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Da liegt sie, die schöne, weiße Leiche der erschlagenen Diva. Da liegt sie, das Götterkind, die Börse, noch im Sterben schön, mit einem Agio verhauchend, mit dem letzten Atemzug noch über pari -Kredit fl. 160 E. = 280! Wie rührend! Aber wer gönnt dir diesen Nachruhm, himmlische Diva? Vergessen deine Güte, dein Lächeln, deine Wohltaten, deine viele, viele Menschenliebe! Wie viel hast du ihnen geopfert, himmlische Diva, sogar dein Epitheton » casta «! Und wie roh beschimpfen sie dich! Undankbares Geschlecht! Aus allen Tonarten schimpft's. Schwindelperiode – Fäulnis – Demoralisation – Korruption – Babel und Ninive – Sodom und Gomorrha – sogar die Geographie muß schimpfen!
Wahrlich, das ist nicht länger zu dulden. Wenn alles dich verläßt, der Dichter bleibt dir treu. Bist du doch Blut von unserem Blute – dein Name heißt Phantasie.
Wie besingt dich unser großer Vorsänger Goethe?
»Welcher Unsterblichen soll der höchste Preis sein? Mit niemand streit' ich, aber ich geb' ihn der ewig beweglichen, immer neuen, seltsamen Tochter Jovis, seinem Schoßkinde, der Phantasie.«
»Denn ihr hat er alle Launen, die er sonst nur allein sich vorbehält, zugestanden, und hat seine Freude an der Törin.«
Das ist zum Sprechen ähnlich. Man meint, der Name Börse müßte jetzt und jetzt aus den Zeilen des Liedes herausspringen, so treu ist sie gezeichnet. Welcher Unsterblichen soll der höchste Preis sein – nämlich die Hausse. Und die ewig bewegliche – die immer neue – die seltsame – die Törin, an der man seine Freude hat – die sich die Launen des Zeus, nämlich des wetterwendischen Himmels erlauben darf – Börse oder Phantasie, Phantasie oder Börse, es ist von der nämlichen Person die Rede. Oder mindestens von einer Ähnlichkeit wie Mutter und Tochter. Die Phantasie, das Schoßkind Jovis, und die Börse, das Schoßkind der Phantasie!
»Sie mag rosenbekränzt mit dem Lilienstengel Blumentäler betreten, oder sie mag mit fliegendem Haar und düsterem Blick im Winde sausen« ...
Das heißt, sie mag freundliche Stimmung oder Panik sein. Der Dichter vergißt keinen Zug der gleichen Familienzüge. Er nennt's die Phantasie, wir nennen's die Börse; er nennt's: »Meine Göttin« und wir – jetzt verschwindet auch der leiseste Unterschied – wir nennen's erst recht: »Unsere Göttin«.
Aber so hat sich kein Detektiv je gefreut, wenn ihm ein gut verfaßter Steckbrief und eine lebendige Person endlich die lang gesuchte Identität konstatierten, als sich der Dichter freut, daß er in seinem »nüchternen« 19. Jahrhundert die Phantasie wiederfindet, die ihm das »praktische« und »materielle« Zeitalter mit so dreister Zuversicht dethronisiert.
Stand doch soeben noch das ganze 18. Jahrhundert unter einer Herrschaft der Phantasie, welche fast ein Gipfel ihrer Machtäußerung war; wie sollte sie denn so plötzlich zergangen sein? Wäre sie in die Erde verschwunden, sie müßte an irgend einem Punkte der Erde wieder herauskommen. Wäre sie gestorben, die Unsterbliche – was positiv unmöglich ist – sie müßte wenigstens in Nachkommen leben und Familie hinterlassen haben. Überblickt doch die zahlreiche Phantasie-Familie des phantastischen 18. Jahrhunderts: Zählt nur allein die Familienväter derselben, angefangen von dem liebenswürdigen Jugendpropheten Münchhausen die ganze Jakobsleiter des höheren Phantasie-Schwindels hinauf, wovon die einzelnen Sprossen Philadelphia, Schröpfer, Comus, Psalmanager, Dr. Graham, Chevalier d'Eon, Graf St. Germain, und endlich Cagliostro heißen, Giuseppe Balsamo, genannt Graf Alessandro di Cagliostro, Schüler des weisen Althotas, Pflegesohn des Scheriff von Mekka, auch Acharat und »unglücklicher Sohn der Natur«, oder wahrscheinlicher (!) Sohn des letzten Königs von Trapezunt, Gründer (!!) der ägyptischen Loge zur hohen Wissenschaft und Großkophta derselben, Protoplasma des klassischen Gründerschwindels, Urzelle aller Phantasie-Existenzen, aller Erzspekulanten und Superlativ-Charlatane! Überblickt die lebenstrotzende Heraklidenbrut dieser Phantasie-Riesen und Imaginationsgebietiger, überblickt die unabsehbaren Schwärme jener Adepten, Alchimisten, Schatzgräber, Geisterbeschwörer, Therapeuten, Thaumaturgen, Kabbalisten, Magnetiseure, Mystagogen, Swedenborgianer, Illuminaten und Rosenkreuzer, wovon das 18. Jahrhundert wimmelt. Wo wären sie denn im neunzehnten? Beim Teufel, sagt ihr. Zugestanden; aber was fängt der Teufel mit ihrer Substanz an, mit dem dichten, soliden Phantasie-Stoff, woraus sie gewebt, da ja kein Stoff zu vernichten, sondern nur zu verwandeln? Ei, er macht im 19. Jahrhundert Gründer, Syndikate, Bankdirektoren, Verwaltungsräte, Aktionäre, Generalversammlungen, Regierungs-Kommissäre, beteiligte Journalisten, Börsenwölfe und Börsengimpel, überhaupt »sonderbare Schwärmer« aus ihnen. Das läßt sich hören! Aber so sprecht mir dann doch nicht länger von eurem »nüchternen« 19. Jahrhundert – im Jahrhundert der Rumänier, der Türkenlose und der Dachauerbanken! Muß man euch denn ausdrücklich versichern, daß ihr große Romantiker seid? Muß man es euch schwarz auf weiß geben, daß ihr Phantasie habt, sogar eine recht starke Phantasie?
