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»Sie haben Dagmar, bevor sie noch meine Frau war, einen Heiratsantrag gemacht. Aber Sie haben sich nicht beschieden wie die anderen. Sie haben ihr voriges Jahr einen Brief geschrieben, in dem jede Zeile die schwerste Beleidigung für eine tugendhafte Frau ist. Dagmar hat Ihnen diesen Brief zurückgeschickt. Dort liegt er in der linken Lade Ihres Schreibtisches. –
Sie, Harro Liebenstein, sind einer von denen, die als menschgewordene Lüge durch die Welt gehen. So wie wir alle Sie kennen – auch diejenigen Ihrer Freunde, die mit Ihnen aufgewachsen sind –, hält man Sie für einen gutmütigen, oberflächlichen, ein bißchen hochmütigen, aber im großen und ganzen liebenswürdigen Burschen – so recht der Typus des Aristokraten, wie er früher in der Uniform unserer Kavallerieregimenter gesteckt hat. Sie sind gerade das Gegenteil. Sie sind nicht oberflächlich. Sie sind nicht gutmütig, und Sie geben sich nur liebenswürdig. Ich habe während einer gewissen Zeit in Ihr Inneres sehen können, Liebenstein – ich muß gestehen, daß mir als Schriftsteller dieser Einblick recht interessant war. Ich gestehe offen, Sie sind ein Problem, das ich nicht lösen kann – aber – mit dem ich ein Ende zu machen entschlossen bin.«
»Was wollen Sie –?« knirschte Liebenstein.
Die Maske war gefallen. Doch wenn er auch unter dem furchtbaren Schlage, der so unerwartet auf ihn niedersauste, in die Knie brach, er winselte nicht um Gnade. Er zeigte sein wahres Gesicht, das er bis jetzt so sorgfältig zu verstecken gewußt hatte.
»Mit dem Briefe an meine Frau hat es angefangen«, fuhr Thorgut fort. »Scheinbar haben Sie sich gefügt, haben um Verzeihung gebeten und durften weiter den treuen Freund spielen. Sie wußten sich sogar in erhöhte Gunst zu setzen, indem Sie mich stets gegen Ihre Leute verteidigten und in Schutz nahmen. So schufen Sie um sich eine Atmosphäre des Vertrauens, die nicht nur Dagmar, sondern auch mich täuschte. Ich hätte Sie noch am selben Tage, an dem ich vom Scheintode aufstand, dem Gericht ausliefern können. Ich habe es nicht getan, weil ich mir das Problem Liebenstein nicht zu einem Fall für die Gerichtsakten degradieren wollte.«
»Sehr dankbar für die Wertschätzung«, höhnte Liebenstein.
»Hören Sie mich nur zu Ende. Ich habe lange gebraucht, bis ich so weit war, daß ich mir wenigstens über Ihre Verbrechen selbst einige Aufklärungen geben konnte. Es ist mir leichter gefallen, als den Herren vom Gericht, weil ich dank Ihres etwas seltsamen Eingriffs in mein Dasein in eine Lage versetzt wurde, die mir gewisse Möglichkeiten gab, über die man sonst nicht verfügt. Also, Sie taten, als ob Sie sich mit der schweren Zurückweisung durch meine Frau abfänden. Aber in Wirklichkeit lagen Sie im Hinterhalt. Sie warteten auf Ihre Zeit. Irgendwie – irgendeinmal mußte der Moment kommen.
Sie haßten aber nicht nur mich allein. Sie wußten, daß von allen Ihren Jugendfreunden Ferry Lohnstein Dagmar am liebsten war. Auch ihn schlossen Sie in Ihren Haß und in Ihre Eifersucht ein. Ich glaube, wenn ich jetzt Ferry Lohnstein frage, wen er für seinen besten Freund hält, er würde, ohne auch nur eine Minute zu zögern, antworten: Harro Liebenstein. Da kam meine kleine Auseinandersetzung mit Lohnstein – über die Jagd, über das Gewehr – Sie wissen es ebensogut wie ich. Lohnstein ritt in Wut fort, und ich plante meinen Feldzug gegen die Wilderer. Da sahen Sie Ihre Chance, Liebenstein, und so kaltblütig wie Sie auf sie gewartet hatten, so kaltblütig gingen Sie auch daran, sie auszunutzen.
