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Während sich Reihenfels mit Sorgen abquälte, wie das alles enden sollte, wie er Bega diesen politischen Wirren entreißen und ihr den Platz geben könnte, der ihr gebührte, und vor allen Dingen daran dachte, daß er die Engländer nicht warnen konnte, die Sprengung der steinernen Brücke und den Ausfall zu verhüten, gingen in Delhi Sachen vor sich, die ihn mit noch größerer Bestürzung, ja, mit Verzweiflung erfüllt hätten, wenn er sie auch nur geahnt hätte. Das stahlgepanzerte Mädchen wußte nämlich nichts davon, daß ihr Geliebter von jemandem aus ihrem Zimmer und in das verlassene Haus einer fast unbekannten Gasse geführt worden war. Bega war es nicht gewesen; denn sie stand noch auf dem Hauptplatze Delhis und hörte die Berichte der Anführer an, welche von Mirat aus mit einigen tausend Indiern vorgedrungen waren, in kühnen Angriffen die Reihen der Engländer durchbrochen und sich mit den Belagerten in Delhi vereinigt hatten.
Sie waren dabei mit Gurgghas handgemein geworden; aber die sonst als unüberwindlich geltenden Krieger waren sorglos gewesen, waren im Schlaf überrascht worden und hatten eine Niederlage erlitten. Heiß hatte der Kampf getobt, besonders um die Person ihres Führers, des Leutnants Dollamore, und dieser selbst war, von der Übermacht überwältigt, in die Hände der feindlichen Indier gefallen. Es waren keine regulären Sepoys gewesen, sondern Freibeuter, von indischen Abenteurern gesammelt. Die Begum war mit dem Tun dieser Leute durchaus nicht zufrieden, sie hätten lieber sich mit den draußen befindlichen Truppen vereinigen sollen, anstatt zu helfen, den Proviant in Delhi zu verbrauchen.
Doch sie unterdrückte ihre Vorwürfe, denn das Volk jubelte laut den Siegern zu, welche den gefürchteten und verhaßten Dollamore als Gefangenen mitbrachten, und im Triumph wurde dieser durch die Straßen geführt.
In der Nähe des Pulverturms war allerdings Feuer ausgebrochen, doch schnell gelöscht worden. Die Detonation war die Folge der Explosion einer entfernt liegenden Pulvertonne gewesen, die zur Sprengung der Brücke hatte dienen sollen. Einige Indier waren dabei getötet worden, sie hatten ihre Unvorsichtigkeit mit dem Leben büßen müssen.
Froh, daß die Störung vorüber war, kehrte Bega schnell nach dem Hause der Duchesse zurück. Bisher hatte sie sich vergeblich nach Sinkolin umgeschaut, der ihr die so unheimlich klingende Meldung zugebracht hatte. Sie konnte ihren Ratgeber nicht sehen.
Im Begriff, durch den Flur des Hauses zu gehen, erblickte sie eine weibliche Gestalt, die sich, ein Bündel im Arm, bei Eintritt der leicht erkenntlichen Begum angstvoll an die Wand drückte.
Mit einem Sprunge stand Bega vor ihr und hatte sie am Arm gepackt.
»Ah, Mirzi, bist du es? Dachte ich mir doch, daß dir der Dienst bei mir nicht gefiele.
Wohin noch in so später Nacht?«
»Ich wollte nur nachsehen, was für ein Lärmen das sei,« stotterte das ertappte Mädchen.
»Und dazu nimmst du deine Kleider mit? Denn dieses Bündel enthält doch solche.«
»Ich wollte – ich hatte –«
»Es ist gut, verteidige dich nicht!« unterbrach Bega sie scharf. »Du fürchtest mich und hast allen Grund dazu. Ich habe meine Finger noch nicht mit dem Blute eines Weibes besudelt und mag es auch nicht tun. Das ist dein Glück. Geh, entferne dich, Lügnerin, elendes Weib, und laß dich nie wieder erblicken, sonst –«
Bega vollendete ihre Drohung nicht. Froh, mit dem Leben davongekommen zu sein, schlüpfte Mirzi hinaus. Sie sah ihre Erbärmlichkeit entdeckt.
Mit leichtem Schritt sprang Bega die Treppe hinauf; es war ihr so wunderbar fröhlich ums Herz. Sie betrat ihr Zimmer, versicherte sich erst, daß die Türen geschlossen waren, und eilte dann nach der spanischen Wand.
