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Das Territorium, auf dem die Exterritorialen wohnen, gehört keiner der neun chinabeherrschenden Großmächte, es gehört den Juden und den Jesuiten.
Heute soll von den Juden die Rede sein, denen wie jeder andern Völkerschaft eine Rolle im imperialistischen Ausbeutungsstück um Schanghai zugewiesen ist.
Wer den Theaterzettel dieser Vorstellung nicht kennt, kann die große Revue nicht verstehen.
Man darf das nicht zu schematisch nehmen. Nicht selten springt einer aus seinem Rollenfach in ein anderes über.
Wir wollen uns, wie erwähnt, heute mit den Juden befassen, genauer gesagt, mit den Bagdad-Juden, dem indischen Opium und der Schanghaier Bodenspekulation. Ihr Stammgeschlecht ist die Familie Ibn Schoschon, die zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts aus Spanien geflüchtet ist, um den Schrecken der Inquisition und der Zwangstaufe zu entgehen, und sich in Bagdad niederließ. Dort rüsteten die Ibn Schoschon Karawanen aus und handelten mit Gewürzen. Aber flüchten zu müssen, schien Familienschicksal zu sein, ein Pogrom vertrieb sie aus Bagdad. 1832 kamen sie über die persische Hafenstadt Abuschir nach Indien und wurden dort unter dem Namen Sassoon so reich, wie es sobald kein Nabob war.
Das könnte man als Beweis für jüdische Tüchtigkeit und für Jehovas Protektion ansehen, wenn nicht gleichzeitig die gleichzeitig mit ihnen aus Persien gekommene Familie Tata, Religion: Feueranbeter, ein ebenso märchenhaftes Vermögen erworben hätte. Abdullah David Sassoon machte viel in Baumwolle, Dirabji Jamsetji Tata mehr in Erzgruben, sonst aber haben ihre Schicksale sehr viel Ähnlichkeit miteinander. Sowohl die Tatas wie die Sassoons gründeten Banken und schoben Opium nach China. Beide erhielten auch die erbliche Würde eines englischen Baronets, jedoch das geschah erst zwei Menschenalter später und nicht wegen der Sassoonschen Baumwollplantagen oder wegen der Tataschen Erzgruben, vielmehr wegen des Opiums, das heißt auch nicht wegen des Opiums, vielmehr wegen des Geldes, das beide mit dem Opium verdient hatten – wie ihr wißt, wird man nur für Verdienste geadelt.
Weder Gott Jehova noch Gott Feuer verschaffte den Herren Tata und Sassoon die unermeßlichen Reichtümer und den englischen Adelsbrief, sondern Gott Wirtschaft.
Eben hatte die Ostindische Kompanie ihr Monopol des Exports nach China an den Privathandel abgeben müssen, und die englischen Kaufleute verlangten nun, daß alle Tore zu dem ihnen zugesprochenen Markt gewaltsam und weit geöffnet würden. Englische Baumwoll- und Wollwaren und vor allem indisches Opium sollten dem reichen Reich der Mitte mit energischen Mitteln aufgezwungen werden.
»Bis 1830«, charakterisiert Karl Marx die Situation beim Eintreffen von Tata und Sassoon, »bis zu welcher Zeit die Handelsbilanz für China ununterbrochen günstig war, gab es eine ständige Silberzufuhr aus Indien, England und den Vereinigten Staaten nach China. Seit 1833, namentlich seit 1840, nahm die Silberausfuhr aus China nach Indien einen das Reich des Himmels fast erschöpfenden Umfang an. Daher die strengen Erlasse des Kaisers gegen den Opiumhandel, die mit noch heftigerem Widerstand gegen seine Maßnahmen beantwortet wurden. Außer dieser unmittelbaren wirtschaftlichen Folge hat das mit dem Opiumschmuggel verbundene Bestechungswesen die chinesischen Staatsbeamten in den südlichen Provinzen völlig demoralisiert. Wie man im Kaiser gewöhnlich den Vater ganz Chinas sah, so betrachtete man seine Beamten als Väter der ihnen unterstellten Distrikte. Diese patriarchalische Autorität, das einzige moralische Band, das die ungeheure Staatsmaschine zusammenhielt, wurde durch die Korruption der Beamten, die durch die Unterstützung des Opiumschmuggels erhebliche Gewinne einheimsten, allmählich untergraben. Das geschah in der Hauptsache in denselben südlichen Provinzen, in denen die Rebellion einsetzte. Es erübrigt sich wohl zu bemerken, daß in demselben Maße, in dem das Opium die Herrschaft über die Chinesen erlangte, der Kaiser und sein Stab pedantischer Mandarine ihrer Herrschaft verlustig gingen. Es hat den Anschein, als mußte die Geschichte dieses ganze Volk erst betrunken machen, bevor sie es aus seinem traditionellen Stumpfsinn aufzurütteln begann.«
Das Mittel, dessen sich die Geschichte bediente, um dieses ganze Volk betrunken zu machen, war das Opium, drei Sorten indischen Opiums: das kaffeebraune Patna, das hellere und teuere Malwa und das noch hellere und noch teurere Benares.