Zwei Fliegen mit einem Schlage – nicht wahr? Mir eine Kugel in die Brust und den Nebenbuhler dafür an den Galgen! Sie selbst der treue, aufopfernde Freund, der vielleicht Jahre und Jahre gewartet hätte, bis die Wunden der Frau sich geschlossen hätten und sie bereit war, den Lohn für diese Freundschaft zu zahlen. Sie kamen auf die Idee mit dem Gewehr. Sie mußten es aus meinem Schrank nehmen, denn Sie hatten ja keine Waffe mit. Aber Sie brachten es nicht zurück. Warum? Weil dadurch der Verdacht um so eher auf Lohnstein gelenkt wurde. Sie machten nur den Fehler, daß Sie das Gewehr zu achtlos versteckten. Wie bewunderungswürdig aber die Komödie, die Sie mit Pyrker in Ihrem Zimmer aufgeführt haben müssen. Er sieht Sie einschlafen und geht in sein Zimmer hinüber. Das beste Alibi, das es geben kann. Fräulein Warren hört Sie die Treppe hinunterschleichen. Trotzdem gelingt es Ihnen, mit dem Gewehr aus der Tür hinauszukommen. Ich weiß nicht, ob Sie mit der Entdeckung gerechnet haben, daß die sonst verschlossene Tür auf einmal offen stand. So wie ich Sie zu kennen glaube, müssen Sie das getan haben, denn Sie mußten ja im Hause sein, wenn der Mord entdeckt wurde. Sicher sind Sie durch eines der Parterrefenster wieder hereingekommen. Das war nicht schwer, und ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich annehme, daß Sie sich noch am selben Abend, bevor Sie sich mit Pyrker zurückzogen, bereits einen solchen Noteingang gesichert haben. – Sie stahlen sich aus dem Hause, kamen eine halbe Stunde vor mir auf dem Hirschensprung an, schossen mich nieder und waren schon in fünfundvierzig Minuten wieder in Ihrem Bett.
Der erste Teil Ihres Programms war erledigt. Glatt, so wie Sie ihn entworfen hatten.
Zweiter Teil: Ferry Lohnstein mußte als mein Mörder hingestellt werden. Fabelhaft Ihre Komödie, wie Sie beim ersten Verhör alles taten, um scheinbar die ungeschickten Aussagen Pyrkers, der in seiner Dummheit Ihr bester Helfershelfer wurde und den armen Lohnstein heillos in den Salat ritt, abzuschwächen, zurückzuhalten und dabei gerade erst die Aufmerksamkeit des Untersuchungsrichters auf Lohnstein zu lenken. Sie hypnotisierten den geschäftigen Staatsanwalt gleichsam – du siehst ja, was ich tue, um dich von Lohnstein fernzuhalten!
Jeder, der unbefangen dabeisaß, mußte sich sagen, mein Gott, welch ein Freund ist dieser Liebenstein! Er weiß oder er ahnt zumindest, daß Lohnstein der Mörder ist, und er tut alles, um ihn zu retten.
Ich bin überzeugt, Sie wußten, daß Dagmar Lohnstein für die Nacht in den Garten bestellt hatte. Und Sie kannten ihn zu gut, um nicht mit Sicherheit voraussetzen zu können, daß er sich würde in den Kerker schicken lassen, ehe er ein Wort über die Verabredung mit meiner Frau verlauten ließe. Damit war alles klar für das Gericht. Eine beinahe mustergültige Kette von Indizien. Lohnstein war im Zorn weggeritten. Lohnstein schwieg. Konnte nichts darüber sagen, wo er in der Nacht gewesen. Das Gewehr aus meinem Schrank verschwunden – meisterhaft, Graf Liebenstein.
Aber es zeigte sich, daß selbst ein Meister wie Sie sich in seinen Berechnungen irren kann. Drei schwache Glieder waren in der Kette. Aber den Fehler, den Sie mit dem Verstecken des Gewehres begingen, haben wir bereits gesprochen. Der zweite Kalkulationsfehler, den Sie machten, betraf das Verhalten meiner Frau. Sie nahmen sie augenscheinlich trotz Ihrer Liebe für eines jener Durchschnittsweibchen, denen ihr bißchen guter Ruf über alles geht und die nur an sich, an nichts anderes denken. Dagmar hat Sie enttäuscht. Es gelang ihr zwar nicht, den Verdacht, den Sie so geschickt um Lohnstein gewoben hatten, gänzlich zu zerstreuen, aber sie vermochte ihn doch zu erschüttern. Die Richter wurden ungewiß, unsicher – denn auch sie sind Menschen, und sie standen einem Gegner gegenüber, der ihnen weit überlegen war.