Sie sank vor Schreck fast in die Knie, als sie niemanden dort sah. Einen Augenblick blieb sie erstarrt stehen, dann durchsuchte sie hastig das Zimmer, schaute sogar unter den Diwan, als vermutete sie, Reihenfels habe sich darunter versteckt.
Wohin war er? Was hatte ihn veranlaßt, sich zu entfernen? Oder sollte er etwa gar ...? Ein taktmäßiges Klopfen in Zwischenpausen an der Tür unterbrach ihren Ideengang. Das war ihr Vertrauter, Sinkolin, sie öffnete sofort, und der Alte trat auch ein. Diesmal zeigte er sein bartloses, faltiges Gesicht mit dem schlauen Zug um die schmalen Lippen unverhüllt. Er fand seine Gebieterin in furchtbarer Aufregung.
»Sinkolin,« rief sie ihm entgegen, »rate mir, hilf mir!«
Verwundert betrachtete Sinkolin die Aufgeregte.
»Was ist es, das dir solche Sorge einflößt?« fragte er. »Es war nicht gut, daß die Aufständischen sich nach Delhi durchschlugen, doch wir können sie schließlich ...«
»Schweig davon,« unterbrach ihn das Mädchen heftig, »es ist etwas anderes. Sinkolin, ich kann dir trauen?«
»Begum, habe ich dir je Veranlassung zum Mißtrauen gegeben?« entgegnete Sinkolin vorwurfsvoll. »Allerdings war vorhin meine Bestürzung groß, das Gerücht war übertrieben worden.«
»Ich spreche ja nicht davon. Sinkolin, wo bist du gewesen?«
»Ich sprach mit den Anführern.«
»Meine Augen sahen dich nicht.«
»Die meinen aber dich.«
»Gleichgültig! Sinkolin, ich will dir etwas gestehen.«
»Meine Ohren hören, doch mein Mund wird nicht wieder sprechen. Vertraue mir dein größtes Geheimnis an!«
»Ich will es tun. Du weißt, ich liebe einen Mann.«
»Ich weiß es, und ich fluche ihm deswegen. Er ist unser Feind, und zwar einer unserer größten.«
»Fluche dem nicht, den ich liebe. Du warst mir schon mehrmals behilflich, ihn zu retten.«
»Weil du es wolltest, und ich gehorche dir unbedingt.«
»Nun, er war hier, hier in diesem Zimmer, als du kamst, und jetzt ist er fort.«
Obgleich sich der schlaue Sinkolin verstellte, denn er wußte ja alles, hatte alles belauscht, so tat er doch nicht erschrocken, weil das gegen seine sonstige Natur gewesen wäre. Er blickte nur die Sprecherin an.
»Hier wäre er gewesen?«
»Ja, hier, hier, ich hatte ihn versteckt!«
»Was wollte er?«
»Er schlich auf einem mir unbekannten Wege in dieses Haus, um seine Schwester Franziska zu retten, die gegen meinen Willen gefangengehalten wird. Doch davon ein andermal! Ich versteckte ihn, als du kamst, sagte, er sollte warten, und nun – wo ist er hin?«
Angstvoll sah Bega ihren Vertrauten an, von dessen Schlauheit sie schon manche außerordentliche Probe erhalten hatte, grenzte seine Kenntnis von geschehenen Dingen doch manchmal an Allwissenheit.
Diesmal aber wußte er nichts, bedauernd zuckte er die Schultern.
»Hättest du mir davon gesagt, so würde ich ihn in meinen Schutz genommen haben. Sieh, Begum, du bist nicht aufrichtig gegen mich, davon hast du Schaden.«
»Du hassest ihn, verstelle dich nicht.«
»Ich hasse ihn als meinen Feind, doch als deinen Freund liebe ich ihn, und nur dein Wille gilt, ich ordne den meinen dem deinen unter.«
»So schaffe ihn mir wieder! Fort! Und was ich von ihm gehört habe, was in diesem Hause hinter meinem Rücken vorgeht, darüber werde ich noch später Rechenschaft fordern.«
Sinkolin hielt es für das beste, der Aufforderung schleunigst nachzukommen.