Und die Tat, mit der das endlich aus seinem traditionellen Stumpfsinn aufgerüttelte Volk sich aufzulehnen begann, war die Verbrennung von 20 291 Kisten indischen Opiums im Hafen von Kanton, 16. Juni 1836.
Noch heute behaupten die Engländer, diese Vernichtung sei – ähnlich der Versenkung von englischem Tee im Bostoner Hafen, die die amerikanische Revolution startete – ein Konkurrenzmanöver der chinesischen Mohnpflanzer gewesen, nichts weiter. Und die Chinesen behaupten noch heute, der Anbau von Opium in China sei damals minimal, die Verbrennung der Kisten nichts als eine Maßnahme gegen die Vergiftung des Volkes gewesen.
Vergiftung des Volkes? Soll man vielleicht ein einträgliches Geschäft aufgeben, weil es zur Vergiftung eines Volkes führt? Bedeutet etwa die Schädigung der englischen Handelsbilanz weniger als die Vergiftung von einigen Millionen Chinesen? Zuerst der Profit, dann die Humanität.
Karl Marx stellt fest, warum den Kolonialherren dieser Gifthandel aus zwei Gründen wichtig sein mußte. »Gleichzeitig ist im Hinblick auf Indien zu bemerken, daß die englische Regierung dieses Landes ein Siebentel ihrer Einkünfte aus dem Verkauf von Opium an Chinesen bezieht, während ein bedeutender Teil der indischen Nachfrage nach britischen Waren gerade von der Produktion dieses Opiums in Indien abhängt.«
Unter solchen Umständen konnte sich England die Verbrennung des Opiums nicht gefallen lassen. England begann den Opiumkrieg, der mit der Niederwerfung Chinas, mit der Schaffung von Vertragshäfen, mit der ungehinderten Einfuhr von kaffeebraunem Patna, hellem Malwa und ganz hellem, ganz teurem Benares endete.
Elias David Sassoon, einer von den acht Söhnen des Firmengründers, kam 1850 nach Schanghai, um sich zu etablieren; nicht er allein freilich, englische Firmen wie Jardine, Matheson & Co. und Amerikaner wie Russel & Co. hatten schon längst am Kai des neuen Vertragshafens ihre Hulks vertäut, in die das Opium von den Segelschiffen abgeladen und unter Zollverschluß gelagert wurde, bis es der chinesische Zwischenhändler übernahm.
Die Importeure verdienten Multimillionen. Solange, bis eintraf, was Karl Marx in einem Artikel der »New-York Daily Tribune« vorausgesagt hatte: »Gewiß ist es richtig, daß ein Verzicht der Chinesen auf den Opiumgenuß nicht wahrscheinlicher ist als ein Verzicht der Deutschen auf Tabak. Da aber, wie verlautet, der neue Kaiser für die Mohnkultur und die Herstellung des Opiums in China selbst eintritt, ist es klar, daß der Herstellung des Opiums in Indien, den indischen Staatseinkünften und den kommerziellen Quellen Hindostans in nächster Zukunft ein tödlicher Schlag droht.«
Als der tödliche Schlag gefallen, der indische Export der Konkurrenz des chinesischen Opiums fast erlegen war, wurde dem englischen Gewissen erlaubt, sich im Unterhaus zu regen. Im Vollzug dieser verspäteten, also rechtzeitigen Anwandlung trat die Schanghaier Opiumkonferenz unter dem Vorsitz von Sir Alexander Hosie zusammen und beschloß, die Einfuhr fremden Opiums jährlich um zwanzig Prozent zu drosseln, so daß sie nach fünf Jahren ganz eingestellt sein sollte.