Wunderliche Menschen! Sie glauben zu »realisieren«, und sie phantasieren, sie glauben Papiere zu haben, und sie haben Phantasie. Aber mit einer Art Selbstquälerei nehmen sie sich das noch übel, schimpfen es Schwindel, Korruption, » materielles « Treiben, da es doch reinstes Phantasietreiben ist, Leben in Visionen, asketische Bußübung, Spiel im stofflosesten Stoffe, der nichts ist als Phantasie, nackte, blanke, in ihrer wahren Gestalt enthüllte Phantasie, ein diaphaner, ätherischer Körper, aus den Kurszettel-Ziffermoden herausgetreten, wie ein Schneeflöckchen aus der Schneewolke, ein weißes Nichts – ein weißes Papier, woran gar nichts zu »realisieren«, dem keine Faser von grober materieller Wirklichkeit anhaftet, das durch und durch Phantasie!
Seltsame Tochter Jovis, was für seltsame Kinder hast du geboren! Aber die Kinder folgen der Mutter; deinen Namen sollen sie wenigstens führen. Sie sollen Kinder der Phantasie heißen. Man mache nicht länger mehr einen unberechtigten und willkürlichen Unterschied zwischen einem »phantastischen« 18. und einem »nüchternen« 19. Jahrhundert, zwischen: Stein der Weisen – aurum potabile – spagirische Speise – ägyptischer Wein – Rowlands Kalydor – Pentagon der Unsterblichkeit – und zwischen: Industrialbank – Interventionsbank – Börsen- und Rentenbank – Semmering-Hammerwerks-Gesellschaft – Zellulose – Maschinenziegel, denn sie alle sind Geschwister der nämlichen Phantasie-Familie und haben Hausrecht – in der laterna magica. Kirchers laterna magica und Belsazars Phosphorschrift, – Adam Weishaupts Illuminaten und ihre Philanthropie, Eleutheriomanie, weißen Gewänder, wallenden Bärte, mystischen Säulen, Glockengeläute, Kristallspiegel, Totenköpfe und Phosphorbeleuchtung – dieser ganze Phantasiestaat war nicht phantastischer als die Wiener Börse und diese ist nicht phantasieloser als der Großkophta auf seinem Thron zwischen Enoch und Elias. Mit einer Gruppe von Totenköpfen und Phosphorbeleuchtung kann sich eine Gruppe von Baubanken im bläulichen Dunst der Zeitungsreklame wohl messen, und wenn der weise Althotas zu Messina Hanf in Seide verwandelte und der Aktionär der Forstbank das nämliche Wunder umgekehrt tut, so ist seine Wunderkraft bei Gott nicht geringer! Da gibt's nichts zu schimpfen; das ist doch etwas Höheres als »rein praktische« Tendenzen. Ha, warum sollen Kommissionsbank 80 fl. Einzahlung, Kurs 136 fl. der große Schwindel heißen und Kommissionsbank 80 fl. Einzahlung, Kurs 50 Kreuzer – der große Krach?! Die Erscheinung ist immer die nämliche; – jenes, Graf Cagliostro, dieses – Guiseppe Balsamo. Wozu: großer Schwindel, und großer Krach? Wozu einen solchen Aufwand verschiedener und extrem gewählter Worte.
Glaubt, der Dichter ist gar sehr interessiert, daß man sich richtig ausdrückt; Namen tun ja was zur Sache. Worte sind Begriffe, richtige Worte richtige Begriffe. Wie viel Falsches hält man für wahr, bloß weil man die betreffenden Schlagwörter gedankenlos nachsagt! Und nicht zuletzt leidet darunter die Poesie!
