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Die Schönheitskönigin

Schier ins letzte Dorf schon züngelt, volksfremden Glanzes, wie einstmals die gleißende Schlange gegenüber dem Naturmenschen des Paradieses, die Großstadt hinein, von bodenschlichtem Denken und tiefklarer Heimatsitte wegzulocken. Bis über das große Wasser herüber züngelt sie also und lockt die Seichten und die Lauten. Und den Lauten gehört die Stunde, und die Seichten dehnen sie zum Tag.

Solcherweise geschah es, daß, von einigen Schreiern der Würflinger Burschen unter Hinweis auf Wien, Paris und Neuyork als Losung ausgegeben, alsbald in allen Dörfern um den See herum die Parole galt: Hoch die Würflinger Schönheitskonkurrenz! Vivat die Schönheitskönigin vom Würflinger See! Und demzufolge sollten zunächst in jeder Gemeinde aus ihren Mädchen drei Thronprätendentinnen aufgestellt, dann in der Post zu Seestetten aus den insgesamt einundzwanzig Bewerberinnen die schönste von einem vertrauenswürdigen Komitee erwählt und hierauf öffentlich gekrönt werden. Und die unbedachten Jungen jubelten und die dummen Alten lachten, und alles sprach von der Würflinger Schönheitskonkurrenz am Sonntag nach Bartholomä. Nur die Stillen lachten nicht. Nur die Stillen schüttelten den Kopf und kannten die Heimat nicht mehr. Nur die Stillen sagten: »Sind wohl Haus und Stall und Wald und See und Sommertag und Winternacht noch wie ehedem, ist aber anders Sinn und Sein und darum auch anders Wort und Welt und Gut und Bös. Und sollt' doch kein Wandel sein in Grund und Untergrund.«

Die Veranstalter hätten am liebsten zu allererst die Zwerger Mariann um ihre Beteiligung gebeten; allein der Abweisung sicher, unterließen sie es. Und als noch zwei Bauerntöchter für die neuzeitliche Ehrung in Züchten dankten, stiegen sie überhaupt weiter herab und begnügten sich mit einer Gütler – und einer Häuslertochter und erkoren als dritte aus der Gemeinde Würfling, ihrem Geschmack zur Ehre, die Kogler-Nelly. Sie nahm an, als Dienstbote zwar die Auszeichnung würdigend, als Weib jedoch sie für selbstverständlich erachtend, und im ganzen in Stolz und Freude, wie es der Jugend ansteht.

Der Koglerbauer war andrer Meinung. Zu den Stillen zählte er ja allerdings nicht, um so mehr aber zu denen, die mit ihrem Stolz prunken, darum Protzen heißen und eine Zusammenstellung von Häuselmann und Großbauer in keiner Form leiden, und würde sie auch nur durch ein Dienstmädchen als Verbindungsglied vermittelt. Überdies war er auch zu sehr Bauer, um die gewaltsame Übertragung einer ausbündigen Großstadtlaune auf das Dorf nicht als Unnatur zu empfinden. Darum jetzt Blitz und Donner im Koglerhof und an die Nelly der gemessene Befehl, sich der Beteiligung zu entschlagen. Darum aber auch, weil doch immer und überall Grobheit Widerspruch weckt und Überhebung den Widerstand versteift, Verweigerung des Gehorsams und daraufhin sofortige Dienstentlassung.

Der Nelly pressierte es damit nicht. Dem Kogler aber kamen, als er seine Wut bis auf weiteres überwunden hatte, mit der Erinnerung an den eigenen Vorteil doch mildere Gedanken. Und sie gewannen allgemach ein solches Gewicht, daß er, selber außerstande, der Magd ein gutes Wort zu geben, seinen Sohn mit der Friedensverhandlung betraute, das doppelte Ziel im Auge: die Nelly bleibt und verzichtet auf den Wettbewerb.

Aus der Küche drang ein Scheppern und Klirren, als hantierte dort jemand recht ungeschickt oder unwirsch mit Tellern und Deckeln. Der Franz, aus der Stube kommend, sah nach. In der Küche aber ließ eben die Nelly ihren Unmut an allem aus, was ihr in die Hände kam.

Warum so schlecht gelaunt, Nelly?« fragte der Franz.