Dieser Beschluß und die Tatsache, daß China in puncto Opiumherstellung Autarkie erlangt hatte, veranlaßte die Firma Sassoon, sich vom Opiumimport ab- und der Grundstücksspekulation zuzuwenden, die auch nicht von Pappe ist. Heute noch blüht dieses Sassoongeschäft, die Straßenbahnen und Omnibusse Schanghais, die Banken und Chinas wolkenkratzendster Wolkenkratzer, das Cathay-Hotel, gehören dazu, und dem Sohn Elias David Sassoons, Sir Victor, ward das größte Glück zuteil, das einem Juden in Ost und West zuteil werden kann: er heiratete eine leibhaftige Rothschild.
Und doch wird die Karriere der Familie Sassoon in den Schatten gestellt von der eines jungen Mannes ihrer Firma: Silos Aron Hardoon. Dieser junge Mann, 1931 hochbetagt gestorben, war als Bagdader Jude geboren, begraben aber ist er als chinesischer Buddhist, mitten im einstigen Vergnügungspark von Chang-Hsu-Ho.
1862 war Silos Aron Hardoon, wie viele seiner Bagdader Glaubensgenossen, wie Eli Cadoorie (heute auch schon Sir), wie Shahmoon (auch schon Filmmagnat), wie Edward Ezra (auch schon Hotelbesitzer), Angestellter der Firma Sassoon geworden. Fünf Jahre lang blieb er in Hongkong, dann kam er in die Zentrale nach Schanghai, und hier machte er sich als Opiumhändler und Grundstücksspekulant selbständig. Er kaufte die halbe Nanking Road, kaufte die Szechuen Road bis zum Soochowkanal, kaufte die halbe Bubbling Well Road mitsamt jenem Vergnügungspark, in dem er sich allein vergnügen wollte.
Im Jahre 1911, als im dreitausendjährigen Kaiserreich Revolution und Republik Platz gegriffen hatten, begann Hardoon mit ci-devants, mit Machthabern von gestern, zu spekulieren. Auf seinem ummauerten Besitz in der Bubbling Well Road nahm er den ehemaligen Vizekönig von Kanton, Chen Hsuan-luang, den Räubergeneral Chang-Shun von Nanking und andere Entthronte auf – die blutigen Begleiter der großen Tsu-Hsi auf ihrem Weg von einer kaiserlichen Konkubine zur Kaiserinwitwe (mit Überspringung der Etappe: Gattin) und zur sechzigjährigen Alleinherrschaft über das Reich der Mitte. Mit-Konkubinen, Mit-Witwen, Prinzen und kaiserliche Mündel hatten aus diesem Wege geräumt werden müssen, und Tsu-Hsi, genannt der Alte Buddha, hatte sich denen dankbar gezeigt, die die höfischen Mordgeschäfte besorgten. Aber bei Ausbruch der Revolution konnte keine Kaiserin mehr die verhaßten Höflinge schützen. Sie flüchteten vor dem Haß des Volkes auf das exterritoriale Terrain Hardoons.
Eine Zeitlang wurden allabendlich Bomben über Hardoons Gartenmauer geschleudert, Bomben, die Chang-Shun, Chen Hsuan-luang und den anderen Provinztyrannen galten. Den Hausherrn störte das keineswegs. Hardoon kümmerte sich nicht um die politische Beliebtheit oder Unbeliebtheit seiner Gäste, er hatte sie ja nicht aus Menschenfreundlichkeit aufgenommen, sondern in der Absicht, ihnen ihre Schlösser und Latifundien billig abzukaufen.