Der große Kunstmäcen, Baron Abraham, mein Sperrsitznachbar, gähnt bei der Wahnsinnsszene des König Lear und belehrt mich orakelnd: Starke Leidenschaften sind nichts mehr für »der« modernen Bühne. Aber wie heißt? Baron Abraham? Die starken Leidenschaften bauen sich ein Theater ums andere, nämlich unsere Börsenpaläste, und rasen auf diesen modernsten Bühnen schwülstiger – als Lohenstein und Hoffmannswaldau! Es scheint mir nicht, daß vom modernen Schauplatz die starken Leidenschaften verschwunden sind. Aber man bildet sich's ein und hat damit tatsächlich die moderne Bühnenpoesie in einen Schwächezustand versetzt, daß sie nur noch – von Hutschachteln und Handschuh-Kassetten gespielt wird, was man Salonstück nennt.
Baron Abraham schläft ein, wenn der Cherub das arme Kätchen von Heilbronn rettet, oder Bankos Geist und Hamlets Vater erscheint, oder die Hexen in Faust und in Macbeth auftreten. Aber im Schlafe noch geistreich, schnarcht er die Lehrsätze: Paßt nicht mehr für der modernen Bühne! Haben sich überlebt die Geister und Hexen!
Auch ein Schlagwort, das leichter gesagt und nachgesagt, als bewiesen ist. Aber beim Himmel, geistreich schnarchender Baron Abraham, warum sollen sich just die Hexen des Macbeth überlebt haben, da doch Fräulein Adele Spitzeder lebt?! »Er vertraute, der Tor, auf Hexengold, und weiß nicht, daß es der Hölle zollt.« Und was haben Sie gegen den Cherub, gegen Bankos Geist und Hamlets Vater? Warum wollen Sie der Bühne die Geister nicht glauben, da Sie der Börse doch den Grafen Langrand und den Baron Stroußberg und den Herrn Placht geglaubt haben? Phantasiewesen, vielleicht noch stoffloser und unkörperlicher als Bankos Geist und Hamlets Vater, Phosphor und Kolophonium-Menschen, Geschöpfe der Blendlaterne, Phantome des Hohlspiegels, Kinder der Traumwelt, Nebelgestalten, Luftkörper, Dunsterscheinungen, Wahnbilder, Märchenspuk, Fiebergeburten-Existenzen, die keinen Augenblick existieren konnten und mit Dampf und Schwefel abfuhren beim ersten Hahnschrei des Bilanzmachens?! Ich protestiere, daß wir zu »gebildet« sind für den Gespensterglauben. Placht, Stroußburg, Langrand und die Spitzeder sind nicht etwa bloß von der »abergläubischen« Kreuzergalerie geglaubt worden, oder von den Stubenmädchen, welche diesen Gespenstern das Bett machten und den Wäschzettel schrieben. Sie selbst haben an sie geglaubt, ich wette, Herr Baron. Oder haben Sie nicht ihre harten himmlischen Taler in die Geistermünze umgewechselt, welche man Rumänier nannte? Ja, vielleicht hat Ihnen sogar die Reklam-Sirene der »unabhängigen« Wiener Presse »mit Tropfen höchst verfluchten Bilsenkrauts« das Gift ins Ohr geträufelt, das man die Semmering-Hammerwerksaktien des Herrn Placht nannte. Schauderhaft! höchst schauderhaft! Aber mehr Glauben als Herr Placht verlangt der Geist Hamlets eben auch nicht. Und zuletzt, Herr Baron, was sage ich weiter? Ich soll doch an Sie selbst glauben, nicht wahr? Aber wer sagt mir, daß Sie selbst etwas Wirkliches sind, und nicht beim ersten scharfen Blick eines Regierungskommissärs in blauem Dunst auseinanderrinnen? Ja, daß der Regierungskommissär nicht wieder in einen Vertuschungskommissär sich verflüchtigt beim ersten scharfen Blick einer soliden Disziplinar-Untersuchung?
Nicht an Gespenster glauben! Nur an Gespenster glauben, überall Phantome sehen, aber den sogenannten Wirklichkeiten mißtrauen, das lehrt uns die Romantik unseres 19. Jahrhunderts. Es ist nichts weniger als »nüchtern«. Der Strom der Phantasie durchflutet alle Jahrhunderte und befruchtet oder – überschwemmt alle. Man lasse sich nur von seinen veränderten Betten und Armen nicht irren!
Nach der historisch denkwürdigen Börsen-Katastrophe
Schüler, welche ihre Geschichte lernen, werden nie begreifen, warum der dreißigjährige Krieg dreißig Jahre gedauert. Die gewöhnliche und bisher noch immer übliche Geschichtsmethode macht es ihnen auch gar nicht begreiflich. Sie merken vielmehr, daß die politisch-kirchlichen Fragen schon lange früher entschieden waren; sie fühlen es deutlich heraus, wie schon in der zweiten Hälfte der Kriegsdauer die Kriegslust verschwunden, der Fanatismus gekühlt, die konfessionelle Dickköpfigkeit mürbe geworden ist, und Ermüdung, Erschlaffung, Überdruß, Sehnsucht nach Frieden sich als die allgemein herrschende Stimmung verbreitet hat. So schleppt sich der Krieg noch hin – von seiner dreißigjährigen Frist fast noch die ganze Hälfte durch. Warum?