Keine Antwort. Sondern Herumschmeißen mit den Klapperdingen, die ihr die Arbeit gerade in die Hand zwang: Schürhaken und Holzscheit, Kochlöffel und Reibeisen, Brotmesser und Wetzstahl und so fort der Reihe nach.

»Also heut Fleischknödel mit türkischer Musik«, sagt der Franz. »Recht so. Abwechslung im Küchenzettel muß sein.«

Keine Antwort. Dafür aber öffnet die Nelly trotzig und flink das kleine Eisentürl im Kamin, daß die Zugluft eine Wolke Ruß herausstäubt, direkt auf den Hochwürden zu.

»Macht nichts, Nelly: Schwarz auf Schwarz trägt sich gut. Nur Schwefelgelb auf Wald- und Wiesengrün geht nicht.«

»Wie dös?« fragt da die Nelly überrascht und kehrt sich dem Geistlichen zu. Auf der linken Wange hat sie ein russiges Mal, und das müßte sein zu ihren blitzblanken Zähnen stehen, wenn sie lachte; aber sie lacht nicht. Wiederholt nur, halblaut und besinnlich: »Schwefelgelb und Wiesengrün ...«

»Nur so beiläufig. Wobei das stille Wald- und Wiesengrün unser Bauernland und das knallige Schwefelgelb eure Schönheitskonkurrenz darstellen soll, die ihr ihm aufpelzen wollt.«

»Ich hab's nöt ausdenkt!«

»Aber du tust mit. Obwohl's dir selber nicht gfallt.«

»Wer sagt dös?«

»Ich.«

»Wie können Sie dös sagen?«

»Weil ich dich kenn.«

»No also. Dann wissen Sie ja auch, daß ich endlich amal zu meiner Arbeit a gern was anders haben möcht als nur bloß alleweil und alleweil das Geschimpf und das ewige Herunterreißen. Die Würflinger Burschen dagegen, dö wollen mi auf d' Höh heben. I, sagen s', muaß d' Schönheitskönigin wern und, Hochwürden Herr Franz, Sie müaßten zerst a arms Dienstmadl gwesen sei, wenn Sie wissen sollten, was dös für mi is. Für mi is dös nöt Schwefelgelb und nöt Wald- und Wiesengrün, für mich is dös 's Gold selber.«

»Und trotzdem bitt ich dich: Gib's auf! Tritt aus! Sag ab!«

Die Nelly stand starr. »Sie aa!« sagt sie. »Und mich bitten? Und absagen soll i? Warum?«

»Der Vater will's haben.«

»Deswegen grad erst recht nöt.«

»Und bleiben sollst wieder.«

»Hat mi ja nausgschmissen.«

»Kennst 'n doch.«

»Und ich, ich bitt dich: bleib und sag den Burschen ab!«

»Aber, Hochwürden Herr Franz, Sie hamm mir doch früher keine Freud mißgunnt.«

»Nelly,« – er sagte es mit halbem Lächeln, als wolle er sie nicht kränken – »so a dumme Freud hat's früher nicht geben.«

Sie sah ihn verständnislos an.

»Siehgst, dös is so: wenn im Sommer bei uns die pfundigen Kommerzienrät in nagelneuer kurzer Wichs, den Gamsbart auf 'm Hütl, und ihre nudeldicken Frau Gemahlinnen im bunten Dirndlgwand herumgeistern, und wenn überhaupt die Stadtfrack unserer Landschaft zu Ehren, ob s' ihnen jetzt paßt oder nicht, in unser Gbirgstracht neischlupfen, was denken wir dann?«

»Da kimmt wieder amal d' Sau mit der Glocken daher.«

»Recht hast. Und wenn nun entgegengesetzt wir Bauernleut mit etwas großtun, was nicht zu uns paßt, weil's nicht bei uns gwachsen ist, wie zum Beispiel euer Schönheitskonkurrenz...«

»Aber d' Schönheit, Hochwürden Herr Franz, wachst doch nöt bloß nur in der Stadt drin.«

»D' Schönheit wachst freilich überall. Aber sie bleibt's nicht überall. Sie ist's nur, solang sie still und bescheiden bleibt. Sowie sie's Maul aufreißt und schreit: ›Ich bin die Schönheit; da schauts her!‹ ist sie es nicht mehr. Denn Schönheit ist und bleibt nur dort, wo die schöne Form mit dem schönen Inhalt übereinstimmt.«