»Ich werde tun, wie du befiehlst,« entgegnete er, »nur sage mir noch, welche Verkleidung er zu seinem Besuche gewählt hatte.«
»Er trug die Uniform der indischen Sepoyoffiziere, Degen und Mütze. Ich erwarte dich in einer Stunde zurück, ich vergehe vor Ungeduld.«
Sinkolin entfernte sich. »Jetzt späht sie selbst nach Franziska, Eugen und ihrer Doppelgängerin,« murmelte er, während er die Treppe hinabstieg, »allein sie wird dieselben nicht finden, dafür habe ich gesorgt, und was ihr dieser verfluchte Reihenfels erzählt hat, werde ich ihr als einen Traum einreden. Doch nun ans Werk, jetzt ist mir die Gelegenheit günstig, den einen zu vernichten, die andere zum Würgengel der Engländer zu machen, so, wie es die Anführerin von Indien sein muß.«
Ehe er das Haus verließ, verhüllte er sein Gesicht mit der auf dem Rücken herabhängenden Kapuze, und plötzlich, als wären seine Knochen dehnbar, wuchs seine Gestalt um einige Zoll, so daß er für einen mittelgroßen Mann gelten konnte. Nimmermehr hätte man in ihm den kleinen, gebückt gehenden Sinkolin, den Berater des Großmoguls, oder Timur Dhar, den König der Gaukler wiedererkannt.
Dem ihn gegebenen Auftrag ging er durchaus nicht nach, vielmehr wandte er sich direkt nach dem mohammedanischen Viertel, wobei ihn auch der Weg an dem Häuschen vorüberführte, in welches Reihenfels gebracht worden war.
Lauschend blieb Sinkolin eine Minute an der eisenbeschlagenen Tür stehen, nickte befriedigt mit dem Kopfe, warf einen Blick nach dem platten Dach hinauf und setzte seinen Weg fort.
Die Straßen oder Gassen fielen hier schräg ab, so daß eine Art Tal entstand, und es war anzunehmen, daß diese Senkung noch unter dem Niveau der Dschamna lag oder mit diesem abschnitt.
Hier gab es viele Brunnen, welche nie versagten, es sei denn, die Dschamna trocknete einmal aus; sonst stieg und fiel ihr Wasser mit dem des Stromes, also mußten sie mit ihm in Verbindung stehen, um so mehr, als der schöpfende Eimer oftmals Fische und andere Flußtiere mit in die Höhe brachte, ja, es kam sogar vor, daß in solch einem Brunnen ein junges Krokodil gefangen wurde.
Im tiefsten Teile dieser Senkung stand ein Häuschen, in welchem ein Trödler seinen Laden hatte, und der Besitzer dieses Geschäftes, in welchem arme Kulis und Juden Kleidungsgegenstände und andere abgelegte Sachen kauften, war niemand anders als der alte Sedrack.
Sinkolin klopfte leise an die wurmstichige Tür und trat schnell ein, ohne die Aufforderung dazu abzuwarten.
Er befand sich in einem Raume, der mit alten, abgenutzten Sachen angefüllt oder vielmehr überfüllt war, wie man sie in den ärmsten Läden solcher Art findet.
In der Mitte des Raumes brannte ein Feuerchen, darüber hing ein Kessel mit siedendem Wasser, und davor saß ein alter Mann, der die Hände nach Art der Juden zum Gebet gefaltet hielt und vor sich hinmurmelte. Es war Sedrack, dessen Trödlerbude der liebe Leser kennen lernt. Er ließ sich nicht in die Karten sehen, er gab vor, von diesem Trödelhandel zu leben; um Sachen zu kaufen, unternähme er oftmals so lange Reisen, und er war auch bereit, diese seine Angabe beim Gott seiner Väter, bei seinem grauen Haar, bei dem Haupte seines teuren Kindes und bei sonst etwas zu beschwören.
Beim Eintritt des Fremden erhob sich der Jude, er wendete nur den Kopf und musterte die Gestalt scharf, die ihm unbekannt war, und deren Gesicht er nicht sehen konnte. Es kam oft vor, daß der Trödler Personen empfing, die nicht erkannt sein wollten. Dafür sah er später oft Gegenstände, die bei ihm gekauft waren, an solchen Leuten, deren Kleidung nach man nicht vermutete, daß sie bei einem Trödler kauften. Es war versteckte Armut. Noch mehr aber wurde ihm von solchen verhüllten Personen verkauft; denn Sedrack kaufte alles, ohne nach dem Namen und dem Woher zu fragen.
