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1868

Zur Regelung der Phrasen-Prostitution Ein schwüler Sommernachtstraum

»Niklas, trefflicher Mann, du, des Leibes Arzt und der Seele«, wie hast du mich erquickt durch dein moussierendes Spottbüchlein gegen »die Regelung der Prostitution«, diesen horrendsten Blödsinn, welchen das alte, verdammte Europa je ausgeheckt hat! Aber wird es was nützen? Man sagt, wenn man dem Basilisken einen Spiegel vorhält, so krepiert er vor Abscheu seines eigenen Anblicks. Aber wird der Magistrat in Lallenburg krepieren? Wird die Polizei in Kuhschnappel krepieren? Werden die Gemeinderäte von Krähwinkel krepieren? Und die demokratischen Zeitungs-Redakteure in Flachsenfingen und Groß-Scheerau, welche so entschieden demokratisch sind und unter den Töchtern des Volkes so entschieden »aufräumen« wollen – werden sie krepieren oder nicht vielmehr um drei Kreuzer per Tag entschieden und gesinnungstüchtig fortkämpfen für Recht, Licht und – Polizei? Ach, noch nie ist ein Esel über sich selber krepiert, wie der Basilisk, dieses edle geschämige Tier! Warum sind die Esel nicht Basilisken?

Man sieht, ich hatte die köstliche Broschüre von Dr. W. Schlesinger gelesen, und hätte damit den Tag vortrefflich beschließen können. Aber als die Abendluft kam, ritt mich der Teufel, daß ich in den Prater hinabfuhr, um die Schützenhalle zu sehen, das heißt für 20 Kreuzer eine Handvoll Hobelspäne. Da war's geschehen um die Freude des Tages und bald auch um die Ruhe der Nacht. Ich zog nämlich durch eine Empfangspforte ein, welche zwar auf der Stirnseite die unschädliche Aufschrift »Willkommen« trug, aber auf der Kehrseite – o die Kehrseiten! – da stand ein böser, böser Spruch: »Durch Freiheit zur Wahrheit, durch Wahrheit zum Licht.« Wer gibt mir die schlaflose Nacht wieder zurück, da ich mir fieberhaft meinen armen vaterländischen Kopf zerbrach, um die Weisheitslehre dieser Knaben zu ergründen?!

»Durch Freiheit zur Wahrheit!« – Aber Galilei hat die größte Wahrheit der Welt entdeckt ohne Spur von Freiheit, ja im Stande der drückendsten Knechtschaft. Die ewigen Wahrheiten des Christentums haben sich nicht in der römischen Republik entwickelt, sondern im römischen Kaiserreich unter Tyrannen wie Tiberius und Nero. Die Bücher der europäischen Literatur waren um so besser, je mehr sie von Henkershand verbrannt wurden, und sind um so schaler und dümmer, je mehr sie Medaillen für Kunst und Wissenschaft erhalten. Umgekehrt haben die freiesten Völker der Erde, die Beduinen, Afghanen, Tscherkessen, Kabylen, mit einer Freiheit, wie sie ein deutscher Hoch- und abermals Hochbruder gar niemals ersitzen, erschreiben und erschwätzen wird, zwar viele Kamele gezüchtet, aber keine einzige Wahrheit.

Durch Freiheit zur Wahrheit! Der kürzeste Satz – nur vier Worte – und doch vor- und rückwärts erlogen. O Phrase, wie groß ist deine Allmacht!

Ich war bereits heiß wie ein gebratener Ketzer auf der Seite, wo ich einschlafen wollte, und warf mich schlaflechzend auf die andere herum. Umsonst. Hier waren die Kohlen noch glühender.

»Durch Wahrheit zum Licht!« – Zu welchem Licht? zum Gaslicht? zum Kerzenlicht? zum Sonnen- und Mondlicht? Dummes Zeug! Das kann der Sinn dieser herrlichen Worte nicht sein. Ich erriet unschwer, daß der Sinn überhaupt ein bildlicher sei; man habe nicht das natürliche Licht zu verstehen, sondern das Licht der Wahrheit. O weh! »Durch Wahrheit zum Licht«: hieß also buchstäblich: Durch Wahrheit zur Wahrheit.

Der Angstschweiß brach mir aus. Es wurde mir schwarz vor den Augen. Alle Büchsen der deutschen Schützen hörte ich knallen und die Kugeln schlugen wie bei Chlum und Königgrätz mitten ins Herz der vaterländischen Dummheit hinein. Ich heulte.