Die Wohltätigkeit, mit der er den Gott seiner Väter seinen Geschäften geneigt machen wollte, entfaltete er dementsprechend nur unter seinen Glaubensgenossen. Er erbaute die prunkvolle Ohel-Moses-Synagoge in Schanghai, adoptierte zwölf Kinder, fünf europäische und sieben chinesische, und ließ sie in jüdischem Glauben erziehen. Hardoon ging oft unerkannt aus, um sich die Objekte seiner Wohltätigkeit selbst auszusuchen, man nannte ihn deshalb den Kalifen Hardoon al Raschid.
Am 15. Juni 1931 starb er, und nun erfuhr man, daß er sich in den letzten Jahren seines Lebens vom Judentum abgewandt. Zwar bestattete ihn die israelitische Beerdigungsbrüderschaft, doch fiel auf, daß das Gartentor blau drapiert und mit den weißen chinesischen Zeichen der Trauer beschrieben war.
Zwanzig Tage später lud Frau Eliza, die Tochter eines Sampanschiffers, mit der Hardoon fünfzig Jahre lang gelebt hatte, öffentlich zu einer buddhistischen Totenfeier für Hardoon ein. Sechs hohe Bonzen rührten die Trommeln, bliesen die Pfeifen, schlugen den Gong und brachten Rauchopfer dar, und die gottesdienstlichen Geräte wurden aus einem Buddhatempel herbeigetragen, der im Garten der Villa stand und von dessen Existenz bisher niemand etwas gewußt hatte.
Mit Bestürzung vernahmen dieses die sephardischen und aschkenasischen Juden, und ihre Bestürzung steigerte sich zu Schmerz und Entsetzen, als das Testament bekannt wurde. Wehe, wehe! Der verblichene Glaubensgenosse hinterließ seiner Synagoge und seinen jüdischen Kindern und den wohltätigen Vereinen und den Schnorrern von Schanghai keinen roten Kupfer! Silos Aron Hardoon, der reichste Mann östlich von Suez, hatte ausdrücklich sein ganzes Vermögen, zweihundert Millionen Dollar in bar und den Grund und Boden von Schanghai, seiner Gattin vermacht.
Herr Trebitsch-Lincoln, der die Hochstapelei liebt, sich als Hochstapler auszugeben (er lebt jetzt das Leben eines buddhistischen Mönchs, indem er in der deutschen Pension Pasche wohnt und philippinische Revolutionäre gegen Bargeld an den Galgen liefert), verbreitete eilig das Gerücht, er habe Hardoon zu Buddha bekehrt. Doch ergab sich bald, daß Herr Trebitsch-Lincoln mit Herrn Hardoon nicht mehr zu tun gehabt hat, als er mit Gautamo Buddha zu tun hat.
Keine Phantasie hingegen war Hardoons Testament, keine Phantasie war das Zeter und Mordio, das die übergangenen Verwandten anstimmten: Eliza sei gar nicht Hardoons Gattin . . . sie habe nur mit ihm gelebt . . . er sei als Bagdader Jude Untertan des Königs von Irak geblieben . . . nach mesopotamischen Gesetzen habe er gar nicht das Recht, einer Frau, die nicht vom gleichen Stamm und vom gleichen Glauben ist, sein Vermögen zu vermachen . . .
Ein armer Vetter des Toten namens Ezra Hardoon klagte auf Erbauflassung. Die berühmtesten Rechtsanwälte kamen aus London herbei, aber als sie die Akten Silos Aron Hardoons einsahen, erklärten sie, es sei nichts zu machen, der Jude sei als Buddhist gestorben und habe die Absicht kundgetan, sein Vermögen, das er von den Chinesen erworben, wieder den Chinesen zurückzuerstatten. Es wäre unfair, eine Sache zu vertreten, die so ausdrücklich dem Willen des Toten zuwiderlaufe.
Jawohl, einen so edlen Standpunkt vertraten die Rechtsanwälte und fügten nur ganz nebenbei hinzu, sie könnten den Prozeß auch deshalb nicht führen, weil Herr Ezra Hardoon nicht in der Lage sei, ihnen einen Vorschuß zu bezahlen.