Der dritte Ihrer Fehler und der verhängnisvollste – der Fehler, der Sie ins Unglück gestürzt hat, dem Sie es zu danken haben, daß ich jetzt hier vor Ihnen stehe, war ein Zufall, ein Geschehnis, für das Sie gar nicht verantwortlich sind. Wie es so oft geht, daß in die raffinierteste, bis ins kleinste Detail ausgeklügelte Gedankenreihe irgend etwas hineingreift, an das man beim besten Willen nicht denken konnte. Wie sollten Sie wissen, daß gerade in der Stunde, in der Sie vom Hirschensprung zurückkamen, vom Dorfe herauf der Neuhofer zum Stadl aufsteigen und Sie sehen würde –«
»Ah! Woher wissen Sie?«
Liebenstein schnellte in die Höhe. Und jetzt blickte er auf den vor ihm stehenden Mann nicht mit Hohn, Haß und Verachtung, sondern mit namenlosem Erstaunen, in das sich mehr und mehr Grauen und Entsetzen mengten.
»Woher wissen Sie?« wiederholte er. Und seine Stimme, die bis jetzt so angenehm, so kultiviert und wohltuend geklungen hatte, war mit einem Male rauh, heiser – zusammengepreßt, unter dem Druck der Angst, die sich ihm an die Kehle legte.
»Ich weiß noch mehr. Der Neuhofer hat Sie dicht unter dem Hirschensprung gesehen. Da er selbst kein reines Gewissen hatte, drückte er sich in die Büsche und ließ Sie passieren. Über den Hirschensprung kam er nicht, so hörte er erst am Morgen von seiner Frau, was dort passiert war. Da reimte er sich alles zusammen und bestellte Sie für sieben Uhr hinaus zum Stadl. Sie sind gekommen, und er hat Ihnen auf den Kopf zugesagt, daß Sie der Mörder sind. Er verlangte Geld von Ihnen. Ihm war der Boden zu heiß hier, er wollte fort, nach Amerika. Fünftausend Dollar waren der Preis für sein Schweigen. Sie fügen sich scheinbar: ›Kommen Sie mit,‹ sagten Sie zu ihm, ›wir können das gleich bei mir erledigen. Ich habe Geld zu Hause liegen. Wozu das auf die lange Bank schieben?‹
Das waren Ihre Worte, nicht wahr?
Sie waren natürlich mit dem festen Entschluß heraufgekommen, den Neuhofer genau so zum Teufel zu schicken wie mich«, sprach Thorgut weiter. »Doch der Stadl schien Ihnen nicht der richtige Schauplatz. Vielleicht, daß man den Mann hier später fand – vielleicht auch, und das traf tatsächlich zu, hatte er seiner Frau gesagt, wohin er ging. Sie sind nicht der Mann, Liebenstein, unsichere Chancen auszunutzen. Sie haben die Nerven dazu, auf die sicheren zu warten. Sie traten also ruhig mit ihm den Rückweg an, und um den Weg abzukürzen, nahmen Sie den Steig über den Schwarzen Grund. Der Neuhofer traute Ihnen nicht recht und ließ Sie vorgehen. Er war Ihnen aber doch nicht gewachsen, denn an der gewissen schmalen Stelle, an der ein Ausweichen unmöglich ist, blieben Sie auf einmal stehen und zündeten sich eine Zigarette an. Mit der charmantesten Miene von der Welt hielten Sie auch dem Manne, den Sie zum Tode verurteilt hatten, Ihre Zigarettendose hin. Liebenstein, das war furchtbar! Im selben Moment, als der arme Kerl ahnungslos, ganz und gar eingelullt durch Ihre Liebenswürdigkeit, nach der Zigarette griff, gaben Sie ihm den Faustschlag über den Kopf, der ihn in die Tiefe stürzte. Dann gingen Sie nach Hause, tranken eine Flasche Haut Sauternes und legten sich ins Bett mit dem beruhigenden Bewußtsein, aller Ihrer Sorgen ledig zu sein.