Die politische Geschichte antwortet darauf nicht oder verworren. Erst die Schule des Lebens, Beobachtung, Erfahrung und eigenes Denken, jenes Denken, welches das gleiche Gesetz in den verschiedensten Wirkungen findet, gerät auf die richtige Spur. Diese Spur macht erkennen, daß der dreißigjährige Krieg, der so einseitig als ein politisch-kirchlicher erzählt wird, unter dieser Hülle noch einen andern birgt, nämlich einen sozial-ökonomischen. Jener konnte früher zu Ende gehen, dieser nicht. Jener hieß Kampf zwischen Luther und Rom, Frankreich und Deutschland, Schweden und Österreich; dieser hieß Kampf ums Dasein. Jener gehorchte den großen Herren, Richelieu, Gustav Adolf, Ferdinand; dieser gehorchte den größten Herren: dem Magen und der Verzweiflung.
Suchen wir die große Haupt- und Staatsaktion in den vier Wänden auf, und wie die Privatpersonen zu dem allgemeinen Unglück sich stellen, so spielt der dreißigjährige Krieg des sozial-ökonomischen Datums etwa in folgenden Grundzügen.
Zuerst heilen Bürger und Bauern die Wunden des Krieges noch aus dem vollen Friedensschatz, den das gesparte Gut und die unverletzte Sitte darstellen. Ihre weggetriebenen und verkauften Viehherden stellen Gemeinden einander zurück, ohne Profit, bloß für den Beutepreis. Wird eine Stadt geplündert, so machen sich's Patrizier- und Zunfthäuser zum Ehrenpunkt, ihre verschleuderten Bilder und Bücher, Kunstschätze, Möbel und Hausvorräte den alten Eigentümern, soweit sie erkennbar, zu restituieren. Noch ist der Gemeinsinn stark, das Ehrgefühl jungfräulich, noch sind Mittel und Wille da, sich nachbarlich einander zu helfen. Das ist die Praxis der ersten Kriegsdekade. Gegen die zweite hin verstummen Chroniken und Privatnachrichten von diesen so wohltuenden Zeugnissen der National-Ehrbarkeit. Man fühlt sich des öffentlichen Unglücks nicht mehr mächtig; jeder verzagt, nur mit sich selbst durchzukommen. Und bald wird die Verzagtheit – Verzweiflung. Der oft und viel Geplünderte weiß sich jetzt keine Rettung mehr, als selbst zu plündern. »Wir Zigeuner sind nur noch am Galgen sicher!« sagte ein witziger Märtyrer dieses Stammes; und vor dem Kriege war man jetzt nur noch im Kriege sicher. Die Dörfer und Städte leerten, die Feldlager füllten sich. Bürger und Bauern liefen den Soldaten zu; wer leben wollte, mußte sich anwerben lassen. Ersatz für die Plünderung gab's nur noch im Plündern.
Das ist das schauerliche Rätsel der dritten und letzten Kriegsperiode. Der Krieg ist müde geworden, aber die Kriegsfackel lodert fraßgieriger als je gegen Himmel. Die Prinzipien erlahmen, die evangelischen und katholischen Gegensätze werden stumpf und blasiert, aber ihre Schlagwörter explodieren jetzt erst mit den verheerendsten Wirkungen. Die Gebildeten der Nation arbeiten jahrelang vor dem Frieden von Münster am Friedenswerk, aber zurück in den Krieg staut, drängt und preßt nun erst das Volk, welches verzweifelt, mit Bienen- und Ameisenfleiß zu ersetzen, was mit Wolfs- und Löwenrachen verschlungen worden. Das Entsetzlichste ist geschehen: das hohe Kriegsspiel ist ein nationalökonomischer Faktor geworden! Der Gründer Wallenstein hat so prächtige neue Werte geschaffen, wie sein Herzogtum Friedland und seinen Kurhut von Mecklenburg. Das hat gezündet. Und wer kein Wallenstein ist und Armeen gründen kann, der ist ein gemeiner Kondottiere und gründet wenigstens ein Fähnlein. Er berechnet, wie viel er Handgelder zahlt, wie viel ihm ein Fürst für seine Mietstruppe zahlt – das übrige ist sein Gründergewinn. Aber auch der Fürst selbst wird Gründer und stellt eine ähnliche Rechnung an. Er berechnet, was er von Ländereien noch verpfänden kann, um Mietstruppen in Sold zu nehmen, was er andererseits an Ländereien und Länderfetzen säkulieren und mediatisieren kann, wenn er rechtzeitig zugreift und für den Friedensschluß Tatsachen schafft; er berechnet seinen Gründergewinn. Endlich ist von Sold und Handgeld gar nicht mehr die Rede; die bloße Beute tut's auch. Der Kondottiere läuft den Fürsten zu, um ein Lehen zu erschnappen und selbst ein Fürstlein, ein Gräflein, ein Baron zu werden; der Bürger und Bauer läuft dem Kondottiere zu, um als Landsknecht reich zu werden, wie er als Bürger und Bauer verarmt ist, d. h. um Beute zu machen. Natürlich wird recht scharf Beute gemacht, d. h. es werden immer mehr Bürger und Bauern zu Bettlern gemacht. Das Landsknecht-Material wird immer flottanter; alles nimmt Handgeld. Alles nimmt. Die Nehmer schießen wie Pilze aus der Erde; der Circulus vitiosus, ihr großer gemeinsamer Urvater, verschlingt und erzeugt sie immer von neuem. Messe und Bibel haben dabei tatsächlich den Wert von Aktien-Namen; es wäre lächerlich, die Kondottieri und ihre Landsknechte zu fragen, wes Glaubens sie sind; sie glauben an den Gewinn. Sie laufen heute den Kaiserlichen und morgen den Schwedischen zu; es ist ihre Lieb' und ihre Kontermine, womit sie abwechselnd in Bibel und Messe spekulieren. Aber Bibel und Messe bleiben nach wie vor das Feldgeschrei des dreißigjährigen Krieges; es sind Titel, auf welche seine Konzessionen erteilt werden.