»Was gefällig?« fragte Sedrack, aus einer Blechbüchse Tee in einen Kessel abmessend.
Er war der Meinung, diese schlanke, wohlgewachsene Person müsse eine Frau oder ein Mädchen sein, obgleich er in letzter Zeit wenig Besuche von solchen empfing. »Was gefällig?« wiederholte er. »Was zu verkaufen? Zeige her, ich zahle die höchsten Preise und kaufe, wenn ich auch nichts dabei verdiene. Kaufe nur so zu meinem Vergnügen.«
»Kaufst du auch dieses?«
Der oder die Unbekannte streckte den Arm aus; eine kleine, zierliche Hand schlüpfte aus dem groben Gewand, und kaum erblickte Sedrack den breiten Goldring, dessen Diamant ein wunderbares Feuer ausstrahlte, als er mit einem Ausruf der Überraschung aufsprang.
»Sinkolin?« rief er, »Timur Dhar! Gott meiner Vater, wie konnte ich ahnen, daß du kämest zu mir, in meine elende Hütte?«
Er verneigte sich wiederholt mit über der Brust gekreuzten Armen.
»War ich nicht schon öfters hier?«
»Ja doch, aber ganz anders. Wahrhaftig, man hat recht. Du kannst geben deiner Gestalt eine jede Größe und ein jedes Aussehen. Dachte ich doch, als ich dich sah, ist das aber ein großes Weib, die könnte heiraten den Riesen Goliath. Gott, was bist du für'n mächtiger Mann!«
»Hast du je daran gezweifelt, daß ich allmächtig bin?«
»Nicht mehr, seitdem du mir hast verhandelt deinen Ring, welcher ist besessen vom Teufel und hat mir gebrannt ein Loch durch den Kasten, in welchen ich ihn gelegt hatte, und als du kamst zu mir, saß er doch wieder an deiner Hand.«
Mit scheuen Augen betrachtete der Jude den Mann, der wieder zusammenschrumpfte, weil eine Verstellung hier nicht nötig war. Er setzte sich gemächlich am Feuer nieder und zog dann unter seinem Mantel einen schweren Beutel hervor, den er Sedrack reichte.
»Hier, dein Lohn.«
Mit gierigen Händen griff der Jude danach.
»Tausend Rupien.«
»Tausend Rupien, in Gold abgewogen. Zähle sie nach, wenn du es für nötig hältst.«
»Wie würde ich glauben, daß Timur Dhar könne beschummeln? Bleiben die Goldstücke auch bei mir?«
»Sie sind dein.«
»Brennen auch kein Loch in Tasche oder Kasten?« fragte der mißtrauische Jude weiter, dem der Gaukler einmal, vielleicht schon mehrere Male, einen Streich gespielt hatte.
»Sie sind dein und bleiben dein, denn deine Angaben sind wahr gewesen. Lerne kennen, daß Timur Dhar sein Wort hält.«
Schmunzelnd steckte Sedrack. den schweren Beutel ein und setzte sich dem Gaukler am Feuer gegenüber.