Am Nachmittag vorher waren Sie nicht so ruhig. Da kamen Sie von der Verhandlung zurück. Sie erinnern sich, nicht wahr? So lange Sie mit den anderen zusammen waren, brachten Sie es fertig, Ihre Maske zu bewahren. Als Sie dann aber hier in diesem Zimmer mit sich allein waren und mit Ihrer Angst – da, Liebenstein, da haben Sie denn doch Ihre Nerven verloren! Mensch bleibt eben Mensch! Da, an diesem Schreibtisch haben Sie gesessen, zitternd, zähneklappernd – Ihren Brief an Dagmar haben Sie aus der Lade herausgerissen, haben ihn verbrennen wollen. Nach dem Revolver haben Sie gegriffen, der in derselben Lade liegt. Sie hatten nicht zum einen, nicht zum anderen Mut. Wer Sie da sehen konnte, der erkannte in Ihnen den Mann, der einen Mord auf dem Gewissen hatte und einen zweiten plante, um sich vor den Folgen des ersten zu schützen. So muß es in der Hölle aussehen, Liebenstein, wie es an diesem Nachmittag in Ihnen ausgesehen hat.«
»Woher – woher –?«
»Ich weiß noch mehr, Liebenstein.
Während des Verhörs bekamen Sie einen Brief. Sie erinnern sich, nicht wahr? Vom Neuhofer war er und bestellte Sie hinauf zum Stadl. Sie sagten, er sei von Ihrem Verwalter. Ein jeder hat es Ihnen geglaubt. Warum auch nicht? Und dieser Brief lautete:
»Herr Graf, ich habe dem Gericht etwas mitzuteilen über den Mord. Ich glaube aber, es wird Sie interessieren, vorher zu hören, wen ich in der Nacht beim Hirschensprung gesehen habe. Habe Sie den ganzen Vormittag über gesucht. Kommen Sie um sieben Uhr zum Stadl am Rimmelbach hinauf. Dort können wir uns aussprechen.«
Nicht wahr – das war der Brief? Und des Neuhofer eigenes Todesurteil! Hier in diesem Kamin haben Sie ihn verbrannt –«
Liebenstein verlor den Halt. Er taumelte ein – zwei Schritte zurück, begann zu lallen – irre, unzusammenhängende Worte, deren Laute durch den Schaum aus seinem Munde spritzten. Er drehte sich einmal um sich selbst. Stürzte hintenüber. Zuckte. Stöhnte –. Ein Krampf krümmte den ganzen Körper – streckte ihn wieder aus – auf dem Munde perlte blutiger Schaum.
Harro Liebenstein war tot. Das Entsetzen hatte ihn erwürgt.
Mit einem Satze war Thorgut an der linken Lade des Schreibtisches, riß sie aus, suchte mit hastigen Griffen, fand den Brief. Steckte ihn in die Tasche –
Dann eilte er an die Tür und rief die Diener.
* * *
Als er nach Sternkron zurückkam, fand er Dagmar auf der großen Wiese vor dem Schlosse auf ihn wartend.
»Es ist alles erledigt«, sagte er, indem er sie an sich zog und sie küßte. »Liebenstein hat mir diesen Brief zurückgegeben. Er wird dich nicht mehr belästigen, Dagmar – er ist tot.
Du glaubst, ich hätte ihm Gleiches mit Gleichem vergolten, Dagmar? Nein – ich habe ihm nur in ein paar Zügen angedeutet, welches Erlebnis ich seinem Schusse zu verdanken hatte – meine Erzählung hat ihn so angegriffen, daß er daran gestorben ist. Du brauchst ihn nicht zu bemitleiden, Dagmar – und brauchst auch nicht zu befürchten, daß man mich als seinen Mörder verhaftet. Sein Gewissen hat ihn umgebracht. Regelrechter Herzschlag –«
»Robert, weißt du, daß du mir jetzt oft unheimlich bist –?«
»Ich bin nicht unheimlich, Liebste. Das, was ich erlebte, ist unheimlich und auch nur deshalb, weil wir es nicht zu erklären vermögen. Weiß Gott – ich hätte gute Lust, das alles niederzuschreiben. Aber würde mir denn ein Mensch die Geschichte glauben?«
Von den Fischteichen her kamen Susanne, Ella, und als Gefolgschaft der Hund. Mit weit ausgebreiteten Armen und hellem Jubelruf lief das Kind auf die Eltern zu. Bellend überholte es der Hund und sprang an seinem Herrn empor –
Thorgut nahm Ella in den Arm und streichelte den Kopf des Hundes.
»Ich werde die Geschichte doch schreiben«, sagte er zu Dagmar, neben die jetzt auch Susanne trat.