Eine Kriegs-Parodie von dämonischer Lächerlichkeit! Was sich jetzt noch auf den hölzernen Schulbänken und in den hölzernen Lehrbüchern dreißigjähriger Krieg nennt, ist eigentlich nichts als jener wohlbekannte Krieg aller gegen alle, jener Kampf ums Dasein, jene Konkurrenz des Privatvorteils, die man sonst den bürgerlichen Frieden zu nennen pflegt. Die Generation hat einen Krieg geerbt um die höchsten Ideale der Menschheit und führt ihn als Kramladen fort für den täglichen Erwerb, fürs Brot und fürs Licht und Holz. Sie führt ihn fort im ganzen Stile eines wirklichen Krieges; sie macht ihre Inserate mit Leichenhaufen, ihre Annoncen mit angezündeten Städten, ihre Bilanzen mit Belagerungen und Schlachten. Alle Übel, die der Krieg verhängt im guten Gewissen eines Gesamt-Interesses, bleiben gebraucht und angewendet im schlechten Gewissen der Privat-Interessen. Aber die Gewissen sind weder gut noch schlecht, diese Begriffe passen nicht mehr auf ihren Zustand; sie sind überhaupt nicht, sie sind verschwunden. Und wie der Verteidiger im äußersten Notfalle auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert, so ist diese grenzenlose Demoralisation noch der einzige Milderungsgrund. Der Krieg erkennt sich selbst nicht als das, was er ist, als Raubkrieg; die Verzweiflung hat ihn wahnsinnig gemacht, der lange Blutgeruch hat ihn betäubt wie Kohlendampf; es ist der Kopf eines Narren, der seine blutige Schellenkappe schüttelt. In diesem Kopfe sind alle Begriffe umgestürzt, verdreht und verkehrt, verrückt und verwirrt. Indem Deutschland zugrunde geht, der Welthandel der Hansa verfällt, der Ackerbau aufhört, im kleinen Württemberg, damals um die Hälfte noch kleiner, allein 57 000 Bauernhöfe in Schutt liegen, überhaupt zwei Drittel der ganzen deutschen Nation ausgemordet sind, mitten in diesem deutschen Unglück sieht man die Deutschen – ihr Glück machen. Jeder, der sich noch fühlt, wird Unternehmer und Gründer, rührt die Werbetrommel und macht Fortune. »Fortunemachen« ist die Losung der Zeit. Jeder Schwindler findet Menschenkapital, wie Placht und Spitzeder Geld-Kapital; Menschenblut ist wohlfeil, bietet sich im Überfluß an – von wegen Fortunemachens! Wer noch arbeitet, wird ausgelacht; wer pflügt, säet und mahlt, muß der Dümmste im Dorfe sein; der aufgewecktere Bauernbursche macht Fortune und läuft der Werbetrommel zu, der damaligen Reklame für »vorteilhafteste Kapitalsanlage«. In der Tat sieht man ihn bald darauf hoch zu Roß, er ist Capitano, ist General, hält sich eine italienische Kurtisane, denn damals kam das italienische Opernwesen auf, aber noch gab es keine Theater; statt der Loge hielt man sich daher die Primadonna selbst. Überhaupt kam das »galante« und welsche Wesen in Schwung, es war die üppige Zeit, wo die geile Renaissance ins Rokoko ausartete, die schmuckreich-überladenste Zeit, bauschig, malerisch, makartisch, ganz gemacht für Parvenüs und »feine Leut'«. Der Rottmeister ging damals reicher als heute ein Feldmarschall – und erst der Feldmarschall! Wallenstein hatte gezeigt, wie man mit der genialsten Wertzerstörung »neue Werte« schafft, wie man ein großes Haus wird, und wie man den Soldaten »nobel« hält. Es war eine äußerst noble Zeit. Kroaten stolzierten in goldenen Ketten, und Troßknechte würfelten um spanische Dublonen, welsche Freudenmädchen ließen sich Abteien und Klöster schenken, und Barfüßeles von Nirgendsheim imitierten die Hoftrachten der Margarete von Valois und der Maria di Medici. Die deutschen Städte und Dörfer, alte Vorräte und erspartes Ahnengut, wurden mit Millionen von Schüreisen dreißig Jahre lang in den Ofen geschoben – welch ein lustiges Feuer! Und die Asche gab vorteilhafteste Kapitalsanlage und gräßlich viel neue Werte! Eine wahre Glückszeit! Ein Fortschritt über alle Fortschritte, ein goldenes Zeitalter! Hätte das Feldlager damals eine Presse gehabt, wie der heutige Banken-Raubkrieg, die Presse hätte nicht Worte genug gefunden, den allgemeinen Wohlstand und den Aufschwung der materiellen Interessen zu loben. Und zwar mit Recht – vom Feldlager-Standpunkt!