»Sagte ich nicht, daß Sedrack ist ein alter, ehrlicher Jüd' und sein Wort echt wie das Gold, welches er verkauft als solches? Also hat es gehabt Zweck, daß ich dir habe mitgeteilt, wie der Kulwa ist gekommen zu mir und hat mich gefragt, wo zu finden ist Lord Canning, der Generalgouverneur von Indien, den Gott möge verfluchen.«
»Du verfluchst nur den, der abwesend ist, und den, an dem du nichts verdienst. Ja, es hat Zweck gehabt; deshalb hast du den versprochenen Lohn erhalten. Ich hätte nicht nötig gehabt, ihn dir zu versprechen, denn ich hatte dein mir angedeutetes Geheimnis durch die Folter erpressen können.«
»Sinkolin wird mich nicht foltern zu Tode, denn er weiß, daß ich ihm kann leisten noch manchen wichtigen Dienst.«
»Deshalb bin ich auch hier.«
»Dachte ich doch, daß der Herr will abschließen mit dem alten Sedrack ein neues Geschäft.«
»Du bist schlau, Sedrack, das muß man dir lassen, doch allzu große Schlauheit führt oft ins Verderben. War jener Froschmensch, der dich nach dem Aufenthalt Lord Cannings fragte, seitdem wieder hier?« »Ich bin zurückgekommen von meiner Reise und habe Kulwa nicht wiedergesehen seitdem.«
»Ich möchte gern einmal nähere Bekanntschaft mit ihm machen. Kannst du ihn nicht rufen?«
»Es gibt kein Mittel dazu; er kommt, wenn er will, zu holen Tabak und anderes, wofür ich aus Gefälligkeit eintausche wertlosen Plunder.«
»Armer Mann, du ruinierst dich noch aus purer Gefälligkeit! Sag, Sedrack, wo ist deine Tochter?«
»Hab' ich sie doch nicht wiedergesehen seit jenem Tage, da sie hat verlassen ihren armen Vater im Zorn.«
»War sie nicht mit dir im Lager am schwarzen See?«
»O, Herr, spotte nicht des alten Sedrack, ehre sein weißes Haar, das in Ehren verloren hat die Schwärze. Du weißt so gut wie ich, daß meine Begleiterin nicht war Mirja, sondern die mächtige Begum von Dschansi.«
»Ich gebe es zu. Was hat die Begum im Lager getan?«
»Herr, frage mich, was ich für geheime Todsünden begangen habe, und ich will es dir gestehen,« entgegnete Sedrack, sich verneigend, »aber frage mich nicht aus über die Wege der Begum. Lieber will ich unter der Folter sterben, als dies verraten.«
»Das war gut gesprochen, Sedrack, ich werde immer zufriedener mit dir. Kennst du den Generalgouverneur selbst?«
»Ich kenne ihn.«
»Du hast mit ihm verkehrt?«
»Geschäftlich, Herr.«
»Hast du einen Mädchenhandel mit ihm abgeschlossen?«
So getroffen sich Sedrack auch fühlte, wagte er dennoch nicht, den Frager auch nur von der Seite anzuschielen.
»Nein, Herr. Ich mußte aber doch einen Vorwand haben, daß ich ins Lager kam. Ich wollte abschließen ein Geschäft mit alten Stiefeln, welche die Soldaten haben abgelegt, ist doch eingetroffen ein Transport aus England mit neuem Schuhzeug.«
»So so. Und auch die Begum ist bei ihm gewesen?«
»Herr, frage mich nicht darüber.«
»Gut, du bejahst es.«
»Nein, das tue ich nicht,« rief der Jude hastig.
»Auch gut, ich weiß genug. Mußt du auch über die Begum schweigen, so doch nicht über andere. Was hat Kulwa mit Canning zu tun gehabt?«
»Ich weiß es nicht. Was ich dir mitgeteilt habe, ist wahr und alles, mehr kann ich nicht aussagen.«
»Also er fragte nur nach dem Aufenthaltsort Lord Cannings? Was wollte er wohl von ihm?«
»Herr, ich weiß es nicht.«
»Jude,« sagte der Gaukler leise, aber drohend, »mache deine Zunge geschmeidig, oder – du kennst mich. Sage mir deine Meinung, was er wohl von ihm gewollt hat.«
»Herr, verwirre durch deinen Zorn nicht meinen Verstand!« sagte Sedrack, ängstlich werdend. »Ich denke, Kulwa ist zum Spion zu dumm, ja, was sollte er wohl wollen von Lord Canning, den er nicht einmal kannte?«
»Du betonst das ›er‹, so meinst du, er wurde von einem andern geschickt?«
»Das ist meine Meinung.«
»Auch die meine. Lord Canning hat eine Braut.«
Der Jude fühlte, wie die Augen des Gauklers durchbohrend auf ihm ruhten, und er hatte nicht den Mut, Unwissenheit zu heucheln, wenn das auch sehr leicht gewesen wäre, falls Sinkolin nichts davon wußte, sondern ihn nur ausforschen wollte. Es fehlte Sedrack eben der Mut.
»Ja, Herr, er hat sich verliebt in ein Mädchen.«
»Wie heißt dieses?«
»Franziska Reihenfels.«
»Hm, du kennst sie genauer?«
Sedrack erzählte offen, als wäre er in einem Bann, wie er Franziska einst zum Schutze vor den meuternden Indiern in sein Haus aufgenommen hatte, wie sie aber selbst wieder entflohen sei und gleich darauf auch seine eigene Tochter.