Die Lisi erschien mit einem Licht in der Hand. »Deutsche Brüder!« rief ich sie an und hielt inne, denn ich erwartete bereits ein »donnerndes Hoch«. Aber die Lisi donnerte nicht. Deutsche Brüder, fuhr ich fort, wir versammeln uns heute unter den erhabenen Wahlspruch: Durch Wahrheit zur Freiheit – nein, ich will sagen, durch Freiheit zur Wahrheit. Noch immer kein Donner. Ja, durch Freiheit zur Wahrheit. Lisi, antworte auf diese »begeisterte Ansprache« mit einem »dreimaligen donnernden Hoch«. Das ungebildete Mädchen war still. Ich wurde pikiert, ich raffte mich auf – der Mensch wird ein Vieh, wenn kein Hoch donnert – und warf ihr wie eine Petarde den Knalleffekt ins Antlitz: Durch Weisheit zum Licht! Das Licht fiel ihr aus der Hand, sie ging. Durch Wahrheit zum Licht der Wahrheit! rief ich ihr nach. Sie flüchtete wie vor einem Verrückten. Durch Wahrheit zur Wahrheit! schrie ich aus Leibeskräften, aber ich sah nichts mehr von ihr als ihre Kehrseite. Oh, eine Kehrseite war's auch, auf der mein Unglück geschrieben stand! Ich phantasierte über die Regelung der Kehrseite; – nein, über die Regelung der Prostitution; – nein, über die Regelung der vaterländischen Phrase – und sank ohnmächtig in die Kissen zurück. Die Besinnung verließ mich, ich wurde bewußtlos wie ein Komiteemitglied.

Die Schwüle der Nacht war erstickend. Ich stand auf, um ein Fenster zu öffnen, aber der Effekt blieb aus. Zuletzt merkte ich, daß ich keineswegs aufgestanden, sondern liegen geblieben. Ich lag da wie Blei. Ich war gelähmt an allen Gliedern und ganz besonders am Gehirn.

In diesem äußersten Elend formulierte ich ein Gemeinderats-Referat. § 1. Konskribierung sämtlicher Phrasenmacher. Die notorischen Phraseurs haben sich wöchentlich einmal auf der Polizei untersuchen zu lassen; die gefährlichsten unter ihnen, wie Freund F-Meyer und K-Meyer, alle 24 Stunden. – § 2. Diejenigen, welche in der deutschen Sprach- und Stillehre nicht zuständig sind, werden in ein österreichisches Amt abgeschoben. – § 3. Bestrafung der mit verwahrlostem Phrasengift behafteten vaterländischen Talente. Das Strafmaß hat sich zwischen Medaille und Franz-Josefs-Orden zu bewegen; Appellation findet nicht statt. – § 4. Spitäler und Behandlung. Am Phrasengift Erkrankte sind äußerlich zu behandeln mit Einreibungen von guten satirischen Feuilletons, am besten unter die Nase. Innerlich nehmen sie täglich eine Flasche Lessing als blutreinigenden Rob Laffecteur, in schwereren Fällen die Logik des Aristoteles. Zur Nachkur werden sie auf gehenkt. – § 5 ...

Ich weiß nicht, wie lang ich so fort deliriert habe – da wehte mich plötzlich ein frischer Luftzug an, meine Zimmertüre ging auf und beim Lichte des Morgens sah ich den Doktor W. Schlesinger eintreten, welchen die Lisi, wie es scheint, gerufen hatte. »Gott sei Dank«, ruf ich, »daß diese Nacht überstanden ist! Sie haben da weiter nichts mehr zu tun, Herr Doktor, als: schicken Sie augenblicklich ins Oberhofmarschallamt und holen Sie mir einen Orden.« – Der Doktor griff nach meinem Puls. – »Nein, nein, diesmal phantasiere ich nicht. Sie kennen doch den Kladderatsch-Juden, welchen ein anderer fragte: Mausche, wofür hast du deinen Orden? Er antwortete: Weil ich mich im Jahre 1848 so sehr geforchten habe. – Nun sehen Sie, Doktor, ich habe mich im Jahre 1868 so sehr geschämt! Verdient das nicht auch einen Orden? Oh! Geben wir der Wahrheit die Ehre; durch Wahrheit zur Wahrheit! Denn wenn es auch süß ist, fürs Vaterland zu sterben, was, wie Freund Sp-r sagt, wenigstens diejenigen behaupten, welche am Leben geblieben, – so kann ich Sie doch versichern, Herr Doktor, und glauben Sie mir's auf mein Wort: es ist bitter, fürs Vaterland sich schämen zu müssen.«


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