Der westfälische Friede war für diese Verhältnisse buchstäblich der »große Krach«. Man kann sich nicht lebhaft genug vorstellen, daß er eine unabsehbare Reihe von Existenzen wie ein Donnerschlag getroffen haben muß. Aus war's mit dem Fortunemachen. Fort war die höchste Fruktifikation der Hakenbüchse und des Schweizerdegens. Zwei Arme und ein Räuberherz – Dinge, womit man so lange Baron werden konnte – sollten wieder beim Viehhüten und auf der Schneiderbank versauern! Mit den Friedensglocken muß ein Verzweiflungsschrei durch die Lande gegangen sein, als ob der große Pan tot wäre.
Ach! wenn derselbe Federzug, womit der Kanzler den Frieden unterzeichnet, auch eine dreißigjährige Fortunemacher-Periode aus den Spieler- und Räuberherzen ausstreichen könnte! Wer bannt die Geister, die man selbst großgezogen? Kann man eine allgemein herrschende Denkungsart, kann man einen Ideenkreis und einen Sittenzustand in den Winkel stellen wie eine Hellebarde?
Der Soldat, der jetzt Räuber wurde, mag in seinem Zustande kaum eine Veränderung empfunden haben. Er ist früher seinem Privatvorteile nachgegangen und tut es wieder. Er hat früher Beute gemacht und macht wieder Beute. Nach dem Fürstenkriege kommt sein Krieg; was weiter? Haben die großen Herren das Recht dazu, warum nicht auch die kleinen Leute? Daß er früher geraubt und gestohlen hat mit fürstlicher Konzession und daß sie ein paar Perücken in Münster jetzt zurückgezogen haben, ist ein Abstraktum, das er kaum bemerkt; ja, und wenn er's bemerkt, so wird noch der geringste Mann in der Hütte jener starkgeistigen Logik mächtig gewesen sein, welche so feine Leute wie die Gräfin Terzky und der Friedländer als die Moral ihrer Zeit spielen lassen.
Als du
Mit Feu'r und Schwert durch Deutschlands Kreise zogst,
Hohn sprachest allen Ordnungen des Reichs,
Der Stärke fürchterliches Recht nur übtest
Und jede Landeshoheit niedertrat'st,
Um deines Sultans Herrschaft auszubreiten:
Da war es Zeit, den stolzen Willen dir
Zu brechen, dich zur Ordnung zu verweisen,
Doch wohl gefiel dem Kaiser, was ihm nützte,
Und schweigend drückt' er deinen Freveltaten
Sein kaiserliches Siegel auf! Was damals
Gerecht war, weil du's
für ihn tat'st, ist's heut'
Auf einmal Unrecht, weil es
wider ihn
Gerichtet ist!
Diese Logik ist viel empfunden und viel – gehenkt worden! Die Erbschaft des dreißigjährigen Krieges war ein Gauner und Räuberwesen, dessen Großartigkeit aus vergessenen und vernichteten Polizei-Akten, welche den kulturhistorischen Wert der Verbrecher-Statistik noch nicht kannten, wohl nie mehr vollständig zur Anschauung kommen kann. Die Namen Lips Tullian, Nickel Fein, der Sonnenwirt, der Schinderhannes, bezeichnen bloß einige Anker- und Hafenplätze im unermeßlichen Räubermeer. Sie treten von Niedersachsen bis zu den Neckarquellen genau in jenen westlichen Grenzstrichen auf, welche zwischen Deutschland, Frankreich und den spanischen Niederlanden die großen Kriegstore und die verwüstetsten Schauplätze der Fortunemacherei gewesen.