Nachdenkend hatte der Gaukler ihm zugehört, sein scharfer Verstand sagte ihm auch das, was ihm der Jude noch verhehlte.
»So ist dir eine reiche Beute entgangen. Oder du willst doch nicht etwa behaupten, daß du dieses Mädchen uns ausgeliefert hättest?«
»Uns armen Juden traut man nur Schlechtigkeiten zu.«
Der Gaukler schwieg lange, er überlegte, arbeitete an einem neuen Plane, der seinen Zweck förderte, und Sedrack bereitete unterdessen mechanisch seinen Tee; denn er wußte, daß Sinkolin nicht umsonst seine arme Hütte aufgesucht hatte, sondern daß es etwas für ihn auszuführen gab, wobei er verdienen konnte. Gespannt wartete er, bis sein mächtiger Gast wieder zu reden begann.
Das Anbieten einer Tasse Tee riß diesen aus seinem Brüten, und nun fing er an zu sprechen. Sedrack hatte sich nicht getäuscht, er war von Sinkolin auserkoren worden, ein Netz zu weben, dessen Fäden aus Lug und Trug, aus Hinterlist und Verrat, aus falschen Schwüren und gefälschten Briefen bestand.
Sedrack fand die an ihn gestellte Forderung ungeheuer, er bebte davor zurück. Der Gaukler kannte die Schwäche des Juden, und doch wußte er, daß dieser Mann für Gold alles tat, für Gold war er jeder Schandtat fähig, für Gold verkaufte er sein Kind, für Gold konnte aus dem Feigling selbst ein Held werden.
So mußte es etwas anderes sein, was Sedrack für seine Dienste forderte.
»Ich habe angeboten bis jetzt,« sagte schließlich der Gaukler, der seinen Gleichmut nie verlor, »du hast abgeschlagen. So stelle du nun deine Forderungen, und ich will sehen, ob ich sie bewilligen kann.«
Sedrack führte die Tasse an seine Lippen, um das schlaue Lächeln zu verbergen, das der dichte Bart nicht ganz verdeckte.
»Gut, ich will sie stellen. Du hattest vorhin allerdings recht, als du sagtest, ich hätte die Franziska gern behalten für mich. Schade, daß sie mir ist entgangen! Wäre gewesen ein schönes Geschäft für mich! Ich denke, sie ist nun bei dir.«
»Und wenn du nicht irrst?«
»So erbitte ich mir das Mädchen für meine Dienste.«
»Wieviel zahlt dir Lord Canning dafür?«
»Ich bin offen; zehntausend Pfund.«
»Es ist viel. Hast du eine Sicherheit von ihm?«
»Ich habe sie.«
»Zeige sie mir!«
Sedrack machte eine Handbewegung.
»Du glaubst, ich würde sie dir nehmen? Lord Canning ist ein Mann, der sein Versprechen auch ohne etwas Schriftliches halten würde.«
»Es mag sein.«
»Hast du seine Unterschrift?«
»Ja« »Gut, ich will sie nicht sehen. Also das waren die alten Schuhe, um welche du mit Lord Canning handeltest! Bist du bereit, die Aufgabe zu lösen, wenn ich dir dafür Franziska gebe?«
»Wenn ich bekomme Sicherheit!«
Sinkolin mußte sie ihm geben, und nach längerer Unterredung trennten sich die beiden.
Der Gaukler wollte am anderen Tage zur selben Zeit zur nochmaligen Besprechung wiederkommen.
Im Hause der Duchesse angelangt, empfing Bega ihn mit der größten Ungeduld.
Achselzuckend bedauerte er, nichts von dem falschen Sepoyoffizier gesehen zu haben.
»Aber wohin soll er sein? Er kann Delhi nicht verlassen!«
»So wird er denselben Weg benutzt haben, auf welchem er hierher gelangt ist. Hast du ihn nicht gefragt, wie er sich in dieses Haus geschlichen hat?«
Das hatte Bega unterlassen. Und wüßte sie es auch, sie hätte es Sinkolin doch nicht gesagt.
Es war schon spät in der Nacht und keine Zeit mehr für sie, wegen Eugens und Franziskas Fragen zu stellen, der morgende Tag sollte ihr alles offenbaren. Da aber brachte Sinkolin solch wichtige Nachrichten über die Feinde, daß die Anführer der Rebellen in Aufregung gebracht und gehalten wurden.