»Dös versteh i nöt. Und drum sag i a nöt ab.« Und sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

»Halt a bißl!« sagt aber der Kogler Franz. »So gschwind kommst du nicht los von mir.«

Und die Nelly wendet sich ihm wieder zu. Sie schmunzelt; denn sie denkt: Wahr is 's ja; hast mich schon lang genug am Bandl. Und dann lächelt sie, und in diesem Lächeln wird der Rußfleck auf der linken Wange wirklich der Schalkheit zur Zier. Wozu sich überdies noch ein schräger Sonnenstrahl gesellt, in dem die dunklen Augen leuchten, als wär' die Seele eines Zigeunerbankerts nicht heimatlos und auch das Leben einer Magd voll Glück und Glanz. Und also angetan, zugleich so reich und arm, steht die Schlanke, Hohe jugendstark vor ihm und schüttelt langsam und nachdenklich, lächelnd halb im Ernst und halb im Spiel, den Kopf und sagt dazu, noch in der Klangfarbe das Merkmal seltsamer Herkunft, sagt und sagt wieder: »Ich sag nicht ab. Ich nicht. Ich sag nicht ab«, und schüttelt bedächtig den schwarzen Kopf dazu.

Und der Bauernsohn und geistliche Herr kann nicht wegschauen von dieser Magd, kann nicht und kann nicht und denkt, während er doch gekommen ist, die Schönheitskonkurrenz zu bekämpfen: Du bist die Schönheitskönigin vom Würflinger See. Dann aber sagt er doch endlich: »Der Vater, Nelly, braucht dich jetzt, wo die Afra nicht mehr ist, einmal zu notwendig. Er kann dich nicht entbehren; denn du allein kennst dich in unserm Hauswesen aus.«

»Warum schmeißt er mi dann naus?«

»Weil er's nicht leiden will, daß du, aus einem ehrsamen Bauernhaus heraus, bei einer so unbäuerlichen Gregori mittust. Und er hat recht. Wär er im Unrecht, könnt ich dich nicht bitten, daß du absagst. So aber bitt ich dich noch einmal: Sag ab und bleib!«

Die Nelly sah vor sich auf den Boden nieder und überlegte, wie es schien.

Das aber ist der rechte Augenblick für Beweisführung. »Weißt nimmer,« sagt darum der Franz, »was du mir amal – es ist ja freilich schon lang her – versprochen hast? Du wirst zu jeder Zeit, hast du damals gsagt, das tun, was ich haben will. Weißt du's noch?«

Die Nelly nickt. »Aber natürlich. Wie soll i 's denn nimmer wissen? Beim Streumähen auf der Schelchinsel war's, und der Bauer hat haben wollen, ich soll auf dem Floß, das so schon alleweil auseinandergangen is, nochmal nei in 'n See. Und ich hab mir nimmer traut. Und drum bist du nei und i, i bin davonglaufen und mit 'm Fischer heimgfahren. Und mei Watschen hast du gfangen und bist noch dazu ins Wasser gfallen. Und drum hab i gsagt: i tua meiner Lebtag alls, was du haben willst, daß i tun soll. Und drum, Hochwürden Herr Franz: – i sag den Burschen ab und bleib.«

Da gab der Geistliche der Nelly die Hand und hielt die ihre lange in der seinen. »Ich hab dich ja alleweil schon als ein kreuzbraves Madel kennt, und es is nur schad, daß du nicht älter bist. Ich tät dich als meine Hauserin zu mir nehmen.«

»Wirklich, Hochwürden Herr Franz? Na, sagen S', dös täten Sie? O wär ich doch sechzig Jahr alt! O hätt ich doch a Gsicht voller Runzeln und Falten!« Und sie wandte sich ab und ihrer Arbeit zu, auf daß der Franz die Tränen nicht sähe, die ihr still über die Wangen liefen. Sie wurden aber geweint und liefen wie unerschöpflich über die blühenden Wangen ob der Bitternis, die eigene Jugend und Schönheit verwünschen zu müssen.

Der Franz sah sie aber doch. Und weil nur die stillen Tränen die Zeugen wahren Schmerzes sind, kehrte auch er ergriffen in die Stube zurück.


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