Fast präzis hundert Jahre nach dem westfälischen Frieden (1648) wurde der Sonnenwirt hingerichtet (1750), und sein Prozeß enthüllte ein schwäbisches Klephtentum, worüber Deutschland, das seine Sittengeschichte noch nicht wissenschaftlich bearbeitete, in naivem Entsetzen aufschrie. Im Schatten des Schwarzwaldes, in den Einsamkeiten der Rauhen Alp, in den Verstecken der Neckar-Quellen und den Winkeln der Nebenflüsse zählte man die mitschuldigen Räuber- und Diebesherbergen nach Tausenden! Man fand Gemeinden, wo von Großvater zum Sohn und Enkel herab das »Jaunertum« erblich und endemisch war. Mit andern Worten: den dreißigjährigen Krieg als schleichende Volkskrankheit; den furchtbar-schönen Pendant zu den 57 000 wüttembergischen Brandstätten, wovon sich ein großer Teil nie mehr erholt hat.
Als eine Räuberbrutstätte von ähnlicher Fruchtbarkeit enthüllte der Prozeß Schinderhannes die Eifel. Dieser vulkanische Gebirgsstrich, unbesucht und menschenarm, öde, rauh und steil, aber just in der Mitte streichend zwischen dem Rhein und Brabant, zwischen den Klosterschätzen der berühmten Pfaffengasse und den gefüllten Bürgerhäusern des städtereichen Belgiens, war das schönste Naturmodell einer wunderbar gelegenen strategischen Raubburg, eines sichern Beutemagazins, eines klassischen Diebs- und Diebshehler-Fuchsbaues. Ein ganzer verfassungsmäßiger Raubstaat mit altgeschulter Routine und technisch gegliederten Verwaltungs-Apparaten in erblich überlieferten Familien-Dynastien und Hierarchien fand sich auch hier seit den verwilderten Tagen des großen Räuberflugsamens eingesenkt und auf Wurzelstöcken fortwuchernd bis in die Anfänge unseres eigenen Jahrhunderts, so daß der Name Schinderhannes, der zuletzt nicht wie ein Individuum, sondern wie ein ganzer Gattungs- und Geschichts-Repräsentant publik wurde, einen langen, glimmenden Schwefelfaden bedeutet, welcher so entlegene Endpunkte vereinigt wie – Wallenstein und Napoleon!
So tief hatte das Fortunemachen den Volkskörper angefressen, so markzerstörend fand man nach hundertfünfzig Jahren noch seine Nachwirkungen!
Und was in diesen hundertfünfzig Jahren gehenkt, gerädert, gevierteilt, »gestäupet« und mit glühenden Zangen »gezwicket« worden ist! In allem Ernste, man kann zweifelhaft sein, was mehr Menschenleben gekostet: Feuer und Schwert der dreißig Kriegsjahre, oder Rad und Galgen der hundertfünfzig nachfolgenden Jahre, welche mit den erblichen Marodeurs des dreißigjährigen Krieges aufräumten. –
Das heutige Kriegswesen ist ein elegantes chirurgisches Besteck, blank, kein Stäubchen und Rostfleckchen dran! Es operiert mit Takt, mit Grazie, mit einer hochzivilisierten Selbstbeherrschung. Was es verzehrt, das bezahlt es mit hellen, klingenden Talern; ich glaube, ein geplündertes Heubündel würde nicht einmal einem Pferde schmecken, einem akademisch graduierten Equitations-Schimmel und modernen Fortschritts-Rößlein. Von Beutemachen ist keine Rede, auch vom Fortunemachen nicht, sofern ein schmales farbiges Bandstreifchen nicht etwa Fortune wäre. Am wenigsten könnte der Unfug dreißig Jahre dauern; kaum dreißig Tage braucht ein modernes Kriegsweh, und von Nachwehen wäre schon gar nichts zu spüren. Nein, der Krieg ist friedlich geworden und nur der Frieden kriegerischer. Der Kampf ums Dasein, der Krieg aller gegen alle, das Fortunemachen kann sich an keinen Krieg mehr anheften, hat im Kriege nichts mehr zu suchen. Dazu ist der Friede da. Der bürgerliche Friede! Ihm ist Raum der Bewegung und »Freiheit des Verkehrs« genug gegönnt, um sich seine nötigen Kriegsformen selbst zu erzeugen. Und wirklich hat er die Börse erzeugt, jene Kriegsgöttin, welche aus dem Haupte des Friedens fix und fertig herausspringt, gepanzert, gerüstet, waffenschüttelnd – die tauglichsten und vollkommensten Waffen für den ewigen Kriegszustand der menschlichen Gesellschaft, die idealen Waffen, die verheerenden Mordwaffen des Kredits ! Ein entzückender Artillerie-Krieg ist der Kredit, von einer Eleganz der Präzision, von einer Loyalität, ja Noblesse der Martialgesetze, der Kriegsgebräuche, der Dienstformen und Dienstverhältnisse, die für Freund und Feind etwas Bezauberndes haben. Aber so ist auch in seiner verwildertsten Periode der dreißigjährige Krieg als Raub- und Beutekrieg nicht mißbraucht worden, wie der Kredit mißbraucht werden, zumal der Börsenkredit zum ehrlosesten Meuchelmord und brutalsten Vernichtungskrieg ausarten kann. Ähnlich wie jener durchläuft auch er von der Ehrbarkeit zur Gemeinheit alle Zwischenstufen und kommt bei der Schande und bei dem Verbrechen als seiner untersten an.