Doch Sinkolin vergaß darüber sein Versprechen nicht; am Abend fand er sich wieder in der Trödlerbude ein, um mit Sedrack weiterzuhandeln. Beide waren im eifrigsten Gespräche vertieft, als hinten aus der dunkelsten Ecke der Hütte ein quakender Ton erscholl.
Sofort verstummte Sedrack und lauschte.
»Es ist ein Frosch,« sagte Sinkolin.
»Sinkolin,« flüsterte Sedrack, »verstecke dich!«
Wie ein Schatten huschte der Gaukler hinter die aufgehängten Kleider und Mäntel und war im Nu dort verschwunden, ohne daß sie sich aufgebauscht oder bewegt hätten.
Das Quaken wiederholte sich. Sedrack nahm die Öllampe und begab sich nach der Ecke.
Dort lag am Boden der Deckel eines Fasses, er hob ihn auf. Ein fast bis an den Rand mit Wasser gefülltes Loch zeigte sich, und aus dem Wasser tauchte der froschähnliche Kopf Kulwas auf.
Er legte die Hände auf den Rand und ließ seine glotzenden Augen durch die Hütte schweifen.
»Nun, Kulwa,« begann der Jude, »ist dein Tabak zu Ende? Ich habe dich nicht so bald wieder erwartet. Zeige her, was du mir hast mitgebracht heute, ob ich es kann gebrauchen.«
»Ich habe nichts mitgebracht, ich brauche keinen Tabak.«
»So willst du nur besuchen mich alten Mann? Das ist schön.«
»Bist du allein?«
»Wie du siehst.«
Kulwa hatte etwas auf dem Herzen; angstvoll ließ er seine Augen umherwandern.
»Weißt du, wo ich wohne?« fragte er dann.
»Wie soll ich das wissen? Habe ich doch oft genug gefragt dich deswegen, und kannst du mir doch geben keine Antwort.«
»Mein Aufenthalt ist unter dem Hause, welches von der Duchesse bewohnt wird. Kennst du diese?«
Sedrack schien erstaunt.
»Kulwa, Kulwa,« sagte er dann lächelnd und mit dem Finger drohend, »es scheint mir doch nicht so, wie du immer sagst, daß du allein da unten wohnst mit deinem Vater, den du Maulwurf nennst. Wen hast du genommen zu dir? Ein Frauchen hast du geheiratet, he?«
Sedrack machte nur Scherz, Kulwa aber glaubte, sein Geheimnis sei verraten worden.
»Woher weißt du das?« rief er zornig. »Nun, hast du doch gefordert von mir in letzter Zeit Nadel und Zwirn und allerhand Sachen, die immer haben müssen die Frauensleute, verheiratete und unverheiratete.«
Kulwa murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, sein Gesicht nahm einen recht bösartigen Ausdruck an, und nichts entging dem beobachtenden Sinkolin.
»Was führt dich denn zu mir?« forschte Sedrack weiter, der dies übrigens schon wußte.
»Kennst du das Haus der Duchesse?«
»Und ob! Was soll's damit?«
»Ich möchte etwas erfahren, aber ich weiß nicht ...«
»Du kannst mir altem Mann trauen, habe ich doch niemals verraten dein Geheimnis, habe vielmehr dich immer unterstützt und dir gegeben teuren Tabak und dafür genommen von dir wertlosen Plunder. Hier die ganze Hütte ist schon voll.«
»Nicht alles ist von mir.«
»Weil ich andern auch so helfe wie dir. Was willst du wissen aus dem Hause der Duchesse, die ist eine mächtige Dame in Indien?«
»Nicht wahr, du weißt alles? Du kanntest auch Lord Canning und seinen Aufenthalt?«
»Weiß ich auch nicht alles, so weiß doch der alles, den ich frage, wenn ich etwas wissen muß.«
»Wer ist das?«
»Es ist kein Mensch, sondern ein Geist, der alles sieht und hört und überall ist.«
Kulwa glaubte an Gespenster und Geister, und er glaubte auch, vollständig unerfahren, leicht den Worten eines Lügners. Erst riß er den Mund weit auf, daß man eine Kegelkugel hätte hineinwerfen können, dann machte er ein ängstliches Gesicht und zeigte Lust unterzutauchen, um aus der Nähe des Menschen zu kommen, der mit Geistern verkehrte.
