer an, daß alles brannte, was nicht aus Stein war, – das Moos der Bänke, das Holz der Bäume. Als die rote Blume zum Himmel stieg, heulte das Hyänenpack, daß diesen Frevel die anderen verübt, daß die anderen auch andere Baue anzünden, das Wasser des Stromes vergiften und die Wege des Dschungels ungangbar machen wollten, um in dem Gewirr die Macht an sich zu reißen.

Mit solchen Lügen begann das Pack der Aasfresser nach ihrer Art unter den anderen Rudeln zu hausen. Das Hyänenpack schließt nun die, die es haßt, in finsteren Höhlen ein, peinigt sie, schneidet ihnen Hyänenflecke und Hyänenstreifen ins Fell, es zwingt sie zu heulen, wie Hyänen tun, es tötet die Gefangenen und tut sich an Leichen gütlich.

Das Hyänenpack. Je verachteter es gewesen war wegen seiner Heimtücke, desto mehr Ehrung verlangt es von den anderen Dschungelvölkern, sie müssen kläffen und Pfötchen geben, wenn eine Hyäne vorüberkommt, Plätze und Wege werden benannt nach den schwarzen und braunen und gekreuzten Gräberwühlern.

Das Hyänenpack. Je verachteter es gewesen war wegen seiner Feigheit, desto mehr redet es davon, welchen Heldenmut es immer bewiesen, und die Jungen des Menschvolks müssen lernen, daß die Hyäne das tapferste Tier des Menschvolks sei.

Das Hyänenpack. Je verachteter es gewesen war wegen seines Mangels an Weisheit, desto wütiger wütet es gegen alle, die ihm verdächtig sind, klug und erfahren zu sein.

Das Hyänenpack. Je verachteter es gewesen war, weil es seine Beute nicht suchte im offenen Dschungel und sich nur genährt hatte von Verscharrtem und Verfaultem, desto mehr bläht es sich nun den Bauch mit dem Besten von dem, was die anderen erjagen.

Das Hyänenpack. Je verachteter es gewesen war, 108 weil es niemals etwas geleistet hatte, desto mehr spottet es der Tätigen und zwingt sie, noch mehr zu tun, damit schwelgen könne das Hyänenpack.

Nie vorher haben die Dschungel des Menschvolks so feige Greuel, solche Verhöhnung der Mutigen und Fleißigen, niemals so viele Tötungen ohne Kampf, so viele Morde an Wehrlosen erlebt.

Wer nicht in die Klauen der Machthaber, des struppigen, hinkenden, verfetteten und päderastischen Hyänenpacks fiel, versucht aus diesem Gebiet zu entfliehen, und aus anderen Dschungeln kommt niemand gern in den Dschungel der Hyänen. Die Männer des Menschvolks, die Eure Haut zu Markte tragen, wenn Ihr tot seid, Ihr freien Tiere des freien Dschungels, treffen sich nicht mehr am Brühl.

Andere Märkte sind entstanden. Die Wege Eurer ewigen Jagdgründe verzweigen sich jetzt in Dörfern, genannt »Paris«, »Leningrad«, »London«, »Oslo«, »Kowno«. Niemand von Euch weiß, ob er seiner Mutter oder seinem Bruder begegnen wird in der rue d'Enghien oder in der Upper Thames Street, ob Eure Sippe sich zusammenfindet bei der Lampson-Auktion oder bei »de Norske Pelskinn-Auksjoner« wie einst am Brühl.

Trübselig sah das Menschvolk im Hyänen-Dschungel, daß ihm, so geht eine Art der Rede beim Menschvolk, die Felle davon schwimmen. Die Hyänen, gierend nach jeglicher Beute, zwangen ihre Opfer, Boten auszusenden nach fremden Dschungeln, deren Rudel mögen wiederkehren und großen Fang bringen. Vergeblich. Wenige hegen Gelüste danach, Beute mit Hyänen zu tauschen.

So geschieht nun in anderen Dörfern anderer Dschungel, was früher nur im Dschungel Deutschland geschah: daß man Eure Felle verändert nach dem Geschmack des Menschvolks.

Auf dem Brühl verblieben nur die zu freien, wilden Tieren des Dschungels umgefälschten Kaninchen. Das Hyänenpack nennt solches Rassenveredlung. 109

 


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