Das Stadium der Ehrlichkeit ist jenes, wenn der Käufer ein Börsenpapier kauft und überzahlt, weil er glaubt, daß es eine gute Rente abwerfen wird. Das zweite Stadium nach diesem tritt ein, wenn der Käufer das schon nicht mehr glaubt, aber wenn er glaubt, daß es noch andere glauben und deshalb im Kaufen und Überzahlen fortfährt. In diesem Stadium werden feinfühlige Offiziere schon ihren Abschied nehmen, und auch der ehrliebende Troupier fängt die Liebe zum Dienste zu verlieren an, denn wie aus dem Boden gewachsen tauchen die Bassermannschen Lagergestalten auf, man riecht die Lunte des Mordbrenners, man sieht die Köpfe mit den Galgengesichtern sich aufrichten, und nur ungern marschieren die besseren Soldaten in Reih und Glied mit diesen Kameraden. Das dritte Stadium endlich ist die Herrschaft und der Terrorismus dieser Galgengesichter. Kein Mensch glaubt mehr an sein Papier, kein Mensch kann auch nur glauben, daß noch der andere daran glaubt, vielmehr weiß jeder und ist überzeugt und hört es mit allen Glocken der öffentlichen Meinung ausläuten, daß der Glaube dahin ist. Aber der öffentlichen Meinung wird jetzt Gewalt angetan. Die Börsenwölfe schicken Falschwerber aus, wie die Kriegssprache sagen würde, d. h. sie kaufen Organe der öffentlichen Meinung, machen die letztere und verwandeln den Mund der Wahrheit in ihren Wolfs rachen. Nach Umständen genügt die Usurpation der öffentlichen Meinung, aber nicht selten müssen die Raubtiere auch die öffentliche Gewalt usurpieren. Siehe die Rowdies in Newyork und in San Francisco, oder die um den 2. Dezember würfelnde Spielerbande Louis Napoleons. Sie haben sich vorübergehend der Verfassungen ihrer Gemeinwesen bemächtigt. Dort aber, wo die Rowdies in den Stellen und Ämtern der Staatsverfassung schon sind, werden sie »verfassungstreu« Himmel und Erde in die Luft sprengen, um den Besitz ihrer Gewalt zu behaupten. Sie wissen, um was sie spielen. Entweder die Galgenleiter oder die Rangleiter zum Baron! Entweder den Strick oder das Ordensband! »Und selbst den Fürstenmantel, den ich trage, verdank' ich Diensten, die Verbrechen sind«, sagt Wallenstein, als er zur Behauptung seines Fürstenmantels das verzweifeltste Verbrechen ausheckt.
Eine Demoralisation, welche eine weitverbreitete Ausdehnung gewonnen hat, welche sich an Straflosigkeit, sogar an Herrschaft gewöhnen durfte, erhält sich dann durch ihr eigenes Schwergewicht. Ist erst eine gewisse Majorität von Menschen an ihr interessiert, so kann die Hoffnung ihrer Remedur trügerisch werden. An der Fortdauer des dreißigjährigen Krieges waren zuletzt so viele Desperados und Glücksritter engagiert, daß ihn ausgedehnte Landstriche und ganze Bevölkerungen als ein tiefgewurzeltes, allen Obrigkeiten spottendes Räuberwesen noch fünfmal dreißig Jahre fortsetzen konnten. Es hat noch kein »luftreinigendes Gewitter« gegeben – für die pontinischen Sümpfe und für die Küsten des gelben Fiebers. Auch für die Küsten des Börsenfiebers dürften die Gewitter zu ohnmächtig sein.
Diese Reflexion dämpft den Trost über den großen Krach. Der ehrliche Mann trägt lieber den Prophetenschmerz einer Kassandra als den Fluch der Lächerlichkeit, den bloß – der Vogel Strauß zu ertragen weiß.
Just weil der Krach so groß war, hat er die vorhandene Größe einer Spiellust enthüllt, welche ihr Dasein behaupten wird, welche keinesfalls von heute auf morgen ins Nichtdasein abmarschieren wird. Just weil das Unglück eine so »eindringliche Lehre« war, wie die Selbstfopper sagen, wird es bis zu einem Grad von Tiefe eindringen, der sich erst ganz enthüllen kann – wenn wir nicht mehr sind. Aus dieser Tiefe stiegen lange nach einem Wallenstein und Jean de Wörth noch ein Sonnenwirt und ein Schinderhannes herauf! Unsere Augen werden längst schon geschlossen sein, da werden sich die Anklagebänke der nächsten Geschlechter mit Verbrechern füllen, deren Protokolle alle mit den Worten anfangen werden: »Als ich ein kleiner Bub war, haben die Eltern beim großen Krach Anno Dreiundsiebzig ihr ganzes Vermögen verloren, und seitdem hat sich unsere Familie nie mehr erholt«.