»Fürchte dich nicht,« rief jedoch der Jude schnell, »es ist ein guter Geist. Würde ich doch sonst nicht mit ihm verkehren. Wenn du ihn willst sprechen und fragen etwas, so rufe ich ihn.«
Blitzschnell tauchte der Frosch unter; denn plötzlich stand vor ihm, wie aus dem Boden gewachsen, eine kleine, kaum mittelgroße, vermummte Gestalt.
Doch Sinkolin vermutete ganz richtig, daß das Ungeheuer wiederkommen würde. Schon nach einer Minute tauchte der Kopf wieder auf und betrachtete ängstlich das unheimliche Wesen.
»Ich tue dir nichts,« klang es hinter dem Tuche hervor, »du hast mich gerufen, was willst du von mir wissen?«
Es dauerte lange, ehe der erschreckte Kulwa eine Antwort fand.
»Wer bist du?« brachte er dann hervor.
»Einer, der alles weiß, ein Geist, der überall sein kann. Ich war auch unten bei dir und habe dich und deinen Vater gesehen. Du hast eine junge, schöne Frau, die dich liebt, aber du sollst etwas für sie tun. Deshalb kommst du jetzt hierher, wir sollen dir helfen. Lord Canning kam nicht, wie deine Frau ihm geschrieben hatte, sondern ein anderer, Reihenfels, und nun wartest du vergeblich auf seine Rückkehr. Glaubst du nun, daß ich allwissend bin?«
Kulwa staunte, nicht minder aber Sedrack. Woher in aller Welt wußte der Gaukler alles? »So bist du wirklich ein Geist?« fragte ersterer.
»Ich will dir noch mehr Beweise geben.«
»Nein, nein, tue das nicht. So bist du der Geist, der manchmal zu uns kommt und so jammert und heult?«
»Der bin ich,« entgegnete Sinkolin, obgleich er nicht wußte, was Kulwa damit meinte.
»Was willst du nun sonst von mir wissen?«
»Der Mann, den ich zu uns brachte und in das Haus der Duchesse führte, ist nicht zurückgekommen. Einmal ist darüber schon das Wasser geschwollen. Wo ist er jetzt?«
»Es ist der Mann, welcher Franziska, die Braut Lord Cannings befreien wollte?« »Er ist es. Ich sehe, du weißt alles.«
»Er hat dich belogen.«
»Wieso?«
»Er kannte Franziska gar nicht, er gibt nur vor, ihr Bruder zu sein. Er trat an Lord Cannings Stelle, um euer Geheimnis, wie ihr in den finsteren Gängen lebt, zu erforschen und es dann anderen zu erzählen. Dies tut er jetzt im Hause der Duchesse und lacht euch aus, da ihr ihm geglaubt habt.«
Ein Wutschrei drang aus dem Munde des Ungeheuers.
»Aber er gehört zu denen, welche draußen vor der Stadt liegen und nicht herein dürfen.«
»Du irrst. Er ist ein Verräter, er verrät die Pläne der Engländer an die Indier. Deshalb auch ließ er sich von dir unbemerkt in die Stadt bringen. Du solltest ihn hören, wie er jetzt über dich und Phangil und besonders über deine Frau spottet.«
»Über meine Frau?«
»Er machte sie lächerlich, er kann nicht begreifen, wie sie eine solche Mißgeburt wie dich heiraten konnte, er machte vor, wie du herumkriechst, und wie du sie mit deinem breiten Maule küßt, während du nicht ihren Abscheu gegen dich bemerkst. Das hat er gesagt.«
Kulwa schnappte mit dem Maule, wie der Frosch nach der Fliege. Sein Aussehen wurde vor Wut ein fürchterliches.
»Wenn er wiederkommt, dann – dann,« stieß er hervor.
»Beruhige dich, er wird nicht wiederkommen.«
»Sollte er mir entgehen?«
»Du mußt ihn aufsuchen.«
»Wie kann ich das?«
Sinkolin wußte Rat, und er teilte dem unerfahrenen, aber mit Vernunft begabten Geschöpf mit, wie es an dem, der es angeblich belogen hatte, Rache nehmen könnte, und hatte an Kulwa einen aufmerksamen Zuhörer.